4676/J XX.GP
der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Abschiebung von Kosovo - Albanern
Wer wegen der aktuellen Bedrohung an Leib und Leben, aus Furcht vor ethnischen
Säuberungen, Vergewaltigungen und Folter aus der von Serben regierten
Krisenregion Kosovo oder einem anderen politischen Krisengebiet nach meist
abenteuerlicher Reise per Bahn, Schiff, Flugzeug oder Bus in Österreich gelandet
ist, sollte sich noch nicht in Sicherheit wähnen. Die meisten Flüchtlinge müssen
kennenlernen, was Schubhaft und Abschiebung ist.
Gerade in letzter Zeit haben aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen
vermehrt Kosovo - Albaner in Österreich um Asyl angesucht, da sie in ihrem
Heimatland brutal verfolgt werden. Im Fall der Kosovo - Albaner sind die
Asylbehörden derzeit eher der Ansicht, daß diese Verfolgten keine Flüchtlinge im
Sinne der Genfer Konvention seien. Das geht so weit, daß laut Berichten von
FlüchtlingsbetreuerInnen Beamte der Bundesasylbehörde Flüchtlingen aus dem
Kosovo vorschlagen, ihre Heimat zu verlassen und sich in der jugoslawischen
Teilrepublik Crna Gora/Montenegro anzusiedeln. Der Zynismus mancher
Bescheidbegründungen ist kaum zu überbieten:
In einem Asylbescheid vom 6.5.1998 betreffend einen Kosovo - Albaner heißt es:
“Dieser Übergriff durch die Polizei ist für Sie sicherlich furchtbar gewesen,
doch darf seitens der Asylbehörde auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß
es sich hiebei um eine zwar schärfstens zu verurteilende, aber leider
allgemein übliche Vorgangsweise handelt (...)"
Aus einem Asylbescheid vom 22.5.1998 betreffend einen Kosovo - Albaner, dessen
Schwager und der Vater des Schwagers bei dem Massaker an ethnischen
Albanern in Likoshan ermordet wurden (dieses Massaker wurde von der
schweizerischen
Flüchtlingshilfe dokumentiert):
“Soweit Sie vorbringen, in Ihrem Heimatland von der dort herrschenden
bürgerkriegsähnlichen Situation betroffen zu sein, So ist dies allein nicht als
geeignet anzusehen, das Vorliegen begründeter Furcht vor Verfolgung im
Sinne der Genfer Konvention glaubhaft zu machen, weil den aus solchen
Verhältnissen resultierenden Benachteiligungen sämtliche dort lebende
Bewohner ausgesetzt sind und solche Verhältnisse daher nicht als konkrete,
individuell gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgungshandlungen
eingestuft werden können.
(...)
Die allgemeine Lage ist zwar angespannt, und es kommt immer wieder zu
Übergriffen und Kampfhandlungen. Diese Ereignisse haben jedoch noch
nicht ein solches Ausmaß erreicht, daß etwa jeder Kosovo - Albaner mit einem
hohen Maß an Wahrscheinlichkeit in seiner physischen Existenz, seiner
körperlichen Unversehrtheit und seiner persönlichen Freiheit aktuell bedroht
wäre, wie dies etwa in Zeiten einer völligen Anarchie der Fall wäre. Es kann
daher davon ausgegangen werden, daß Sie konkret keine Bedrohung im
Sinne des § 57 FrG zu gewärtigen hätten.”
Mit der gleichen Begründung wurde der Asylantrag eines Kosovo - Albaners,
dessen Kind zwischen 5. und 7.3.1998 ermordet wurde, abgelehnt und gleichzeitig
festgestellt, daß eine Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat (!)
zulässig sei.
Aus einem weiteren ablehnenden Asylbescheid betreffend einen Kosovo - Albaner
vom 2.6.1998:
"Wenn jedoch, wie Sie selbst behaupten, Ihr Vater ein Offizier der UCK sein
sollte, so ist nicht anzunehmen, daß sich die Polizei bei der Gewinnung
wichtiger Erkenntnisse über einen Offizier der UCK im Verhör nur auf Schreien
beschränken sollte. Viel eher wäre es wahrscheinlich, daß Sie geschlagen
oder auch auf sonstige Weise mißhandelt worden wären. Die Tatsache, daß
Sie jedoch nur durch Schreien in Angst versetzt” worden sein sollen, weist viel
eher darauf hin, daß die Polizei an der Befragung Ihrer Person gar kein so
großes Interesse hatte. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, daß
die Polizei Sie wieder freigelassen hat und Ihnen nur auftrug, sich in zwei
Tagen wieder zu melden.
(...)
Auch zu den weiteren Fragen, wozu man einen Offizier brauche bzw. ob Sie
noch etwas über die UCK wissen, erklären Sie lediglich, Sie wüßten nichts.
Bei Betrachtung des gesamten Verlaufes der Befragung konnte die Behörde
daher
nicht umhin festzustellen, daß der Asylwerber am Verfahrensablauf
mangeln des Interesse zeigte und an der Sachverhaltsfeststellung nicht im
nötigen Maß mitwirkte.
(...)
Aufgrund der Mißbräuchlichkeit Ihrer Asylantragstellung bzw. der Tatsache,
daß die Behauptung, in Ihrem Heimatland Verfolgung befürchten zu müssen,
jeder Grundlage entbehrt, ist auch das Vorliegen stichhaltiger Gründe für die
Annahme, daß Sie im Falle der Zurückweisung, Zurück - oder Abschiebung
einer Gefahr im Sinne obzitierter Gesetzesstelle ausgesetzt sind,
auszuschließen.
Am 6.7.1998 wurde eine dreiköpfige Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo, bestehend
aus einer schwangeren Frau, einem verletzten Mann und einem dreijährigen
Kleinkind, am Grenzübergang Nickelsdorf den ungarischen Behörden übergeben.
Die Flüchtlingsfamilie war im April aus dem Kosovo geflüchtet und fand in Zwettl bei
einem in Österreich legal ansässigen Verwandten Unterkunft. Der Familienvater
hatte sich bei der Flucht den Oberschenkel gebrochen. Der Asylantrag wurde unter
Berufung auf die sogenannte Drittlandsicherheit abgelehnt (siehe APA - Meldung
vom 6.7.1998).
Mit Stichtag 15.6.1998 befanden sich im Polizeigefangenenhaus Salzburg 36
Kosovo - Albaner in Schubhaft. Weitere sind bereits vorher nach Ungarn
abgeschoben worden.
Die Spruchpraxis der Bundesasylbehörden in den einzelnen Ländern ist
vollkommen unterschiedlich, so werden Asylanträge von der Asylbehörde im
Burgenland grundsätzlich gemäß § 4 Asylgesetz wegen Drittstaatsicherheit
abgelehnt. In Traiskirchen, Wien und Salzburg wurde bei einigen Anträgen
festgestellt, daß die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den
Herkunftsstaat unzulässig sei (§ 8 Asylgesetz). In Salzburg und in Traiskirchen
wurde in einigen Fällen Asyl gewährt.
Die uneinheitliche Spruchpraxis beklagt auch der steirische Rechtsanwalt Marc
Oliver Stenitzer. So wurde von vier Flüchtlingen aus dem Kosovo einem Ehepaar in
zweiter Instanz (UBAS) Asyl gewährt, während die Anträge von Herrn M. B. aus
Pristina und Frau S.S. aus dem Kampfgebiet von Drenica - die Frau wurde nach
ihren Angaben vergewaltigt - abgelehnt wurden. Herr B. befindet sich in Klagenfurt
in Schubhaft und Frau 5. steht praktisch unter Hausarrest, obwohl bereits eine
Beschwerde an den VwGH eingebracht wurde. Die beiden Flüchtlinge sollen nach
Ungarn abgeschoben werden. Der RA Stenitzer kommentiert die unterschiedliche
Spruchpraxis der selben Behörde bei völlig identischem Sachverhalt so: “Ihr Pech
war, daß sie einen anderen Anfangsbuchstaben haben und daher anderen
Sachbearbeitern zu gewiesen wurden. (...) Es kann doch nicht sein, daß das
Schicksal eines Menschen in Österreich vom Anfangsbuchstaben seines
Familiennamens abhängt. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Rechtssicherheit
und
Rechtsgleichheit in unserem Land”.
Herr B. und Frau S. waren nach Österreich zu den hier lebenden Verwandten
geflüchtet. Wie diese beiden Personen flüchten derzeit viele Albaner aus dem
Kosovo zu ihren Verwandten nach Österreich.
Die Schweiz schiebt jedenfalls bis Ende Juli keine abgewiesenen Asylwerber in den
Kosovo ab (APA - Meldung vom 12.6.1998). Mehrere Bundesländer in Deutschland -
vor allem die SPD - regierten - schicken derzeit keine Asylsuchenden in die von
Serben regierte Krisenregion Kosovo zurück (APA - Meldung vom 11.3.1998).
UNHCR, Caritas, die Asylkoordination, Amnesty International und weitere
Organisationen fordern mit Vehemenz, Kosovo - Albaner weder nach Ungarn noch
nach Jugoslawien ab - oder zurückzuschieben.
Der UNHCR und Flüchtlingshilfsorganisationen haben schon vor Monaten
festgestellt, daß sich die aus dem Kosovo notorisch bekannten Formen der
Unterdrückung und der Menschenrechtsverletzungen - willkürliche Maßnahmen,
Vorladungen, Kontrollen, Mißhandlungen, usw. - insgesamt gehäuft und intensiviert
haben, bedingt zum Teil durch die massiv gesteigerte Polizei - und Militärpräsenz.
Aufgefallen ist weiters, daß auch die Übergriffe serbischer Zivilisten gegen Kosovo -
Albaner stark zugenommen haben, die Opfer jedoch keinen staatlichen Schutz
erwarten können.
Es ist daher zu begrüßen, daß laut Innenminister Mag. Schlögl vorerst keine
Flüchtlinge aus dem Kosovo direkt nach Jugoslawien ab- bzw. zurückgeschoben
werden. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, daß laut Auskunft von
Caritas - Betreuern zuständige Beamte erklärt haben, auch weiterhin die Ausstellung
von Heimreisezertifikaten anzustreben und vorzubereiten.
Laut Innenministerium werden aber sehr wohl albanische Flüchtlinge aus dem
Kosovo nach Ungarn ab - bzw. zurückgeschoben. Laut UNHCR kann Ungarn nicht
als verfolgungssicher angesehen werden. Die Caritas und etliche
Menschenrechtsorganisationen behaupten, daß es in Ungarn kaum Chancen auf
ein faires Asylverfahren gibt und daß aus Österreich abgeschobene Kosovo -
Flüchtlinge Gefahr laufen, von Ungarn unmittelbar nach Jugoslawien
weitergeschoben zu werden. Amnesty International hat gestern einen
dokumentierten Fall vorgelegt, der die umgehende Weiterschiebung von Kosovo -
Albanern in den Verfolgerstaat durch Ungarn beweist und damit die Behauptung
des Innenministeriums, eine Abschiebung aus Österreich nach Ungarn sei
zulässig, weil Ungarn ein sicheres Drittland sei, als falsche Schutzbehauptung
entlarvt. (APA - Meldung vom 7.7.1998).
Laut Amnesty International ist der Kosovo - Albaner 1.1. im März dieses Jahres
gemeinsam mit seiner Schwester und drei weiteren Kosovo - Albanern über Ungarn
nach Österreich geflüchtet. Von einem Dolmetscher der Grenzbehörden hätte er
erfahren, daß er keinen Asylantrag stellen könne. Zurück in Ungarn wurde ein
Aufenthaltsverbot bis 2001 in seinen Paß gestempelt. In einer Kaserne in Györ
wurden
Daten und Fingerabdrücke aufgenommen. Noch am selben Tage sei er in
Handschellen der serbischen Polizei übergeben worden. In einem
Gedächtnisprotokoll, das Amnesty International vorliegt, berichtet 1. von schweren
Mißhandlungen seitens der jugoslawischen Behörden: "Die drei (Polizisten)
traktierten uns zuerst mit den Fäusten, danach schlugen sie uns mit
Lederschläuchen, die mit Sand gefüllt waren. Ich wurde mehrmals bewußtlos, sie
"weckten" mich mit Wasser wieder auf. Sie beschimpften und demütigten uns auf
die gemeinste Weise. Nachdem sie uns zusammengeschlagen hatten, gingen sie
zu den beiden anderen und wir hörten sie dasselbe tun, wie bei uns. " Dem
Betroffenen ist inzwischen erneut die Flucht geglückt.
Die von Österreich ab -, zurückgeschobenen bzw. zurückgewiesenen Flüchtlinge
werden von den ungarischen Beamten an der Grenze entgegengenommen und
umgehend in Auffanglager gebracht, unter anderem ins Lager Györ.
Im Auffanglager in Györ herrschen katastrophale Verhältnisse, wie aus einem
Augenscheinbericht von Eva Menasse hervorgeht (siehe Beilage). Das
Auffanglager ist in einer desolaten, stillgelegten Kaserne untergebracht. Zum
Besichtigungszeitpunkt befanden sich in dem Lager 114 Erwachsene und 13 kleine
Kinder. Das bedeutet ein ca. 100 %igen Überbelag, wie vom Lagerleiter bestätigt
wurde. Von Jänner bis Ende Mai 1998 sind insgesamt 1.716 Menschen in diesem
Lager untergebracht worden. Ca 700 kamen direkt aus Österreich. Bei dem “‚Lager”
handelt es sich um einen vergitterten Korridor mit ein paar Schlafsälen. Die
Toiletten sind unbenützbar, verstopft und die Tür nicht verschließbar. Die
Installateure aus Györ haben sich geweigert, die sanitären Anlagen zu reparieren.
Die Schlafsäle sind derart überfüllt, daß sich immer sechs Menschen zwei
aneinandergeschobene Stockbetten teilen müssen. Männer, Frauen und Kinder
liegen durcheinander. Wenn sich die Frauen duschen wollen, hält angeblich ein
Soldat vor der Tür Wache, da die nicht abschließbar ist. Den Bewohnern fehlt jede
Information. Bei vielen handelt es sich um Kosovo - Albaner (siehe Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 30.5.1998, Seite 33, und Standard vom 27.5.1998, Seite
33).
Ungarn ist aufgrund der Zurückschiebung von zahlreichen Personen durch die
österreichischen Behörden restlos überfordert, wie das Auffanglager in Györ zeigt.
Innenminister Schlögl redet von einer gerechten Lastenverteilung, die auf EU -
Ebene durchaus zu begrüßen wäre, er meint dabei aber offensichtlich die
Abschiebung von "Lasten” (= Menschen und Verantwortung) nach Ungarn.
Spätestens seit den Berichten in den Zeitungen und im ORF über die Zustände des
Auffanglagers in Györ muß auch der Innenminister darüber Bescheid wissen. Der
Innenminister macht sich daher an der unmenschlichen und erniedrigenden
Behandlung von Personen, die nach der Zurückschiebung bzw. Abschiebung
durch Österreich nach Ungarn in diesem Auffanglager untergebracht werden,
mitverantwortlich.
Die angeführten Umstände reichen aus, um einen sofortigen und absoluten
Abschiebestopp
für Kosovoalbaner zu verfügen. Wie dargelegt, ist auch eine
Abschiebung nach Ungarn weder rechtlich noch moralisch zulässig, weil Ungarn
offenkundig kein sicheres Drittland ist. Aus all diesen Gründen steilen die
unterfertigten Abgeordneten folgende
ANFRAGE:
1. Wieviele Kosovo - Albaner wurden im Jahr 1998 nach Jugoslawien ab - bzw.
zurückgeschoben?
2. Wieviele Kosovo - Albaner wurden im Jahr 1998 nach Ungarn ab - bzw.
zurückgeschoben bzw. zurückgewiesen?
3. Wie rechtfertigen Sie eine Ab -, Zurückschiebung bzw. Zurückweisung von
Kosovo - Albanern und anderen Flüchtlingen nach Ungarn, zumal vom UNHCR
festgestellt wurde, daß Ungarn kein sicheres Drittland sei und dokumentiert
ist, daß Flüchtlinge in Verfolgerstaaten weitergeschoben werden?
4. Wie rechtfertigen Sie eine Ab -, Zurückschiebung bzw. Zurückweisung von
Kosovo - Albanern und anderen Flüchtlingen nach Ungarn, obwohl bekannt ist,
daß diese Personen im Auffanglager in Györ unter katastrophalen
Verhältnissen (siehe beiliegender Artikel von Eva Menasse in der FAZ vom
30.5.1998, Nr. 124) untergebracht werden?
5. Kann bei einer Unterbringung von Personen unter den unmenschlichen und
erniedrigenden Zuständen wie in Györ überhaupt von einem sicheren
Drittland gesprochen werden?
6. Werden Sie dafür sorgen, daß keine Personen mehr nach Ungarn ab - bzw.
zurückgeschoben werden, solange damit zu rechnen ist, daß sie im
Auffanglager von Györ und ähnlichen “Lagern” untergebracht werden?
7. Wie rechtfertigen Sie die Entscheidungen des Bundesasylsenates, wonach
Übergriffe und Kampfhandlungen im Kosovo noch nicht ein solches Ausmaß
erreicht hätten, daß jeder Kosovo - Albaner mit einem hohen Maß an
Wahrscheinlichkeit in seiner körperlichen Unversehrtheit und seiner
persönlichen Freiheit aktuell bedroht wäre, wie dies etwa in Zeiten völliger
Anarchie der Fall wäre und daher eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder
Abschiebung zulässig sei?
8. Wie rechtfertigen Sie die unterschiedliche Spruchpraxis der Behörden des
Bundesasylamtes in den einzelnen Bundesländern - im Burgenland werden
z.B. generell Asylanträge wegen Drittstaatsicherheit abgelehnt?
9. Teilen Sie die Meinung, daß unter den derzeitigen Verhältnissen Albaner aus
dem
Kosovo im Sinne des § 57 FrG nicht nach Jugoslawien zurückgewiesen,
zurückgeschoben oder abgeschoben werden dürfen? Wenn ja, werden Sie
eine entsprechende Weisung erteilen?
10. Ist es richtig, daß Ihnen von Amnesty International ein Fall vorgelegt wurde,
wonach ein Kosovo - Albaner von Ungarn nach Jugoslawien weitergeschickt
wurde?
11. Werden Sie in diesem Zusammenhang Ihre Haltung betreffend die
Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von Kosovo - Albanern
nach Ungarn bzw. in ein anderes Drittland ändern? Wenn nein, warum nicht?
12. Werden Sie dafür eintreten, daß Kosovo - Albanern, die aufgrund der
kriegerischen Auseinandersetzungen nach Österreich flüchten, ein
vorübergehendes
Aufenthaltsrecht erhalten?
Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.05.98, Nr. 124, s. 33
An Europas Staustufe
Ungarns Auffanglager lassen ihren Insassen keine Hoffnung
GYÖR, Ende Mai
Betroffenheit, so heißt es, sei keine journalistische Kategorie.
Doch in Györ, fünfzig Kilometer hinter der
österreichisch - ungarischen Grenze, nur eineinhalb Stunden Fahrt
entfernt von Wien, endet abrupt jeder professionelle Dünkel, weil
dort das Ende von Europa ist.
In Györ kaufen die Österreicher am Samstag ihre
Grundnahrungsmittel, dort gehen sie billig zum Zahnarzt und zum
Friseur, dort lassen sie sich im Gasthaus das Prassen schmecken.
Dafür stellen sie sich stundenlang in ihren Autos an der Grenze an,
freiwillig, wenn schon nicht gern. Aber in Györ, diesem schmucken
Städtchen, spart auch, neben den Österreichern, ganz Europa. In
einer desolaten, stillgelegten Kaserne ist ein Auffanglager
untergebracht, für solche, die an der Schengener Außengrenze
abgeglitten sind wie Schwimmer an der Bordwand eines Tankers.
Ein Gitter, dahinter ein schmaler Gang. Eine Handvoll Schlafsäle,
vollgestellt mit Stockbetten, ohne Zwischenraum. Oben und unten also
eine lange Liegefläche, jeder Raum eine zweistöckige Schachtel, in
der Menschen durcheinanderkriechen: Männer, Frauen und Kinder -
Trennung sei nicht möglich, heißt es. Zwei Matratzen für drei
Personen, einer liegt immer auf dem Spalt. Von der brüchigen
Schaumgummiunterlage hängt in Fetzen der einstige Überzug. Alle
Fenster stehen offen, keine ungeputzte Scheibe schmälert den Blick
auf die Gitter. Der Geruch ist trotzdem unbeschreiblich. Den Winter
will man sich nicht vorstellen.
Dieses Lager wurde eingerichtet, nachdem der Eiserne Vorhang
gefallen war. Der Flüchtlingsstrom schwoll schon deshalb beständig
an, weil die neue Mauer auf der anderen Seite immer höher wurde.
Inzwischen gleicht der Zustrom einer Springflut, die dort am
höchsten schäumt, wo sie ein Hindernis findet. Seit Januar sind hier
Menschen aus zweiundvierzig Nationen durchgekommen. Derzeitiger
Stand: Einhundertvierzehn Erwachsene, dreizehn Kinder. Das sind etwa
fünfzig Prozent Überbelegung, wie der Lagerleiter, ein ungarischer
Oberleutnant, mitteilt. Die meisten Kinder sind noch klein. Viele
Erwachsene streichen ihnen wie automatisch über den Kopf.
Die Überbelegung ist eine Folge des Schengener Abkommens, das in
Österreich seit dem 1. April in Kraft ist. In einem Vertrag mit der
Regierung in Budapest wurde schon vorher festgelegt, unter welchen
Umständen Österreich Menschen nach Ungarn zurückweisen kann. Seit
Januar sind 1716 Menschen in dieses Lager gebracht worden. Rund
siebenhundert waren solche Zurückgewiesenen. Der Oberleutnant findet
die Frage, ob sich wegen Schengen die Situation verschärft habe,
sichtlich überflüssig. Geduldig bejaht er sie trotzdem.
Aus österreichischer Sicht bedeutet das aber, daß dieser Vertrag
und der starke Grenzschutz sich bewähren. Aus EU - Sicht bedeutet es
dasselbe. Die einen drinnen, die anderen draußen. Das ist wohl der
Grund, warum die Ungarn dieses Lager, das vielmehr ein Stall ist,
nun zugänglich gemacht haben. Warum sollen ausgerechnet sie für
geordnete Verhältnisse sorgen?
Die Sanitäranlagen entsprechen dem Geruch. Sie nehmen einem mit dem
Atem jedes Vertrauen in zivilisatorische Mindeststandards. Gleich
hinter der Tür liegt ein hüfthoher Abfallberg. Die Pissoirs sind
verstopft, die Türen nicht verschließbar. Wenn Frauen duschen,
beteuert der Lagerleiter, stehe ein Soldat vor der Tur Wache. Die
Installateure aus Györ, bisher hier regelmäßig beschäftigt, haben
sich kürzlich geweigert, wiederzukommen. Erst müsse geputzt werden,
haben sie verlangt. Es ist ihnen nicht zu verargen.
Früher sei alles besser gewesen, sagt der Leiter, da habe es hier
noch
Rekruten gegeben, denen man das Toilettenputzen befehlen
konnte. Nun sollen es die Flüchtlinge selbst tun, aber sie täten es
nun mal nicht. Er zuckt die Schultern. Ein Gedankenspiel: Gelänge es
114 mitteleuropäischen Bankdirektoren, Akademikern und Politikern,
auf diese Weise eingepfercht und sich selbst überlassen, sauberer zu
bleiben?
Eine österreichische Delegation von Flüchtlingshelfern ist
eingetroffen. In Trauben umringen die Menschen die jeweiligen
Dolmetscher. Die meisten der Flüchtlinge sind noch überrascht und
entsetzt, denn sie sind erst wenige Tage oder Wochen hier. Doch
wurden einzelne angetroffen, die ihren Aufenthalt bereits in Jahren
messen.
Moslems erzählen, daß sie tagelang nichts essen können, denn es
gebe nur Schweinefleisch. Der Lagerleiter bestätigt das bedauernd
mit dem aufschlußreichen Satz, man bemühe sich im Rahmen der
Möglichkeiten. Dasselbe gilt für den Zustand der Bauten, ja für
alles hier. Vor wenigen Tagen erst habe er an geeigneter Stelle
dagegen protestiert, daß Familien mit Kindern so lange hierbleiben
müssen.
Es ist unangenehm in diesem Lager. Man wird umringt, fast bedrängt,
einfach aus Platzmangel. Jeder will, daß ihm geholfen wird. Einige
haben resigniert, auf die äußerste Weise, in der jemand, der sich
zur Flucht durch viele Länder entschlossen hat, resignieren kann:
Sie wollen wieder nach Hause. Und daß nicht einmal das sofort
möglich ist, macht sie halb wahnsinnig.
Den Bewohnern fehlt jede Information. Sie wissen nicht, wie ihnen
geschieht. Manche habe einen Asylantrag gestellt, andere nicht,
viele haben keine Papiere. Die Geschichten sind immer dieselben, die
Verteilung der Nationalitäten ist einschlägig. Viele Kosovo - Albaner,
die meisten junge Burschen. Viele Algerier, darunter viele junge
Frauen. Viele Männer aus Schwarzafrika, Burundi, Ruanda, Sierra
Leone. Afghanen, Tschetschenen, Perser.
Die Zielländer sind immer dieselben: Deutschland, Österreich. Sie
denken, dort sei das Paradies. Sie glauben, wenn sie erst dort
wären, wurde der Rest sich regeln. Unter den Umständen, unter denen
man sie hier antrifft, ist es obszön, ihnen die Wahrheit zu sagen.
Anderen, in Flüchtlingslagern, die diesen Namen zumindest verdienen,
die nicht so sind wie dieser Stall in Györ, sagt man die Wahrheit
leichter: Ihr habt falsche Vorstellungen und keine Chance.
Sie wollen es nicht glauben und warten. Sie warten auf eine
Änderung ihrer Verhältnisse oder auf eine Möglichkeit zur Flucht.
Die zu bewerkstelligen ist nicht schwer. In diesem Lager in Györ
haben die, die sich unverdächtig benehmen, tagsüber Ausgang,
Ausdruck der Ratlosigkeit der ungarischen Behörden. Jeder, der nicht
wiederkommt, ist auch ein Problem weniger. Entweder wird er woanders
aufgegriffen, kommt in ein anderes Lager. Oder er schafft es nach
Österreich, nach Deutschland, bis er dort erwischt wird und
zurückgeschickt nach Ungarn. Vielleicht. Vielleicht auch anders. Ein
Pingpong - Spiel mit Menschen. Eine Lösung ist es nicht.
"Heirate mich”, sagt ein junger Algerier aus dem Dunkel seines
beschämenden Bettes herauf, “heirate mich und nimm mich mit nach
Österreich.” Dann lacht er hysterisch. EVA MENASSE
Ungarn