989/J

 

Dringliche Anfrage

 

der Abgeordneten Pollet-Kammerlander, Petrovic, Freundinnen und Freunde

an den Bundeskanzler

betreffend "Immerwährende Neutralität" Österreichs

 

Die Vertreter der österreichischen Bundesregierung argumentieren in bezug auf Österreichs Neutralität widersprüchlich.  Durch Sprachschöpfungen werden die wahren Absichten, nämlich die Unterwerfung unter die verteidigungspolitischen Vorgaben aus Brüssel, verschleiert.  Doppelzüngige Botschaften zur Neutralität, je nachdem ob sich ein Regierungsvertreter in Brüssel oder Wien befindet, beherrschen den diesbezüglichen Diskurs.

Die Bundesregierung ist an der Aufgabe, die Neutralitätspolitik nach der West/Ost­Konfrontation jetzt auch als spezifischen Beitrag für eine europäische und globale Friedensordnung zu entwickeln, gescheitert.  Ebenso gescheitert ist sie an der Weiterentwicklung der Kreisky'schen Politik der Neutralität im Nord/Süd-Konflikt.

 

Im Rahmen der EU-Regierungskonferenz 1996 wird über sicherheitspolitische Kompetenzen der Europäischen Union verhandelt.  Nach wie vor ist eine enge Kooperation - bis zu einem institutionellen Zusammenschluß - von EU und Westeuropäischer Union (WEU) unter Einbindung der NATO die Rede.  Andererseits hat sich bei der NATO-Ratstagung in Berlin herauskristallisiert, daß die WEU zum westeuropäischen Pfeiler der NATO weiterentwickelt wird.

 

Aufgrund der innenpolitischen Debatte in Österreich wird das Einverständnis von Spitzenpolitikern der SPÖ/ÖVP-Koalition mit diesen Vorhaben deutlich.  Angesichts der kaum überbrückbaren Differenz zwischen den Positionen der österreichischen Bundesregierung, den Meinungen führender Koalitionspolitiker und der überwältigenden Neutralitätsbefürwortung der Österreicherinnen und Österreicher muß vor einer etwaigen weiteren sicherheitspoltischen Vertiefung der europäischen Integration eine Volksabstimmung über die Zukunft der österreichischen "immerwährenden Neutralität" und damit den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs abgehalten werden.

 

Aus dem Umstand der Stationierung von Nuklearsprengköpfen und Atomwaffen ergibt sich ein enormes grundsätzliches Sicherheitsrisiko auch für die österreichische Bevölkerung.  Gemessen an der offiziellen Politik Österreichs gegen die Gefahren aus grenznahen Risikoreaktoren sollte auch hier eine kritische Bewertung und Positionierung erfolgen.  Immerhin könnten mit rund zwei Prozent der rund 5000 Milliarden Schilling der Rüstungsausgaben der NATO-Mitglieder alle Blöcke der 12 gefährlichsten Atomkraftwerke (20.000 Megawatt) im Osten ersetzt

 

werden.  Eine zukunftsweisende Sicherheitspolitik im Sinne der Sorgen der Bevölkerung könnte etabliert werden.

 

 

 

 

Dringliche Anfrage:

 

 

1.    Sind Sie bereit, jede weitere Einschränkung bzw. die Aufgabe der Neutralität vom Ergebnis einer Volksabstimmung, wie es ebenfalls SPÖ-Spitzenkandidat für die Europawahlen Hannes Swoboda gefordert hat, abhängig zu machen?

 

2.    In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Neutralitätsgesetzes (598 d. Beil.  VII GP) heißt es ausdrücklich: "Der Gesetzesbefehl der Vorlage richtet sich auch an die vollziehende Gewalt und insbesondere an die Bundesregierung".

a)  Sind Sie daher bereit gegen alle Spekulationen von Regierungsmitgliedern über einen NATO- oder WEU-Beitritt aufzutreten?

b)  Werden Sie in Zukunft sicherstellen, daß alle Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere in Zusammenhang mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in den Institutionen der EU, diesem Gesetzesbefehl Folge leisten?

 

3.    Schließen Sie sich der Überzeugung an, daß der nationale Konsens über das Ziel eines atomfreien Europas selbstverständlich die Forderung mit einschließt, alle Atomwaffen zu beseitigen und dieser nationale Konsens jedenfalls einen Beitritt zu einem nuklearbewaffneten Militärbündnis ausschließt?

 

4.    Nach einer Studie des Pentagon, müßten die potentiellen Neumitglieder der NATO, Polen, Tschechien und Ungarn bis ins Jahr 2010, 124 Milliarden Dollar investieren, Um ihre Armeen auf NATO-kompatible Waffensysteme umzustellen.  Halten Sie eine solche horrende Aufrüstung in Europa und die daraus folgende wirtschaftliche Belastung, für die europäische Integration und eine friedliche und demokratische Entwicklung dieser Länder für verantwortbar?

 

5.    Sind Sie bereit - insbesondere vor dem Hintergrund der von Budgetkrise und Arbeitslosigkeit - die Kosten offen zu legen, die durch einen Beitritt zu NATO oder @U dem österreichischen Steuerzahler erwachsen werden?

 

6.    Zielen Ihre jüngsten Aussagen im Hinblick auf die Prüfung einer Liberalisierung des österreichischen Kriegsmaterialiengesetzes darauf ab, die marode österreichische Rüstungsproduktion auszuweiten und in den sich neuformierenden westeuropäischen Rüstungsmarkt einzubinden?

 

7.    Bei der 9. Tagung der Regierungsbeauftragten am 6.06.96 wurde im Hinblick auf die Frage der Entscheidungsfindung einer Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU von den anderen neutralen EU-Mitgliedern Schweden und Finnland die Beibehaltung einer Veto-Möglichkeit gefordert. Österreich hat sich in dieser Frage für Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit ausgesprochen.  Wie soll mit qualifizierter Mehrheit und ohne Veto­Recht in der GASP den verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs zur immerwährenden Neutralität entsprochen werden?

 

8.    Sind Sie bereit, die sich aus den bestehenden Einstimmigkeitsregeln ergebenden Möglichkeiten in Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, bei der Regierungskonferenz dazu zu nutzen, ein tatsächliches System kollektiver Sicherheit unter der Oberhoheit von UNO und OSZE anzusteuern, anstatt NATO und WEU als Rahmen für eine militärisch ausgerichtete europäische Sicherheitspolitik hinzunehmen?

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage zum frühestmöglichen

Zeitpunkt verlangt.