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DRINGLICHE ANFRAGE

der Abgeordneten Scheibner und Kollegen

an den Bundesminister für Landesverteidigung

betreffend „Mängel in der österreichischen Sicherheitspolitik“

 

 

Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation und dem Zerfall des Ostblocks werden völlig neue Anforderungen an die europäische Sicherheitspolitik gestellt. Alle Hoffnungen, daß sich damit in Europa ein Zeitalter von Frieden und Sicherheit einstellen würde, haben sich leider nicht erfüllt. Nach dem Wegfall der Gefahr eines großen Krieges zwischen den beiden Machtblöcken, ist nun die Gefahr von regionalen Konflikten, die eine Bedrohung für Österreich bedeuten könnten, rapid gestiegen. Von internationalen Experten werden etwa 30 mögliche Konfliktherde in Europa lokalisiert, wobei sich mehr als 15 davon im unmittelbaren Nahbereich Österreichs befinden. Sichtbarstes Zeichen für diese labile Situation war 1991 die Slowenienkrise, wo unmittelbar an Österreichs Grenze ein bewaffneter Konflikt ausgetragen wurde. Zudem ist die weitere Entwicklung in Rußland völlig offen, und es ist derzeit nicht absehbar, ob sich dieses Land weiter auf dem Weg der Demokratie bewegen wird, oder ob von Rußland in Zukunft Sicherheitsrisiken für Europa ausgehen könnten.

 

Eine Vielzahl von Staaten haben entsprechend auf diese geänderten Umstände reagiert. Fastalle ehemaligen Ostblockstaaten wollen in die NATO. Der Westen diskutiert heftig eine Neuordnung sowohl eines internationalen Sicherheitssystems als auch der nationalen Heeresstrukturen. In Österreich war bisher weder eine Reform möglich, noch gibt es eine offene und ehrliche Diskussion über sicherheitspolitische Fragen. Durch das Festhalten am Begriff einer funktionslos gewordenen Neutralität begibt sich Österreich jeder Flexibilität. Daher sind Österreich bei der Suche nach den bestmöglichen Lösungen seiner sicherheitspolitischen Herausforderungen die Hände gebunden.

 

Die Neutralität hat in der Vergangenheit sicherlich einen großen Beitrag für die österreichische Sicherheit und Unabhängigkeit geleistet. Schließlich war sich auch Bedingung für den Staatsvertrag. Ebenso hat sie die Rolle Österreichs als Puffer zwischen den Blöcken definiert. Glücklicherweise mußte aber der Wahrheitsbeweis, wirklicher Schutz Österreichs im Aggressionsfall, nie angetreten werden. Die jüngst bekanntgewordenen Aufmarschpläne des ehemaligen Warschauer Paktes legen die Vermutung nahe, daß im Konfliktfall die österreichische Neutralität keine ausreichende Schutzwirkung entfaltet hätte. Eine ernst genommene Neutralität würde aber bedeuten, daß wir auch in Friedenszeiten eine konsequente Neutralitätspolitik gegenüber allen potentiellen Konfliktparteien Beachten müßten. Dies würde aber zur völligen Isolierung Österreichs in der internationalen Staatengemeinschaft führen. Auch wären die Kosten für eine allein und isoliert organisierte glaubhafte Landesverteidigung kaum abschätzbar. Daher ist nicht die Isolation in der Neutralität, sondern die sicherheitspolitische Kooperation mit anderen Staaten das Gebot der Stunde. Die österreichische Bundesregierung verlegt sich hingegen auf die Rolle des Beobachtens, des Zuwartens und des naiven Hoffens, daß nichts passiert.

 

Der Beobachterstatus bei der WEU und die zögerliche Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden bringen keine zusätzliche Sicherheit für unser Land. Bei allen internationalen Veranstaltungen wird jedoch klar ausgesprochen, daß auf absehbare Zeit die NATO das einzig funktionierende Sicherheitsbündnis ist bzw. bleiben wird. Alle künftigen Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen in Europa werden nur innerhalb der NATO, oder zumindest gemeinsam mit der NATO entwickelt werden. Daher ist ein rascher NATO-Beitritt ein wesentlicher Faktor zur Gewährleistung der zukünftigen österreichischen Sicherheit.

 

Unabhängig davon muß selbstverständlich Österreich in der Lage sein, gewisse militärische Aufgaben durch das österreichische Bundesheer selbst erfüllen zu können. Bisher war man seitens der österreichischen Bundesregierung nicht bereit, die eigene Landesverteidigung dementsprechend zu organisieren. Das Bundesheer wurde in den letzten Jahren regelrecht ausgehungert. Österreich liegt mit etwas mehr als 0,8% Anteil am BIP bei den Verteidigungsausgaben hinter Luxemburg an letzter Stelle in Europa. Überstundenkürzungen und ein unflexibles Beamtendienstrecht erschweren den Dienstbetrieb. Das schwer Gerät hat teilweise bereits Museumswert, und das Grundwehrdieneraufkommen wird durch die liberale Zivildienstregelung sowie durch Probleme bei der Werbung und Motivation der jungen Österreicher immer geringer. Dennoch gibt es im österreichischen Bundesheer, trotz widrigster Rahmenbedingungen, noch immer viele Soldaten, die sich aus vollstem Idealismus und mit Überzeugung ihrer Aufgabe, Österreich im Ernstfall zu verteidigen, widmen. Bei internationalen Leistungswettbewerben und bei UNO-Einsätzen haben sich unsere Soldaten stets bestens bewährt. Ebenso verrichtet das österreichische Bundesheer im Inland unbezahlbare Dienste. Grenzsicherung, Assistenzeinsätze und Hilfestellung im Katastrophenfall wären ohne unsere Soldaten kaum zu bewältigen. Bei allen Diskussionen über Einsparungen sollte auch hier der volkswirtschaftliche Nutzen berücksichtigt werden.

 

Bei der Unterstützung des österreichischen Bundesheeres durch die Politik muß aber ein besonderes Defizit konstatiert werden. Diskussionen, wie etwa jene rund um das 40-Jahr-Jubiläum des österreichischen Bundesheeres und der dabei abgehaltenen Parade, zeigen, wie manche Politiker in Österreich das Bundesheer für ideologische und parteitaktische Interessen mißbrauchen. Letztlich haben die Aussagen des Bundesministers für innere Angelegenheiten, Dr. Einem, der mit seiner Stimme im Ministerrat jede Heeresreform blockieren kann, gezeigt, welchen Stellenwert die österreichische Landesverteidigung bei manchen Spitzenrepräsentanten des Staats einnimmt, und welche Geisteshaltung bei diesen Politikern vorherrscht.

 

Es wäre notwendig, daß in Österreich ein nationaler Konsens in der Frage der Sicherheitspolitik entsteht, um ohne parteitaktische Vorbehalte intelligente und kreative Lösungen zur Bewältigung der österreichischen sicherheitspolitischen Herausforderungen entwickeln zu können. International zeigt sich, dlaß der Weg eindeutig zu professionellen, gut ausgebildeten und entsprechend ausgerüsteten Freiwilligenarmeen geht, die durch eine Milizkomponente stark in der Bevölkerung verankert sind. Dies könnte auch für Österreich ein richtungsweisender Weg sein. Der Bundesminister für Landesverteidigung hat hier eine große Verantwortung zu übernehmen, da die Gewährleistung der Sicherheit eines Staates eine zentrale Aufgabe jeder Bundesregierung darstellen müßte.

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Herrn Bundesminister für Landesverteidigung nachstehende

 

 DRINGLICHE ANFRAGE:

 

1.         Welche aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen, vor allem welche Gefahrenpotentiale sehen Sie auf europäischer und internationaler Ebene, die für Österreich kurz- bzw. mittelfristig relevant werden können?

 

2.         Welche internationalen Verteidigungsbündnisse oder Sicherheitssysteme können derzeit konkrete Sicherheitsgarantien für ihre Mitglieder geben?

 

3.         Sind Sie der Auffassung, daß die Einbindung Österreichs in die Partnerschaft für Frieden einen ausreichenden Schutz gewährleistet?

 

4.         Sind sie der Auffassung, daß Österreich verglichen mit anderen PfP-Mitgliedern seine militärischen und sicherheitspolitischen Möglichkeiten im Rahmen der PfP maximal ausnützt?

 

5.         Halten Sie die Vorbereitung des österreichischen Kontingents für den IFOR-Einsatz in Bosnien für ausreichend?

 

6.         Welche Kosten entstehen bzw. entstanden bereits dabei, und welcher sicherheitspolitische Nutzen ist dadurch für Österreich zu erwarten?

 

7.         Sind Sie für einen Beitritt Österreichs zur NATO?

 

8.         Sind Sie für eine Vollmitgliedschaft Österreichs bei der WEU?

 

9.         Ist Ihrer Auffassung nach eine WEU-Mitgliedschaft ohne gleichzeitige NATO-Mitgliedschaft möglich und welche Auswirkung hätte sie auf den Status der Neutralität?

 

10.       Welchen völkerrechtlichen und sicherheitspolitischen Wert hat, Ihrer Meinung nach, die österreichische Form der „immerwährenden“ Neutralität unter den geänderten geopolitischen Rahmenbedingungen?

 

11.       Kann die österreichische Neutralität Schutz vor Aggressionen bieten?

 

12.       Auf welche Höhe belaufen sich die Kosten einer international glaubwürdigen bewaffneten Neutralität, d.h. der Sicherheit Österreichs isoliert von anderen Ländern?

 

13.       Auf welche Höhe würden sich die reinen NATO-Beitrittskosten, unabhängig von einer notwendigen Modernisierung des österreichischen Bundesheeres, belaufen?

 

14.       Können Sie ausschließen, daß es aufgrund des neuerlichen Belastungspakets der Bundesregierung zu einer weiteren Reduktion des Landesverteidigungsbudgets kommt>?

 

15.       Wie sieht das 10jährige Beschaffungsprogramm für die Infrastruktur des Bundesheeres aus?

 

16.       Welche Prioritäten werden im Zusammenhang mit der Drakennachfolge, den Kampf- und Schützenpanzern bzw. den Hubschraubern setzen?

 

17.       Wie hoch ist das gerätspezifische Durchschnittsalter bei den Luftstreitkräften (Fluggerät) und bei den mechanischen vErbänden (Panzerfahrzeuge)? Bitte um detaillierte Aufschlüsselung.

 

18.       Inwieweit wurde das von Ihnen erstellte Kasernenstandortkonzept umgesetzt bzw. welche Kasernen wurden bis jetzt veräußert und welche geldbeträge konnten dadurch lukriert werden, die dem Bundesministerium für Landesverteidigung zuflossen?

 

19.       Welche Maßnahmen zum Bürokratieabbau in den Kommanden, Ämtern und Dienststellen wurden im Zuge der HG-Neu im Bereich der Verwaltung konkret gesetzt, um so Kosten und Ressourcen einzusparen?

 

20.       Wie hoch war das jährliche tatsächliche Grundwehrdieneraufkommen seit 1990 und wie hat sich seit diesem Zeitpunkt das Verhältnis von „Systemerhaltern“ zu Soldaten, die der Einsatzorganisation zugeführt wurden, entwickelt?

 

21.       Wie hoch war der Prozentsatz an Untauglichen und der vorzeitig Entlassenen am gesamten Wehrpflichtigenaufkommen/Grundwehrdieneraufkommen?

 

22.       In welcher Form waren Sie in die Verhandlungen zur Neuregelung des Zivildienstes eingebunden und können Sie das Verhandlungsergebnis vollinhaltlich mittragen?

 

23.       Sind Sie dafür, daß Frauen die Möglichkeit erhalten, auf freiwilliger Basis Dienst in Uniform beim Bundesheer zu machen bzw. ab wann kann mit einer diesbezüglichen Einführung gerechnet werden?

 

Im Gegensatz zu manchen Politikern ist bei der österreichischen Bevölkerung das Bekenntnis zur Landesverteidigung nachweisbar groß. So wurde die Militärparade im Zuge der Gedenkfeiern zum 26. Oktober 1995, von der Bevölkerung begeistert mitgetragen. Werden Sie sich dafür einsetzen, daß auch in Zukunft in der Bundeshauptstadt, aber auch in den Ländern vergleichbare Veranstaltungen durchgeführt werden?

Wenn ja, wann sind diesbezügliche Veranstaltungen geplant?

 

25.       Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um den Wehrgedanken, die Integration des Bundesheeres in die Gesellschaft, die Gedanken der Verteidigungswürdigkeit der Heimat zu forcieren?

 

26.       Welche Rolle kommt dabei der Schule zu und war Ihrer Meinung nach in der vergangenheit die diesbezügliche Einbindung der Schulen optimal?

 

27.       Sind Sie für die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht und die Umwandlung des österreichischen Bundesheeres in ein Freiwilligenheer?

Wenn ja, in welchem Zeitraum soll dies erfolgen?

 

Werden Sie Ministerkollegen, die sich jüngst in umfassender Weise mit der Problematik der künftigen Landesverteidigung beschäftigt haben, zur kooperativen Mitwirkung und Mitarbeit einladen?

Wenn ja, haben Sie diesbezüglich Präferenzen?

 

29.       Stehen Sie zu Ihrer Aussage, daß die 7 Thesen Ihres Ministerkollegen Einem „staats­schädigend“ sind?

 

30.       Sind Sie der Meinung Ihrer Ministerkollegen, daß „die Ausbildung von Grundwehrdienern für das Berufskader lediglich eine lästige Pflicht“ darstellt, daß „die Angehörigen des Bundesheeres dadurch von dummen Gedanken abgelenkt werden, daß man ihnen ständig Präsenzdiener zuführt ...“ und daß „es im Kader ein großes Alkoholproblem gibt“?

 

31.       Wie werden Sie im Ministerrat die nötige Einstimmigkeit für notwendige Maßnahmen zur Förderung der umfassenden Landesverteidigung mit einem Ministerkollegen herbeiführen, dessen Aussagen von Ihnen als „staatsschädigend“ bezeichnet wurden und welcher linksextreme Bundesheergegner unterstützt hat?

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne der Bestimmungen des § 93 Abs. 4 GOG—NR zum frühest möglichen Zeitpunkt zu verhandeln.

 

Wien, am 28.2.1996