IV-26 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP
Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
Dienstag, 25. Mai 1999
Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier
Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
XX. Gesetzgebungsperiode Dienstag, 25. Mai 1999
Tagesordnung
1. Europäischer Rat Köln
Tagesordnung der 2186. Ratstagung (Allgemeine Angelegenheiten) am 31. Mai 1999 (68144/EU XX. GP)
Bericht der Ständigen Vertretung über die 2177. Ratstagung (Allgemeine Angelegenheiten) am 17./18. Mai 1999 (68033/EU XX. GP)
2. Antrag des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluß der Bundesregierung betreffend Fortsetzung der Entsendung von österreichischem Vollzugspersonal zur Unterstützung der Tätigkeit des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien (Vorlage 188/HA)
3. Antrag des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluß der Bundesregierung betreffend Fortsetzung der österreichischen Teilnahme im Rahmen des Multinationalen Friedenseinsatzes in Bosnien und Herzegowina – SFOR (Vorlage 189/HA)
4. Antrag des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluß der Bundesregierung betreffend WEU; Erweiterung der Polizeimission “Multinational Advisory Police Element / MAPE” in Albanien; Entsendung von 2 Beamten des Bundesministeriums für Inneres gemäß § 1 Z 1 lit. a KSE-BVG (Vorlage 190/HA)
Beginn der Sitzung: 16.17 Uhr
Obmann Dr. Heinz Fischer eröffnet die Sitzung, begrüßt die Anwesenden und leitet nach Stellungnahmen zur Geschäftsordnung zum 1. Tagesordnungspunkt über.
1. Punkt
Europäischer Rat Köln
Tagesordnung der 2186. Ratstagung (Allgemeine Angelegenheiten) am 31. Mai 1999 (68144/EU XX. GP)
Bericht der Ständigen Vertretung über die 2177. Ratstagung (Allgemeine Angelegenheiten) am 17./18. Mai 1999 (68033/EU XX. GP)
Obmann Dr. Heinz Fischer gibt die für die Debatte zum 1. Tagesordnungspunkt vereinbarten Redezeiten im Ausmaß von je 26 Minuten für SPÖ, ÖVP und Freiheitliche sowie je 20 Minuten für Liberales Forum und Grüne bekannt. Hierauf erteilt er Bundeskanzler Mag. Klima das Wort zu einer einleitenden Stellungnahme.
Bundeskanzler Mag. Viktor Klima erinnert daran, daß die Verhandlungen des außerordentlichen Europäischen Rates in Berlin – Agenda 2000, Landwirtschaft, Haushaltsstabilität, Grenzregionen und so weiter – für Österreich erfolgreich verlaufen seien. Für die bevorstehende reguläre Tagung des Europäischen Rates in Köln am 31. Mai 1999 führt er folgende Themen an: Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene, Förderung des Wirtschaftswachstums und der Stabilität, Behandlung der noch ungelösten institutionellen Probleme der Europäischen Union, Stärkung des außenpolitischen Profils der EU und Weiterentwicklung der europäischen Sicherheitspolitik.
Zum Thema Kosovo stellt Bundeskanzler Mag. Klima fest, daß Österreich – wie alle anderen 14 Mitgliedstaaten der Europäischen Union – ein sehr klares Signal der internationalen Staatengemeinschaft zum Zeichen ihrer Geschlossenheit mitgetragen habe, um sicherzustellen, daß der jugoslawische Präsident Milošević nicht den Eindruck einer Spaltungsmöglichkeit erhält. Die gemeinsame Haltung komme im wesentlichen in dem Statement zum Ausdruck, das im Rahmen des außerordentlichen Gipfeltreffens von Berlin beschlossen wurde. Aus dieser Stellungnahme lasse sich in keiner Weise irgendeine Abweichung von der österreichischen Sicherheits- und Neutralitätspolitik herauslesen. Die Erklärung der deutschen Präsidentschaft im Rahmen des informellen Treffens in Brüssel enthalte die von den Außenministern der Mitgliedstaaten übernommene Formulierung “justified and warranted”. Bundeskanzler Mag. Klima stellt fest, daß er nach wie vor voll zur Verwendung dieser Begriffe stehe.
Weiters erachte er es für sehr wichtig, unter Einbeziehung Rußlands rasch eine Lösung auf Basis der Vereinten Nationen herbeizuführen, und zwar unter den als Kofi-Annan-, WEU-, EU-, NATO- oder G-8-Punkte bezeichneten fünf Bedingungen. Wesentlich sei auch, daß es zu einer entsprechenden Entschließung des UNO-Sicherheitsrates kommt, weil dies ein sehr klares Signal an die Bevölkerung Jugoslawiens und Serbiens wäre, daß diese fünf Punkte kein Diktat eines Aggressors seien, sondern die Bedingungen der internationalen Staatengemeinschaft, um rasch zu Frieden in dieser Region kommen zu können.
Für das Kölner Gipfeltreffen sei geplant, aufgrund der Vorarbeiten der deutschen Präsidentschaft die Ausarbeitung eines europäischen Beschäftigungspaktes zu operationalisieren. Dafür liege bereits ein Entwurf vor, der im “Jumbo-Rat” – dem Rat der Finanz- und Sozialminister – beraten werde. Dabei gehe es um einen umfassenden Ansatz der Beschäftigungspolitik, zu dem sich auch Österreich bekannt habe, nämlich darum, Beschäftigungspolitik nicht nur als Wettbewerbspolitik und als “Employability”, sondern insgesamt als Wachstumspolitik aufzufassen.
Angestrebt werde ein verbessertes Zusammenspiel von Fiskal-, Lohn und Geldpolitik auf europäischer Ebene. Für diesen makroökonomischen Dialog sei ein zweistufiges Verfahren vorgesehen – ein entsprechender Vorschlag der deutschen Präsidentschaft finde Österreichs nachdrückliche Unterstützung –, und dabei sollten der Rat, die Kommission, die Sozialpartner und die Europäische Zentralbank einbezogen sein. Wie bisher auf nationalstaatlicher Ebene, so müsse dies auch auf europäischer Ebene funktionieren, da künftig zum Beispiel über die Geldpolitik ausschließlich auf der Ebene der EZB entschieden werde. Aus österreichischer Sicht sei auch der Meinungsaustausch mit dem Europäischen Parlament und mit der Europäischen Investitionsbank von entscheidender Bedeutung.
Österreich erachte es für wichtig, rasch die sogenannten “Leftovers” von Amsterdam in institutioneller Hinsicht zu klären, insbesondere hinsichtlich der Kommissare und der Stimmgewichtungen, und zwar unter Einbeziehung der Diskussion über Transparenz und Sauberkeit, zum Beispiel mit dem Aspekt der individuellen Verantwortung von Kommissaren.
Wichtig sei es auch, eine Antwort auf die Frage des verstärkten Einsatzes von qualifizierten Mehrheiten zu finden. Grundsätzlich und auf hoher Abstraktionsebene seien zwar alle Mitgliedstaaten damit einverstanden, dieses Mittel zugunsten rascher Entscheidungen verstärkt einzusetzen. Sobald aber die Probleme im Detail zur Sprache kommen, lege sich jeder auf seine Veto-Positionen fest, zum Beispiel Österreich in bezug auf die Nutzung der Wasserressourcen oder Deutschland im Fall der Gewerbeordnung. Bundeskanzler Mag. Klima spricht sich vom Grundsatz her dafür aus, Entscheidungen häufiger mit qualifizierten Mehrheiten herbeizuführen. Die inhaltliche Ausformung dieses Grundsatzes werde in weiteren Vorbereitungskonferenzen zur Institutionenreform zu diskutieren sein.
Für das Kölner Gipfeltreffen sei auch eine Diskussion über die Weiterentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik und der darauf bezogenen Punkte des Vertrages von Amsterdam zu erwarten. Bundeskanzler Mag. Klima erinnert daran, daß der Vertrag von Amsterdam auch im österreichischen Parlament debattiert und mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde, und er weist darauf hin, daß in der Präambel dieses Vertrages unter Titel V klar und deutlich festgelegt ist, was künftig die Aufgaben der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu sein hätten. Es gehe um ein Krisenmanagement, das es der Europäischen Union erlaubt, “im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen” tätig zu sein.
Es sei jetzt Aufgabe der deutschen Präsidentschaft, die gemeinsame Außenpolitik voranzutreiben. Zur Diskussion stehe auch die Ernennung einer dafür verantwortlichen Person. Österreich trete dafür ein, daß ein erfahrener Politiker die Funktion des “Mr. GASP” oder der “Mrs. GASP” übernimmt.
Weiters gehe es um die Ausarbeitung entsprechender Strategien. Die Vorbereitung einer Rußland-Strategie und einer Balkan-Strategie sei bereits auf dem Wiener Gipfeltreffen beschlossen worden. Jetzt zeige sich die Notwendigkeit dieses Beschlusses auch vor dem Hintergrund, daß es nach dem hoffentlich baldigen Ende der militärischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan voraussichtlich zu einer gemeinsamen Plattform für eine Stabilisierung der Balkan-Region kommen wird. Dafür seien bereits Vorschläge unterbreitet worden, die von einem Stabilitätspakt bis hin zu einer Balkan-Konferenz reichen. In drei Bereichen seien entsprechende Anstrengungen erforderlich, nämlich auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Demokratie, auf dem Gebiet der Sicherheit und auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Entwicklung. Es werde nötig sein, daß die Europäische Union rechtzeitig ihre Positionen in diesen Fragen erarbeitet.
Das heute dem Hauptausschuß vorliegende Dokument der deutschen Präsidentschaft weise in die Richtung eines verstärkten Krisenmanagements. Aufgrund der Formulierungen im Vertrag von Amsterdam sowie aufgrund der Bemerkungen und Stellungnahmen, die Österreich und andere Staaten dazu abgegeben haben, könne davon ausgegangen werden, daß der Euro-päische Rat von Köln zu keinen Beschlüssen oder Schlußfolgerungen gelangen werde, die im Widerspruch zur österreichischen Verfassungslage stehen.
Die Entscheidungen seien richtig, die in Amsterdam im Hinblick darauf getroffen wurden, das internationale Krisenmanagement der Europäischen Union effizienter zu gestalten. Es gehe um entsprechende Kapazitäten und effektive Entscheidungsstrukturen zur möglichst wirksamen Wahrnehmung der sogenannten “Petersberg-Aufgaben” im Bereich des Krisenmanagements.
Mit Sicherheit aber könne es nicht darum gehen – das habe die österreichische Stellungnahme sehr klar und deutlich zum Ausdruck gebracht –, eine Beistandspflicht gemäß Artikel V des WEU-Vertrages einzurichten. Daher könne in dem Dokument sicher nicht die Rede davon sein, daß aus der Europäischen Union ein Militärpakt gemacht wird.
Österreich werde darauf hinwirken, daß auch Nicht-NATO-Mitglieder entsprechend ihrer Verfassungslage mitwirken können und daß es zu deren frühzeitiger Einbindung in den Entschei-dungsprozeß kommt. Österreich trete – genauso wie Schweden – dafür ein, daß die primäre Verantwortung für den Weltfrieden bei den Vereinten Nationen liegt und daß deren Gewaltmonopol anerkannt wird. Österreich sehe es aufgrund der in seiner Verfassung festgeschriebenen Bedingungen nicht als Krieg im verbotenen Sinne an, wenn es auf Basis von Beschlüssen der Vereinten Nationen zu militärischen Aktionen kommt.
Es bestehe Einvernehmen zwischen beiden Koalitionsparteien darüber, daß weder der Vertrag von Amsterdam noch die vom Europäischen Rat von Köln zu erwartenden Beschlüsse im Widerspruch zur österreichischen Bundesverfassung stehen.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel gibt seiner Erwartung Ausdruck, daß am Europäischen Rat in Köln die Rußland-Strategie als erste der aufgrund des Vertrages von Amsterdam entwickelten internationalen Strategien der Europäischen Union zur Sprache kommen wird. Kernelemente dieser Strategie seien die Konsolidierung der Demokratie, der Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und der öffentlichen Einrichtungen in Rußland, die Integration Rußlands in einen gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Sozial-raum sowie in die Zusammenarbeit für Stabilität und Sicherheit in Europa, die Bewältigung des Problems der nuklearen Sicherheit und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die dafür nötigen Schritte betreffend Managerschulung, verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, einen intensivierten Sicherheits- und politischen Dialog mit Rußland, eine weitere Hilfestellung der Europäischen Union für den WTO-Beitritt Rußlands, einen hochrangigen Dialog in makroökonomischen Fragen und eine bessere Koordination der EU in den internationalen Finanzinstitutionen seien bereits bis in die Details ausgearbeitet worden.
Als zweites neues Thema in der Europäischen Union nennt Vizekanzler Dr. Schüssel eine EU-Charta für Grundrechte. Dies entspreche einer Position, die Österreich bereits im Rahmen der Regierungskonferenz vertreten habe: dem Wunsch nach Weiterentwicklung zu einer Art europäischer Verfassung mit vollständiger Beschreibung der Grund- und Zivilrechte. Zwar sei diese Position auch heute noch nicht konsensfähig, aber die deutsche Präsidentschaft habe inzwischen einen modifizierten Vorschlag für ein Protokoll oder eine EU-Charta der Grundrechte unterbreitet. Offen sei derzeit die Frage, ob es sich dabei um Primärrecht handelt und ob dieses Recht – dafür trete Österreich ein – einklagbar ist. Vizekanzler Dr. Schüssel spricht sich dafür aus, diesen Punkt weiterhin nachdrücklich zu verfolgen und in Köln einen entsprechenden Prozeß in Gang zu setzen.
Ein drittes Thema bilde nach wie vor die Institutionenreform, über die in Köln zwar kein Beschluß fallen, für die dort aber der Startschuß erfolgen werde. In den Protokollen zum Vertrag von Amsterdam seien bereits einige Elemente für den Erweiterungsfall vorgesehen. Österreich trete dafür ein, zugleich darüber zu verhandeln, was vor der ersten Erweiterung und was dann im Fall einer Erweiterung über die Zahl von 20 Mitgliedstaaten hinaus zu tun wäre, und diese Verhandlungen um aktuelle Themen anzureichern. Dazu gehöre die politische Verantwortung der Mitglieder der Europäischen Kommission, die Stärkung der Rolle der Institutionen – insbesondere des Europäischen Parlaments – in bezug auf Europol, die Ausdehnung des Bereiches der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, eine Erweiterung der Mitentscheidungsrechte des Euro-päischen Parlaments und eine Stärkung der GASP-Strukturen.
Diese Position Österreichs werde von Mitgliedstaaten mit restriktiveren Vorstellungen – wie zum Beispiel Spanien oder Frankreich – nicht geteilt. Es sei geplant, unter finnischer Präsidentschaft zur Vorbereitung einer entsprechenden Regierungskonferenz entweder ein eigenes Team einzusetzen oder den Rat Allgemeine Angelegenheiten beziehungsweise den COREPER damit zu beauftragen. Über diese Regierungskonferenz solle in Helsinki ein Beschluß getroffen werden; ein Abschluß solle im Lauf des Jahres 2000 erreicht werden.
Aufgrund des vorliegenden Dokumentes der deutschen Präsidentschaft zur gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sei es erstmals möglich, über die im Vertrag von Amsterdam theoretisch beschriebene allgemeine europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu diskutieren. Österreich brauche dazu keine Änderung der Verfassung mehr vorzunehmen, da das Parlament dies bereits getan habe. Vizekanzler Dr. Schüssel erinnert daran, daß nicht nur der Vertrag von Amsterdam ratifiziert, sondern zugleich auch die österreichische Bundesverfassung abgeändert wurde, und zwar mit dem Ziel, vollinhaltlich an den “Petersberg-Aufgaben” teilnehmen zu können. Ausschließlich um diese Aufgaben gehe es im Zusammenhang mit dem Amsterdam-Vertrag.
Die deutschen Vorschläge seien in der Diskussion der Fachminister am 17. Mai auf breiten Konsens gestoßen. Bemerkungen zu diesem Text seien aufgrund einer zuvor abgehaltenen Tagung der Politischen Direktoren von jedem Mitgliedstaat zur Festlegung der jeweiligen Positionen bereits im COREU-Weg vorweggenommen worden. Klar erkennbar sei darin die Zuspitzung auf einige wichtige Fragestellungen, und dazu gehöre an erste Stelle die Frage, ob die Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union – wie sie im Vertrag von Amsterdam noch als Möglichkeit beschrieben wird – schon in Köln fixiert werden solle. Eine überwältigende Mehrheit habe sich dagegen ausgesprochen, mit der Begründung, daß eine solche Willensbildung am Ende des Prozesses stehen sollte. Als Zeitpunkt für die notwendigen institutionellen Beschlüsse sei Jahresende 2000 genannt worden.
Frankreich vertrete eine eigene Linie und habe in seinen ergänzenden Bemerkungen den Wunsch nach einem politischen Vorkonsens, einem “Common understanding” darüber, daß dieser Beschluß entsprechend Artikel 17 gefaßt werden soll, zum Ausdruck gebracht. Österreich trete dafür ein, in Köln den Rat Allgemeine Angelegenheiten mit der entsprechenden Diskussion zu beauftragen, sodaß die erforderlichen Beschlüsse bis Ende 2000 erfolgen können.
Eine weitere Frage bestehe darin, ob Artikel V Erwähnung finden solle. Es bestehe weitgehende Übereinstimmung darüber, daß dies nicht notwendig sei, wenn es nicht um die Frage der kollektiven Sicherheit geht. Die kollektive Verteidigung werde weiterhin innerhalb der WEU, vor allem aber innerhalb der NATO gewährleistet sein. Im vorliegenden Zusammenhang gehe es um die “Petersberg-Aufgaben” und alles, was dazugehört: humanitäre Hilfe, Krisenmanagement, aber auch friedenserhaltende und friedenschaffende Einsätze. Es seien daher EU-geführte militärische Aktionen denkbar. Für diese sei die österreichische Verfassung bereits offen, Österreich könnte in solchen Fällen vollinhaltlich teilnehmen. Daher sei es jetzt in keinem Fall nötig, die Artikel-V-Frage zu stellen.
Die Artikel-V-Formulierung werde sogar von engagierten NATO-Mitgliedern wie Großbritannien für unpräzis erachtet. Auch die deutsche Präsidentschaft habe sich nicht für ein eigenes Protokoll darüber ausgesprochen, sondern sie äußere sich sehr allgemein in der Weise, daß die atlantische Allianz als Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder bestehen bleibe. Die Verpflichtungen nach Artikel V würden auch im Fall der Integration der WEU in die EU aufrechterhalten werden, obgleich die institutionelle Grundlage dieser Verschmelzung vorbehaltlich eines einstimmigen Beschlusses aller Betroffenen überprüft werden müßte. Vizekanzler Dr. Schüssel schätzt die Formulierung in dem deutschen Vorschlag, daß die Artikel-V-Verpflichtung bestehen bleibe, als nicht präzis ein. An dieser Formulierung sei bereits von mehreren der beteiligten Länder Kritik geübt worden.
Alle 15 Mitgliedstaaten hätten sich dafür ausgesprochen, die notwendigen Strukturen für eine derart veränderte europäische Identität zu schaffen. Wer sich – wie Österreich – bisher zur Frage eines eigenen Rates der Verteidigungsminister geäußert hat, habe dem eine Absage erteilt. Für entsprechende Belange könnte der Rat Allgemeine Angelegenheiten – notfalls unter Hinzuziehung der Verteidigungsminister – zuständig sein.
Im wesentlichen außer Streit stünden die Fragen eines ständigen politischen und militärischen Komitees der Europäischen Union – EU-Militärausschuß oder EU-Militärstab – sowie der notwendigen Kapazitäten und Planungseinheiten. Auch die Rüstungskooperation innerhalb der EU, wie sie schon im Vertrag von Amsterdam angesprochen ist, habe sich als konsensfähig erwiesen.
Die gleichberechtigte Mitwirkung aller Beteiligten sei von allen Mitgliedstaaten befürwortet worden. Jeder solle das Recht haben, an EU-geführten Operationen teilzunehmen, auch wenn er sich eigener oder fremder Strukturen bedient. In dem Dokument der deutschen Präsidentschaft werde nunmehr festgehalten, daß unnötige Überschneidungen mit vorhandenem Potential im NATO-Rahmen zu vermeiden sind. Dies weise bereits in die Richtung einer Europa-Armee, und dies habe die Unterstützung sämtlicher dazu laut gewordenen Stimmen gefunden.
Vizekanzler Dr. Schüssel äußert sich zuversichtlich, daß in Köln nicht nur kein entsprechender Beschluß gefaßt wird, sondern daß jetzt – aufbauend auf den Wiener Beschlüssen – aufgrund konkreter Dokumente die nächste Stufe in Angriff genommen und in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 unter französischem Vorsitz ein Abschluß herbeigeführt werden wird. In diesem Bereich bestehe keine Divergenz innerhalb der österreichischen Regierung. Österreich habe sich prinzipiell bereit erklärt, an diesen Möglichkeiten des Vertrages von Amsterdam mitzuwirken.
In der Frage des Kosovo stehe ein Beschluß des NATO-Rates über eine Planungsauftrag an SACEUR bevor, die für den Friedens- oder Implementierungseinsatz vorgesehenen Bodentruppen von 16 000 bereits jetzt in Mazedonien stationierten NATO-Soldaten auf bis zu 45 000 Mann aufzustocken. Dies dürfe nicht mit einem Kampfeinsatz ohne Abkommen verwechselt werden. Es sei sinnvoll, schon jetzt einen solchen Auftrag zu erteilen, weil im Fall einer Implementierung sehr rasch eine größere Truppenanzahl benötigt werde. Für einen glaubwürdigen Sicherungs- und Implementierungseinsatz seien 45 000 Mann als absolute Untergrenze zu betrachten.
Für den kommenden Tag sei ein Treffen zwischen dem russischen Außenminister Iwanow, dem finnischen EU-Verhandler Ahtisaari und dem stellvertretenden US-Außenminister Talbott geplant. Es werde um die Fragen einer UNO-Sicherheitsratsresolution und einer präzisen Akzeptierung der fünf UNO-Prinzipien beziehungsweise der acht G-8-Prinzipien auf jugoslawischer Seite gehen. Unterschiede bestünden derzeit noch in der Frage der Gleichzeitigkeit der Operationen – Sicherheitsratsresolution, Truppenrückzug und Einstellung der Bombardierungen –, außerdem werde zu klären sein, in welchem Ausmaß eine Restpräsenz jugoslawischer Truppen oder Spezialpolizei erlaubt ist, und überdies sei derzeit strittig, welche Art der militärischen Präsenz zur Sicherung nötig ist. Rußland habe sich zum Beispiel für eine Aufteilung in Zonen ausgesprochen, in denen Truppen aus verschiedenen Ländern entsprechend dem Ausmaß der Beteiligung am Konflikt eingesetzt werden, aber dieser Vorschlag drohe auf eine Segmentierung oder Teilung des Kosovo hinauszulaufen, wie sie nicht erwünscht sei.
Über all diese Fragen werde hinter den Kulissen derzeit intensiv und genau ins Detail gehend gesprochen. Dies sei zu begrüßen, denn auch Österreich benötige, bevor es eine Entscheidung über die Teilnahme treffen kann, genaue Informationen zum Beispiel über die Art der dort zu erwartenden Kommandostruktur.
Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) fragt, wodurch gewährleistet werden könne, daß am Europäische Rat in Köln keinesfalls ein Beschluß gefaßt wird, der gegen die österreichische Verfassung verstoßen könnte. Bundeskanzler Mag. Klima möge darlegen, zu welchen Punkten des vorliegenden Dokumentes er gegebenenfalls Änderungsvorschläge einbringen werde und wie diese Vorschläge aussehen könnten.
Es habe sich in den letzten Jahren gezeigt, daß Worte und Begriffe in der Europäischen Union eine weitaus größere und nachhaltigere Bedeutung für die Politik haben, als dies im sonstigen Leben der Fall sei. Daher sei es umso wichtiger, daß genau Aufschluß über die österreichische Position zur Beistandspflicht gegeben wird. Zu diesem Thema werde im vorliegenden Dokument nur sehr verschwommen gesagt, daß die bestehenden Verpflichtungen jedenfalls erhalten bleiben. Es stelle sich die Frage, ob dies für die österreichische Bundesregierung konkret zu einem Anlaß werden könnte, die Streichung dieses Passus zu verlangen.
Im Gegensatz dazu, daß es der Europäischen Union bisher nicht gelungen ist, eine Institutionenreform zugunsten des wichtigen friedenspolitischen Projektes der Osterweiterung zustande zu bringen, sei in dem jetzt vorliegenden Dokument eine Institutionenreform vorgesehen, die sich gewaschen habe. Die darin geplanten Gremien würden nicht nur dem bisher angestrebten Ziel dienen, geeignete Strukturen zu schaffen, sondern tiefgehende Einschnitte in die bestehenden Institutionen der Europäischen Union darstellen. Abgeordnete Mag. Kammerlander fragt, ob die österreichische Bundesregierung dem zustimme und einen Sicherheitsausschuß, einen Verteidigungsrat, einen Militärausschuß, einen Militärstab und so weiter auch zu ihren Prioritäten zähle.
Überhaupt lasse sich dieses Dokument, in dem obendrein gefordert werde, daß das militärische Potential verstärkt werden müßte und Streitkräfte aufgebaut werden müßten, insgesamt wie die Vorbereitung zu einem Krieg lesen. Daher stelle sich die Frage, um was für einen Krieg es dabei gehen könnte, gegen wen und in wessen Interesse er zu führen wäre.
Unklar sei auch die österreichische Position gegenüber Beschlüssen im Sicherheitsrat der UNO über militärische Einsätze. Das Dokument der deutschen Präsidentschaft nehme darauf nicht Bezug. Daher möge von seiten der Bundesregierung Auskunft darüber gegeben werden, ob Österreich weiterhin für eine Weltordnung eintrete, der die Existenz einer UNO zugrunde liegt, in welcher der Sicherheitsrat über Interventionen und Einsätze beschließt.
Einer Stellungnahme vom März 1999 sei zu entnehmen, daß sich die neutralen EU-Mitgliedstaaten sehr zurückhaltend zu den Vorschlägen im vorliegenden Dokument der deutschen Präsidentschaft geäußert hätten – Irland habe sich sogar dagegen ausgesprochen –, hingegen habe der österreichische Außenminister Dr. Schüssel bereits in den Vorbereitungstreffen positive Kommentare dazu abgegeben. Es stelle sich einmal mehr die Frage nach dem österreichischen Standpunkt, zumal Bundeskanzler Mag. Klima in seiner Einleitung soeben festgestellt habe, daß keinerlei Verstoß gegen die österreichische Verfassung erfolgen wird. Eine Begründung dafür sei allerdings ausständig. Es sei zuwenig, zwar auf Plakaten die Neutralität zu propagieren, aber schlüssige Informationen zu konkreten Dokumenten wie dem vorliegenden schuldig zu bleiben.
Probleme bereite nicht nur die Beistandspflicht. Es gehe auch um Fragen der Leitprinzipien, der Strukturen und der Beschlüsse, zum Beispiel betreffend den Aufbau von Streitkräften. Insgesamt gehe es um die Haltung des neutralen Staates Österreich zu diesen Problemen.
Das von Bundeskanzler und Vizekanzler verwendete Wort “Krisenmanagement” gebe Anlaß dazu, die österreichische Bundesregierung daran zu erinnern, daß sie vor Jahren versucht habe, die “Petersberg-Aufgaben” als etwas rein Ziviles, Präventives und Friedliches zu “verkaufen”. Im vorliegenden Dokument – von seiten der österreichischen Bundesregierung als “konsequente Weiterentwicklung” bezeichnet – sei jedoch keine Rede mehr von Prävention und von einer friedlichen Politik, ja nicht einmal mehr von einer Außenpolitik. Abgeordnete Mag. Kammerlander stellt fest, daß ihrer Auffassung nach eine Außenpolitik nicht im Aufbau von militärischen Strukturen, Militärpotential und dergleichen ihre Begründung finden könne.
Bezeichnenderweise trage dieses Dokument den Titel “Die Stärkung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik”. Es gehe also um einen Begriff, der aus der NATO komme. Hingegen sei nicht mehr von einer Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik die Rede. Diese müßte auch ganz andere, dringend notwendig Elemente enthalten.
Abgeordnete Mag. Kammerlander verweist auf zwei Anträge auf Stellungnahme betreffend EU-Gipfel in Köln, die von den Grünen für diese Sitzung eingebracht worden sind. In dem einen Antrag gehe es darum, was eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im zivilen Verständnis sein könnte und sein sollte. Der andere Antrag ziele auf die Aufrechterhaltung der Neutralität ab. Abgeordnete Mag. Kammerlander fügt hinzu, daß sich letzterer Antrag daher insbesondere an die SPÖ richte, sofern sie es mit der österreichische Neutralität ernst meine.
Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) erinnert zur Einleitung seiner Ausführungen die Abgeordnete Mag. Kammerlander daran, daß das vorliegende Dokument der deutschen Präsident-schaft von jenem Außenminister erstellt worden ist, der als einziger unter den Außenministern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Grünen angehört.
Abgeordneter Dr. Kostelka weist darauf hin, daß die “Petersberg-Aufgaben” den gesamten Bereich von rein humanitären Aufgaben bis hin zum Krisenmanagement – unter Einschluß von Kampfaufträgen – umfassen. Es komme daher wesentlich auf die Legitimation an. Im Fall eines entsprechenden Beschlusses des UNO-Sicherheitsrates ergebe sich kein Problem für die österreichische Neutralität, wohl aber dann, wenn ein solcher Beschluß nicht vorliegt.
Auch der im Artikel 17 angesprochene Beschluß zur Verschmelzung von WEU und EU stelle sich völlig unterschiedlich dar, je nachdem, ob Artikel V des WEU-Vertrages und damit die Beistandspflichten einbezogen werden oder nicht. Abgeordneter Dr. Kostelka stellt fest, daß die Beistandspflichten gemäß WEU-Vertrag weit über das hinausgehen, was dazu im Artikel 5 des Nordatlantik-Paktes festgelegt ist.
Es sei daher dringend notwendig, daß Österreich eine Erklärung darüber abgibt, unter welchen Voraussetzungen ihm eine solidarische Mitwirkung möglich ist. Abgeordneter Dr. Kostelka erblickt diese Voraussetzungen in der Wahrung des Neutralitätsrechtes und in der Wahrung jener Position, mit der Österreich in die Europäische Union eingetreten ist. Das Neutralitätsgesetz sei den anderen EU-Mitgliedstaaten ja bekannt gewesen, sodaß Österreich in abgestimmter Weise mit den anderen neutralen oder nicht paktgebundenen Staaten innerhalb der Europäischen Union – nämlich Schweden, Finnland und Irland – deutlich machen könne, daß es auch im Zuge der Weiterentwicklung der EU Mitgliedstaaten geben werde, die nicht der NATO angehören.
Sowohl die Mitgliedschaft als auch die Nichtmitgliedschaft in der NATO müsse für EU-Mitgliedstaaten möglich bleiben. Daher sei im Artikel 17 mit der sogenannten irischen Klausel klargestellt worden, daß die EU die Position von Mitgliedstaaten mit anderer sicherheitspolitischer Konzeption und Rechtslage respektiert. Auf Betreiben des Bundeskanzleramtes sei bereits darauf hingewiesen worden, daß es gegenüber den Partnern deutlicher Erklärungen über die Grenzen bedürfe, die das österreichische Neutralitätsgesetz vorgibt.
Da auch Dänemark, obwohl NATO-Mitglied, einer Verschmelzung von WEU und EU nicht zustimme, werde somit von einem Drittel der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Widerstand und Nichtakzeptanz gegenüber dieser Verschmelzung zum Ausdruck gebracht. Von diesem Drittel würde somit eine Entscheidung nicht mitgetragen werden, die darauf hinausliefe, daß der Artikel V im Falle der Verschmelzung für alle Mitgliedstaaten Wirksamkeit bekäme. Dies sei gegenüber der Europäischen Union bereits deutlich gemacht worden, sodaß entsprechende weitere Maßnahmen nicht notwendig seien.
Österreich habe seine Neutralität in vollem Umfang auch hinsichtlich etwaiger künftiger Beschlüsse klargestellt, und es habe sichergestellt, daß sogar nach der französischen Präsidentschaft eine Position Österreichs Bestand haben werde, die das Bundesverfassungsgesetz von 1955 voll respektiere. Im übrigen sei der österreichische Standpunkt im Artikel 17 des Vertrages von Amsterdam ebenso respektiert worden wie im Artikel 23f der österreichischen Bundesver-fassung. Darin werde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union einer eigenen verfassungsgesetzlichen Bestimmung bedürfte. Eine solche Verschmelzung unter Einbeziehung von Artikel V würden aber mehr als ein Drittel der Abgeordneten des Nationalrates, nämlich die Abgeordneten der Sozialdemokratie, nicht mittragen.
Angesichts der besonderen Sensibilität dieser Frage werde der österreichische Außenminister seine Vorgangsweise ausschließlich in Abstimmung mit dem Bundeskanzler zu wählen haben. Die institutionellen Vorkehrungen zur Bewahrung der österreichischen Position seien in ausreichendem Maße gegeben.
Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) fragt Bundeskanzler Mag. Klima, ob es in Vorbereitung des Europäischen Rates in Köln ein Dokument der österreichischen Bundesregierung gebe, das den Regierungsparteien, nicht aber den Oppositionsparteien zugegangen ist. Aus der einleitenden Stellungnahme des Bundeskanzlers sei wenig bis nichts über eine entsprechende österreichische Position zu erfahren gewesen.
Mit Bezug auf die Ausführungen von Vizekanzler Dr. Schüssel über die erforderliche Institutionenreform vor einer EU-Erweiterung – Österreich trete nicht für eine kleine, sondern für eine umfassende Reform ein, die bereits auf mehr als 20 Mitgliedstaaten abgestellt wäre – fragt Abgeordneter Mag. Schweitzer nach konkreten Vorstellungen über einen entsprechenden Zeitplan. Er äußert Zweifel daran, daß eine solche Reform bereits im zweiten Halbjahr des Jahres 2000 möglich sein könnte.
Im Februar 1999 habe sich der deutsche Bundeskanzler Schröder in der “Süddeutschen Zeitung” dafür ausgesprochen, daß es erste Beitritte im Zuge der Osterweiterung bereits im Jahr 2003 geben solle. Abgeordneter Mag. Schweitzer fragt, worauf sich diese Aussage Schröders beziehe. In diesem Interview sei auch die Rede davon gewesen, daß in der Agenda bereits von 2003 an finanzielle Mittel für entsprechende Beitritte vorgesehen seien.
Aus österreichischer Sicht werde es erforderlich sein, bereits auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen in Köln über Beitrittsvoraussetzungen zum Beispiel im Zusammenhang mit grenznahen Kernkraftwerken und mit den Beneš-Dekreten zu beraten. Abgeordneter Mag. Schweitzer fragt Bundeskanzler Mag. Klima nach diesbezüglichen Absichten.
Hinsichtlich der von Bundeskanzler Mag. Klima angesprochenen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit fragt Abgeordneter Mag. Schweitzer, für welche der Bereiche, in denen jetzt noch Einstimmigkeit nötig ist, eine Änderung in Frage komme. Er fragt mit Bezug auf Bundeskanzler Mag. Klimas Ausführungen darüber, daß jetzt der europäische Beschäftigungspakt operationalisiert sowie ein umfassender Ansatz für das Zusammenspiel von Fiskal- und Geldpolitik diskutiert werden solle, ob ausgeschlossen werden könne, daß in Köln die Einführung einer Europa-Steuer erörtert werden wird. Dazu sei zu beachten, daß zum Beispiel der ÖVP-Abgeordnete zum Europäischen Parlament Dr. Rübig sich öffentlich über eine solche Steuer geäußert habe und daß überdies bereits entsprechende Beschlüsse im Europäischen Parlament gefaßt wurden.
Weiters fragt Abgeordneter Mag. Schweitzer, welches Ausmaß die von Bundeskanzler Mag. Klima verschiedentlich angesprochenen Übergangsfristen bis zur Einführung der Personenfreiheit im Zuge der Osterweiterung haben sollten, welchen offiziellen Vorschlag Österreichs der Bundeskanzler in bezug auf diese Übergangsfristen einbringen werde und ob bereits Maßnahmen getroffen wurden, diese Fristen mit anderen Ländern zu koordinieren.
Abgeordnete Maria Rauch-Kallat (ÖVP) bedankt sich für die vom Außenministerium mit dem Bundeskanzleramt akkordierte Stellungnahme von Regierungsseite zum vorliegenden Dokument der deutschen Präsidentschaft. Sie fragt Bundeskanzler Mag. Klima mit Bezug darauf, daß die SPÖ offenbar gegenüber den anderen neutralen Staaten in der Europäischen Union darauf gedrungen habe, eine gemeinsame Stellungnahme zur Sicherheitspolitik zu erarbeiten, ob es darüber ein Dokument gebe.
In dem vorliegenden Dokument der deutschen Präsidentschaft sei in den Schlußfolgerungen die Rede davon, daß die Beschlüsse zur Integration der Westeuropäischen Union vorzubereiten sind und dabei dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen ist. Abgeordnete Rauch-Kallat fragt Bundeskanzler Mag. Klima nach dessen Interpretation dieser Textstelle sowie nach seiner Interpretation der vorangegangenen Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kostelka zu diesem Punkt. Diese nähmen sich angesichts dieses Zitats wie eine unnötige Kraftanstrengung zum Eintreten einer offe-nen Tür – im Zuge einer “Operation offene Hintertür” – aus.
Weiters zitiert Abgeordnete Rauch-Kallat aus den Schlußfolgerungen im vorliegenden Dokument jene Stelle, in der es heißt, daß der Europäische Rat den Rat Allgemeine Angelegenheiten beauftragen müßte, die notwendigen Beschlüsse zur Integration der WEU in die EU vorzubereiten. Darin sei klar festgehalten, daß dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen sei, und daher sei es nicht zu verstehen, daß Abgeordneter Dr. Kostelka in einer Presseaussendung folgendermaßen Stellung bezogen habe: Taktik der ÖVP unter Schüssel sei es gewesen, dem Papier zuerst nicht zu widersprechen und nach einer entsprechenden Beschlußfassung in Köln zur Kenntnis nehmen zu müssen, daß Österreich WEU- beziehungsweise NATO-Mitglied sei.
Mit Bezug darauf stellt Abgeordnete Rauch-Kallat Bundeskanzler Mag. Klima die Frage, ob man allein schon dadurch NATO-Mitglied werde, daß man einem Dokument der deutschen Präsidentschaft nicht widersprochen hat, und ob die Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kostelka unrichtig, unwahr oder schlicht und einfach dumm seien.
Es sei feststellbar, daß Abgeordneter Dr. Kostelka in dieser Sitzung anders gesprochen habe als in der vorangegangenen Presseaussendung vom selben Tag, nach dem Motto “Klubobmann – gespaltene Zunge”.
Abgeordnete Mag. Dr. Heide Schmidt (Liberales Forum) merkt an, daß es der Generalsekretärin der ÖVP vertraut sein müßte, drinnen anders als draußen zu sprechen, und daß in den Stellungnahmen von Regierungsseite einige Fragen zur österreichischen Position unbeantwortet geblieben seien. Hinsichtlich unklarer Ausführungen habe der Bundeskanzler den Vizekanzler übertroffen, da letzterer immerhin einige Auskünfte über die Richtung der österreichischen Politik gegeben habe, nicht so jedoch der Bundeskanzler.
Abgeordnete Dr. Schmidt widerspricht der Feststellung, daß unter österreichischer Präsidentschaft ein Startschuß zur Institutionenreform gegeben worden sei. Bundeskanzler und Vizekanzler selbst seien es gewesen, die im Vorfeld der österreichischen Präsidentschaft gemeint hätten, es gebe danach kein Bedürfnis. Jetzt würden die anderen Länder nachholen, was Österreich versäumt habe.
Abgeordnete Dr. Schmidt fragt, mit welchem Standpunkt Österreich in die entsprechenden Verhandlungen – zum Beispiel über die individuelle Verantwortung von Kommissionsmitgliedern – eintreten werde, und bedankt sich bei Vizekanzler Dr. Schüssel für die Information, daß diese individuelle Verantwortlichkeit auch eingefordert werden solle. Es stelle sich die Frage, in welcher Form sie umgesetzt werden und welche Rolle dabei das Europäische Parlament spielen solle, zum Beispiel im Zuge des Bestellungsvorganges.
Für die Erweiterung des Bereiches der qualifizierten Mehrheiten habe sich auch das Liberale Forum bereits seit langem ausgesprochen, durchaus wissend, daß sich dies auch gegen österreichische Interessen richten könne – als überzeugte Europäerin sage man auch nicht “Österreich zuerst!”, sondern fühle sich statt irgendwelchen nationalstaatlichen Interessen den Grundsätzen verpflichtet –, aber es mangle an Auskunft darüber, welche Entscheidungen dafür in Frage kämen und was von Veränderungen ausgeschlossen wäre sowie dem Einstimmigkeitsprinzip unterworfen bleiben müßte.
Die angesprochene Ausdehnung des Mitspracherechtes des Parlaments finde ebenfalls die volle Unterstützung des Liberalen Forums, aber auch in dieser Hinsicht fehle es an Informationen über die von Österreich gewünschte Richtung. Letzeres gelte auch für die Stärkung der GASP-Strukturen.
Das vorliegende Dokument lasse sich tatsächlich so interpretieren, daß darin ein europäisches Heer angesprochen wird. Abgeordnete Dr. Schmidt begrüßt diesen Ansatz, der im Fall der Verwirklichung mit der Auflösung der nationalen Heere einhergehen müßte, und fragt nach dem österreichischen Standpunkt dazu. Unterstützung für die Forderung nach einem europäischen Heer hätten nicht nur Jacques Chirac, Tony Blair und Helmut Kohl zum Ausdruck gebracht, sondern kürzlich auch der künftige Kommissionspräsident Romano Prodi. Davon wäre die nationalstaatliche Verteidigungspolitik auch im Hinblick auf entsprechende Konsequenzen für Rüstungsankäufe betroffen.
Abgeordnete Dr. Schmidt fragt, ob die Schaffung eines europäischen Heeres mit der österreichischen Neutralität vereinbar wäre und ob, falls es im Jahr 2000 zu einem Beschluß über die Verschmelzung von WEU und EU käme, dies der Zeitpunkt wäre, zu dem die Neutralität in Österreich auch als Potemkinsches Dorf nicht mehr aufrechterhalten werden könnte.
Bundeskanzler Mag. Viktor Klima antwortet der Abgeordneten Mag. Kammerlander in bezug auf den Vorwurf mangelnder Anstrengungen in Richtung einer gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union, daß im Vertrag von Amsterdam und auf dem Wiener Gipfeltreffen die gemeinsame Außenpolitik bereits festgehalten worden sei. Es werde dafür eine Person gesucht werden, es werde zum Aufbau von Planungs- und Analysezellen kommen müssen, und es werde nötig sein, dafür konkrete Strategien zu entwickeln.
Falls das vorliegende Dokument einen martialischen Eindruck erwecke, liege dies daran, daß dieses Papier sich ausschließlich mit dem Artikel 17 – also dem insbesondere der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gewidmeten Artikel – des Titels V und nicht mit den anderen Artikeln auseinandersetzt.
Über eine NATO-Mitgliedschaft Österreichs brauche jetzt noch nicht entschieden zu werden. Bundeskanzler Mag. Klima betont, daß eine Europäische Union in dem Sinn, daß jeder Mitgliedstaat automatisch NATO-Mitglied werden muß, nicht vorstellbar sei. Dies gelte sowohl für die heutige EU als auch in bezug auf eine erweiterte Union, zum Beispiel im Fall der Erweiterung um baltische Staaten. Die Mitgliedschaft in der EU und die Teilhabe an einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werde auch und insbesondere in Zukunft nicht identisch mit der NATO-Mitgliedschaft sein können. Es gehe daher um ein Miteinander von Staaten, die an ihrer Beistandspflicht im NATO-Rahmen festhalten, und Nicht-NATO-Mitgliedern. Es gehe um entsprechende Vielfalt.
Die Beistandspflicht sei jetzt noch kein Thema. Die Stellungnahme, die Österreich dazu abgeben werde, werde die vorliegende Formulierung zur Beistandspflicht für unscharf, mißverständlich und nicht notwendig erachten, sodaß sie am besten entfallen sollte. Für den Fall, daß elf Mitgliedstaaten auf dieser Textstelle beharren werden, werde eine Klarstellung aus österreichischer Sicht notwendig sein, aus der hervorgeht, daß es das Interesse jener elf NATO-Mitglieder ist, an diesem Artikel über die Beistandspflicht festzuhalten, daß dies aber nicht im Interesse aller EU-Mitgliedstaaten steht. Dazu vertrete die österreichische Bundesregierung eine gemeinsame Meinung.
Bundeskanzler Mag. Klima weist darauf hin, daß er in Köln keinen Beschluß mittragen werde, der nicht mit der österreichischen Verfassung vereinbar wäre. Daher sei der Antrag der Abgeordneten Mag. Kammerlander betreffend Neutralität nicht erforderlich.
Dem Abgeordneten Mag. Schweitzer antwortet Bundeskanzler Mag. Klima, daß geplant sei, die Institutionenreform bis Ende 2000 abzuschließen. Aus österreichischer Sicht gehe es um die Anzahl der Kommissare, um die Stimmgewichtungen, um die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die jene Fälle zu erarbeiten haben wird, in denen es um qualifizierte Mehrheiten geht, sowie um die Frage der individuellen Verantwortung. In Köln werde jedoch mit Sicherheit nicht darüber diskutiert werden, welche Entscheidungen zusätzlich mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden sollen und welches rechtliche Maß für die individuelle Verantwortung und Mitwirkung gelten soll. Die Institutionenreform sei zwar notwendig für die Erweiterung der Europäischen Union, müsse aber auch unabhängig davon durchgeführt werden.
Die EU-Erweiterung sei ebenfalls notwendig und müsse sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Kandidatenländer in gleicher Form Vorteile bringen. Bundeskanzler Mag. Klima stellt klar, daß er nichts von einem Beitrittsdatum 2003 wisse und diese Jahreszahl hier zum ersten Mal in diesem Zusammenhang gehört habe. Es gebe keine entsprechenden Beschlüsse, und er habe nie eine Jahreszahl im Zusammenhang mit Übergangszeiträumen genannt. Er habe nur davon gesprochen, daß in verschiedenen Bereichen Übergangszeiträume eingerichtet werden müssen, zum Beispiel hinsichtlich der Freiheit des Personen- beziehungsweise Arbeitnehmerverkehrs.
Es sei nicht sinnvoll, diese Bereiche einem Feilschen um Jahreszahlen zu unterziehen, sondern es stelle sich vielmehr die Frage geeigneter Bedingungen. Die österreichische Bundesregierung habe sich eine entsprechende Vorarbeit vorgenommen, nämlich innerhalb der vorbereitenden Gespräche mit Slowenien, Ungarn oder der Tschechischen Republik durch Beauftragung von Wirtschaftsinstituten zunächst einmal Fakten zu ermitteln und dadurch objektive Entscheidungsgrundlagen für Verhandlungen über sowie Festlegung von Beitrittsbedingungen zu schaffen.
Was die grenznahen Kernkraftwerke betrifft, habe die österreichische Bundesregierung in der Zwischenzeit ausreichend auf die Ergebnisse des Wiener Gipfeltreffens hingewiesen. Daher sei die Frage der Sicherheit von Kernkraftwerken jetzt bereits zu einem maßgeblichen Thema der Beitrittsverhandlungen und des Beitrittsprozesses geworden. Bundeskanzler Mag. Klima erinnert daran, daß es einen von der Internationalen Atomenergiebehörde festgelegte Sicherheitsstandard – eine Art Weltsicherheitsstandard – gibt, der in mehreren Bereichen von den Standards der Europäischen Union übertroffen wird. In bezug auf die Sicherheit von Kernkraftwerken gebe es jetzt eine Vereinigung der westeuropäischen Sicherheitsbehörden, die sich gewisse Standards und Normen zum Ziel gesetzt habe, welche gemäß den Schlußfolgerungen von Wien als technisch beste Standards angesehen werden können. Der entsprechende österreichische Standpunkt sei der Europäischen Union bekannt und könne auch verstärkt werden.
In der Frage der Inhalte und Anwendungsbereiche von qualifizierten Mehrheiten werde es in Köln zu keinen Entscheidungen kommen. Daher gebe es keine Festlegung auf österreichischer Seite. Unter Hinweis auf Presseaussendungen über das Wasser als Österreichs “Weißes Gold” stellt Bundeskanzler Mag. Klima fest, daß ein Land auch in Bereichen, in denen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, eine Art Veto einlegen könne, wenn ein vitales Interesse betroffen ist.
Über eine Europa-Steuer werde in Köln sicherlich nicht diskutiert werden, und es werde darüber auch kein Beschluß gefaßt werden. Bundeskanzler Mag. Klima fragt, was mit dem Ausdruck “Europa-Steuer” überhaupt gemeint sei. Man könne darüber nachdenken, ob bei Einsparung von nationalen Beiträgen die Finanzierungsbasis der EU durch gemeinsame, nur europäisch sinnvolle Abgaben gestaltet werden könnte.
Bundeskanzler Mag. Klima antwortet der Abgeordneten Rauch-Kallat, daß er keine Interpre-tation der Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kostelka vorzunehmen brauche. Außenministerium und Bundeskanzleramt seien in Kontakt mit Kabinettschefs und ‑mitgliedern in Schweden, Finnland und Irland gestanden, und dabei sei es nicht zu einer gemeinsamen Stellungnahme der vier Staaten, wohl aber zum Austausch, zur Diskussion und zur Abstimmung der Stellungnahmen aufeinander gekommen. Der österreichische Standpunkt zu dem vorliegenden Dokument der deutschen Präsidentschaft weise keinen Widerspruch zwischen Außenministerium und Bundeskanzleramt auf. Es sei nicht ungewöhnlich, daß es im Zuge von Diskussionen schrittweise zu einer entsprechenden Annäherung komme.
Bundeskanzler Mag. Klima antwortet der Abgeordneten Dr. Schmidt, daß der britische Premierminister Blair nicht für ein europäisches Heer eintrete. Der künftige Kommissionspräsident Prodi habe sogar aufgrund einer Intervention von Blair entsprechende Fehlinterpretationen britischer Zeitungen korrigieren müssen.
Eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik sei auch im Zusammenwirken von NATO-Mitgliedern und von Staaten, die keiner Allianz angehören, möglich. Auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen ergebe sich im Fall der Mitwirkung kein Problem für die Neutralität, wie Österreich sie entwickelt hat. Die Neutralität Österreichs vor dem Zeitpunkt des UNO-Beitrittes sei mit Sicherheit eine andere als die jetzige Neutralität gewesen. Die jetzige sei solidarisch und auch für die Zukunft tragfähig. Bundeskanzler Mag. Klima fügt hinzu, daß dies seine persönliche Meinung sei und daß dies in Köln nicht zur Diskussion stehen werde. Dort werde keine Änderung der österreichischen Bundesverfassung erforderlich werden. Für Irland gelte das gleiche. Auch Schweden und Finnland würden ihren jeweiligen Status nicht aufgeben und trotzdem an einer europäischen Sicherheitspolitik mitarbeiten. Die Frage eines eventuellen NATO-Beitrittes bleibe davon unabhängig.
Bundeskanzler Mag. Klima beschließt seine Ausführungen mit dem Angebot an die Abgeordnete Rauch-Kallat, ihre Frage, ob eine Mitgliedschaft durch Nichtwiderspruch entstehen könnte, wegen des Umfanges einer entsprechenden Erklärung zu einer anderen Gelegenheit zu beantworten.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel spricht sich in bezug auf die Fragen zur Institutionenreform dafür aus, die Artikel 1 und 2 des Amsterdam-Protokolls unter einem zu diskutieren, um den Aufwand an Regierungskonferenzen in Grenzen zu halten. Seiner Ansicht nach ist es erforderlich, daß jedes Mitgliedsland in der Kommission Sitz und Stimme hat und daß bei der Stimmgewichtung eine gewisse Flexibilität aufrechterhalten wird. Keine Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit sollten in Fragen von Grund- und Boden, der Wassernutzung, der Finanzen und im Fall von Vertragsänderungen möglich sein. An dieser – auch im Parlament deutlich mehrheitsfähigen – Position werde Österreich festhalten. (Bundeskanzler Mag. Klima verläßt die Sitzung.)
Vorgesehen sei, daß die finnische Präsidentschaft einen Vorschlag zur Institutionenreform entwickelt. Dessen Ausarbeitung könnte entweder in einem von außen geholten “Weisen”-Komitee erfolgen oder vom Rat Allgemeine Angelegenheiten beziehungsweise von den Außenministern im Rahmen einer Regierungskonferenz nach Vorbereitung durch den COREPER übernommen werden. Österreich trete eher für die zweite Variante ein. Die Vorbereitung wäre heuer vorzunehmen, ein Abschluß sollte 2000 erreicht werden.
Auch in bezug auf die individuelle Verantwortung der Kommissare hält Vizekanzler Dr. Schüssel zwei Modelle für möglich, nämlich ein Recht des Kommissionspräsidenten, Kommissare zu entlassen, oder ein Recht des Europäischen Parlaments, individuelle Mißtrauensanträge zu stellen. Auch eine Kombination dieser Varianten wäre denkbar. Allerdings seien einige Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht wesentlich restriktiver als Österreich.
Was das vorliegende Dokument zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik betrifft, hätten einige Länder, darunter Österreich, vorgeschlagen, die bereits im allgemeinen Teil des Vertrages von Amsterdam aufscheinende Zitation der Prinzipien der UNO-Charta neuerlich festzuschreiben. Es gebe über die Festlegung hinaus, die im – an jeden parlamentarischen Klub ergangenen – COREU-Text aufscheint, noch keine präzise gemeinsame Position. Jeder Schritt Österreichs sei daher den Klubs bekannt, da bestehe “Transparenz pur”.
Noch sei überdies nicht bekannt, was die deutsche Präsidentschaft aufgrund der ersten Diskussion im Rat Allgemeine Angelegenheiten in Köln wirklich vorschlagen wird. Vizekanzler Dr. Schüssel gibt seiner Erwartung Ausdruck, daß manche der am 17. Mai diskutierten Anregungen in den Text der Präsidentschaft einfließen werden. Wenn es zu Änderungen kommt, würden die Klubs über die entsprechenden Vorschläge der Präsidentschaft informiert werden. Deren Schlußfolgerungen würden keinen formellen Beschluß in dem Sinn darstellen, daß damit unmittelbar anwendbares Recht entstünde. In den Schlußfolgerungen komme ein politischer Konsens zum Ausdruck, der an die nachfolgende Präsidentschaft weitergegeben werde.
Vizekanzler Dr. Schüssel weist darauf hin, daß nicht nur die Werte der UNO-Charta bereits jetzt im Vertrag von Amsterdam enthalten sind, sondern daß auch sowohl mit diesem Vertrag als auch mit dem vorliegenden Dokument ein Abrücken vom österreichischen Status quo verbunden sei. Sonst hätte die österreichische Verfassung nicht angepaßt werden müssen. Im Bericht des Verfassungsausschusses vom Juni 1998 sei keine Rede von Neutralität, aber an vielen Positionen sei beschrieben, was der Artikel 23f bedeute: die Teilnahmemöglichkeit an Kampfeinsätzen und die solidarische Mittragung von Aktionen der Europäischen Union.
Dies stelle eben nicht mehr den Status quo dar – wie auch der Klubobmann der SPÖ, Abgeordneter Dr. Kostelka, zur Kenntnis nehmen müsse –, es entspreche nicht mehr der bisher gültigen Neutralitätsinterpretation. Im Zuge des Beitritts zur Europäischen Union sei die österreichische Verfassung ausdrücklich geändert worden, um Österreich in die Lage zu versetzen, wirtschaftliche Sanktionen der EU mittragen zu können. Im österreichischen Parlament sei sehr offen ausdiskutiert worden, daß für die Annahme der Artikel 17 und 23 des Vertrages von Amsterdam die österreichische Verfassung geändert werden mußte. Daher handle es sich jetzt nicht mehr um Neutralitätspolitik, “wie sie immer gewesen ist”.
Was also Österreich bereits beschlossen hat und worüber in Köln weiterzudiskutieren sowie Ende 2000 zu beschließen sein werde, bedeute insgesamt: mehr Solidarität und weniger an Neutralität im europäischen Zusammenhang. Das heiße aber nicht, daß der Artikel V automatisch integriert wird. Es bedeute daher auch nicht, daß Österreich automatisch der NATO oder der WEU beitreten muß, sondern es bringe zum Ausdruck, daß für eine glaubwürdige europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik geeignete Institutionen erforderlich sind. Es müsse der Ort für entsprechende Diskussionen festgelegt werden, und es sei eine saubere Argumentation, unter dem Primat der Außenpolitik zu sagen, daß nicht ein eigener Rat der Verteidigungsminister geschaffen wird, sondern daß der Rat Allgemeine Angelegenheiten, gegebenenfalls unter Beiziehung der Verteidigungsminister, diese Fragen diskutieren soll. Dafür sei eine eigene Planungs- und Strategieeinheit nötig, die nicht nur die präventive diplomatische Ebene, sondern auch militärische Kapazitäten mit einschließt. Es werde ein EU-Militärausschuß und eine sinnvolle Rüstungskooperation benötigt. Auch dies sei bereits im Text des Vertrages von Amsterdam angesprochen worden.
Es gehe also nicht um die Vorbereitung eines Krieges, sondern weil niemand den Krieg wolle, benötige die Europäische Union alle diese Instrumente, um sie notfalls einsetzen zu können und sie hoffentlich nie einsetzen zu müssen. All dies müsse ehrlicherweise gesagt werden. Wolle Europa als “Global player” ernst genommen werden, dann müsse es mehr als ein Binnenmarkt sein und brauche mehr als eine gemeinsame Währung. Dann müsse es in Richtung einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen.
Aus dem entsprechenden Bericht des Verfassungsausschusses gehe eindeutig hervor, daß eine entsprechende europäische Aktion nicht notwendigerweise durch einen Beschluß des UNO-Sicherheitsrates abgestützt sein müßte. Vizekanzler Dr. Schüssel weist auf folgende Textstelle dieses Berichtes hin: In Entsprechung des Vertrags von Amsterdam gilt die Teilnahmemöglichkeit an den sogenannten neu eingeführten “Petersberg-Aufgaben”, auch wenn eine solche Maßnahme nicht in Durchführung eines Beschlusses des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ergriffen wird.
Was in diesem Zitat angesprochen wird, gelte zum Beispiel im Zusammenhang mit Durchfuhren oder Überflügen in Durchführung einer GASP-Maßnahme, wenn Österreich nicht daran teilnimmt, sich aber konstruktiv enthält. Unterzeichnet sei dieser Bericht vom Obmann des Verfassungsausschusses, dem Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, und vom Abgeordneten Winfried Seidinger als Berichterstatter. Vizekanzler Dr. Schüssel erachtet daher die Argumentation für präzis und fair, daß von “more of the same” an Neutralität nicht länger die Rede sein kann. Vielmehr liege eine Weiterentwicklung vor, an der Österreich gut teilnehmen könne.
Was die Frage einer europäischen Armee betrifft, gehe es insbesondere um die Benennung. Positive Äußerungen von seiten Irlands, Schwedens und Finnlands, aber auch Großbritanniens, Belgiens und so weiter hätten gezeigt, daß die Frage, ob man auf europäische Kapazitäten zugreifen können muß, außer Streit stehen dürfte. Jedes Mitgliedsland der Europäischen Union müsse entsprechende Einheiten benennen, die für friedenschaffende, friedendurchsetzende, humanitäre oder im Krisenfall sichernde Maßnahmen zuständig sind. Darauf müsse im Notfall zurückgegriffen werden können.
Nicht geplant sei aber eine Europa-Armee im Sinn einer Profi-Armee, die unter europäischem Einsatzbefehl stünde und an der notfalls auch Österreicher beteiligt wären, obwohl Österreich beispielsweise eine aktive Maßnahme in Entsprechung zu Artikel 17 nicht mittragen würde. Frankreich und Großbritannien würden zumindest derzeit nicht darauf verzichten wollen, den Zugriff auf alle ihre Einheiten zu behalten. Sie hätten aber Bereitschaft gezeigt, für gemeinsame EU-Aktionen – solche Aktionen würden jedoch nie zu Gemeinschaftsrecht werden, sondern intergouvernemental bleiben – nationale Einheiten auf Abruf bereitzustellen. Diese Einheiten stünden weiterhin jeweils unter nationalem Kommando.
Außer Streit stehe unter allen 15 Mitgliedstaaten der Wunsch nach europäischen Einheiten, die vorher benannt werden. Sie wären dem Umfang nach bekannt, deren Finanzierung wäre gesichert, sie wären interoperativ einsetzbar, und im Notfall könnte schnell darauf zurückgegriffen werden. Vizekanzler Dr. Schüssel hebt hervor, daß sich diese Vorgangsweise von der Auffassung einer professionellen Europa-Armee im Sinne des Liberalen Forums unterscheide.
Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) stellt fest, daß im Vergleich der Ausführungen von Vizekanzler Dr. Schüssel mit jenen des Abgeordneten Dr. Kostelka wieder einmal ein Dissens zwischen den Regierungsparteien über die österreichische Position zum Ausdruck komme. Bundeskanzler Mag. Klima habe überhaupt nur zwei Informationen gegeben, nämlich daß Österreich eine Stellungnahme abgeben werde und daß die Oppositionsfraktionen diese nicht bekommen würden. (Obmannstellvertreter Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)
Mit Bezug darauf, daß in dem vorliegenden Dokument von militärischen Kapazitäten der Europäischen Union zur Krisenbewältigung als einer Tätigkeit im Rahmen der GASP und von der Gestaltung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik die Rede ist, widerspricht Abgeordneter Jung der Ansicht, daß Artikel V nur auf die “Petersberg-Aufgaben” zu beziehen sei. Eine gemeinsame Verteidigungspolitik gehe weit über die “Petersberg-Aufgaben” hinaus und umfasse, wenn es zur Verschmelzung von WEU und EU kommt, auch die gegenseitige Beistandspflicht. Eine solche Vorgangsweise sei eindeutig nicht mit der Neutralität vereinbar.
Die Tatsache, daß in dem Dokument ausgesagt wird, die Verpflichtungen nach Artikel 5 des Vertrages von Washington und nach Artikel V des Brüsseler Vertrages blieben auch im Fall der Integration der WEU in die EU bestehen, werfe die Frage auf, ob jemand wirklich glauben könne, daß ein solches Bündnis Krieg führen und sich gemeinsam verteidigen könnte, während gleichzeitig ein paar der Mitgliedstaaten “draußen” blieben. Eine solche Auffassung wäre haarsträubend unsinnig.
Mit Bezug auf die Fortsetzung der soeben angesprochenen Textstelle – sie laute: obgleich die institutionelle Grundlage des letzteren vorbehaltlich eines einstimmigen Beschlusses aller Betroffenen überprüft werden muß – ersucht Abgeordneter Jung Vizekanzler Dr. Schüssel, eine Deutung dieses Satzes zu geben.
Die Tatsache, daß Vizekanzler Dr. Schüssel am 19. Mai 1999 im Nationalrat von einer bereits vorliegenden, gemeinsam abgestimmten Meinung der Regierungsparteien sprach, wonach Österreich an einer Verschmelzung von WEU und EU solidarisch mitwirken und militärisch teilnehmen werde, stehe im Widerspruch zu Aussagen von Bundeskanzler Mag. Klima, daß die Frage der österreichischen Neutralität davon nicht berührt sei.
Eine weitere ins Gewicht fallende Aussage von Vizekanzler Dr. Schüssel sei jene, daß theoretisch der Europäische Rat aufgrund von Artikel 17 einen Verschmelzungsbeschluß machen könnte und daß bereits eine abgestimmte Position dahin gehend bestehe, daß die österreichische Bundesregierung – und damit auch die SPÖ – einen solchen Beschluß solidarisch mittragen werde.
Überdies habe der SPÖ-Abgeordnete zum Europäischen Parlament Dr. Swoboda festgestellt, daß es künftig die militärische Komponente eines europäischen Sicherheitssystems in einen europäischen Pfeiler der NATO zu integrieren gelte. Dem widerspreche die heutige Presseaussendung des Abgeordneten Dr. Kostelka über eine “Operation Hintertür”, in deren Rahmen versucht werde, Österreich durch stille Duldung des Papiers der deutschen Präsidentschaft betreffend Verschmelzung von WEU und EU in die NATO hineinzuschmuggeln.
Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Aussagen fragt Abgeordneter Jung, was letztlich Gegenstand der österreichischen Stellungnahme sein werde. Von “stiller Duldung” werde gesprochen, nicht einmal innerhalb der SPÖ bestehe mehr Eindeutigkeit, und jetzt sei darüber hinaus auch noch die Rede von einem gemeinsamen Papier Österreichs, Finnlands, Irlands und Schwedens. Es bestehe große Unsicherheit über die weitere sicherheitspolitische Entwicklung Österreichs.
Zwar versuche Vizekanzler Dr. Schüssel, relativ aussagekräftig Stellung zu beziehen, aber dem stünden anderslautende Ausführungen von Bundeskanzler Mag. Klima gegenüber, die Anlaß zu der Frage gäben, ob der Bundeskanzler nicht nur in Brüssel und Wien jeweils etwas anderes sage, sondern ob auch seine Stellungnahmen gegenüber dem Hauptausschuß und gegenüber der Öffentlichkeit unterschiedlich wären. Die SPÖ verhalte sich wie eine Braut, die zwar die Mitgift kassiert habe, jetzt aber davor zurückscheue, die Konsequenzen aus ihrem Entschluß zu akzeptieren, obwohl sie wegen fahrlässigen Umgangs mit der Neutralität ihre Unschuld längst verloren habe.
Abgeordneter Mag. Dr. Josef Höchtl (ÖVP) faßt zusammen, daß die heutige Diskussion im Hauptausschuß – über die Informationen hinaus – in zwei wesentlichen Punkten Klarheit gebracht habe. Zweimal habe Abgeordneter Dr. Kostelka in seinen Ausführungen andere Positionen als Bundeskanzler Mag. Klima vertreten.
In der heutigen Aussendung des Abgeordneten Dr. Kostelka sei davon die Rede, daß Österreich gemeinsam mit Finnland, Irland und Schweden ein Papier erarbeitet habe. Im Gegensatz dazu habe Bundeskanzler Mag. Klima festgestellt, daß es kein gemeinsames Papier zwischen diesen Staaten gebe.
Weiters stehe die Aussage des Abgeordneten Dr. Kostelka über die traditionelle Form der Neutralitätspolitik im Gegensatz zu der Feststellung von Vizekanzler Dr. Schüssel, daß die heutige Neutralitätspolitik aufgrund der von SPÖ und ÖVP gemeinsam geänderten Verfassung nicht mehr diejenige der traditionellen Form ist. Aufgrund der “Petersberg-Aufgaben” bestehe jetzt vielmehr jene Lage, die Vizekanzler Dr. Schüssel mit den Worten “weniger Neutralität und mehr Solidarität” zum Ausdruck gebracht hat.
Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) konstatiert unterschiedliche Beantwortungen der Fragen durch Bundeskanzler Mag. Klima und Vizekanzler Dr. Schüssel. Es sei zu begrüßen, daß Vizekanzler Dr. Schüssel auf die inzwischen erfolgte Entwicklung hingewiesen und damit die Kritik der Grünen daran, daß mit jedem Schritt ein weiteres Stück der Neutralität begraben wurde, bestätigt habe. Von der sozialdemokratischen Fraktion und dem Bundeskanzler aber sei zu sagen, daß sie an Realitätsverlust leiden, weil sie das schrittweise Kappen der Neutralität nicht sehen wollten und immer noch so tun würden, als wäre nichts geschehen.
Jetzt sei es an der Zeit, der zivilen, nichtmilitärischen Komponente von Außen- und Sicherheitspolitik eindeutigen Vorrang zu geben. Es gehe also um die richtige Reihenfolge und um die Prioritäten. Erst nach Erstellung der Voraussetzungen – nämlich entsprechender Instrumentarien, Strukturen oder Gremien – dieser zivilen Komponente werde der Zeitpunkt für eine Planungs- und Strategieeinheit im Zusammenhang mit militärischen Überlegungen gekommen sein.
Das vorliegende Dokument der deutschen Präsidentschaft stehe in einer bestimmten Tradition der Entscheidungen. Nicht nur von der französisch-britischen Erklärung werde in der Einleitung gesprochen, sondern auch davon, daß der Gipfel von Washington die Weichen gestellt habe. Auch daran erweise es sich, daß der Abgeordnete Dr. Kostelka völlig realitätsfremd sei, weil er offensichtlich nicht zur Kenntnis nehme, daß nicht die EU-Gremien die Richtung festgelegt haben, sondern der NATO-Gipfel in Washington.
Abgeordnete Mag. Kammerlander äußert daher den Verdacht, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Vorbereitungen einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik längst nicht mehr das Heft in der Hand haben, insofern es um die Festlegung der Prioritäten geht. Vielmehr gebe ein Militärbündnis die Prioritäten vor, das in den letzten zwei Jahren durch verschiedene aktuelle Ereignisse an Bedeutung gewonnen habe und das sich stark genug fühle, Europa und der EU einen Fahrplan vorzugeben, der einzuhalten ist. Dies stimme bedenklich.
Zwar sei Vizekanzler Dr. Schüssel darin zuzustimmen, daß niemand einen Krieg wolle, dies gelte aber nicht in der Hinsicht, daß es dazu dieser Instrumente bedürfe. Je mehr auf das gesetzt werde, was in dem Dokument angesprochen ist – die Stärkung der militärischen Strukturen und deren weiterer Aufbau –, desto mehr werde künftig im Krisenfall nur auf die militärische Logik zurückgegriffen werden.
Die aktuelle Situation im Kosovo zeige eines: Hätten die Vereinten Nationen mit den verschiedensten Mitteln und Instrumentarien acht Wochen lang relativ bis ganz erfolglos versucht, in einem Krisengebiet zu arbeiten, dann wäre einhellig die Beendigung dieser Versuche sowie die Anwendung anderer Mittel verlangt worden. Im Rahmen der militärischen Logik aber sei es möglich, acht Wochen lang komplett an den Zielen vorbei zu operieren – die militärische Intervention auf dem Balkan sei ohne jeden Erfolg geblieben –, und dies mit der Konsequenz, daß jetzt keine anderen Mittel mehr zur Hand sind, weil gleich mit der Ultima ratio begonnen wurde.
Dem ähnle die Vorgangsweise in dem vorliegenden Dokument: Auch die Europäische Union beginne darin mit dem Aufbau von Strukturen und mit dem Ausformulieren in jenem Teil, der eigentlich erst die Ultima ratio der Politik sein sollte. Aus Sicht der Grünen sei es abzulehnen, daß die Institutionenreform bei der militärischen Logik beginnt.
Die Antwort des Bundeskanzlers habe einige Widersprüche aufgewiesen und sei unklar geblieben. Es stimme traurig, daß hier einem parlamentarischen Gremium, das sich mit der österreichischen Position befassen soll, auch mündlich nicht hinreichend Auskunft erteilt werde. Aufrufe der Art “Vertrauen Sie mir!” seien keine geeignete Basis parlamentarischer Arbeit. Allerdings hätten sich die Ausführungen des Vizekanzlers in ihrer Qualität wohltuend von den Aussagen des Bundeskanzlers unterschieden. Jedoch gebe es zum heutigen Thema eine Fülle widersprüchlicher Erklärungen von Repräsentanten sowohl der SPÖ als auch der ÖVP, und dies sei dem Vertrauen abträglich. Die SPÖ könne sich ihre Wahlplakate sparen, da sie als erste die Neutralität verlassen habe, weil sie der Realität nicht ins Auge sehen wolle.
Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) erwidert dem Abgeordneten Dr. Höchtl, daß er in seiner Pressekonferenz von einer akkordierten Stellungnahme der vier neutralen oder nicht paktgebundenen EU-Mitgliedstaaten gesprochen habe. Von einer gemeinsamen Stellungnahme sei nicht die Rede gewesen. Mit einer akkordierten Stellungnahme sei gemeint, daß einzelne Stellungnahmen seitens der vier Länder inhaltlich weitgehend überdeckend seien. Sie würden sich zwar nicht in allen Punkten gleichen, jedoch in den wesentlichen Punkten – in den Aussagen zum Artikel V, im Hinblick auf die Priorität der UNO und so weiter – inhaltlich Identisches verlangen. Der Gleichklang dieser vier Länder werde nicht unwesentlich für das Gipfeltreffen in Köln sein.
Im Hinblick auf die traditionelle Neutralität seien die unterschiedlichen Positionierungen von SPÖ und ÖVP unübersehbar. Wäre es anders, dann hätte es einen gemeinsamen Optionenbericht gegeben. Noch im Februar 1999 habe die ÖVP den Wunsch geäußert, der NATO beizutreten, sie habe aber in der Zwischenzeit angesichts von Meinungsumfragen, wonach drei Viertel der Österreicher diesen Wunsch nicht goutieren, ihre Argumentation geändert. Jetzt sage die ÖVP, daß ein NATO-Beitritt derzeit überhaupt nicht aktuell sei. Aber Verteidigungsminister Dr. Fasslabend habe zum Beispiel in Brüssel das Gegenteil dessen gesagt, was am selben Tag von der ÖVP in einem Parteivorstandsbeschluß gesagt wurde, und dort die Absicht eines NATO-Beitritts verkündet.
Jetzt laute die Argumentation der ÖVP darauf, daß Österreich im Falle einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einer entsprechenden Verteidigungsidentität ohne Wenn und Aber anzugehören habe. Demnach würde sich Österreich, wenn es zu einem Beschluß über die Verschmelzung von WEU und EU käme, keine eigenständige Sicherheitspolitik mehr leisten können, sollen und wollen.
Abgeordneter Dr. Kostelka verweist auf Gespräche, aus denen hervorgegangen sei, daß Österreichs Vertreter auf Ebene der Verteidigungs- und Außenminister – sehr zum Unterschied von den Vertretern Schwedens, Finnlands oder Irlands – zu erkennen gegeben hätten, daß Österreich gerne NATO-Mitglied wäre, obwohl die dafür nötigen formalen Schritte noch fehlen, und sich in vielen Positionen praktisch wie ein NATO-Land verhalte. Auf diese Weise werde in vielerlei Hinsicht bewußt darauf verzichtet, die österreichische Position eines neutralen, nicht paktgebundenen Staates zur Geltung zu bringen.
Abgeordneter Dr. Kostelka fügt hinzu – und dies habe er auch in seiner Pressekonferenz deutlich gemacht –, daß es einer wesentlichen Initiative des Bundeskanzleramtes beziehungsweise der Sozialdemokratie bedurft habe, die tatsächliche österreichische Position den anderen Staaten deutlich zu machen. Österreich müsse mit dem Faktum leben, daß sein Außenminister außerhalb Österreichs in der Öffentlichkeit Solidarität verwechsle mit der Gefolgschaft jener Staaten, die der NATO angehören. Dies habe die Sozialdemokratie ansprechen müssen.
Bei der Formulierung des Artikel 23 der Bundesverfassung habe die SPÖ deutlich gemacht, daß dies in keiner Weise eine Beeinträchtigung der Neutralität mit sich bringe. In den Ausschußberatungen sei die Neutralität ausdrücklich angesprochen worden. Das Stimmverhalten sei leicht zu erklären, es hänge mit einer entsprechenden Vereinbarung auf koalitionärer Ebene zusammen. Wäre der Artikel 23f gemäß der Position der ÖVP und entsprechend den ersten Entwürfen des Außenministeriums formuliert worden, so wäre er ein Pouvoir, eine “Carte blanche” für die Zustimmung Österreichs zu einer solchen Verschmelzung gewesen. Statt dessen sei auf verfassungsgesetzlicher Ebene genau das Gegenteil formuliert worden.
Überdies sei festgelegt worden, daß die Handlungsfähigkeit des Regierungsmitgliedes, das Österreich nach außen hin vertritt, nur in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler gegeben ist. Dies sichere nicht nur institutionell, sondern auch inhaltlich die österreichische Neutralität in vollem Umfang ab.
Es habe großer Anstrengungen bedurft, das Außenministerium davon zu überzeugen, daß es eine entsprechende Positionierung wie jene Schwedens, Finnlands und Irlands auch von seiten Österreichs geben sollte. Der österreichische Standpunkt werde eben wegen der Positionierung des Außenministers und des Verteidigungsministers in Europa mitunter als ein vorab erbrachtes NATO-Mitgliedschaftsverhalten mißverstanden. Dies könne in Österreich nicht akzeptiert werden.
Abgeordnete Mag. Dr. Heide Schmidt (Liberales Forum) stellt fest, daß sie – obwohl Repräsentantin der Opposition – sich über die Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung nicht freuen könne, weil ihr die Weiterentwicklung des gemeinsamen Europas in eine bestimmte Richtung sowie die Mitwirkung Österreichs an der erforderlichen Weichenstellung am Herzen liege.
Das Gewicht Österreichs werde maßgeblich beeinträchtigt, wenn die Koalitionsparteien nicht in der Lage sind, sich in wesentlichen Fragen auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen und mit einer einzigen Stimme zu reden. Da letzteres in der Außen- und Sicherheitspolitik derzeit nicht geschehe, werde Österreich in dieser Hinsicht nicht wahrgenommen. Das ganze Land werde für diese Differenzen in der Regierung in Geiselhaft genommen.
Zweifellos trete die SPÖ verbal für die Neutralität ein, aber ihr Tun sei ein anderes. Es sei Realität, daß die Neutralität nicht mehr so wie früher gehandhabt wird. Die ÖVP wiederum winde sich je nach Meinungsumfrage und Wahltermin in ihren Positionen; allerdings gelte dies noch am wenigsten für Vizekanzler Dr. Schüssel, sondern vielmehr für den ÖVP-Klubobmann und andere, die das Wort “NATO” in letzter Zeit nicht mehr gebrauchen wollten und dadurch Rückgratlosigkeit zum Ausdruck brächten. Wer dafür eintrete, daß die Sicherheitspolitik am besten in der NATO-Mitgliedschaft aufgehoben sei, habe insbesondere in einem Wahlkampf entsprechend Position zu beziehen. Unter dem Strich seien die Standpunkte beider Regierungsparteien unehrlich.
Abgeordnete Dr. Schmidt stellt fest, daß sie einige Fragen an Vizekanzler Dr. Schüssel richten müsse, weil Bundeskanzler Mag. Klima einiges unbeantwortet gelassen oder zumindest nicht zu Gehör gebracht habe. Denn wenn der Bundeskanzler seine Geschichten erzähle, brauche nicht mehr zugehört zu werden, sobald er ankündige, daß er etwas “klar und deutlich” sagen wolle, weil dann nichts Klares und Deutliches mehr komme, und dies bringe die Gefahr mit sich, daß manches überhört wird.
Abgeordnete Dr. Schmidt fragt, ob auch Österreich die Position vertrete, daß es zur Verschmelzung von Westeuropäischer Union und Europäischer Union kommen soll, und ob Österreich eine entsprechende Beschlußfassung vorantreiben wolle. Weiters stellt sie die Frage, ob nach Ansicht von Vizekanzler Dr. Schüssel diese Verschmelzung mit der österreichischen Neutralität vereinbar wäre. Bundeskanzler Mag. Klima habe von Allianzfreiheit gesprochen, doch sei eben die österreichische Neutralität nicht dasselbe wie Allianzfreiheit.
Zuzustimmen sei der Ansicht von Bundeskanzler Mag. Klima, daß eine Mitgliedschaft in der WEU und eine aktive Teilnahme an einem europäischen Sicherheitssystem ohne NATO-Mitgliedschaft möglich sein wird. Das Liberale Forum spreche sich daher nicht für einen Beitritt Österreichs zur NATO aus, sondern sei immer schon für einen Beitritt zur WEU eingetreten. Im Lauf der letzten Jahre habe es unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben, ob WEU- und NATO-Mitgliedschaft voneinander getrennt werden könnten oder nicht; in letzter Zeit sehe es eher danach aus, als könnten diese Mitgliedschaften auch voneinander unabhängig sein. Abgeordnete Dr. Schmidt fragt Vizekanzler Dr. Schüssel, wie er diese Sachlage einschätze und was er für Österreich erreichen wolle.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel leitet seine Antwort mit der Einschätzung ein, daß er die bisherige Diskussion für sehr positiv, erfrischend und ehrlich erachte, und stellt gegenüber der Abgeordneten Mag. Kammerlander fest, daß in einem umfassenden außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Kontext zwar alles berücksichtigt, aber ein deutlicher, prioritärer Akzent auf der zivilen, diplomatischen und präventiven Komponente gesetzt werden müsse.
In bezug auf das Kosovo-Problem sei seine gesamte Arbeit als EU-Ratspräsident darauf ausgerichtet gewesen, alle Möglichkeiten auszuloten, um ohne den Einsatz militärischer Komponenten durchzukommen. Drohungen der NATO habe es zu Hunderten gegeben, fast habe schon von einer Inflation militärischer Drohungen gegenüber Milošević die Rede sein können. Es habe sich bereits eine Entwicklung in Richtung Papiertiger abgezeichnet. Nach und nach hätten die Dinge eine Eigendynamik gewonnen.
Den Ausführungen der Abgeordneten Mag. Kammerlander darüber, was im Falle monatelanger Arbeit der UNO geschähe, könne im Hinblick darauf geantwortet werden, daß die UNO tatsächlich gearbeitet hat. Denn die OSZE werde als regionale Organisation im UNO-Kontext akzeptiert und von UNO-Generalsekretär Annan auch bewußt in diesem Zusammenhang eingesetzt. Es seien ungefähr 2000 – leider unbewaffnete – “Verifyer” vor Ort bemüht gewesen, Stabilität zu schaffen, dies sei aber nicht gelungen. Statt dessen sei es zum Aufbau eines militärischen Drohpotentials Serbiens im Kosovo gegen die andere Volksgruppe und gegen Minderheiten gekommen.
Tatsächlich müsse sich die Europäische Union, um glaubhaft zu sein, prioritär in Konfliktvermeidung, Krisenprävention und humanitärem Engagement betätigen. Aber dabei dürfe eines nicht außer acht gelassen werden – Vizekanzler Dr. Schüssel erinnert als damaliger Chefverhandler Österreichs zum Vertrag von Amsterdam daran, daß dies auch im Rahmen der Regierungskonferenz ganz bewußt diskutiert wurde –: Die Weiterentwicklung nach der Währungsunion zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion habe auch bedeutet, daß Österreich sein Neutralitätsrecht ändern muß. Dies sei in aller Öffentlichkeit durchgeführt worden, und zwar innerhalb der Regierung mit einer Stimme. So werde es Österreich auch in Köln halten.
Das Dokument der deutschen Präsidentschaft gehe zurück auf ein erstmals im Rahmen des informellen Außenministerrates in Reinhartshausen vorgelegtes Positionspapier. In solchen ersten Generaldebatten zu einem Thema bringe jeder Mitgliedstaat seine allgemeinen Prinzipien in der Sache zum Ausdruck, es erfolge aber keine Abstimmung. Österreich habe damals die Ansätze der deutschen Präsidentschaft für richtig gehalten, weil sie dem entsprochen hätten, was im Rahmen des informellen Treffens der Regierungschefs in Pörtschach, im Europäischen Rat in Wien, in drei Außenministertreffen in Österreich und in der Verteidigungsministerkonferenz in Wien diskutiert worden war.
Weiters sei eine Diskussion darüber auf der Ebene der Politischen Direktoren durchgeführt worden, und danach sei über diese Angelegenheit im interministeriellen Komitee, das die gemeinsame Position von Bundeskanzleramt und Außenministerium festlegt, diskutiert worden. Dies geschehe üblicherweise auf Beamtenebene – in diesem Fall seien dafür Dr. Pollitzer für das Bundeskanzleramt und Dr. Mayr-Harting für das Außenministerium zuständig gewesen – und ohne Einbeziehung der Regierungsebene. Daher könne nicht von einem Eingriff der Dei ex machina mit dem Ziel, etwas in eine bestimmte Richtung zu bringen, die Rede sein. Die gemeinsame Position sei über COREU den anderen Mitgliedstaaten mitgeteilt worden, danach sei darüber erstmals eine gemeinsame Diskussion auf Ministerebene erfolgt. Auch im Rahmen dieser zweiten Generaldebatte sei es zu keinem Beschluß gekommen.
Vizekanzler Dr. Schüssel berichtet weiter, er habe es im Rahmen dieser Debatte begrüßt, daß die deutsche Präsidentschaft die von Österreich begonnene Debatte so dynamisch weiterentwickelt habe. Österreich erwarte sich wichtige Weichenstellungen und habe eine Reihe konkreter Änderungswünsche, zum Beispiel die ausdrücklichen Hinweise auf die Prinzipien der UNO-Charta und auf die unbedingt erforderliche Wahrung des Prinzips, daß jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union das Recht hat, in dieser Hinsicht integriert zu sein, und daß niemand davon ausgeschlossen sein dürfe.
Darin komme das Grundmißverständnis zum Ausdruck, aus dem der Unterschied zum Standpunkt des Abgeordneten Dr. Kostelka entstanden sei. Die Berufung auf die Neutralität bringe Österreich überhaupt nichts. Ein europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aller 15 Mitgliedstaaten werde nur dann funktionieren, wenn wirklich alle mittun. Daher bringe es nichts, einen Klub von 4 Staaten innerhalb der 15 zu bilden, zumal diese 4 Staaten sehr unterschiedliche Nuancen hätten. Angesichts der Übereinstimmungen, die von allen Staaten bereits gefunden wurden – gleichberechtigte Mitgestaltung, Bezugnahme auf die Prinzipien der UNO-Charta, Vermeidung eines Beschlusses schon zu Beginn der Debatte und so weiter –, sei dieser Gruppenbezug von 4 Staaten höchst virtuell und nicht angebracht.
In bezug auf die gemeinsam vertretene Meinung, daß es klug sei, eine Rüstungskooperation anzustreben, seien Schweden und Finnland bereits weiter als Österreich, da diese skandinavischen Länder im Rahmen der WEAG – der Western European Armaments Group – viel aktiver mitarbeiten würden. Schweden und Finnland hätten eine wesentlich stärkere Rüstungsindustrie vorzuweisen; Österreich hingegen habe es zustande gebracht, innerhalb weniger Jahre die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich gegen null zu reduzieren. Es sei zu bezweifeln, daß dies der richtige Ansatz für eine glaubhafte Eigenverteidigung eines kleinen Landes wäre. Überdies vertrete innerhalb der Gruppen – wenn sie so überhaupt existieren – Irland eine sehr eigene Position auch im Vergleich mit Finnland und Schweden. Dänemark stelle erst recht ein anderes Kapitel dar.
Gemeinsam sei die Linie vertreten worden, daß der volle Zugriff auf NATO-Kapazitäten erforderlich ist. Denn heute sei die Europäische Union auch im Bereich der zivilen Komponente nicht in der Lage, verschiedene Probleme selbst zu bewältigen, zum Beispiel in der Flugüberwachung, in der Transportlogistik oder in der Satellitenkommunikation. Die Frage des Abgeordneten Jung ziele auf einen Bereich ab, in dem die Aufgaben einander überlappen würden.
Die NATO organisiere das gesamte Engagement und koordiniere dieses in Albanien und zum Teil auch in Mazedonien. Daher seien auch Länder, die nicht allianzgebunden sind, in diese Struktur einbezogen. Notfalls komme es auch zum Transport von Verbindungsoffizieren, die für humanitäre Zwecke tätig seien. Vizekanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, daß er damit ebensowenig ein Problem habe wie der Bundeskanzler oder das Bundeskanzleramt, weil dies ganz klar eine Einsatzfrage darstelle, die nicht mit dem kriegerischen Geschehen vermischt sei. Es seien jedoch Mischungen vorhanden, die man ehrlicherweise erwähnen müsse.
Es sei daher richtig, eine ehrliche Diskussion über das zu führen, was Österreich jetzt mache und weiter vorhabe. Bewußt sei die gesamte Frage des Artikels V auch im vorliegenden Dokument der deutschen Präsidentschaft nicht definitiv angesprochen worden. Wegen der mangelhaften Formulierung dieses Punktes sei tatsächlich eine Klarstellung erforderlich. Gemeint sei damit, daß bestehende Bündnisverpflichtungen durch dieses Dokument nicht berührt werden. Umgekehrt sei auch niemand gezwungen, eine heute nicht bestehende Bündnisverpflichtung künftig zu übernehmen. Innerhalb der österreichischen Bundesregierung sei dies eine gemeinsame Position, dafür habe es keiner Ermahnung bedurft.
Vizekanzler Dr. Schüssel antwortet der Abgeordneten Dr. Schmidt, daß die österreichische Stimme mindestens ebenso deutlich wie die Stimme Schwedens, Finnlands oder Irlands wahrgenommen werde. Über die Position des österreichischen Außenministers brauche man sich nicht bei anderen zu erkundigen, merkt Vizekanzler Dr. Schüssel an, da er gerne von sich aus sehr offen und manchmal auch vertraulich informiere.
Was die Verschmelzung von WEU und EU betrifft, spreche der Vertrag von Amsterdam diese in Artikel 17 als Möglichkeit an. In diesem Vertrag werde für den Fall, daß ein entsprechender – nur mit Einstimmigkeit möglicher – Beschluß gefaßt wird, allen Mitgliedstaaten empfohlen, diesen Beschluß mitzutragen. Daher liege bereits jetzt eine doppelte positive Hinwendung zur Verschmelzung vor. Vizekanzler Dr. Schüssel stellt fest, daß er in diesem Sinn in den Konferenzen der Westeuropäischen Union in Rom und in Rhodos jeweils die mit dem Bundeskanzleramt abgestimmte Erklärung abgegeben habe, daß Österreich für den Fall des Beschlusses, daß dies thematisiert wird, einen solchen Beschluß solidarisch mittragen würde.
Es gebe darüber hinaus weitere Varianten, die ehrlicherweise diskutiert werden müßten. Denn eine Verschmelzung gemäß Artikel 17 ziehe klarerweise die Frage nach Artikel V nach sich. Manche Länder – zum Beispiel die deutsche Präsidentschaft oder auch Großbritannien – hätten festgestellt, daß nicht automatisch die Übernahme des Artikels V zu erwarten sei. Daher sei die Idee vorgebracht worden, ein eigenes Protokoll mit einem “Opting in” zu machen. Darüber sei besonders während der Amsterdamer Regierungskonferenz ausgiebig diskutiert worden.
Hingegen werde zum Beispiel von Belgien die Position vertreten, daß nicht notwendigerweise eine Verschmelzung nach Artikel 17 erfolgen müßte, sondern daß Aufgaben der Westeuropäischen Union in die EU integriert werden könnten. Dies wäre ohne entsprechende Vertragsänderung möglich, und von seiten Frankreichs sei dies als “Kannibalisierung der WEU” bezeichnet worden. Damit könnte die WEU als Mantel ausschließlich für den Artikel V bestehen bleiben.
Für den Fall, daß es zu einer Verschmelzung käme und alle EU-Mitgliedstaaten den vollen Aquis der Westeuropäischen Union inklusive Beistandsverpflichtung übernähmen, gebe es noch keinen innerösterreichischen Konsens, wohl aber für das solidarische Mittragen einer Verschmelzung, bei der die Frage der Bündnisverpflichtung des Artikels V – zum Beispiel in Form eines Protokolls – offenbliebe.
Die direkte Übernahme von WEU-Aufgaben in die Kompetenz der EU sei möglich und würde Österreich die Entscheidung erleichtern, weil in diesem Fall der Artikel V bestehenbleiben könnte.
In keinem Fall sei etwas zu erwarten, was vereinzelt als Denkposition vertreten worden sei: daß alle EU-Mitglieder der Westeuropäischen Union als Vollmitglieder betreten, ohne dadurch Mitglieder der NATO zu werden. Dem stehe die auch in dem vorliegende Dokument vorhandene Absage an jegliche Duplikation von existierenden Strukturen entgegen. Mit dem klaren Bekenntnis zur NATO sowie der wiederholten Bezugnahme auf die Washingtoner Beschlüsse werde deutlich zum Ausdruck gebracht, daß zumindest 11 der 15 EU-Staaten, nämlich die NATO-Mitglieder, nicht daran dächten, außerhalb der NATO eine solche Struktur zusätzlich aufzubauen.
Die österreichische Regierung vertrete daher in der Frage der Verschmelzung von WEU und EU bis zu dem Punkt eine gemeinsame Position, an dem der Artikel V berührt wird. Für diesen Artikel sei eine gesonderte Regelung erforderlich, sei es durch ein eigenes Protokoll oder durch Übernahme von WEU-Kernfunktionen.
Nach heutigem Wissen lasse sich die Frage nach dem Verhältnis von EU, WEU und NATO damit beantworten, daß die WEU eher eine Marginalisierung erfahren werde – indem sie großteils übernommen oder verschmolzen werde –, sodaß die politische Handlungsfähigkeit eher in der EU vorzufinden sein werde und die glaubwürdigen militärischen Komponenten weiterhin in der NATO versammelt sein würden.
Aufgrund der heutigen Rechtslage wäre eine Beistandsverpflichtung selbstverständlich nicht mit der Neutralität vereinbar. Um dies zu ändern, bedürfte es eigener Beschlüsse und eines eigenen Ratifikationsverfahrens, an dessen Ende ein mit Zweidrittelmehrheit gefaßter Beschluß stehen müßte. Österreich habe sich im Rahmen des Vertrages von Amsterdam verpflichtet, die innerstaatliche Willensbildung vollinhaltlich vorzunehmen, auch wenn ein Verschmelzungsbeschluß gefaßt würde, der vom Europäischen Rat mit den Stimmen Österreichs zu erfolgen hätte, wobei ein gemeinsames Stimmverhalten im Artikel 23f bereits vorgesehen sei. Davon seien beide Seiten gebunden, sowohl der Außenminister im Rat Allgemeine Angelegenheiten als auch der Bundeskanzler im Europäischen Rat. Dies sei eine sinnvolle Verzahnung, in diesem Bereich könne nicht am Parlament vorbei agiert werden.
Im Fall einer Verschmelzung hieße es daher stets: mehr Solidarität und weniger an Neutralität. Wieviel mehr oder weniger, hänge von der noch nicht entschiedenen Diskussion über Artikel V ab. Diese Diskussion aber stehe erst am Anfang, und sie sollte entspannter sowie ohne jede Berührungsangst geführt werden. Die Würfel für diesen wichtigen nächsten Schritt würden in 18 Monaten fallen.
Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) wendet ein, daß dies zwar den Vorstellungen der deutschen Präsidentschaft entspreche, aber noch lange nicht heiße, daß auch Österreich damit einverstanden sei. Gemäß der österreichischen Position zu diesem Dokument sei dieses Datum – Ende 2000 – in Frage zu stellen. Vizekanzler Dr. Schüssel tue so, als sei dieser Termin gottgegeben, aber dies treffe nicht zu, sondern Österreich könne den Zeitraum mitgestalten. Von den vier EU-Mitgliedstaaten, die nicht der NATO angehören, sei gemeinsam postuliert worden, daß das Jahr 2000 in dieser Hinsicht kein fixer Zeitpunkt sei.
Darin komme eben zum Ausdruck, daß Vizekanzler Dr. Schüssel Österreich offensichtlich unter Druck setzen wolle. Dies sei aber nicht fair, es entspreche nicht dem Ergebnis der bisherigen Verhandlungen, und es werde nicht gewollt.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel erläutert, das Vorhaben, daß die notwendigen Beschlüsse Ende 2000 fallen sollen, sei weder von Schweden, Finnland, Dänemark oder Irland noch von Österreich in Frage gestellt worden. Derzeit bestehe eine gemeinsame Absicht, diese Diskussion in ungefähr 18 Monaten zu einem sinnvollen Ergebnis zu bringen. Es wäre jedoch auch nicht von Belang, würde es erst zur Mitte des Jahres 2001 soweit sein. Im Rat der Außenminister habe kein einziger der 15 Mitgliedstaaten den Zeitplan der deutschen Präsidentschaft, wonach Ende 2000 die notwendigen institutionellen Beschlüsse gefaßt werden sollen, in Frage gestellt.
Vizekanzler Dr. Schüssel verwahrt sich gegen die – offenbar auf das Bevorstehen eines Wahltermins zurückzuführende – Unterstellung, er wolle jemanden irgendwo hineinprügeln, und er-sucht darum, bei der Wahrheit zu bleiben.
Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) stellt fest, es sei ihm jetzt klargeworden, aus welchem Grund Abgeordneter Dr. Kostelka eingangs dieser Sitzung des Hauptausschusses den Ausschluß der Öffentlichkeit verlangt habe. Daß ein SPÖ-internes Problem vorgelegen sei, zeige sich daran, daß es jetzt doch möglich geworden sei, stückweise Auskunft zu bekommen. Ab-geordneter Jung bedankt sich bei Vizekanzler Dr. Schüssel für dessen Ausführungen, da sie – auch wenn er diese Position nicht in jeder Hinsicht teile – in einigen Punkten aufklärend gewirkt hätten.
Zusammenfassend lasse sich daher sagen, daß es ein koordiniertes österreichisches Dokument über diese Angelegenheit gebe, dessen Positionen nicht identisch mit den schwedischen, finnischen und irischen Vorstellungen sein müßten, damit aber identisch sein könnten. Darüber gebe es anscheinend auch SPÖ-interne Auffassungsunterschiede.
In der Frage der Verschmelzung bestehe noch keine Übereinstimmung. Daher stelle sich die Frage, ob eine Zwei-Klassen-WEU funktionieren könnte und ob dies ein realistischer Gesichtspunkt wäre.
Abgeordneter Dr. Höchtl habe mit “Weniger Neutralität und mehr Solidarität” zwar eine griffige Phrase geäußert, aber völkerrechtlich gebe es nur entweder Neutralität oder eben keine Neutralität, nicht jedoch ein bißchen Neutralität. Damit verhalte es sich wie mit der Schwangerschaft.
Abgeordneter Jung fragt Vizekanzler Dr. Schüssel noch einmal, was unter der bereits zitierten Textstelle “obgleich die institutionelle Grundlage des letzteren vorbehaltlich eines einstimmigen Beschlusses aller Betroffenen überprüft werden muß” in dem vorliegenden Dokument zu verstehen sei, und fügt die Frage hinzu, ob es demnächst zur Ernennung eines “Mr. GASP” kommen werde.
Nach Ansicht von Abgeordneter Mag. Doris Kammerlander (Grüne) ist aus den Aussagen von Bundeskanzler Mag. Klima noch immer nicht klargeworden, wie es sich mit der Beistandspflicht beziehungsweise Artikel V des Brüsseler Vertrages verhält. Angesichts dieser Unklarheit und der damit in Gang gesetzten Entwicklung sei die Länge der Beratungsfrist – ob sie bis Ende 2000 oder auch länger dauert – letztlich belanglos. Denn es sei in unterschiedlichen Interpreta-tionen etwa davon die Rede gewesen, daß in dem Dokument etwas irreführend ausgedrückt worden sei. In dieser Hinsicht habe sogar Bundeskanzler Mag. Klima selbst Unterschiedliches behauptet, nämlich daß es klar formuliert sei, daß es unklar formuliert sei und daß es keine Rolle spiele. Die österreichische Position sei daher nicht zu überblicken.
Genau dieser Passus werde aber allgemein als besonders wichtig, als essentiell eingeschätzt. Abgeordnete Mag. Kammerlander gibt ihrer Ansicht Ausdruck, diese unklar formulierte Stelle bringe eine stille, nicht expressis verbis benannte Übernahme einer Beistandspflicht in der Europäischen Union zum Ausdruck. Sie fragt Vizekanzler Dr. Schüssel, ob Österreich verlangen werde, daß dieser Passus ersatzlos gestrichen wird.
Abgeordnete Mag. Dr. Heide Schmidt (Liberales Forum) fragt, ob das von ihr Verstandene – im Fall einer Verschmelzung von WEU und EU werde Österreich diesen Beschluß mittragen, sofern damit nicht automatisch eine Beistandspflicht in Kraft gesetzt, sondern darüber extra verhandelt werde – richtig sei.
Falls dies zutreffe, möge Vizekanzler Dr. Schüssel darüber Auskunft geben, ob er es für möglich und sinnvoll halte, daß eine solche Verschmelzung ohne Übernahme einer Beistandspflicht erfolgt. Er möge auch sagen, wie er folgende Stelle aus dem dritten Absatz der Schlußfolgerungen des vorliegenden Dokumentes interpretiere: “... dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen”.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel weist darauf hin, daß im – kompliziert zu lesenden – Vertrag von Amsterdam ein merkwürdiges mehrstufiges Verfahren vorgesehen sei. Prinzipiell liege darin ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor.
Mit dem Dokument der deutschen Präsidentschaft werde versucht, den Schritt von der Theorie in die Praxis vorzunehmen. Daraus gehe auch hervor, daß vor Einführung einer europäischen Verteidigung der Europäische Rat darüber konstitutiv einen Beschluß fassen müßte. Für diesen Fall werde den Mitgliedstaaten empfohlen, einen solchen Beschluß gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften anzunehmen. Auch für den Fall, daß der Europäische Rat die Verschmelzung von WEU und EU beschließt, werde die Empfehlung ausgesprochen, diesen Beschluß konstruktiv zu übernehmen und mitzutragen.
Von mehreren Mitgliedstaaten – auch von Österreich – seien im Rahmen der Regierungskonferenz anderslautende Erklärungen abgegeben worden, da es keine gemeinsame Position gegeben habe, die in Richtung Beistandsverpflichtung hätte weiterführen können. Deshalb sei in den Text von Artikel 17 die Klausel eingearbeitet worden, daß der besondere verfassungsrechtliche Charakter einzelner Mitgliedstaaten davon nicht berührt werde. Diese für mehrere Mitgliedstaaten – und nicht nur für Irland – geltende Klausel sei voll akzeptiert worden. Daher sei für den Fall einer echten Verschmelzung von WEU und EU offengeblieben, was mit der formellen, im Fall der WEU härter als im Fall der NATO formulierten Beistandsverpflichtung gemäß Artikel V geschieht.
Über diesen offenen Punkt sei eine Diskussion dahin gehend entstanden, ob ein eigenes Protokoll angefertigt werden soll, in dem dieser Punkt – ähnlich der Vorgangsweise im Sozialprotokoll – aus dem Vertrag ausgelagert und eine “Opting in”-Möglichkeit angeboten wird, sodaß ein Recht, aber nicht eine Verpflichtung zur Beteiligung bestünde. Klar wäre jedoch die solidarische Mittragung wirtschaftlicher Sanktionen und politischer Konsequenzen, auch etwa die Duldung von Überflügen.
Daher lasse sich feststellen, daß die österreichische Position sehr klar formuliert sei. Es liege eine gemeinsame politische Erklärung – allerdings kein Beschluß in einem verfassungsrechtlich bindenden Sinn – vor, daß Österreich einen politischen Beschluß über eine solche Verschmelzung solidarisch mittrüge. Was jedoch eine Beistandsverpflichtung betrifft, sowohl gegenüber der WEU als auch darüber hinaus, etwa in bezug auf die NATO – dies sei im vorliegenden Zusammenhang überhaupt nicht geregelt –, bestehe kein derartiger Konsens.
Es sei nicht wahr, daß Köln gleichbedeutend mit Aufgabe der Neutralität wäre. Allerdings habe sich auch die österreichische Neutralitätsinterpretation – nicht schleichend, sondern in offener Diskussion – geändert. Österreich habe heute eine andere Neutralität als vor dem Beitritt zur Europäischen Union, und es habe heute eine geringere Neutralität als vor dem Vertrag von Amsterdam. Sollte es zu einem Beschluß über die Verschmelzung von WEU und EU kommen, werde Österreich wiederum eine andere Form von Neutralität, nämlich eine auf die unmittelbaren Kernformen beschränkte und gegenüber heute weiter reduzierte Neutralität haben. Vizekanzler Dr. Schüssel nennt zum Vergleich dafür, wie die Diskussion vor sich gehen müsse, die verschiedenen Schichten einer Zwiebel.
Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) stellt fest, daß Österreich der Verschmelzung nur dann zustimmen könnte, wenn es das diskutierte und zur Abstimmung gebrachte Konstrukt auch mittragen könnte. Die Entscheidung darüber sei noch völlig offen. Zwar werde in Artikel 17 dazu aufgerufen, daß die Mitgliedstaaten im Fall ihrer Zustimmung überprüfen sollen, ob diese auch vom nationalen Recht her erfolgen kann, aber dieser Aufruf habe keine normative Wirkung, sondern sei eher ein Hinweis darauf, daß kein Mitgliedstaat der Europäischen Union das antun sollte, was im Fall des Vertrages von Maastricht in Dänemark geschah, nämlich daß eine ursprüngliche Zustimmung von einem Nein im Zuge einer Volksabstimmung aufgehoben wurde.
Da also von Artikel 17 keinerlei normative Wirkung ausgehe – wie Vizekanzler Dr. Schüssel selbst zugestanden habe –, bestehe überhaupt keine Verpflichtung, eine solche Verschmelzung in Unkenntnis über deren Rahmenbedingungen mitzutragen, auch wenn Vizekanzler Dr. Schüssel mit seinen Ausführungen einen anderen Eindruck zu erwecken versuche.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel weist die Mutmaßung von sich, er wolle einen Eindruck vermitteln, der nicht der Wahrheit entspreche. Tatsächlich präzisiere er nur, was vereinbart und geplant sei.
Es gebe mehrere Möglichkeiten, die Hürde des Artikels V zu überspringen. Eine Lösung sei: Verschmelzung plus Protokoll, eine andere die Übernahme von Kernfunktionen der Westeuropäischen Union durch die EU. Aber die Tatsache an sich, daß WEU und EU irgendwann – nach Ansicht der deutschen Präsidentschaft eben Ende 2000 – verschmolzen werden sollen, liege vor. Das sei nichts Schlechtes.
Es müsse selbstverständlich in Kenntnis der Umstände, was dies für den Beistandsfall bedeutet, erfolgen, aber auch dieser Punkt brauche nicht dramatisiert zu werden. Denn der Beistandsfall sei zwar juristisch problematisch, politisch jedoch “so ziemlich” der unproblematischste, weil unwahrscheinlichste Fall überhaupt. Vizekanzler Dr. Schüssel stellt die Frage, wer denn den Beistandsfall auslösen werde, indem er ein NATO-, WEU- oder EU-Mitgliedsland angreift. Dies stelle aber im Kern die Bedeutung des Artikels V dar.
In Köln werde daher der Startschuß für eine Diskussion gegeben werden, deren Zieldatum Ende 2000 sei. Im Zuge dieser Diskussion werde es noch einige Randfragen – wenngleich sehr wichtige Fragen – zu klären geben, und es werde zu Präzisierungen kommen müssen. Es stehe in Köln kein Beschluß bevor, aber es könne auch nicht mehr vom unveränderten Status quo in puncto Neutralität die Rede sein. In Köln werde ein sehr wichtiges Kapitel europäischer Geschichte beginnen.
Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) ersucht ein drittes Mal um Erläuterung des für unverständlich zu erachtenden Absatzes in dem vorliegenden Dokument.
Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel antwortet, daß der von der Abgeordneten Dr. Schmidt zitierte Passus “dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen” bedeute, es werde der Verschmelzungsbeschluß nicht automatisch entweder die Beistandsverpflichtung der elf paktgebundenen oder die Nichtbeistandsverpflichtung der vier nicht allianzgebundenen Länder berühren. In bezug auf die Beistandsverpflichtung bedürfe es einer gesonderten Entscheidung. Dies sei möglicherweise schlecht ausgedrückt worden, jedoch sei diese Textstelle relativ klar zu verstehen.
Hingegen sei das andere Zitat – vom Ende des Absatzes über die Leitprinzipien – tatsächlich nicht präzis formuliert. Vizekanzler Dr. Schüssel stellt fest, daß seiner persönlichen Interpretation nach damit auch nichts anderes gemeint sei, als daß für eine Verschmelzung ein einstimmiger Beschluß aller Betroffenen notwendig wäre, weil davon die institutionelle Grundlage des WEU-Vertrages berührt wäre. Dieser Punkt werde sicherlich noch verändert werden, weil er Verdächtigungen in zwei Richtungen wecke, zum einen, daß der Artikel V zwingend in die institutionelle Veränderung einbezogen wäre, oder zum anderen, daß eine Aufweichung der kollektiven Sicherheitsgarantie die Folge wäre. Letzteres werde von Großbritannien und Frankreich niemals akzeptiert werden.
Obmannstellvertreter MMag. Dr. Willi Brauneder schließt die Debatte zum 1. Punkt und leitet über zur Abstimmung über die zwei von der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander eingebrachten Anträge auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG betreffend GASP-Weiterentwicklung und Aufrechterhaltung der Neutralität.
Beide Anträge bleiben in der Minderheit und sind abgelehnt.
(Es folgen die Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 4.)
Schluß der Beratungen zum Tagesordnungspunkt 1: 19.23 Uhr
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