1908/J XX.GP
ANFRAGE
der Abgeordneten Dr.Grollitsch, Mag. Haupt, Mentil und Kollegen
an die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
betreffend die Existenzberechtigung der Betriebskrankenkassen
Historisch gesehen stellen die Betriebskrankenkassen in Österreich die älteste Kassenform dar.
Sie wurzeln in den patriarchalischen Verhältnissen der Monarchie, wo die Vorsorge für den
Krankheitsfall weitgehend der Fürsorge des Unternehmers oblag und weniger einer gesetzlich
auferlegten Rechtspflicht. Dementsprechend war die Errichtung einer Betriebskrankenkasse als
subjektives Recht des Unternehmers normiert. Am Beginn der Zweiten Republik erfolgte eine
Neuorganisation der Sozialversicherung durch eine möglichst weitgehende verwaltungsmäßige
Konzentration, im Zuge derer die Auflösung aller Betriebskrankenkassen angestrebt wurde.
Dieses Ziel wurde aber selbst nach Verabschiedung des ASVG nicht erreicht, und die Betriebs-
krankenkassen - zehn in ganz Österreich - bestehen bis heute.
Die Betriebskrankenkassen bescheren den betroffenen Betrieben Mehrkosten, die diesen
massive Wettbewerbsnachteile gerade auf dem harten europäischen Markt bringen. Es ist daher
von den oft neuen Eigentümern infolge der Umwandlung der Betriebe in Aktiengesellschaften
zunehmend Widerstand zu erwarten.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an die Frau Bundesministerin für Arbeit und
Soziales folgende
Anfrage
1. Angesehene Verfassungsjuristen, wie etwa Univ.-Prof DDr. Heinz Mayer, vertreten die
Rechtsmeinung, bei den Betriebskrankenkassen handle es sich um anachronistische Ein-
richtungen.
Teilen Sie diese Auffassung?
Wenn ja, warum schaffen Sie nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, die den betroffenen
Unternehmern den Ausstieg aus ihren Verpflichtungen ermöglichen bzw. auf die Höhe der
Belastungen Einfluß zu nehmen?
Wenn nein, wie begründen Sie den Umstand, daß seit 1917 - also seit mehr als 80 Jahren -
keine neuen Betriebskrankenkassen mehr eingerichtet werden dürfen?
2. Wie hoch sind die Rücklagen, die in den einzelnen Betriebskrankenkassen bis dato gebildet
worden sind?
3 . Wie viele Mitarbeiter sind in den einzelnen Betriebskrankenkassen jeweils beschäftigt?
4. Wie hoch sind die Administrationskosten der Betriebskrankenkassen verglichen mit den
Gebietskrankenkassen in
a) absoluten Zahlen?
b) Prozenten der Einnahmen?
5. Namhafte Verfassungsjuristen sind der Meinung, es widerspreche dem Gleichheitsgrund-
satz, die erheblichen Belastungen, die mit der Aufrechterhaltung von Betriebskrankenkassen
verbunden sind, allein dem Unternehmer aufzubürden und diesem jeden entscheidenden
Einfluß auf die Höhe der Belastungen zu verweigern.
Wie stehen Sie zu dieser Rechtsmeinung?
6. Die meisten der zehn seit Jahrzehnten unverändert existierenden Betriebskrankenkassen sind
in ehemals verstaatlichten Betrieben eingerichtet.
Wie läßt sich jetzt nach erfolgter Privatisierung der Aufwand der die Betriebskrankenkassen
gegenüber den Eigentümern begründen?
7. Die Verpflichtungen eines Unternehmers gegenüber einer Betriebskrankenkasse erhöhen
seinen Personalaufwand im Vergleich mit ausländischen Konkurrenten erheblich.
Wie begründen Sie aus österreichischer Sicht in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten und
zunehmender Arbeitslosigkeit diese Wettbewerbsverzerrung?
8. Durch die Verpflichtungen des Unternehmers gegenüber den Betriebskrankenkassen
würden, so namhafte Juristen, das verfassungsmäßig garantierte Eigentumsrecht und die
ebenfalls verfassungsmäßig gewährleistete Freiheit der Erwerbsbetätigung massiv verletzt.
Sehen Sie dies anders?
Wenn ja, wie begründen Sie Ihre Rechtsmeinung?
9. Ein Eingriff in Eigentumsrechte wird nach der jüngeren Judikatur des Verfassungsgerichts-
hofes nur dann akzeptiert, wenn "Allgemeininteresse" vorliegt.
Sehen Sie in der Aufrechterhaltung der Betriebskrankenkassen ein Allgemeininteresse?