1080/AE XX.GP
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag. Dr. Heide Schmidt, MMag. Dr. Madeleine Petrovic und KollegInnen
betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber dem Bundesminister für Inneres
gemäß Art. 74 Abs. 1 B - VG
Zum ersten Mal in der Geschichte der II. Republik ist ein Mensch im Gewahrsam der
Polizei durch die Einwirkung der von dieser angewendeten Zwangsmaßnahmen zu
Tode gekommen. Am 1. Mai 1999 starb Marcus Omofuma bei der Abschiebung in
sein Heimatland. Wie der vorläufige Obduktionsbericht feststellt, durch Ersticken. Die
Omofuma begleitenden Polizisten hatten mit einem Klebeband seinen Mund verklebt.
Zur Rechtfertigung brachten die Sicherheitsbeamten ursprünglich vor, den
Abzuschiebenden auf Wunsch der Flugzeug - Crew ruhig gestellt zu haben. Später -
nach Dementis des Flugpersonals - wurde behauptet, daß man sich vor Omofumas
Bissen habe schützen müssen. Ungeachtet der widersprüchlichen Begründungen
wurde eines jedenfalls offenbar: daß das Verkleben des Mundes mittels Klebeband
durchaus zur Praxis der Sicherheitsorgane gehört, um mißliebige Personen zu
disziplinieren. Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Michael Sika bestätigt
die Vorgangsweise - wenn auch nur für Ausnahmefälle - ebenso, wie der Leiter der
Abteilung für sonstige Sicherheitsverwaltung Wilfried Kovarnik oder der freiheitliche
Personalvertreter Kleindienst, der nicht nur meint, daß diese Praxis im Innenressort
bekannt sei, sondern auch außerhalb Österreichs angewendet werde.
Bundesminister Schlögl behauptet, von solchen Vorgangsweisen nicht zu wissen.
Für die Klärung der politischen Verantwortung für derartige Praktiken scheint es
weniger relevant, ob der Innenminister von der Verwendung der Klebebänder
tatsächlich wußte oder nicht und seine Verantwortung daher glaubhaft ist, sondern
ob er davon hätte wissen müssen. Zur politischen Verantwortung gehört es nämlich,
dafür Sorge zu tragen, daß der Vollzug der Aufgaben gesetzes - und
grundrechtskonform vonstatten geht und die Vollzugsorgane nicht nur in die Lage
versetzt werden, sich rechtmäßig zu verhalten, sondern auch eine allfällige
Unrechtmäßigkeit ihres Tuns zu erkennen. Deshalb sind unter anderem Schulungen
so notwendig, um den Organen nicht nur das rechtliche Rüstzeug mit auf den Weg
zu geben, sondern insbesondere das notwendige Grundrechtsbewußtsein und die
psychologische Fähigkeit, mit Grenzsituationen richtig umzugehen. Diese Erkenntnis
gehört seit Jahren zum theoretischen Wissensstand unter anderem auch des
Innenressorts. Auch aus diesem Grund antwortete der damalige Innenminister Einem
auf eine Anfrage, welche Maßnahmen er setzen werde, um unmißverständlich klar
zu machen, daß Mißhandlungen von Personen nicht tolerierbar sind, daß ein
Schulungsprojekt entwickelt werde, das die Verbesserung der sozialkommunikativen
Kompetenz zum Ziel habe. Darüber hinaus werde in einer speziellen Veranstaltung
den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine praxisnahe
Auseinandersetzung mit Grundrechten und deren Bedeutung für die tägliche Arbeit
ermöglicht. Zu diesem Zeitpunkt (1996) war bereits die Verwendung von
Klebebändern bekannt, die Einem allerdings als Praxis der Knebelung in Abrede
stellte.
Wenn nun Innenminister Schlögl seine Unwissenheit in diesem Bereich beteuert, ist
dies
ein Eingeständnis der Vernachlässigung seiner Dienstaufsichtspflicht,
da es zu
seinen Aufgaben gehört, die Vollzugspraxis zu beobachten bzw. sich darüber Bericht
erstatten zu lassen, um menschenrechtswidrige Praktiken erst gar nicht zuzulassen
bzw. einer falschen Entwicklung sofort entgegenzuwirken.
Nichts davon hat der Innenminister wahrgenommen. Vielmehr ist seine Politik
Mitursache für ein Klima im Sicherheitsapparat, in dem Grundrechtsstandards,
sobald sie für Fremde oder auch Strafverdächtige zu gelten haben, an Stellenwert
verlieren. Beispiele dafür sind u.a. die seinerzeitige Vorlage eines Strategiepapiers
während der EU - Präsidentschaft, in dem ein Abgehen von der Genfer
Flüchtlingskonvention vorgeschlagen wurde und das Individualrecht auf
Schutzgewährung durch ein politisches Anbot des Aufnahmestaates ersetzt werden
sollte. Noch schärfer wurde das Signal auch an den eigenen Apparat, welche
Haltung Fremden gegenüber erwünscht ist, durch ein Papier von Sektionschef
Matzka zum Asylrecht. Mit diesem sollte die Zusammenarbeit mit dem
Flüchtlingshochkomissariat der UNO eingeschränkt, Asylwerber bereits während des
laufenden Verfahrens abgeschoben und die Betreuung von Schubhäftlingen
überhaupt gestrichen werden. Nach derartigen Signalen darf es nicht verwundem,
wenn die Sicherheitsorgane den Eindmck haben, daß die Wahl der Mittel bei der
Durchsetzung des Zieles einer scharf restriktiven Asyl - und Fremdenpolitik weniger
wichtig ist als das erreichte Ergebnis.
Dazu kommt das aggressive Mitmischen der Kronen - Zeitung in diesen Fragen, die
nicht nur einem falschen Korpsgeist Vorschub leistet, sondern den Begriff der
politischen Verantwortung als ,Treibjagd‘ oder ‚politische Lynchjustiz‘ diffamiert. Die
Vorgangsweise. die zum Tod eines Menschen geführt hat, wird als
‚Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung‘ dargestellt, welcher ‚Aufgabe die
begleitendenden Sicherheitswachebeamten gerecht geworden‘ seien. Kernpunkt der
Kronen - Zeitungs - Kampagne ist aber die Frage ihres Kolumnisten ,Staberl‘, ob denn
jenen, die sich um die Rechtsstaatlichkeit keinen Deut scheren, die Benefizien eines
von ihnen so deutlich abgelehnten Rechtsstaates wirklich voll und ganz zustehen“.
Mit dieser Frage wird ein Kernprinzip des Rechtsstaates zur Diskussion gestellt: was
darf ein Staat zur Durchsetzung des Rechts in Kauf nehmen, welche Instrumente
setzt er dafür ein, vor allem aber, darf es zugelassen werden, Rechtsstaatsgarantien
vom Wohlverhalten abhängig zu machen.
Die augenblickliche Diskussion ist eine Diskussion der Grenzüberschreitung. Ein
Innenminister, der trotz der aufgedeckten Praktiken im Amt bleibt und einzig für die
Zukunft Verbesserungen ankündigt, kommt damit der Forderung jener nach, die von
einem ‚bedauerlichen Einzelfall‘ sprechen und damit den eingetretenen Tod, nicht
aber die Praxis meinen. Wenn der Position zum Durchbruch verholfen werden soll,
daß bei verantwortungskonformer Dienstaufsicht derartige Praktiken nie hätten zur
Anwendung kommen dürfen, muß der Bundesminister für Inneres die Konsequenz
des
Rücktritts ziehen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Dem Bundesminister für Inneres wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B - VG das Vertrauen
versagt“.
Die Abgeordneten schlagen die Zuweisung an den Verfassungsausschuß vor.