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der Abgeordneten Öllinger , Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Arbeit und Soziales

 

betreffend Selbstbehalte

 

 

Das in den letzten Wochen vom Bundeskanzler abgegebene Versprechen "Wir werden nicht

zulassen, daß sich sozial Schwache keinen Arzt mehr leisten können" legt den Schluß nahe,

daß es für sozial Schwächere derzeit noch kein Problem sei, sich einen Arzt bzw. eine

angemessene Heilbehandlung leisten zu können.

Demgegenüber stehen allerdings eine Reihe von Leistungseinschränkungen und

Selbstbehalten, die gerade für Einkommensschwache eine empfindliche Mehrbelastung

bedeuten. Da die unterfertigten Abgeordneten das Solidarprinzip , wonach nicht die Kranken

für ihre Krankheit, sondern Gesunde und Kranke gleichermaßen im Rahmen ihrer

wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Abgaben die soziale Krankenversicherung

gewährleisten, stellen

 

 

die unterfertigten Abgeordneten daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1 . Teilen S ie die Ansicht prominenter Gesundheits- und Sozialexperten, wonach die

bestehenden Selbstbehalte bei Medikamenten (Rezeptgebühr) , bei der Anstaltspflege

für Angehörige, bei Heilbehelfen, beim Ersatz von Reisekosten, bei der

Zeckenschutzimpfung, bei Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, beim

Zahnersatz und der Kieferregulierung usw. keine positiven Lenkungseffekte (im Sinn

eines sparsamen und effizienten Gebrauchs) bewirkt haben, also ausschließlich als

zusätzliche Finanzierungsquelle verwendet werden?

 

2. Können Sie die Erträge aus den Selbstbehalten im Rahmen der sozialen

Krankenversicherung (aufgegliedert nach einzelnen Aufwendungen für die letzten fünf

Jahre) nennen?

 

3. Können Sie den Administrationsaufwand bei den bestehenden Selbstbehalten beziffern

(getrennt nach den einzei nen Aufwendungen)?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, in welcher Relation stehen die Administrationskosten zum Ertrag der

Selbstbehalte?

 

4. Wie beurteilen Sie aus sozialpolitischer Sicht Selbstbehalte? Haben Sie eine

Untersuchung über die Auswirkung von Selbstbehalten auf Bezieherlnnen von

niedrigen Einkommen und auf Mehrpersonenhaushalte in Auftrag gegeben bzw. halten

Sie eine derartige Untersuchung für sinnvoll?

 

5. Können Sie die durchschnittliche Belastung von Krankenversicherten (mit und ohne

Familienangehörige) beziffern?

 

6. Die Beamtenversicherungsanstalt (BVA) hat im Jahr 1994 durch Satzungsänderung

einen 20 %-igen Selbstbehalt bei Laborbefunden eingeführt.

Teilen Sie die Auffassung der unterfertigten Abgeordneten, daß die Einführung eines

Selbstbehalts von 20 Prozent bei Laborbefunden - ohne Ausnahmen für chronisch

Kranke, für niedrige Einkommen bzw. ohne Deckelung nach oben - eine besonders

unsoziale Maßnahme darstellt?

 

7. Teilen Sie die Auffassung, daß ein derartiger Selbstbehalt bei Laborbefunden gerade

im Zusammenhang mit der Früherkennung von Krankheiten gesundheitspolitisch

kontraproduktiv ist?

 

8. Teilen Sie die Auffassung, daß ein derartiger Selbstbehalt bei Laborbefunden, der von

den PatientInnen nur durch Verweigerung der ärztlichen Anweisung beeinflußbar (i.e.

verhinderbar) wäre, deshalb auch prinzipiell verfehlt ist?

 

9. Werden Sie diese Satzungsänderung der BVA im Rahmen Ihrer Aufsichtspflicht

überprüfen und gegebenenfalls rückgängig machen?

 

10. Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß die BVA im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht

auch bei Arbeitsunfällen, die durch die AUVA anerkannt sind, einen Selbstbehalt (bei

Laborbefunden, Heilbehandlung, ärztlicher Versorgung usw.) einhebt, aber

offensichtlich die kompletten Kosten dem Unfallversicherungsträger rückverrechnet?

 

11. Werden Sie eine entsprechende Überprüfung einleiten?

 

12. Teilen Sie unsere Ansicht, daß die Unfallversicherung, egal ob durch die AUVA oder

die BVA ausgeübt, auf alle Fälle die Verpflichtung beinhaltet, die Kosten von

Arbeitsunfällen (Heilbehandlung, Renten usw.) im vollen Umfang, d.h. ohne

Selbstbehalte abzudecken?

Wenn ja, werden Sie eine diesbezügliche Überprüfung der Satzungen einzelner

Sozialversicherungsträger wie etwa der BVA veranlassen?

 

13. Halten Sie es für richtig, daß z.B. für die Hämophilus B -Impfung, die ausdrücklich

für Kinder aus sozial schwachen Familien empfohlen wird, ein sehr hoher Selbstbehalt

(200 öS pro Teilimpfung) verlangt wird?

Halten Sie Selbstbehalte bei Impfungen überhaupt für empfehlenswert bzw. mit dem

Auftrag der sozialen Krankenversicherung für gesundheitliche Prävention vereinbar?

 

14. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder hat im Frühjahr (Club 2 am 21 .2.95)

zugegeben, daß es allein in Wiens öffentlichen Spitälern eine Warteliste bei

Hüftgelenksoperationen von ungefähr 1.300 Menschen gibt. Ähnlich sieht es bei

anderen Operationen (z.B. Grauer Star) aus. Das bedeutet. daß alle. die es sich leisten

können oder wollen, auf den privaten Markt oder die Kuvertmedizin ausweichen ,

während sich dadurch die Bezieherlnnen niedriger Einkommen die Operation oft erst

erheblich später leisten können.

 

15. Einzelne Krankenkassen, wie z.B. die Wiener Gebietskrankenkasse, haben mit ihren

Vertragspartnern von der Ärztekammer, eine Vereinbarung getroffen, wonach die

Einnahmen aus der Differenz zwischen normalem und sparsamen Verbrauch zu 60

Prozent an die Ärzteschaft in der Form von Prämien aufgeteilt werden. Diese

Beuteteilung der Versichertenbeiträge zulasten der Versicherten stellt eine äußerst

fragwürdige und unseres Erachtens auch rechtlich problematische Form von

"negativem Selbstbehalt'' dar. In anderen Ländern werden offensichtlich andere

Kriterien an solche Regelungen angelegt. So heißt es in einem Bericht der " Neuen

Zürcher Zeitung'' vom 15.6.95 über eine Tagung der europäischen Dachorganisation

der nationalen Verbände der Arzneimittelhersteller, die im Frühjahr in Kopenhagen

stattfand:

"Als ethisch fragwürdig erschien den Tagungsteilnehmern dann allerdings der von

Nancy Dickey (Vizevorsteherin der American Medical Association) referierte Anreiz,

wonach an gewissen US-Spitälern ein Teil der im Rahmen von Protokollen erzielten

Kostenreduktionen den behandelnden Ärzten zufließen könnte. Da scheinen die

klinisch erlaubten Sparmöglichkeiten den pekuniären Interessen der Ärzte nun doch

etwas zu stark ins Gehege zu kommen. "

Wie beurteilen Sie derartige Vereinbarungen in rechtlicher, aber auch in ethischer

Hinsicht?

Wurde diese Vereinbarung durch das Sozialministerium geprüft?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

 

16. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse einer empirischen Wirksamkeitsanalyse von

Selbstbehalten (Ferdinand Rau, Selbstbeteiligungsregelungen im Gesundheitswesen.

Konstanzer Schriften zur Sozialwissenschaft) , in der es zusammenfassend heißt:

"Hohe Selbstbeteiligungsbelastungen gehen im Jahre 1989 regelmäßig mit

überdurchschnittlichen Gesundheitsausgabenquoten einher, wogegen unter dem

Mittelwert liegende Ausgabenquoten häufiger bei Ländern mit niedrigem

Zuzahlungsniveau auftreten" , bzw. an anderer Stelle" . . .(erwiesen sich) die

Ausgabenquoten der Länder mit geringem Zuzahlungsniveau bei weitem stabiler. . .als

diejenigen der Länder mit hohem Selbstbeteiligungsniveau. "?

Sind Sie bereit, die Praxis von Selbstbehalten im österreichischen

Sozialversicherungs- und Gesundheitswesen zu überdenken und entsprechende

legistische Korrekturen zu entwickeln?