IV-25 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP
Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
Dienstag, 4. Mai 1999
Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier
Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
XX. Gesetzgebungsperiode Dienstag, 4. Mai 1999
Tagesordnung
1. ECOFIN-Rat am 9. und 10. Mai 1999
RAT 6872/99 ECOFIN 45 SOC 101
Europäischer Beschäftigungspakt
(66227/EU XX. GP)
Stellungnahme des Deutschen Bundesministeriums der Finanzen und des Deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum Europäischen Beschäftigungspakt
(66954/EU XX. GP)
COM KOM (99) 143 endg.
Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft
(66840/EU XX. GP)
2. WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot
COM KOM (99) 81 endg.
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament
WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot
(66065/EU XX. GP)
3. Bericht der Bundesregierung gemäß § 11 des Bundesgesetzes über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik 1984 im Finanzjahr 1998 (Vorlage 175/HA)
4. Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler und den Bundesministern für auswärtige Angelegenheiten und für Inneres betreffend Hilfeleistung für Vertriebene aus dem Kosovo; vorübergehende Erweiterung der Entsendung von Kräften des Bundesheeres zur humanitären Hilfeleistung gemäß § 1 Z 1 lit. b in Verbindung mit § 2 Abs. 5 KSE-BVG (Vorlage 187/HA)
Beginn der Sitzung: 15.01 Uhr
Obmann Dr. Heinz Fischer eröffnet die Sitzung, begrüßt die Anwesenden und schlägt vor, die Tagesordnung um einen 4. Punkt – Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler und den Bundesministern für auswärtige Angelegenheiten und für Inneres betreffend Hilfeleistung für Vertriebene aus dem Kosovo; vorübergehende Erweiterung der Entsendung von Kräften des Bundesheeres zur humanitären Hilfeleistung gemäß § 1 Z 1 lit. b in Verbindung mit § 2 Abs. 5 KSE-BVG (Vorlage 187/HA) – zu ergänzen, wogegen keine Einwendung erhoben wird, sodaß diese Erweiterung der Tagesordnung vom Hauptausschuß beschlossen ist.
1. Punkt
ECOFIN-Rat am 9. und 10. Mai 1999
RAT 6872/99 ECOFIN 45 SOC 101
Europäischer Beschäftigungspakt
(66227/EU XX. GP)
Stellungnahme des Deutschen Bundesministeriums der Finanzen und des Deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum Europäischen Beschäftigungspakt (66954/EU XX. GP)
COM KOM (99) 143 endg.
Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft
(66840/EU XX. GP)
Obmann Dr. Heinz Fischer gibt die für die Debatte zum 1. Tagesordnungspunkt vereinbarten Redezeiten im Ausmaß von je 13 Minuten für SPÖ, ÖVP und Freiheitliche sowie von je 10 Minuten für Liberales Forum und Grüne bekannt und erteilt hierauf Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer das Wort zu einer einleitenden Stellungnahme.
Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Dr. Wolfgang Ruttenstorfer stellt fest, daß in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Europäischen Union sehr viel erreicht worden sei. Es sei in den letzten Jahren in beeindruckender Weise gelungen, die Budgets der Mitgliedstaaten zu konsolidieren. Auch Österreich habe das Defizit von früher über 5 Prozent auf weniger als die Hälfte reduziert.
Gleichzeitig sei es gelungen, in der Europäischen Union plangemäß mit 1. Jänner 1999 die gemeinsame Währung Euro einzuführen, obwohl es starke Zweifel daran gegeben habe, daß die Mitgliedstaaten die Disziplin aufbringen werden, sich den gemeinsam zum Ziel erklärten Maastricht-Kriterien zu unterwerfen. Die Einführung sei bisher als sehr erfolgreich zu bezeichnen.
Drittens sei festzustellen und sehr zu begrüßen, daß die Geldpolitik jetzt wirklich koordiniert ist. Dadurch sei es gelungen, die Inflationsrate in den EU-Ländern auf unter 1 Prozent zu senken.
Aber alle diese Maßnahmen – Budgetkonsolidierung, Vermeidung von Wechselkursschwankungen und niedrige Inflation – seien nicht das Ziel der Wirtschaftspolitik. Das Ziel müsse es vielmehr sein, etwas für das zentrale Anliegen der Menschen zu tun, und dieses Anliegen bestehe ohne Zweifel im Wachstum, um Wohlstand zu vermehren, und einer möglichst breiten Beschäftigung, um den zuwachsenden Wohlstand fair und gerecht zu verteilen. Daher sei die Kritik daran, daß in der Wirtschaftspolitik innerhalb der Europäischen Union nur die Ziele niedriger Inflation, fixer Wechselkurse und ausgeglichener Budgets forciert wurden, berechtigt gewesen.
Die intensive Diskussion darüber anläßlich der Gipfeltreffen von Luxemburg und insbesondere von Wien – hier mündend in den Auftrag, einen Beschäftigungspakt zu erstellen – sei daher sehr zu begrüßen gewesen. Dieser Beschäftigungspakt werde im nächsten ECOFIN-Rat zu besprechen sein, und der Beschluß darüber sei für den Rat in Köln geplant.
Mit dem Beschäftigungspakt werde beabsichtigt, sich wieder der Zielsetzung der Wirtschaftspolitik bewußt zu werden. Zwar seien hohe Stabilität und konsolidierte Budgets wichtig, aber entscheidend sei ein stabiles, nicht inflationäres Wachstum und dessen Verbindung mit hoher Beschäftigung. Gegenstand des Beschäftigungspaktes sei es daher, alle makropolitischen Instrumente, die auf EU-Ebene zur Verfügung stehen, harmonisch zusammenzuführen und der Zielsetzung “Wachstum und Beschäftigung” deutlich unterzuordnen.
Dazu gehöre ohne Zweifel eine Fiskalpolitik im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, welche investitionsfreundlich ist und die Konjunktur im Auge hat. Österreich stehe weiterhin zu diesem Ziel, und es zeige dabei ein hohes Maß an Verantwortung. Die österreichischen Budgets seien bereits konsolidiert worden, und dieser Weg werde fortgesetzt werden. Es sei beabsichtigt, das Defizit in den Jahren 2001 und 2002 bei ungefähr 1,5 Prozent zu halten.
Vorgesehen sei auch eine Abstimmung mit der Lohnpolitik. Gerade in Österreich werde eine sehr verantwortungsvolle Lohnpolitik betrieben. Sie solle mittelfristig vorhersehbar sein und im Einklang mit der mittelfristigen Produktivitätsentwicklung stehen.
Weiters werde darauf hingearbeitet, mit der Fiskal- und Lohnpolitik die Geldpolitik zu koordinieren und durch deren wachstumsfreundliche Gestaltung den gewählten Ansatz zu unterstützen. Wenn die Mitgliedstaaten Budgetdisziplin üben, dann könne auch von der Europäischen Zentralbank erwartet werden, daß sie zinspolitische Disziplin übt. Mit der kürzlich erfolgten Senkung des Zinssatzes um 0,5 Prozent sei ein richtiger Schritt in diese Richtung gesetzt worden.
Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik, die im bevorstehenden ECOFIN-Rat ebenfalls zu diskutieren sein werden, seien der Rahmen für die Formulierung dieser Politik. In diesen Rahmen würden alle Bestandteile – Geldpolitik, Fiskalpolitik, Lohnpolitik, Strukturpolitik und insbesondere Beschäftigungspolitik – zusammenzuführen und einer gemeinsamen Diskussion zu unterziehen sein.
In den Grundzügen der Wirtschaftspolitik werde eine Fortentwicklung der Beschäftigungsstrategie vorangetrieben, vor allem in deren präventivem Teil, sodaß Verbesserungen durch den Ausbau des lebensbegleitenden Lernens, die Förderung von Investitionen in Humankapital und eine Anpassung des Steuer- und Beihilfensystems – insbesondere für nicht qualifizierte, niedrige Einkommen – erreicht werden.
Im Rahmen einer darauf abgestimmten Strukturpolitik werde es darauf ankommen, die Märkte so zu gestalten, daß es zu einer Steigerung der Investitionen kommt und daß Ausbauentscheidungen vermehrt innerhalb der Europäischen Union – und insbesondere innerhalb Österreichs – getroffen werden, um dadurch ebenfalls Wachstum zu ermöglichen. In dieser Hinsicht sei schon vieles geschehen, zum Beispiel auf den Sektoren Energie, Telekommunikation oder Finanzen sowie auch in weiteren Bereichen wie zum Beispiel beim Abbau wettbewerbsverzerrender staatlicher Beihilfen, aber in diese Richtung müsse weitergearbeitet werden.
Für den umfassenden makroökonomischen Dialog zwischen den Sozialpartnern, den Finanzministern und der Europäischen Zentralbank sei ein wesentlicher Anstoß aus Österreich gekommen. Eine Koordination von unterschiedlichen Bereichen wie Fiskalpolitik, Geldpolitik und Lohnpolitik könne nur dann erfolgen, wenn die Partner, die in diesen Bereichen die politischen Entscheidungen zu treffen haben, miteinander in intensivem Dialog stehen.
Österreich habe während seiner Präsidentschaft nachhaltig darauf gedrungen, daß nicht nur die Abstimmung zwischen Euro-11 und Europäischer Zentralbank forciert wird – durch Teilnahme des Präsidenten der EZB an den Euro-11-Sitzungen sowie umgekehrt durch Teilnahme des Präsidenten der Euro-11 an den EZB-Verwaltungsratssitzungen –, sondern daß dies durch einen Dialog mit den Sozialpartnern, insbesondere den Gewerkschaften, ergänzt wird. Der bevorstehende ECOFIN-Rat sehe genau diese Ergänzung als Hauptpunkt im Rahmen der Tagesordnung vor. Dieser intensive Dialog zwischen Zentralbank, Finanzministern und Gewerkschaften ziele auf langfristige Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik ab.
Es sei sehr erfreulich, daß dieser zutiefst österreichische Gedanke somit auf die Ebene der Europäischen Union habe transferiert werden können.
Abgeordneter Dr. Ewald Nowotny (SPÖ) stimmt Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer darin zu, daß das heute deutlich größere Gewicht von Fragen der Beschäftigungspolitik in der Europäischen Union zu begrüßen sei. Die Idee des Beschäftigungspaktes, einer Art Gegenstück zum Stabilitätspakt, sei insbesondere auch auf österreichische Initiativen zurückzuführen.
Für prinzipiell positiv zu erachten sei auch die stärkere Betonung der makroökonomischen Seite sowohl im Bericht der Präsidentschaft als auch im Bericht der EU-Kommission. Denn es wäre eine Illusion, zu glauben, daß nur durch Deregulierungsmaßnahmen, nur durch mikroökonomische Maßnahmen massive Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden könnten, solange die makroökonomischen Parameter nicht stimmen. Die Zinssenkung sei ein richtiges und wichtiges Signal der Europäischen Zentralbank gewesen.
Es gehe jetzt auch um Fragen der Lohnpolitik, und zwar um das Konzept der produktivitätsorientierten Lohnpolitik, wonach die lohnpolitischen Maßnahmen in ihrer Höhe dem Produktivitätsanstieg zu entsprechen haben. Dies sei bisher nicht der Fall gewesen, da die Löhne hinter der Produktivitätssteigerung zurückgeblieben seien. Es sei möglich, mit einer expansiveren Lohnpolitik nachfrageschaffende Effekte zu stimulieren. Dieser wichtige Punkt werde in den vorliegenden Dokumenten ebenfalls angesprochen.
Weitere der darin enthaltenen positiven Einzelaspekte seien eine stärkere Technologieorientierung oder eine wichtigere Rolle der Europäischen Investitionsbank und deren vermehrte Heranziehung für Klein- und Mittelbetriebe. Dafür seien gerade in Österreich bereits Ansätze geschaffen worden.
Bedeutungsvoll sei der – auch im vorliegenden Bericht der deutschen Präsidentschaft auf Seite 9 aufscheinende – Hinweis darauf, daß auf EU-Ebene Regelungen gegen unfairen Steuerwettbewerb geschaffen werden müssen. Abgeordneter Dr. Nowotny fügt hinzu, er betone dies deshalb, weil es in diesem Lande eine politische Partei gebe, die dieses Thema offensichtlich völlig mißverstanden habe und jetzt glaube, mit der Frage der Steuerkoordinierung wäre die Perspektive verbunden, daß es zu zusätzlichen Europa-Steuern kommen werde. Dies sei völlig falsch, wie auch aus dem genannten Bericht hervorgehe.
Tatsächlich gehe es darum, daß Steuern, die sinnvollerweise nicht auf nationaler Ebene eingehoben werden können, auf übernationaler Ebene eingehoben werden, um auf diese Weise zu verhindern, daß sich der Faktor Kapital in immer stärkerem Maße der Besteuerung entzieht, mit dem Ergebnis, daß sich die Steuerlast immer stärker zum Faktor Arbeit verschiebt.
Wer gegen eine europäische Steuerkoordinierung ist, sei in Wirklichkeit dafür, Arbeit immer stärker zu belasten. Es sei wichtig, deutlich zu sagen, worum es dabei geht. Die jetzt unterbreiteten entsprechenden Vorschläge seien zweifellos zu begrüßen.
Allerdings würden die Dokumente auch kritische Punkte aufweisen. Der Kommissionsbericht enthalte weite Passagen, die eher neoliberal geprägt seien und in denen das Heil in sehr viel weitergehenden Deregulierungen gesucht werde, ohne daß dafür auch eine empirische Begründung beigeschlossen wäre.
Abgeordneter Dr. Nowotny verweist darauf, daß im Kommissionspapier unter den nationalen Berichten auf Seite 36 ff auch ein Österreich-Teil enthalten ist, und hält zunächst fest, daß diese Ausführungen in sehr hoheitsvollem Ton gehalten seien. Es werde mit den Mitgliedstaaten sehr von oben herab umgegangen, und für die Zukunft möge überlegt werden, ob dies tatsächlich die richtige Form eines Berichtes ist.
Inhaltlich sei die in dem Dokument enthaltene Vorstellung, daß die Budgetzielsetzungen noch über das Konsolidierungs- und Haushaltsprogramm hinausgehen sollten, makroökonomisch sicherlich nicht berechtigt. Auf diesen Punkt habe auch Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer schon hingewiesen. Die darin enthaltene Sicht der Kommission könne aus wirtschaftspolitischer Sicht nicht als berechtigt eingeschätzt werden.
Des weiteren sei für Produkt- und Kapitalmärkte der Vorschlag enthalten, daß Österreich die Binnenmarktrichtlinien in den Bereichen Verkehr und öffentliches Beschaffungswesen zügiger in innerstaatliches Recht umsetzen sollte. Wenn dies konkret auf eine stärkere Einschränkung der Möglichkeiten der Quersubventionierung und eine verpflichtende Ausschreibung im öffentlichen Nahverkehr hinausliefe, so hieße dies in vielen Fällen ein Ende des städtischen Nahverkehrs. Österreich könne aber nicht daran interessiert sein, eine solche Position zu vertreten. Unter Hinweis darauf, daß entsprechende Stellungnahmen von Gemeindeseite in Österreich bereits vorliegen, appelliert Abgeordneter Dr. Nowotny an die Bundesregierung, in diesem Sinne tätig zu werden und sich diesen Bereichen nicht anzunähern.
Weiters werde in dem Vorschlag einer noch stärkeren Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten das Wort geredet. Aus Konsumentensicht möge dies angebracht sein, aber es gebe bisher keinerlei empirischen Nachweis dafür, daß diese Maßnahme tatsächlich beschäftigungssteigernde Auswirkungen gehabt hätte.
In vielen Fällen komme daher in dem Kommissionspapier ein neoliberales Credo zum Vorschein, dem aber in manchen Fällen die empirische Fundierung fehle.
Von diesen kritischen Punkten abgesehen, sei das Dokument aber insgesamt als interessanter Ansatz zu bezeichnen, weil es konkrete Diskussionsgrundlagen bereitstelle. Daher könne gesagt werden, daß die sozialdemokratische Fraktion die Absicht habe, den entsprechenden Berichten und insbesondere den Überlegungen hinsichtlich des europäischen Beschäftigungspaktes ihre volle Unterstützung zu geben.
Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) stellt zunächst fest, daß die Ausführungen von Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer und des Abgeordneten Dr. Nowotny dazu Anlaß gegeben hätten, zunächst klarzustellen, welche Dokumente tatsächlich Grundlage der heutigen Beratungen sind.
Außer dem Dokument “Europäischer Beschäftigungspakt” scheint in der Tagesordnung auch eine “Stellungnahme des Deutschen Bundesministeriums der Finanzen und des Deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum Europäischen Beschäftigungspakt” auf. Bei näherem Hinsehen zeige sich, daß ersteres Dokument auf einem Vorschlag des früheren deutschen Finanzministers Lafontaine beruhe und letzteres Papier offensichtlich eine überarbeitete Version aus Sicht des jetzigen Finanzministers sowie des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung darstelle. Es könne daher angenommen werden, daß eigentlich das zweite Dokument im Mittelpunkt steht.
Im Vergleich der beiden Dokumente seien nicht unwesentliche Veränderung feststellbar. In bezug auf das Lafontaine-Papier könne der Einschätzung des Abgeordneten Dr. Nowotny weitgehend zugestimmt werden, weil darin beachtliche Ansätze enthalten gewesen seien, zum Beispiel die Bekämpfung des unfairen Steuerwettbewerbs und die Energiebesteuerung. Aber genau diese Ansätze seien im zweiten Dokument bedauerlicherweise nicht mehr enthalten.
Ein Rückblick auf den Weg, den die Diskussion über die Beschäftigungspolitik in Europa von Luxemburg über Wien bis Köln genommen hat, gebe Anlaß zu der Feststellung, daß die Debatte immer seichter geworden sei. Dies gelte auch für die Schlußfolgerungen. In Luxemburg sei noch deutlich über Steuerharmonisierung diskutiert worden, auch wenn eine verbindliche Festlegung in den Beschlüssen nicht erreicht worden sei. Aber der damalige Ratspräsident, der luxemburgische Ministerpräsident Juncker, habe eine Reihe von Vorschlägen zur Steuerharmonisierung – nicht nur zur Energiebesteuerung, sondern auch zur Zins- und Kapitalsteuer – unterbreitet.
Einer der wesentlichen Schlüsselpunkte liege, wie schon vom Abgeordneten Dr. Nowotny festgestellt, tatsächlich auf der makroökonomischen Ebene. Es wäre wichtig, diese Ebene in bezug auf den Beschäftigungspakt viel stärker in Betracht zu ziehen. Aber dies sei während der letzten eineinhalb Jahre verlorengegangen, und es komme im neuesten Dokument überhaupt nicht mehr vor.
Auch in anderer Hinsicht seien in Luxemburg noch verbindliche oder klare Worte gefunden oder entsprechende Zielvorgaben festgelegt worden. Die Grünen hätten stets kritisiert, daß die Überprüfung, Evaluierung, Quantifizierbarkeit der Maßnahmen nicht gegeben sei. Daher bestehe überhaupt keine Basis für Vergleiche zwischen einem Beschäftigungspakt und dem Stabilitätspakt. Letzterer sehe bekanntlich klare Kriterien sowie deren Überprüfung, deren Quantifizierung und deren regelmäßige Evaluierung vor, und das treffe auf keinen der bisher vorliegenden Beschlüsse zum Beschäftigungspakt zu.
Abgeordnete Mag. Kammerlander zieht daraus die Schlußfolgerung, daß die in der Tagesordnung als “Stellungnahme” ausgegebene Vorlage der vorläufige Schlußpunkt eines vornehmen Begräbnisses dessen sei, was in Europa mit Beschäftigung zu tun haben könnte oder sollte.
Es sei auffällig an allen Dokumenten, die mit der Europäischen Union zu tun haben – dies habe sich zum Beispiel auch im Zusammenhang mit der Landwirtschaftspolitik oder der Agenda 2000 deutlich gezeigt –, daß immer dann, wenn die Maßnahmen konkret werden sollten, die Politiker im Rat und in der Kommission zu völlig neuen Wortkreationen greifen würden. Dann träten die eigenartigsten Wortschöpfungen zutage, von denen keineswegs gleich klar sei, was damit gemeint ist.
Jetzt werde von einer “koordinierten Beschäftigungsstrategie” gesprochen. Dem hält Abgeordnete Mag. Kammerlander entgegen, daß im Wort “Strategie” der Aspekt der Koordination bereits enthalten sei. Europapolitiker, die auf die Idee kommen, in diesem Fall noch das Wort “koordinieren” voranzusetzen, brächten deutlich zum Ausdruck, daß sie nicht wissen, nicht wissen wollen oder verschleiern wollen, wo es hingehen soll.
Weiters sei von einem “wirtschaftspolitischen Dreiklang” die Rede. Dieser Ausdruck klinge harmonisch und suggeriere, daß es sich um eine gute Richtung handle. Auch sei jetzt von einem “makroökonomischen Dialog” statt von notwendigen Maßnahmen oder von konkreten Steuerharmonisierungen die Rede, und von diesem Dialog lasse sich weder sagen, wo und mit wem er stattfinden soll, noch was damit zutage gefördert werden sollte.
Abgesehen von solch eigenartigen Wortkreationen, erweise sich das Dokument als noch düsterer in bezug auf die eigentlichen Ziele der Beschäftigungspolitik, wie sie am Gipfeltreffen von Luxemburg noch vorhanden gewesen seien. Jetzt sei nur noch von einer Überprüfung der Steuer- und Sozialleistungssysteme, nicht mehr jedoch von einer Harmonisierung die Rede.
Das Lafontaine-Papier – darauf habe sich der Abgeordnete Dr. Nowotny in seiner Stellungnahme offensichtlich vorrangig bezogen – sehe noch sehr konkrete Maßnahmen vor, etwa dort, wo von produktivitätsorientierten Nominallohnerhöhungen, von der Bekämpfung des Steuerwettbewerbs und von der Vereinbarung oder wenigstens Zusammenarbeit hinsichtlich der Zinsbesteuerung die Rede ist. In der “Stellungnahme” sei dies nicht mehr vorzufinden.
Die Ideologie und Zielrichtung der früheren Beschäftigungspolitik habe im Lafontaine-Papier ihren Niederschlag auch in der Forderung gefunden, daß abzuwägen sei, ob die stabilitätspolitische Aufgabe der Geldpolitik es wirklich gewährleisten könne, einen beschäftigungspolitischen Effekt zu erreichen. Lafontaine sei der Auffassung gewesen, daß Finanzpolitik und Lohnpolitik in der beschriebenen Weise nicht dazu beigetragen hätten, und habe deshalb eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik gefordert. Dies sei im damaligen Titel des Dokumentes, “Wirtschaftspolitische Koordinierung für mehr Beschäftigung”, zum Ausdruck gekommen, und es sei klar gewesen, daß es um die Umsetzung der entsprechenden Leitlinien gegangen sei.
Das neue, für das Kölner Gipfeltreffen vorgesehene Dokument hingegen laufe unter dem Titel “Verstärkte Zusammenarbeit”. Es sei also keine Rede mehr von einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik, und damit sei ein wesentlicher Anspruch verlorengegangen. Jetzt werde klar von Deregulierung gesprochen. Die nunmehr vorgesehene Maßnahme sei – zugespitzt gesagt – die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Beobachtung und zum Gedankenaustausch. Dies sei das Ergebnis nach eineinhalb Jahren beschäftigungspolitischer Debatte auf europäischer Ebene.
Überdies sei eine Reihe von Widersprüchen zu beklagen, so zum Beispiel dort, wo von einem spannungsfreien Zusammenwirken von Lohnpolitik, Finanzpolitik und Geldpolitik die Rede ist. Abgeordnete Mag. Kammerlander erinnert den Abgeordneten Dr. Nowotny daran, daß er selbst entsprechende kritische Untersuchungen veröffentlicht habe.
In Erwiderung auf das Glockenzeichen, mit dem das Ende ihrer Redezeit angezeigt wird, stellt Abgeordnete Mag. Kammerlander fest, daß sie für eine seriöse Beschäftigung mit dem wichtigen Kapitel Beschäftigungspolitik hinreichend Zeit brauche und daß sie nicht die Absicht habe, sich mit solchen Vorlagen und entsprechenden Allgemeinformeln von Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer abspeisen zu lassen. Sie wolle sich nicht auf eine irrelevante europapolitische Debatte einlassen, sondern dann schon lieber den Ausschuß verlassen. Es müsse möglich sein, in hinreichender Tiefe und Seriosität auf die Vorlagen einzugehen.
Obmann Dr. Heinz Fischer verweist auf die ausdrückliche Vereinbarung der fünf Fraktionen des Nationalrates über die Redezeitenaufteilung.
Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) erwidert, es sei zum Zeitpunkt dieser Vereinbarung noch nicht bekannt gewesen, daß es um zwei inhaltlich widersprüchliche Vorlagen gehen werde.
Obmann Dr. Heinz Fischer hält fest, daß über den Wunsch, von der Redezeitbeschränkung ausgenommen zu werden, in der Präsidialkonferenz zu sprechen sein werde, und erteilt dem Abgeordneten Dr. Höchtl das Wort.
Abgeordneter Mag. Dr. Josef Höchtl (ÖVP) merkt an, daß es aus Sicht der ÖVP zu begrüßen sei, daß nicht mehr die Ansätze des früheren deutschen Finanzministers Lafontaine, sondern ein korrigierter Entwurf von dessen Nachfolger Gegenstand der Diskussion ist. Es sei besonders wichtig, daß sämtliche beschäftigungspolitischen Initiativen, Impulse und Aspekte nicht eine Gefährdung der Stabilitätspolitik mit sich bringen, und diese wesentliche Verbindung komme in der Vorlage zum Ausdruck.
In diesem Sinne gehe es um makroökonomische Maßnahmen, die jedoch in einer koordinierten Form der einzelnen Politikbereiche gesehen werden müßten. Andernfalls hätte es keinen Sinn gehabt, jahrelang eine strikte Stabilisierungspolitik zu betreiben, und es käme zu einer Gefährdung der von Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer dargelegten günstigen Ergebnisse. Die Reduktion des Defizits von früher 5 Prozent auf weniger als die Hälfte sei im Hinblick auf die künftige Einkommenspolitik besonders insofern zu beachten, als höhere Schulden auch mit höheren Zinszahlungen verbunden gewesen wären und entsprechende Einschränkungen mit sich gebracht hätten. Insofern bekenne sich die ÖVP zu dieser koordinierten Form der Politik.
Eine große Rolle spiele auch die Fiskalpolitik. Abgeordneter Dr. Höchtl fragt Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer, wie er die mit 1. Jänner 2000 in Kraft tretenden Steuersenkungen im Hinblick auf die Beschäftigungspolitik einschätze. Daß von dem verfügbaren Volumen im Ausmaß von insgesamt 30 Milliarden Schilling allein 17 Milliarden Schilling einkommensteuerreduzierende Auswirkungen hätten, werde zweifellos beschäftigungspolitische Impulse nationaler Provenienz auslösen.
Im europäischen Beschäftigungspakt sei ein eindeutiges Bekenntnis zu allen Formen der Wachstumspolitik enthalten. Dies sei eine wesentliche Voraussetzung dafür, überhaupt beschäftigungswirksame Politiken finden zu können.
Der “makroökonomische Dialog” sei nur ein anderer Terminus für das, was in Österreich längst schon als Sozialpartnergespräch bekannt ist. Die von der Abgeordneten Mag. Kammerlander geäußerte Kritik am vorliegenden Dokument entbehre daher der Substanz.
Künftig werde die Bildungspolitik als ein zu koordinierender Teilbereich der Politik größere Relevanz bekommen. Dies biete den Ansatz dafür, Bedingungen zu schaffen, unter denen die österreichische Jugend besser für den zunehmenden Wettbewerb gewappnet ist.
Es stelle für die ÖVP ein zu unterschreibendes Ziel dar, mehr Beschäftigung als wichtiges Ziel in Europa zu betrachten. Dies werde nur mit anhaltendem, aber nicht inflationärem Wachstum zu erreichen sein. Ohne Koordinierung dieser beiden Pole wäre all das, was während der letzten Jahre in Österreich unter großen Mühen erreicht worden ist, vergeblich gewesen. Es wäre sinnlos, jetzt in einer Weise zu verfahren, daß in wenigen Jahren neuerlich entsprechend riesige Anstrengungen vonnöten wären.
Daher könne man grosso modo mit den jetzigen Vorgaben einverstanden sein.
Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche) widerspricht der Schlußfolgerung des Abgeordneten Dr. Höchtl. Man könne mit dem vorliegenden Dokument keinesfalls einverstanden sein, da es zuwenig konkret sei. Abgeordnete Mag. Kammerlander habe recht mit ihrer Einschätzung, daß in den letzten Jahren eine Aufweichung in der Beschäftigungspolitik festzustellen sei und daß konkrete Maßnahmen nach wie vor nicht absehbar seien. Das gehe auch daraus hervor, daß die Regierungschefs Blair und Aznar am 12. April 1999 für die nachfolgende portugiesische Präsidentschaft bereits die Einsetzung entsprechender zusätzlicher Gremien bestimmt hätten.
Im vorliegenden Dokument über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft könne nachgelesen werden, daß die Harmonisierung der Unternehmenssteuern – zumindest aus der Sicht Großbritanniens und Spaniens – auf die lange Bank geschoben worden sei, sodaß die österreichischen Wünsche zumindest auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen in Köln nicht durchsetzbar sein würden.
Im Gegensatz zu der von Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer vorgetragenen positiven Sicht der österreichischen Maßnahmen werde daran im Österreich-Kapitel des vorliegenden Dokumentes über die “Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft” Kritik geübt. In puncto Haushaltspolitik sei wie schon in dem Österreich zu Jahresbeginn übermittelten “blauen Brief” davon die Rede, daß “erhebliche Einsparungen erforderlich sein” würden.
Auch die Produkt- und Kapitalmärkte seien zum Gegenstand der Kritik geworden, zum Beispiel in der Forderung, daß endlich Maßnahmen zur Entwicklung der Wagniskapitalfinanzierung und zur Erleichterung des Zugangs zu Wagniskapital ergriffen werden sollen. Einiges auszusetzen habe die Europäische Union weiters am Kartellrecht und an der Kartellgesetzgebung in Österreich.
Nur zögerlich werde die Forderung erfüllt, eine Reform der öffentlichen Dienstleistungen umzusetzen und die Verwaltung zu einem stärker liberalisierten Dienstleistungsbetrieb zu machen. Auch diese Anstrengungen müßten verstärkt werden.
Zu kritisieren sei überdies, daß gemäß Budgetpolitik der Bundesregierung die Konsolidierung zu mehr als zwei Dritteln über die Einnahmenseite und nur zum geringsten Teil auf der Einsparungsseite erfolgte.
Die mindere Qualität des Beschäftigungspaktes sei rechtsevident, auch nachdem mit 1. Mai 1999 die Beschlüsse von Amsterdam in Kraft getreten sind. Falls Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer dies anders sehe und falls ihm rechtliche Grundlagen bekannt seien, die eine Gleichrangigkeit zwischen Beschäftigungspakt und Stabilitätspakt bewirken könnten, möge er darüber Auskunft geben. Aus Sicht der Freiheitlichen sei der Beschäftigungspakt nach wie vor nachrangig. Diese Nachrangigkeit komme auch in dem vorgelegten deutschen Dokument zum Ausdruck, und die darauf bezogene Stellungnahme der österreichischen Bundesregierung sei, überspitzt formuliert, allenfalls von dem Wunsch nach einer Umtitelung, nicht aber nach einer substantiellen Änderung getragen.
Es treffe zu, daß die Frage der Beschäftigung die effizienteste und wichtigste Frage für die Europäische Union ist. Aber es werde sicherlich nicht möglich sein, den makroökonomischen Dialog in der jetzt begonnenen Form weiterzuführen, weil er bis hin zu den Auswirkungen zu wenig konkret beschrieben sei.
Abgeordneter Ing. Wolfgang Nußbaumer (Freiheitliche) erachtet die Aussage des Abgeordneten Dr. Nowotny für unzutreffend, daß derjenige, der gegen eine EU-Steuer ist, sich damit gegen die steuerliche Entlastung der Arbeit ausspreche. Eine Steuerharmonisierung möge zwar in bezug auf Verbrauchsteuern richtig sein, dies gelte aber nicht für eine Reihe anderer Steuern.
In bezug darauf, daß Abgeordneter Dr. Nowotny den im EU-Dokument angeschlagenen hoheitsvollen Ton gerügt hat, verweist Abgeordneter Ing. Nußbaumer darauf, daß die Freiheitliche Partei seit Jahren immer wieder Kritik daran geübt habe und daß es um die Unterlassungen der Bundesregierung in der Erfüllung der Hausaufgaben zur Herstellung von EU-Konformität in Österreich gehe. Daher treffe auch die vom Abgeordneten Dr. Höchtl geäußerte Beurteilung nicht zu.
Entscheidend sei der Inhalt, aber auf den Inhalt sei Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer nicht eingegangen. Ausständig sei daher seine Bewertung der vorliegenden Dokumente von seiten Spaniens, der Niederlande und Frankreichs, nämlich SN 2678/99 Document Seance Nr. 1, 2679/99 Nr. 2 und Nr. 3. Darin kämen, anders als hier von seiten der Regierungsparteien dargestellt, sehr unterschiedliche Bewertungen zum Ausdruck. Von niederländischer Seite zum Beispiel werde der deutsche Entwurf als zu schwach angesehen, und ihrer Ansicht nach müsse der Schwerpunkt entsprechend dem Cardiff-Prozeß stärker auf die Beschäftigungsprozesse und die Strukturreformen in den einzelnen Staaten gelegt werden.
Abgeordneter Ing. Nußbaumer fragt, warum diese Dokumente der Opposition bisher nicht zugänglich gemacht worden seien, wann sie zur Verfügung gestellt würden und wie Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer die darin vertretenen Standpunkte einschätze.
Von niederländischer Seite sei auch eine neue beschäftigungspolitische Leitlinie vorgeschlagen worden, die auf eine verantwortungsvolle und differenzierte Entwicklung bei den Lohnnebenkosten abziele. Bisher habe die österreichische Bundesregierung nicht erläutert, wie das vor sich gehen solle.
Hingegen werden von Frankreich und Italien verlangt, zusätzliche Mittel für die Transeuropäischen Netze zur Verfügung zu stellen und die Währungspolitik so zu gestalten, daß sie mit dem Ziel eines Wirtschaftswachstums von mindestens 3 Prozent übereinstimmt. Somit werde von diesen beiden Ländern eigentlich eine Weichwährungspolitik vorgeschlagen, und insbesondere von diesen Mitgliedstaaten werde ja auch die Europäische Zentralbank kritisiert.
Sowohl die Regierung Blair als auch die Regierung Aznar würden trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtung auf Flexibilität für den Arbeitsmarkt und einer Reform der Güter- und Geldmärkte bestehen. Darüber hinaus hätten sie sich strikt gegen die Harmonisierung der Unternehmenssteuern ausgesprochen.
Das vorliegende deutsche Dokument sei daher zu vage, es sei nicht durchdiskutiert und auch nicht koordiniert. Deshalb könne es nicht zur Grundlage eines Beschlusses werden. Es ergebe sich daher die Frage, wie die österreichische Bundesregierung die unterschiedlichen Dokumente bewertet.
Abgeordneter Dr. Ewald Nowotny (SPÖ) bekräftigt, daß die Steuerharmonisierung nicht nur im Lafontaine-Papier, sondern auch auf Seite 11 des EU-Dokuments angesprochen wird. In diesem Sinn gebe es keinen Vorschlag und kein Konzept einer EU-Steuer. Tatsächlich gehe es um Steuerkoordinierung – “tax coordination” –, um zu verhindern, daß es in den Bereichen der Kapitaleinkommen und der Umwelt zu negativem Steuerwettbewerb – “harmful tax competition” – kommt.
Wer gegen Steuerkoordinierung in diesem Sinn sei, der sei tatsächlich gegen eine wirksame Beschäftigung und im übrigen auch gegen eine wirksame Umweltpolitik.
Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche) erachtet es für eine Sache der Auslegung, wie die Formulierungen bezüglich EU-Steuern verstanden werden. Sowohl die Interpretation der Regierungsseite als auch jene der Freiheitlichen sei von den Dokumenten her möglich.
Die Kritik der Abgeordneten Mag. Kammerlander an den Unterschieden zwischen den einzelnen Dokumenten treffe zu, der Inhalt der ersten Unterlage werde von dem der zweiten abgeschwächt.
Schriftstücke wie zum Beispiel jenes über die Tagung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigung am 26. April seien dem Parlament bisher nicht zugänglich gemacht worden. Dies wäre aber im Sinn konträrer Stellungnahmen zur Klärung der Situation erforderlich, da sonst von den Sprechern der Regierungsseite, wie es zuvor geschehen sei, Schönfärberei betrieben werden könne.
Darüber, daß eine bessere Beschäftigungspolitik künftig Priorität in der Europäischen Union haben sollte, bestehe kein Zweifel, aber über den Weg dorthin gebe es unterschiedliche Vorstellungen.
In der vorliegenden deutschen Stellungnahme werde von konkreten Zielvorstellungen abgerückt und auf Zahlen und Fakten in Nationalen Aktionsplänen für Beschäftigung verwiesen. Zwar sei im österreichischen Aktionsplan von der Schaffung von 100 000 neuen Arbeitsplätzen im Bereich Soziales, Gesundheit und so weiter oder von der Erstellung konkreter Frauenbeschäftigungspläne die Rede, aber gemessen an dem, was bisher geschehen ist, seien auch das nur schöne Worte gewesen. Insgesamt lägen bisher nur Worthülsen vor.
Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Dr. Wolfgang Ruttenstorfer erklärt die Unterschiede zwischen den vorliegenden Dokumenten damit, daß auf einen Vorschlag der Präsidentschaft hin eine Diskussion mit Stellungnahmen verschiedener Mitgliedstaaten entstanden sei, woraufhin ein weiterentwickeltes Papier verfaßt worden sei.
Die Diskussion sei verständlich angesichts der zwei Ansätze in der Wirtschaftspolitik, die im Wettstreit miteinander stünden. Dagegen sei nichts einzuwenden, wenn nur am Ende eine gute Formulierung das Ergebnis sei. Dem eher nachfrageorientierten und makropolitisch orientierten Ansatz stehe der zum Beispiel von Großbritannien oder Spanien hervorgehobene angebotsorientierte und mikroökonomisch betonte Ansatz in Richtung Strukturreformen gegenüber.
Keiner der Ansätze wäre, in reiner Form durchgeführt, sinnvoll und gut. Erforderlich sei eine ausgewogene Mischung, um zu guten Ergebnissen zu kommen, und das habe auch Österreich aufgezeigt. Im überarbeiteten Papier werde die Strukturpolitik mit einer Betonung der Investitionen als Treibkraft des Wachstums stärker hervorgehoben. Im Lauf der daran anschließenden Diskussion komme es darauf an, eine gemeinsame Position zu finden.
Der makroökonomische Dialog sei wichtig, und die Institutionen würden dabei ihre Unabhängigkeit behalten. Die Europäische Zentralbank solle zwar im Wissen um die Standpunkte der Finanzminister und der Gewerkschaften entscheiden, aber die Verantwortung bleibe auf ihrer Seite; umgekehrt würden sich auch die Finanzminister in der Budgeterstellung und die Gewerkschaften in bezug auf Lohnerhöhungen von den Dialogpartnern nichts vorsagen lassen. Es gehe also, wie im Fall der österreichischen Sozialpartnerschaft, um einen freiwilligen Dialog, in dem Informationen ausgetauscht werden, sodaß im Wissen um die Aktionen des jeweils anderen die eigenen Entscheidungen getroffen werden können. Daher sei “makroökonomischer Dialog” ein durchaus vernünftiger Begriff.
Nicht einverstanden sei Österreich damit, daß die Frage der Steuerkoordinierung im letzten Dokument nicht betont wird, sondern zurückgedrängt worden ist. Es gehe nicht um zusätzliche oder neue Steuern, sondern darum, in sehr ausgewählten Bereichen zu einer gewissen Koordination zu kommen, vor allem im Bereich der Kapitalertragsteuern, aber auch in bezug auf diejenigen Unternehmenssteuern, mit denen unfairer Steuerwettbewerb betrieben werde. Es sei nicht sinnvoll, daß jeder Mitgliedstaat seine Kapitalertragsteuer für die Inländer, nicht aber für die Ausländer hat. Dies sei für Europa insgesamt nicht günstig, daher vertrete Österreich – in Ergänzung zur neueren Variante des Dokumentes – weiterhin die Meinung, daß auf gewissen, ausgewählten Gebieten eine Koordination auf europäischer Ebene zur Vermeidung unfairen Steuerwettbewerbs voranzutreiben ist.
Österreich bedaure es auch, daß Forschung und Entwicklung – ein längerfristig entscheidender Ansatz in der Beschäftigungspolitik – in den Hintergrund getreten sind, und werde sich für eine stärkere Betonung dieses Ziels einsetzen.
Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer antwortet dem Abgeordneten Dr. Höchtl, daß die Steuerreform in Österreich tatsächlich zu einem beschäftigungspolitisch richtigen Zeitpunkt komme, und zwar deshalb, weil zum einen dadurch ein Nachfrageschub in Höhe von zirka 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgelöst werde – größtenteils zugunsten der sozial Schwächeren und Ausgabefreudigeren und überdies dominant im Inland – und weil zum anderen strukturpolitische Effekte die Folge seien, etwa aufgrund der höheren steuerlichen Absetzbarkeit von Forschungsaufwendungen, der Forcierung der Lehrlingsausbildung oder der Erleichterung von Unternehmensgründung und ‑weitergabe. Die Steuerreform stehe somit in Übereinstimmung mit den beschäftigungspolitischen Zielen.
Österreich begrüße es, daß die EU-Kommission länderspezifische Vorschläge in bezug auf wirtschaftspolitischen Leitlinien oder Grundzüge der Wirtschaftspolitik unterbreitet hat. Gegenüber der Kritik, daß die Formulierungen an manchen Stellen “von oben herab” gewählt sind, merkt Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer an, daß die Kommission sich in dieser Hinsicht noch zu verbessern haben werde. Inhaltlich aber sei diese Diskussion zu begrüßen, auch wenn Österreich mit Ideen, die im Verwaltungsbereich der Europäischen Kommission geäußert werden, deshalb nicht gleich einverstanden zu sein brauche.
Österreich stehe zu der Budgetpolitik, die sich aus der jeweiligen Budgetvorschau ergibt, und werde darüber hinausgehende Vorschläge zurückweisen. In bezug auf die Kritik an den öffentlichen Dienstleistungen sei es richtig, daß noch Reformen erforderlich sind. Da stehe ein weiter Weg bevor, der auch in drei Jahren noch nicht vollständig zurückgelegt sein werde.
In Bereichen wie dem Kartellrecht oder in anderen strukturpolitischen Fragen sei Österreich im Begriff, Verbesserungen anzusetzen. Auch diese Aufgabe werde nicht bald beendet sein, da an Reformen in der Wirtschaftspolitik dauernd gearbeitet werden müsse.
Staatssekretär Dr. Ruttenstorfer hält die Argumentation nicht für tragfähig, daß deshalb, weil im Stabilitäts- und Wachstumspakt Zahlen genannt werden, wogegen im Beschäftigungspakt keine quantifizierten Zielsetzungen vorzufinden sind, eine ungleiche Gewichtung vorliege. Es sei leichter, rechtlich verbindliche und quantifizierte Zielsetzungen für Teilbereiche vorzugeben, da Maßnahmen immer relativ klar zu planen wären. Hingegen sei es viel schwieriger, Quantifizierungen und rechtliche Verankerungen in bezug auf bestimmte erwünschte Ergebnisse vorzunehmen.
Es bestehe Einigkeit über Wachstum und Beschäftigung als Ziele der Wirtschaftspolitik. Einzelne Maßnahmen, die dorthin führen, seien leicht zu vereinbaren, aber viel schwieriger sei es, abzuschätzen, ob die Maßnahmen insgesamt zum erwünschten Ziel führen. Daher sei die Diskussion verständlich, die in der Europäischen Union darüber geführt werde, wie schwierig eine quantitative und rechtliche Festlegung in bezug auf das Ausmaß der zu erreichenden Ziele an Wachstum und Beschäftigung sei. Eine Vereinbarung, die zum Beispiel auf 5 Prozent Wachstum und Vollbeschäftigung lauten würde, werde nicht allein deshalb schon in der Praxis zu diesem Ziel führen.
Was möglich ist, sei eine Einigung über jene Maßnahmen – sowie deren Quantifizierung und rechtliche Absicherung –, von denen erwartet werden kann, daß sie zum Kernziel “Wachstum und Beschäftigung” führen. Dies geschehe auch mit den zu diskutierenden Vorlagen.
Obmann Dr. Heinz Fischer schließt die Debatte zum 1. Punkt und leitet über zur Abstimmung über einen von der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander eingebrachten Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG betreffend “Europäischer Beschäftigungspakt”.
Der Antrag bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.
2. Punkt
WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot
COM KOM (99) 81 endg.
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament
WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot
(66065/EU XX. GP)
Obmann Dr. Heinz Fischer verweist auf die analog zum 1. Tagesordnungspunkt getroffene Vereinbarung über die Redezeiten und erteilt Bundesminister Dr. Farnleitner das Wort.
Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner erinnert daran, daß die Europäische Union im Jahr 1985 eine Verordnung zur Beschränkung des Einsatzes von natürlichen Hormonen und zum Verbot des Einsatzes von künstlichen Hormonen in der Tierzucht sowie zum Verbot des Imports solcherart behandelter Tiere und derart behandelten Fleisches beschloß. Das Verbot ist mit 1. Jänner 1989 in Kraft getreten.
Diese Verordnung wurde im Rahmen des GATT und später der Welthandelsorganisation – WTO – angefochten. Am 13. Februar 1998 entschied schließlich der “Appellate Body” der WTO, daß die Hormonverordnung der Europäischen Union nicht im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen stehe, insbesondere deshalb, weil das Importverbot nicht auf einer wissenschaftlichen, auf der Basis einer Risikoanalyse gewonnenen Erkenntnis beruhe.
Auf eine Forderung der Europäischen Union nach einer vierjährigen Übergangsfrist hin – zwei Jahre für eine neue Risikoanalyse sowie zwei Jahre für eine allfällige rechtliche Umsetzung – räumte der WTO-Schiedsrichter der EU eine Frist bis zum 13. Mai 1999 ein, verbunden mit dem Hinweis, daß diese Frist nicht dazu genutzt werden sollte, die Rechtswidrigkeit der einmal gesetzten Maßnahme zu beweisen, sondern daß sie zur Erbringung des wissenschaftlichen Beweises der Schädlichkeit von hormonbehandeltem Rindfleisch diene.
Die EU-Kommission habe entsprechende Analysen in Auftrag gegeben, und jetzt sei, kurz vor Ablauf der Frist, eine Diskussion darüber entstanden, wie weiter vorzugehen sein werde, nachdem die Frist verstrichen ist, ohne daß der Endbericht der beauftragten 17 Gutachter vorliegt. Zwar sei jüngst eine Stellungnahme ergangen, aber noch keine Zusammenfassung sowie auch kein inhaltlicher Extrakt aus den 17 Studien publiziert worden.
Die Europäische Kommission habe in dem vorliegenden Dokument COM (99) 81 drei Optionen dargelegt, und diese seien derzeit die Grundlage der Politik in diesem Bereich. Im Fall der Beibehaltung des Einfuhrverbotes sei geplant, sofern der wissenschaftliche Nachweis nicht gelingt, Handelskonzessionen – wahrscheinlich vor allem auf dem Agrarsektor – anzubieten. Die zweite Option sehe wieder einmal eine vorläufige gesundheitspolitische Maßnahme in Übereinstimmung mit Artikel 5.7 des SPS-Abkommens vor. Die dritte Option bestehe in der sofortigen Aufhebung des Verbotes mit Umsetzungsfrist unter gleichzeitiger Einführung einer Kennzeichnungsverordnung.
Die nächsten Schritte würden im Rahmen der Konferenz zur Vorbereitung der nächsten WTO-Runde in Seattle sowie im WTO-Ministerrat der Europäischen Union am 10. Mai in Berlin zu erfolgen haben. Bundesminister Dr. Farnleitner verweist darauf, daß er im Zusammenhang mit einem Hintergrundgespräch über den transatlantischen Dialog eine Auseinandersetzung mit der Retorsionsliste der Vereinigten Staaten gefordert habe. In dieser Liste sei eine Reihe von Schlüsselbetrieben ins Visier genommen worden, und der daraus zu gewärtigende wirtschaftliche Schaden werde auf 500 Millionen bis 1 Milliarde Schilling geschätzt.
Derzeit werde in der Europäischen Kommission sowie in weiteren Gremien überlegt, welche Option zu verfolgen wäre, wenn am 13. Mai keine abschließende Risikoanalyse vorliegt.
Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche) stellt fest, daß für die freiheitliche Fraktion der Import von hormonbehandeltem Fleisch aus den USA oder aus anderen Ländern weiterhin nicht in Frage kommt. Was derzeit an Ergebnissen in wissenschaftlichen Arbeiten bereits vorliegt, reiche aus, die Bedenklichkeit dieser Produkte für den Konsumenten klar und eindeutig herauszustellen.
Es gehe auch darum, die USA dazu zu zwingen, in dieser Frage endlich nach ihrem eigenen Rechtssystem zu verfahren, wonach sie selbst die Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachzuweisen haben und nicht auf einer Umkehrung der Vorgangsweise beharren können. Denn wenn österreichische Skifirmen ihre Produkte in die USA exportieren, müssen diese Firmen mit Zertifikaten zum Beispiel nachweisen, daß die Skikanten keine Personen gefährden. Unter solchen Voraussetzungen sei es nicht einsichtig, daß die Europäische Union beim Fleischimport nicht die gleiche Haltung einnimmt und gegenüber der WTO darauf dringt, daß das amerikanische Recht in entsprechender Form auch für die USA zur Anwendung kommt. Dann hätten nämlich die Amerikaner, wenn sie in die EU exportieren wollen, selbst die langfristige Unbedenklichkeit ihrer Produkte für die Konsumenten nachzuweisen.
Aus Sicht der freiheitlichen Fraktion sei es unerträglich, daß die Europäische Union nicht einmal versucht habe, ein Kontrollsystem zur Überprüfung von Tieren und von Produkten, wie es die EU für Neuseeland festgeschrieben hat, auch gegenüber den USA einzuführen, obwohl mehr als 10 Prozent der von dort importierten Fleischprodukte und Lebensmittel tierischer Herkunft Hormone enthalten, die nachweislich auch in den USA selbst seit Jahren verboten sind. Es dürfe nicht sein, daß auf der einen Seite kleine Länder von der Welthandelsorganisation mit Unterstützung der Europäischen Union schikaniert werden und daß auf der anderen Seite den USA eine marktbeherrschende Position eingeräumt wird.
Abgeordneter Mag. Haupt fügt hinzu, entsprechende WTO-Beschlüsse würden letztlich zu nichts anderem dienen als dazu, Produkte, die seiner Ansicht nach lebensgefährlich und minderwertig seien, weltweit absetzen zu können.
Darüber hinaus erachtet es Abgeordneter Mag. Haupt für einen Skandal, daß es in der Europäischen Union nicht möglich war, die in Auftrag gegebenen Forschungsprogramme zeitgerecht fertigzustellen oder zumindest Zwischenberichte zum Ende der Frist abzuschließen.
Es sei ein jahrelanges Versagen festzustellen, denn die Gefährlichkeit der Hormone sei seit einer entsprechenden Publikation der amerikanischen Food and Drug Administration aus dem Jahr 1977 evident. Auch in nachfolgenden Arbeiten seien gesundheitlich bedenkliche Effekte aufgrund krebsfördernder Substanzen und Antibiotika-Kombinationen in solchen Produkten nachgewiesen worden.
Dies habe nicht nur dazu geführt, daß in den USA biologisch wirtschaftende Farmlinien aufgebaut wurden, die für ihre Werbung entsprechende Gutachten publizieren, wie das in medizinischen Lexika und Datenbanken nachlesbar sei, sondern es sei damit auch deutlich nachgewiesen worden, daß die Bauern selbst durch den Einsatz solcher Medikamente wirtschaftlich nachhaltig geschädigt werden. In den USA erarbeitete wissenschaftliche Untersuchungen aus den Jahren 1987 und 1989 sowie vom März 1999 hätten klar den Nachweis erbracht, daß dann, wenn Antibiotika und Hormone nicht kontinuierlich – etwa beim Rind vom Kalb bis zum Schlachtstier – gleiche und parallel verlaufende Hormonspiegel bewirken, die Bauern die Geprellten seien, weil sie teure Medikamente einsetzen, ohne davon einen finanziellen Vorteil zu haben.
Daher hätte es bei einiger Sorgfalt und entsprechender Stützung der vorhandenen wissenschaftlichen Arbeiten sowie bei Weiterführung darauf aufbauender Untersuchungen möglich sein müssen, zum 13. Mai alle Zwischenberichte verfügbar zu haben, auf dieser Grundlage WTO-konform gegen das Vorhaben der USA einzuschreiten und auf diese Weise den Schaden zu verhindern, der wegen der Gegenmaßnahmen zum Importverbot der österreichischen und der europäischen Wirtschaft drohe.
Die Art, auf die jetzt versucht werde, die Fehler zu beheben, sei falsch. Deshalb bringt Abgeordneter Mag. Haupt einen entsprechenden Antrag auf Stellungnahme betreffend EU-Hormonverbot ein und ersucht um Zustimmung der anderen Fraktionen.
Abgeordneter Georg Schwarzenberger (ÖVP) weist darauf hin, daß es eigentlich um zwei Fragen gehe. Zum einen bestehe die Verpflichtung, dem Verbraucher einen möglichst hohen Gesundheitsschutz zu sichern und dabei zu beachten, daß einige Wissenschaftler auf die Bedenklichkeit von Hormonen in Lebensmitteln hingewiesen haben und daß in einem Fall auch einem der von der EU-Kommission beauftragten Wissenschaftler ein entsprechender Nachweis gelungen ist.
Zum zweiten gehe es um Wettbewerbsgleichheit. Die Erlaubnis zum Einsatz von Mitteln, die wesentlich zur Beschleunigung der Mast beitragen, bringe den amerikanischen Bauern einen Vorteil gegenüber den europäischen Bauern, die dies nicht dürfen und auch nicht wollen. Eine durch Hormonbeigaben bewirkte schnellere Fleischentwicklung im Ausmaß von 10 bis 15 Prozent führe zu einer entscheidenden Wettbewerbsungleichheit.
Die Konsumenten seien besonders im Lebensmittelbereich sensibel. Als der BSE-Skandal in England bekannt wurde, ging der Rindfleischverbrauch auch in Österreich, obwohl hier kein einziger Fall von Rinderwahnsinn auftrat, längerfristig um 15 Prozent zurück. Auch als 1998 in Italien ein Verdacht in bezug auf Gefrierfleisch entstand, ging der Rindfleischverbrauch in Österreich innerhalb kurzer Zeit um bis zu 30 Prozent zurück. Als sich dieser Verdacht falsch herausstellte, kam es zwar zu einer Normalisierung, ein Preissturz war jedoch unvermeidbar.
Die Bauern in Europa seien selbst in der Lage, die europäischen Konsumenten ausreichend mit bestem Rindfleisch zu versorgen. Österreich habe eine Produktion in Höhe von 140 Prozent des heimischen Verbrauches und sei daher auf den Export von ungefähr einem Drittel des Rindfleisches angewiesen. Das Gras in den ausgedehnten österreichischen Grün- und Berggebieten könne nun einmal nur zur Mast von Rindern oder Schafen verwendet werden, sodaß ausreichende Absatzmöglichkeiten für dieses Fleisch erforderlich sind.
Was die Rindfleischkennzeichnung betrifft, sei es sicherlich möglich, das Rindfleisch bis hin zur Verkaufsstätte zu kennzeichnen, da für die Bauern aufgrund der Rindfleischkennzeichnungsverordnung schon seit 1998 die Verpflichtung besteht, jede Geburt und jede Handelsbewegung in bezug auf Mastvieh innerhalb von 7 Tagen zu melden. Nicht möglich sei eine solche Kennzeichnung im Gastgewerbe. Das amerikanische Rindfleisch finde aber vor allem in Hotel- und Restaurantbetrieben Verwendung. Daher würden Verdächtigungen in diesem Bereich den Verbrauch auch von österreichischem Rindfleisch selbst im Fall strenger Kennzeichnung mindern, weil eine Veränderung der Eßgewohnheiten die Folge sei.
Daher vertrete die ÖVP die Auffassung, daß die Europäische Kommission mit allen Mitteln danach trachten müsse, Fleisch von mit Hormon behandelten Tieren von den europäischen Konsumenten fernzuhalten. Es müsse auch beachtet werden, daß während der Mast Hormonkapseln ins Ohr implantiert werden, wodurch es zu einer ständigen Hormonzufuhr kommt, sodaß von einer natürlichen Fleischproduktion nicht mehr die Rede sein könne.
Abgeordneter Schwarzenberger richtet im Namen der österreichischen Bauernschaft an Bundesminister Dr. Farnleitner den Appell, alles zu unternehmen, um zu verhindern, daß hormonbehandeltes Fleisch nach Europa gelangt.
Abgeordneter Ing. Wolfgang Nußbaumer (Freiheitliche) weist darauf hin, daß im Bericht der Kommission an den Rat die Konsequenzen angesprochen sind, mit denen zu rechnen ist, wenn es der EU nicht gelingt, ihre Gesetzgebung bis zum Ende der Frist mit den WTO-Vorschriften in Einklang zu bringen, und knüpft daran die Frage, was Bundesminister Dr. Farnleitner in bezug darauf jetzt aus österreichischer Sicht tun könne.
Abgeordneter Ing. Nußbaumer gibt zu bedenken, daß sich die Frage folgendermaßen umdrehen lasse: “Welche WTO-Vorschriften sind aus unserer Sicht zu ändern, um die nationalstaatlichen Regelungen nicht in Frage zu stellen und den in den einzelnen Ländern festgelegten Standard zu garantieren?”
Mit den auf WTO-Ebene beschlossenen Regelungen entstehe ein Teufelskreis. Es sei zunehmend nur noch die Rede davon, daß die Regelungen der Welthandelsorganisation so rasch wie möglich umzusetzen sind, und es werde nicht mehr darüber gesprochen, welchen Einfluß dies auf die nationalstaatlichen Standards hat. Ohne Thematisierung dieser Frage werde Österreich längerfristig von großen Interessen überrollt werden, und es werde das tun müssen, was andere vorschreiben. Damit käme es in Österreich jedoch zu Wettbewerbsunsicherheiten, es käme dazu, daß nationalstaatliche Ordnungen über den Haufen geworfen werden, und es käme längerfristig zu einer weitgehenden Diskriminierung der exportorientierten Wirtschaft in Österreich.
Abgeordneter Ing. Nußbaumer fragt, was Bundesminister Dr. Farnleitner unternehmen wolle, damit die WTO-Regelungen einer Änderung unterzogen werden.
Abgeordnete Dr. Martina Gredler (Liberales Forum) äußert sich entsetzt darüber, daß die 17 in Auftrag gegebenen Studien nicht bis 13. Mai vorliegen werden. Daher sei festzustellen, daß die EU-Kommission als Auftraggeberin diesen Termin “verschlafen” habe. Da jedoch der Rat im Bereich der Landwirtschaft das Sagen habe und der Kommission Befehle erteilen könne, könne nicht gesagt werden, daß die Minister in dieser Sache nichts zu tun hätten. Auch mangelhaftes Funktionieren auf Ratsebene habe daher zur jetzigen ungünstigen Lage geführt.
Es sei nicht vorstellbar, daß ein Hormon wie Oestradiol den Organismus inert passieren kann. Dies würde den Erkenntnissen aus humanmedizinischen Studien völlig widersprechen, weil es sonst problemlos möglich wäre, manche Pillen ohne erhöhtes Krebsrisiko in großer Menge einzunehmen. Wenn die Hormonzufuhr in Form von Pillen bedenklich ist, dann müsse dies auch für die Hormonzufuhr in Form von Fleisch Gültigkeit haben, und es bedürfe keiner 17 Studien, um dies nachzuweisen. Aus Erkenntnissen von Humanmedizinern könne abgeleitet werden, welche Quantität im Fleisch täglich eingenommen werden muß, daß es zu Auswirkungen kommt, die mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden werden können.
Die von den USA angedrohten Handelssanktionen würden auch Bereiche erfassen, die unschuldig in diese Auseinandersetzung hineingezogen werden. Abgeordnete Dr. Gredler bringt daher einen Antrag auf Stellungnahme betreffend WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot ein. In der gegenwärtigen Lage müsse ein vorläufiges Verbot des Imports von hormonbehandeltem Fleisch ausgesprochen werden.
Mangelhafte oder fehlende Kontrollen in den USA müßten durch Kontrollen der Europäischen Union – gegebenenfalls auch in Amerika – ersetzt werden. Es dürfe nicht zum Verkauf von Fleischstücken kommen, die dem Nahebereich der vom Abgeordneten Schwarzenberger erwähnten Hormonkapsel entnommen worden sind. Denn es müsse verhindert werden, daß Fleisch mit einem viel zu hohen Hormon-Prozentsatz verzehrt wird, obwohl es dazu nicht mehr geeignet ist.
Abgeordnete Dr. Gredler verweist darauf, daß Kapseln zur Hormonzufuhr auch für Menschen zur subkutanen Applizierung verfügbar sind. Diese Technik stelle daher für die Tiere eine noch einigermaßen angenehme Variante dar.
Das Problem bestehe auch im Bereich der Antibiotika. Abgeordnete Dr. Gredler stellt klar, daß sich aufgrund von Fleischverzehr Antibiotikaresistenzen in einem aus humanmedizinischer Sicht bedrohlichen Ausmaß ergeben und bereits zu Todesfällen geführt haben. Es sei ratsam, zu diesem Problem gelegentlich den weltweit anerkannten Experten Professor Graninger im Parlament anzuhören.
Was die Kennzeichnung von hormonbehandeltem Fleisch betrifft, sei die Stellungnahme des Abgeordneten Schwarzenberger nicht ganz konsequent gewesen und habe einen Lösungsansatz vermissen lassen. Daß hauptsächlich Gaststätten bedenkliches Fleisch einkaufen, könnte Anlaß zu einem positiven Schritt der betroffenen gastgewerblichen Betriebe sein: Sie könnten von sich aus bekanntgeben, woher sie das Fleisch beziehen, und dadurch das Vertrauen der Konsumenten gewinnen.
In der heutigen ernsten Lage komme es darauf an, zum einen nicht Unternehmen leiden zu lassen, die nichts dafür können, und zum anderen die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen. Das Liberale Forum fordere daher die schnellstmögliche Fertigstellung der 17 ausständigen Studien, den Aufschub eines endgültigen Beschlusses bis zum Zeitpunkt dieser Fertigstellung und Maßnahmen zur Schadensminimierung in der Zwischenzeit.
Abgeordneter Rudolf Schwarzböck (ÖVP) stellt fest, daß den bisherigen Stellungnahmen zufolge alle Fraktionen dem selbstbewußten Schritt der Europäischen Union zustimmen würden, nicht nur Gutachten zur Stützung der eigenen Position gegenüber der Welthandelsorganisation einzuholen, sondern auch ein von Mitte Juni an gültiges Importverbot für hormonbehandeltes US-Rindfleisch in Erwägung zu ziehen. Die Debatte brauche daher in sachlicher Hinsicht nicht weiter vertieft zu werden.
Die entscheidende Frage werde sich dann stellen, wenn es tatsächlich zu einem Handelsstreit und zu Retorsionsmaßnahmen der USA kommt. Wer die Selbstverständlichkeit des Hormoneinsatzes in den USA miterlebt habe und überdies den dortigen Standpunkt in bezug auf die Gentechnik kenne, könne sich ausmalen, welch ein Ausmaß an Gegenmaßnahmen dieser Streit mit sich zu bringen drohe und was unter den Bedingungen gezielter Retorsionsmaßnahmen im Hinblick auf volkswirtschaftliche Stellung, Arbeitsplatzsicherheit und ähnliches in der Europäischen Union auf dem Spiel stehe.
Das Verwerflichste, was geschehen könnte, bestünde darin, daß – nicht zuletzt von den Medien, deren Kampagne zur Abwehr des Hormonfleisches und zur Stärkung der Regierungsposition zu begrüßen sei – zuerst eine enorme Sensibilisierung geschaffen wird und dann aus irgendwelchen Gründen der Standpunkt nicht beibehalten werden kann. Dies hätte völlige Verunsicherung – nicht nur in Europa – und riesige Markteinbrüche zur Folge, und trotzdem könnte unter Umständen hormonbehandeltes Fleisch auf den europäischen Markt kommen.
Die vom Abgeordneten Schwarzenberger vorgeschlagene Kennzeichnungspflicht könnte nur als letzter Ausweg und defensive Abwehrmaßnahme für den Fall in Frage kommen, daß die Europäische Union einen solchen Handelsstreit oder WTO-Krieg verliert. Derzeit verlange niemand nach der Kennzeichnungspflicht, weil dieses Fleisch überhaupt nicht in Europa vorhanden sein sollte. Es bestehe Gott sei Dank Übereinstimmung darüber, daß dieser Kampf durchgestanden werden soll.
An dem folgenden Beispiel lasse sich zeigen, wo Konsequenz gefordert sein könnte. Anläßlich eines Treffens der europäischen Bauernvertretung mit der Farmervertretung der USA, Kanadas und Mexikos habe sich die Gelegenheit ergeben, die Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Gentechnik zu beobachten. Erfüllt von dem Bewußtsein, daß es mit dieser Technik keine Probleme gebe, sei von amerikanischer Seite prognostiziert worden, daß im Jahr 2001 oder 2002 auf dem amerikanischen Kontinent zum Beispiel Soja und Mais bereits zu 99,9 Prozent genmanipuliert sein würden.
In Gesprächen mit Rinderzüchtern, die in Montana oder Texas Herden in der Größe von Tausenden Tieren besitzen, habe sich gezeigt, daß überhaupt kein Bewußtsein für die Gesundheitsschädlichkeit von hormonbehandeltem Fleisch bestehe. Für den Fall, daß es nicht gelingt, in Konsumentenkreisen und unter den amerikanischen Farmerlobbys ein Umdenken zu erreichen, müsse klar sein, daß es riesige Probleme bereiten kann, den gemeinsam getragenen Wunsch nach der Abwehr dieser Importe aufrechtzuerhalten. Zwar bestehe jetzt Einmütigkeit, aber es werde sich erst im Fall von Gegenmaßnahmen zeigen, ob weiterhin das Konsumentenbewußtsein hochgehalten wird, wenn dies unter Umständen Familienangehörige mit dem Verlust des Arbeitsplatzes zu bezahlen hätten. Diese mögliche Konsequenz müsse in Betracht gezogen werden.
Abgeordneter Schwarzböck fügt hinzu, er ersuche schon jetzt, im Vorfeld der Entscheidung, um die für den Ernstfall nötige Konsequenz.
Abgeordneter Franz Koller (Freiheitliche) erinnert daran, daß die Europäische Union zwar 1989 ein Importverbot für hormonbehandeltes Fleisch aus den USA verhängt, aber den von der Welthandelsorganisation festgelegten Termin 13. Mai 1999 nicht ernst genug genommen habe. Offenbar sei – wie die entsprechenden Ausführungen beweisen würden – die EU nicht in der Lage, die in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studien über Risikobewertungen beizubringen. Es sei damit zu rechnen, daß die Arbeiten zu einem Teil im Lauf dieses Jahres und zum restlichen Teil erst im Jahr 2000 zum Abschluß gebracht werden.
Abgeordneter Koller fragt, ob Bundesminister Dr. Farnleitner auch nach dem 13. Mai 1999 auf jeden Fall für die Aufrechterhaltung des Verbotes von Hormonfleischimport eintreten werde.
Hormonbehandeltes Fleisch werde von 75 Prozent der Konsumenten abgelehnt. Die WTO-Verhandlungen könnten aber folgendermaßen enden: “Tausche Geschundheitsschutz gegen Zahlungen!” Risiken für die Gesundheit würden hintangestellt werden, und die pharmazeutische Industrie spiele ihre Macht voll aus.
Mit dieser Politik sei weder der kleinstrukturierten Landwirtschaft noch den Konsumenten in Österreich gedient. Gesundheits- und Verbraucherschutz seien absolut vorrangig. Daher komme ein Aufheben des bestehenden Importverbotes von hormonbelastetem Fleisch nicht in Frage.
Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) äußert sich zufrieden über den zum Ausdruck gekommenen Konsens aller Fraktionen im Hinblick auf die Beibehaltung des Verbotes der Einfuhr von hormonbehandeltem Rindfleisch.
Abgeordnete Mag. Kammerlander stimmt dem Abgeordneten Schwarzböck darin zu, daß es im vorliegenden Fall um einen Präzedenzfall für die Gentechnik gehen könnte. In dieser Hinsicht wäre es ratsam, in der Argumentation künftig nicht so stark oder ausschließlich die Gesundheitsrisken hervorzuheben, und das nicht nur deshalb, weil die Studien nicht fertig geworden sind, sondern weil es stets relativ schwierig bleiben werde, die tatsächliche Gesundheitsgefährdung nachzuweisen.
Es gehe über die Gesundheitsrisken hinaus auch um Auffassungsunterschiede in einer politisch-kulturellen Debatte. Die Gewohnheiten und Ansprüche der Konsumenten seien in Europa offensichtlich ganz andere als in den USA. Der Einsatz der Hormone als leistungssteigernder Substanzen verschärfe das Bild, daß es um eine soziale, politische oder kulturelle Debatte und um entsprechende Kriterien geht.
Es sei aus Sicht der Grünen daher – im Sinne einer Offensivstrategie – wichtig, daß die Europäische Union in die nächste WTO-Runde, in die Millenniums-Runde solche Kriterien einbringt, denn nur eine breiter angelegte Betrachtungsweise werde den notwendigen Schutz vor möglichen weiteren Fällen gewährleisten, wie sie vielleicht auch die Gentechnik werde mit sich bringen können. In diesem Sinne sei auch in der laufenden Debatte über hormonbelastetes Fleisch ein größerer Rahmen in die Überlegungen einzubeziehen, um daraus eine Offensivstrategie zu entwickeln.
In diese Richtung weise auch ein hiermit eingebrachter Antrag der Grünen auf Stellungnahme betreffend WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot. Er diene nicht nur zur Bekräftigung des Standpunktes, daß das Einfuhrverbot beizubehalten ist, sondern ziele auch darauf ab, daß die Bundesregierung Schritte einleitet, um in der nächsten WTO-Runde die genannten Kriterien offensiv einzubringen.
Abgeordnete Anna Huber (SPÖ) gibt ihrer Freude darüber Ausdruck, daß das Hormonverbot sozusagen fraktionsübergreifend außer Streit steht. Erfreulich sei auch die Feststellung des Abgeordneten Schwarzböck, daß die Kennzeichnungsmaßnahme für den “Worst case” vorgesehen ist. Solange die Sache noch nicht entschieden ist, sei es nicht sinnvoll, den Kampf von vornherein verloren zu geben.
Die Bundesregierung vertrete sehr klar die Position, daß das seit 1975 bestehende Hormonverbot aufrecht zu bleiben hat. Dies entspreche dem Standpunkt der Verbraucherinnen und Verbraucher und deren Abneigung dagegen, hormonbehandeltes Fleisch zu sich zu nehmen.
Ein großer Teil der Schwierigkeiten mit den USA, auch über den aktuellen Anlaßfall hinaus, habe – wie schon von der Abgeordneten Mag. Kammerlander festgestellt wurde – seine Ursache darin, daß im WTO-Abkommen ausschließlich wirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden. Dort finde der Verbraucherstandpunkt mit keinem Wort und keinem Satz Berücksichtigung.
Abgeordnete Huber fragt Bundesminister Dr. Farnleitner, auf welche Weise er beabsichtige, sich in der Europäischen Union dafür einzusetzen, daß in den Unterlagen für die bevorstehenden WTO-Verhandlungen auch die Interessen der Verbraucher ihren Niederschlag finden.
Dabei gehe es auch um das Informationsrecht der Konsumenten und um entsprechende Kennzeichnung im Bereich der Gentechnik. Darüber hinaus gehe es um Umweltschutz und Tierschutz. In allen diesen Bereichen bestehe in Europa und in Österreich eine andere Kultur als in Amerika.
Nur dadurch, daß auch die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher einbezogen werden, würden in Zukunft derartige Handelskriege vermieden werden können. Es werde nötig sein – darüber bestehe in der Bundesregierung ebenfalls Konsens –, die Kompensationsverhandlungen fortzuführen, denn es sei nicht vorstellbar, daß andere Branchen die Leidtragenden sind, weil es in einem Bereich Probleme mit den USA gibt.
Obmann Dr. Heinz Fischer weist darauf hin, daß die eingebrachten Anträge in der Forderung übereinstimmen, daß Österreich für eine Beibehaltung des Einfuhrverbotes für hormonbehandeltes Rindfleisch eintreten soll.
Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP) äußert sich anerkennend über den Vortrag von Bundesminister Dr. Farnleitner, weil darin auch die Konsequenzen deutlich zum Ausdruck gekommen seien. Tatsächlich gehe es jetzt um eine brutale Kraftprobe zwischen Amerika und Europa und um die Koordinierung zweier sehr unterschiedlicher Rechtssysteme.
An erster Stelle gehe es um die Sicherheit und um den Ausschluß aller Risken für Leben und Gesundheit aller Bürger, nicht nur der Konsumenten. In Wirklichkeit seien alle gefährdet, falls es gesundheitliche Schädigungen gebe.
Es gehe auch um die Existenzen von Hunderten und Tausenden bäuerlichen Betrieben. Zwar könne der Ansicht zugestimmt werden, daß das jetzige Geschehen arbeitsplatzpolitische Auswirkungen haben könnte, aber solche Auswirkungen seien auch in dem Fall zu gewärtigen, daß landwirtschaftliche Betriebe verlorengehen.
In dieser harten Auseinandersetzung, in diesem brutalen Streit um Markt sei daher Entschlossenheit und Geschlossenheit aller Europäer erforderlich.
Abgeordneter Donabauer zeigt sich verwundert über die Aussage des deutschen Außenministers Fischer, daß dieser sich einen Kompromiß vorstellen könne. Ein Kompromiß aber würde bedeuten, daß die Europäische Union das Match gegen die USA nicht gewonnen hätte.
Nicht ganz verständlich sei der Versuch in dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gredler, das Verbot zu einem “vorläufigen” Verbot abzuschwächen. Dies sei rechtspolitisch nicht haltbar, daher könne diesem Antrag nicht zugestimmt werden.
Die ausnahmslose Zurückführung der angesprochenen Antibiotikaresistenz auf den Verzehr von Fleisch sei nicht ganz stichhältig, denn dieses Problem rühre zu einem Teil auch daher, daß heute schon im Fall leichter Erkrankungen sofort mit schweren Medikamenten behandelt werde. Auch auf diese Weise komme es zum Aufbau von Antibiotikaresistenz. Statt pauschaler Feststellungen sei eine gründliche Diskussion über dieses Thema angebracht.
Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) regt an, einen gemeinsamen Antrag in der Weise einzubringen, daß von dem Antrag der Grünen nur der erste Satz herangezogen wird: “Die österreichische Bundesregierung wird ersucht, auf EU-Ebene für eine Beibehaltung des Einfuhrverbots für hormonbehandeltes Rindfleisch einzutreten.”
Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner bekräftigt, daß Österreich klare Prioritäten habe. Es trete im Prinzip für die Aufrechterhaltung des Hormonverbotes ein und wolle, falls dies nicht möglich ist, im zweiten Schritt über Kompensationen diskutieren, die entweder gemäß jetziger Praxis in Zollkonzessionen gegenüber den USA bestehen oder in den Strafsanktionen, welche die USA einseitig gegenüber europäischen Unternehmen verhängen. Darüber hinaus sei eine dritte Version vorgesehen, auf die der deutsche Außenminister Fischer in der zitierten Aussage Bezug genommen habe.
Abgeordnete Anna Huber (SPÖ) widerspricht der Aussage des Abgeordneten Donabauer über die Antibiotikaresistenz unter Hinweis darauf, daß in Europa Hormone im Ausmaß von 15 000 Tonnen produziert und verkauft werden, wovon 49 Prozent im Bereich der Tiermast Verwendung finden. Daher sei in Zweifel zu ziehen, daß all diese Hormongaben notwendig gewesen sind.
Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner leitet seine Beantwortung mit dem Hinweis darauf ein, daß im Artikel 20 des SPS-Vertrages der Schutz der Gesundheit auch als Markstein im internationalen Freihandel vorgesehen sei. Es stelle sich jedoch die Frage, wer wann was beweise. Im Zusammenhang mit den derzeit durchgeführten Studien sei von seiten der USA der Vorwurf der “Junk science” erhoben worden.
Es spreche gegen ein eventuelles Versäumnis des Rates, daß von seiner Seite immer wieder die Frage nach der Fertigstellung der Studien an die Kommission ergangen sei. Auch von zu großer Zurückhaltung könne nicht die Rede sein, sondern vielmehr sehe es danach aus, daß es sich für die Wissenschaftler außerordentlich schwierig gestaltet, die entsprechenden Nachweise zu führen. Seitens der Räte – zumindest jener, denen Bundesminister Dr. Farnleitner angehört – bestehe die Befürchtung, daß der erforderliche Beweis nicht geliefert werden kann.
Das Problem in Europa bestehe darin, daß es hier keine gleichermaßen kompetente und renommierte Einrichtung wie die Food and Drug Administration in den USA gibt. In Europa bestehen statt dessen zahlreiche nationale Institutionen, die bei der Evaluierung von Sachverhalten um die Gesundheit des Menschen in vielerlei Hinsicht nicht zu den gleichen Schlüssen kommen.
Die Europäische Union müsse entsprechend ihrer Politik in der WTO ihr Verbot verteidigen und habe dafür drei Varianten zur Verfügung. Für Variante 1 wäre es auch zuwenig, wenn sich der Beweis für ein Hormon erbringen ließe. Bundesminister Dr. Farnleitner weist darauf hin, daß im “Hilton-Beef” nicht konforme Rückstände gefunden worden sind, die derzeit Gegenstand von Gesprächen mit der amerikanischen Seite seien. Daß deren Sicherheitskontrollen in Frage gestellt werden konnten, sei eine Zeitlang hilfreich gewesen.
Es dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß die Europäische Union zusammen mit den USA der größte Nahrungsmittelexporteur der Welt ist. Angesichts von Produktionsmengen wie den bereits genannten 140 Prozent lege auch die EU Wert darauf, überall Marktzugänge offenzuhalten. In bezug auf das schon mehrfach angesprochene GMO-Problem sei es nötig, sich mit Positivkennzeichnungen auseinanderzusetzen, weil sich auf Dauer ein Vertrauensproblem ergebe.
Davon, daß der Import von hormonbehandeltem Fleisch freigegeben werden könnte, sei nie die Rede gewesen. Bundesminister Dr. Farnleitner stellt fest, daß seine Aussage vielmehr gelautet habe, es dürften nicht Branchen, die sich mit jahrzehntelanger technologischer Anstrengung in den USA etabliert haben, jetzt aufgrund von Sanktionsmaßnahmen de facto zum Verschwinden gezwungen werden, nur weil es einen Streit im Agrarbereich gibt.
Daher müsse die zweite Variante, die Frage von Kompensationen, weiter diskutiert werden. Darüber bestehe in der Europäischen Union ein Disput, wonach die amerikanische Seite kein Interesse an Agrarkonzessionen habe, sondern die EU an ihren industriellen Schwerpunkten treffen wolle, damit diese eine Änderung des gesamten Systems bewirken.
Aus österreichischer Sicht habe die Beibehaltung der jetzigen Regelung Priorität, und es müsse Druck dahinter gesetzt werden, daß die Studien abgeschlossen werden. Dafür wäre ein weiteres Abwarten der USA wünschenswert. Über die weiteren Schritte werde zu diskutieren sein, wenn sich die politisch erwünschte Variante 1 nicht unter vertretbaren Prämissen durchsetzen läßt.
Abgeordnete Dr. Martina Gredler (Liberales Forum) erklärt den Ausdruck “‚vorläufiges‘ Importverbot” damit, daß dadurch Entschädigungszahlungen verhindert werden könnten. Ohne den abschwächenden Terminus “vorläufig” bestünde ein entsprechender Automatismus, mit ihm sei eine finanzpolitisch billigere Vorgangsweise gewährleistet.
Wer über Todesfälle infolge von Antibiotikaresistenzen besser Bescheid wissen wolle, möge sich mit Professor Graninger im AKH in Verbindung setzen. Dies könne Klarheit schaffen über die hohe Zahl solcher Todesfälle in Intensivstationen aufgrund von Kreuzresistenzen, die auf Antibiotikazufuhr auf dem Weg über Fleischverzehr zurückzuführen sind.
Es sei nicht übermäßig schwierig, in Studien die Auswirkungen von Oestradiol auf den menschlichen Körper nachzuweisen. Schwierig, weil langwierig, gestalte sich der Nachweis, wie oft und mit welchem Hormonspiegel ein Stück Fleisch konsumiert werden müßte.
Abgeordnete Dr. Gredler stellt mit Bezug auf den vorliegenden Antrag der Freiheitlichen die Frage, welche Teile des EU-Budgets reduziert werden müßten, um die in diesem Antrag erhobene Forderung einzulösen, “daß den betroffenen heimischen Firmen die ihnen dadurch entstehenden wirtschaftlichen Nachteile beziehungsweise Schäden aus dem EU-Budget ausgeglichen werden”.
Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) verweist in Vertretung des Abgeordneten Mag. Haupt darauf, daß an Stelle der noch nicht vorliegenden Studien eine Reihe von amerikanischen Aussagen herangezogen werden könnte, in denen sogar die Rede davon sei, daß Produkte nach Europa verkauft werden, die in den USA nicht zulässig wären. Die Problematik sei daher in Amerika sehr wohl bekannt, werde aber übergangen.
Eigenartig sei die Vorgangsweise der USA auch vor dem Hintergrund, daß dort ein Kult damit getrieben werde, auf jeder Zigarettenpackung eine Warnung des Gesundheitsministers aufzudrucken, wogegen im vorliegenden Fall über die gesundheitliche Bedenken einfach hinweggegangen werde.
Nicht zu verstehen sei die Reaktion in der Europäischen Union, den USA von sich aus Pönalzahlungen anzutragen. Wenn von jemandem so brutal wie von den Amerikanern das Gefecht angeboten werde, dann könne das für Pönalzahlungen vorgesehene Geld zum Beispiel besser dafür verwendet werden, damit österreichische Unternehmen zu unterstützen.
Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner gibt einen Eindruck davon, wie die amerikanische Seite in WTO-Runden ihren Standpunkt “hinzuknallen” pflegt. Selbstverständlich lägen auch ihr die entsprechenden Studien vor, und sie werfe ihrem Gegenüber zum Beispiel an den Kopf, daß der Hormonspiegel – etwa des gefährlichen Oestradiol-Äquivalents – in einem Stück US-Beef wesentlich niedriger sei als in jedem Frühstücksei. Dem werde die Frage angeschlossen, ob nunmehr wegen Oestradiol-Gefährlichkeit auch Eier verboten werden sollten.
Ein anderes Argument, wie es zum Beispiel von der US-Handelsbeauftragten Barshefsky vorgebracht werde, laute darauf, daß ein halber Liter Milch mehr an Hormonen enthalte als ein riesiges Steak. Und wer von Gesundheitsgefährdung spricht, handle sich die Frage ein, warum dann Alkohol und Tabak nicht verboten werden.
Jetzt müsse beachtet werden, daß ein aktueller Handelsstreit, der sich zu einer größeren Dimension entwickeln könnte, auf Dauer nicht tragbar wäre. Deshalb habe das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten versucht, im Rahmen des transatlantischen Dialogs vor allem den Beweis zu führen, daß die USA und die Europäische Union zusammen ungefähr 50 Prozent des weltweiten Bruttonationalproduktes erwirtschaften.
Es müsse in einer ökonomisch instabilen Welt die Frage gestellt werden, ob es klug sei, Weltwohlstand durch einen solchen Dauerhandelskrieg zu gefährden. Deshalb sei an die Wissenschaftler appelliert worden, die Politiker nicht auf ihre Forschungsergebnisse warten zu lassen, um nicht die Gefahr eines Handelskriegs zu erhöhen, in dessen Verlauf dann auch österreichische Firmen wie KTM oder Lenzing den Preis zu zahlen hätten.
Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, daß ihm nunmehr ein Vierparteienantrag der Grünen, der ÖVP, der SPÖ und der Freiheitlichen mit folgender Formulierung vorliege: “Die österreichische Bundesregierung wird ersucht, auf EU-Ebene für eine Beibehaltung des Einfuhrverbots für hormonbehandeltes Rindfleisch einzutreten.”
Obmann Dr. Fischer leitet über zur Abstimmung und stellt fest, daß die Abgeordneten Mag. Kammerlander und Mag. Haupt ihre ursprünglichen Anträge zugunsten des Vierparteienantrages zurückgezogen haben.
Der von der Abgeordneten Dr. Gredler eingebrachte Antrag auf Stellungnahme betreffend WTO-Beschlüsse zum EU-Hormonverbot findet nur die Zustimmung der Antragstellerin, bleibt somit in der Minderheit und ist abgelehnt.
Abgeordnete Dr. Martina Gredler (Liberales Forum) fragt, ob mit dem noch vorliegenden Antrag eine Befristung bis zum Abschluß der Studien verbunden sei, ob – da jedes Fleisch Hormone in sich habe – damit ein höherer Prozentsatz gemeint sei und ob damit sofortige Entschädigungszahlungen eine Auswirkung hätten.
Obmann Dr. Heinz Fischer antwortet, daß nach der Geschäftsordnung Fragen zum technischen Vorgang der Abstimmung möglich sind, und erteilt Bundesminister Dr. Farnleitner das Wort zu dessen Einschätzung der Sachlage.
Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner stellt, da er einem so erfahrenen Parlamentarier wie Obmann Dr. Fischer keinen Ratschlag geben könne, rein privat fest, daß er es ebenso sehe. Der entscheidende Punkt sei jetzt die Vorlage der ausständigen Studien und die Reaktion darauf. Die Wichtigkeit des Ausschusses bestehe darin, sich, wenn Variante 1 nicht eintritt, wieder zusammenzufinden. (Abg. Dr. Gredler: Das ist nicht möglich! Das ist unbefristet!)
Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, daß keine weitere Wortmeldung vorliegt.
Mit dem in Rede stehenden Antrag werde inhaltlich die Unterstützung für eine bestimmte Position zum Ausdruck gebracht.
Obmann Dr. Fischer läßt über den Vierparteienantrag abstimmen. Der Antrag wird mit der Mehrheit der vier antragstellenden Fraktionen und gegen die Stimme des Liberalen Forums angenommen.
Damit ist der Tagesordnungspunkt 2 und somit der letzte Punkt des öffentlichen Teiles dieser Sitzung des Hauptausschusses erledigt.
(Es folgen die Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4.)
Schluß der Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 1 und 2: 17.09 Uhr
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