1380 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Hauptausschusses


betreffend Vorbereitung des Antrages auf Mandatsverlust des Abgeordneten Peter Rosenstingl gemäß Art. 141 Abs. 1 B-VG

Gemäß Art. 141 Abs. 1 lit. c B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. Die Vorbereitung eines diesbezüglichen Antrages des Nationalrates hat nach § 2 Abs. 2 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 durch den Haupt­ausschuß zu erfolgen.

Der Hauptausschuß hat in seiner Sitzung am 17. Juli 1998 über einen Antrag auf Mandatsverlust des Abgeordneten zum Nationalrat Peter Rosenstingl beraten.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Dr. Andreas Khol, Mag. Johann Ewald Stadler, Peter Schieder, Andreas Wabl und Mag. Dr. Heide Schmidt sowie der Ausschuß­obmann Dr. Heinz Fischer.

Auf Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Dr. Andreas Khol und Mag. Johann Ewald Stadler wurde einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Beschlußfassung des beigedruckten Antrages zu empfehlen.

Der Hauptausschuß stellt somit den Antrag, der Nationalrat wolle den beigedruckten Antrag beschließen.

Wien, 1998 07 17

                                  Peter Schieder                                                                Dr. Heinz Fischer

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann

Anlage

Der Nationalrat wolle beschließen:


Antrag auf Erklärung des Mandatsverlustes gegen den Abgeordneten
Peter Rosenstingl
gemäß Art. 141 Abs. 1 lit. c B-VG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 GOG-NR

1.      Sachverhalt

Wie der Präsident des Nationalrates vor Ende der 118. Sitzung des Nationalrates am 12. Mai 1998 feststellte, blieb der Abgeordnete Peter Rosenstingl dieser Sitzung unentschuldigt fern. Auch den weiteren Sitzungen des Nationalrates am 13., 14., 15., 26., 27. und 28. Mai blieb der Abgeordnete Peter Rosenstingl unentschuldigt fern, was der Präsident jeweils vor Ende der Sitzung feststellte (Beilagen 1 bis 9).

Von Rechtsanwalt Dr. Georg Zanger langte am 15. Juni 1998 – also nach Ablauf der 30-Tage-Frist gemäß § 11 Abs. 4 GOG-NR – ein Schreiben (Beilage 10) ein, in dem er sich darauf berief, daß er die rechtsfreundliche Vertretung des Abgeordneten Rosenstingl übernommen habe. Hinsichtlich des Fernbleibens von Abgeordneten Rosenstingl von den Sitzungen des Nationalrates brachte er im wesentlichen vor, daß dieser nicht in Fluchtabsicht nach Brasilien ausgereist sei. Derzeit befinde sich der Genannte in Auslieferungshaft in Brasilien. Nach der Rückkehr aus Brasilien werde der Abgeordnete Rosenstingl wieder an den Sitzungen des Nationalrates teilnehmen und sich allenfalls aus der U-Haft, sofern diese verhängt werde, vorführen lassen.

Gegen die Triftigkeit des oben angeführten Grundes der Verhinderung des Abgeordneten Peter Rosenstingl, an den Sitzungen des Nationalrates teilzunehmen, wurden von den Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Dr. Peter Kostelka und Mag. Ewald Stadler schriftliche Einwendungen vorgebracht.

Das Amtliche Protokoll der 127. Sitzung des Nationalrates vom 16. Juni 1998 (Beilage 11) hält folgendes fest:

“Der Präsident des Nationalrates teilt mit, daß der Abgeordnete Rosenstingl vor dem 28. April 1998 das Staatsgebiet der Republik Österreich freiwillig verlassen hat, sich nach Mitteilung des Bundes­ministeriums für Inneres derzeit in Brasilien aufhält und zu den Plenarsitzungen des Nationalrates im Monat Mai unentschuldigt nicht erschienen ist.

Der Präsident verliest die wesentlichen Teile des am 15. Juni 1998 eingelangten Entschuldigungs­schreibens (Anlage B des Amtlichen Protokolls) des Rechtsanwaltes Dr. Zanger, welches an alle Mitglieder des Nationalrates verteilt wurde.

Es liegen schriftliche Einwendungen gegen die Triftigkeit der im Entschuldigungsschreiben des Herrn Dr. Zanger genannten Gründe vor.

Einstimmig beschließt der Nationalrat gemäß § 11 Abs. 4 GOG, daß der Abgeordnete Rosenstingl aufzufordern ist, unverzüglich an den Sitzungen des Nationalrates wieder teilzunehmen.

Damit wurde den Einwendungen Rechnung getragen und die Triftigkeit der geltend gemachten Gründe vom Nationalrat ausdrücklich verneint.

Der Präsident richtet daher an den Abgeordneten Rosenstingl im Sinne des § 11 Abs. 4 der Geschäftsordnung die Aufforderung, unverzüglich an den Sitzungen des Nationalrates wieder teilzu­nehmen und fordert ihn im besonderen gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 der Geschäftsordnung öffentlich auf, binnen weiterer 30 Tage im Plenum des Nationalrates zu erscheinen oder seine Abwesenheit zu rechtfertigen.

Der Präsident ersucht den Österreichischen Rundfunk, über diese Aufforderung im Sinne seines Programmauftrags zu berichten.”

Diesem Ersuchen des Präsidenten des Nationalrates wurde vom Österreichischen Rundfunk in zahlreichen Nachrichtensendungen Rechnung getragen.

Die oberwähnten Aufforderungen gemäß den §§ 2 Abs. 1 Z 2 und 11 Abs. 4 GOG wurden auch dem Rechtsvertreter des Abgeordneten Rosenstingl übermittelt.

Ungeachtet dieser Aufforderung blieb Abgeordneter Rosenstingl auch den weiteren Sitzungen des Nationalrates am 16., 17., und 18. Juni sowie am 7., 8., 9. und 17. Juli 1998 unentschuldigt fern; der Präsident des Nationalrates stellte dies jeweils vor Ende der Sitzung fest (Beilagen 11 bis 19 sowie 24 und 25).

Am 15. Juli 1998 langte in der Parlamentsdirektion ein an den Präsidenten gerichtetes Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Manfred Ainedter (Beilage 22) ein, in dem er mitteilte, daß er anstelle von Herrn Dr. Georg Zanger die rechtsfreundliche Vertretung des Abgeordneten Peter Rosenstingl über­nommen habe und in dem er die Abwesenheit des Abgeordneten Rosenstingl mit der “andauernden Auslieferungshaft des Abgeordneten Peter Rosenstingl in Brasilien” rechtfertigte.

Rechtsanwalt Dr. Ainedter behauptete auch, daß eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof “einen krassen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellen würde”.

Das vorstehend genannte Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Ainedter wurde gleichfalls an alle Mitglieder des Nationalrates verteilt.

In der 136. Sitzung des Nationalrates am 17. Juli 1998 stellte der Präsident des Nationalrates fest, daß der Abgeordnete Rosenstingl weitere 30 Tage nicht erschienen ist und seine Abwesenheit weiterhin mit den schon bekannten – selbst herbeigeführten – Umständen gerechtfertigt werde. Am gleichen Tag fand auf Grund § 2 GOG-NR eine Sitzung des Hauptausschusses statt, in welcher der Beschluß des Nationalrates, einen Antrag auf Mandatsverlust des Abgeordneten Peter Rosenstingl gemäß Art. 141 B-VG zu stellen, vorbereitet wurde.

Der Bericht des Hauptausschusses an den Nationalrat ist in der Beilage 23 angeschlossen.

In der 137. Sitzung des Nationalrates am 17. Juli 1998 beschloß der Nationalrat den gegenständ­lichen Antrag (siehe Beilage 26).

2.      Begründung

2.1.   Gemäß Art. 141 Abs. 1 lit. c B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. Der Antrag kann auf den gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper gegründet werden (Art. 141 Abs. 1 zweiter Satz B-VG).

Nach § 71 Abs. 1 VfGG, BGBl. Nr. 85/1953, können die allgemeinen Vertretungskörper jederzeit beim Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, ein Mitglied des Vertretungskörpers aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund seines Mandates für verlustig zu erklären. Wird ein solcher Beschluß von einem Vertretungskörper gefaßt, so hat dessen Vorsitzender den Antrag namens des Vertretungs­körpers beim Verfassungsgerichtshof einzubringen.

Gemäß Art. 141 Abs. 1 B-VG kann der Antrag auf Erklärung des Mandatsverlustes auf einen gesetz­lich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper gegründet werden. Dieser findet sich in § 2 Abs. 1 Z 2 GOG-NR und lautet:

§ 2. (1) Ein Abgeordneter wird seines Mandates verlustig:

1.  …

2.  wenn er … 30 Tage ohne einen vom Nationalrat anerkannten triftigen Grund (§ 11 Abs. 4) von den Sitzungen des Nationalrates ausgeblieben ist und der nach Ablauf der 30 Tage an ihn öffentlich und im Nationalrat gerichteten Aufforderung des Präsidenten, binnen weiterer 30 Tage zu erscheinen oder seine Abwesenheit zu rechtfertigen, nicht Folge geleistet hat;

…”

Nach § 11 Abs. 4 GOG hat ein Abgeordneter, der 30 Tage oder länger verhindert ist, dies dem Präsidenten schriftlich unter Angabe des Grundes mitzuteilen. Ist eine solche Verhinderung nicht durch Krankheit begründet, hat der Präsident den Sachverhalt dem Nationalrat bekanntzugeben. Wird gegen die Triftigkeit des Grundes eine Einwendung erhoben, hat der Nationalrat ohne Debatte zu entscheiden, ob der Abgeordnete aufzufordern ist, unverzüglich an den Sitzungen des Nationalrates teilzunehmen.


2.2.   Nach dem oben angeführten Sachverhalt hat der Präsident des Nationalrates am 16. Juni 1998 dem Nationalrat bekanntgegeben, daß der Abgeordnete Peter Rosenstingl 30 Tage zu den Sitzungen des Nationalrates nicht erschienen ist. Zugleich hat er ein am 15. Juni 1998 eingelangtes Schreiben des Anwaltes des Abgeordneten Rosenstingl zur Kenntnis gebracht, in dem Entschuldigungsgründe für die Abwesenheit vorgebracht wurden.

Gegen die Triftigkeit der angeführten Gründe wurden Einwendungen erhoben, worauf der Nationalrat einstimmig beschlossen hat, Abgeordneten Rosenstingl aufzufordern, unverzüglich an den Sitzungen des Nationalrates wieder teilzunehmen. Dabei wurde davon ausgegangen, daß dem Abgeordneten Rosenstingl von seinem derzeitigen Aufenthalt Brasilien nicht nur vor seiner Inhaf­tierung die Rückkehr nach Österreich möglich gewesen wäre, um seinen Pflichten als Abgeordneter nachzukommen, sondern daß er sich auch nach seiner Festnahme noch für die freiwillige Rückkehr nach Österreich und für die Wiederaufnahme seiner parlamentarischen Tätigkeit hätte entscheiden können. Aus dem Schreiben des Justizministers vom 1. Juli 1998 sowie aus dem Schreiben des Bundesministers für Inneres vom 13. Juli 1998 (Beilagen 20 und 21) ergibt sich, daß Abgeordneter Peter Rosenstingl eine freiwillige Rückkehr nach Österreich zunächst in Erwägung gezogen, dann aber aus eigenem Entschluß ausdrücklich verweigert hat. Der Haftbefehl zur Sicherung des Ausliefe­rungsverfahrens sei dem Abgeordneten und den lokalen Polizeibehörden erst übergeben worden, nachdem dieser seine Erklärung, freiwillig nach Österreich zurückkehren zu wollen, widerrufen hat. Daraus erhellt, daß der Abgeordnete Rosenstingl NICHT nach Österreich zurückkehren wollte und daher die Auslieferungshaft nicht für die Triftigkeit seines Entschuldigungsgrundes ins Treffen führen kann. Auch das am 15. Juli eingelangte Entschuldigungsschreiben seines neuen Rechtsvertreters ergab diesbezüglich keinen neuen Aspekt, sodaß auch nach Ablauf weiterer 30 Tage nach Aufforde­rung zum Erscheinen die seit insgesamt mehr als 60 Tagen andauernde Abwesenheit des Abgeordne­ten Rosenstingl nicht als “gerechtfertigt” betrachtet werden kann.

Zu dem im Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Ainedter verwendeten Begriff der Unschuldsver­mutung ist festzuhalten, daß die Beurteilung strafrechtlicher Aspekte im Zusammenhang mit der Causa Rosenstingl im Verfahren nach § 2 Abs. 1 lit. c GOG keine Rolle spielt, sondern aus­schließlich Angelegenheit der Strafjustiz ist und daß die Bejahung oder Verneinung der Triftigkeit von Gründen für die Absenz von den Sitzungen des Nationalrates mit der Wahrung der Unschulds­vermutung nichts zu tun hat.

Da nach Auffassung des Nationalrates alle Verfahrensschritte im Sinne des Art. 141 Abs. 1 B-VG und § 2 GOG-NR eingehalten wurden (vgl. Czerny–Fischer, Kommentar zur Geschäftsordnung des Nationalrates, 2. Auflage, 4 f; Atzwanger–Kobzina–Zögernitz, Nationalrat-Geschäftsordnung, 2. Auf­lage, 37 ff) und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Antragstellung beim Verfassungs­gerichtshof erfüllt sind, stellt der Nationalrat daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle den Abgeordneten Peter Rosenstingl seines Mandates für verlustig erklären.

Beilagenverzeichnis

           1. Amtliches Protokoll der 118. Sitzung des Nationalrates vom 12. Mai 1998                             Beilage  1

           2. Amtliches Protokoll der 119. Sitzung des Nationalrates vom 12. Mai 1998                             Beilage  2

           3. Amtliches Protokoll der 120. Sitzung des Nationalrates vom 13. Mai 1998                             Beilage  3

           4. Amtliches Protokoll der 121. Sitzung des Nationalrates vom 14. Mai 1998                             Beilage  4

           5. Amtliches Protokoll der 122. Sitzung des Nationalrates vom 15. Mai 1998                             Beilage  5

           6. Amtliches Protokoll der 123. Sitzung des Nationalrates vom 26. Mai 1998                             Beilage  6

           7. Amtliches Protokoll der 124. Sitzung des Nationalrates vom 27. Mai 1998                             Beilage  7

           8. Amtliches Protokoll der 125. Sitzung des Nationalrates vom 28. Mai 1998                             Beilage  8

           9. Amtliches Protokoll der 126. Sitzung des Nationalrates vom 28. Mai 1998                             Beilage  9

         10. Schreiben von RA Dr. Georg Zanger vom 15. Juni 1998                                                            Beilage 10

         11. Amtliches Protokoll der 127. Sitzung des Nationalrates vom 16. Juni 1998                            Beilage 11

         12. Amtliches Protokoll der 128. Sitzung des Nationalrates vom 16. Juni 1998                            Beilage 12

         13. Amtliches Protokoll der 129. Sitzung des Nationalrates vom 17. Juni 1998                            Beilage 13

         14. Amtliches Protokoll der 130. Sitzung des Nationalrates vom 18. Juni 1998                            Beilage 14

         15. Amtliches Protokoll der 131. Sitzung des Nationalrates vom 18. Juni 1998                            Beilage 15

         16. Amtliches Protokoll der 132. Sitzung des Nationalrates vom 18. Juni 1998                            Beilage 16

         17. Amtliches Protokoll der 133. Sitzung des Nationalrates vom 7. Juli 1998                               Beilage 17

         18. Amtliches Protokoll der 134. Sitzung des Nationalrates vom 8. Juli 1998                               Beilage 18

         19. Amtliches Protokoll der 135. Sitzung des Nationalrates vom 9. Juli 1998                               Beilage 19

         20. Schreiben des Bundesministeriums für Justiz vom 1. Juli 1998 GZ 1.43058/22-IV1/98          Beilage 20

         21. Schreiben des Bundesministers für Inneres vom 13. Juli 1998 sowie Zl. 1 559 932/6-II/10/B 4 Beilage 21

         22. Schreiben von RA Dr. Manfred Ainedter vom 15. Juli 1998                                                     Beilage 22

         23. Bericht des Hauptausschusses an den Nationalrat vom 17. Juli 1998                                     Beilage 23

         24. Amtliches Protokoll der 136. Sitzung des Nationalrates vom 17. Juli 1998                             Beilage 24

         25. Amtliches Protokoll der 137. Sitzung des Nationalrates vom 17. Juli 1998                             Beilage 25

         26. Beschluß des Nationalrates vom 17. Juli 1998                                                                             Beilage 26