1109 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales


über den Antrag der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird (721/A)

Die Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen haben diesen Initiativantrag am 25. März 1998 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

“Durch die Änderung soll der Inkrafttretenszeitpunkt für die Neuregelung der §§ 33 Abs. 2 und 34 AlVG 1977, die durch BGBl. I Nr. 78/1997 mit 1. Jänner 2000 in Kraft treten sollen, bereits mit 1. April 1998 in Kraft treten. Dadurch soll das Problem, das auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1998, mit dem die derzeit geltende Fassung der entsprechenden Paragraphen ohne Übergangsfristen aufgehoben worden ist, behoben werden.”

Der Ausschuß für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Antrag (721/A) in seiner Sitzung am 26. März 1998 in Anwesenheit von Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Eleonora Hostasch in Verhandlung genommen. Die Berichterstatterin im Ausschuß Dr. Elisabeth Pittermann verwies unter anderem darauf, daß zur Vorbereitung der Ausschußsitzung ein Arbeitsgespräch der Mitglieder des Ausschusses bereits stattgefunden hat.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Nationalrat die Annahme des im Initiativantrag enthaltenen Gesetzentwurfes zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Ausschuß für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 1998 03 26

                         Dr. Elisabeth Pittermann                                                    Annemarie Reitsamer

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau

Anlage 1

Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 30/1998, wird wie folgt geändert:

Im § 79 Abs. 40 wird der Ausdruck “1. Jänner 2000” durch den Ausdruck “1. April 1998” und der Ausdruck “31. Dezember 1999” jeweils durch den Ausdruck “31. März 1998” ersetzt.

Anlage 2

Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG des Abgeordneten Karl Öllinger


zum Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird (721/A)

Den Kern der Entscheidung des VfGH bilde die Prüfung der Frage, ob es sich bei der Notstandshilfe um eine Fürsorgeleistung oder um eine (Sozial)Versicherungsleistung handelt. Hier trifft der VfGH eine klare Erkenntnis:

“Ausschlaggebend dafür ist der auch vom EGMR in der zitierten Entscheidung hervorgehobene Umstand, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Sozialversicherungsleistung handelt, der eine (vorher zu erbringende) Gegenleistung des Anspruchsberechtigten gegenübersteht.”

Damit ist nach dem Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 16. September 1996 nunmehr auch durch den Verfassungsgerichtshof klargestellt worden, daß die Personen, die arbeitslosenversichert sind, auch einen Anspruch auf alle Leistungen aus dieser Versicherung haben und der Gesetzgeber nur die Möglichkeit hat, “innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken allgemeine Voraussetzungen für den Erwerb und Umfang des Leistungsanspruchs wie für dessen Änderung (zB Wartefristen, einen nach der Dauer der Zugehörigkeit abgestuften Leistungsumfang, Aufenthalt im Inland uä.) vorzusehen.”

Nach Ansicht der Grünen, die auch durch diesen Bescheid des VfGH präzisiert worden ist, ist es daher auch nicht möglich, Zugangsbestimmungen zu den Leistungen festzulegen, die der Versicherungsart und dem spezifischen Versicherungsrisiko fremd sind, wie dies in dem Initiativantrag der Abgeordneten Reitsamer und Feurstein, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden soll, der Fall ist. Gerade nach dem Urteil des VfGH ist auszuschließen, daß Zugangsbestimmungen zur Notstandshilfe, wie etwa die hälftige Absolvierung der Schulpflicht im Bundesgebiet (§ 34 Abs. 1 Z 2) oder die halbe Lebenszeit als Hauptwohnsitz in Österreich (§ 34 Abs. 1 Z 4), versicherungskonform sind. Diese Bestimmungen bilden versteckte Diskriminierungen, die in erster Linie ausländische Arbeitslose, die Arbeitslosenversicherung bezahlt haben, vom Bezug der Notstandshilfe ausschließen sollen.

Auch die optionale Zugangsbestimmung der Geburt in Österreich (§ 34 Abs. 1 Z 3) stellt nach Ansicht der Grünen den Tatbestand der mittelbaren oder versteckten Diskriminierung dar, da es evident ist, daß dieses Merkmal de facto nur von österreichischen StaatsbürgerInnen erfüllt werden kann.

Die Regierungsparteien nehmen mit diesen für die Arbeitslosenversicherung wesensfremden Zugangs­bestimmungen sogar in Kauf, daß dadurch österreichische bzw. EU-BürgerInnen vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden.

Die genannten Kriterien sind willkürlich: die Voraussetzung von Schulbesuch in Österreich hätte zB ebenso willkürlich durch das Kriterium eines erfolgreichen Schulbesuches ersetzt werden können oder durch andere Kriterien, die in keinem mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit der Versicherung stehen.

An der Haltung der Bundesregierung und der Regierungsparteien, die diesen Initiativantrag zu verantworten haben, ist besonders befremdlich, daß sie sich nicht einmal die Zeit genommen haben, um das Urteil der VfGH genau aufzuarbeiten, sondern zeitgleich zum Urteil mit dem Initiativantrag Reitsamer/Feurstein in Vorlage getreten sind.

Dies ist deshalb von Bedeutung, weil das Urteil des VfGH durch die Feststellung, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Versicherungsleistung handelt, eine wesentliche Änderung seiner früher eingenommenen Position bedeutet.


Die Bundesregierung hat übrigens im Verfahren beim VfGH das Urteil des EGMR, wonach es sich bei der Notstandshilfe um eine Versicherungsleistung handelt, ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen. So heißt es in ihrer Stellungnahme: “Dagegen vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Notstandshilfe weniger der Charakter einer Versicherungsleistung, sondern vielmehr der einer Fürsorgeleistung – und damit eines öffentlich-rechtlichen Anspruches – zukommt.”

Bundesregierung und Regierungsparteien sind also bis zum Urteil des VfGH (und mit dem gegenständlichen Initiativantrag sogar darüber hinaus) der Auffassung, daß die Notstandshilfe eine Fürsorgeleistung sei und haben diese Haltung auch in der Novellierung des Arbeitslosenver­sicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 78/1997, festgeschrieben. Damit ist klar, daß mit der gegenständlichen Novellierung, die im übrigen nur ein Vorziehen des Inkrafttretenstermins vorsieht, diese Position fortgeschrieben und das Erkenntnis des VfGH in seinem eigentlichen Kern völlig negiert wird.

Die Grünen erinnern in diesem Zusammenhang auch daran, daß schon im Begutachtungsverfahren zur Novelle 1997 der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes Bedenken bezüglich der verfassungs­rechtlichen Wirkung der neuen Zugangsbestimmungen geäußert hatte.

Karl Öllinger