1312 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Landesverteidigungsausschusses


über den Entschließungsantrag 593/A(E) der Abgeordneten Herbert Scheibner und Genossen betreffend die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft des österreichischen Bundesheeres in seiner milizartigen Struktur


Die Abgeordneten Herbert Scheibner und Genossen haben diesen Entschließungsantrag am 2. Oktober 1997 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

“Der Landesverteidigungsrat hat 1992 der Bundesregierung auf Vorschlag des Bundesministers für Landesverteidigung die Einnahme einer neuen Heeresgliederung im Frieden und im Einsatz empfohlen, mit der auf die Lage nach Ende des Kalten Krieges reagiert werden sollte. Diese HG-NEU war auch Ansatz für das neue Einsatzkonzept des Bundesheeres, das die sogenannte Raumverteidigung, die auf dem LVP 1975 fußte, ersetzt hat. Mit diesen beiden Weichenstellungen sollte der rasche, flexible und grenznahe Einsatz des Bundesheeres möglich werden.

Bei der Beschlußfassung der HG-NEU wurde, wie auch aus dem Situationsbericht 1996 zu entnehmen ist, davon ausgegangen, daß zur Erfüllung dieser Vorgaben ein Budgetrahmen von rund ein Prozent BIP für das Landesverteidigungsbudget und etwa 34 000 Grundwehrdienern pro Jahr eingehalten werden muß. Beides wurde nicht erreicht, weshalb die HG-NEU als gescheitert betrachtet werden kann. So fehlt es heute vor allem an modernem Gerät zur Erfüllung der Aufgaben für alle Waffengattungen in den jeweiligen Kampfverfahren, und selbst das sogenannte ,MechPaket‘ ist nur ein scheinbarer Erfolg. So sind für Teile des vorgesehenen Gerätes (Rad- und Schützenpanzer) noch nicht einmal Kaufverträge abgeschlossen, und insgesamt bedeutet die Umsetzung dieses Paketes eine Reduzierung der gepanzerten Verbände um ein Drittel.

Hinzu kommen vermehrt neue Aufgaben für das Bundesheer, wie verstärkter Einsatz an den Grenzen zur Verhinderung der illegalen Einreise und zusätzliche Einsätze im Ausland, die das österreichische Bundesheer vor hohe materielle und personelle Anforderungen stellen. Diese haben mittlerweile ein Ausmaß erreicht, das den Einsatz des Bundesheeres bei seinen ursprünglichen Aufgaben massiv gefährdet, insbesondere durch die Inanspruchnahme und den starken Verschleiß von Gerät der Mob- und Bereitschaftsverbände.

Deshalb ist eine Reihe von Investitionen am Rüstungssektor dringend notwendig, so etwa folgende auszugsweise Darstellung:

Panzerabwehr:

–   Aufstockung der Kampfpanzeranzahl (LEOPARD) um mindestens das Doppelte;

–   Ersatz der JaPz Kürassier in den AufklBaon durch Radpanzer bzw. Kampfwertsteigerung (Nacht­kampffähigkeit) beim Einsatz im Rahmen der Infanterieverbände;

–   Beschaffung von weiteren PAL 2000 sowie Nachtkampffähigkeit der PAL 4000

–   Ersatz der IPAR 70 und der PAR 66 bzw. deren Kampfwertsteigerung.

Fliegerabwehr und Lufraumschutz:

–   Beschaffung mittlerer Fliegerabwehrlenkwaffen;

–   Nachfolge für Luftraumüberwachungsflugzeuge DRAKEN.

Splitterschutz und Beweglichkeit:

–   Mannesausrüstung für jeden Mann der EinsatzOrg (Splitterschutzhelm und Weste);

–   500 Radpanzer als erste Tranche für die Aufklärungsverbände und vier Jägerbataillone;

–   Ersatz der 30 Jahre alten Schützenpanzer SAURER für die Gruppenfahrzeuge der Panzergrenadier­bataillone durch über 200 neue Schützenpanzer sowie eine Stärkung der Panzergrenadierbrigaden durch mindestens ein weiteres Bataillon;

–   Ersatz für das “ALU-Brückengerät” und Einführung von Brückenleg- und Minenräumpanzern sowie Bergepanzern (für die “LEOPARD-Baon”).

Lufttransportkapazität und Kampfhubschrauber:

–   Ersatz der veralteten SKYVAN und der Transporthuschrauber AUGUSTA BELL 204;

–   Entscheidung über einen bewaffneten Hubschrauber mit Panzer- und Luftabwehrfähigkeit sowie den Ersatz der auslaufenden Alouette III und eine Steigerung der Transportfähigkeit.

Elektronische Verbindungs-, Aufklärungs- und Beobachtungsmittel:

–   Ausstattung mit neuen Funkgeräten bis auf die Zugsebene;

–   Beschaffung von zusätzlichen Aufklärungs- und Beobachtungsgeräten, die auch im Grenzeinsatz verwendbar sind, etwa Gefechtsfeldradars, Artillerie- und Luftaufklärungssysteme.

Hinzu kommen zahlreiche Verbesserungen im Bereich der Kasernenrenovierungen und für Ersatzneu­bauten, die auf Grund der Dislozierungen der HG-NEU notwendig geworden sind. Dies alleine würde einen Aufwand von über 10 Milliarden Schilling bedeuten.

Der gesamte Finanzbedarf für das Investitionsprogramm des Bundesheeres liegt daher nach Schätzungen von Dienststellen des Bundesministeriums für Landesverteidigung bei 100 bis 140 Milliarden Schilling – verteilt auf die nächsten zehn Jahre. Langfristig muß das Landesverteidigungsbudget auf internationalen Standard gebracht werden, wenn Österreich seinen Verpflichtungen im Rahmen der internationalen und europäischen Sicherheitskooperationen nachkommen bzw. zu keinem sicherheitspolitischen Trittbrett­fahrer werden will. Letztendlich ist der Schutz der Bevölkerung, der Grenzen und der verfassungsmäßigen Organe auch ein primär durch Österreich selbst zu leistendes Gebot, das derzeit nur völlig unzureichend erfüllt werden kann.

Ergänzend zu dieser Problematik hat es das österreichische Bundesheer nicht geschafft, einschneidende Einsparungen durch Zusammenlegung von Verwaltungsebenen, die nach dem Wegfall operativer Aufgaben möglich wären, durchzuführen bzw. durch die Aufgabe von unrentablen Standorten Personal und Kosten zu den Einsatzverbänden umzuschichten und mit den freiwerdenden Mitteln neues Gerät zu beschaffen. Vielfach stecken dahinter regionale Interessen lokaler Koalitionspolitiker, die Budgetober­hoheit durch das Bundesministerium für Finanzen (Geräteankauf und Kasernenverkauf), verbunden mit der einjährigen Budgeterstellung, und die Unfähigkeit, ein dem Militärdienst entsprechendes Dienstrecht zu schaffen. Im Gegenteil sind durch das neue Besoldungsrecht die Kosten für den Personalaufwand 1996 um 900 und 1997 um weitere 300 Millionen Schilling höher zu veranschlagen gewesen. Eine neuerliche Steigerung bei sinkenden Bedienstetenzahlen für 1998 wird weitere 230 Millionen Schilling ausmachen.

Dies bedeutet mittlerweile einen Anteil von über 60 Prozent Personalkosten im österreichischen Bundesheer gegenüber 31 Prozent in Schwedens Armee (KURIER 16. November 1996). Dies trägt dazu bei, daß bei der Ausbildung und der Nachbeschaffung von Gerät gespart werden muß bzw. unverantwort­bar große Lücken entstehen.

Auch die neuartigen Einsätze im Ausland und der verstärkte Grenzeinsatz haben gezeigt, daß mit den bestehenden Rahmenbedingungen und Ressourcen nahezu nur unter Heranziehung der letzten Reserven das Auslangen gefunden werden kann. Viele Friktionen (Materialmangel bzw. -verschleiß und Personal­knappheit) sind bereits jetzt evident und werden bei einer weiteren Belastung zum völligen Kollaps führen. Das Konzept VOREIN auf der einen Seite und die HG-NEU können als gescheitert betrachtet werden, da es sowohl zu den versprochenen Nachbeschaffungen auf absehbare Zeit nicht kommen wird und die angepeilten präsenten Verbände (Aktive wie Miliz) nicht aufbietbar sind.

Hierfür sind vor allem das Verabsäumnis der Bildung von geschlossenen ,Freiwilligenverbänden‘ verant­wortlich sowie die fehlenden Entscheidungen im Bereich der internationalen Sicherheitspolitik. Durch das zögerliche Verhalten in der Frage eines NATO- und WEU-Beitritts durch die Bundesregierung können entscheidende Planungen, die von einem solchen Schritt abhängig sind, nicht durchgeführt werden.

Auch das Ausbildungsniveau droht zu sinken. Durch den neuen Erlaß über die Einschränkungen von fWÜ-Teilnahmen, mit dem eigentlich nur Mißstände beseitigt werden sollten, wurde weit über das gewünschte Ziel hinausgeschossen. Selbst reguläre Aus- und Weiterbildung für fachspezifische Kurse (zB Fallschirmsprungkurse von Luftlandeeinheiten) werden von den Milizsoldaten nur mehr unbezahlt in ihrem Urlaub möglich sein. Die ziffernmäßige Reduktion bedeutet gemäß dem Bundesvoranschlag für 1998 nur 25 Millionen Schilling. In Zeit ausgedrückt sind dies, bei den geringen Kosten, die ein Milizsoldat erzeugt, weit über 50 000 Ausbildungstage, die 1998 nicht geleistet werden. Damit wird die Einsatzbereitschaft des Bundesheeres gröblich in Gefahr gebracht, da nicht nur die für die MobFunktion wichtige Aus- und Weiterbildung darunter leidet, sondern es auch die Milizsoldaten sind, die durch ihre fWÜ-Tage zum hohen Ausbildungsstand des österreichischen Bundesheeres bei Auslandseinsätzen und in der GWD-Ausbildung beitragen. Neben diesem Effekt wird vor allem aber die Motivation der engagierten Milizsoldaten, die über viele Jahrzehnte lang einen Großteil ihrer Freizeit der militärischen Verteidigung Österreichs gewidmet haben, auf ein Minimum reduziert werden.


Es entsteht der Verdacht, daß hier nur deshalb gespart werden soll, weil der laufende Betrieb 1998 nicht mehr finanziert werden kann. Unter anderem auch wegen der Inanspruchnahme des Bundesheeres für Transport- und Verbindungsaufgaben im Rahmen des österreichischen EU-Vorsitzes. Dies ist zwar durch das Wehrgesetz (§ 2 Zweck des Bundesheeres) nicht gedeckt, dennoch soll aber die Infrastruktur und das Gerät des österreichischen Bundesheeres so in Anspruch genommen werden, daß den mobverantwort­lichen Verbänden mit Erlaß in Aussicht gestellt wurde, daß für die meisten von ihnen die planmäßigen Beordertenwaffenübungen für 1998 vermutlich nicht stattfinden werden können.

Die zu diesen Themen gestellten Anfragen der freiheitlichen Nationalratsfraktion (2096/J und 2894/J) wurden, wie sich erst jetzt wieder durch den Bundesvoranschlag bestätigte, vom Bundesminister für Landesverteidigung, Werner Fasslabend, trotz besseren Wissens ebenso falsch beantwortet wie jene über die persönliche Ausrüstung der österreichischen Soldaten (2896/J). So verfügt bis heute, fast fünfzehn Jahre nach Einleitung des Beschaffungsvorganges unter Bundesminister Frischenschlager, noch immer nicht jeder Soldat der Einsatzorganisation über einen Splitterschutzhelm und eine ebensolche Weste. Auch die von Bundesminister Fasslabend angegebene Zeitleiste dafür wird nicht einzuhalten sein. Gleiches gilt für die sogenannte ,Allwetterkleidung‘, die zwar in Form von Gore-Tex-Jacken an die Grundwehrdiener von Stabskompanien ausgegeben wird, nicht aber die Einsatzverbände der Hochgebirgsbaon oder die Jagdkommandokompanien, die dieser wohl mehr bedürften. Grund dafür sind ebenfalls die fehlenden Budgetmittel, die dazu führen, daß bei einem MobRahmen von 120 000 Mann (plus 20 000 Mann Personalreserve) nur 60 000 Stück der oben beschriebenen Ausrüstungsgegenstände beschafft werden sollen. Dies bedeutet ebenso wie die Reduktion der Miliztruppenübungen den schleichenden Übergang auf eine Zwei-Klassen-Armee und in späterer Folge die de facto Abschaffung der Miliz ohne entsprechende Entscheidung der dafür zuständigen Gremien.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn der GTI Gen. Majcen in den Medien bestätigt hat, daß es konkrete Planungen gibt, im Bereich des österreichischen Bundesheeres ,Verdichtungen‘ bei Kommanden, Ämtern und Truppenkörpern der Friedensgliederung, aber vermutlich auch bei der Einsatzgliederung vorzu­nehmen, die über die Empfehlungen des Landesverteidigungsrates von 1992 zur sogenannten HG-NEU hinausgehen und weitreichende Konsequenzen für das Verteidigungskonzept, die Organisation und nicht zuletzt auch die Bediensteten des österreichischen Bundesheeres haben werden. Diese HG-NEU wird scheitern, sollte sie nicht entscheidende Verbesserungen bringen und von allen relevanten politischen Kräften getragen werden, auf völlige Inakzeptanz bei den betroffenen Heeresangehörigen treffen, die heute noch an den letzten Umgliederungsmaßnahmen zu tragen haben. Dies wird zu einer Unzufriedenheit führen, die in der Öffentlichkeit den Eindruck des Reformunwillens des Bundesheeres entstehen lassen wird und damit dazu beiträgt, das Vertrauen der Bevölkerung in die Landesverteidigung endgültig zu untergraben. Nicht zuletzt ist sie schon daher zum Scheitern verurteilt, wenn sie Fragen eines spezifischen Militärdienstrechtes, einer modernen Budgetgestaltung, der ausreichenden und modernen Ausrüstung, eines gewissen Freiwilligkeitsprinzips und der Abstützung auf die Erfordernisse eines Bündnisses ausklammert.”

Der Landesverteidigungsausschuß hat den gegenständlichen Entschließungsantrag 593/A(E) in seinen Sitzungen am 10. und 29. Juni 1998 in Verhandlung genommen.

Berichterstatter im Ausschuß war Abgeordneter Wolfgang Jung.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Hans Helmut Moser, Wolfgang Jung, Anton Gaál, Walter Murauer, Andreas Wabl, Dr. Alois Mock, Dr. Irmtraut Karlsson sowie der Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend und der Ausschußvorsitzende Abgeordneter Herbert Scheibner.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

Zum Berichterstatter für das Haus wurde Abgeordneter Mag. Dr. Josef Trinkl gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Landesverteidigungsausschuß somit den Antrag, der National­rat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 1998 06 29

                           Mag. Dr. Josef Trinkl                                                         Herbert Scheibner

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann