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ANFRAGE

der Abgeordneten Rosenstingl

an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst

betreffend: das ÖBB-Chaos

 

Spätestens seit dem Fahrplanwechsel ist der breiten Öffentlichkeit bewußt, daß die ÖBB trotz Milliardenkosten für den Steuerzahler nicht mehr im Stande sind, ihre Aufgaben zu erfüllen: Ein unglaubliches Gemisch aus fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen, unternehmerischen Fehlentscheidungen, politischem Interventionismus hat dazu geführt, daß das Verkehrssystem Eisenbahn allen Lippenbekenntnissen zum Trotz zwar teurer, nicht aber attraktiver sondern vielfach schlicht unbenützbar wurde.

 

Dies ist umso empörender, als jeder Österreicher als Steuerzahler vom Baby bis zum Greis täglich etwa den Gegenwert eines Straßenbahnfahrscheines beziehungsweise einmal im Monat den Preis einer Fahrkarte von Wien nach Bregenz für die ÖBB ausgeben muß ­soviel kosten die ÖBB und die Bahnbauten - ohne dafür auch nur einen Zentimeter fahren zu dürfen.  Und jetzt, seit den Fahrplankürzungen, es Oberhaupt zu können, denn entweder verkehren Oberhaupt keine Züge mehr oder aber sie fassen nur einen Teil der Fahrgäste, der Rest muß zurückbleiben.

 

Besonders skandalös dabei ist, daß diese chaotischen Zustände ausgerechnet jene Fahrgäste treffen, für die die ÖBB Milliardensubventionen aus dem Steuertopf unter dem Titel gemeinwirtschaftliche Leistungen 'Ökobonus' erhalten und die zu den treuesten Bahnkunden zählen, nämlich die Berufspendler.  Doch statt diesen nun entsprechenden Service zu bieten, tut man alles, um sie zu vertreiben:

 

·      Man pfercht sie in zu wenige und uralte Waggons, während die neueren fürs Museum abgestellt oder ins Ausland verkauft werden.

·      Man kürzt die Zahl der Züge, sodaß eine Heimfahrt am Abend unmöglich wird und ganze Landstriche am Wochenende nicht mehr erreichbar sind.

·      Man hebt hohe zusätzliche Gebühren für die Benützung von Fernzügen ein.

·      Man verlängert die Fahrzeiten, speziell auf jenen Strecken, die kürzlich mit Milliardenaufwand ausgebaut wurden und werden.

 

Ganz offensichtlich verfehlt also diese Subvention ihre Wirkung, sind die Verträge vom Verkehrsministerium mit den ÖBB schlecht abgefaßt, denn derart drastische Leistungsverschlechterungen auch noch zu subventionieren, kann wohl nicht Inhalt sinnvoller Verkehrspolitik sein.

 

Offensichtlich aber ist der wahre Hintergrund der Misere ein anderes Versäumnis des Verkehrsministers, nämlich das Fehlen einer funktionierenden Nahverkehrsfinanzierung, wie sie die Freiheitlichen seit Jahren - der Antrag liegt unbehandelt im Ausschuß - fordern.  Bekanntlich bietet das ÖBB-Gesetz ebenso wie das MöSt-Gesetz nur eine äußerst unzureichende rechtliche Grundlage für eine Einbindung der Länder in die Finanzierung, vor allem im ÖBB-Gesetz steht exakt das Gegenteil von dem, was die ÖBB und der Verkehrsminister gerne von den Ländern hätten: Laut ÖBB-Gesetz kann die Bereitstellung von Infrastruktur - also Schienen, Bahnhöfen, etc. - von Beiträgen Dritter (Länder, Gemeinden, etc.) abhängig gemacht werden.  Tatsächlich wird aber seitens der ÖBB die Finanzierung von Betriebsabgängen oder Fahrzeugen eingefordert.  Kein Wunder, daß sich die Länder unter Hinweis auf die fehlende Rechtsgrundlage weigern, zu zahlen.

 

Da das Verkehrsministerium seit Jahren einen Entwurf für ein

 

Nahverkehrsfinanzierungsgesetz in der Schublade liegen und stattdessen die ÖBB ­erfolglos - verhandeln läßt, ist nun ein Punkt erreicht, da sich die ÖBB - schließlich hat man ihnen aufgrund der Budgetmisere die im ÖBB-Gesetz vorgesehene Entschuldung verweigert, sodaß bereits nach 3 Jahren Selbständigkeit der Pleitegeier droht ­offensichtlich genötigt sehen, einen großangelegten Erpressungsversuch zu starten: Nicht die leeren Züge werden gestrichen und gekürzt, sondern die vollen, damit sich möglichst viele Menschen ärgern und die Landespolitiker vielleicht doch etwas zahlen.  Daß man damit die treuesten Kunden verärgert und einen Zustand herbeiführt, der das Umsteigen auf das Auto gerdezu erzwingt, scheint weder ÖBB noch Verkehrsminister zu stören.

 

Besonders absurd ist, daß auf der anderen Seite für die Bauvorhaben der Eisenbahn dank des neuen Schieneninfrastrukturfinanzierungsgesetzes mehr als genug Geld da ist, sodaß kaum sinnvolle Luxusprojekte wie eine Hochleistungseisenbahn in einen Vorort von Preßburg oder Streckenbegradigungen wie dem Galgenbergtunnel, die dem Reisenden in Anbetracht der gleichzeitigen Fahrzeitverlängerungen nichts bringen, realisiert werden können.  Tatsächlich wurden auf der Westbahn, wo nun mehrere milliardenteure Tunnels in Betrieb genommen wurden, die der Fahrzeitverkürzung dienen sollten, eben diese Fahrzeiten um einige Minuten verlängert, wenn man so will, hat man Milliarden für die Fahrzeitverlängerung investiert.

 

Doch diese Investitionsprogramme in Schnellfahrstrecken werden fortgeführt, obwohl sich die ÖBB sogar weigern, drei vor Jahren bestellte und nun fertige Lokomotiven Reihe 1012 - die einzigen, die Oberhaupt 200 km/h fahren könnten - Oberhaupt zu kaufen.  Ganz offensichtlich fehlt hier jede Planung und Koordination.

 

Dies ist auch kein Wunder, denn seit Jahrzehnten fehlt der Bundesverkehrswegeplan, Investitionen werden ohne rationale Grundlagen getätigt.  Andererseits haben die ÖBB auch nach der Ausgliederung - speziell seit der ÖBB-Gesetz-Novelle 1996, die Bauinvestitionen an ministerielle Verordnungen bindet und damit jegliche unternehmerische Entscheidung unterläuft - kaum die Möglichkeit, die Prioritäten beim Infrastrukturausbau so setzen, wie ihnen dies sinnvoll erschiene, vielmehr versucht hier die Politik, ihre Lieblingsprojekte ­bzw. jene der Bauindustrie - durchzusetzen.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst nachstehende

 

Anfrage:

 

1.    Wann werden Sie eine dauerhafte Lösung für die Nahverkehrsfinanzierung vorlegen, wie sie seit Jahren von der FPÖ gefordert wurde und in Gestalt eines schubladisierten Ministerialentwurfes auch in Ihrem Hause existiert?

 

2.    Ist Ihnen bekannt, daß im Zuge der Fahrplankürzungen durchaus eine Reihe von 'Geisterzügen' - etwa die stündlichen Eilzüge auf der angeblich so überlasteten Semmeringstrecke - erhalten blieben, während ausgerechnet die gut ausgelasteten Pendlerzüge radikal gekürzt wurden?

 

3.    Halten Sie es für vertretbar, daß die ÖBB nun offensichtlich, um die fehlenden Milliarden durch öffentlichen Ärger von der öffentlichen Hand zu erpressen, massiv nachgefragte Leistungen gerade im Pendlerbereich kürzen?

       Wenn ja, warum, wenn nein, was gedenken Sie dagegen zu tun?

 

4.    Genießt der Vorstand der ÖBB im Hinblick auf die Vorgangsweise bei der Fahrplanreform Ihr uneingeschränktes Vertrauen als Eigentümervertreter?

 

5.    Wieviel an Steuergeldern erhielten die ÖBB insgesamt für Leistungen im Bereich des Pendler- Nahverkehrs (Ökobonus etc.) aus dem Bundesbudget jeweils in den letzten Jahren, wieviel voraussichtlich 1996?

 

6.    Welche Qualitätskriterien hinsichtlich der erbrachten Leistungen sehen die Verträge über gemeinwirtschaftliche Leistungen im Bereich des Nahverkehrs vor, die zwischen dem Verkehrsministerium und den ÖBB geschlossen wurden?

 

7.    Halten Sie es für vertretbar, die Pendlertarife mit Milliardenbeträgen zu subventionieren, während die ÖBB die mit diesen Fahrkarten erkauften Leistungen in derart unbefriedigender Form erbringen, wie dies zur Zeit geschieht?

 

       Wenn ja, warum, wenn nein, was gedenken Sie dagegen zu tun?

 

8.    Halten Sie es für vertretbar, von Pendlern hohe Zuschläge - vor allem in den Westbahn­Taktzügen - zu verlangen, bloß weil letztere infolge eines starren Zugbildekonzepts, das keine Rücksicht auf schwankenden Platzbedarf mehr nimmt, nicht ausreichend Platz bieten, und damit die von Ihrem Haus subventionierten Fahrkarten wesentlich zu entwerten?

 

       Wenn ja, warum, wenn nein, was gedenken Sie dagegen zu tun?

 

9.    Ist Ihnen bekannt, daß die ÖBB relativ modernes Wagenrmaterial (z.B. Typ Schlieren) ausscheiden und für museale Zwecke nutzen oder ins Ausland verkaufen, während im Pendlerverkehr wesentlich ältere, teilweise desolate Waggons eingesetzt werden?

 

10   .Halten Sie diese Vorgangsweise für sinnvoll, vor allem im Hinblick darauf, daß andererseits infolge Wagenmangels teure Doppelstockwaggons, deren Finanzierung ­nach ÖBB-Vorstellung durch die Länder - aber nicht gesichert ist, beschafft werden sollen?

 

11.  In welcher Form war Ihr Ministerium mit der Zulassung der als Innovation gefeierten und nun im Betrieb wegen technischer Störungen so problematischen Wendezuggarnituren befaßt; wurde bereits eine Betriebsbewilligung erteilt; wenn ja, mit welchen allfälligen Auflagen?

 

12.  Halten Sie es für vertretbar, daß infolge der Fahrplankürzungen ganze Landstriche am Wochenende nicht mehr erreichbar sind und damit die Bewohner dieser Regionen - in Anbetracht der gerade ebenfalls einsetzenden Reduktionen des Busnetzes - gar keine Alternative zum Auto mehr besitzen?

       Wenn ja, wie verträgt sich dies mit dem Gesamtverkehrskonzept, wenn nein, was beabsichtigen Sie dagegen zu tun?

 

13.  Beabsichtigen Sie, von Ihrem verkehrspolitischen Weisungsrecht Gebrauch zu machen, um die massiven Verschlechterungen des Bahnfahrplanes rückgängig zu machen; wenn ja, mit welcher genauen Zielsetzung, wenn nein, warum nicht?

 

14.  Halten Sie es für sinnvoll, daß die ÖBB im Bereich der Infrastrukturinvestitionen nunmehr gegenüber dem Verkehrsministerium durch Verordnung vollkommen weisungsgebunden sind, die Planung des Angebotes hingegen völlig unabhängig erfolgt?

 

15.  Ist Ihnen bekannt, daß dies bereits zu der grotesken Situation fährt, daß mit der HL­Strecke Parndorf-Kittsee um rund 1 Mrd.S eine Bahn gebaut wird, die die ÖBB wegen vorhersehbarer Unwirtschaftlichkeit nicht befahren wollen?

 

16.  Halten Sie es für vertretbar, daß just zu dem Zeitpunkt, da mit der Fertigstellung mehrerer Neubauabschnitte der Westbahn, die der Beschleunigung dienen sollten (Konzept Neue Bahn, Wien - Salzburg unter 2 Stunden), die Fahrzeiten um rund 7 Minuten auf knapp dreieinhalb Stunden verlängert werden?

 

17.  Wann werden Sie endlich eine objektive Bewertung der Ausbaumaßnahmen vorlegen, die es in Hinkunft erlaubt, derartige milliardenschwere Fehlinvestitionen zu verhindern?

 

 

 

 

28. Juni 1996