IV-26 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

Dienstag, 25. Mai 1999

 

 

 

 

 

 

 

 


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Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XX. Gesetzgebungsperiode                      Dienstag, 25. Mai 1999

Tagesordnung

1. Europäischer Rat Köln

Tagesordnung der 2186. Ratstagung (Allgemeine Angelegenheiten) am 31. Mai 1999 (68144/EU XX. GP)

Bericht der Ständigen Vertretung über die 2177. Ratstagung (Allgemeine Angele­genheiten) am 17./18. Mai 1999 (68033/EU XX. GP)

2. Antrag des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluß der Bundesregierung betreffend Fortsetzung der Entsendung von öster­rei­chi­schem Vollzugspersonal zur Unterstützung der Tätigkeit des Interna­tiona­len Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien (Vorlage 188/HA)

3. Antrag des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluß der Bundesregierung betreffend Fortsetzung der österreichischen Teil­nahme im Rahmen des Multinationalen Friedenseinsatzes in Bosnien und Herze­gowina – SFOR (Vorlage 189/HA)

4. Antrag des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluß der Bundesregierung betreffend WEU; Erweiterung der Polizei­mis­sion “Multinational Advisory Police Element / MAPE” in Albanien; Entsendung von 2 Beamten des Bundesministeriums für Inneres gemäß § 1 Z 1 lit. a KSE-BVG (Vorla­ge 190/HA)

Beginn der Sitzung: 16.17 Uhr

Obmann Dr. Heinz Fischer eröffnet die Sitzung, begrüßt die Anwesenden und leitet nach Stel­lungnahmen zur Geschäftsordnung zum 1. Tagesordnungspunkt über.

1. Punkt

Europäischer Rat Köln

Tagesordnung der 2186. Ratstagung (Allgemeine Angelegenheiten) am 31. Mai 1999 (68144/EU XX. GP)

Bericht der Ständigen Vertretung über die 2177. Ratstagung (Allgemeine Angelegen­heiten) am 17./18. Mai 1999 (68033/EU XX. GP)

Obmann Dr. Heinz Fischer gibt die für die Debatte zum 1. Tagesordnungspunkt vereinbarten Redezeiten im Ausmaß von je 26 Minuten für SPÖ, ÖVP und Freiheitliche sowie je 20 Minuten für Liberales Forum und Grüne bekannt. Hierauf erteilt er Bundeskanzler Mag. Klima das Wort zu einer einleitenden Stellungnahme.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima erinnert daran, daß die Verhandlungen des außerordent­li­chen Europäischen Rates in Berlin – Agenda 2000, Landwirtschaft, Haushaltsstabilität, Grenz­re­gionen und so weiter – für Österreich erfolgreich verlaufen seien. Für die bevorstehende regulä­re Tagung des Europäischen Rates in Köln am 31. Mai 1999 führt er folgende Themen an: Be­schäf­ti­gungspolitik auf europäischer Ebene, Förderung des Wirtschaftswachstums und der Sta­bi­lität, Behandlung der noch ungelösten institutionellen Probleme der Europäischen Union, Stär­kung des außenpolitischen Profils der EU und Weiterentwicklung der europäischen Sicherheits­politik.

Zum Thema Kosovo stellt Bundeskanzler Mag. Klima fest, daß Österreich – wie alle anderen 14 Mit­gliedstaaten der Europäischen Union – ein sehr klares Signal der internationalen Staaten­ge­mein­schaft zum Zeichen ihrer Geschlossenheit mitgetragen habe, um sicherzustellen, daß der jugoslawische Präsident Milošević nicht den Eindruck einer Spaltungsmöglichkeit erhält. Die ge­mein­same Haltung komme im wesentlichen in dem Statement zum Ausdruck, das im Rah­men des außerordentlichen Gipfeltreffens von Berlin beschlossen wurde. Aus dieser Stellung­nah­me lasse sich in keiner Weise irgendeine Abweichung von der österreichischen Sicherheits- und Neutralitätspolitik herauslesen. Die Erklärung der deutschen Präsidentschaft im Rahmen des informellen Treffens in Brüssel enthalte die von den Außenministern der Mitgliedstaaten über­nommene Formulierung “justified and warranted”. Bundeskanzler Mag. Klima stellt fest, daß er nach wie vor voll zur Verwendung dieser Begriffe stehe.

Weiters erachte er es für sehr wichtig, unter Einbeziehung Rußlands rasch eine Lösung auf Basis der Vereinten Nationen herbeizuführen, und zwar unter den als Kofi-Annan-, WEU-, EU-, NATO- oder G-8-Punkte bezeichneten fünf Bedingungen. Wesentlich sei auch, daß es zu einer entsprechenden Entschließung des UNO-Sicherheitsrates kommt, weil dies ein sehr klares Signal an die Bevölkerung Jugoslawiens und Serbiens wäre, daß diese fünf Punkte kein Diktat eines Aggressors seien, sondern die Bedingungen der internationalen Staatengemeinschaft, um rasch zu Frieden in dieser Region kommen zu können.

Für das Kölner Gipfeltreffen sei geplant, aufgrund der Vorarbeiten der deutschen Präsident­schaft die Ausarbeitung eines europäischen Beschäftigungspaktes zu operationalisieren. Dafür lie­ge bereits ein Entwurf vor, der im “Jumbo-Rat” – dem Rat der Finanz- und Sozialminister – be­ra­­ten werde. Dabei gehe es um einen umfassenden Ansatz der Beschäftigungspolitik, zu dem sich auch Österreich bekannt habe, nämlich darum, Beschäftigungspolitik nicht nur als Wettbe­werbs­politik und als “Employability”, sondern insgesamt als Wachstumspolitik aufzufassen.

Angestrebt werde ein verbessertes Zusammenspiel von Fiskal-, Lohn und Geldpolitik auf euro­päischer Ebene. Für diesen makroökonomischen Dialog sei ein zweistufiges Verfahren vorge­sehen – ein entsprechender Vorschlag der deutschen Präsidentschaft finde Österreichs nach­drück­liche Unterstützung –, und dabei sollten der Rat, die Kommission, die Sozialpartner und die Europäische Zentralbank einbezogen sein. Wie bisher auf nationalstaatlicher Ebene, so müsse dies auch auf europäischer Ebene funktionieren, da künftig zum Beispiel über die Geldpolitik aus­schließlich auf der Ebene der EZB entschieden werde. Aus österreichischer Sicht sei auch der Meinungsaustausch mit dem Europäischen Parlament und mit der Europäischen Investi­tions­bank von entscheidender Bedeutung.

Österreich erachte es für wichtig, rasch die sogenannten “Leftovers” von Amsterdam in institu­tionel­ler Hinsicht zu klären, insbesondere hinsichtlich der Kommissare und der Stimm­gewich­tun­gen, und zwar unter Einbeziehung der Diskussion über Transparenz und Sauberkeit, zum Bei­spiel mit dem Aspekt der individuellen Verantwortung von Kommissaren.

Wichtig sei es auch, eine Antwort auf die Frage des verstärkten Einsatzes von qualifizierten Mehr­heiten zu finden. Grundsätzlich und auf hoher Abstraktionsebene seien zwar alle Mitglied­staaten damit einverstanden, dieses Mittel zugunsten rascher Entscheidungen verstärkt einzu­setzen. Sobald aber die Probleme im Detail zur Sprache kommen, lege sich jeder auf seine Veto-Positionen fest, zum Beispiel Österreich in bezug auf die Nutzung der Wasserressourcen oder Deutschland im Fall der Gewerbeordnung. Bundeskanzler Mag. Klima spricht sich vom Grundsatz her dafür aus, Entscheidungen häufiger mit qualifizierten Mehrheiten herbeizuführen. Die inhaltliche Ausformung dieses Grundsatzes werde in weiteren Vorbereitungskonferenzen zur Institutionenreform zu diskutieren sein.

Für das Kölner Gipfeltreffen sei auch eine Diskussion über die Weiterentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik und der darauf bezogenen Punkte des Vertrages von Amsterdam zu erwarten. Bundeskanzler Mag. Klima erinnert daran, daß der Vertrag von Amsterdam auch im österreichischen Parlament debattiert und mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde, und er weist darauf hin, daß in der Präambel dieses Vertrages unter Titel V klar und deutlich fest­ge­legt ist, was künftig die Aufgaben der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu sein hät­ten. Es gehe um ein Krisenmanagement, das es der Europäischen Union erlaubt, “im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen” tätig zu sein.

Es sei jetzt Aufgabe der deutschen Präsidentschaft, die gemeinsame Außenpolitik voranzutrei­ben. Zur Diskussion stehe auch die Ernennung einer dafür verantwortlichen Person. Österreich tre­te dafür ein, daß ein erfahrener Politiker die Funktion des “Mr. GASP” oder der “Mrs. GASP” über­nimmt.

Weiters gehe es um die Ausarbeitung entsprechender Strategien. Die Vorbereitung einer Ruß­land-Strategie und einer Balkan-Strategie sei bereits auf dem Wiener Gipfeltreffen beschlossen wor­den. Jetzt zeige sich die Notwendigkeit dieses Beschlusses auch vor dem Hintergrund, daß es nach dem hoffentlich baldigen Ende der militärischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan voraussichtlich zu einer gemeinsamen Plattform für eine Stabilisierung der Balkan-Region kom­men wird. Dafür seien bereits Vorschläge unterbreitet worden, die von einem Stabilitätspakt bis hin zu einer Balkan-Konferenz reichen. In drei Bereichen seien entsprechende Anstrengungen erforderlich, nämlich auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Demokratie, auf dem Gebiet der Sicherheit und auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Entwicklung. Es werde nötig sein, daß die Europäische Union rechtzeitig ihre Positionen in diesen Fragen erarbeitet.

Das heute dem Hauptausschuß vorliegende Dokument der deutschen Präsidentschaft weise in die Richtung eines verstärkten Krisenmanagements. Aufgrund der Formulierungen im Vertrag von Amsterdam sowie aufgrund der Bemerkungen und Stellungnahmen, die Österreich und an­de­re Staaten dazu abgegeben haben, könne davon ausgegangen werden, daß der Euro-päische Rat von Köln zu keinen Beschlüssen oder Schlußfolgerungen gelangen werde, die im Widerspruch zur österreichischen Verfassungslage stehen.

Die Entscheidungen seien richtig, die in Amsterdam im Hinblick darauf getroffen wurden, das internationale Krisenmanagement der Europäischen Union effizienter zu gestalten. Es gehe um entsprechende Kapazitäten und effektive Entscheidungsstrukturen zur möglichst wirksamen Wahrnehmung der sogenannten “Petersberg-Aufgaben” im Bereich des Krisenmanagements.

Mit Sicherheit aber könne es nicht darum gehen – das habe die österreichische Stellungnahme sehr klar und deutlich zum Ausdruck gebracht –, eine Beistandspflicht gemäß Artikel V des WEU-Vertrages einzurichten. Daher könne in dem Dokument sicher nicht die Rede davon sein, daß aus der Europäischen Union ein Militärpakt gemacht wird.

Österreich werde darauf hinwirken, daß auch Nicht-NATO-Mitglieder entsprechend ihrer Verfas­sungs­lage mitwirken können und daß es zu deren frühzeitiger Einbindung in den Entschei-dungs­prozeß kommt. Österreich trete – genauso wie Schweden – dafür ein, daß die primäre Ver­ant­wortung für den Weltfrieden bei den Vereinten Nationen liegt und daß deren Gewalt­mo­no­pol anerkannt wird. Österreich sehe es aufgrund der in seiner Verfassung festgeschriebe­nen Bedingungen nicht als Krieg im verbotenen Sinne an, wenn es auf Basis von Beschlüssen der Vereinten Nationen zu militärischen Aktionen kommt.

Es bestehe Einvernehmen zwischen beiden Koalitionsparteien darüber, daß weder der Vertrag von Amsterdam noch die vom Europäischen Rat von Köln zu erwartenden Beschlüsse im Wider­spruch zur österreichischen Bundesverfassung stehen.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel gibt seiner Erwartung Ausdruck, daß am Europäischen Rat in Köln die Rußland-Strategie als erste der aufgrund des Vertrages von Amsterdam entwickelten internationalen Strategien der Euro­päischen Union zur Sprache kommen wird. Kernelemente dieser Strategie seien die Konsoli­die­rung der Demokratie, der Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und der öffentlichen Einrichtungen in Rußland, die Integration Rußlands in einen gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Sozial-raum sowie in die Zusammenarbeit für Stabilität und Sicherheit in Europa, die Bewältigung des Problems der nuklearen Sicherheit und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die dafür nötigen Schritte betreffend Managerschulung, verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, einen intensivierten Sicherheits- und politischen Dialog mit Rußland, eine weitere Hilfestellung der Europäischen Union für den WTO-Beitritt Rußlands, einen hochrangi­gen Dialog in makroökonomischen Fragen und eine bessere Koordination der EU in den interna­tiona­len Finanzinstitutionen seien bereits bis in die Details ausgearbeitet worden.

Als zweites neues Thema in der Europäischen Union nennt Vizekanzler Dr. Schüssel eine EU-Charta für Grundrechte. Dies entspreche einer Position, die Österreich bereits im Rahmen der Re­gie­rungskonferenz vertreten habe: dem Wunsch nach Weiterentwicklung zu einer Art euro­päischer Verfassung mit vollständiger Beschreibung der Grund- und Zivilrechte. Zwar sei diese Po­sition auch heute noch nicht konsensfähig, aber die deutsche Präsidentschaft habe inzwi­schen einen modifizierten Vorschlag für ein Protokoll oder eine EU-Charta der Grundrechte unter­­breitet. Offen sei derzeit die Frage, ob es sich dabei um Primärrecht handelt und ob dieses Recht – dafür trete Österreich ein – einklagbar ist. Vizekanzler Dr. Schüssel spricht sich dafür aus, diesen Punkt weiterhin nachdrücklich zu verfolgen und in Köln einen entsprechenden Pro­zeß in Gang zu setzen.

Ein drittes Thema bilde nach wie vor die Institutionenreform, über die in Köln zwar kein Beschluß fallen, für die dort aber der Startschuß erfolgen werde. In den Protokollen zum Vertrag von Am­ster­dam seien bereits einige Elemente für den Erweiterungsfall vorgesehen. Österreich trete da­für ein, zugleich darüber zu verhandeln, was vor der ersten Erweiterung und was dann im Fall einer Erweiterung über die Zahl von 20 Mitgliedstaaten hinaus zu tun wäre, und diese Verhand­lun­­gen um aktuelle Themen anzureichern. Dazu gehöre die politische Verantwortung der Mitglie­der der Europäischen Kommission, die Stärkung der Rolle der Institutionen – insbesondere des Euro­päischen Parlaments – in bezug auf Europol, die Ausdehnung des Bereiches der Entschei­dungen mit qualifizierter Mehrheit, eine Erweiterung der Mitentscheidungsrechte des Euro-päischen Parlaments und eine Stärkung der GASP-Strukturen.

Diese Position Österreichs werde von Mitgliedstaaten mit restriktiveren Vorstellungen – wie zum Bei­spiel Spanien oder Frankreich – nicht geteilt. Es sei geplant, unter finnischer Präsidentschaft zur Vorbereitung einer entsprechenden Regierungskonferenz entweder ein eigenes Team einzu­setzen oder den Rat Allgemeine Angelegenheiten beziehungsweise den COREPER damit zu beauftragen. Über diese Regierungskonferenz solle in Helsinki ein Beschluß getroffen werden; ein Abschluß solle im Lauf des Jahres 2000 erreicht werden.

Aufgrund des vorliegenden Dokumentes der deutschen Präsidentschaft zur gemeinsamen euro­päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sei es erstmals möglich, über die im Vertrag von Am­sterdam theoretisch beschriebene allgemeine europäische Außen-, Sicherheits- und Vertei­di­gungs­politik zu diskutieren. Österreich brauche dazu keine Änderung der Verfassung mehr vor­zu­nehmen, da das Parlament dies bereits getan habe. Vizekanzler Dr. Schüssel erinnert daran, daß nicht nur der Vertrag von Amsterdam ratifiziert, sondern zugleich auch die österrei­chi­­sche Bundesverfassung abgeändert wurde, und zwar mit dem Ziel, vollinhaltlich an den “Pe­ters­berg-Aufgaben” teilnehmen zu können. Ausschließlich um diese Aufgaben gehe es im Zu­sam­menhang mit dem Amsterdam-Vertrag.

Die deutschen Vorschläge seien in der Diskussion der Fachminister am 17. Mai auf breiten Kon­sens gestoßen. Bemerkungen zu diesem Text seien aufgrund einer zuvor abgehaltenen Tagung der Politischen Direktoren von jedem Mitgliedstaat zur Festlegung der jeweiligen Positionen be­reits im COREU-Weg vorweggenommen worden. Klar erkennbar sei darin die Zuspitzung auf eini­ge wichtige Fragestellungen, und dazu gehöre an erste Stelle die Frage, ob die Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union – wie sie im Vertrag von Amsterdam noch als Möglichkeit beschrieben wird – schon in Köln fixiert werden solle. Eine überwältigende Mehr­­heit habe sich dagegen ausgesprochen, mit der Begründung, daß eine solche Willens­bil­dung am Ende des Prozesses stehen sollte. Als Zeitpunkt für die notwendigen institutionellen Be­schlüs­se sei Jahresende 2000 genannt worden.

Frankreich vertrete eine eigene Linie und habe in seinen ergänzenden Bemerkungen den Wunsch nach einem politischen Vorkonsens, einem “Common understanding” darüber, daß dieser Beschluß entsprechend Artikel 17 gefaßt werden soll, zum Ausdruck gebracht. Österreich trete dafür ein, in Köln den Rat Allgemeine Angelegenheiten mit der entsprechenden Diskussion zu beauftragen, sodaß die erforderlichen Beschlüsse bis Ende 2000 erfolgen können.

Eine weitere Frage bestehe darin, ob Artikel V Erwähnung finden solle. Es bestehe weitgehende Über­einstimmung darüber, daß dies nicht notwendig sei, wenn es nicht um die Frage der kol­lektiven Sicherheit geht. Die kollektive Verteidigung werde weiterhin innerhalb der WEU, vor allem aber innerhalb der NATO gewährleistet sein. Im vorliegenden Zusammenhang gehe es um die “Petersberg-Aufgaben” und alles, was dazugehört: humanitäre Hilfe, Krisenmanagement, aber auch friedenserhaltende und friedenschaffende Einsätze. Es seien daher EU-geführte mili­tä­rische Aktionen denkbar. Für diese sei die österreichische Verfassung bereits offen, Öster­reich könnte in solchen Fällen vollinhaltlich teilnehmen. Daher sei es jetzt in keinem Fall nötig, die Artikel-V-Frage zu stellen.

Die Artikel-V-Formulierung werde sogar von engagierten NATO-Mitgliedern wie Großbritannien für unpräzis erachtet. Auch die deutsche Präsidentschaft habe sich nicht für ein eigenes Proto­koll darüber ausgesprochen, sondern sie äußere sich sehr allgemein in der Weise, daß die atlan­ti­sche Allianz als Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder bestehen bleibe. Die Verpflichtungen nach Artikel V würden auch im Fall der Integration der WEU in die EU auf­recht­erhalten werden, obgleich die institutionelle Grundlage dieser Verschmelzung vorbehaltlich eines einstimmigen Beschlusses aller Betroffenen überprüft werden müßte. Vizekanzler Dr. Schüs­sel schätzt die Formulierung in dem deutschen Vorschlag, daß die Artikel-V-Verpflich­tung bestehen bleibe, als nicht präzis ein. An dieser Formulierung sei bereits von mehreren der beteiligten Länder Kritik geübt worden.

Alle 15 Mitgliedstaaten hätten sich dafür ausgesprochen, die notwendigen Strukturen für eine der­art veränderte europäische Identität zu schaffen. Wer sich – wie Österreich – bisher zur Fra­ge eines eigenen Rates der Verteidigungsminister geäußert hat, habe dem eine Absage erteilt. Für entsprechende Belange könnte der Rat Allgemeine Angelegenheiten – notfalls unter Hinzu­ziehung der Verteidigungsminister – zuständig sein.

Im wesentlichen außer Streit stünden die Fragen eines ständigen politischen und militärischen Ko­mitees der Europäischen Union – EU-Militärausschuß oder EU-Militärstab – sowie der not­wen­di­gen Kapazitäten und Planungseinheiten. Auch die Rüstungskooperation innerhalb der EU, wie sie schon im Vertrag von Amsterdam angesprochen ist, habe sich als konsensfähig erwie­sen.

Die gleichberechtigte Mitwirkung aller Beteiligten sei von allen Mitgliedstaaten befürwortet wor­den. Jeder solle das Recht haben, an EU-geführten Operationen teilzunehmen, auch wenn er sich eigener oder fremder Strukturen bedient. In dem Dokument der deutschen Präsidentschaft werde nunmehr festgehalten, daß unnötige Überschneidungen mit vorhandenem Potential im NATO-Rahmen zu vermeiden sind. Dies weise bereits in die Richtung einer Europa-Armee, und dies habe die Unterstützung sämtlicher dazu laut gewordenen Stimmen gefunden.

Vizekanzler Dr. Schüssel äußert sich zuversichtlich, daß in Köln nicht nur kein entsprechender Beschluß gefaßt wird, sondern daß jetzt – aufbauend auf den Wiener Beschlüssen – aufgrund konkreter Dokumente die nächste Stufe in Angriff genommen und in der zweiten Hälfte des Jah­res 2000 unter französischem Vorsitz ein Abschluß herbeigeführt werden wird. In diesem Be­reich bestehe keine Divergenz innerhalb der österreichischen Regierung. Österreich habe sich prinzipiell bereit erklärt, an diesen Möglichkeiten des Vertrages von Amsterdam mitzuwirken.

In der Frage des Kosovo stehe ein Beschluß des NATO-Rates über eine Planungsauftrag an SACEUR bevor, die für den Friedens- oder Implementierungseinsatz vorgesehenen Boden­trup­pen von 16 000 bereits jetzt in Mazedonien stationierten NATO-Soldaten auf bis zu 45 000 Mann aufzustocken. Dies dürfe nicht mit einem Kampfeinsatz ohne Abkommen verwechselt werden. Es sei sinnvoll, schon jetzt einen solchen Auftrag zu erteilen, weil im Fall einer Implementierung sehr rasch eine größere Truppenanzahl benötigt werde. Für einen glaubwürdigen Sicherungs- und Implementierungseinsatz seien 45 000 Mann als absolute Untergrenze zu betrachten.

Für den kommenden Tag sei ein Treffen zwischen dem russischen Außenminister Iwanow, dem finnischen EU-Verhandler Ahtisaari und dem stellvertretenden US-Außenminister Talbott ge­plant. Es werde um die Fragen einer UNO-Sicherheitsratsresolution und einer präzisen Akzep­tie­rung der fünf UNO-Prinzipien beziehungsweise der acht G-8-Prinzipien auf jugoslawischer Seite gehen. Unterschiede bestünden derzeit noch in der Frage der Gleichzeitigkeit der Opera­tionen – Sicherheitsratsresolution, Truppenrückzug und Einstellung der Bombardierungen –, außerdem werde zu klären sein, in welchem Ausmaß eine Restpräsenz jugoslawischer Truppen oder Spezialpolizei erlaubt ist, und überdies sei derzeit strittig, welche Art der militärischen Präsenz zur Sicherung nötig ist. Rußland habe sich zum Beispiel für eine Aufteilung in Zonen aus­ge­sprochen, in denen Truppen aus verschiedenen Ländern entsprechend dem Ausmaß der Beteiligung am Konflikt eingesetzt werden, aber dieser Vorschlag drohe auf eine Segmentierung oder Teilung des Kosovo hinauszulaufen, wie sie nicht erwünscht sei.

Über all diese Fragen werde hinter den Kulissen derzeit intensiv und genau ins Detail gehend ge­sprochen. Dies sei zu begrüßen, denn auch Österreich benötige, bevor es eine Entscheidung über die Teilnahme treffen kann, genaue Informationen zum Beispiel über die Art der dort zu erwartenden Kommandostruktur.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) fragt, wodurch gewährleistet werden könne, daß am Europäische Rat in Köln keinesfalls ein Beschluß gefaßt wird, der gegen die öster­reichi­sche Verfassung verstoßen könnte. Bundeskanzler Mag. Klima möge darlegen, zu welchen Punkten des vorliegenden Dokumentes er gegebenenfalls Änderungsvorschläge einbringen wer­de und wie diese Vorschläge aussehen könnten.

Es habe sich in den letzten Jahren gezeigt, daß Worte und Begriffe in der Europäischen Union eine weitaus größere und nachhaltigere Bedeutung für die Politik haben, als dies im sonstigen Leben der Fall sei. Daher sei es umso wichtiger, daß genau Aufschluß über die österreichische Position zur Beistandspflicht gegeben wird. Zu diesem Thema werde im vorliegenden Dokument nur sehr verschwommen gesagt, daß die bestehenden Verpflichtungen jedenfalls erhalten blei­ben. Es stelle sich die Frage, ob dies für die österreichische Bundesregierung konkret zu einem Anlaß werden könnte, die Streichung dieses Passus zu verlangen.

Im Gegensatz dazu, daß es der Europäischen Union bisher nicht gelungen ist, eine Institu­tionenreform zugunsten des wichtigen friedenspolitischen Projektes der Osterweiterung zustan­de zu bringen, sei in dem jetzt vorliegenden Dokument eine Institutionenreform vorgesehen, die sich gewaschen habe. Die darin geplanten Gremien würden nicht nur dem bisher angestrebten Ziel dienen, geeignete Strukturen zu schaffen, sondern tiefgehende Einschnitte in die bestehen­den Institutionen der Europäischen Union darstellen. Abgeordnete Mag. Kammerlander fragt, ob die österreichische Bundesregierung dem zustimme und einen Sicherheitsausschuß, einen Ver­tei­digungsrat, einen Militärausschuß, einen Militärstab und so weiter auch zu ihren Prioritäten zähle.

Überhaupt lasse sich dieses Dokument, in dem obendrein gefordert werde, daß das militärische Potential verstärkt werden müßte und Streitkräfte aufgebaut werden müßten, insgesamt wie die Vorbereitung zu einem Krieg lesen. Daher stelle sich die Frage, um was für einen Krieg es dabei gehen könnte, gegen wen und in wessen Interesse er zu führen wäre.

Unklar sei auch die österreichische Position gegenüber Beschlüssen im Sicherheitsrat der UNO über militärische Einsätze. Das Dokument der deutschen Präsidentschaft nehme darauf nicht Bezug. Daher möge von seiten der Bundesregierung Auskunft darüber gegeben werden, ob Österreich weiterhin für eine Weltordnung eintrete, der die Existenz einer UNO zugrunde liegt, in welcher der Sicherheitsrat über Interventionen und Einsätze beschließt.

Einer Stellungnahme vom März 1999 sei zu entnehmen, daß sich die neutralen EU-Mitglied­staaten sehr zurückhaltend zu den Vorschlägen im vorliegenden Dokument der deutschen Prä­sidentschaft geäußert hätten – Irland habe sich sogar dagegen ausgesprochen –, hingegen ha­be der österreichische Außenminister Dr. Schüssel bereits in den Vorbereitungstreffen positive Kom­mentare dazu abgegeben. Es stelle sich einmal mehr die Frage nach dem österreichischen Standpunkt, zumal Bundeskanzler Mag. Klima in seiner Einleitung soeben festgestellt habe, daß keinerlei Verstoß gegen die österreichische Verfassung erfolgen wird. Eine Begründung dafür sei allerdings ausständig. Es sei zuwenig, zwar auf Plakaten die Neutralität zu propagieren, aber schlüssige Informationen zu konkreten Dokumenten wie dem vorliegenden schuldig zu bleiben.

Probleme bereite nicht nur die Beistandspflicht. Es gehe auch um Fragen der Leitprinzipien, der Struk­turen und der Beschlüsse, zum Beispiel betreffend den Aufbau von Streitkräften. Insge­samt gehe es um die Haltung des neutralen Staates Österreich zu diesen Problemen.

Das von Bundeskanzler und Vizekanzler verwendete Wort “Krisenmanagement” gebe Anlaß da­zu, die österreichische Bundesregierung daran zu erinnern, daß sie vor Jahren versucht habe, die “Petersberg-Aufgaben” als etwas rein Ziviles, Präventives und Friedliches zu “verkaufen”. Im vorlie­genden Dokument – von seiten der österreichischen Bundesregierung als “konsequente Wei­ter­entwicklung” bezeichnet – sei jedoch keine Rede mehr von Prävention und von einer fried­lichen Politik, ja nicht einmal mehr von einer Außenpolitik. Abgeordnete Mag. Kammer­lander stellt fest, daß ihrer Auffassung nach eine Außenpolitik nicht im Aufbau von militärischen Struk­tu­ren, Militärpotential und dergleichen ihre Begründung finden könne.

Bezeichnenderweise trage dieses Dokument den Titel “Die Stärkung einer gemeinsamen euro­päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik”. Es gehe also um einen Begriff, der aus der NATO komme. Hingegen sei nicht mehr von einer Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik die Rede. Diese müßte auch ganz andere, dringend notwendig Elemente enthalten.

Abgeordnete Mag. Kammerlander verweist auf zwei Anträge auf Stellungnahme betreffend EU-Gipfel in Köln, die von den Grünen für diese Sitzung eingebracht worden sind. In dem einen An­trag gehe es darum, was eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im zivilen Verständnis sein könnte und sein sollte. Der andere Antrag ziele auf die Aufrechterhaltung der Neutralität ab. Abgeordnete Mag. Kammerlander fügt hinzu, daß sich letzterer Antrag daher insbesondere an die SPÖ richte, sofern sie es mit der österreichische Neutralität ernst meine.

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) erinnert zur Einleitung seiner Ausführungen die Abge­ord­nete Mag. Kammerlander daran, daß das vorliegende Dokument der deutschen Präsident-schaft von jenem Außenminister erstellt worden ist, der als einziger unter den Außenministern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Grünen angehört.

Abgeordneter Dr. Kostelka weist darauf hin, daß die “Petersberg-Aufgaben” den gesamten Be­reich von rein humanitären Aufgaben bis hin zum Krisenmanagement – unter Einschluß von Kampf­aufträgen – umfassen. Es komme daher wesentlich auf die Legitimation an. Im Fall eines entspre­chenden Beschlusses des UNO-Sicherheitsrates ergebe sich kein Problem für die öster­reichische Neutralität, wohl aber dann, wenn ein solcher Beschluß nicht vorliegt.

Auch der im Artikel 17 angesprochene Beschluß zur Verschmelzung von WEU und EU stelle sich völlig unterschiedlich dar, je nachdem, ob Artikel V des WEU-Vertrages und damit die Bei­standspflichten einbezogen werden oder nicht. Abgeordneter Dr. Kostelka stellt fest, daß die Bei­standspflichten gemäß WEU-Vertrag weit über das hinausgehen, was dazu im Artikel 5 des Nordatlantik-Paktes festgelegt ist.

Es sei daher dringend notwendig, daß Österreich eine Erklärung darüber abgibt, unter welchen Vor­aussetzungen ihm eine solidarische Mitwirkung möglich ist. Abgeordneter Dr. Kostelka er­blickt diese Voraussetzungen in der Wahrung des Neutralitätsrechtes und in der Wahrung jener Position, mit der Österreich in die Europäische Union eingetreten ist. Das Neutralitäts­ge­setz sei den anderen EU-Mitgliedstaaten ja bekannt gewesen, sodaß Österreich in abge­stimmter Weise mit den anderen neutralen oder nicht paktgebundenen Staaten innerhalb der Euro­päischen Union – nämlich Schweden, Finnland und Irland – deutlich machen könne, daß es auch im Zuge der Weiterentwicklung der EU Mitgliedstaaten geben werde, die nicht der NATO angehören.

Sowohl die Mitgliedschaft als auch die Nichtmitgliedschaft in der NATO müsse für EU-Mit­glied­staaten möglich bleiben. Daher sei im Artikel 17 mit der sogenannten irischen Klausel klarge­stellt worden, daß die EU die Position von Mitgliedstaaten mit anderer sicherheitspolitischer Kon­zeption und Rechtslage respektiert. Auf Betreiben des Bundeskanzleramtes sei bereits darauf hin­ge­wiesen worden, daß es gegenüber den Partnern deutlicher Erklärungen über die Grenzen bedürfe, die das österreichische Neutralitätsgesetz vorgibt.

Da auch Dänemark, obwohl NATO-Mitglied, einer Verschmelzung von WEU und EU nicht zu­stim­me, werde somit von einem Drittel der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Widerstand und Nichtakzeptanz gegenüber dieser Verschmelzung zum Ausdruck gebracht. Von diesem Drit­tel würde somit eine Entscheidung nicht mitgetragen werden, die darauf hinausliefe, daß der Artikel V im Falle der Verschmelzung für alle Mitgliedstaaten Wirksamkeit bekäme. Dies sei ge­gen­über der Europäischen Union bereits deutlich gemacht worden, sodaß entsprechende weite­re Maßnahmen nicht notwendig seien.

Österreich habe seine Neutralität in vollem Umfang auch hinsichtlich etwaiger künftiger Be­schlüs­se klargestellt, und es habe sichergestellt, daß sogar nach der französischen Präsident­schaft eine Position Österreichs Bestand haben werde, die das Bundesverfassungsgesetz von 1955 voll respektiere. Im übrigen sei der österreichische Standpunkt im Artikel 17 des Vertrages von Amsterdam ebenso respektiert worden wie im Artikel 23f der österreichischen Bundesver-fas­sung. Darin werde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Integration der Westeuro­päischen Union in die Europäische Union einer eigenen verfassungsgesetzlichen Bestimmung be­dürfte. Eine solche Verschmelzung unter Einbeziehung von Artikel V würden aber mehr als ein Drittel der Abgeordneten des Nationalrates, nämlich die Abgeordneten der Sozialdemokratie, nicht mittragen.

Angesichts der besonderen Sensibilität dieser Frage werde der österreichische Außenminister seine Vorgangsweise ausschließlich in Abstimmung mit dem Bundeskanzler zu wählen haben. Die institutionellen Vorkehrungen zur Bewahrung der österreichischen Position seien in ausrei­chen­dem Maße gegeben.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) fragt Bundeskanzler Mag. Klima, ob es in Vor­bereitung des Europäischen Rates in Köln ein Dokument der österreichischen Bundesre­gie­rung gebe, das den Regierungsparteien, nicht aber den Oppositionsparteien zugegangen ist. Aus der einleitenden Stellungnahme des Bundeskanzlers sei wenig bis nichts über eine entspre­chen­de österreichische Position zu erfahren gewesen.

Mit Bezug auf die Ausführungen von Vizekanzler Dr. Schüssel über die erforderliche Insti­tutionen­reform vor einer EU-Erweiterung – Österreich trete nicht für eine kleine, sondern für eine um­fassende Reform ein, die bereits auf mehr als 20 Mitgliedstaaten abgestellt wäre – fragt Abgeordneter Mag. Schweitzer nach konkreten Vorstellungen über einen entsprechenden Zeit­plan. Er äußert Zweifel daran, daß eine solche Reform bereits im zweiten Halbjahr des Jahres 2000 möglich sein könnte.

Im Februar 1999 habe sich der deutsche Bundeskanzler Schröder in der “Süddeutschen Zei­tung” dafür ausgesprochen, daß es erste Beitritte im Zuge der Osterweiterung bereits im Jahr 2003 ge­ben solle. Abgeordneter Mag. Schweitzer fragt, worauf sich diese Aussage Schröders be­ziehe. In diesem Interview sei auch die Rede davon gewesen, daß in der Agenda bereits von 2003 an finanzielle Mittel für entsprechende Beitritte vorgesehen seien.

Aus österreichischer Sicht werde es erforderlich sein, bereits auf dem bevorstehenden Gipfel­treffen in Köln über Beitrittsvoraussetzungen zum Beispiel im Zusammenhang mit grenznahen Kernkraftwerken und mit den Beneš-Dekreten zu beraten. Abgeordneter Mag. Schweitzer fragt Bundeskanzler Mag. Klima nach diesbezüglichen Absichten.

Hinsichtlich der von Bundeskanzler Mag. Klima angesprochenen Entscheidungen mit qualifi­zier­ter Mehrheit fragt Abgeordneter Mag. Schweitzer, für welche der Bereiche, in denen jetzt noch Ein­stimmigkeit nötig ist, eine Änderung in Frage komme. Er fragt mit Bezug auf Bundeskanzler Mag. Klimas Ausführungen darüber, daß jetzt der europäische Beschäftigungspakt operationa­li­siert sowie ein umfassender Ansatz für das Zusammenspiel von Fiskal- und Geldpolitik disku­tiert werden solle, ob ausgeschlossen werden könne, daß in Köln die Einführung einer Europa-Steu­er erörtert werden wird. Dazu sei zu beachten, daß zum Beispiel der ÖVP-Abgeordnete zum Europäischen Parlament Dr. Rübig sich öffentlich über eine solche Steuer geäußert habe und daß überdies bereits entsprechende Beschlüsse im Europäischen Parlament gefaßt wur­den.

Weiters fragt Abgeordneter Mag. Schweitzer, welches Ausmaß die von Bundeskanzler Mag. Kli­ma verschiedentlich angesprochenen Übergangsfristen bis zur Einführung der Personenfreiheit im Zuge der Osterweiterung haben sollten, welchen offiziellen Vorschlag Österreichs der Bun­des­kanzler in bezug auf diese Übergangsfristen einbringen werde und ob bereits Maßnahmen getroffen wurden, diese Fristen mit anderen Ländern zu koordinieren.

Abgeordnete Maria Rauch-Kallat (ÖVP) bedankt sich für die vom Außenministerium mit dem Bundeskanzleramt akkordierte Stellungnahme von Regierungsseite zum vorliegenden Doku­ment der deutschen Präsidentschaft. Sie fragt Bundeskanzler Mag. Klima mit Bezug darauf, daß die SPÖ offenbar gegenüber den anderen neutralen Staaten in der Europäischen Union darauf gedrungen habe, eine gemeinsame Stellungnahme zur Sicherheitspolitik zu erarbeiten, ob es darüber ein Dokument gebe.

In dem vorliegenden Dokument der deutschen Präsidentschaft sei in den Schlußfolgerungen die Rede davon, daß die Beschlüsse zur Integration der Westeuropäischen Union vorzubereiten sind und dabei dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen ist. Abgeordnete Rauch-Kallat fragt Bundeskanzler Mag. Klima nach dessen Interpretation dieser Textstelle sowie nach seiner Interpretation der vor­angegangenen Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kostelka zu diesem Punkt. Diese näh­men sich angesichts dieses Zitats wie eine unnötige Kraftanstrengung zum Eintreten einer offe-nen Tür – im Zuge einer “Operation offene Hintertür” – aus.

Weiters zitiert Abgeordnete Rauch-Kallat aus den Schlußfolgerungen im vorliegenden Doku­ment jene Stelle, in der es heißt, daß der Europäische Rat den Rat Allgemeine Angelegenheiten be­auftragen müßte, die notwendigen Beschlüsse zur Integration der WEU in die EU vorzu­bereiten. Darin sei klar festgehalten, daß dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen sei, und daher sei es nicht zu verstehen, daß Abgeordneter Dr. Kostelka in einer Presseaussendung folgender­maßen Stellung bezogen habe: Taktik der ÖVP unter Schüssel sei es gewesen, dem Papier zuerst nicht zu widersprechen und nach einer entsprechenden Beschlußfassung in Köln zur Kenntnis neh­men zu müssen, daß Österreich WEU- beziehungsweise NATO-Mitglied sei.

Mit Bezug darauf stellt Abgeordnete Rauch-Kallat Bundeskanzler Mag. Klima die Frage, ob man al­lein schon dadurch NATO-Mitglied werde, daß man einem Dokument der deutschen Präsi­dent­schaft nicht widersprochen hat, und ob die Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kostelka un­richtig, unwahr oder schlicht und einfach dumm seien.

Es sei feststellbar, daß Abgeordneter Dr. Kostelka in dieser Sitzung anders gesprochen habe als in der vorangegangenen Presseaussendung vom selben Tag, nach dem Motto “Klubobmann – gespaltene Zunge”.

Abgeordnete Mag. Dr. Heide Schmidt (Liberales Forum) merkt an, daß es der General­se­kre­tärin der ÖVP vertraut sein müßte, drinnen anders als draußen zu sprechen, und daß in den Stel­lung­nahmen von Regierungsseite einige Fragen zur österreichischen Position unbeantwor­tet geblieben seien. Hinsichtlich unklarer Ausführungen habe der Bundeskanzler den Vize­kanzler über­troffen, da letzterer immerhin einige Auskünfte über die Richtung der österreichi­schen Politik gegeben habe, nicht so jedoch der Bundeskanzler.

Abgeordnete Dr. Schmidt widerspricht der Feststellung, daß unter österreichischer Präsident­schaft ein Startschuß zur Institutionenreform gegeben worden sei. Bundeskanzler und Vizekanz­ler selbst seien es gewesen, die im Vorfeld der österreichischen Präsidentschaft gemeint hätten, es gebe danach kein Bedürfnis. Jetzt würden die anderen Länder nachholen, was Österreich ver­säumt habe.

Abgeordnete Dr. Schmidt fragt, mit welchem Standpunkt Österreich in die entsprechenden Ver­hand­lungen – zum Beispiel über die individuelle Verantwortung von Kommissionsmit­gliedern – eintreten werde, und bedankt sich bei Vizekanzler Dr. Schüssel für die Information, daß diese individuelle Verantwortlichkeit auch eingefordert werden solle. Es stelle sich die Frage, in wel­cher Form sie umgesetzt werden und welche Rolle dabei das Europäische Parlament spielen solle, zum Beispiel im Zuge des Bestellungsvorganges.

Für die Erweiterung des Bereiches der qualifizierten Mehrheiten habe sich auch das Liberale Fo­r­um bereits seit langem ausgesprochen, durchaus wissend, daß sich dies auch gegen öster­rei­chische Interessen richten könne – als überzeugte Europäerin sage man auch nicht “Österreich zuerst!”, sondern fühle sich statt irgendwelchen nationalstaatlichen Interessen den Grundsätzen ver­pflichtet –, aber es mangle an Auskunft darüber, welche Entscheidungen dafür in Frage kä­men und was von Veränderungen ausgeschlossen wäre sowie dem Einstimmigkeitsprinzip unter­worfen bleiben müßte.

Die angesprochene Ausdehnung des Mitspracherechtes des Parlaments finde ebenfalls die volle Unterstützung des Liberalen Forums, aber auch in dieser Hinsicht fehle es an Informa­tionen über die von Österreich gewünschte Richtung. Letzeres gelte auch für die Stärkung der GASP-Strukturen.

Das vorliegende Dokument lasse sich tatsächlich so interpretieren, daß darin ein europäisches Heer angesprochen wird. Abgeordnete Dr. Schmidt begrüßt diesen Ansatz, der im Fall der Ver­wirk­lichung mit der Auflösung der nationalen Heere einhergehen müßte, und fragt nach dem öster­rei­chischen Standpunkt dazu. Unterstützung für die Forderung nach einem europäischen Heer hätten nicht nur Jacques Chirac, Tony Blair und Helmut Kohl zum Ausdruck gebracht, sondern kürzlich auch der künftige Kommissionspräsident Romano Prodi. Davon wäre die na­tional­staatliche Verteidigungspolitik auch im Hinblick auf entsprechende Konsequenzen für Rü­stungs­ankäufe betroffen.

Abgeordnete Dr. Schmidt fragt, ob die Schaffung eines europäischen Heeres mit der österrei­chi­schen Neutralität vereinbar wäre und ob, falls es im Jahr 2000 zu einem Beschluß über die Ver­schmel­zung von WEU und EU käme, dies der Zeitpunkt wäre, zu dem die Neutralität in Öster­reich auch als Potemkinsches Dorf nicht mehr aufrechterhalten werden könnte.

Bundeskanzler Mag. Viktor Klima antwortet der Abgeordneten Mag. Kammerlander in bezug auf den Vorwurf mangelnder Anstrengungen in Richtung einer gemeinsamen Außenpolitik der Euro­päischen Union, daß im Vertrag von Amsterdam und auf dem Wiener Gipfeltreffen die ge­mein­same Außenpolitik bereits festgehalten worden sei. Es werde dafür eine Person gesucht wer­den, es werde zum Aufbau von Planungs- und Analysezellen kommen müssen, und es wer­de nötig sein, dafür konkrete Strategien zu entwickeln.

Falls das vorliegende Dokument einen martialischen Eindruck erwecke, liege dies daran, daß die­ses Papier sich ausschließlich mit dem Artikel 17 – also dem insbesondere der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gewidmeten Artikel – des Titels V und nicht mit den anderen Artikeln auseinan­dersetzt.

Über eine NATO-Mitgliedschaft Österreichs brauche jetzt noch nicht entschieden zu werden. Bun­deskanzler Mag. Klima betont, daß eine Europäische Union in dem Sinn, daß jeder Mitglied­staat automatisch NATO-Mitglied werden muß, nicht vorstellbar sei. Dies gelte sowohl für die heutige EU als auch in bezug auf eine erweiterte Union, zum Beispiel im Fall der Erweiterung um baltische Staaten. Die Mitgliedschaft in der EU und die Teilhabe an einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werde auch und insbesondere in Zukunft nicht identisch mit der NATO-Mitgliedschaft sein können. Es gehe daher um ein Miteinander von Staaten, die an ihrer Bei­standspflicht im NATO-Rahmen festhalten, und Nicht-NATO-Mitgliedern. Es gehe um ent­spre­­chende Vielfalt.

Die Beistandspflicht sei jetzt noch kein Thema. Die Stellungnahme, die Österreich dazu abge­ben werde, werde die vorliegende Formulierung zur Beistandspflicht für unscharf, mißverständ­lich und nicht notwendig erachten, sodaß sie am besten entfallen sollte. Für den Fall, daß elf Mit­g­lied­staaten auf dieser Textstelle beharren werden, werde eine Klarstellung aus österrei­chi­scher Sicht notwendig sein, aus der hervorgeht, daß es das Interesse jener elf NATO-Mitglieder ist, an diesem Artikel über die Beistandspflicht festzuhalten, daß dies aber nicht im Interesse aller EU-Mitgliedstaaten steht. Dazu vertrete die österreichische Bundesregierung eine gemein­same Meinung.

Bundeskanzler Mag. Klima weist darauf hin, daß er in Köln keinen Beschluß mittragen werde, der nicht mit der österreichischen Verfassung vereinbar wäre. Daher sei der Antrag der Abge­ord­neten Mag. Kammerlander betreffend Neutralität nicht erforderlich.

Dem Abgeordneten Mag. Schweitzer antwortet Bundeskanzler Mag. Klima, daß geplant sei, die Institutionenreform bis Ende 2000 abzuschließen. Aus österreichischer Sicht gehe es um die An­zahl der Kommissare, um die Stimmgewichtungen, um die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die jene Fälle zu erarbeiten haben wird, in denen es um qualifizierte Mehrheiten geht, sowie um die Frage der individuellen Verantwortung. In Köln werde jedoch mit Sicherheit nicht darüber dis­ku­tiert werden, welche Entscheidungen zusätzlich mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden sol­len und welches rechtliche Maß für die individuelle Verantwortung und Mitwirkung gelten soll. Die Institutionenreform sei zwar notwendig für die Erweiterung der Europäischen Union, müsse aber auch unabhängig davon durchgeführt werden.

Die EU-Erweiterung sei ebenfalls notwendig und müsse sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Kandidatenländer in gleicher Form Vorteile bringen. Bundeskanzler Mag. Klima stellt klar, daß er nichts von einem Beitrittsdatum 2003 wisse und diese Jahreszahl hier zum ersten Mal in die­sem Zusammenhang gehört habe. Es gebe keine entsprechenden Beschlüsse, und er habe nie eine Jahreszahl im Zusammenhang mit Übergangszeiträumen genannt. Er habe nur davon ge­sprochen, daß in verschiedenen Bereichen Übergangszeiträume eingerichtet werden müs­sen, zum Beispiel hinsichtlich der Freiheit des Personen- beziehungsweise Arbeitnehmer­ver­kehrs.

Es sei nicht sinnvoll, diese Bereiche einem Feilschen um Jahreszahlen zu unterziehen, sondern es stelle sich vielmehr die Frage geeigneter Bedingungen. Die österreichische Bundesregierung habe sich eine entsprechende Vorarbeit vorgenommen, nämlich innerhalb der vorbereitenden Gespräche mit Slowenien, Ungarn oder der Tschechischen Republik durch Beauftragung von Wirtschaftsinstituten zunächst einmal Fakten zu ermitteln und dadurch objektive Entscheidungs­grundlagen für Verhandlungen über sowie Festlegung von Beitrittsbedingungen zu schaffen.

Was die grenznahen Kernkraftwerke betrifft, habe die österreichische Bundesregierung in der Zwischenzeit ausreichend auf die Ergebnisse des Wiener Gipfeltreffens hingewiesen. Daher sei die Frage der Sicherheit von Kernkraftwerken jetzt bereits zu einem maßgeblichen Thema der Beitrittsverhandlungen und des Beitrittsprozesses geworden. Bundeskanzler Mag. Klima erinnert dar­an, daß es einen von der Internationalen Atomenergiebehörde festgelegte Sicherheits­standard – eine Art Weltsicherheitsstandard – gibt, der in mehreren Bereichen von den Standards der Europäischen Union übertroffen wird. In bezug auf die Sicherheit von Kernkraft­wer­ken gebe es jetzt eine Vereinigung der westeuropäischen Sicherheitsbehörden, die sich gewis­se Standards und Normen zum Ziel gesetzt habe, welche gemäß den Schlußfolgerungen von Wien als technisch beste Standards angesehen werden können. Der entsprechende öster­reichische Standpunkt sei der Europäischen Union bekannt und könne auch verstärkt wer­den.

In der Frage der Inhalte und Anwendungsbereiche von qualifizierten Mehrheiten werde es in Köln zu keinen Entscheidungen kommen. Daher gebe es keine Festlegung auf österreichischer Sei­te. Unter Hinweis auf Presseaussendungen über das Wasser als Österreichs “Weißes Gold” stellt Bundeskanzler Mag. Klima fest, daß ein Land auch in Bereichen, in denen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, eine Art Veto einlegen könne, wenn ein vitales Inter­esse betroffen ist.

Über eine Europa-Steuer werde in Köln sicherlich nicht diskutiert werden, und es werde darüber auch kein Beschluß gefaßt werden. Bundeskanzler Mag. Klima fragt, was mit dem Ausdruck “Europa-Steuer” überhaupt gemeint sei. Man könne darüber nachdenken, ob bei Einsparung von nationalen Beiträgen die Finanzierungsbasis der EU durch gemeinsame, nur europäisch sinn­volle Abgaben gestaltet werden könnte.

Bundeskanzler Mag. Klima antwortet der Abgeordneten Rauch-Kallat, daß er keine Interpre-tation der Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kostelka vorzunehmen brauche. Außenministe­rium und Bundeskanzleramt seien in Kontakt mit Kabinettschefs und ‑mitgliedern in Schweden, Finnland und Irland gestanden, und dabei sei es nicht zu einer gemeinsamen Stellungnahme der vier Staaten, wohl aber zum Austausch, zur Diskussion und zur Abstimmung der Stellung­nahmen aufeinander gekommen. Der österreichische Standpunkt zu dem vorliegenden Doku­ment der deutschen Präsidentschaft weise keinen Widerspruch zwischen Außenministerium und Bun­deskanzleramt auf. Es sei nicht ungewöhnlich, daß es im Zuge von Diskussionen schritt­weise zu einer entsprechenden Annäherung komme.

Bundeskanzler Mag. Klima antwortet der Abgeordneten Dr. Schmidt, daß der britische Premier­minister Blair nicht für ein europäisches Heer eintrete. Der künftige Kommissionspräsident Prodi habe sogar aufgrund einer Intervention von Blair entsprechende Fehlinterpretationen britischer Zeitungen korrigieren müssen.

Eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik sei auch im Zusammenwirken von NATO-Mit­glie­dern und von Staaten, die keiner Allianz angehören, möglich. Auf der Basis der Charta der Ver­ein­ten Nationen ergebe sich im Fall der Mitwirkung kein Problem für die Neutralität, wie Öster­reich sie entwickelt hat. Die Neutralität Österreichs vor dem Zeitpunkt des UNO-Beitrittes sei mit Sicherheit eine andere als die jetzige Neutralität gewesen. Die jetzige sei solidarisch und auch für die Zukunft tragfähig. Bundeskanzler Mag. Klima fügt hinzu, daß dies seine persönliche Meinung sei und daß dies in Köln nicht zur Diskussion stehen werde. Dort werde keine Ände­rung der österreichischen Bundesverfassung erforderlich werden. Für Irland gelte das gleiche. Auch Schweden und Finnland würden ihren jeweiligen Status nicht aufgeben und trotzdem an einer europäischen Sicherheitspolitik mitarbeiten. Die Frage eines eventuellen NATO-Beitrittes blei­be davon unabhängig.

Bundeskanzler Mag. Klima beschließt seine Ausführungen mit dem Angebot an die Abgeord­nete Rauch-Kallat, ihre Frage, ob eine Mitgliedschaft durch Nichtwiderspruch entstehen könnte, we­gen des Umfanges einer entsprechenden Erklärung zu einer anderen Gelegenheit zu beant­worten.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel spricht sich in bezug auf die Fragen zur Institutionenreform dafür aus, die Artikel 1 und 2 des Amsterdam-Protokolls unter einem zu diskutieren, um den Aufwand an Regierungskonferenzen in Grenzen zu halten. Seiner Ansicht nach ist es erforderlich, daß jedes Mitgliedsland in der Kom­­­mission Sitz und Stimme hat und daß bei der Stimmgewichtung eine gewisse Flexibilität auf­­recht­erhalten wird. Keine Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit sollten in Fragen von Grund- und Boden, der Wassernutzung, der Finanzen und im Fall von Vertragsänderungen mög­­lich sein. An dieser – auch im Parlament deutlich mehrheitsfähigen – Position werde Öster­reich festhalten. (Bundeskanzler Mag. Klima verläßt die Sitzung.)

Vorgesehen sei, daß die finnische Präsidentschaft einen Vorschlag zur Institutionenreform ent­wickelt. Dessen Ausarbeitung könnte entweder in einem von außen geholten “Weisen”-Komitee erfolgen oder vom Rat Allgemeine Angelegenheiten beziehungsweise von den Außenministern im Rahmen einer Regierungskonferenz nach Vorbereitung durch den COREPER übernommen wer­den. Österreich trete eher für die zweite Variante ein. Die Vorbereitung wäre heuer vorzu­neh­men, ein Abschluß sollte 2000 erreicht werden.

Auch in bezug auf die individuelle Verantwortung der Kommissare hält Vizekanzler Dr. Schüssel zwei Modelle für möglich, nämlich ein Recht des Kommissionspräsidenten, Kommissare zu ent­lassen, oder ein Recht des Europäischen Parlaments, individuelle Mißtrauensanträge zu stel­len. Auch eine Kombination dieser Varianten wäre denkbar. Allerdings seien einige Mit­glied­staa­ten in dieser Hinsicht wesentlich restriktiver als Österreich.

Was das vorliegende Dokument zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik betrifft, hätten einige Länder, darunter Österreich, vorgeschlagen, die bereits im allgemeinen Teil des Vertrages von Amsterdam aufscheinende Zitation der Prinzipien der UNO-Charta neuerlich festzuschreiben. Es gebe über die Festlegung hinaus, die im – an jeden parlamentarischen Klub ergangenen – COREU-Text aufscheint, noch keine präzise gemeinsame Position. Jeder Schritt Österreichs sei daher den Klubs bekannt, da bestehe “Transparenz pur”.

Noch sei überdies nicht bekannt, was die deutsche Präsidentschaft aufgrund der ersten Dis­kus­sion im Rat Allgemeine Angelegenheiten in Köln wirklich vorschlagen wird. Vizekanzler Dr. Schüs­sel gibt seiner Erwartung Ausdruck, daß manche der am 17. Mai diskutierten Anre­gun­gen in den Text der Präsidentschaft einfließen werden. Wenn es zu Änderungen kommt, würden die Klubs über die entsprechenden Vorschläge der Präsidentschaft informiert werden. Deren Schlußfolgerungen würden keinen formellen Beschluß in dem Sinn darstellen, daß damit un­mittelbar anwendbares Recht entstünde. In den Schlußfolgerungen komme ein politischer Konsens zum Ausdruck, der an die nachfolgende Präsidentschaft weitergegeben werde.

Vizekanzler Dr. Schüssel weist darauf hin, daß nicht nur die Werte der UNO-Charta bereits jetzt im Vertrag von Amsterdam enthalten sind, sondern daß auch sowohl mit diesem Vertrag als auch mit dem vorliegenden Dokument ein Abrücken vom österreichischen Status quo verbun­den sei. Sonst hätte die österreichische Verfassung nicht angepaßt werden müssen. Im Bericht des Verfassungsausschusses vom Juni 1998 sei keine Rede von Neutralität, aber an vielen Posi­tionen sei beschrieben, was der Artikel 23f bedeute: die Teilnahmemöglichkeit an Kampf­einsätzen und die solidarische Mittragung von Aktionen der Europäischen Union.

Dies stelle eben nicht mehr den Status quo dar – wie auch der Klubobmann der SPÖ, Abgeord­neter Dr. Kostelka, zur Kenntnis nehmen müsse –, es entspreche nicht mehr der bisher gültigen Neutralitätsinterpretation. Im Zuge des Beitritts zur Europäischen Union sei die österreichische Verfassung ausdrücklich geändert worden, um Österreich in die Lage zu versetzen, wirtschaftli­che Sanktionen der EU mittragen zu können. Im österreichischen Parlament sei sehr offen aus­dis­kutiert worden, daß für die Annahme der Artikel 17 und 23 des Vertrages von Amsterdam die österreichische Verfassung geändert werden mußte. Daher handle es sich jetzt nicht mehr um Neutralitätspolitik, “wie sie immer gewesen ist”.

Was also Österreich bereits beschlossen hat und worüber in Köln weiterzudiskutieren sowie En­de 2000 zu beschließen sein werde, bedeute insgesamt: mehr Solidarität und weniger an Neu­tra­lität im europäischen Zusammenhang. Das heiße aber nicht, daß der Artikel V automatisch integriert wird. Es bedeute daher auch nicht, daß Österreich automatisch der NATO oder der WEU beitreten muß, sondern es bringe zum Ausdruck, daß für eine glaubwürdige europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik geeignete Institutionen erforderlich sind. Es müsse der Ort für entsprechende Diskussionen festgelegt werden, und es sei eine saubere Argumen­tation, unter dem Primat der Außenpolitik zu sagen, daß nicht ein eigener Rat der Verteidigungs­minister geschaffen wird, sondern daß der Rat Allgemeine Angelegenheiten, gegebenenfalls unter Beiziehung der Verteidigungsminister, diese Fragen diskutieren soll. Dafür sei eine eigene Pla­nungs- und Strategieeinheit nötig, die nicht nur die präventive diplomatische Ebene, sondern auch militärische Kapazitäten mit einschließt. Es werde ein EU-Militärausschuß und eine sinn­volle Rüstungskooperation benötigt. Auch dies sei bereits im Text des Vertrages von Amster­dam angesprochen worden.

Es gehe also nicht um die Vorbereitung eines Krieges, sondern weil niemand den Krieg wolle, benötige die Europäische Union alle diese Instrumente, um sie notfalls einsetzen zu können und sie hoffentlich nie einsetzen zu müssen. All dies müsse ehrlicherweise gesagt werden. Wolle Europa als “Global player” ernst genommen werden, dann müsse es mehr als ein Binnenmarkt sein und brauche mehr als eine gemeinsame Währung. Dann müsse es in Richtung einer ge­meinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen.

Aus dem entsprechenden Bericht des Verfassungsausschusses gehe eindeutig hervor, daß eine entsprechende europäische Aktion nicht notwendigerweise durch einen Beschluß des UNO-Sicherheitsrates abgestützt sein müßte. Vizekanzler Dr. Schüssel weist auf folgende Textstelle dieses Berichtes hin: In Entsprechung des Vertrags von Amsterdam gilt die Teilnahme­möglich­keit an den sogenannten neu eingeführten “Petersberg-Aufgaben”, auch wenn eine solche Maß­nah­me nicht in Durchführung eines Beschlusses des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen er­griffen wird.

Was in diesem Zitat angesprochen wird, gelte zum Beispiel im Zusammenhang mit Durchfuhren oder Überflügen in Durchführung einer GASP-Maßnahme, wenn Österreich nicht daran teil­nimmt, sich aber konstruktiv enthält. Unterzeichnet sei dieser Bericht vom Obmann des Verfas­sungs­ausschusses, dem Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, und vom Abgeordneten Winfried Sei­din­ger als Berichterstatter. Vizekanzler Dr. Schüssel erachtet daher die Argumentation für prä­zis und fair, daß von “more of the same” an Neutralität nicht länger die Rede sein kann. Viel­mehr liege eine Weiterentwicklung vor, an der Österreich gut teilnehmen könne.

Was die Frage einer europäischen Armee betrifft, gehe es insbesondere um die Benennung. Po­sitive Äußerungen von seiten Irlands, Schwedens und Finnlands, aber auch Großbritanniens, Belgiens und so weiter hätten gezeigt, daß die Frage, ob man auf europäische Kapazitäten zu­grei­fen können muß, außer Streit stehen dürfte. Jedes Mitgliedsland der Europäischen Union müs­se entsprechende Einheiten benennen, die für friedenschaffende, friedendurchsetzende, hu­ma­nitäre oder im Krisenfall sichernde Maßnahmen zuständig sind. Darauf müsse im Notfall zurück­gegriffen werden können.

Nicht geplant sei aber eine Europa-Armee im Sinn einer Profi-Armee, die unter europäischem Einsatzbefehl stünde und an der notfalls auch Österreicher beteiligt wären, obwohl Österreich beispielsweise eine aktive Maßnahme in Entsprechung zu Artikel 17 nicht mittragen würde. Frank­reich und Großbritannien würden zumindest derzeit nicht darauf verzichten wollen, den Zu­griff auf alle ihre Einheiten zu behalten. Sie hätten aber Bereitschaft gezeigt, für gemeinsame EU-Aktionen – solche Aktionen würden jedoch nie zu Gemeinschaftsrecht werden, sondern inter­gouvernemental bleiben – nationale Einheiten auf Abruf bereitzustellen. Diese Einheiten stünden weiterhin jeweils unter nationalem Kommando.

Außer Streit stehe unter allen 15 Mitgliedstaaten der Wunsch nach europäischen Einheiten, die vor­her benannt werden. Sie wären dem Umfang nach bekannt, deren Finanzierung wäre gesi­chert, sie wären interoperativ einsetzbar, und im Notfall könnte schnell darauf zurückgegriffen wer­den. Vizekanzler Dr. Schüssel hebt hervor, daß sich diese Vorgangsweise von der Auffas­sung einer professionellen Europa-Armee im Sinne des Liberalen Forums unterscheide.

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) stellt fest, daß im Vergleich der Ausführungen von Vizekanzler Dr. Schüssel mit jenen des Abgeordneten Dr. Kostelka wieder einmal ein Dis­sens zwischen den Regierungsparteien über die österreichische Position zum Ausdruck komme. Bundeskanzler Mag. Klima habe überhaupt nur zwei Informationen gegeben, nämlich daß Öster­reich eine Stellungnahme abgeben werde und daß die Oppositionsfraktionen diese nicht bekom­men würden. (Obmannstellvertreter Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)

Mit Bezug darauf, daß in dem vorliegenden Dokument von militärischen Kapazitäten der Euro­päischen Union zur Krisenbewältigung als einer Tätigkeit im Rahmen der GASP und von der Ge­stal­tung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik die Rede ist, widerspricht Abgeordneter Jung der Ansicht, daß Artikel V nur auf die “Petersberg-Aufgaben” zu beziehen sei. Eine ge­mein­same Verteidigungspolitik gehe weit über die “Petersberg-Aufgaben” hinaus und umfasse, wenn es zur Verschmelzung von WEU und EU kommt, auch die gegenseitige Beistandspflicht. Eine solche Vorgangsweise sei eindeutig nicht mit der Neutralität vereinbar.

Die Tatsache, daß in dem Dokument ausgesagt wird, die Verpflichtungen nach Artikel 5 des Ver­tra­ges von Washington und nach Artikel V des Brüsseler Vertrages blieben auch im Fall der Integration der WEU in die EU bestehen, werfe die Frage auf, ob jemand wirklich glauben kön­ne, daß ein solches Bündnis Krieg führen und sich gemeinsam verteidigen könnte, während gleich­zeitig ein paar der Mitgliedstaaten “draußen” blieben. Eine solche Auffassung wäre haar­sträu­bend unsinnig.

Mit Bezug auf die Fortsetzung der soeben angesprochenen Textstelle – sie laute: obgleich die insti­tu­tionelle Grundlage des letzteren vorbehaltlich eines einstimmigen Beschlusses aller Be­trof­fenen überprüft werden muß – ersucht Abgeordneter Jung Vizekanzler Dr. Schüssel, eine Deu­tung dieses Satzes zu geben.

Die Tatsache, daß Vizekanzler Dr. Schüssel am 19. Mai 1999 im Nationalrat von einer bereits vor­lie­genden, gemeinsam abgestimmten Meinung der Regierungsparteien sprach, wonach Öster­reich an einer Verschmelzung von WEU und EU solidarisch mitwirken und militärisch teil­neh­men werde, stehe im Widerspruch zu Aussagen von Bundeskanzler Mag. Klima, daß die Fra­ge der österreichischen Neutralität davon nicht berührt sei.

Eine weitere ins Gewicht fallende Aussage von Vizekanzler Dr. Schüssel sei jene, daß theore­tisch der Europäische Rat aufgrund von Artikel 17 einen Verschmelzungsbeschluß machen könnte und daß bereits eine abgestimmte Position dahin gehend bestehe, daß die österrei­chi­sche Bundesregierung – und damit auch die SPÖ – einen solchen Beschluß solidarisch mittra­gen werde.

Überdies habe der SPÖ-Abgeordnete zum Europäischen Parlament Dr. Swoboda festgestellt, daß es künftig die militärische Komponente eines europäischen Sicherheitssystems in einen euro­päischen Pfeiler der NATO zu integrieren gelte. Dem widerspreche die heutige Presseaus­sen­dung des Abgeordneten Dr. Kostelka über eine “Operation Hintertür”, in deren Rahmen ver­sucht werde, Österreich durch stille Duldung des Papiers der deutschen Präsidentschaft betref­fend Verschmelzung von WEU und EU in die NATO hineinzuschmuggeln.

Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Aussagen fragt Abgeordneter Jung, was letztlich Gegenstand der österreichischen Stellungnahme sein werde. Von “stiller Duldung” werde ge­spro­chen, nicht einmal innerhalb der SPÖ bestehe mehr Eindeutigkeit, und jetzt sei darüber hinaus auch noch die Rede von einem gemeinsamen Papier Österreichs, Finnlands, Irlands und Schwe­dens. Es bestehe große Unsicherheit über die weitere sicherheitspolitische Entwicklung Österreichs.

Zwar versuche Vizekanzler Dr. Schüssel, relativ aussagekräftig Stellung zu beziehen, aber dem stünden anderslautende Ausführungen von Bundeskanzler Mag. Klima gegenüber, die Anlaß zu der Frage gäben, ob der Bundeskanzler nicht nur in Brüssel und Wien jeweils etwas anderes sa­ge, sondern ob auch seine Stellungnahmen gegenüber dem Hauptausschuß und gegenüber der Öffent­lichkeit unterschiedlich wären. Die SPÖ verhalte sich wie eine Braut, die zwar die Mitgift kas­siert habe, jetzt aber davor zurückscheue, die Konsequenzen aus ihrem Entschluß zu ak­zeptie­ren, obwohl sie wegen fahrlässigen Umgangs mit der Neutralität ihre Unschuld längst verlo­ren habe.

Abgeordneter Mag. Dr. Josef Höchtl (ÖVP) faßt zusammen, daß die heutige Diskussion im Haupt­­ausschuß – über die Informationen hinaus – in zwei wesentlichen Punkten Klarheit ge­bracht habe. Zweimal habe Abgeordneter Dr. Kostelka in seinen Ausführungen andere Posi­tionen als Bundeskanzler Mag. Klima vertreten.

In der heutigen Aussendung des Abgeordneten Dr. Kostelka sei davon die Rede, daß Österreich ge­mein­sam mit Finnland, Irland und Schweden ein Papier erarbeitet habe. Im Gegensatz dazu habe Bundeskanzler Mag. Klima festgestellt, daß es kein gemeinsames Papier zwischen diesen Staaten gebe.

Weiters stehe die Aussage des Abgeordneten Dr. Kostelka über die traditionelle Form der Neu­tra­­litätspolitik im Gegensatz zu der Feststellung von Vizekanzler Dr. Schüssel, daß die heutige Neu­­tra­litätspolitik aufgrund der von SPÖ und ÖVP gemeinsam geänderten Verfassung nicht mehr diejenige der traditionellen Form ist. Aufgrund der “Petersberg-Aufgaben” bestehe jetzt viel­­mehr jene Lage, die Vizekanzler Dr. Schüssel mit den Worten “weniger Neutralität und mehr Soli­darität” zum Ausdruck gebracht hat.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne) konstatiert unterschiedliche Beantwortungen der Fragen durch Bundeskanzler Mag. Klima und Vizekanzler Dr. Schüssel. Es sei zu begrüßen, daß Vizekanzler Dr. Schüssel auf die inzwischen erfolgte Entwicklung hingewiesen und damit die Kritik der Grünen daran, daß mit jedem Schritt ein weiteres Stück der Neutralität begraben wur­de, bestätigt habe. Von der sozialdemokratischen Fraktion und dem Bundeskanzler aber sei zu sagen, daß sie an Realitätsverlust leiden, weil sie das schrittweise Kappen der Neutralität nicht sehen wollten und immer noch so tun würden, als wäre nichts geschehen.

Jetzt sei es an der Zeit, der zivilen, nichtmilitärischen Komponente von Außen- und Sicherheits­po­li­tik eindeutigen Vorrang zu geben. Es gehe also um die richtige Reihenfolge und um die Pri­ori­täten. Erst nach Erstellung der Voraussetzungen – nämlich entsprechender Instrumenta­rien, Strukturen oder Gremien – dieser zivilen Komponente werde der Zeitpunkt für eine Pla­nungs- und Strategieeinheit im Zusammenhang mit militärischen Überlegungen gekommen sein.

Das vorliegende Dokument der deutschen Präsidentschaft stehe in einer bestimmten Tradition der Entscheidungen. Nicht nur von der französisch-britischen Erklärung werde in der Einleitung gesprochen, sondern auch davon, daß der Gipfel von Washington die Weichen gestellt habe. Auch daran erweise es sich, daß der Abgeordnete Dr. Kostelka völlig realitätsfremd sei, weil er of­fen­sichtlich nicht zur Kenntnis nehme, daß nicht die EU-Gremien die Richtung festgelegt ha­ben, sondern der NATO-Gipfel in Washington.

Abgeordnete Mag. Kammerlander äußert daher den Verdacht, daß die Mitgliedstaaten der Euro­päischen Union in den Vorbereitungen einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik längst nicht mehr das Heft in der Hand haben, insofern es um die Festlegung der Prioritäten geht. Viel­mehr gebe ein Militärbündnis die Prioritäten vor, das in den letzten zwei Jahren durch ver­schie­dene aktuelle Ereignisse an Bedeutung gewonnen habe und das sich stark genug fühle, Europa und der EU einen Fahrplan vorzugeben, der einzuhalten ist. Dies stimme bedenklich.

Zwar sei Vizekanzler Dr. Schüssel darin zuzustimmen, daß niemand einen Krieg wolle, dies gel­te aber nicht in der Hinsicht, daß es dazu dieser Instrumente bedürfe. Je mehr auf das gesetzt werde, was in dem Dokument angesprochen ist – die Stärkung der militärischen Strukturen und deren weiterer Aufbau –, desto mehr werde künftig im Krisenfall nur auf die militärische Logik zurückgegriffen werden.

Die aktuelle Situation im Kosovo zeige eines: Hätten die Vereinten Nationen mit den verschie­densten Mitteln und Instrumentarien acht Wochen lang relativ bis ganz erfolglos versucht, in einem Krisengebiet zu arbeiten, dann wäre einhellig die Beendigung dieser Versuche sowie die Anwendung anderer Mittel verlangt worden. Im Rahmen der militärischen Logik aber sei es mög­lich, acht Wochen lang komplett an den Zielen vorbei zu operieren – die militärische Inter­vention auf dem Balkan sei ohne jeden Erfolg geblieben –, und dies mit der Konsequenz, daß jetzt keine anderen Mittel mehr zur Hand sind, weil gleich mit der Ultima ratio begonnen wurde.

Dem ähnle die Vorgangsweise in dem vorliegenden Dokument: Auch die Europäische Union be­gin­ne darin mit dem Aufbau von Strukturen und mit dem Ausformulieren in jenem Teil, der eigent­lich erst die Ultima ratio der Politik sein sollte. Aus Sicht der Grünen sei es abzulehnen, daß die Institutionenreform bei der militärischen Logik beginnt.

Die Antwort des Bundeskanzlers habe einige Widersprüche aufgewiesen und sei unklar geblie­ben. Es stimme traurig, daß hier einem parlamentarischen Gremium, das sich mit der österrei­chi­schen Position befassen soll, auch mündlich nicht hinreichend Auskunft erteilt werde. Aufrufe der Art “Vertrauen Sie mir!” seien keine geeignete Basis parlamentarischer Arbeit. Allerdings hät­ten sich die Ausführungen des Vizekanzlers in ihrer Qualität wohltuend von den Aussagen des Bundeskanzlers unterschieden. Jedoch gebe es zum heutigen Thema eine Fülle wider­sprüch­li­cher Erklärungen von Repräsentanten sowohl der SPÖ als auch der ÖVP, und dies sei dem Vertrauen abträglich. Die SPÖ könne sich ihre Wahlplakate sparen, da sie als erste die Neu­tra­lität verlassen habe, weil sie der Realität nicht ins Auge sehen wolle.

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) erwidert dem Abgeordneten Dr. Höchtl, daß er in seiner Pressekonferenz von einer akkordierten Stellungnahme der vier neutralen oder nicht pakt­ge­bun­denen EU-Mitgliedstaaten gesprochen habe. Von einer gemeinsamen Stellungnahme sei nicht die Rede gewesen. Mit einer akkordierten Stellungnahme sei gemeint, daß einzelne Stellung­nahmen seitens der vier Länder inhaltlich weitgehend überdeckend seien. Sie würden sich zwar nicht in allen Punkten gleichen, jedoch in den wesentlichen Punkten – in den Aussa­gen zum Artikel V, im Hinblick auf die Priorität der UNO und so weiter – inhaltlich Identisches verlangen. Der Gleichklang dieser vier Länder werde nicht unwesentlich für das Gipfeltreffen in Köln sein.

Im Hinblick auf die traditionelle Neutralität seien die unterschiedlichen Positionierungen von SPÖ und ÖVP unübersehbar. Wäre es anders, dann hätte es einen gemeinsamen Optionenbericht ge­geben. Noch im Februar 1999 habe die ÖVP den Wunsch geäußert, der NATO beizutreten, sie habe aber in der Zwischenzeit angesichts von Meinungsumfragen, wonach drei Viertel der Öster­reicher diesen Wunsch nicht goutieren, ihre Argumentation geändert. Jetzt sage die ÖVP, daß ein NATO-Beitritt derzeit überhaupt nicht aktuell sei. Aber Verteidigungsminister Dr. Fassl­abend habe zum Beispiel in Brüssel das Gegenteil dessen gesagt, was am selben Tag von der ÖVP in einem Parteivorstandsbeschluß gesagt wurde, und dort die Absicht eines NATO-Beitritts verkündet.

Jetzt laute die Argumentation der ÖVP darauf, daß Österreich im Falle einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einer entsprechenden Verteidigungsidentität ohne Wenn und Aber an­zu­gehören habe. Demnach würde sich Österreich, wenn es zu einem Beschluß über die Ver­schmelzung von WEU und EU käme, keine eigenständige Sicherheitspolitik mehr leisten kön­nen, sollen und wollen.

Abgeordneter Dr. Kostelka verweist auf Gespräche, aus denen hervorgegangen sei, daß Öster­reichs Vertreter auf Ebene der Verteidigungs- und Außenminister – sehr zum Unterschied von den Vertretern Schwedens, Finnlands oder Irlands – zu erkennen gegeben hätten, daß Öster­reich gerne NATO-Mitglied wäre, obwohl die dafür nötigen formalen Schritte noch fehlen, und sich in vielen Positionen praktisch wie ein NATO-Land verhalte. Auf diese Weise werde in vieler­lei Hinsicht bewußt darauf verzichtet, die österreichische Position eines neutralen, nicht paktge­bun­de­nen Staates zur Geltung zu bringen.

Abgeordneter Dr. Kostelka fügt hinzu – und dies habe er auch in seiner Pressekonferenz deut­lich gemacht –, daß es einer wesentlichen Initiative des Bundeskanzleramtes beziehungsweise der Sozialdemokratie bedurft habe, die tatsächliche österreichische Position den anderen Staaten deutlich zu machen. Österreich müsse mit dem Faktum leben, daß sein Außenminister außer­halb Österreichs in der Öffentlichkeit Solidarität verwechsle mit der Gefolgschaft jener Staaten, die der NATO angehören. Dies habe die Sozialdemokratie ansprechen müssen.

Bei der Formulierung des Artikel 23 der Bundesverfassung habe die SPÖ deutlich gemacht, daß dies in keiner Weise eine Beeinträchtigung der Neutralität mit sich bringe. In den Ausschuß­bera­tungen sei die Neutralität ausdrücklich angesprochen worden. Das Stimmverhalten sei leicht zu erklären, es hänge mit einer entsprechenden Vereinbarung auf koalitionärer Ebene zusammen. Wä­re der Artikel 23f gemäß der Position der ÖVP und entsprechend den ersten Entwürfen des Außen­­ministeriums formuliert worden, so wäre er ein Pouvoir, eine “Carte blanche” für die Zu­stim­mung Österreichs zu einer solchen Verschmelzung gewesen. Statt dessen sei auf verfas­sungs­gesetzlicher Ebene genau das Gegenteil formuliert worden.

Überdies sei festgelegt worden, daß die Handlungsfähigkeit des Regierungsmitgliedes, das Öster­reich nach außen hin vertritt, nur in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler gegeben ist. Dies sichere nicht nur institutionell, sondern auch inhaltlich die österreichische Neutralität in vollem Umfang ab.

Es habe großer Anstrengungen bedurft, das Außenministerium davon zu überzeugen, daß es eine entsprechende Positionierung wie jene Schwedens, Finnlands und Irlands auch von seiten Öster­reichs geben sollte. Der österreichische Standpunkt werde eben wegen der Positionierung des Außenministers und des Verteidigungsministers in Europa mitunter als ein vorab erbrachtes NATO-Mitgliedschaftsverhalten mißverstanden. Dies könne in Österreich nicht akzeptiert wer­den.

Abgeordnete Mag. Dr. Heide Schmidt (Liberales Forum) stellt fest, daß sie – obwohl Reprä­sen­tantin der Opposition – sich über die Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung nicht freuen könne, weil ihr die Weiterentwicklung des gemeinsamen Europas in eine bestimmte Richtung sowie die Mitwirkung Österreichs an der erforderlichen Weichenstellung am Herzen liege.

Das Gewicht Österreichs werde maßgeblich beeinträchtigt, wenn die Koalitionsparteien nicht in der Lage sind, sich in wesentlichen Fragen auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen und mit einer einzigen Stimme zu reden. Da letzteres in der Außen- und Sicherheitspolitik derzeit nicht ge­schehe, werde Österreich in dieser Hinsicht nicht wahrgenommen. Das ganze Land werde für diese Differenzen in der Regierung in Geiselhaft genommen.

Zweifellos trete die SPÖ verbal für die Neutralität ein, aber ihr Tun sei ein anderes. Es sei Reali­tät, daß die Neutralität nicht mehr so wie früher gehandhabt wird. Die ÖVP wiederum winde sich je nach Meinungsumfrage und Wahltermin in ihren Positionen; allerdings gelte dies noch am we­nigsten für Vizekanzler Dr. Schüssel, sondern vielmehr für den ÖVP-Klubobmann und ande­re, die das Wort “NATO” in letzter Zeit nicht mehr gebrauchen wollten und dadurch Rückgratlo­sig­keit zum Ausdruck brächten. Wer dafür eintrete, daß die Sicherheitspolitik am besten in der NATO-Mitgliedschaft aufgehoben sei, habe insbesondere in einem Wahlkampf entsprechend Po­si­tion zu beziehen. Unter dem Strich seien die Standpunkte beider Regierungsparteien unehr­lich.

Abgeordnete Dr. Schmidt stellt fest, daß sie einige Fragen an Vizekanzler Dr. Schüssel richten müsse, weil Bundeskanzler Mag. Klima einiges unbeantwortet gelassen oder zumindest nicht zu Gehör gebracht habe. Denn wenn der Bundeskanzler seine Geschichten erzähle, brauche nicht mehr zugehört zu werden, sobald er ankündige, daß er etwas “klar und deutlich” sagen wolle, weil dann nichts Klares und Deutliches mehr komme, und dies bringe die Gefahr mit sich, daß manches überhört wird.

Abgeordnete Dr. Schmidt fragt, ob auch Österreich die Position vertrete, daß es zur Verschmel­zung von Westeuropäischer Union und Europäischer Union kommen soll, und ob Österreich eine entsprechende Beschlußfassung vorantreiben wolle. Weiters stellt sie die Frage, ob nach Ansicht von Vizekanzler Dr. Schüssel diese Verschmelzung mit der österreichischen Neutralität vereinbar wäre. Bundeskanzler Mag. Klima habe von Allianzfreiheit gesprochen, doch sei eben die österreichische Neutralität nicht dasselbe wie Allianzfreiheit.

Zuzustimmen sei der Ansicht von Bundeskanzler Mag. Klima, daß eine Mitgliedschaft in der WEU und eine aktive Teilnahme an einem europäischen Sicherheitssystem ohne NATO-Mit­glied­schaft möglich sein wird. Das Liberale Forum spreche sich daher nicht für einen Beitritt Öster­r­eichs zur NATO aus, sondern sei immer schon für einen Beitritt zur WEU eingetreten. Im Lauf der letzten Jahre habe es unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben, ob WEU- und NATO-Mitgliedschaft voneinander getrennt werden könnten oder nicht; in letzter Zeit sehe es eher danach aus, als könnten diese Mitgliedschaften auch voneinander unabhängig sein. Abge­ord­nete Dr. Schmidt fragt Vizekanzler Dr. Schüssel, wie er diese Sachlage einschätze und was er für Österreich erreichen wolle.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel leitet seine Antwort mit der Einschätzung ein, daß er die bisherige Diskussion für sehr positiv, erfri­schend und ehrlich erachte, und stellt gegenüber der Abgeordneten Mag. Kammerlander fest, daß in einem umfassenden außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Kontext zwar alles berücksichtigt, aber ein deutlicher, prioritärer Akzent auf der zivilen, diplomatischen und präven­ti­ven Komponente gesetzt werden müsse.

In bezug auf das Kosovo-Problem sei seine gesamte Arbeit als EU-Ratspräsident darauf ausge­rich­tet gewesen, alle Möglichkeiten auszuloten, um ohne den Einsatz militärischer Komponenten durchzukommen. Drohungen der NATO habe es zu Hunderten gegeben, fast habe schon von einer Inflation militärischer Drohungen gegenüber Milošević die Rede sein können. Es habe sich bereits eine Entwicklung in Richtung Papiertiger abgezeichnet. Nach und nach hätten die Dinge eine Eigendynamik gewonnen.

Den Ausführungen der Abgeordneten Mag. Kammerlander darüber, was im Falle monatelanger Arbeit der UNO geschähe, könne im Hinblick darauf geantwortet werden, daß die UNO tat­sächlich gearbeitet hat. Denn die OSZE werde als regionale Organisation im UNO-Kontext ak­zep­tiert und von UNO-Generalsekretär Annan auch bewußt in diesem Zusammenhang einge­setzt. Es seien ungefähr 2000 – leider unbewaffnete – “Verifyer” vor Ort bemüht gewesen, Sta­bi­li­tät zu schaffen, dies sei aber nicht gelungen. Statt dessen sei es zum Aufbau eines militäri­schen Drohpotentials Serbiens im Kosovo gegen die andere Volksgruppe und gegen Minder­heiten gekommen.

Tatsächlich müsse sich die Europäische Union, um glaubhaft zu sein, prioritär in Konfliktvermei­dung, Krisenprävention und humanitärem Engagement betätigen. Aber dabei dürfe eines nicht außer acht gelassen werden – Vizekanzler Dr. Schüssel erinnert als damaliger Chefverhandler Öster­reichs zum Vertrag von Amsterdam daran, daß dies auch im Rahmen der Regierungs­kon­fe­renz ganz bewußt diskutiert wurde –: Die Weiterentwicklung nach der Währungsunion zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion habe auch bedeutet, daß Österreich sein Neutralitätsrecht ändern muß. Dies sei in aller Öffentlichkeit durchgeführt worden, und zwar innerhalb der Regierung mit einer Stimme. So werde es Österreich auch in Köln halten.

Das Dokument der deutschen Präsidentschaft gehe zurück auf ein erstmals im Rahmen des in­for­mellen Außenministerrates in Reinhartshausen vorgelegtes Positionspapier. In solchen ersten Generaldebatten zu einem Thema bringe jeder Mitgliedstaat seine allgemeinen Prinzipien in der Sache zum Ausdruck, es erfolge aber keine Abstimmung. Österreich habe damals die Ansätze der deutschen Präsidentschaft für richtig gehalten, weil sie dem entsprochen hätten, was im Rah­men des informellen Treffens der Regierungschefs in Pörtschach, im Europäischen Rat in Wien, in drei Außenministertreffen in Österreich und in der Verteidigungsministerkonferenz in Wien diskutiert worden war.

Weiters sei eine Diskussion darüber auf der Ebene der Politischen Direktoren durchgeführt wor­den, und danach sei über diese Angelegenheit im interministeriellen Komitee, das die gemein­sa­me Position von Bundeskanzleramt und Außenministerium festlegt, diskutiert worden. Dies ge­schehe üblicherweise auf Beamtenebene – in diesem Fall seien dafür Dr. Pollitzer für das Bun­des­kanzleramt und Dr. Mayr-Harting für das Außenministerium zuständig gewesen – und ohne Einbeziehung der Regierungsebene. Daher könne nicht von einem Eingriff der Dei ex machina mit dem Ziel, etwas in eine bestimmte Richtung zu bringen, die Rede sein. Die gemeinsame Po­sition sei über COREU den anderen Mitgliedstaaten mitgeteilt worden, danach sei darüber erst­mals eine gemeinsame Diskussion auf Ministerebene erfolgt. Auch im Rahmen dieser zweiten Generaldebatte sei es zu keinem Beschluß gekommen.

Vizekanzler Dr. Schüssel berichtet weiter, er habe es im Rahmen dieser Debatte begrüßt, daß die deutsche Präsidentschaft die von Österreich begonnene Debatte so dynamisch weiterent­wickelt habe. Österreich erwarte sich wichtige Weichenstellungen und habe eine Reihe konkre­ter Änderungswünsche, zum Beispiel die ausdrücklichen Hinweise auf die Prinzipien der UNO-Charta und auf die unbedingt erforderliche Wahrung des Prinzips, daß jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union das Recht hat, in dieser Hinsicht integriert zu sein, und daß niemand davon ausgeschlossen sein dürfe.

Darin komme das Grundmißverständnis zum Ausdruck, aus dem der Unterschied zum Stand­punkt des Abgeordneten Dr. Kostelka entstanden sei. Die Berufung auf die Neutralität bringe Österreich überhaupt nichts. Ein europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aller 15 Mitgliedstaaten werde nur dann funktionieren, wenn wirklich alle mittun. Daher bringe es nichts, einen Klub von 4 Staaten innerhalb der 15 zu bilden, zumal diese 4 Staaten sehr unter­schiedliche Nuancen hätten. Angesichts der Übereinstimmungen, die von allen Staaten bereits gefunden wurden – gleichberechtigte Mitgestaltung, Bezugnahme auf die Prinzipien der UNO-Charta, Vermeidung eines Beschlusses schon zu Beginn der Debatte und so weiter –, sei dieser Gruppenbezug von 4 Staaten höchst virtuell und nicht angebracht.

In bezug auf die gemeinsam vertretene Meinung, daß es klug sei, eine Rüstungskooperation an­zu­streben, seien Schweden und Finnland bereits weiter als Österreich, da diese skandi­na­vi­schen Länder im Rahmen der WEAG – der Western European Armaments Group – viel ak­tiver mitarbeiten würden. Schweden und Finnland hätten eine wesentlich stärkere Rüstungs­in­du­strie vorzuweisen; Österreich hingegen habe es zustande gebracht, innerhalb weniger Jahre die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich gegen null zu reduzieren. Es sei zu bezweifeln, daß dies der richtige Ansatz für eine glaubhafte Eigenverteidigung eines kleinen Landes wäre. Über­dies vertrete innerhalb der Gruppen – wenn sie so überhaupt existieren – Irland eine sehr eige­ne Po­sition auch im Vergleich mit Finnland und Schweden. Dänemark stelle erst recht ein ande­res Ka­pitel dar.

Gemeinsam sei die Linie vertreten worden, daß der volle Zugriff auf NATO-Kapazitäten erforder­lich ist. Denn heute sei die Europäische Union auch im Bereich der zivilen Komponente nicht in der Lage, verschiedene Probleme selbst zu bewältigen, zum Beispiel in der Flugüberwachung, in der Transportlogistik oder in der Satellitenkommunikation. Die Frage des Abgeordneten Jung ziele auf einen Bereich ab, in dem die Aufgaben einander überlappen würden.

Die NATO organisiere das gesamte Engagement und koordiniere dieses in Albanien und zum Teil auch in Mazedonien. Daher seien auch Länder, die nicht allianzgebunden sind, in diese Struktur einbezogen. Notfalls komme es auch zum Transport von Verbindungsoffizieren, die für humanitäre Zwecke tätig seien. Vizekanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, daß er damit ebensowenig ein Problem habe wie der Bundeskanzler oder das Bundeskanzleramt, weil dies ganz klar eine Einsatzfrage darstelle, die nicht mit dem kriegerischen Geschehen vermischt sei. Es seien jedoch Mischungen vorhanden, die man ehrlicherweise erwähnen müsse.

Es sei daher richtig, eine ehrliche Diskussion über das zu führen, was Österreich jetzt mache und weiter vorhabe. Bewußt sei die gesamte Frage des Artikels V auch im vorliegenden Doku­ment der deutschen Präsidentschaft nicht definitiv angesprochen worden. Wegen der mangel­haften Formulierung dieses Punktes sei tatsächlich eine Klarstellung erforderlich. Gemeint sei damit, daß bestehende Bündnisverpflichtungen durch dieses Dokument nicht berührt werden. Um­gekehrt sei auch niemand gezwungen, eine heute nicht bestehende Bündnisverpflichtung künf­tig zu übernehmen. Innerhalb der österreichischen Bundesregierung sei dies eine gemein­sa­me Position, dafür habe es keiner Ermahnung bedurft.

Vizekanzler Dr. Schüssel antwortet der Abgeordneten Dr. Schmidt, daß die österreichische Stim­me mindestens ebenso deutlich wie die Stimme Schwedens, Finnlands oder Irlands wahr­ge­nommen werde. Über die Position des österreichischen Außenministers brauche man sich nicht bei anderen zu erkundigen, merkt Vizekanzler Dr. Schüssel an, da er gerne von sich aus sehr offen und manchmal auch vertraulich informiere.

Was die Verschmelzung von WEU und EU betrifft, spreche der Vertrag von Amsterdam diese in Ar­ti­kel 17 als Möglichkeit an. In diesem Vertrag werde für den Fall, daß ein entsprechender – nur mit Einstimmigkeit möglicher – Beschluß gefaßt wird, allen Mitgliedstaaten empfohlen, die­sen Beschluß mitzutragen. Daher liege bereits jetzt eine doppelte positive Hinwendung zur Ver­schmel­zung vor. Vizekanzler Dr. Schüssel stellt fest, daß er in diesem Sinn in den Konferenzen der Westeuropäischen Union in Rom und in Rhodos jeweils die mit dem Bundeskanzleramt ab­gestimmte Erklärung abgegeben habe, daß Österreich für den Fall des Beschlusses, daß dies thematisiert wird, einen solchen Beschluß solidarisch mittragen würde.

Es gebe darüber hinaus weitere Varianten, die ehrlicherweise diskutiert werden müßten. Denn eine Verschmelzung gemäß Artikel 17 ziehe klarerweise die Frage nach Artikel V nach sich. Man­che Länder – zum Beispiel die deutsche Präsidentschaft oder auch Großbritannien – hätten fest­gestellt, daß nicht automatisch die Übernahme des Artikels V zu erwarten sei. Daher sei die Idee vorgebracht worden, ein eigenes Protokoll mit einem “Opting in” zu machen. Darüber sei be­son­ders während der Amsterdamer Regierungskonferenz ausgiebig diskutiert worden.

Hingegen werde zum Beispiel von Belgien die Position vertreten, daß nicht notwendigerweise eine Verschmelzung nach Artikel 17 erfolgen müßte, sondern daß Aufgaben der Westeuro­päischen Union in die EU integriert werden könnten. Dies wäre ohne entsprechende Vertrags­än­de­rung möglich, und von seiten Frankreichs sei dies als “Kannibalisierung der WEU” bezeichnet worden. Damit könnte die WEU als Mantel ausschließlich für den Artikel V bestehen bleiben.

Für den Fall, daß es zu einer Verschmelzung käme und alle EU-Mitgliedstaaten den vollen Aquis der Westeuropäischen Union inklusive Beistandsverpflichtung übernähmen, gebe es noch kei­nen innerösterreichischen Konsens, wohl aber für das solidarische Mittragen einer Ver­schmel­zung, bei der die Frage der Bündnisverpflichtung des Artikels V – zum Beispiel in Form eines Protokolls – offenbliebe.

Die direkte Übernahme von WEU-Aufgaben in die Kompetenz der EU sei möglich und würde Öster­reich die Entscheidung erleichtern, weil in diesem Fall der Artikel V bestehenbleiben könnte.

In keinem Fall sei etwas zu erwarten, was vereinzelt als Denkposition vertreten worden sei: daß alle EU-Mitglieder der Westeuropäischen Union als Vollmitglieder betreten, ohne dadurch Mit­glie­der der NATO zu werden. Dem stehe die auch in dem vorliegende Dokument vorhandene Ab­sa­ge an jegliche Duplikation von existierenden Strukturen entgegen. Mit dem klaren Be­kennt­nis zur NATO sowie der wiederholten Bezugnahme auf die Washingtoner Beschlüsse werde deut­lich zum Ausdruck gebracht, daß zumindest 11 der 15 EU-Staaten, nämlich die NATO-Mit­glie­der, nicht daran dächten, außerhalb der NATO eine solche Struktur zusätzlich aufzubauen.

Die österreichische Regierung vertrete daher in der Frage der Verschmelzung von WEU und EU bis zu dem Punkt eine gemeinsame Position, an dem der Artikel V berührt wird. Für diesen Arti­kel sei eine gesonderte Regelung erforderlich, sei es durch ein eigenes Protokoll oder durch Über­nahme von WEU-Kernfunktionen.

Nach heutigem Wissen lasse sich die Frage nach dem Verhältnis von EU, WEU und NATO da­mit beantworten, daß die WEU eher eine Marginalisierung erfahren werde – indem sie großteils übernommen oder verschmolzen werde –, sodaß die politische Handlungsfähigkeit eher in der EU vorzufinden sein werde und die glaubwürdigen militärischen Komponenten weiterhin in der NATO versammelt sein würden.

Aufgrund der heutigen Rechtslage wäre eine Beistandsverpflichtung selbstverständlich nicht mit der Neutralität vereinbar. Um dies zu ändern, bedürfte es eigener Beschlüsse und eines eigenen Ratifikationsverfahrens, an dessen Ende ein mit Zweidrittelmehrheit gefaßter Beschluß stehen müßte. Österreich habe sich im Rahmen des Vertrages von Amsterdam verpflichtet, die inner­staat­liche Willensbildung vollinhaltlich vorzunehmen, auch wenn ein Verschmelzungsbeschluß gefaßt würde, der vom Europäischen Rat mit den Stimmen Österreichs zu erfolgen hätte, wobei ein gemeinsames Stimmverhalten im Artikel 23f bereits vorgesehen sei. Davon seien beide Sei­ten gebunden, sowohl der Außenminister im Rat Allgemeine Angelegenheiten als auch der Bun­des­kanzler im Europäischen Rat. Dies sei eine sinnvolle Verzahnung, in diesem Bereich könne nicht am Parlament vorbei agiert werden.

Im Fall einer Verschmelzung hieße es daher stets: mehr Solidarität und weniger an Neutralität. Wie­viel mehr oder weniger, hänge von der noch nicht entschiedenen Diskussion über Artikel V ab. Diese Diskussion aber stehe erst am Anfang, und sie sollte entspannter sowie ohne jede Be­rührungsangst geführt werden. Die Würfel für diesen wichtigen nächsten Schritt würden in 18 Mo­naten fallen.

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) wendet ein, daß dies zwar den Vorstellungen der deut­schen Präsidentschaft entspreche, aber noch lange nicht heiße, daß auch Österreich damit einverstanden sei. Gemäß der österreichischen Position zu diesem Dokument sei dieses Da­tum – Ende 2000 – in Frage zu stellen. Vizekanzler Dr. Schüssel tue so, als sei dieser Termin gott­ge­ge­ben, aber dies treffe nicht zu, sondern Österreich könne den Zeitraum mitgestalten. Von den vier EU-Mitgliedstaaten, die nicht der NATO angehören, sei gemeinsam postuliert wor­den, daß das Jahr 2000 in dieser Hinsicht kein fixer Zeitpunkt sei.

Darin komme eben zum Ausdruck, daß Vizekanzler Dr. Schüssel Österreich offensichtlich unter Druck setzen wolle. Dies sei aber nicht fair, es entspreche nicht dem Ergebnis der bisherigen Verhandlungen, und es werde nicht gewollt.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel er­läu­tert, das Vorhaben, daß die notwendigen Beschlüsse Ende 2000 fallen sollen, sei weder von Schwe­den, Finnland, Dänemark oder Irland noch von Österreich in Frage gestellt worden. Der­zeit bestehe eine gemeinsame Absicht, diese Diskussion in ungefähr 18 Monaten zu einem sinn­vollen Ergebnis zu bringen. Es wäre jedoch auch nicht von Belang, würde es erst zur Mitte des Jahres 2001 soweit sein. Im Rat der Außenminister habe kein einziger der 15 Mitglied­staa­ten den Zeitplan der deutschen Präsidentschaft, wonach Ende 2000 die notwendigen institu­tionel­len Beschlüsse gefaßt werden sollen, in Frage gestellt.

Vizekanzler Dr. Schüssel verwahrt sich gegen die – offenbar auf das Bevorstehen eines Wahl­ter­mins zurückzuführende – Unterstellung, er wolle jemanden irgendwo hineinprügeln, und er-sucht darum, bei der Wahrheit zu bleiben.

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) stellt fest, es sei ihm jetzt klargeworden, aus wel­chem Grund Abgeordneter Dr. Kostelka eingangs dieser Sitzung des Hauptausschusses den Aus­schluß der Öffentlichkeit verlangt habe. Daß ein SPÖ-internes Problem vorgelegen sei, zei­ge sich daran, daß es jetzt doch möglich geworden sei, stückweise Auskunft zu bekommen. Ab-ge­ordneter Jung bedankt sich bei Vizekanzler Dr. Schüssel für dessen Ausführungen, da sie – auch wenn er diese Position nicht in jeder Hinsicht teile – in einigen Punkten aufklärend gewirkt hätten.

Zusammenfassend lasse sich daher sagen, daß es ein koordiniertes österreichisches Dokument über diese Angelegenheit gebe, dessen Positionen nicht identisch mit den schwedischen, finni­schen und irischen Vorstellungen sein müßten, damit aber identisch sein könnten. Darüber gebe es anscheinend auch SPÖ-interne Auffassungsunterschiede.

In der Frage der Verschmelzung bestehe noch keine Übereinstimmung. Daher stelle sich die Fra­ge, ob eine Zwei-Klassen-WEU funktionieren könnte und ob dies ein realistischer Gesichts­punkt wäre.

Abgeordneter Dr. Höchtl habe mit “Weniger Neutralität und mehr Solidarität” zwar eine griffige Phra­se geäußert, aber völkerrechtlich gebe es nur entweder Neutralität oder eben keine Neutra­lität, nicht jedoch ein bißchen Neutralität. Damit verhalte es sich wie mit der Schwangerschaft.

Abgeordneter Jung fragt Vizekanzler Dr. Schüssel noch einmal, was unter der bereits zitierten Text­stelle “obgleich die institutionelle Grundlage des letzteren vorbehaltlich eines einstimmigen Be­schlusses aller Betroffenen überprüft werden muß” in dem vorliegenden Dokument zu ver­stehen sei, und fügt die Frage hinzu, ob es demnächst zur Ernennung eines “Mr. GASP” kom­men werde.

Nach Ansicht von Abgeordneter Mag. Doris Kammerlander (Grüne) ist aus den Aussagen von Bundeskanzler Mag. Klima noch immer nicht klargeworden, wie es sich mit der Beistands­pflicht beziehungsweise Artikel V des Brüsseler Vertrages verhält. Angesichts dieser Unklarheit und der damit in Gang gesetzten Entwicklung sei die Länge der Beratungsfrist – ob sie bis Ende 2000 oder auch länger dauert – letztlich belanglos. Denn es sei in unterschiedlichen Interpreta-tionen etwa davon die Rede gewesen, daß in dem Dokument etwas irreführend ausgedrückt wor­den sei. In dieser Hinsicht habe sogar Bundeskanzler Mag. Klima selbst Unterschiedliches be­hauptet, nämlich daß es klar formuliert sei, daß es unklar formuliert sei und daß es keine Rolle spiele. Die österreichische Position sei daher nicht zu überblicken.

Genau dieser Passus werde aber allgemein als besonders wichtig, als essentiell eingeschätzt. Ab­geordnete Mag. Kammerlander gibt ihrer Ansicht Ausdruck, diese unklar formulierte Stelle bringe eine stille, nicht expressis verbis benannte Übernahme einer Beistandspflicht in der Europäischen Union zum Ausdruck. Sie fragt Vizekanzler Dr. Schüssel, ob Österreich verlangen werde, daß dieser Passus ersatzlos gestrichen wird.

Abgeordnete Mag. Dr. Heide Schmidt (Liberales Forum) fragt, ob das von ihr Verstandene – im Fall einer Verschmelzung von WEU und EU werde Österreich diesen Beschluß mittragen, sofern damit nicht automatisch eine Beistandspflicht in Kraft gesetzt, sondern darüber extra ver­handelt werde – richtig sei.

Falls dies zutreffe, möge Vizekanzler Dr. Schüssel darüber Auskunft geben, ob er es für möglich und sinnvoll halte, daß eine solche Verschmelzung ohne Übernahme einer Beistandspflicht er­folgt. Er möge auch sagen, wie er folgende Stelle aus dem dritten Absatz der Schlußfolgerungen des vorliegenden Dokumentes interpretiere: “... dem unterschiedlichen Status der Mitglied­staaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tragen”.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel weist darauf hin, daß im – kompliziert zu lesenden – Vertrag von Amsterdam ein merkwürdiges mehr­stu­fi­ges Verfahren vorgesehen sei. Prinzipiell liege darin ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor.

Mit dem Dokument der deutschen Präsidentschaft werde versucht, den Schritt von der Theorie in die Praxis vorzunehmen. Daraus gehe auch hervor, daß vor Einführung einer europäischen Ver­­tei­digung der Europäische Rat darüber konstitutiv einen Beschluß fassen müßte. Für diesen Fall werde den Mitgliedstaaten empfohlen, einen solchen Beschluß gemäß ihren verfassungs­recht­li­chen Vorschriften anzunehmen. Auch für den Fall, daß der Europäische Rat die Ver­schmel­zung von WEU und EU beschließt, werde die Empfehlung ausgesprochen, diesen Be­schluß konstruktiv zu übernehmen und mitzutragen.

Von mehreren Mitgliedstaaten – auch von Österreich – seien im Rahmen der Regierungskon­fe­renz anderslautende Erklärungen abgegeben worden, da es keine gemeinsame Position gege­ben habe, die in Richtung Beistandsverpflichtung hätte weiterführen können. Deshalb sei in den Text von Artikel 17 die Klausel eingearbeitet worden, daß der besondere verfassungsrechtliche Cha­rak­ter einzelner Mitgliedstaaten davon nicht berührt werde. Diese für mehrere Mitglied­staaten – und nicht nur für Irland – geltende Klausel sei voll akzeptiert worden. Daher sei für den Fall einer echten Verschmelzung von WEU und EU offengeblieben, was mit der formellen, im Fall der WEU härter als im Fall der NATO formulierten Beistandsverpflichtung gemäß Artikel V ge­schieht.

Über diesen offenen Punkt sei eine Diskussion dahin gehend entstanden, ob ein eigenes Proto­koll angefertigt werden soll, in dem dieser Punkt – ähnlich der Vorgangsweise im Sozialproto­koll – aus dem Vertrag ausgelagert und eine “Opting in”-Möglichkeit angeboten wird, sodaß ein Recht, aber nicht eine Verpflichtung zur Beteiligung bestünde. Klar wäre jedoch die solidarische Mit­tra­gung wirtschaftlicher Sanktionen und politischer Konsequenzen, auch etwa die Duldung von Überflügen.

Daher lasse sich feststellen, daß die österreichische Position sehr klar formuliert sei. Es liege eine gemeinsame politische Erklärung – allerdings kein Beschluß in einem verfassungsrechtlich bin­denden Sinn – vor, daß Österreich einen politischen Beschluß über eine solche Verschmel­zung solidarisch mittrüge. Was jedoch eine Beistandsverpflichtung betrifft, sowohl gegenüber der WEU als auch darüber hinaus, etwa in bezug auf die NATO – dies sei im vorliegenden Zu­sam­menhang überhaupt nicht geregelt –, bestehe kein derartiger Konsens.

Es sei nicht wahr, daß Köln gleichbedeutend mit Aufgabe der Neutralität wäre. Allerdings habe sich auch die österreichische Neutralitätsinterpretation – nicht schleichend, sondern in offener Dis­kussion – geändert. Österreich habe heute eine andere Neutralität als vor dem Beitritt zur Euro­päischen Union, und es habe heute eine geringere Neutralität als vor dem Vertrag von Am­ster­dam. Sollte es zu einem Beschluß über die Verschmelzung von WEU und EU kommen, wer­de Österreich wiederum eine andere Form von Neutralität, nämlich eine auf die unmittelbaren Kern­formen beschränkte und gegenüber heute weiter reduzierte Neutralität haben. Vizekanzler Dr. Schüs­sel nennt zum Vergleich dafür, wie die Diskussion vor sich gehen müsse, die verschie­denen Schichten einer Zwiebel.

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) stellt fest, daß Österreich der Verschmelzung nur dann zustimmen könnte, wenn es das diskutierte und zur Abstimmung gebrachte Konstrukt auch mittragen könnte. Die Entscheidung darüber sei noch völlig offen. Zwar werde in Artikel 17 dazu aufgerufen, daß die Mitgliedstaaten im Fall ihrer Zustimmung überprüfen sollen, ob diese auch vom nationalen Recht her erfolgen kann, aber dieser Aufruf habe keine normative Wir­kung, sondern sei eher ein Hinweis darauf, daß kein Mitgliedstaat der Europäischen Union das antun sollte, was im Fall des Vertrages von Maastricht in Dänemark geschah, nämlich daß eine ursprüngliche Zustimmung von einem Nein im Zuge einer Volksabstimmung aufgehoben wurde.

Da also von Artikel 17 keinerlei normative Wirkung ausgehe – wie Vizekanzler Dr. Schüssel selbst zugestanden habe –, bestehe überhaupt keine Verpflichtung, eine solche Verschmelzung in Unkenntnis über deren Rahmenbedingungen mitzutragen, auch wenn Vizekanzler Dr. Schüs­sel mit seinen Ausführungen einen anderen Eindruck zu erwecken versuche.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel weist die Mutmaßung von sich, er wolle einen Eindruck vermitteln, der nicht der Wahrheit entspreche. Tatsächlich präzisiere er nur, was vereinbart und geplant sei.

Es gebe mehrere Möglichkeiten, die Hürde des Artikels V zu überspringen. Eine Lösung sei: Ver­schmelzung plus Protokoll, eine andere die Übernahme von Kernfunktionen der Westeuro­päischen Union durch die EU. Aber die Tatsache an sich, daß WEU und EU irgendwann – nach Ansicht der deutschen Präsidentschaft eben Ende 2000 – verschmolzen werden sollen, liege vor. Das sei nichts Schlechtes.

Es müsse selbstverständlich in Kenntnis der Umstände, was dies für den Beistandsfall bedeutet, erfolgen, aber auch dieser Punkt brauche nicht dramatisiert zu werden. Denn der Beistandsfall sei zwar juristisch problematisch, politisch jedoch “so ziemlich” der unproblematischste, weil unwahrscheinlichste Fall überhaupt. Vizekanzler Dr. Schüssel stellt die Frage, wer denn den Beistandsfall auslösen werde, indem er ein NATO-, WEU- oder EU-Mitgliedsland angreift. Dies stelle aber im Kern die Bedeutung des Artikels V dar.

In Köln werde daher der Startschuß für eine Diskussion gegeben werden, deren Zieldatum Ende 2000 sei. Im Zuge dieser Diskussion werde es noch einige Randfragen – wenngleich sehr wich­ti­ge Fragen – zu klären geben, und es werde zu Präzisierungen kommen müssen. Es stehe in Köln kein Beschluß bevor, aber es könne auch nicht mehr vom unveränderten Status quo in punc­to Neutralität die Rede sein. In Köln werde ein sehr wichtiges Kapitel europäischer Ge­schichte beginnen.

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) ersucht ein drittes Mal um Erläuterung des für unverständlich zu erachtenden Absatzes in dem vorliegenden Dokument.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel ant­wortet, daß der von der Abgeordneten Dr. Schmidt zitierte Passus “dem unterschiedlichen Status der Mitgliedstaaten in bezug auf die Garantien der kollektiven Verteidigung Rechnung zu tra­gen” bedeute, es werde der Verschmelzungsbeschluß nicht automatisch entweder die Bei­stands­verpflichtung der elf paktgebundenen oder die Nichtbeistandsverpflichtung der vier nicht allianzgebundenen Länder berühren. In bezug auf die Beistandsverpflichtung bedürfe es einer geson­derten Entscheidung. Dies sei möglicherweise schlecht ausgedrückt worden, jedoch sei diese Textstelle relativ klar zu verstehen.

Hingegen sei das andere Zitat – vom Ende des Absatzes über die Leitprinzipien – tatsächlich nicht präzis formuliert. Vizekanzler Dr. Schüssel stellt fest, daß seiner persönlichen Interpre­ta­tion nach damit auch nichts anderes gemeint sei, als daß für eine Verschmelzung ein einstim­mi­ger Beschluß aller Betroffenen notwendig wäre, weil davon die institutionelle Grundlage des WEU-Vertrages berührt wäre. Dieser Punkt werde sicherlich noch verändert werden, weil er Ver­däch­tigungen in zwei Richtungen wecke, zum einen, daß der Artikel V zwingend in die insti­tutionelle Veränderung einbezogen wäre, oder zum anderen, daß eine Aufweichung der kollekti­ven Sicherheitsgarantie die Folge wäre. Letzteres werde von Großbritannien und Frankreich nie­mals akzeptiert werden.

Obmannstellvertreter MMag. Dr. Willi Brauneder schließt die Debatte zum 1. Punkt und leitet über zur Abstimmung über die zwei von der Abgeordneten Mag. Doris Kammerlander einge­brach­ten Anträge auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG betreffend GASP-Weiter­entwicklung und Aufrechterhaltung der Neutralität.

Beide Anträge bleiben in der Minderheit und sind abgelehnt.

(Es folgen die Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 4.)

Schluß der Beratungen zum Tagesordnungspunkt 1: 19.23 Uhr

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