IV-13 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

Dienstag, 9. Dezember 1997

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XX. Gesetzgebungsperiode                        Dienstag, 9. Dezember 1997

Tagesordnung

Agenda 2000

COM KOM (97) 2000 endg.; RAT 9984/97 AGENDA 1

Agenda 2000 / Band 1. Eine stärkere und erweiterte Union

(31807/EU XX. GP)

COM KOM (97) 2000 endg.; RAT 9984/97 AGENDA 1

Agenda 2000 / Band 2. Die Erweiterung der Union – eine Herausforderung

(31808/EU XX. GP)

Beginn der Sitzung: 17.03 Uhr

Obmann Dr. Heinz Fischer begrüßt die versammelten Damen und Herren und eröffnet die Sitzung des Hauptausschusses.

Agenda 2000

COM KOM (97) 2000 endg.; RAT 9984/97 AGENDA 1
Agenda 2000 / Band 1. Eine stärkere und erweiterte Union
(31807/EU XX. GP)

COM KOM (97) 2000 endg.; RAT 9984/97 AGENDA 1
Agenda 2000 / Band 2. Die Erweiterung der Union – eine Herausforderung
(31808/EU XX. GP)

Obmann Dr. Heinz Fischer verweist darauf, daß die Tagesordnung die Gelegenheit biete, Fragen zur Osterweiterung der Europäischen Union zu erörtern, die auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen in Luxemburg im Mittelpunkt stehen werden. Insbesondere solle eine Diskussion über die österreichische Position zu diesem Thema ermöglicht werden.

Sehr herzlich begrüßt Obmann Dr. Fischer die anwesende Regierungsspitze, Bundeskanzler Mag. Viktor Klima und Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel, und kündigt an, Bundeskanzler Mag. Klima werde im weiteren Verlauf der Sitzung vom Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Dr. Peter Wittmann, abgelöst werden. Dies sei keine formelle Vertretung, sondern darin komme das Bemühen zum Ausdruck, eine Diskussion aller möglichen Aspekte zu gewährleisten.

Für diese Aussprache sei die Dauer von zwei Stunden in Aussicht genommen worden.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima wertet es als gute Gepflogenheit, daß die Regierung vor entscheidenden Treffen des Europäischen Rates Gelegenheit bekommt, im Hauptausschuß über die beabsichtigten oder zu erwartenden Entwicklungen zu diskutieren.

Nachdem vor zwei Wochen im Europäischen Rat über die europäische Beschäftigungsinitiative mit den nationalen Aktionsprogrammen, den darüberliegenden verpflichtenden Leitlinien und dem verpflichtenden Monitoring-Prozeß entschieden worden sei, gelte es nunmehr, zur Frage der Agenda 2000 sowie zu dem in zwei Tagen beginnenden Rat von Luxemburg Stellung zu nehmen.

Aus Sicht des Bundeskanzlers sei es wichtig, daß sich nunmehr der Rat in Luxemburg auf Basis der Agenda 2000 – der von der Kommission im Juli dieses Jahres ergangenen, inzwischen auf den Ebenen des COREPER und des Rates erörterten Mitteilung – zu weiteren Schlußfolgerun­gen trifft. Erst gestern sei im Rat für allgemeine Angelegenheiten ein Bericht abgeschlossen worden, über den anschließend Vizekanzler Dr. Schüssel informieren werde.

Es sei für Österreich wichtig, den bevorstehenden Erweiterungsprozeß als Chance zum Vordrin­gen in ausbaufähige Märkte Mittel- und Osteuropas sowie als wichtigen politischen Schritt zu einem gemeinsamen, friedlichen Europa zu sehen. Zugleich aber müsse der Erweiterungspro­zeß so angelegt werden, daß potentielle Probleme möglichst vorhergesehen, ausgeglichen und vermieden werden.

Dies betreffe vor allem die Bereiche Sozial- und Umweltstandards, Freizügigkeit von Arbeitneh­mern, grenzüberschreitende Dienstleistungen, Verkehr, nukleare Sicherheit und ähnliches mehr. Für einzelne Sektoren und Grenzregionen seien Anpassungsprobleme zu erwarten, wogegen frühzeitig auch auf europäischer Ebene Vorkehrungen zu treffen seien.

Im ersten Schritt gehe es um eine entsprechende Sensibilisierung der Partner in der Euro­päischen Union. Österreich habe deshalb bereits im Verlauf der ersten Analysen zur Situation in den als Beitrittskandidaten vorgesehenen Ländern diese Problembereiche deutlich aufgezeigt und die Bedenken in den Arbeitsdokumenten des Rates entsprechend verankert. Parallel zum beginnenden Acquis-Screening der Beitrittsländer werde es notwendig sein, die konkreten öster­reichischen Positionen für die Eröffnung der substantiellen Beitrittskapitel zu erstellen.

In der Frage der Erweiterungsstruktur will Bundeskanzler Mag. Klima auf Wortspielereien – sei es „Startlinie“, „Regatta“, „Stadion“, „Gruppenmodell“ oder was auch immer – verzichten. Aus österreichischer Sicht gehe es vordringlich darum, im Beitrittsprozeß Flexibilität und Offenheit zu garantieren.

Es müßten auch jene Beitrittskandidaten, mit denen nicht sofort intensive Verhandlungen im engeren Sinne eröffnet werden könnten, später jederzeit die Möglichkeit dazu bekommen können. Nur dann könne die Europäische Union auf die entsprechende Perspektive und damit einhergehende Reformbestrebungen in den potentiellen Beitrittsländern positiv einwirken. Dies zeige sich zum Beispiel an der Slowakei, deren politische und wirtschaftliche Isolation keines­falls wünschenswert sei.

Die Beitrittsverhandlungen sollten daher ein offener Prozeß sein, und sie sollten nicht bloß eine geschlossene Gruppe umfassen, sondern jedem Beitrittswerber jederzeit die Möglichkeit bieten, in intensivere Verhandlungen einzutreten. Daher sei auch der Abschluß dieser Verhandlungen nicht im Hinblick auf eine gleichzeitige Beendigung innerhalb einer geschlossene Gruppe zu konzipieren, sondern es hätten je nach dem Stand der Umsetzung weitere Verhandlungsschritte zu erfolgen.

Aus österreichischer Sicht werde die Agenda 2000 als Paket aufgefaßt, daher müsse die Frage der Erweiterung zusammen mit der Frage der internen Reform der Europäischen Union be­trachtet werden. Über die internen Reformen auf europäischer Ebene sei während der letzten Monate erst in den Grundzügen diskutiert worden. Die österreichische Bundesregierung habe unmittelbar nach Vorlage der Agenda 2000 im Juli begonnen, die jeweiligen Implikationen der Kommissionsansätze für die österreichische Situation zu analysieren und entsprechende Aus­gangspositionen zu erarbeiten.

Österreich unterstütze in der Strukturpolitik grundsätzlich die Neudefinition der Ziele der Ge­meinschaftsinitiativen. In einigen wenigen wichtigen Punkten müsse Österreich jedoch dem An­satz der Kommission widersprechen. Denn in der Strukturpolitik der EU gebe es ein erhebliches Potential für Effizienzsteigerung, und dieses solle stärker genutzt werden.

Die Bundesregierung trete konkret nicht für Ausgabenziele, sondern vielmehr für einen Plafond der Strukturausgaben ein. Dieser Plafond solle nicht an die Entwicklung des Bruttoinlandspro­duktes geknüpft, sondern eher in definitiv klar fixierten Beträgen festgeschrieben sein. Die öster­reichische Ausgangsposition in den bisherigen Verhandlungen in Brüssel, wonach sich das Ge­samtniveau der Strukturausgaben einschließlich jener für die Erweiterung etwa am Durchschnitt der letzten Programmierungsperiode – 1994 bis 1999 – orientieren solle, erweise sich dabei als vernünftig.

Österreich habe zudem Vorbehalte gegen den Vorschlag der Kommission, zwei Drittel der Strukturfondsausgaben für Ziel-1-Gebiete zu reservieren, angemeldet. Die Kohäsionsfonds sollten aus österreichischer Sicht nicht zu einer Dauereinrichtung werden, sondern deren Fort­bestand solle abhängig vom Kohäsionsgrad der einzelnen Nutznießerstaaten gesehen werden.

Was den Bereich der Agrarpolitik betrifft, entsprächen die Zielsetzungen der GAP auch aus österreichischer Sicht heute nicht mehr zur Gänze den Anforderungen. Österreich trete für eine stärkere Differenzierung von Gemeinschaftsförderungen zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirt­schaft ein, unter anderem für Anreize zur Förderung der Bewirtschaftung von Bergregionen, zu ökologischen Produktionsverfahren und ähnliches mehr.

Klar zum Ausdruck zu bringen sei auch, daß die Bundesregierung eine Verschlechterung der Nettozahlerposition Österreichs vermeiden wolle und solle. Sie setze auch auf strenge Budget­disziplin in den zwei Politikfeldern mit den höchsten Ausgaben und trete vor allem für eine Begrenzung des finanziellen Rahmens ein. Die derzeit bestehende Eigenmittelobergrenze von 1,27 Prozent solle auch künftig nicht der Gefahr einer Überschreitung ausgesetzt werden. Dies habe aus österreichischer Sicht auch unter Einrechnung der Beitrittskosten für neue Mitglied­staaten zu gelten.

Darüber hinaus sei eine faire Lastenaufteilung unter den Nettozahlern anzustreben. Dabei sei unter anderem die Sondersituation Großbritanniens anzusprechen.

In den bisherigen Verhandlungen habe die Bundesregierung diese Position sehr klar und deut­lich vertreten und dabei Verbündete gefunden. Es sei aber ehrlicherweise hinzuzufügen, daß andererseits zum Beispiel von den Kohäsionsländern ein diametral entgegengesetzter Stand­punkt vertreten werde.

Der Hauptausschuß möge jedoch berücksichtigen, daß dies erst der Anfang eines Verhand­lungsprozesses zu den internen Reformen sei und derzeit noch kein zwingender Zeitdruck be­stehe, demgemäß innerhalb weniger Wochen zu einem Ergebnis zu kommen wäre. Es werde in den Schlußfolgerungen aus dem Treffen von Luxemburg darum gehen, auf der einen Seite klare Parameter festzuschreiben und auf der anderen Seite zu verhindern, daß präjudiziell Schlußfol­gerungen gefaßt werden, die der österreichischen Position zuwiderlaufen.

In diesem Sinne werde Luxemburg der Auftakt für eine Phase sehr detaillierter, substantieller Verhandlungen zu den internen Reformen sein. Nach den derzeit vorliegenden Informationen sei aber zu erwarten, daß die Kommission erst Ende März 1998 den Vorschlag für die finanzielle Vorschau auf den Zeitraum von 2000 bis 2006 sowie die entsprechenden Verordnungsentwürfe zur Struktur- und Agrarreform unterbreiten werde. Daher sei abzusehen, daß eine sensible Dis­kussion über diese wichtige Frage auch in die Phase der österreichischen Präsidentschaft fallen werde.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel hält fest, daß kommenden Freitag und Samstag über die Spielregeln und Konditionen der Erweite­rung verhandelt werde. Allgemeiner Konsens sei, daß die anderen Fragen der Agenda 2000 kaum, jedenfalls nicht im Detail, zur Diskussion stehen. Auch im Dokument der Vorsitzseite werde im wesentlichen nur eine Gesamtdarstellung der Diskussionsverläufe aufscheinen, ähn­lich jener über die Regierungskonferenz, in der die Mehrheitsmeinung sowie eventuell abwei­chende Auffassungen anderer Gruppen aufgelistet worden seien.

Zwar würden alle Facetten der Stimmungslage wiedergegeben, jedoch sei es derzeit vollkom­men verfrüht, dazu im einzelnen Stellung zu nehmen, zumal die Kommission der österreichi­schen Bundesregierung noch einige wesentliche Informationen schuldig sei, beispielsweise darüber, wie sich diverse Sonderregelungen auf den Finanzrahmen auswirken, worauf die Nettozahlerposition diverser Länder und die jeweils verschiedene Entwicklung zurückzuführen ist und welche budgetären Auswirkungen die Struktur- und Agrarreformen konkret mit sich bringen. Zahlen darüber würden beginnend mit März 1998 vorgelegt werden, daher sei es für eine detaillierte Erörterung derzeit zu früh.

Das Kernelement der bevorstehenden Tagung werde der Erweiterungsprozeß sein, wofür sich nunmehr folgende Linie abzeichne: Erstens werde es einen fliegenden Erweiterungsprozeß auf verschiedenen Levels geben. Entsprechend der Empfehlung der Kommission werde die Gruppe, mit der die Verhandlungen gemäß Artikel O am intensivsten aufgenommen werden, aus sechs Ländern bestehen, neben Zypern aus Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien und Estland. Mit diesen Ländern werde konkret zu verhandeln begonnen.

Der zweite Level betreffe die 15 EU-Staaten plus elf. Zu diesem Level gehören sämtliche assozi­ierten Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Türkei, also zehn mittel- und osteuropäische Länder sowie Zypern. Mit diesen Ländern werde ein multilateraler Rahmen gebildet. Auf Minister­ebene – und bei Bedarf auf Ebene der Regierungschefs – werde je nach Fachressort getagt und dazu eine Plattform eröffnet werden, auf der alle Themen hinsichtlich des Beitrittsprozesses auch über die individuellen Aspekte hinaus besprochen werden könnten.

Dabei werde die Inklusivität des Erweiterungsprozesses sichtbar, da auf dieser Plattform auch jene fünf Länder einbezogen seien, mit denen anfangs nicht in formelle Verhandlungen einge­treten wird.

Weiters sei sichergestellt, daß gemäß einem Vorschlag der dänischen Seite, auf den Vize­kanzler Dr. Schüssel in der entsprechenden Sitzung spontan positiv reagiert hat, mit allen elf Kandidaten ein Acquis-Screening durchgeführt wird: ein Durchkämmen aller Rechtsbestände im Hinblick darauf, in welchem Ausmaß in den einzelnen Ländern der Rechtsbestand der Euro­päischen Union bereits übernommen worden ist.

Die ursprüngliche Rechtsmeinung, dies könne erst nach einem formellen Beschluß gemäß Arti­kel O erfolgen, sei unzutreffend gewesen, sondern diese Einschätzung sei lediglich einer Kon­vention entsprungen. Auch theoretisch stehe dem nichts entgegen, daß die Kommission das Acquis-Screening im Auftrag des Rates mit allen elf Kandidaten im März 1998 beginnt.

Es werde ein bilaterales Acquis-Screening sein; dies sei ursprünglich umstritten gewesen. Vor allem skandinavische Mitgliedstaaten hätten ein multilaterales Screening vorgezogen. Dies sei aus österreichischer Sicht nicht wünschenswert, weil es zu Verzögerungen geführt hätte. Die Kommission habe darauf bestanden, das Acquis-Screening – im Auftrag des Rates – zu ihrer Aufgabe zu machen, und sie habe darauf verwiesen, daß sie es nicht multilateral durchführen könne und wolle; somit sei dieses Problem gut gelöst worden.

Über den dritten Level, die Einbindung der Türkei in eine europäische Perspektive, sei trotz langer Auseinandersetzung keine Entscheidung getroffen worden. Griechenland habe hinsicht­lich der Einbindung der Türkei Generalvorbehalt angemeldet und werde sich bis zur Ratstagung diese Frage offenhalten.

Die bevorstehende Konferenz werde ebenfalls in multilateralem Rahmen vor sich gehen und zu­mindest je einmal auf Ebene der Regierungschefs und der Außenminister stattfinden. Sie werde alle drei relevanten Themen umfassen. Dies sei eine kluge Entscheidung, wie sich am Beispiel des verstärkten Flüchtlingsaufkommens aus dem Irak erst jüngst wieder gezeigt habe. Denn diese Flüchtlinge, vermutlich Kurden, seien mit perfekt gefälschten Dokumenten ausgestattet worden. Angesichts des darin zum Vorschein kommenden klassischen Schleppersyndroms sei es besonders wichtig, dagegen international abgestimmt vorzugehen.

Ebenso sei dies ein geeigneter politischer Ausspracheraum, in dem mit der Türkei die Behand­lung der Gebiete im Norden des Iraks thematisiert werden müsse, nachdem dort kürzlich wieder über 10 000 türkische Soldaten einmarschiert sind. An diesem Beispiel zeige sich sehr deutlich, wie wichtig eine Europakonferenz unter Beteiligung der Türkei sein könne.

Die Frage nach „Startlinie“ oder „Gruppe“ sei noch nicht endgültig beantwortet. Hinsichtlich der „Startlinie“ stünden derzeit noch Spanien, Schweden, Dänemark und – indirekt – Griechenland auf dem Standpunkt, daß die Verhandlungen mit allen beginnen sollten. Offenbar strebe Grie­chenland eine befriedigende Zypern-Lösung an, und Schweden und Dänemark wollten vor allem die Differenz zwischen Stufe 2 und Stufe 1 mindern. Letztere hätten der Sorge Ausdruck gege­ben, daß die PHARE-Mittel einseitig an diejenigen Kandidaten verteilt werden, mit denen die Verhandlungen begonnen werden. Dabei gehe es von 2000 bis 2006 um insgesamt 38 Milliar­den ECU plus 7 Milliarden bereits vorhandener Vor-Beitritt-Hilfe.

Dänemark und Schweden vertreten den Standpunkt, es sei primär den Schwächeren zu helfen. Vizekanzler Dr. Schüssel hält es für wichtig, insgesamt einen fairen Prozentsatz zu finden und betont projektbezogen vorzugehen. Bei Projekten wie Infrastrukturhilfen, die innerhalb der heuti­gen Finanzströme abgewickelt werden sollen, sei es wichtig, deren Qualität in den Vordergrund zu stellen und nicht einfach nach einem bestimmten Schlüssel das Geld umzuverteilen. Das könne nicht im Interesse des Nettozahlers Österreich stehen.

Die Zusammenfassung der Vorsitzseite enthalte folgende Elemente: Das Dokument werde nicht schon als Beschluß des Rates auf dem Gipfeltreffen präsentiert werden, sondern in eigener Ver­antwortung der Präsidentschaft bei vorheriger Befassung des Rates. Luxemburg vertrete die An­sicht, daß dieses Dokument die Mehrheitsmeinung der Mitgliedstaaten wiedergebe.

Weiters bestehe die Absicht, den Prozeß des Acquis-Screenings neu mit allen Kandidaten zu beginnen und die Beitrittsverhandlungen – beginnend mit März 1998 – zu staffeln. Überdies sei die Auffassung mancher Mitgliedstaaten – darunter auch Österreichs – von Bedeutung, der zufolge innere Reformen der Europäischen Union eine wesentliche Grundlage für die Aufnahme von Mitgliedern darstellen.

Überdies seien in dem Dokument der Präsidentschaft zwei Aspekte auffällig, einer positiv, der andere weniger. Österreich habe eines seiner Ziele damit erreicht, daß in diesem Schriftstück festgehalten wird, daß einige Mitgliedstaaten die Auffassung vertreten, es sei eine Sonderförde­rung für Regionen an den Grenzen zu den Erweiterungskandidaten vorzusehen.

Weniger günstig sei, daß Dänemark das Kapitel über die nukleare Sicherheit von Kernkraftwer­ken habe abschwächen wollen, anscheinend in dem Bestreben, für Litauen, in dem ein Atom­kraftwerk russischer Bauweise in Betrieb ist, keine zusätzliche Barriere zu schaffen.

Zur Vorbeugung gegen weitere solche Vorstöße sei Wachsamkeit angebracht.

Obmann Dr. Heinz Fischer fügt hinzu, daß das von Vizekanzler Dr. Schüssel besprochene Dokument mit der Nummer 12909/97 bereits in der Parlamentsdirektion eingetroffen und an alle Fraktionen weitergeleitet worden sei.

Abgeordneter Dr. Jörg Haider (Freiheitliche) weist auf einige Widersprüche zwischen der Erklärung des Bundeskanzlers und dem vorliegenden „Entwurf eines Berichtes des Rates“ zur Erweiterung hin. Überdies stehe der Aussage von Bundeskanzler Mag. Klima über die Absicht, weitere Belastungen der Nettozahlerposition Österreichs zu vermeiden, die am 13. Oktober 1997 geäußerte Meinung des österreichischen Finanzministers entgegen, daß sich aus der Er­weiterung der EU eine Verdoppelung der Nettokosten für Österreich von 13 auf 27 Milliarden Schilling ergeben werde.

Der Finanzminister halte den Kohäsionsfonds für die südlichen Mitgliedstaaten künftig für ent­behrlich. Dem vorgelegten Bericht nach aber scheine es nicht zum Auslaufen dieses Fonds zu kommen, weil eine größere Gruppe für die Erhaltung dieser Strukturhilfen eintrete. Die Position der österreichischen Regierung sei unklar, weil anzunehmen sei, daß solche Berichte auch mit österreichischer Zustimmung zustande kommen.

Auf der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion werde sogar zwischen nomineller und realer Konvergenz unterschieden. Solange die Einkommensverhältnisse in den südlichen Län­dern nicht an das Niveau der weiter entwickelten Staaten angenähert sein werden, müßten laut Aussage des Berichtes die Kohäsionsmittel verfügbar bleiben. Dies stehe in eklatantem Wider­spruch zu den Aussagen des Bundeskanzlers.

Österreich habe seit dem EU-Beitritt eine nicht unerhebliche Steigerung der Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen, zugleich sei die Manövrierfähigkeit in der Budgetpolitik und Arbeitsmarktpolitik infolge des Mittelabflusses beeinträchtigt worden. Schon jetzt sei die Dotierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik gemäß den Vereinbarungen von Luxemburg ein Problem, weil erhebliche Mittel in Richtung Pensionsfonds transferiert worden seien.

Deshalb sei noch nicht hinreichend klar, wozu die Regierung wirklich steht. Das vorliegende Dokument als Entwurf zu bezeichnen, fordere nur die Frage heraus, wozu dann solche unver­bindlichen Unterlagen vorgelegt werden. Gefordert seien klare Stellungnahmen der Regierung zum Kohäsionsfonds und zur Entwicklung in der Nettozahlerposition.

Deutschland habe erkennen lassen, daß es eine Verringerung der Belastungen aus der Netto­zahlerposition für möglich halte. Von Österreich seien solche Aussagen nicht zu vernehmen; im Gegenteil ließen die in dem vorgelegten Bericht aufgelisteten 45 Milliarden ECU für Zwecke der Osterweiterung sogar eine zusätzliche Belastung für Österreich erwarten.

Dazu sei eine Stellungnahme des Bundeskanzlers erforderlich, nicht aber eine Interpretation des Außenministers.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel er­läutert noch einmal, daß der „Entwurf eines Berichtes des Rates“ mangels einstimmiger Mei­nung nach der Diskussion im Rat am Vortag in einen Bericht der Präsidentschaft umgewandelt werde. Dieser Bericht gebe insbesondere in den heiklen Punkten der Agenda 2000 ausschließ­lich verschiedene Meinungen wieder. Daher sei dies kein Beschluß.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima legt dar, daß Österreich es ablehne, die Kohäsionsfonds zu einer Dauereinrichtung zu machen, und daß er in seinem Bericht fairerweise gleich auf den da­mit verbundenen Gegensatz zu einigen Kohäsionsländern hingewiesen habe. Dies sei ein Bei­spiel für die Fairneß der Argumentation in seinem Einleitungsstatement, und in diesem Sinne möge sein Bericht verstanden werden.

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) hält die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen auf den drei zur Diskussion stehenden Levels für eine interessante Lösungsentwicklung. Damit sei sowohl eine Motivation für potentielle Beitrittskandidaten als auch die Aufnahme konkreter Verhandlungen verbunden.

Abgeordneter Dr. Spindelegger fragt den Bundeskanzler, wie Österreich auf die zusätzliche Belastung seines Arbeitsmarktes infolge seiner Lage an der Grenze zum Erweiterungsbereich reagieren könne, welche Folgen der Ostöffnung sich für 1997 abzeichnen – zu hören sei von gewaltigen Handelsbilanzüberschüssen – und welche Chancen sich für die österreichische Wirt­schaft im Falle des Vollbeitrittes mittel- und osteuropäischer Länder ergeben.

Den Vizekanzler fragt Abgeordneter Dr. Spindelegger nach den Schnittstellen zwischen „Ost alt“ und „West neu“. Darüber sei in der Agenda 2000 außer dem Vorschlag der Reduktion auf drei Zielgebiete wenig zu lesen. Die Frage sei, ob es möglich sein werde, den Kommissionsvor­schlag substantiell in Richtung auf Schaffung eines neuen Zielgebietes zu verändern, oder ob unter dem Titel der vage definierten Zielgebietskulissen die Grenzräume in das Ziel-1-Gebiet einbezogen werden könnten.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) begrüßt die in dem Bericht zum Ausdruck kommende Bereitschaft zur Aufnahme von Gesprächen mit elf Beitrittskandidaten, weil dies über die zuvor bestehende Einschränkung auf fünf osteuropäische Kandidaten sowie Zypern hinausgehe.

Es sei zu bedauern, daß keine schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung vorliegt. Auch wenn sie die Lage fortwährend ändere, sei eine solche konkrete Darlegung der Regierungsposi­tion hilfreich.

Ein Zeitplan für interne Reformen der EU zur Vorbereitung der Osterweiterung sei nicht vorge­legt und damit die eigentliche Aufgabe der Regierungskonferenz nicht erfüllt worden. Abgeord­nete Mag. Kammerlander fragt daher, ob ein Zeitplan für eine entsprechende Institutionenreform bestehe und wie er aussehe.

Ein europäisches Finanzausgleichssystem sei nach Ansicht der Grünen ein notwendiger Re­formansatz, um geeignete Voraussetzungen für die Osterweiterung zu schaffen. Bisher sei nur über die reformbedürftigen Strukturfonds gesprochen worden, diese könnten jedoch kein Ersatz für ein Finanzausgleichssystem sein. Dieses sei mit einer Steuerharmonisierung zu koppeln.

Die Probleme der Beschäftigungssituation in Europa würden sich ohne Vorbereitung der Oster­weiterung verschärfen. Abgeordnete Mag. Kammerlander fragt nach dem Stand der Diskussion über diese Frage.

Eine Sonderförderung der Grenzregionen sei in einem weiteren Rahmen zu sehen. Auch grenz­überschreitende Kooperation insbesondere wirtschaftlicher Art solle entsprechend gefördert werden. Es gelte, eine geeignete Definition für grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit zu finden. Daher fragt Abgeordnete Mag. Kammerlander nach den Plänen für die Sonderförde­rung der Grenzregionen.

Die nukleare Sicherheit sei in dem vorliegenden Dokument nicht hinreichend berücksichtigt. Für die Debatte der EU-Osterweiterung müßten verbindliche Atomausstiegskonzepte erstellt wer­den.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) ersucht die grüne Fraktion, ihrem Abgeordneten zum Europäischen Parlament Johannes Voggenhuber die besten Genesungswünsche für die in Aus­übung seines Dienstes in Brüssel erlittenen Verletzungen zu übermitteln.

In der Sache gibt Abgeordneter Schieder zu bedenken, daß eine Zeit kommen könne, in der eine öffentliche Aussprache wie die heutige über das Verhalten der verschiedenen EU-Mitglied­staaten nicht mehr möglich ist, und begrüßt die gestiegenen Chancen für diejenigen Beitritts­werber, die nicht zu den ersten Verhandlungskandidaten gehören.

Über die Förderungen seien weitergehende Kenntnisse wünschenswert, denn es habe keinen Effekt mehr, wenn alle gefördert werden: die einen, weil sie die ersten sind, die anderen zum Zweck des Aufholens und die dritten als eine Art Trostpflaster, weil sie nicht aufgenommen werden.

Da Vizekanzler Dr. Schüssel über die Position mancher Länder und seine persönliche Meinung gesprochen habe, stelle sich die Frage nach der wirklichen Haltung Österreichs in der Frage der Finanzierung in den einzelnen Gruppen.

Nach Ansicht von Abgeordnetem Schieder seien vor allem Aufholprozesse förderungswürdig. Diejenigen bedürften am dringendsten einer Unterstützung, die aus eigener Kraft einen bereits abgefahrenen Zug erreichen wollen.

Es sei weiters wünschenswert, daß das Acquis-Screening auch den Bereich der Menschen­rechte bereits einbezieht, und es mangle an Informationen darüber sowie über die Abgrenzung dieser Problematik zwischen der Europäischen Konferenz, der Konferenz Europarat/OSZE und gegebenenfalls einem – nicht begrüßenswerten – dritten unterschiedlichen Menschenrechts­standard. Von allen Beteiligten solle der gleiche Menschenrechtsstandard angewandt werden, auch von der EU im Rahmen des Acquis-Screenings. (Obmannstellvertreter Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)

Abgeordnete Dr. Martina Gredler (Liberales Forum) bekundet ihr Mißfallen darüber, daß wochenlang die Pensionen von Arbeitnehmern der ÖBB, jedoch nur zwei Stunden lang die EU-Osterweiterung beziehungsweise die Agenda 2000 besprochen werde, obwohl es dabei um grundlegende Reformen gehe, die weit über die Erweiterung hinausreichen.

Wenn Bundeskanzler Mag. Klima den Wert von 1,27 Prozent als Plafond nenne, sei nicht klar, ob die Beträge in dieser Höhe eingefroren werden sollten. Auch stelle sich die Frage, wie der Bundeskanzler zu dem Vorhaben in der Agenda 2000 steht, in Ziel-1- und Ziel-2-Gebieten nur jeweils ein mehrjähriges Programm je Region zu fördern, und wie dies mit einer Sonderförde­rung von Grenzregionen vereinbar sei.

Es sei auch offen, aus welchen Budgetteilen solche Förderungen finanziert werden sollen: aus dem Strukturfonds, aus PHARE-Mitteln oder aus neu kreierten Budgetteilen.

Unklar sei, welche Position in der Stellungnahme von Landwirtschaftsminister Mag. Molterer ver­treten wird: jene des Landwirtschaftsministeriums oder jene der Bundesregierung. Solche schriftlichen Stellungnahmen seien auch aus den anderen Bereichen der Bundesregierung wünschenswert.

Zu dem Satz der Kommission in der Agenda 2000 „Die Erweiterung der Europäischen Union muß daher zum Ziel haben, die stabilisierende Wirkung der Ausweitung der NATO zu ergänzen“ sei eine authentische Interpretation erforderlich, nachdem der Ratspräsident und der Kommis­sionspräsident zu US-Präsident Clinton gereist seien, um die EU-Erweiterung zu besprechen. Vor diesem Hintergrund dränge sich die Vermutung auf, daß Österreich keine Chance gehabt hätte, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, wenn die NATO bereits damals einen neuen Markt gesucht hätte.

Daher stelle sich die Frage, ob den künftigen NATO-Mitgliedern Priorität bei der Aufnahme ein­geräumt werde und welche Planungen hinsichtlich einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und der WEU bestehen. Für Österreich sei dies von besonderer Relevanz, da die Bundesregierung für 1998 die Vorlage des Optionenberichtes angekündigt hat. Eine offene Diskussion über die österreichische Sicherheitsstruktur sei überfällig.

Da des öfteren vom Vetorecht innerhalb der EU die Rede gewesen sei – Griechenland habe ein Veto in bezug auf die Türkei eingelegt, die Südländer drohten mit einem Veto im Falle unterblei­bender Zusicherungen über Finanztransfers –, sei zu fragen, ob es auch Bereiche gibt, in denen Österreich zu einem Veto veranlaßt sein könnte, oder ob Österreich wie Deutschland die Posi­tion vertritt, wichtige Themen wie den Finanzrahmen oder die Agrarstrukturen in den Beratungen auszuklammern.

Abgeordnete Dr. Gredler fragt weiters, wie Österreich zur Fokussierung auf die drei von der Kommission erwähnten Bereiche steht und ob es österreichische Sonderwünsche in bezug auf diese Förderungen gibt.

Das Liberale Forum trete dafür ein, jedes aufnahmewillige Land individuell zu betrachten und die Verhandlungen entsprechend zu führen. So führe beispielsweise die Bevorzugung Estlands zu Spannungen innerhalb der baltischen Staaten. Es gelte zu verhindern, daß dort regionale Pro­bleme geschaffen werden, wo sie derzeit noch nicht bestehen. Auch sei auf die Konkurrenz zwischen Tschechien und der Slowakei Rücksicht zu nehmen.

Es sei zu begrüßen, daß die Bundesregierung nicht dem Appell des niederösterreichischen Lan­deshauptmannes gefolgt ist, mit einem Schulterschluß der Bundesländer eine vorzeitige Erwei­terung zu verhindern.

Abgeordnete zum Europäischen Parlament Ursula Stenzel (ÖVP) erläutert, daß auch im Europäischen Parlament in allen Fraktionen Stimmen für und wider die Osterweiterung zu hören gewesen seien, wobei jedoch ein Bewußtsein für die historische Aufgabe gegeben sei.

Diese Aufgabe komme auch auf Österreich für die Zeit seiner Präsidentschaft im zweiten Halb­jahr 1998 zu. Österreich sei auch unter der Annahme in die EU aufgenommen worden, daß es aufgrund seiner geopolitischen Lage und seiner historischen Beziehungen zu diesem Raum eine besonders konstruktive Rolle bei der Osterweiterung spielen wird.

Es dürften nicht nur die Belastungen gesehen werden, sondern müßten auch die Chancen er­blickt werden. Die Ostöffnung habe im Zeitraum von 1989 bis 1996 eine Zunahme des Exports im Ausmaß von 123 Prozent bewirkt. Dabei sei der Überschuß in der Handelsbilanz mit den mittel- und osteuropäischen Ländern von 7,7 Milliarden auf 23 Milliarden Schilling gestiegen. Dieser boomende Markt weise wesentlich höhere Wachstumsraten als der EU-Durchschnitt auf. Davon seien auch beschäftigungschaffende Impulse zu erwarten.

Außerdem seien aber Belastungen absehbar, da die Osterweiterung nicht zum Nulltarif zu haben sein werde. Dazu gehöre ein enormes, überproportionales Ausmaß einer Landwirtschaft, die nicht den westlichen Standards entspreche, eine nicht wettbewerbsfähige, subventionierte Schwerindustrie und die Gefahr der Migration von Billiglohn-Arbeitskräften, die nach Österreich drängen.

Aus diesem Grund habe die ÖVP gemeinsam mit dem Abgeordneten zum Europäischen Parla­ment Dr. Swoboda einen Antrag für die gemeinsame, schwierig zu akkordierende Stellung­nahme des Europäischen Parlaments eingebracht: für Ausnahmeregelungen und Übergangs­fristen bei der Freizügigkeit des Verkehrs, für die Förderung der Grenzregionen und für die Hebung der Sicherheitsstandards in den Kraftwerken der Beitrittskandidaten bei einer lang­fristigen Perspektive des Ausstiegs aus der nuklearen Energiegewinnung.

Eines der Hauptprobleme sei die Deckelung des Nettozahlerbeitrages. In dem Ziel, daß die Er­weiterung keine zusätzlichen Belastungen mit sich bringen dürfe, stimme die österreichische Position mit der deutschen überein. Es seien Spielräume vorhanden, die es zu nutzen gelte. Vor diesem Hintergrund fragt Abgeordnete zum Europäischen Parlament Stenzel die Regierungsmit­glieder, inwieweit sie sich dabei der deutschen Strategie anschließen könnten und wie aus­sichtsreich das österreichische Begehren sei, keine zusätzlichen Zahlungen für die Osterweite­rung leisten zu müssen.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima hält in realistischer Einschätzung die Erwartung, daß es über die Fragen nach der Art der Organisation der Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten hinaus wesentliche Festlegungen geben werde, für eine Überfrachtung des bevorstehenden Gipfeltreffens von Luxemburg.

In dem unterbreiteten Vorschlag der Präsidentschaft sei nichts anderes als unterschiedliche Meinungen von Staaten enthalten. Bundeskanzler Mag. Klima wäre sehr überrascht, wenn es beispielsweise zu einer Einigung auf eine Deckelung bei 1,27 Prozent des Bruttoinlandsproduk­tes käme.

Zu erwarten sei daher nichts anderes als eine Einigung über das Verfahren zur Gestaltung des zu erwartenden jahrelangen Beitrittsprozesses. Niemand gehe davon aus, daß es bereits in wenigen Jahren einen neuen Beitritt geben werde. Österreich habe sich auch gegenüber den Beitrittskandidaten mutig stets einer klaren und offenen Sprache bedient und der Versuchung widerstanden, auf Reisen in die verschiedenen Hauptstädte euphorische Zukunftshoffnungen zu wecken.

Vielmehr habe Österreich immer die Ansicht vertreten, daß es zeitgerecht zu dem nunmehr mit Beginn im März 1998 geplanten Prozeß kommen werde, in dessen Verlauf sehr detaillierte, ernsthafte Verhandlungen nötig sein werden. Es gelte, sowohl die Beitrittskandidaten als auch die EU-Mitgliedstaaten vor schockartigen Entwicklungen im Wirtschafts- und Sozialsystem zu schützen.

Auch Österreich sei erst sechs Jahre nach Einreichung des Ansuchens auf Aufnahme beigetre­ten. Es sei besonders wichtig, eine geeignete Formel für den Verhandlungsbeginn zu finden, um nicht bereits jetzt einzelne Staaten zu isolieren oder zurückzustoßen und dadurch wirtschaftli­chen Schwierigkeiten auszusetzen. Es dürfe nicht dazu kommen, daß sich die internationalen Investitionsströme gleichsam schlagartig auf die bevorzugten Kandidaten fokussieren. Zur Wahrung gleicher Chancen müsse ein möglichst wenig bis nicht diskriminierendes Verfahren gefunden werden.

Österreich habe die osteuropäischen Staaten ehrlicherweise immer wieder auf spezifische Pro­bleme in einzelnen Sektoren hingewiesen, welche Übergangsfristen nötig machten, weniger in zeitlicher als in qualitativer Hinsicht. Denn ein schlagartiges Öffnen für den freien Arbeitnehmer­verkehr sei bei 80 Prozent Lohnunterschied keiner Wirtschaft zumutbar. Auch im Hinblick auf beispielsweise den Finanzsektor oder die Wirtschaftsstruktur müßten die Beitrittskandidaten Zeit zur qualitativen Anpassung und Vorbereitung auf die Wettbewerbsregeln der Europäischen Union bekommen.

Es gehe jedoch auch um den Schutz der in der EU betroffenen Regionen. Die Betroffenheit neh­me mit dem Quadrat der Entfernung ab, sodaß britische Industrielle die Osterweiterung anders sähen als österreichische Kleinunternehmer in Grenznähe. Deshalb dringe Österreich darauf, besondere Gegebenheiten in Dienstleistungs-, Agrar- oder Arbeitnehmerbereichen zu berück­sichtigen.

In diesem Sinne sei die besondere Unterstützung der Grenzregionen zu sehen. Dabei seien Pro­bleme nach Art der heute auch in Österreich zu beobachtenden zu vermeiden, die daraus entstehen, daß Orte deshalb attraktiver für Betriebsansiedlungen sind, weil sie im Ziel-1-Gebiet liegen.

Es sei verfrüht, jetzt schon weitergehende inhaltliche Festlegungen zu fordern. Für die Finanzplanung der Jahre 2000 bis 2006 sei eine Einigung über Strukturfondsverordnungen, die Ende 1999 auslaufen, herbeizuführen. Auch in der Frage der Agrarreform gebe es keinen aktuellen Zeitdruck, jedoch gebe die nächste WTO-Runde den Zeithorizont vor.

Unbestritten sei, daß die Reformen vor dem ersten Beitritt abgeschlossen sein müssen. Aber beispielsweise sei im Rahmen der finanziellen Vorschau für den Agrarbereich rein theoretisch nicht unbedingt eine Reform – beispielsweise der Förderungsstrukturen – notwendig, solange es nicht zu einem Beitritt kommt.

Es bestehe allerdings der Wille, diese Fragen bis zur Erstellung der finanziellen Leitlinie für 2000 bis 2006 zu klären. Unter rein zeitlichen Aspekten könne sich im Hinblick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 1999 sogar die Auffassung ergeben, daß bereits unter öster­reichischer Präsidentschaft wesentliche Fragen der Haushaltsplanung zu entscheiden sein könnten.

Tatsächlich werde es im März 1998 einen Vorschlag – höchstwahrscheinlich der Kommission – über die Finanzierungsaspekte geben. Eine Anpassung der Ende 1999 auslaufenden Struktur­fondsverordnungen werde im Hinblick auf die finanzielle Gesamtperspektive erforderlich sein. Die Reformen müßten nachhaltig vor dem ersten Beitritt geschehen; dieser Satz sei mit einem Rufzeichen zu versehen.

Österreich verfolge das Ziel, seine Nettozahlerposition nicht zu verschlechtern und eine Ober­grenze von 1,27 Prozent des BSP festzuschreiben. Jedoch werde es schwierig sein, die Qua­dratur des Kreises zu schaffen, wenn die Nettoempfänger nicht weniger empfangen und die Nettozahler nicht mehr zahlen wollen und zugleich künftige neue Mitglieder einen fairen Aus­gleich zur Unterstützung und Förderung bekommen sollen.

Aus gesamtpolitischer Sicht bringe die Erweiterung der Europäischen Union eine große Chance für die wirtschaftliche Entwicklung Europas mit sich. Dabei gehe es nicht um ein Nullsummen­spiel, sondern um eine gemeinsame Gewinnposition, in der zur Steigerung des Lebensstan­dards in den mittel- und osteuropäischen Ländern beigetragen wird und die EU-Staaten vom Außenhandel profitieren. Dies eröffne auch der österreichischen Wirtschaft die Chance, große Marktanteile zu gewinnen. Vorsicht sei jedoch im Hinblick auf exogene Schocks geboten.

In Luxemburg werde festgelegt werden, wie dieser Prozeß begonnen wird. Jedoch werde es noch einige Jahre bis zur Aufnahme neuer Beitrittskandidaten dauern. Zu hoffen sei, daß es keine Rücksetzung von Staaten geben wird. Denn dies könne zum Verlust der Bereitschaft und der Kraft zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung im Sinne eines gemeinsamen Europas führen.

Abgeordnete zum Europäischen Parlament Daniela Raschhofer (Freiheitliche) präzisiert, daß laut Agenda 2000 die nächsten Beitrittsschritte 2003 oder 2004 erfolgen würden. Sie hält Bundeskanzler Mag. Klima entgegen, daß akuter Handlungsbedarf für Agrar- und Strukturrefor­men bestehe, sodaß die Aussage, es bestehe kein Zeitdruck, ebensowenig nachvollziehbar sei wie die Aussage, daß eine Agrarreform zur Einleitung von Erweiterungsverhandlungen nicht not­wendig sei.

Es stelle sich prinzipiell die Frage nach den Kosten der Osterweiterung und nach denjenigen, die dafür aufzukommen haben werden. Vergangene Woche sei im Europäischen Parlament eine Stellungnahme zur Finanzierung der Osterweiterung verabschiedet worden, die eine andere Wertung der Bestrebungen, eine Eigenmittelobergrenze von 1,27 Prozent festzuschreiben, nahelege. Darin heiße es, daß die Mitteilung über eine solche Obergrenze auf keiner wirklichen Schätzung des zukünftigen Bedarfes an Finanzmitteln beruhe, sondern daß lediglich die Kom­mission die derzeitige Obergrenze für unantastbar erklärt habe.

Weiters sei die Erwartung eines Wirtschaftswachstums in Höhe von 2,5 Prozent pro Jahr mög­licherweise zu hoch veranschlagt, in welchem Fall eine Fehleinschätzung der Höhe der zu lukrierenden Einnahmen vorläge und der Finanzierungsrahmen gefährdet wäre. Damit bestünde die falsche Hoffnung, den Prozeß der Erweiterung ohne zusätzliche Kosten einleiten zu können.

Eine Umschichtung im Agrarbereich, von der sich die Kommission die Freisetzung neuer Mittel erwarte und für die es in Brüssel den Titel „virtuelle Einsparungen“ gebe, bedürfe legislativer Be­schlüsse, die angesichts der divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten schwer durchsetzbar erschienen.

Das gesamte Finanzszenario der Osterweiterung weise also zahlreiche Löcher auf und stehe auf sehr wackeligen Beinen. Bundeskanzler Mag. Klima möge daher die Frage beantworten, wie und für welchen Zeitraum er diese 1,27-Prozent-Obergrenze garantieren wolle.

Die Finanzplanung in der Agenda 2000 gehe überdies von der Annahme einer Erweiterung um 5 + 1 aus. Wenn jedoch die Verhandlungen ein offener, niemanden ausschließender Prozeß sein sollten, könne diese Planung nicht zutreffen, sodaß Bundeskanzler Mag. Klima Auskunft darüber geben möge, wie seine Aussage über die Deckelung mit 1,27 Prozent des BIP mit seiner Aussage über den offenen Verhandlungsprozeß vereinbar sei.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima führt aus, daß unter einem offenen Prozeß ein Verhand­lungsverlauf zu verstehen sei, der Veränderungen in der Gruppe der 5 + 1 Kandidaten zuläßt. So sei zum Beispiel die Slowakei in wirtschaftlicher Hinsicht anders zu bewerten als in demokra­tiepolitischer und minderheitenrechtlicher Perspektive, und nach eventuellen politischen Verän­derungen dort sei eine neue Verhandlungsgruppe 6 + 1 denkbar.

Eine Garantie für die Länge dieses Prozesses und den Kreis derer, mit denen es zu einem Ver­handlungsabschluß kommen wird, könne niemand abgeben. Klar sei nur, daß es einer Reform vor dem ersten Beitritt bedürfe. Weiters sei Österreich mit der Mehrheit der Mitgliedstaaten der Ansicht, daß auch nach der Erweiterung der Plafond von 1,27 Prozent Gültigkeit haben solle.

Bundeskanzler Mag. Klima stellt fest, daß er sich nicht gegen Anstrengungen beispielsweise für eine Neuorientierung der Agrarpolitik im Sinne einer Ökologisierung und einer besseren Förde­rung der Bergbauern ausgesprochen habe. Vielmehr sei der Wille und das Bestreben auf solche Ziele gerichtet. Doch könne dies nicht für einen Zeitpunkt vor Festlegung der Haushaltsleit­linien 2000 bis 2006 versprochen werden.

Derzeit könne nur die entsprechende Absicht bekräftigt, aber kein Versprechen abgegeben werden. Es sei zu bezweifeln, daß es bereits in Luxemburg zum Beispiel zu einer Festlegung auf die 1,27-Prozent-Obergrenze kommen wird. Dort werde es darum gehen, zu Beginn eines mehr­jährigen Verfahrens die Eckpunkte zu bestimmen.

Bundeskanzler Mag. Klima fügt hinzu, daß er damit seine abschließende Stellungnahme ab­gegeben habe, da er nunmehr wegen anderweitiger Verpflichtungen diese Sitzung verlassen müsse.

Abgeordneter Mag. Johann Ewald Stadler (Freiheitliche) meldet sich zur Geschäftsordnung zu Wort und verweist auf das Protokoll der Präsidialsitzung vom 4. Dezember 1997. Darin sei – ebenso wie im Protokoll der letzten Präsidialsitzung – nicht die Rede davon, daß die Anwesen­heit des Bundeskanzlers in dieser Sitzung des Hauptausschusses mit 18 Uhr begrenzt werde. Vielmehr sei der heutige Termin ausdrücklich so gewählt worden, daß beide zuständigen Regie­rungsmitglieder, sowohl der Bundeskanzler als auch der Außenminister, über die gesamte Dauer der Sitzung anwesend sein könnten.

Abgeordneter Mag. Stadler betrachtet es als Affront, in einer so wichtigen Materie dem Haupt­ausschuß wiederum nur eine Stunde zur Verfügung zu stehen.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima ersucht um Unterstützung des Präsidenten, da ihm von der Vorsitzführung eine entsprechende Vereinbarung zugesagt worden sei.

Obmannstellvertreter MMag. Dr. Willi Brauneder verweist auf eine Mitteilung von Obmann Dr. Fischer, der zufolge der Bundeskanzler das Haus zwischen 18 Uhr und 18.15 Uhr verlassen müsse.

Abgeordneter Mag. Johann Ewald Stadler (Freiheitliche) stellt fest, daß eine solche Vereinba­rung nicht in der Präsidialkonferenz getroffen und daher auch nicht protokolliert worden sei. Offensichtlich sei dies eine SPÖ-interne Vereinbarung. Bei Fixierung des heutigen Termins sei ausdrücklich auf die dauernde Anwesenheit beider zuständigen Regierungsmitglieder abgestellt worden. Dies gehe aus dem Text des Protokolls über eine geplante zweistündige Diskussion mit beiden Referenten der einleitenden Stellungnahmen eindeutig hervor.

Auch sei der Termin deshalb noch für einen Zeitpunkt vor der EU-Regierungskonferenz festge­legt und die Dauer denkbar gering bemessen worden.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) hält dem entgegen, daß schon bei der ursprünglichen Planung die Rede von der jeweils einstündigen Anwesenheit von Bundeskanzler und Außenmi­nister gewesen sei. Nunmehr seien beide bereits 1,5 Stunden anwesend gewesen und Staats­sekretär Dr. Wittmann hinzugekommen, der Außenminister werde weiterhin anwesend bleiben, und überdies seien alle Fragen ausführlich beantwortet worden.

Die Bereitschaft der Regierungsmitglieder, Rede und Antwort zu stehen, sei daher deutlich sicht­bar geworden.

Abgeordneter Mag. Johann Ewald Stadler (Freiheitliche) verweist auf die von Parlaments­direktor Dr. Wasserbauer vorgenommene Protokollierung der Vereinbarung über die Redezeit, wonach im Anschluß an die Stellungnahmen der Regierungsmitglieder eine zweistündige De­batte stattfinden solle.

Abgeordnete Dr. Martina Gredler (Liberales Forum) hält es für beschämend, angesichts der bestehenden geopolitischen Lage eine so wichtige Frage in zwei Stunden abzuhandeln.

Im Gegensatz zu der Ansicht von Abgeordnetem Schieder, daß alle Fragen beantwortet worden seien, sei der Bundeskanzler noch nicht auf die Frage nach der Verbindung zur NATO einge­gangen.

Abgeordneter Dkfm. DDr. Friedrich König (ÖVP) verweist auf die Gepflogenheit im Aus­schuß, daß die Minister wechseln und die Debatte weitergeht. Eine Vereinbarung in der Präsi­diale hätte eindeutig formuliert werden müssen, um nachträglichen Auslegungen vorzubeugen. Die Interpretation von Abgeordnetem Mag. Stadler widerspreche der bisherigen Übung, daß jeweils einer der Herren eine Stunde lang die Regierungsbank einnimmt.

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ) verweist darauf, daß es noch des öfteren in den zuständigen Ausschüssen notwendig sein werde, die Frage der Osterweiterung zu debattieren. In dieser Sitzung gehe es um die in Luxemburg auf der Tagesordnung stehende Gestaltung der Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten.

Die von der Abgeordneten zum Europäischen Parlament Raschhofer vorgenommene Zitierung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Finanzierung der Osterweiterung sei wider­sprüchlich hinsichtlich der Skepsis gegenüber den Wachstumserwartungen und dem daraus ab­leitbaren Finanzierungsspielraum sowie der eigentlich nur vom Europäischen Parlament immer wieder vertretenen Ansicht, daß man sich nicht auf 1,27 Prozent als Obergrenze des Bruttobei­trages festlegen solle. Dort fordere das Europäische Parlament im Gegensatz zur Kommission und zum Rat Flexibilität ein, und auch Österreich widerspreche dieser Position des Parlaments.

Dies allein sei jedoch noch nicht ausschlaggebend für die Frage der künftigen Belastungen. Nach Berechnungen des österreichischen Finanzministeriums könne sich selbst im Falle einer 1,27-Prozent-Deckelung aufgrund der in der Agenda 2000 angedeuteten Entwicklung der öster­reichische Nettobeitrag erheblich erhöhen.

Daher stelle sich die Frage nach den Richtlinien für die Reform der Fonds. Die südeuropäischen Länder seien nicht gewillt, ihnen heute zufließende Förderungen zu verlieren. Dies sei kritisch zu hinterfragen, denn wenn sich einige dieser Länder sogar für die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion qualifizieren könnten, sei zu überprüfen, ob bereits ein hinreichendes Ausmaß an Konvergenz erreicht worden ist. Damit stelle sich auch die Frage nach dem Fortbestand der Kohäsionsfonds.

Zwar wollten die Nettozahler nicht mehr als bisher bezahlen, aber wenn die Strukturfonds so ge­ändert werden, daß bisherige Nettoempfänger weniger bekommen, so führe dies unter Umstän­den zu geringeren Rückflüssen aus den Strukturfonds an die Nettozahler. Daher könne auch die Veränderung der Strukturfonds das Ergebnis einer Erhöhung des österreichischen Beitrages mit sich bringen.

Dies führe letztlich zu der Auffassung, daß die Osterweiterung nicht zum Nulltarif zu haben sein werde, weder für die südeuropäischen Staaten noch für die Nettozahler. Je früher dies erkannt werde, desto früher werde es möglich sein, dabei eine konstruktive Rolle zu spielen.

Aus den Berichten von Bundeskanzler und Außenminister jedoch lasse sich entnehmen, daß sich die Mitgliedstaaten derzeit in ihren bekannten Positionen eingraben und daher die Zielrich­tung einer Lösung noch nicht absehbar sei.

Bisher zu kurz gekommen sei die vom Europäischen Parlament angesprochene Frage der sozialen Konvergenz zwischen den Beitrittsländern und den heutigen Mitgliedstaaten der Euro­päischen Union. Denn die Osterweiterung könne nur dann allen Beteiligten einen Gewinn brin­gen, wenn nicht die Sozialstandards in Westeuropa noch weiter unter Druck kommen, sondern eine allgemeine Hebung des Sozialklimas in Europa das Ergebnis ist. Darauf sei die Agenda 2000 bisher viel zu wenig eingegangen.

Die Frage sei auch für die österreichische Debatte wichtig, mit welchen Maßnahmen verhindert werden kann, daß die Osterweiterung zu einem Fallbeil für die Sozialstandards in Westeuropa wird.

Obmannstellvertreter MMag. Dr. Willi Brauneder teilt mit, daß Bundeskanzler Mag. Klima noch 15 Minuten lang für Anfragen zur Verfügung stehe, daß drei Anträge vorlägen, auf die noch nicht Bezug genommen worden sei, und daß es durch die Stundeneinteilung eine Art Redezeit­beschränkung gebe, und zwar im Umfang von derzeit noch 15 Minuten für die SPÖ, 19 Minuten für die ÖVP, 17 Minuten für die Freiheitlichen, 12 Minuten für das Liberale Forum und 14 Minu­ten für die Grünen.

Abgeordneter Ing. Mathias Reichhold (Freiheitliche) weist darauf hin, daß die Agrarreform wegen der 1999 beginnenden GATT/WTO-Verhandlungen Aktualität besitze. Das vorliegende Reformpaket führe für die österreichische Landwirtschaft zu Nettoverlusten in Höhe von 1,5 Mil­liarden Schilling, und dies sei nach Expertenansicht nur die Untergrenze angesichts der Rand­lage Österreichs zu den Exporthäfen und der Nähe zu den Agrarmärkten der zukünftigen Mit­glieder in Osteuropa.

Abgeordneter Ing. Reichhold fragt, ob die österreichische Bundesregierung bereit sein werde, diese Nettoverluste – die Möglichkeit dazu bestehe gemäß Agenda – auf nationaler Ebene aus­zugleichen. Realistisch erscheine eine Schätzung deutscher Agrarexperten, wonach die Ein­kommensverluste in der Landwirtschaft 20 Prozent betragen werden. Finanzminister Edlinger habe bereits festgestellt, daß Österreich seine Nettozahlerposition nur im Fall massiver Ab­striche bei den Agrarförderungen werde halten können. Vor diesem Hintergrund sei eine Stel­lungnahme des Bundeskanzlers wünschenswert.

Die Agenda 2000 lasse nicht das Ziel einer ökologischen Produktionsweise erkennen – wie auch der Präsident des Ökosozialen Forums, Riegler, festgestellt habe –, sondern sei auf die weitere Industrialisierung der Landwirtschaft ausgerichtet. Aufgrund der massiven Preissenkungen sei es nicht mehr möglich, in Österreich kostendeckend zu arbeiten. Daher seien weitere landwirt­schaftliche Betriebsstillegungen und die Entsiedelung des ländlichen Raumes zu befürchten.

Für eine dauerhafte Absicherung der Ausgleichszahlungen gebe es in der Agenda keine An­haltspunkte. Deshalb möge der Bundeskanzler sagen, ob es in Österreich eine dauerhafte Ab­sicherung geben wird.

Nicht plausibel sei der Vorschlag der Abgeordneten zum Europäischen Parlament Stenzel, die Osterweiterung mit dem Kohäsionsfonds zu finanzieren. Infolge der realen Kürzung der Struktur­förderung werde es vor allem zu einer Ausdünnung der Förderungsmittel für den ländlichen Raum kommen.

Abgeordneter Ing. Reichhold fragt Bundeskanzler Mag. Klima weiters, ob das als eigenständige nationale Förderungsmaßnahme geltende österreichische Umweltprogramm aufrechterhalten werden könne, wie Österreich auf die Randlage zu den agrarischen Exporthäfen und die Nähe zu den Agrarmärkten der zukünftigen Mitglieder in Osteuropa reagieren werde und wie sich der Bundeskanzler die künftige Organisation der Strukturfonds vorstelle sowie ob es ein eigenes agrarisches Zielgebiet geben werde.

Zu diesen Fragen bringt Abgeordneter Ing. Reichhold nunmehr auch formell den Antrag auf Stellungnahme gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG der Abgeordneten Dr. Haider, Mag. Stadler und Kollegen betreffend EU-Osterweiterung und Agenda 2000 ein.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) präzisiert den Antrag, auf dessen Inhalt sie mit den Fragen ihres ersten Beitrages zur heutigen Debatte Bezug genommen hat. Dieser An­trag gehe von zwei Voraussetzungen aus: der Etablierung eines europäischen Finanzaus­gleichssystems einschließlich einer Steuerharmonisierung und dem verstärkten Einsatz grenz­überschreitender Regionalprojekte im Rahmen der Strukturfonds.

Weiters sei eine Phase von Beitrittsgesprächen vorgesehen, in der über den bilateralen Rahmen hinaus Kriterien und entsprechende Mindestlevels im Bereich der Sozial-, Beschäftigungs- und Umweltstandards zu erarbeitet sind, denn sonst könnten daraus, daß diese Standards in manchen Ländern niedriger sind, Wettbewerbsvorteile entstehen, und größere Konkurrenz so­wie stärkere regionale Disparitäten wären die Folge.

Diese Forderung nach Ausgleichssystemen und Mindeststandards unterscheide die Position der Grünen von den in den heutigen Stellungnahmen der Regierungsmitglieder zum Ausdruck ge­kommenen Standpunkten.

Im Verlauf von Gesprächen mit allen Beitrittskandidaten könne sich herausstellen, mit welchen von ihnen aufgrund ihrer weiter fortgeschrittenen Angleichung konkrete Verhandlungen zu führen sind. Mit den anderen Kandidaten seien Strategien zu schrittweiser Heranführung zu ent­wickeln. Auch die Beziehung zu den Ländern, die nicht den Wunsch nach Mitgliedschaft in der Europäischen Union haben, solle im Hinblick auf die Anhebung von Standards intensiviert werden, damit nicht – nach Art der Verhältnisse in Amerika – ein Vorhof Europas entstehen könne, der infolge günstigerer Bedingungen auch Standortverlagerungen nach sich zieht.

Dieser Antrag sei allgemein genug gehalten, daß ihm – ohne daß dies realistischerweise er­wartet werden könne – auch andere Fraktionen beitreten könnten. Darin sei auch die Frage der nuklearen Sicherheit angesprochen, indem – entsprechend der österreichischen Position dazu – die Forderung nach konkreten Atomausstiegskonzepten als Voraussetzung für die Beitrittsver­handlungen erhoben wird.

Auch wenn die Bundesregierung keinen konkreten Zeitplan vorlegen könne, sei von ihr doch die Benennung eines realistischen Zeithorizontes für den bevorstehenden Erweiterungsprozeß zu fordern. Denn ohne jegliche zeitliche Festlegung sei zu befürchten, daß es zur Verabreichung von „Beruhigungspillen“ – beispielsweise in Form der NATO-Osterweiterung – an die Beitritts­kandidaten kommen könne.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel hält die Forderung nach Übergangsregelungen für berechtigt und notwendig. Dies habe sich auch am Beispiel des österreichischen Beitritts erwiesen. Angesichts des teils extrem unterschied­lichen volkswirtschaftlichen Niveaus habe man die Zerstörung der Industrie in den weniger ent­wickelten Ländern zu gewärtigen.

Den Wünschen der Beitrittskandidaten nach entsprechenden Safeguards stünden auf EU-Seite Wünsche hinsichtlich Arbeitsmarktregelungen oder Dienstleistungsfreiheit gegenüber. Die Ver­handlungen darüber könnten vernünftig und glatt vor sich gehen. Österreich habe dieses Thema nie verschwiegen und sei damit auf großes Verständnis gestoßen.

Vizekanzler Dr. Schüssel zeigt sich dankbar für die in allen Fraktionen erkennbare Unterstüt­zung der Idee, den Grenzregionen Sonderförderungen zukommen zu lassen. Der beste Weg für deren technische Abwicklung werde sich erst finden lassen, nachdem die anderen Mitglied­staaten dafür gewonnen worden sind, und darum werde es ein hartes Match geben. Daher könne derzeit auch gar nichts versprochen werden. Über die Verhandlungsfortschritte werde die Bundesregierung regelmäßig informieren.

Vor der Idee eines europäischen Finanzausgleichs sei dringend zu warnen. Der Kohäsionsfonds sei eine vergleichbare Einrichtung, und die österreichischen Bedenken dagegen seien hin­reichend bekannt. Ähnliches gelte für alle Strukturfonds, und in gewisser Weise übe auch die europäische Landwirtschaftspolitik heute Finanzausgleichsfunktionen aus. Es würden bereits jetzt auf europäischer Ebene gewaltige Anstrengungen unternommen, so etwas wie einen Finanzausgleich durchzuführen.

Nunmehr etwas völlig Neues zu verlangen, ist Vizekanzler Dr. Schüssel nicht bereit, zumal in den verschiedenen Anträgen absolut kontradiktorische Positionen feststellbar seien. Dies würde ein Vielfaches von dem kosten, was derzeit schon aufgewendet wird. Auch sei die Oster­weiterung nicht zum Nulltarif zu haben, wie Abgeordneter Dr. Gusenbauer gesagt hat. Abge­ordnete zum Europäischen Parlament Raschhofer habe darin recht, daß die Annahmen der Kommission über die Finanzierung zu hinterfragen sein werden, und deshalb habe auch der Rat die Kommission um Präzisierung ersucht.

Die Agenda liege derzeit nur als Dokument der Kommission vor, und dazu seien seit einem halben Jahr mühsam die nationalen Positionen aufgebaut worden. Aber die Entscheidungs­phase sei noch meilenweit entfernt.

Die Frage des Abgeordneten Schieder nach dem Schlüssel für PHARE beantwortet Vizekanzler Dr. Schüssel damit, daß er tatsächlich seine eigene Meinung dazu zum Ausdruck gebracht hat. Es sei eine realistische Konzeption, die Mittel nicht nur auf die 5 + 1 Kandidaten zu konzen­trieren und dadurch die übrigen Beitrittswerber verstärkt auszugrenzen.

Derzeit sei häufig zu hören, daß die Erweiterung ein Problem sei, und dies könne auch zutref­fen, wenn sie zum falschen Zeitpunkt und ohne hinreichend sorgsame Verhandlungen vor sich geht. Aber was, fragt Vizekanzler Dr. Schüssel, ist dazu die Alternative? Welche Konsequenzen hätte es, wenn den elf Ländern, die sich um eine europäische Perspektive bemühen, eine ab­schlägige Antwort gegeben wird? Was sei zu erwarten an politischer Instabilität und an wirt­schaftlichen Gegenmaßnahmen?

Nicht von ungefähr seien schon bisher in diesen Ländern 15 000 Joint ventures aufgebaut wor­den. Würde die Europäische Union nunmehr keine Verhandlungsbereitschaft zeigen, so stellte sich für diese Länder auch die Frage nach ganz anderen strategischen Optionen. Es sei zu fragen, ob eine Rückkehr zu den Kraftfeldern aus der Zeit des kalten Krieges wünschenswert sein könne.

Deshalb müsse in der Abwägung der Risiken und Chancen prinzipiell die positive Grundeinstel­lung außer Streit gestellt sein. Dabei trage Österreich eine besondere Verantwortung. Hier müsse auch die europäische und die nachbarschaftliche Funktion dieses Landes gesehen werden und von hier müßten die Menschen, die sich selbst vom Kommunismus befreit hätten, eine positive Behandlung erfahren.

Zum Generalvorbehalt Griechenlands gegen den Vorschlag der Präsidentschaft sei festzustel­len, daß dafür angesichts der türkischen Sondersituation, ständiger Verletzungen der Lufthoheit und massiver Bedrohungen der territorialen Integrität Verständnis aufgebracht werden müsse. Es sei nicht fair, diesen Generalvorbehalt zu einem unzulässigen negativen Veto umzumontie­ren.

Nicht nötig sei es, am Text der Kommission über die stabilisierende Wirkung der Erweiterung der NATO Exegese zu betreiben. Die neuen NATO-Mitglieder würden keine Sonderbehandlung im Rahmen der EU-Verhandlungen bekommen.

Es wäre falsch, für das Ende der Verhandlungen einen bestimmten Zeitpunkt festzulegen. Dies habe auch die Kommission nicht getan, sondern sie habe ein Szenario entworfen, in dem vom Jahr 2003 an bestimmte Beträge angesetzt werden, ohne daß damit der Abschluß vorwegge­nommen worden wäre.

Der Hinweis auf die wirtschaftliche und soziale Konvergenz in den Kandidatenländern sei auf österreichischen Wunsch in den Text der Präsidentschaft aufgenommen worden. Mit wachsen­dem Ausmaß der Annäherung werde der Migrationsanreiz sinken. Deshalb werde in der Phase vor dem Beitritt viel Geld eingesetzt, um diese Volkswirtschaften auf ein höheres Niveau zu brin­gen.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima antwortet Abgeordneter Dr. Gredler, daß Länder, die sich für den NATO-Beitritt entschieden haben, in keiner Weise bevorzugt würden. Wäre die NATO-Mitgliedschaft ein Kriterium, so hätten Österreich, Schweden und Finnland nicht der EU beitre­ten können, und es sei anzunehmen, daß für alle Staaten der Europäischen Union gilt, daß die Nähe zur NATO keinen Einfluß im Hinblick auf Diskriminierung oder Bevorzugung habe.

Dem Wunsch der Abgeordneten Mag. Kammerlander nach Benennung konkreter Termine stehe entgegen, daß es unverantwortlich sei, durch Hantieren mit konkreten Zeitangaben in den betroffenen Staaten falsche Erwartungen zu wecken. Beitrittszeitpunkte seien nicht nur von den EU-Mitgliedstaaten abhängig, sondern auch von der wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Entwicklung in den Kandidatenländern.

Daher sei es fairer, qualitative Anforderungen festzulegen, auch wenn es viel leichter wäre, mit Angaben über frühe Termine die Sympathie der Beitrittskandidaten zu gewinnen. Es sei ehr­licher, ordentliche und ernsthafte Verhandlungen in Aussicht zu stellen, wobei darauf hingewie­sen werden könne, daß die Erweiterung der Europäischen Union aus friedens- und wirtschafts­politischen Erwägungen für notwendig erachtet wird.

Das bevorstehende Gipfeltreffen in Luxemburg dürfe nicht mit Entscheidungshektik betrachtet werden. Dort werde es außer der Entscheidung über die Verhandlungsgestaltung keine Festle­gungen geben.

Bundeskanzler Mag. Klima antwortet dem Abgeordneten Ing. Reichhold, daß es zwar richtig ist, daß die WTO-Verhandlungen 1999 beginnen werden, jedoch habe die Friedensklausel im Agrarbereich bis zum Jahr 2003 Gültigkeit, und bis dahin müßten die Verhandlungen spätestens abgeschlossen werden. Deshalb sei ein wenig Zeit, jedoch sei es die politische Absicht, die Neustrukturierung der Agrarpolitik so rasch wie möglich durchzuführen.

Österreich nehme einen überproportional hohen Anteil der Förderungsmöglichkeiten im Rah­men des Ökologieprogramms der Europäischen Union für sich in Anspruch. Eine Nutzenopti­mierung für Österreich müsse genauso das Ziel sein wie die Erhaltung der Einkommenssituation der österreichischen Bauern. Eine funktionierende österreichische Landwirtschaft hält Bundes­kanzler Mag. Klima für wesentlich. Jedoch sei eine Einkommensgarantie – gleichsam valorisiert für alle Ewigkeit – für eine bestimmte Berufssparte wirtschaftlich schwer möglich und kaum vor­stellbar.

Nach dieser Stellungnahme verläßt Bundeskanzler Mag. Klima um 19.07 Uhr die Sitzung.

Abgeordneter Dkfm. DDr. Friedrich König (ÖVP) hebt hervor, daß die Vorgangsweise im Rahmen der Beitrittsverhandlungen der Gegenstand des Gipfeltreffens in Luxemburg sei. Die Gliederung in drei Ebenen stelle sicher, daß alle Kandidaten von Anfang an dabei sind. Das bilaterale Screening des Acquis mit jedem einzelnen der elf Staaten bedeute, daß von Anfang an entsprechender Druck ausgeübt und entsprechende Hilfe geleistet werden kann.

Zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten dürfe es nicht auf zu unterschiedlichem Niveau kommen. Neben dem Acquis gehe es daher auch um die Annäherung des Niveaus der Umwelt- und Sozialstandards.

Die Agrarpolitik könne so, wie sie in der Agenda 2000 aufscheint, von Österreich ebensowenig wie von Deutschland akzeptiert werden. Es gehe um Verhandlungen und nicht um Vorleistungen für die WTO. Jedoch könne man sich nicht – wie die Freiheitlichen – auf der einen Seite besorgt zeigen und auf der anderen Seite in einem Antrag die Renationalisierung der Agrarpolitik for­dern. Dies in Verbindung mit dem Ziel der Erhaltung des Arbeitsplatzes Bauernhof zu fordern, sei nicht möglich, weil dies zu einem erbarmungslosen Krieg unter den Mitgliedstaaten der EU führen würde, der Verhandlungen nach außen mit der WTO ausschließe.

Die Erhaltung einer gemeinsamen Agrarpolitik sei die Voraussetzung zur Durchsetzung der Er­fordernisse der österreichischen Landwirtschaft, und dem stünde eine Renationalisierung entge­gen.

Ein gesatzter europäischer Finanzausgleich sei mit höheren Kosten verbunden und daher aus Sicht der ÖVP abzulehnen.

Den Freiheitlichen sei vorzuhalten, daß sie eine Reduktion der österreichischen Nettozahlungen fordern und es zugleich für unrealistisch halten, die Bruttozahlungen mit 1,27 Prozent limitieren zu können. Wenn es gelinge, die Zahlungen aus den Strukturfonds an diejenigen, die schon lange Empfänger von Strukturhilfen sind, zu verringern, dann gelte dies auch für die Geber­länder.

Es sei unzutreffend, der Abgeordneten zum Europäischen Parlament Stenzel vorzuhalten, sie habe vorgeschlagen, die Osterweiterung durch Streichung des Kohäsionsfonds zu finanzieren. Sie habe nur gesagt, daß von Ländern, welche die Bedingungen für die dritte Stufe der WWU erfüllen, auch angenommen werden könne, daß diese Länder nicht mehr auf den Kohäsions­fonds angewiesen sind.

Infolge einer Reform der Strukturfonds würden zwangsläufig alle entwickelten Länder, Nehmer- und Geberländer gleichermaßen, weniger Unterstützung bekommen. Die Frage der Nettozah­lungen hänge wesentlich davon ab, den Spielraum auszuschöpfen. In Wirklichkeit sei es so, daß viele Beträge verfallen, weil der Spielraum nicht genützt wird.

Wenn Abgeordneter Dr. Haider sich gegen die Finanzierungsmaßnahmen ausspreche, wenn er nicht erhöhen und zugleich weniger bezahlen wolle, solle er doch gleich offen sagen, daß er die Aufnahme osteuropäischer Länder nicht wünsche, statt sich hinter unerfüllbaren Bedingungen zu verschanzen.

Wesentlich sei es, die Übergangsbedingungen in den für Österreich besonders wichtigen Berei­chen sicherzustellen: in der Landwirtschaft, in der Freizügigkeit der Personen beziehungsweise Niederlassungsfreiheit und im Verkehr.

Abgeordneter Mag. Reinhard Firlinger (Freiheitliche) konstatiert in der Agenda 2000 eine grundsätzliche und durchgehende Schwachstelle, nämlich das Fehlen einer makroökonomi­schen Studie über die Auswirkungen der Osterweiterung insgesamt auf die einzelnen National­staaten. Daran sei in der letzten COSAC-Konferenz in Luxemburg von fast allen Mitgliedstaaten Kritik geübt worden.

In der Agenda 2000 seien zahlreiche Betrachtungen über mögliche Finanzierungen angestellt worden, jedoch fehlten konkrete Angaben darüber, wieviel die Osterweiterung wirklich kosten kann. Um die echten Beitrittskosten zu ermitteln, müsse man über den Finanzrahmen weit hinausgehen.

Im Gegensatz zur Auffassung des Abgeordneten Dr. Gusenbauer, daß man mit den Verhand­lungen einmal beginnen und die weitere Entwicklung abwarten solle, seien klare Ziele zu setzen. Zuvor sei überdies festzustellen, wieviel beispielsweise die Finanzierung höherer Arbeitslosigkeit und die Abwanderung von Betrieben die Nationalstaaten kosten wird. Dies sei den zu erwarten­den Vorteilen gegenüberzustellen, und dafür seien mehrere Szenarien zu erstellen. Eine solche seriöse Vorgangsweise lasse die Kommission vermissen.

Wenn Vizekanzler Dr. Schüssel nach der Alternative zur Osterweiterung fragt, sei ihm zu ant­worten, daß den Beitrittsaspiranten die Wahrheit zu sagen und ein realistisches Bild zu vermit­teln sei. Obwohl Bundeskanzler Mag. Klima unvertretbaren Zusagen eine Absage erteilt habe, sei doch von ihm kein Widerspruch gegen Irrmeinungen zu hören gewesen, sodaß auch die österreichische Bundesregierung – zumindest indirekt – zu denjenigen gehöre, die falsche Er­wartungen geweckt hätten.

Dem Einwand von Vizekanzler Dr. Schüssel, daß dies nicht zutreffe, hält Abgeordneter Mag. Firlinger entgegen, daß vor einem Jahr der ungarische Außenminister im Rahmen des Be­suches einer großen ungarischen Delegation im österreichischen Parlament seiner Verwunde­rung über kritische Stimmen in Österreich gegen den EU-Beitritt Ungarns Ausdruck gegeben habe. Daraus lasse sich die Schlußfolgerung auf falsche Erwartungen ziehen, die von österrei­chischen Politikern geweckt worden seien.

Es sei die Aufgabe der Struktur- und Kohäsionsfonds gewesen, für einen Ausgleich zu sorgen, jedoch sei dieser Ausgleich offensichtlich nicht zustande gekommen. Wäre es dazu gekommen, so hätte Bernhard Friedmann, der Präsident des Europäischen Rechnungshofes, nicht kürzlich feststellen können, daß die zu erwartenden 6 Millionen Arbeitsplätze, die seit 1989 aus Mitteln des Strukturfonds hätten geschaffen werden müssen, nirgendwo zu entdecken seien.

Es sei nicht unrealistisch, eine Beitragsreduktion zu fordern. Dies lasse sich auch der Äußerung von Staatssekretärin Dr. Benita Maria Ferrero-Waldner vom 2. August 1997 entnehmen, daß sie sich dem deutschen Weg, netto weniger zahlen zu wollen, gerne anschließen würde.

Abgeordneter Dr. Ewald Nowotny (SPÖ) hält die Befürwortung einer Strategie der Annähe­rung an die Türkei, die langfristig einen Beitritt nicht ausschließt, in dem vorliegenden Entwurf für einen Bericht des Rates für äußerst problematisch. Denn ein Land, das überwiegend nicht zum europäischen Bereich gehöre, habe sinnvollerweise keine Möglichkeit, Mitglied der Euro­päischen Union zu sein. Ein solcher Schritt sei als ein Element der Zerstörung der EU zu werten.

Tatsächlich nehme es niemand für bare Münze, auch nicht auf längere Sicht, daß die Türkei beitreten könnte. Aber eine solche diplomatische Floskel sei nicht unproblematisch, und es sei für alle Beteiligten besser, klare Verhältnisse zu schaffen, die in normalen bilateralen Beziehun­gen bestünden. Das strategische Interesse an der Türkei sei Sache der entsprechenden Gremien, beispielsweise der NATO, jedoch dürfe dies keine Bindung für die EU bedeuten.

Österreich solle seinen Einfluß geltend machen, um Klarheit gegenüber den Staaten zu schaffen, welche die Anforderungen auf Dauer nicht erfüllen könnten.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) stellt in bezug auf das Verhältnis von Agrarreform und Beschäftigung fest, daß eine zur Vorbereitung neuer Beitritte durchgeführte, wirkliche Agrarre­form nur zu Lasten von Arbeitsplätzen in diesem Bereich erfolgen könne. Angesichts der ange­spannten Arbeitsmarktlage in Europa sei unklar, wie es vor diesem Hintergrund zu einer Agrar­reform kommen könnte.

Fraglich sei die Glaubwürdigkeit der Datenlage der Beitrittswerber. Abgeordneter Dr. Cap fragt nach einer objektiven Stelle, welche die Datenlage im Hinblick auf deren Seriosität als Verhand­lungsgrundlage überprüfen könnte.

Zu fragen sei auch, ob die Osterweiterung ohne Diskussion über eine Institutionenreform in die Wege geleitet werden könne.

Eine weitere Frage richtet sich auf den Umfang der Sonderförderung für Grenzregionen und darüber hinaus auf eine entsprechende grundsätzliche Wirksamkeitsperspektive.

Außerdem fragt Abgeordneter Dr. Cap, warum nicht ein Weg der Zwischenschritte gewählt wurde, der beispielsweise über Verträge oder eine Art Wirtschaftsraum geführt hätte, und warum die Entscheidung für eine Vorgangsweise fiel, die mit dem Beitritt enden müsse.

Abgeordneter Ing. Wolfgang Nußbaumer (Freiheitliche) hält den Regierungen der EU-Mit­gliedstaaten vor, sie würden die Größenordnung und die Einflüsse der Osterweiterung verken­nen.

Wenn jetzt schon ein Abbau der Agrarförderungen praktisch zu ländlicher Entvölkerung führe oder wenn die Aufhebung der Kohäsionsfonds sofort einen Finanzausgleich nach sich ziehen würde, sei ausnahmsweise dem früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hänsch, zuzustimmen, wenn er sagt, daß die erweiterte Union bankrott gehen werde, wenn die jetzige ökonomische und soziale Fehlrechnung fortgesetzt wird, daß jeder zweite EU-Bürger in einer Region lebt, die Anspruch auf Beihilfen aus Brüssel hat.

In der Stellungnahme des Abgeordneten Dr. König sei schließlich herausgekommen, daß die Nettozahlungen größer werden; von den Regierungsmitgliedern stehe dieses Eingeständnis noch aus. Den Unterlagen sei zu entnehmen, daß die Beitrittskandidaten ohne Ausnahme Netto­empfänger seien. Daher stehe Österreich als Nettozahler bei einem größeren Kreis von Netto­empfängern die Zahlung höherer Beiträge ins Haus.

Vor diesem Hintergrund habe die Bundesregierung Auskunft darüber zu geben, mit welchen Maßnahmen Österreich seine Nettozahlungen in gleicher Höhe halten oder gar reduzieren wolle, wenn gleichzeitig der Haushaltsausschuß des Europäischen Parlaments feststelle, daß der Pro­zeß der Erweiterungen nicht ohne zusätzliche Kosten eingeleitet werden könne. Über diese für März 1998 geplante Einleitung aber werde bereits am kommenden Wochenende entschieden.

Da der Zeitpunkt des Beitrittes von der Erfüllung der Beitrittskriterien abhängig sei und derzeit keines der Bewerberländer diese Kriterien erfülle, ergebe sich die Frage, auf welche Weise mit 25 Milliarden ECU die Erreichung der Kriterien gelingen soll. Die deutsche Osterweiterung habe 320 Milliarden ECU gekostet, und an sich erfüllten die neuen deutschen Bundesländer bis heute nicht diese Kriterien. Im Rahmen dieser Erweiterung kamen 16 Millionen Bürger hinzu, wogegen die EU-Osterweiterung im Falle von 5 + 1 80 Millionen und im Falle von 10 + 1 120 Millionen neue Bürger beträfe.

Diese Größenordnungen seien es, die von den Regierungen nicht bedacht werden.

Abgeordnete Annemarie Reitsamer (SPÖ) bemängelt in den vorliegenden Unterlagen das Fehlen eines umfassenderen Kapitels zur Sozialpolitik. Angesichts dessen seien beschwichti­gende Worte über soziale Konvergenz fehl am Platz. Entsprechendes gelte für die Beschäfti­gungspolitik. Darüber sei im zweiten Kapitel des zweiten Teiles der Agenda eine eher resigna­tive Feststellung und kein Ansatz für eine Problemlösung zu finden.

Beim Beitritt Österreichs habe die Bundesregierung zugesichert, daß es zu keinem Sozialabbau kommen werde und die unterschiedlichen Sozialstandards innerhalb der EU angenähert werden sollten. Dies sei noch nicht der Fall, wie auch in der Agenda zum Ausdruck komme. Daher wäre ein Lückenschluß in diesem Bereich vorrangig gegenüber einer Erweiterung.

Die soziale Lage in den beitrittswilligen Ländern müsse genau überprüft und dafür Mindest­standards festgelegt werden. Allerdings werde trotzdem eine Wohlstandsdifferenz bestehen bleiben. Auf dem Arbeitsmarkt werde sich weniger ein Migrationsproblem als ein Problem mit Auspendlern ergeben. Dieses Problem lasse sich im Ansatz bereits heute feststellen. Beispiels­weise böten sogenannte Selbständige aus Tschechien mit Touristenvisum in Österreich ihre Mit­arbeit im Bereich der sozialen Dienste an. Dadurch komme es zu Preisdumping und Minder­qualität.

Daher fragt Abgeordnete Reitsamer, ob Österreich einen Stillstand in der Sozialpolitik der EU im Verlauf der Beitrittsverhandlungen verhindern könne, wie man sich die Angleichung der unter­schiedlichen Sozialstandards innerhalb der EU vorstelle und welche Standards den Beitritts­kandidaten zur Überwindung des bestehenden Gefälles vorgegeben werden.

Es sei weiters notwendig, eine funktionierende und stabile Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und damit eine Art Sozialpartnerschaft herzustellen. Daher sei die Frage nach dem österreichischen Beitrag dazu – insbesondere in der Zeit seiner Präsidentschaft – zu stellen.

Abgeordnete Dr. Martina Gredler (Liberales Forum) bringt formell ihren Antrag betreffend Ost­erweiterung und Agenda 2000 „Die Erweiterung der Union – Eine Herausforderung“ ein. Insbe­sondere gelte es, die Verhandlungen so früh wie möglich zu beginnen und individuell zu führen.

Überdies gehe es um die Abschaffung der Todesstrafe und um die Energiepolitik. Abgeordnete Dr. Gredler stellt fest, daß sie noch nie ein so effizientes Wirken der Atomlobby erlebt habe wie in der Kommission. Wenn es in der Agenda 2000 heiße, daß die Kernkraftwerke auf interna­tionale Sicherheitsstandards zu bringen seien, dann gehe es nicht um die Förderung erneuer­barer Energiequellen oder die Planung des Ausstiegs aus der Atomkraft, sondern vielmehr um die Aufrüstung der bestehenden Kernkraftwerke, damit sie möglichst lange bestehen bleiben.

Vizekanzler Dr. Schüssel möge entschieden Stellung dagegen beziehen, daß bloß die Unsicher­heit von Kernkraftwerken ein bißchen minimiert werde.

Da ihr bisher keine schriftlichen Unterlagen über die Planung für die Strukturfonds vorliegen, fragt Abgeordnete Dr. Gredler, wann sie mit einer Stellungnahme der Bundesregierung zum Finanzrahmen und darüber, welches Ziel Österreich vor Eintritt in die intensive Phase der Ver­handlungen erreichen will, rechnen kann.

Da geplant sei, bis zum Jahr 2006 die Ausgaben im Rahmen von Ziel-1- und Ziel-2-Gebieten auf einen Bevölkerungsanteil von 35 bis 40 Prozent – gegenüber derzeit 51 Prozent – zu reduzieren, ergebe sich die Frage, wen dies betreffen soll und wann es dazu kommen wird.

Würden künftig tatsächlich zwei Drittel der Strukturfondsmittel für Ziel-1-Regionen verwendet werden, da dort die durchschnittliche Arbeitslosenquote um 60 Prozent über dem Unionsdurch­schnitt liegt, so werde dies zu massiven Änderungen führen.

Wenn die Kommission vorschlägt, daß die Erweiterung zum Ziel haben müsse, die stabilisie­rende Wirkung der Ausweitung der NATO zu ergänzen, um die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu fördern, sei zu befürchten, daß Österreich überrollt wird. Es ergebe sich auch die Frage, warum die Präsidenten des Rates und der Kommission aus­schließlich zum Präsidenten der USA reisen, um die Erweiterung der EU zu diskutieren, welche Rolle die USA in diesem Prozeß spielen und daß Österreich dabei von der Kommission als Appendix bewertet werde.

Mit der Kommission müsse ein ernstes Wort über die von ihr gewählten Formulierungen in offiziellen Dokumenten gesprochen werden.

Abgeordneter Mag. Johann Ewald Stadler (Freiheitliche) stellt fest, daß den Regierungsmit­gliedern in dieser Sitzung ein Stimmungsbild habe vermittelt werden können, auch ein Bild von der Stimmung in der SPÖ. Was in Presseaussendungen von SPÖ-Abgeordneten zum Euro­päischen Parlament über die Osterweiterung zu lesen ist, stehe in diametralem Gegensatz zu Äußerungen von Bundeskanzler Mag. Klima.

Auch die Abgeordneten Dr. Nowotny und Dr. Cap legten nunmehr eine kritischere Haltung zur Osterweiterung an den Tag, vor allem gegenüber der Türkei. Die Meinung der Freiheitlichen stimme in diesem Punkt mit der Meinung des Abgeordneten Dr. Nowotny überein, denn es könne nicht auch irgendwann einmal Timbuktu in die EU aufgenommen werden, nur weil es an eine EU-Außengrenze grenze.

Mißfallen ausdrückende Gesten des Abgeordneten Schieder seien nicht verständlich, da die Abgeordneten Dr. Nowotny und Dr. Cap korrekte Positionen zum Ausdruck gebracht hätten. Auch den Ausfüh­rungen der Abgeordneten Reitsamer lasse sich einiges abgewinnen, da eine Wanderungsbewe­gung im Ausmaß von 700 000 Menschen möglich scheine.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) stellt in Abrede, daß bestehende Einrich­tungen wie die Strukturfonds ein hinreichender Ersatz für ein europäisches Finanzausgleichs­system sein könnten.

Selbstverständlich seien Kosten der Osterweiterung zu erwarten, aber es gehe um die Reich­weite der Einschätzung. Erforderliche, aber unpopuläre Maßnahmen zu vermeiden, zeuge eben­falls von politischer Naivität, da solche Unterlassungen zu großen sozialen, regionalen und wirt­schaftlichen Ungleichheiten führen würden.

Im Vergleich zu einer Entwicklung ohne Osterweiterung sei es besser, wenn die osteuro­päischen Länder als Mitglieder in ein System von Mindeststandards eingebunden und die Kon­kurrenzlage entsprechend beeinflußt werden kann.

Wenn Abgeordneter Dr. Nowotny die Türkei nicht als Teil Europas betrachte, sei dies eine politische Plattheit, da Europa in politischer Hinsicht weniger nach den Grenzen des Kontinents definiert werde als nach der politischen Verfaßtheit der einzelnen Länder. So betrachtet, gehöre die Türkei zu Europa.

In der Osterweiterung gehe es nicht nur um wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern vor allem um ein politisches Konzept von einem zukünftigen Europa. Dieses Konzept solle grundsätzlich auch die Länder einschließen, die so etwas wie politische Krisenherde sind. Auch deshalb sei die Türkei einzubeziehen. Zwar stelle sich die Frage nach der richtigen Vorgangsweise, aber es sei ein großer politischer Fehler, die Türkei grundsätzlich auszuschließen. Dies gelte auch für die Slowakei, da dieser Staat derzeit ebenfalls nicht der in der EU geforderten demokratischen Verfaßtheit entspreche.

Die Erkenntnis der Abgeordneten Reitsamer über mangelnde Sozialstandards in der EU sei richtig, komme aber etwas spät.

Völlig verfehlt sei es, wenn die Freiheitliche Partei der Ansicht sei, einen Schritt zurück zu einer Nationalisierung tun zu können, denn dafür seien zu viele Integrationsschritte gesetzt worden.

Die Osterweiterung sei langfristig einer der wesentlichen Integrationsschritte in der Euro­päischen Union. Daher gelte es die Art der Annäherung an dieses Ziel zu diskutieren. Wer glaube, diesen Integrationsschritt langfristig verhindern und damit den vorhandenen Problemen ausweichen zu können, sei naiv.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel hält es für legitim, die Szenarien der Kommission zu kritisieren. Aber es sei zu Beginn eines Pro­zesses unumgänglich, bestimmte Annahmen zu treffen. Beispielsweise seien Vorstellungen über Übergangsregelungen, Safeguards und Bedingungen, über die mit den Kandidaten ver­handelt werden muß, zu entwickeln. Nicht zulässig aber sei es, zum Zweck der Verzögerung alles so lange zu prüfen, bis am Ende das Ergebnis bereits überholt ist.

Vizekanzler Dr. Schüssel äußert die Ansicht, die Kommission habe in dieser Hinsicht nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet und alle relevanten ökonomischen Daten eingear­beitet.

Was die Türkei betrifft, gehe es darum, einen sehr umfassenden Begriff europäischer Politik zu beschreiben. Derzeit leben 370 Millionen Einwohner in den Mitgliedstaaten der EU, und im Falle einer Osterweiterung in vollem Umfang kämen 110 Millionen hinzu. Wenn im Mittelmeerraum einige Nahost- und nordafrikanische Länder hinzugezählt werden, da die Europäische Union dorthin spezifische Bindungen hat, erweitere sich das Ausmaß um eine weitere viertel Million Menschen. Auch Länder wie die Ukraine oder Rußland dürften von einer europäischen Politik nicht per definitionem ausgeschlossen werden.

Aufgrund dieser Überlegungen ist Vizekanzler Dr. Schüssel der Ansicht, daß der Begriff einer europäischen Politik diesen Kreis von ungefähr 1 Milliarde Menschen einschließen müsse. Dies heiße nicht, daß jedes dieser Länder Mitglied der Europäischen Union werden kann oder wird. Wohl aber müßten alle diese Menschen in eine europäische Strategie eingebunden sein.

Darum gehe es auch im Fall der Türkei. Sie stehe auf einem europäischen und einem asia­tischen Bein. Im Islam gebe es de facto zwei Modelle, das laizistische Modell der Türkei und das Gottesstaats-Modell des Iran. Die Europäische Union müsse überlegen, welche Signale sie an die fünfzig islamischen Staaten aussende. Fatal sei das Signal an die Türkei, daß kein Wunsch nach ihrer Einbindung in eine europäische Strategie bestehe. Zugleich aber werde der Türkei in Luxemburg klargemacht werden, daß sie nicht an den Verhandlungen teilnimmt.

Die Türkei verstehe, daß sie derzeit kein Kandidat ist. Ministerpräsident Yilmaz habe während seines Besuches in Wien vor ein paar Wochen selbst gesagt, daß die Türkei nicht damit rechne, in zehn Jahren Mitglied der Union zu sein. Aber die Perspektive, in vielleicht erst zwei oder drei Generationen Mitglied zu werden, benötige die Türkei für ihre inneren Reformen und als Antrieb, sich für den europäischen, laizistischen, westlichen, marktwirtschaftlichen und menschenrecht­lichen Weg zu entscheiden. Diesen Ball gelte es aufzunehmen.

Je mehr Bedingungen gestellt werden, desto weniger werde die Türkei teilnehmen können, jedoch sei es wichtig, mit ihr den politischen Dialog zu führen, insbesondere jetzt zur Zeit einer nicht islamischen Regierung. Der Einfluß des Militärs sei zwar nicht begrüßenswert, aber eine solche Machtverteilung sei einem Premierminister vorzuziehen, der für seinen ersten Staatsbe­such den Weg nach Teheran wählt.

Zur Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe als Verhandlungsbedingung sei anzumerken, daß es nach wie vor Mitglieder der Europäischen Union gibt, welche die Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben.

Aus österreichischer Sicht sei die Forderung nach Schließung der Atomkraftwerke verständlich, aber da die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten selbst Atomkraftwerke betreibt, sei dies nicht Gegen­stand des Acquis communautaire. Die Position zur nuklearen Sicherheit, welche die Kommis­sion auf Drängen Österreichs in der Agenda 2000 festgeschrieben hat, gebe eine sehr vernünf­tige Linie vor, auf der aufgebaut werden könne. Dabei seien übertriebene Forderungen zu ver­meiden.

Es sei eine mißverständliche Interpretation, daß Kommissionspräsident Santer allein mit US-Präsident Clinton die Erweiterung der Union diskutiert habe. Vielmehr habe es Gespräche im Rahmen des regelmäßigen transatlantischen Dialogs der Europäischen Union mit den USA gegeben. Daran nehme der Präsident des Rates, der Vorsitzende des Allgemeinen Rates und der Präsident der Kommission teil, und dort werde über alle relevanten Fragen gesprochen. Vizekanzler Dr. Schüssel verweist darauf, daß er – ebenfalls zur Information eines interessierten Partners – erst gestern mit mexikanischen Repräsentanten über die Erweiterung der Europäi­schen Union gesprochen habe.

Präsident Santer könne nicht vorgeworfen werden, daß er quasi heimlich über NATO und Bei­trittsverhandlungen konferiert habe. Für neue NATO-Mitglieder werde es keine Sonderbehand­lung im Rahmen der Erweiterung geben.

Auch wenn derzeit kein Beitrittswerberland die Aufnahmebedingungen erfülle, sei dies kein Hin­dernis für den Beginn von Verhandlungen und die Vorbereitung auf die Erfüllung der Kriterien. Der Vergleich mit der deutschen Wiedervereinigung sei absolut falsch. Denn dort seien sämt­liche Altschulden und die gesamten Pensionslasten übernommen worden und dort gebe es eine einheitliche Währung, wie sie nicht mit allen Beitrittskandidaten von Beginn der Verhandlungen an möglich sein werde, es sei denn, sie erfüllen alle Konvergenzkriterien.

Es sei auch deshalb nicht zulässig, die deutsche Wiedervereinigung als Modell für die Kosten der Osterweiterung der Europäischen heranzuziehen, weil die Union auch für keines ihrer Mit­gliedsländer bürge.

Die Frage der Beschäftigung sei in der Agenda 2000 – wenngleich zuwenig ausführlich – ange­sprochen. Die Sensibilität der Kommission dafür sei noch nicht hinreichend ausgeprägt. Das Sozialprotokoll sei seit der Konferenz von Amsterdam Teil des Acquis, sei aber in der Substanz derzeit noch sehr dünn, da die einzelnen Mitgliedstaaten nur geringes Interesse hätten, die Mindeststandards für soziale Sicherheit zu erhöhen.

Wenn die Agrarreform ausbleibe, werde es zu dramatischen Überschüssen kommen. Im Rah­men der neuen Agrarpolitik versuche Österreich, Elemente aufzunehmen, die vor allem der För­derung der Familienbetriebe dienen. Dabei sei eine auf Obergrenzen und einer stärkeren fami­lienpolitischen Ausrichtung beruhende Vorgangsweise wünschenswert.

Eine Senkung im Bereich der Strukturfonds und die Bevölkerungskulisse seien derzeit in Ver­handlung. Österreich trete dafür ein, so wenig wie irgend möglich von der Bevölkerungskulisse herzugeben. Es stehe zu erwarten, daß darüber ein Verhandlungsprozeß im Dialog mit den Abgeordneten stattfinden wird.

Obmannstellvertreter MMag. Dr. Willi Brauneder läßt über die drei Anträge auf Stellung­nahme gemäß Art. 23e Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz abstimmen.

Der Antrag der Abgeordneten Dr. Haider, Mag. Stadler und Kollegen, der Antrag der Abgeord­neten Mag. Kammerlander und der Antrag der Abgeordneten Dr. Gredler bleiben jeweils in der Minderheit und sind somit abgelehnt.

Danach schließt Obmannstellvertreter Dr. Brauneder die Sitzung.

Schluß der Sitzung: 20.04 Uhr

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