716 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Volksbegehren

Frauen-Volksbegehren


Die UnterzeichnerInnen des Frauen-Volksbegehrens fordern den Beschluß folgender bundes­gesetzlicher Maßnahmen:


Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist im Bundes-Verfassungsgesetz zu verankern. Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) verpflichtet sich damit zum aktiven, umfassenden Abbau der Benachteiligungen von Frauen.

Die tatsächliche Gleichberechtigung ist insbesondere durch folgende gesetzliche Maßnahmen herzustellen:

           1. Unternehmen erhalten Förderungen und öffentliche Aufträge nur, wenn sie dafür sorgen, daß Frauen auf allen hierarchischen Ebenen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind.

           2. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist anzustreben. Deshalb ist ein Mindesteinkommen von 15 000 S brutto, das jährlich dem Lebenskostenindex angepaßt wird, zu sichern.

           3. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung sind arbeits- und sozialrechtlich der vollen Erwerbstätigkeit gleichzustellen.

           4. Keine Anrechnung des PartnerIneinkommens bei Notstandshilfe und Ausgleichszulage.

           5. Die Gleichstellung der Frauen muß auch durch staatliche Bildungsmaßnahmen gefördert werden. Die Bundesregierung hat geschlechtspezifische Statistiken zu den Themen Beruf und Bildung zu erstellen und jährlich zu veröffentlichen.

           6. Jeder Mensch hat das Recht, Beruf und Kinder zu vereinbaren. Daher hat der Gesetzgeber für die Bereitstellung ganztägiger qualifizierter Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersstufen zu sorgen. Tagesmütter sind auszubilden und arbeits- und sozialrechtlich abzusichern.

           7. Zwei Jahre Karenzgeld für alle AlleinerzieherInnen.

           8. Gesetzlich garantierter Anspruch auf Teilzeitarbeit für Eltern bis zum Schuleintritt ihres Kindes mit Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit.

           9. Ausdehnung der Behaltefrist am Arbeitsplatz nach der Karenzzeit auf 26 Wochen.

         10. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Grundpension, die nicht unter dem Existenzminimum liegen darf. Wenn ein/e Lebenspartner/in nicht erwerbstätig ist, hat der/die andere dafür Pen­sionsbeiträge zu zahlen. Kindererziehung und Pflegearbeit wirken pensionserhöhend.

         11. Keine weitere Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen, bevor nicht die tatsächliche Gleichberechtigung in allen Bereichen gegeben ist.

Erläuterungen zu den elf Punkten: siehe Beiblätter.

Beiblätter zum Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens:

Erläuterungen zum Frauen-Volksbegehren

Durch die ausdrückliche Aufnahme der Gleichstellung von Frauen und Männern in das Bundes-Verfassungsgesetz wird der Gleichheitsgrundsatz konkretisiert. Diese Staatszielbestimmung verpflichtet Gesetzgebung und Vollziehung zur Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung. Daraus ergibt sich auch, daß Frauen einen subjektiven Rechtsanspruch auf volle Gleichbehandlung und entsprechende unterstützende Maßnahmen durch den Staat haben.

Soweit die angeführten Maßnahmen keine durch Bundesgesetz zu regelnden Maßnahmen betreffen, ist durch Bundesverfassungsgesetz eine diesbezügliche Kompetenz des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung zu schaffen. Jedenfalls aber ist die Verpflichtung der Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden festzulegen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf deren Verwirklichung hinzuwirken

Die gesetzlichen Maßnahmen, durch die diese tatsächliche Gleichberechtigung erreicht werden soll, sind im Text des Volksbegehrens bloß beispielhaft aufgezählt. Sie sind – entsprechend dem einzufüh­renden Verfassungsprinzip der Gleichstellung von Frauen und Männern – je nach Notwendigkeit zu ergänzen.

Zu 1.:

Es hat sich herausgestellt, daß das Gleichbehandlungsgesetz nicht ausreicht, um Frauen tatsächlich gleiche Aufstiegsmöglichkeiten im Erwerbsleben zu sichern. Leitungsfunktionen sind weiterhin fast ausschließlich Männern vorbehalten. Noch immer gibt es die „gläserne Decke“, durch die Frauen trotz bester Qualifikation kaum dringen können, noch immer werden Männer Frauen trotz gleicher Qualifikation vorgezogen. Um das zu ändern, sollen Förderungen und öffentliche Aufträge nur mehr an solche private oder öffentliche Unternehmen vergeben werden, die nachweislich dafür sorgen, daß Frauen in allen hierarchischen Ebenen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind. Dafür sind entsprechende Pläne und Etappenziele vorzulegen, deren Eignung vor Erteilung des Auftrages oder der Förderung geprüft wird. Förderungen und öffentliche Aufträge sind demnach zu vergeben, wenn entweder bereits Geschlechterparität herrscht oder wenn zumindest geprüfte Pläne und Etappenziele vorliegen, die diese Parität anstreben.

Zu 2.:

1996 betrug der Unterschied zwischen den Frauen- und den Männerlöhnen in Österreich noch immer ein Drittel. Studien zeigen, daß gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit noch immer eine Illusion ist. Insbesondere werden Tätigkeiten, die als „typische“ Frauenberufe gelten, niedriger bewertet, als typische Männerberufe. Das führt dazu, daß es traditionell in den Branchen mit überwiegend weiblichen Beschäftigten sehr niedrige Kollektivverträge gibt. Ein Mindesteinkommen von 15 000 S brutto würde dazu beitragen, die Kluft zwischen Frauen- und Männerlöhnen zu verringern. Um häufige gesetzliche Anpassungen zu vermeiden, soll dieser Mindestlohn entsprechend dem Lebenskostenindex jährlich angepaßt werden. Herbeizuführen ist dieses Mindesteinkommen beispielsweise durch staatliche Ausgleichszahlungen an alle, die weniger als 15 000 S brutto verdienen.

Zu 3.:

Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen werden vor allem von Frauen ausgeübt. Derzeit gibt es bis zur Regelarbeitszeit keine Überstundenzuschläge; das ist entsprechend der sozial- und arbeitsrechtlichen Gleichstellung mit voller Erwerbstätigkeit zu ändern. Wer über die vertraglich vereinbarten Stunden Mehrstunden leistet, ist zuzüglich aller Zuschläge zu entlohnen.

Geringfügig Beschäftigte sind bloß unfallversichert. Auch bei mehreren derartigen Arbeitsver­hältnissen nebeneinander erwerben Frauen und Männer also keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, auf Pension, auf Karenzgeld und Krankenversicherung. Die sozial- und arbeitsrechtliche Gleichstellung bewirkt die volle Einbeziehung dieser ArbeitnehmerInnen in das Sozialversicherungssystem.

Zu 4.:

Das Individualbesteuerungssystem ist eine der Säulen eines selbstbestimmten Lebens von Frauen. Keine Steuerleistung darf nach dem Familieneinkommen berechnet werden. Sie hat ausschließlich an der Leistung der Person anzuknüpfen. Zur Zeit ist dieses Prinzip an zwei Stellen wesentlich durchbrochen: Ab einer gewissen Einkommenshöhe des Partners wird keine Notstandshilfe bezahlt. Die Ausgleichs­zulage zur Pension wird ebenfalls nach dem gemeinsamen Einkommen der Partner berechnet. Beides ist zu ändern, so daß auch Notstandshilfe und Ausgleichszulage ausschließlich an das Einkommen der entsprechenden Person gebunden sind. Ein steuerfreies Existenzminimum für Hausfrauen und Kinder oder ein Familiensplitting im Steuerrecht widersprechen hingegen dem Prinzip der Individual­besteuerung.

Zu 5.:

Niemand soll sich auf mangelnde Qualifikation von Frauen ausreden können. Entsprechende Qualifikationsmöglichkeiten sind vom Gesetzgeber und von der Verwaltung zu schaffen und zu fördern. Das betrifft Programme zur Berufsausbildung junger Frauen ebenso, wie die ständige Weiterbildung und Schulungsoffensiven für arbeitslose Frauen oder Wiedereinsteigerinnen. Um einen entsprechenden Nachweis zu haben, müssen entsprechende Daten erhoben werden. Diese Statistiken haben sich sowohl auf den Bereich Beruf (zB Bezahlung, Karrieren, Berufszufriedenheit, Berufswünsche, Vereinbarkeit von Beruf und Kindern) als auch auf den Bereich Bildung (Höhe der staatlichen Mittel für Frauenaus- und -weiterbildung, Schulungsoffensiven, Bildungswünsche, Bildungstrends usw.) zu beziehen und sind einmal im Jahr zu veröffentlichen. Da es um die Entwicklung hin zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern geht, sind auch die entsprechenden Vergleichszahlen der Vorjahre und entsprechende Vergleichszahlen der Männer zu veröffentlichen.

Zu 6.:

Kinder können im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes nicht ausschließlich Sache der Mutter sein. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, daß Kinder und Beruf für Mütter und Väter vereinbar sein müssen. Deshalb besteht das Recht auf eine ausreichende Anzahl von qualifizierten Kinderbetreuungsplätzen. Insbesondere ist darauf zu achten, daß es diese notwendigen Plätze für Kinder jeden Alters auch ganztags gibt. Tagesmütter und -väter sind als gutes Zusatzangebot zu staatlichen Einrichtungen zu verstehen, sie müssen aber entsprechend ausgebildet sein und selbstverständlich wie alle anderen Erwerbstätigen auch voll arbeits- und sozialrechtlich abgesichert werden. Kinderbetreuung durch Tagesmütter und -väter ist als Beruf zu verstehen und keineswegs als ,,natürliche“ Berufung.

Zu 7.:

Lebenspartner haben gemeinsam Anspruch auf zwei Jahre Karenzzeit pro Kind, AlleinerzieherInnen aber bloß eineinhalb Jahre. Diese Diskriminierung der AlleinerzieherInnen ist zu beseitigen. Das Karenzgeld knüpft an vorhergegangene Erwerbsarbeit an. Es wird zu überlegen sein, auf welche Weise für AlleinerzieherInnen, die (als SchülerInnen oder StudentInnen) keine Anspruchs­voraussetzung erworben haben, ein Äquivalent für das Karenzgeld geschaffen wird.

Zu 8.:

Um Kinder und Beruf besser vereinbaren zu können, ist ein gesetzlich garantiertes Recht auf Teilzeitarbeit für Väter und Mütter bis zum Schuleintritt ihres Kindes einzuführen. Danach haben sie den Anspruch, wieder auf einen entsprechenden Vollzeitarbeitsplatz zurückzukehren.  Es ist darauf zu achten, daß die Anmeldefristen für Teilzeit und Rückkehr in die Vollzeitarbeit im Interesse der Eltern gestaltet werden.

Zu 9.:

Derzeit werden viele Frauen während ihrer vierwöchigen Behaltefrist nach der Karenzzeit gekündigt. Dadurch sind sie nicht in der Lage, wieder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben und müssen so aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Die Ausdehnung der Behaltefrist auf 26 Wochen würde den Anspruch auf Arbeitslosengeld neu entstehen lassen und verhindern, daß Unternehmer auf Kosten der Frauen mit kleinen Kindern Arbeitskräfte abbauen. Außerdem ist wohl erst nach dieser Zeit objektiv festzustellen, ob eine Frau/ein Mann den Anforderungen ihrer/seiner früheren Arbeitsstelle noch gewachsen ist.

Zu 10.:

Rund ein Fünftel der Frauen im Pensionsalter hat derzeit keine eigene Pension. Wichtiger Teil der Selbstbestimmung von Frauen ist es, auch im Alter über eigenes Einkommen zu verfügen. Deshalb ist für Frauen und Männer eine Grundpension zu sichern, die nicht unter dem Existenzminimum liegen darf. Das Existenzminimum berechnet sich nach jener Pensionshöhe, ab der keine Ausgleichszulage mehr bezahlt wird. Um diese Grundpension zu finanzieren, soll der erwerbstätige Lebenspartner für den nichterwerbstätigen Lebenspartner Pensionsbeiträge einzahlen. Für alleinlebende Menschen ohne ausreichende Versicherungszeiten muß der Staat einspringen. Gleiches gilt in finanziellen Notsituationen von Familien bis zum Schuleintritt des jüngsten Kindes. Zeiten der Kindererziehung und der Pflegearbeit wirken überdies pensionserhöhend. Dadurch soll erreicht werden, daß Menschen, die wegen Betreuungsaufgaben keiner Erwerbsarbeit nachgegangen sind, mehr Pension bekommen, als Menschen, die ohne solche Betreuungsaufgaben keine Erwerbsarbeit ausüben. Erwerbstätig im obigen Sinn sind auch alle, die arbeitslos gemeldet sind und sich daher um Erwerbsarbeit bemühen.

Zu 11.:

Das Penionsantrittsalter der Frauen wird bis zum Jahr 2028 schrittweise an das Pensionsalter der Männer herangeführt. Vorgezogene Anhebungen des Pensionsantrittsalters von Frauen wären nur für den Fall gesetzeskonform, daß bereits nachweislich in allen Bereichen die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern gegeben ist.

Als Bevollmächtigte im Sinne des § 3 Abs. 4 lit. b des Volksbegehrengesetzes 1973 wurde namhaft gemacht:

Dr. Gabriele Christa Pölzlbauer, Psychologin, Obfrau des Vereins Unabhängiges Frauenforum, 1090 Wien, Servitengasse 19/5,

Im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 97 vom 26. April 1997 ist folgende Kundmachung über das Ergebnis der Eintragungen erschienen:


Bundeswahlbehörde

Zl. 48 637/25-IV/6/97

Frauen-Volksbegehren

Gemäß § 16 Abs. 1 des Volksbegehrengesetzes 1973, BGBl. Nr. 344, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 505/1994 hat die Bundeswahlbehörde in ihrer Sitzung vom 25. April 1997 auf Grund der Berichte der Bezirkswahlbehörden folgendes Ergebnis der Eintragungen für das Frauen-Volksbegehren ermittelt:

 

Bundesland

Stimm-
berechtigte

Anzahl der
gültigen
Eintragungen

Stimm-
beteiligung
in %

 

 

Burgenland

213 679

24 499

11,47

 

 

Kärnten

418 049

39 604

9,47

 

 

Niederösterreich

1 127 624

125 090

11,09

 

 

Oberösterreich

977 705

102 680

10,50

 

 

Salzburg

348 249

43 170

12,40

 

 

Steiermark

903 202

99 696

11,04

 

 

Tirol

457 989

32 076

7,00

 

 

Vorarlberg

223 559

14 735

6,59

 

 

Wien

1 102 883

163 115

14,79

 

 

Österreich

5 772 939

644 665

11,17

 

Da somit mehr als 100 000 gültige Eintragungen von Stimmberechtigten ermittelt worden sind, hat die Bundeswahlbehörde festgestellt, daß ein Volksbegehren im Sinn des Art. 41 Abs. 2 B-VG vorliegt.

Wien, am 25. April 1997.

Der Stellvertreter des Bundeswahlleiters:

Szymanski