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Dringliche Anfrage

 

 

der Abgeordneten Frischenschlager, Schmidt, Schaffenrath und Partnerlnnen

an den Bundeskanzler

betreffend dringender medienpolitischer,Weichenstellungen

 

Die Journalistengewerkschaft kündigte am 10. Mai 1996 ein Medienvolksbegehren für den Herbst dieses Jahres an.  Dieser Ankündigung ging seit Jahren von zahlreichen Journalistlnnen, Kommentatorinnen und der kritischen Öffentlichkeit Österreichs die Forderung nach einer intensiven medienpolitischen Diskussion mit dem Ziel der Schaffung von wichtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die bis heute weitgehend fehlen, voraus.

 

 

Aktuelle rnedienpolitische Situation in Österreich

 

Österreich weist auf der Ebene der Printmedien den höchsten Monopolisierungsgrad aller westlichen Industrienationen auf.  Der Oberste Gerichtshof vertritt in einem aktuellen Erkenntnis die Meinung, daß der aus "Kronen Zeitung", "Kurier" und weiteren Medien gebildeten Mediaprint zumindest am lnseraten- und Vertriebssektor im kartellrechtlichen Sinn eine "marktbeherrschende Stellung" nicht abgesprochen werden kann.  Ein zahnloses Kartellrecht fördert die schon dramatisch fortgeschrittene Printmedienkonzentration.

 

Das im Juli 1993 von SPÖ und ÖVP beschlossene Regionalradiogesetz wurde vom Verfassungsgerichtshof als "verfassungwidrig" eingestuft und harrt seiner Neuformulierung.  Der ebenfalls aufgehobene Frequenznutzungsplan sieht - mit Ausnahme von Wien - nur eine regionale Frequenz pro Bundesland vor.  Für die lokalen Frequenzen existiert noch immer kein Nutzungsplan.  Die Koalitionsparteien haben sich im Arbeitsübereinkommen darüber geeinigt, "die Kompetenzen der Regionalradiobehörde" zu erweitern und "auf den Bereich des Kabelrundfunks auszuweiten", wodurch eine Behörde aufgewertet wird, die seit ihrem Bestehen heftig kritisiert wird.

 

Seit 1975 wird die "Presseförderung" ausgeschüttet, 1995 z. B. 277 Millionen Schilling.  Selbst hochprofitable Häuser wie die "Kronen Zeitung" bekommen Millionen aus dem Steuertopf, Parteiblätter - wie die "Salzburger Volkszeitung" ­werden aus parteipolitischen Gründen massiv subventioniert.  Andererseits werden Zeitungen in den Sprachen der ethnischen Minderheiten, die wegen der naturgemäß niedrigen Auflage wirklich in ihrer Existenz bedroht sind, aus diesem Ansatz nicht gefördert. 1995 wurde den periodischen Druckschriften für ethnische Minderheiten Bewegen zu geringer Verbreitung" sogar Publizistikförderung gestrichen.

 

Das "unaufschnürbare" Sparpaket wurde im letzten Abdruck doch noch gelockert, um die drohende Sozialversicherungspflicht der Kolporteure abzuwenden.  Damit wurde dem wirtschaftlich stärksten Medienunternehmen des Landes finanzielle Lasten erspart - auf Kosten sozialschwächster Arbeitnehmer, die weiterhin die Tarnung " freie Unternehmer" tragen müssen.

 

Am 28.  Juni 1995 kündigte Bundeskanzler Vranitzky für Ende 1995 einen Gesetzentwurf für Privatfernsehen mit vorausgehender Expertenenquete an.  Am 8. Mai 1996 gab der Bundeskanzler zu, daß die vom Verfassungsgerichtshof, der die Einschränkungen für die Kabel-TV-Betreiber für verfassungswidrig erklärte, eingeräumte Frist, ein Kabel-TV-Gesetz bis 31.  Juli 1996 zu verankern, nicht einzuhalten sein werde.

 

Auf dem Gebieten des terrestrischen bzw. des via Satelliten ausgestrahlten Fernsehens und der "Neuen Medien" wurden von der Bundesregierung noch keinerlei Initiativen gesetzt.

 

Nach dem Arbeitsübereinkommen von SPÖ und ÖVP soll der ORF aus "wirtschaftlichen Gründen" in eine Aktiengesellschaft umzuwandelt werden.  Bisher ist es den Regierungsparteien allerdings nicht gelungen, klarzumachen, warum die Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Anstalt, die sich selbst gehört, in eine Aktiengesellschaft im Eigentum von Bund und Ländern notwendig ist, denn all jene Ziele, die durch eine Umwandlung erreicht werden sollen (Durchgriffsrecht des Generalintendanten, Video on demand, on-line-Dienste) können auch umgesetzt werden, indem das bestehende Rundfunkgesetz geändert wird.  Es droht die Umwandlung in einen regierungskonformen Staatsfunk.

 

 

 

Schlußfolgerungen

 

Durch die jahrzehntelange Untätigkeit von SPÖ und ÖVP befindet sich Österreich in einer erschreckenden medienpolitischen Situation.  Aufgrund der Ereignisse der letzten Wochen wurden die kritisch denkenden Menschen in diesem Land wachgerüttelt.  Das demokratische Österreich bedarf dringend einer kompletten Neuorganisation der medienpolitischen Rahmenbedingungen.

 

Der Frequenznutzungsplan und das vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Regionalradiogesetz müssen neu ausgearbeitet werden, wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, daß sich diese Entwürfe nicht an parteipolitischen Interessen orientieren, sondern der Meinungsvielfalt bzw. dem Recht auf freie Meinungsäußerung dienen und Frequenzen für freies, nichtkommerzielles Radio zur Verfügung stehen.

 

Weiters müssen umgehend gesetzliche Rahmenbedingungen für den Kabel-TV­Bereich ebenso wie den terrestrischen und Sat-Bereich geschaffen werden.  Es muß prinzipiell jedermann Fernsehprogramme produzieren und senden können.  Die einzigen Einschnitte stellen kartellrechtliche Unvereinbarkeiten dar.

 

Die Presseförderung bedarf dringend einer Totalreform.  Der Versuch einer

Wiederherstellung der Medienvielfalt durch Maßnahmen der Gründungs- und

Qualitätsförderung sowie der besonderen Förderungen der Minderheitenpresse ist

 

heute unerläßlich.  Aus diesen Gründen fordert das Liberale Forum einerseits die Umwandlung der "Presseförderung" in eine "qualitative Medienförderung" und andererseits ein Vertriebssystem, weiches von allen Printmedien, die in Österreich legal erscheinen, zu marktgerechten Preisen genutzt werden kann.

 

Von größter Demokratie- und medienpolitischer Bedeutung ist ein ORF, der weiterhin ohne parteipolitische Einflußnahme agieren kann.  Diese Voraussetzung wäre durch die Umwandlung des ORF in eine Aktiengesellschaft deren Eigentümer Bund und Länder sind, nicht gegeben.

 

Die dringendste ordnungspolitische Maßnahme im Medienbereich stellt wohl eine Novellierung des österreichischen Kartellrechts dar.  Das derzeitige Kartellgesetz ist kein Kartellverhinderungs-, sondern ein Kartellregistrierungsgesetz und widerspricht dadurch jedem Kartellregulierungsgrundsatz.

 

Weiters ist es nicht nur aus medienpolitischen, sondern auch aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gründen unerläßlich, umgehend gesetzliche Richtlinien für den Bereich der "Neuen Medien" zu entwickeln.  Fragen wie Zugangsmöglichkeit (Grundrecht auf Information, Info-Houses), Bestimmung der Verantwortlichkeiten, Jugendschutz, Urheberrecht etc. müssen geklärt werden.  Nur so wird Österreich den Übergang vom Industrie- ins Informationszeitalter nicht verpassen.

 

Eine echte Liberalisierung der österreichischen Medienlandschaft erfordert die Errichtung einer unabhängige Medienanstalt, deren Gremien vor allem aus Fachleuten (Medienexpertlnnen, Fachjournalistlnnen, Richterinnen etc.) bestehen soll.  Sie wird die Aufgabe haben, alle medienpolitisch relevanten Fragen zu bearbeiten, sinnmachende Konzepte für gesetzliche Grundlagen zu erarbeiten und mit einer Kontrollfunktion ausgestattet sein.

 

Im Zusammenhang mit den längst überfälligen medienpolitischen Weichenstellungen in Österreich stellen die unterzeichneten Abgeordneten daher an den Bundeskanzler folgende

 

 

Dringliche Anfrage

 

1 .   Sowohl im Arbeitsübereinkommen vom 29.  November 1994 als auch in jenem vom 7. März 1996 spricht sich die Große Koalition für ein Nebeneinander von einem öffentlich-rechtlichen und privaten Hörfunk- und Fernsehbetreibern aus.  Warum hat es Ihre Regierung verabsäumt, geeignete Regierungsvorlagen zu entwickeln, um eine taugliche Rechtsgrundlage für die Erreichung dieses politischen Zieles zu schaffen, wie z.B. ein Kabel-TV-Gesetz oder ein Privat-TV­Gesetz?

 

2.    Sieht die Koalitionsregierung angesichts des dramatischen

       Konzentrationsprozesses im Bereich der österreichischen Printmedien einen kartellrechtlichen      Handlungsbedarf, um bestehende marktbeherrschende Medienkonzerne in einer       rechtsstaatlichen Form zu entflechten und zukünftigen Konzentrationstendenzen vorzubeugen?

 

3.    Ist die Regierung bereit, einen Entwurf zu einem Anti-Trust-Gesetz, das eine prozentuale Obergrenze am Gesamtmarktanteil von Medienunternehmen bestimmt, vorzulegen?  Wenn ja, wann, wenn nein, warum nicht?

 

4.    Mit Erkenntnis vom 27.09.1995 hat der Verfassungsgerichtshof den Frequenznutzungsplan und Teile des Regionalradiogesetztes aufgehoben.  Dies hat im Kreis der betroffenen Unternehmen großen wirtschaftlichen Schaden verursacht.  Eine ähnliche Situation droht nunmehr im Bereich der Kabel-TV­Betreiber.  Wie rechtfertigen Sie die von Ihnen selbst angekündigte Fristveräumnis?  Sehen Sie die Gefahr, daß durch die Untätigkeit der Koalitionsregierung eine Situation entsteht, in der entweder durch ein späteres Kabel-TV-Gesetz dann bereits im rechtsfreien Raum getätigte Investitionen der Betreiber womöglich zunichte gemacht werden oder der Gesetzgeber womöglich medienpolitisch unerwünschte faktische Verhältnisse nicht mehr ändern kann?

 

5.    Bereits anläßlich der Debatte um das Regionalradiogesetz warnte die Fachwelt davor, die Radiofreiheit auf ein bis maximal zwei Betreiber pro Bundesland zu verengen, was u. a. auch zur verfassungsrechtlichen Aufhebung führte.  Werden Sie dafür Vorsorge treffen, daß alle verfügbaren koordinierten Frequenzen zur Ausschreibung gelangen bzw. daß alle technischen Möglichkeiten für eine Verbreiterung der Frequenzen ausgeschöpft werden und damit mehr Betreiber auf dem Privatradiomarkt auftreten können?  Sind Sie bereit, die derzeitigen lnnehaber der Frequenzen offenzulegen?  Sind Sie bereit, die derzeitige Konstruktion der Regionalradiobehörde, die sich weit überwiegend aus Parteien und Sozialpartnervertretern und nur wenigen unabhängigen Experten zusammensetzt (eine Konstruktion, die maßgeblich am Regionalradio-Desaster beteiligt war), neu zu gestalten?

 

6.    Hat die große Koalition bereits Vorstellungen, wie sie das Privat-Fernsehen in Österreich gestalten will?  Wenn ja, wie sehen diese Vorstellungen aus und wann ist mit einer Regierungsvorlage zu rechnen?

 

7.    Halten Sie - insbesondere im Hinblick auf das in Ihrer Regierungserklärung festgehaltene duale System - die Rechtsform der Aktiengesellschaft für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk für geeignet, obwohl diese Rechtsform speziell auf privatwirtschaftlich betriebene, gewinnorientierte Unternehmen hin konzipiert ist?

 

8.    Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft hat zu allererst die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens zu beobachten.  Wer kontrolliert die Einhaltung des öffentlich-rechtlichen Auftrages?  Falls Sie an einen Publikumsrat oder dergleichen denken sollten: Wie sind die Kompetenzen und die

Verantwortlichkeit zwischen Aufsichtsrat und einem solchen Publikumsrat geregelt?  Weiche Sanktionsmöglichkeiten hat letzterer, und welches Organ entscheidet bei möglichen Zielkonflikten zwischen Publikumsrat und Aufsichtsrat?  Wie sind diese zusammengesetzt?  Nach welchen objektiven Kriterien sollen die Anteile der einzelnen an der ORF-AG beteiligten Gebietskörperschaften bemessen werden?  Und werden diese Anteile zwischen den Aktionären oder Oberhaupt frei veräußerbar sein?

 

9.    Das Aktienrecht sieht - wie bei allen privatwirtschaftlichen Unternehmensformen ­im Falle der Illiquidität letztlich die Regeln des lnsolvenzrechtes vor.  Im Falle des ORF entsteht hier eine Diskrepanz zum öffentlich-rechtlichen Auftrag und der Absicht, den ORF in Hinkunft wie einen Marktwettbewerber wirtschaften zu lassen.  Können Sie im Falle der Illiquidität eine Nachschußpflicht bzw.  Verlustabdeckungspflicht durch die Eigentümer ausschließen?

 

1     0. Halten Sie im Lichte des voraussichtlichen Rückganges der ORF-Konsumenten durch die Zunahme der Mitbewerber das System der Gebühren aufrechterhaltbar oder gar Gebührenerhöhungen für denkbar?

 

1     1. Sind Sie bereit, die ethnischen Minderheiten im Programmauftrag des ORF ausdrücklich zu verankern?  Sind Sie bereit, den ethnischen Minderheiten im Rahmen des Regional- bzw.  Privatradiogesetzes und des

Frequenznutzungsplanes lokale Frequenzen vorzubehalten bzw. ihnen "Programmfenster" gesetzlich zuzusichern?

 

12.     Sind Sie bereit, das derzeitige System der "Presseförderung", das auch hochprofitablen Printmedienunternehmungen Förderungen in Millionenhöhe zukommen läßt, in Richtung "qualitative Medienförderung" (Förderung von Auslandskorrespondenten und Qualitätsbeilagen, spezielle Förderung der Minderheitenpresse gemäß der Charta für Regionalismus oder

          Minderheitensprachen) und "Errichtung eines Vertriebssystems" zu ändern?

 

13.     Sehen Sie einen Regelungsbedarf für die rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich der "Neuen Medien" (Internet, Information Highway, on-line-Dienste)?

 

14.     Sind Sie bereit, einen Antrag zur Abhaltung einer parlamentarischen Enquete

zum Thema "Medienpolitische Weichenstellungen", weiche noch vor der parlamentarischen Sommerpause stattfinden soll, politisch zu unterstützen?

 

15.     Wie beurteilen Sie - gerade im Hinblick auf die angespannte Arbeitsmarktsituation -, das           Fehlen gesetzlicher Rahmenbestimmungen im Medienbereich als Standortfaktor?