592 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


betreffend ein Volksbegehren: Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Neutralität Österreichs (172 der Beilagen) und über den Antrag der Abgeordneten Hans Helmut Moser und Genossen betreffend Vollbeitritt Österreichs zur Westeuropäischen Union (WEU) [110/A(E)]


Das gegenständliche Volksbegehren wurde dem Nationalrat zugeleitet und am 14. Juni 1996 dem Außenpolitischen Ausschuß zur Vorberatung zugewiesen.

Der Antrag 110/A(E) wurde im Nationalrat am 28. Februar 1996 eingebracht und in der Folge ebenfalls dem Außenpolitischen Ausschuß zur weiteren Behandlung zugewiesen. Diesem Antrag war die folgende Begründung beigegeben:

“Im Vertrag über die Europäische Union (unterzeichnet in Maastricht am 7. Februar 1992) ist vorgesehen, eine eigene Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union zu entwickeln und eine größere Verantwortung in Sicherheits- und Verteidigungsfragen zu übernehmen (Titel V: Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik). Die Westeuropäische Union (WEU) wird als integraler Bestandteil des Prozesses der Entwicklung der Europäischen Union (EU) bezeichnet und soll schrittweise zur Verteidigungskomponente der Union aufgebaut werden (vgl. vor allem Art. J 4 EUV). Als solche soll sie Beschlüsse und Aktionen mit verteidigungspolitischen Implikationen planen und ausführen. Beschlüsse zum Einsatz von Einheiten werden im Einklang mit der UN-Charta vom WEU-Rat getroffen, über die konkrete Teilnahme entscheiden die Mitgliedsländer, gemäß der Petersberger-Erklärung von 1992, als souveräne Staaten gemäß ihrer Verfassung.

Auch wenn Österreich seit 1995 den Status eines Beobachters in der WEU einnimmt und somit gewisse Rechte und Verpflichtungen übernommen hat, kommen die Bestimmungen des Artikels V des Brüsseler Vertrages von 1948 in der geänderten Fassung von 1954 (WEU-Vertrag), in dem es heißt, daß sich die Vertragsparteien verpflichten, bei einem Angriff auf ein Mitgliedsland in Europa ,alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung zu leisten‘, nicht zur Anwendung. Gerade eine solche Beistandsgarantie würde die Sicherheit Österreichs wesentlich erhöhen.

Für eine aktive und gleichberechtigte Mitwirkung Österreichs bei der Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und Verteidigung im Rahmen der EU ist ein Vollbeitritt zur WEU unumgänglich. Dadurch können die sicherheits- und verteidigungspolitischen Interessen Österreichs bestmöglich gewahrt und ein weiterer Schritt in Richtung einer Vertiefung der europäsichen Integration erreicht werden. Durch die besonderen Beistandsverpflichtungen gegenüber den Mitgliedstaaten kann auch Österreich im Falle einer Bedrohung von außen mit dem solidarischen Beistand der anderen Mitgliedstaaten rechnen, muß aber auch selbst bereit sein, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Ein Vollbeitritt zur WEU verpflichtet Österreich jedoch nicht, die Stationierung fremder Streitkräfte auf österreichischem Territorium zuzulassen oder bei ,out-of-area‘ Einsätzen der WEU teilnehmen zu müssen.

Nicht zuletzt die Ergebnisse der Beratungen der Reflexionsgruppe zur Vorbereitung der Regierungs­konferenz 1996 sowie Aussagen prominenter Europäischer Sicherheitspolitiker in den vergangenen Monaten zeigen, daß die bislang zögerische Haltung Österreichs in der Frage eines Vollbeitritts zur WEU zunehmend auf Unverständnis innerhalb der EU stößt.”

Der Außenpolitische Ausschuß hat sowohl das Volksbegehren als auch den Antrag 110/A(E) erstmals in seiner Sitzung am 2. Juli 1996 in Verhandlung genommen und beschlossen, zur weiteren Vorberatung der in Rede stehenden Verhandlungsgegenstände einen Unterausschuß einzusetzen, dem von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs die Abgeordneten Mag. Brigitte Ederer, nach deren Ausscheiden aus dem Nationalrat die Abgeordnete Dr. Irmtraut Karlsson, weiters die Abgeordneten Dr. Willi Fuhrmann und Peter Schieder angehörten. Von der Österreichischen Volkspartei wurden die Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Dr. Alois Mock, Maria Rauch-Kallat und Dr. Walter Schwimmer, von den Freiheitlichen die Abgeordneten Dipl.-Kfm. Holger Bauer, Herbert Scheibner und Mag. Johann Ewald Stadler, vom Liberalen Forum der Abgeordnete Hans Helmut Moser sowie von den Grünen die Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander als Mitglieder dieses Unterausschusses nominiert. Zum Obmann des Unterausschusses wurde der Abgeordnete Peter Schieder und zu dessen Stellvertreter der Abgeordnete Dr. Andreas Khol gewählt.

Der erwähnte Unterausschuß beschäftigte sich in seiner Arbeitssitzung vom 19. Februar 1997 unter Beiziehung des Zustellungsbevollmächtigten Kommerzialrat Heinz B. Schmutzer mit dem gegen­ständlichen Volksbegehren und dem erwähnten Initiativantrag. Einstimmig wurde beschlossen, im Zuge dieser Arbeitssitzung ein im Sinne des § 37 Abs. 9 der Geschäftsordnung des Nationalrates öffentliches Expertenhearing abzuhalten.

Von den einzelnen Parlamentsfraktionen waren in diesem Zusammenhang die folgenden Experten nominiert worden: Univ.-Prof. Dr. Manfred Rotter von seiten der Sozialdemokratischen Partei, Univ.-Prof. Dr. Dietrich Schindler von seiten der Österreichischen Volkspartei, Mag Friedrich Korkisch von seiten der Freiheitlichen, Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider von seiten des Liberalen Forums sowie Dr. Wolfgang Hingst von seiten der Grünen.

Nach einleitenden Statements der genannten Sachverständigen hatten die Mitglieder des Unter­ausschusses und der Zustellungsbevollmächtigte die Möglichkeit, sich direkt mit ihren Fragen an die Experten zu wenden.

Nach Abschluß des Expertenhearings setzte der Unterausschuß seine Beratungen in nicht öffentlicher Sitzung fort. Der Unterausschuß konnte weder hinsichtlich des im gegenständlichen Volksbegehren enthaltenen Gesetzesvorschlages noch hinsichtlich des Antrages 110/A(E) Einvernehmen erzielen.

Über das Ergebnis seiner Arbeiten berichtete der Unterausschuß durch seinen Obmann Abgeordneten Peter Schieder dem Außenpolitischen Ausschuß in dessen Sitzung am 19. Februar 1997.

An der sich an diesen Bericht anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander, Herbert Scheibner, Hans Helmut Moser, Dr. Alfred Gusenbauer, Dr. Michael Spindelegger, Wolfgang Jung, Dipl.-Kfm. Holger Bauer und der Zustellungsbevollmächtigte des Volksbegehrens Kommerzialrat Heinz B. Schmutzer sowie der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Dr. Wolfgang Schüssel.

Die Abgeordneten Peter Schieder und Dr. Michael Spindelegger brachten einen Entschließungsantrag ein, dem die folgende Begründung beigegeben war:

“Das politische Anliegen der mehr als 350 000 Unterzeichner des “Neutralitäts-Volksbegehrens” ist sehr ernstzunehmen.

Es ist aber auch festzustellen, daß der von den Initiatoren des Volksbegehrens vorgelegte Gesetzestext (Ergänzung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität Österreichs, BGBl. Nr. 211/1955, um einen Artikel I/a) aus verfassungsrechtlichen und formallegistischen Gründen nicht tauglich ist.

Österreich ist der Europäischen Union als neutraler Staat beigetreten. Dieser Umstand hat Österreich in keiner Weise gehindert, voll und solidarisch an der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union teilzunehmen. Es ist davon auszugehen, daß Österreich die Erfahrungen, die es als neutraler Staat seit 1955 erworben hat, in eine neue europäische Friedensordnung einbringen wird.

Die sicherheitspolitische Landschaft in Europa ist in einem dynamischen Veränderungsprozeß begriffen. Die neuen, einem umfassenden sicherheitspolitischen Verständnis entsprechenden Herausforderungen können nur durch solidarische europäische und internationale Zusammenarbeit gelöst werden.

Im Lichte der weiteren Entwicklung der europäischen Sicherheitsstruktur und Teilnahme Österreichs sollen alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen geprüft werden.”

Auch die Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander legt einen Entschließungsantrag vor.

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Abgeordneten Peter Schieder und Dr. Michael Spindelegger mit Stimmenmehrheit angenommen.

Der im Volksbegehren enthaltene Vorschlag fand nicht die Zustimmung des Ausschusses. Ebensowenig konnte der Antrag 110/A(E) des Abgeordneten Hans Helmut Moser die Mehrheit des Ausschusses finden.


Der Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander wurde abgelehnt.

Zum Berichterstatter für das Haus wurde der Abgeordnete Dr. Walter Schwimmer gewählt.

Als Ergebnis siner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle

           1. die beigedruckte Entschließung annehmen,

           2. diesen Bericht hinsichtlich des Textes des Volksbegehrens zur Kenntnis nehmen,

           3. diesen Bericht auch hinsichtlich des Antrages 110/A(E) des Abgeordneten Hans Helmut Moser  zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1997 02 19

                          Dr. Walter Schwimmer                                                           Peter Schieder

                                   Berichterstatter                                                                          Obmann

Anlage

Entschließung

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich im Geiste der europäischen Solidarität und zum Zwecke der dauernden Gewährleistung des Friedens in Europa und der Sicherheit der Republik Österreich im Einklang mit den Zielsetzungen der Europäischen Union für die vollberechtigte Teilnahme Österreichs an funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen einzusetzen.

Die Bundesregierung wird weites aufgefordert, im Lichte des Verlaufs der EU-Regierungskonferenz und der Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft Österreichs in der WEU, einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen und dem Parlament hierüber noch vor der Übernahme des EU-Vorsitzes durch Österreich, spätestens jedoch im Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998, zu berichten.