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der Abgeordneten Thomas BarmüIler, Volker Kier

und weiterer Abgeordneten

betreffend Reform des Vertrags zur Gründung der Europäischen

Atomgemeinschaft (EURATOM)

 

 

Die Energiepolitik der Europäischen Union stützt sich auf folgende drei Ver-

träge: Vertrag der Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), Vertrag der

Atomgemeinschaft (EURATOM) und Vertrag der Europäischen Gemeinschaft

(EG). Diese ZerspIitterung schafft zahlreiche rechtliche Probleme. Darüber

hinaus widersprechen der EURATOM- und der EGKS-Vertrag der von der

Europäischen Union formulierten umwelt- und wirtschaftspoIitischen Ziel-

setzung einer nachhaltigen Entwicklung. lnsbesondere ist die nach wie vor

bevorzugte Behandlung der Atomenergie weder ökologisch noch ökonomisch

oder soziaI zu rechtfertigen.

 

Während der EGKS-Vertrag ohne Verlängerung vertragsgemäß am 23.7.2002

auslaufen wird, haben alIe Bemühungen im Sinne einer nachhaItigen Ent-

wickIung eine Änderung des EURATOM-Vertrags oder gar seine Einbeziehung

in den EG-Vertrag zu erreichen, noch nicht zum Erfolg geführt. Derartige

Reformschritte liegen aber zweifellos im österreichischen lnteresse.

 

Aufgrund dieses österreichischen lnteresses ist es unverständlich, daß in einer

Abstimmung des Europäischen Parlaments die Forderung ''Einstellung der

Förderung der Kernenergie und Änderung des Euratom- Vertrags im Jahr 2002

dahingehend, daß einzige Aufgabe von Euratom der sichere Abbau der Kern-

reaktoren und die sichere Lagerung der Nuklearabfälle wird" lediglich an der

AbIehnung der ÖVP-Abgeordneten Flemming, Habsburg-Lothringen, Pirker,

Rack, Rübig und Stenzel scheiterte. Die Forderung, ab dem Jahr 2002 die

Förderungen für die Kernenergie einzustelIen und EURATOM auf den sicheren

Abbau der Kernreaktoren und die sichere Lagerung der NuklearabfälIe zu

reduzieren, fand sich im Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volks-

gesundheit und Verbraucherschutz des Europäischen ParIaments über das

 

Programm der Europäischen Gemeinschaft für Umweltpolitik und Maßnahmen

im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung1. Sie wurde

mit 244 Gegenstimmen zu 237 Pro-Stimmen in der Plenarsitzung des

Europäischen Parlaments am 13. November 1996 abgelehnt. Hätten die sechs

Europaabgeordneten der ÖVP für diese Forderung votiert, wäre sie beschlos-

sen worden.

 

Diese Ablehnung, die nicht von allen konservativen Abgeordneten des

Europäischen ParIaments mitgetragen wurde (zwei Abgeordnete der

Europäischen Volkspartei stimmten dem Änderungsantrag zu; MEP

Schierhuber (ÖVP) enthielt sich der Stimme), steht im Widerspruch zu öster-

reichischen Interessen und zu der bisher von Mitgliedern der österreichischen

Bundesregierung im Ausland vertretenen Ablehnung der Atomenergienutzung.

Erst anläßlich des österreichischen Engagements gegen die Fertigstellung des

AKW Mochovce wurde am 9. Februar 1995 im Nationalrat einstimmig eine

Entschließung aller fünf Parteien angenommen und die Bundesregierung

auffordert, " ihre Bemühungen im Sinne der Politik für ein kernenergiefreies

Mitteleuropa zu intensivieren" und "sich zu bemühen, die ZieIsetzungen von

EURATOM dahin gehend zu ändern, daß die Förderung der Kernenergie

unterbleibt".

 

Das Stimmverhalten widerspricht auch dem im Koalitionsübereinkommen 1996

gegebenen Versprechen, daß die Regierungsparteien sich insbesondere dafür

einsetzen werden, auf Ebene der Europäischen Union die Zielsetzung des

langfristigen Ausstiegs aus der Atomkraft weiter zu verfolgen².

 

Weiters widerspricht die AbIehnung der Forderung nach EinstelIung der

Subventionen für die Atomenergienutzung und die Ablehnung einer Reform

des EURATOM-Vertrags den im Nationalen UmweItplan festgeIegten

ökologischen Leitlinien. Dieser empfiehlt eine aktive MitgestaItung bei der

Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der Europäischen

Union3, die zumindest nach österreichweit gängiger politischer Meinung mit

 

1 Bericht vom 3. Oktober 1996. Berichterstatterin: Dybkjaer, PE 217.883. Änderungsantrag 37.

Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe h. abgestimmt am 13. November 1996

² K0alitionsübereinkommen v0m 11. März 1996, Kapitel "Österreich als EU-Mitglied". Seite

22

3 NUP. Kapitel 2.1.2. "Österreichs internationaler Beitrag". Unterkapitel "Aktivitäten

Österreichs im europäischen und regionalen Kontext", Seite 21

einer derart risiko- und abfallreichen Technologie wie der Atomenergienutzung

unvereinbar ist. Im Koalitionsübereinkommen 1996 hat sich die Bundes-

regierung selbst zur Realisierung der im Nationalen Umweltplan formulierten

ökoIogischen LeitIinien verpflichtet4.

 

Schließlich wird die im Energiebericht 1996 der österreichischen Bundes-

regierung dargestellte Schrittmacherfunktion bei der Schaffung eines

kernenergiefreien Mitteleuropas5 durch das Abstimmungsverhalten der

Abgeordneten der ÖVP im Europäischen Parlament konterkariert.

 

Indem die ÖVP-Parlamentarier FIemming, Habsburg-Lothringen, Pirker, Rack,

Rübig und Stenzel eine ResoIution für den Ausstieg aus der Förderung der

Kernenergie sowie für die Reform des EURATOM-Vertrags mit ihren Stimmen

verhinderten, stelIten sie aber auch die viel weiter gehenden seit dem Jahr

1992 geltenden und im Jahr 1995 wiederholten Forderungen des Europäischen

Parlaments6 nach einer Reform des EURATOM-Vertrags und einer Einbe-

ziehung in den EG-Vertrag in Frage und brachten die jahrelange atomenergie-

kritische Haltung des Europäischen Parlaments zu Fall.

 

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundeskanzler

foIgende

 

 

Dringliche Anfrage

 

1. Gibt es unterschiedliche Auffassungen oder unterschiedliche Prioritäten-

setzungen der Regierungsparteien in Fragen der Atomenergienutzung?

 

 

1 "Die im Nationalen Umweltplan festgelegten Leitlinien sind zu realisieren.", siehe

Koalitionsübereinkommen vom 11. März 1996, Kapitel X "Umwelt", seite 46

5 Energiebericht 1996 der österreichischen Bundesregierung. Kapitel 2.2.2.

"Kernenergiepolitik", Seite 63

6 Entschließung zur Einberufung von Regierungskonferenzen im Hinblick auf die Änderung

des EGKS- und des EURATOM-Vertrags, 16. Jänner 1992, Abl. Nr. c 39/101 :

Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf

die Regierungskonferenz 1996 - Verwirklichung und Entwicklung der Union, Institutioneller

Ausschuß, 12. Mai 1995, Berichterstatter: Bourlanges/Martin, PE 214.450, Teil !.B2

 

2. Wie vermeiden Sie den Eindruck, daß sich mit der Ablehnung der Forderung

nach einem Ausstieg aus der Atomenergieförderung eine Wende in der

Kernenergiepolitik der Bundesregierung bzw einer der Regierungsparteien

abzeichnet?

 

3. Was werden Sie unternehmen, um die Glaubwürdigkeit des österreichischen

Eintretens für ein kernkraftwerkfreies Mitteleuropa zu erhalten?

 

4. Welche Maßnahmen werden Sie unter dem Eindruck des unterschiedlichen

Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten der Regierungsparteien im

Europäischen Parlament hinsichtlich einer Reform des EURATOM-Vertrages

setzen, nachdem es zuvor schon nicht gelungen ist, diesen Verhandlungs-

gegenstand in die Agenda der Regierungskonferenz aufzunehmen?

 

5. Welches Arbeitsprogramm wurde für die Zeit des österreichischen Minister-

ratsvorsitzes vorbereitet, um eine Reform des EURATOM-Vertrages voran-

zutreiben?

 

ln formaler Hinsicht wird vor Eingang in die Tagesordnung die dringliche

Behandlung der Anfrage zum frühestmoglichen Zeitpunkt verlangt.