1402 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Umweltausschusses


über das Volksbegehren “Atomfreies Österreich” (1066 der Beilagen)


Das gegenständliche Volksbegehren ist am 20. Jänner 1998 im Nationalrat eingelangt und wurde am 22. Jänner dem Umweltausschuß zur weiteren Behandlung zugewiesen. Dem Volksbegehren kann folgende Begründung entnommen werden:

“Die Atomwirtschaft stellt, sowohl in ihrer militärischen – wie auch in ihrer sogenannten friedlichen Variante, anerkanntermaßen eines der größten Gefahrenpotentiale unserer Zeit dar. Das österreichische Volk ist gegenüber Bedrohungen durch radioaktive Stoffe immer sehr sensibel gewesen. Die Ablehnung der Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf in der Volksabstimmung vom 5. November 1978 war nicht nur ein Meilenstein in der österreichischen Geschichte, sondern auch ein herausragender Beweis für die Mündigkeit und Informiertheit der österreichischen Bevölkerung. Die darauffolgenden Katastrophen von Harrisburg/PA/USA und Tschernobyl/Ukraine 1980 bzw. 1986 haben diese grundvernünftige Entschei­dung der Österreicher, die Atomwirtschaft nicht ins Land zu lassen, eindrucksvoll bestätigt.

Die derzeit laufende rasante Umgestaltung Europas und die nun auch in Österreich einsetzende Debatte über einen NATO-Beitritt des Landes machen es nötig, einerseits das Atomsperrgesetz von 1978 (vulgo Zwentendorfsperrgesetz) in den Verfassungsrang zu erheben, damit es besser als bisher gegen Auf­weichungen und Aufhebung geschützt ist, andererseits sollen auch die Stationierung oder Lagerung von radioaktiven Waffen in Österreich, die Errichtung von End- oder Zwischenlagern für ausländischen Atommüll und soweit dem keine zwingenden EU-Richtlinien entgegenstehen, auch jegliche radioaktive Transporte durch Österreich per Verfassungsgesetz untersagt werden. Radioaktive Transporte, die der Medizin oder der medizinischen Forschung dienen, sollen ausdrücklich von diesem Verbot ausgenommen sein.”

Der Umweltausschuß nahm das Volksbegehren erstmals in seiner Sitzung am 4. Februar in Verhandlung. Weitere Sitzungen fanden am 17. April, 30. Juni und am 24. September 1998 statt. Den Verhandlungen wurde gemäß § 37 Abs. 3 des Geschäftsordnungsgesetzes der Bevollmächtigte im Sinne des Volksbe­gehrengesetzes 1973 Günther Ofner beigezogen.

Im Zuge der Beratungen wurden Wolfgang Plasche (Bundesministerium für Landesverteidigung), Mag. Stephan Hemetsberger (Bundeskanzleramt), Dipl.-Ing. Dr. Martin Huemer (Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr), Dr. Georg Kathrein (Bundesministerium für Justiz), Dr. Wolf Szymanski (Bundesministerium für Inneres), Dr. Walter Gehr (Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten), Dr. Reinhard Schelch (Bundesministerium für Finanzen), Dr. Dietrich Benda (Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten), Dr. Karl Kienzl (Umweltbundesamt) und Radko Pavlovec (Beauf­tragter des Landes Oberösterreich für grenznahe Atomkraftwerke) als informierte Vertreter bzw. Exper­ten gehört.

Ihn den Debatten ergriffen die Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Karlheinz Kopf, der Ausschußobmann Mag. Karl Schweitzer, Mag. Thomas Barmüller, Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann, Dipl.-Ing. Dr. Peter Keppelmüller, Anna Elisabeth Aumayr, Dr. Volker Kier, Georg Oberhaidinger, Karel Smolle, Georg Wurmitzer und Matthias Ellmauer sowie die Bundesminister Dr. Barbara Prammer und Dr. Martin Bartenstein das Wort.

Die Abgeordneten Karlheinz Kopf, Georg Oberhaidinger, Mag. Thomas Barmüller und Dr. Gabriela Moser brachten einen Entschließungsantrag betreffend die Fortführung der österreichischen Antiatom­politik ein. Diesem Entschließungsantrag war folgende Begründung beigegeben:

“Die Österreichische Bundesregierung bekennt sich in ihrem Regierungsprogramm dazu, sich für ein kernenergiefreies Mitteleuropa einzusetzen. Dies artikuliert die Bundesregierung immer wieder in verschiedenen Aktivitäten – nicht nur auf bilateraler, sondern auch auf internationaler Ebene, insbesondere auch in den Gremien der Europäischen Union – und wird diese Aktivitäten auch zukünftig fortsetzen. Ebenso hat sich in den letzten Jahren der Nationalrat in mehreren Entschließungen für eine aktive Politik der Ablehnung der Kernenergienutzung ausgesprochen. Alle im Nationalrat vertretenen Parteien haben in einer Entschließung vom 9. Juli 1997 die Bundesregierung ersucht, die Aktivitäten zur Reduktion bestehender und Vermeidung zusätzlicher grenznaher kerntechnischer Anlagen fortzusetzen. Diese Entschließung beinhaltete Maßnahmen zur Bewußtseinsbildung und Aufklärung auf internationaler Ebene, Aktivitäten zur Reduktion bestehender und zur Vermeidung zusätzlicher Risken, den Ausbau der rechtlichen Instrumente sowie Forderungen nach einer wirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Bewertung der Kernenergie.


Außerdem hat die Österreichische Bundesregierung in Zusammenarbeit mit Umweltschutzorganisationen ein Maßnahmenpaket für den Bereich der Antiatompolitik Österreichs erarbeitet und im Ministerrat am 3. Dezember 1997 verabschiedet.

Basierend auf der Erkenntnis, daß ein Ausstieg aus der Kernenergie kaum kurzfristig zu erreichen sein wird, beruht die österreichische Kernenergiepolitik auf vier strategischen Elementen:

        1.   Die risikobezogene Dimension: Aktivitäten zur Reduktion des Gefährdungspotentials grenznaher kerntechnischer Anlagen.

        2.   Energiewirtschaftliche Dimension: Energiewirtschaftliche Kooperation und Unterstützung für die Reformstaaten Zentral- und Osteuropas, um dazu beizutragen, die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie in diesen Ländern zu schaffen und erneuerbare Energien zu forcieren.

        3.   Rechtliche Dimension: Weiterentwicklung und Verbesserung des Völkerrechts zur Wahrung der Interessen der österreichischen Bevölkerung und zum Schutz der Umwelt.

        4.   Die Dimension der Kostenwahrheit.

Da Entscheidungen über Bau und Betrieb von kerntechnischen Anlagen nach wie vor der nationalen Souveränität unterliegen, sind für eine erfolgreiche Antiatompolitik nachbarschaftliche Kooperation mit den betroffenen Staaten und konsensfähige Vorschläge in internationalen Verhandlungen erforderlich.

Österreich hat in Atomfragen stets eine einheitliche Position eingenommen. So

–   wurden zB in einem Fünfparteien-Entschließungsantrag 1997 umfassend in 20 Punkten die österrei­chischen Antiatompositionen mit entsprechenden Anträgen an die Bundesregierung klargelegt sowie zwei weitere Fünfparteien-Entschließungsanträge zu Dukovany und Mochovce 1998 verabschiedet;

–   vertreten die österreichischen Regierungsmitglieder einheitlich eine strikte Antiatomhaltung im In- und Ausland;

–   legen die österreichischen Vertreter innerhalb der Europäischen Union und den EU-Organen stets höchste Maßstäbe an die Nuklearsicherheit an;

–   hat der Bundesrat sich mehrfach für eine strikte Fortführung der österreichischen Antiatompolitik ausgesprochen;

–   haben die Landeshauptmännerkonferenz und einige Landtage die Bundesregierung mehrfach aufge­fordert, die Antiatompolitik auch in bezug auf den bevorstehenden Beitrittswunsch unserer osteuro­päischen Nachbarländer fortzusetzen.”

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Abgeordneten Karlheinz Kopf, Georg Oberhaidinger, Mag. Thomas Barmüller und Dr. Gabriela Moser mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Umweltausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle die beigedruckte Entschließung (Anlage) annehmen.

Wien, 1998 09 24

                               Matthias Ellmauer                                                          Mag. Karl Schweitzer

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann

Anlage


Entschließung

        1.   Die Bundesregierung wird ersucht, in Erfüllung bzw. Fortführung des Ministerratsbeschlusses vom 3. Dezember 1997 auch weiterhin auf internationaler sowie auf nationaler Ebene alle Möglichkeiten zur Umsetzung von Maßnahmen im Sinne der gemeinsamen ablehnenden Haltung gegenüber der Atomenergie zu nutzen.

        2.   Die Bundesregierung wird ersucht, betreffend das Kraftwerk Mochovce die bereits eingegangenen bzw. in den nächsten Monaten eingehenden internationalen Untersuchungsergebnisse (IAEO-Arbeitsgruppe, IAEO-Mission und Konsortium im Auftrag der Europäischen Kommission) genau zu prüfen sowie auf bi- und multilateraler Ebene auf die Einhaltung international anerkannter Sicherheitsgrundsätze für Mochovce zu bestehen. Die Slowakei ist erneut an ihre Zusage zu erinnern, das Atomkraftwerk Bohunice V-1 ehemöglichst zu schließen. Insbesondere wird die Bundesregierung ersucht, mit der neuen slowakischen Regierung die begonnene energiewirt­schaftliche Kooperation zwischen Österreich und der Slowakei im Hinblick auf nicht nukleare Alternativen und einen Ausstieg aus der Kernenergie fortzusetzen.

        3.   Die Bundesregierung wird ersucht, im Rahmen des Behördenverfahrens zur geplanten Auswei­tung des Atommüllagers Dukovany zu der erneut vorgelegten Umweltdokumentation wiederum eine Stellungnahme abzugeben, welche die Sicherheitsinteressen der österreichischen Bevölke­rung, insbesondere der Grenzregion, wiedergibt.

        4.   Der Bundeskanzler, die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz, der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr und der Bundesminister für Inneres werden ersucht, die Arbeiten der zur Frage des Atomtransportes durch Österreich eingesetzten Arbeits­gruppe voranzutreiben und ehestmöglich diesbezügliche Maßnahmen umzusetzen.

        5.   Die Bundesregierung wird ersucht, an die Vertreter der Tschechischen Republik heranzutreten, um ehestmöglich wirksamwerdende Ausstiegsszenarien aus der Atomkraft unter Berücksichtigung der ökonomischen Auswirkungen der Liberalisierung des Strombinnenmarktes einzufordern. Von österreichischer Seite ist dabei der Aspekt der Kostenwahrheit unter vollständiger Einbeziehung der Lebenszykluskosten der Kernenergie einzubringen.

        6.   Die Bundesregierung wird ersucht, an die Europäische Kommission mit dem Ersuchen in geeigneter Weise heranzutreten, dem Rat Vorschläge für die Bereitstellung entsprechend hoher Mittel für Energiekonzepte, die den Ausstieg aus der Kernenergienutzung insbesondere in den assoziierten Staaten ermöglichen, vorzulegen.

        7.   Die Bundesregierung wird ersucht, dahingehend an die Nachbarländer Österreichs heranzutreten, damit diese die ESPOO-Konvention über den grenzüberschreitenden Umweltschutz unterzeichnen bzw. in absehbarer Zeit ratifizieren.

        8.   Die Bundesregierung wird ersucht, eine weitere Initiative dahingehend zu setzen, die Nachbar­länder Österreichs zur Unterzeichnung bzw. Ratifizierung des im Zusammenhang mit Haftungs- und Schadenersatzverfahren bei Atomunfällen bedeutenden Abkommens von Lugano aufzu­fordern.