4886/J XX.GP
Dringliche Anfrage
(gem. § 93 Abs. 2 GOG)
der Abgeordneten Heide Schmidt, Helmut Peter, Volker Kier und PartnerInnen
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend überfällige Trendwende bei der Abgabenquote
Die Regierung befindet sich hinsichtlich ihrer Budget - und Steuerpolitik in einer
Doppelmühle:
Die Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts und des Instituts für höhere Studien
sind sich einig, daß das für nächstes Jahr angepeilte Budgetdefizit von 2,6 % des
BIP angesichts der guten Konjunktur zu hoch ist. Das Defizit darf höchstens bei 1 bis
1,5 % zu liegen kommen, um den Spielraum zu erhalten, der in einer
Abschwungphase den Erhalt des Stabilitätskriteriums von 3,0 % des BIP absichert.
Übereinstimmend kommen die OECD und das Europäische Währungsinstitut (EWI)
aber auch die Österreichische Nationalbank zu dem Schluß, daß auf längere Sicht
eine nachhaltige Konsolidierung erreicht werden muß, um das strukturelle Defizit zu
senken und die Stabilitätskriterien dauerhaft zu erfüllen. Zahlreiche Maßnahmen, die
zu den bisherigen Erfolgen bei der Konsolidierung beigetragen haben, waren
sogenannte Einmalmaßnahmen, deren Auslaufen bereits beschlossen ist, wie etwa
die Sistierung von Freibetragsbescheiden, deren Ersatz durch nachhaltige
Maßnahmen aber nicht erfolgt.
Gleichzeitig weist Österreich mit 45,7 % des BIP eine der höchsten Steuer - und
Abgabenquoten in der EU auf. Das Europäische Währungsinstitut stellt in seinem
Konvergenzbericht dazu fest, daß diese bereits jetzt ein Niveau erreicht hat, das dem
Wirtschaftswachstum schadet.
Der einzige Weg zur Einleitung einer Trendwende bei der Abgabenquote führt über
nachhaltige Strukturreformen bei
gleichzeitiger Senkung der Steuern und Abgaben.
Die Notwendigkeit einer Tarifreform als Kernstück einer umfassenden Steuerreform
ist evident: Seit 1990 stiegen allein die Einnahmen aus der Lohnsteuer von 105,5
Mrd. S auf 198 Mrd. S, das ist eine Steigerung von 88 % nominell, während die
Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum nominell um 38 % wuchs. Das massive
Anwachsen der Steuerleistungen aus der Lohnsteuer stellt gleichzeitig einen
substantiellen Kaufkraftverlust dar, der sich nachteilig auf die Inlandsnachfrage und
damit auf einen wichtigen Pfeiler des Wirtschaftswachstums auswirkt.
Die Regierung hat einerseits mit den Sparpaketen 1 und II sowie mit der Untätigkeit
im Bereich der Anpassung der Auswirkungen der kalten Progression Belastungen für
alle Bevölkerungsgruppen realisiert, um den Konsolidierungsbedarf kassamäßig
darstellen zu können. Sie ist aber Konzepte schuldig geblieben, die andererseits den
Druck auf die Konsolidierung ausgabenseitig vermindern.
Die Geschichte der Mißerfolge im Bereich der Einsparungen und des Rückbaus des
Staates ist lang. Ein systematisches Hinterfragen, welche Aufgaben grundsätzlich
vom Staat zu erfüllen sind bzw. welche Aufgaben unter den Überlegungen der
Sparsamkeit, der Effizienz und der Produktivität von Privaten erfüllt werden können,
ist unterblieben. Selbst die zeitweise Existenz eines eigenen Ministeriums hat daran
nichts geändert. Trotz der Ankündigungen der Regierung, die Kosten für die
Verwaltung des Staates jedenfalls nicht weiter steigen zu lassen, betragen die
Ausgaben allein für die Personalkosten des Bundes mittlerweile rund 230 Mrd. S, das
ist bereits ein Drittel aller Ausgaben des Bundes. Eine Trendwende ist entgegen der
politischen Aussagen der Regierungsparteien nicht in Sicht - vielmehr sind im Jahr
1997 die Personalausgaben wiederum gestiegen.
Es geht aber nicht nur um die nachhaltige Senkung des Gesamtaufwandes für die
öffentlich Bediensteten, sondern auch um einen grundsätzlich anderen Zugang zur
öffentlichen Verwaltung, mit anderen Worten um eine völlige Neuausrichtung der
staatlichen Aufgabenerfüllung. Ein immer größer werdender Verwaltungsapparat will
beschäftigt werden: Nach einer Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts
beträgt alleine das Transfervolumen zwischen den Gebietskörperschaften bereits an
die 300 Mrd. S. Eine Neuorganisation dieser
Finanzierungsströme könnte nicht nur
substantielle Einsparvolumina beim Verwaltungsaufwand bringen, sondern auch die
(Kosten - ) Transparenz beträchtlich erhöhen.
Auch der kosten - und personalintensive Aufbau und Erhalt von Parallelstrukturen bei
den Sozialversicherungsträgern und den Finanzverwaltungsbehörden erzeugt
Reibungsverluste. Aufgrund der chaotischen Bestimmungen - als Ergebnis einer
übereilten und in den Auswirkungen nicht bedachten Anlaßgesetzgebung - im
Bereich der Werkvertragsregelung müssen sich diese Behörden gegenseitig in
aufwendigen Datenabgleichverfahren informieren. Unter dem Gesichtspunkt der
Kosteneinsparung und der Senkung der Staatsausgaben muß überlegt werden,
solche Aufgaben und Funktionen oder zumindest Teile davon in einer Hand zu
vereinen. Ein “windfall profit” dieser Reform wäre - konsequent und tabulos realisiert -
der Ersatz einer Vielzahl von Einzelprüfungen (Lohnsteuerprüfung,
Umsatzsteuerprüfung, Sozialversicherungsprüfung, etc.) durch einen einzigen
Prüfvorgang hinsichtlich der Steuern und Abgaben in den Unternehmen. Die
Bundesregierung hat aber nicht einmal ansatzweise Konzepte vorgelegt, welche
nach einer Analyse des Ist - Zustandes die sparsamsten und ökonomisch sinnvollsten
Erhebungsformen analysieren, beziehungsweise Vorschläge enthalten, wie und in
welchem Zeithorizont solche Reformen umsetzbar sind.
Nicht nur die Öffentliche Verwaltung selbst weist eine Tendenz auf, sich selbst in
immer intransparenter werdenden Vorschriften, Erlässen und Verordnungen
Handlungsanweisungen zu geben, deren Sinnhaftigkeit nicht abklärbar ist, sondern
es werden auch immer öfter Verwaltungsaufgaben und damit Kosten auf den
exponierten Sektor überwälzt. So wurde beispielsweise die Einhebung der
Krankenscheingebühr auf die Unternehmensebene verlagert. Die Meldepflichten an
das Österreichische statistische Zentralamt werden immer weiter ausgeweitet, in
Kürze sind weitere Meldevorschriften im Zusammenhang mit dem Eintritt in die dritte
Stufe des EURO zu erwarten. Dieser Zustand bleibt solange erhalten als die
rechtlichen Rahmenbedingungen das Statistische Zentralamt bei der Erhebung der
Daten mit Methoden der Buchhaltung arbeiten lassen statt mit Methoden der
modernen Datenerhebung nach den Grundsätzen der Stichproben und
Hochrechnungen. Durch immer kompliziertere Vorschriften bei der Einhebung von
Steuern und Sozialversicherungsabgaben
betragen die Kosten für die
Lohnverrechnung in den österreichischen Unternehmen nach konservativen
Schätzungen bereits 5 Mrd. S.
Obwohl die Bundesregierung immer wieder ankündigt, während der EU -
Ratspräsidentschaft Fortschritte im Bereich der Steuerharmonisierung erzielen zu
wollen, bleibt sie entsprechende Aktivitäten weitgehend schuldig: Besonders wichtig
und dringend wäre die Umstellung im Bereich der Umsatzsteuer auf das
Ursprungslandprinzip, das dem Funktionieren des Binnenmarktes auch erheblich
besser entspricht. Das weitere Beibehalten des Bestimmungslandprinzips belastet
alle exportorientierten Unternehmen durch ein aufwendiges Berichtssystem sowie
einen ausufernden Steuerberatungsaufwand in den Zielländern des Exports.
Schließlich wurden in den letzten Jahren zahlreiche Regierungsvorlagen
verabschiedet, die dazu beitragen, den exponierten Sektor mit zusätzlichen
administrativen Hürden und Kosten zu belasten. So hat beispielsweise die
neugeschaffene Werkvertragsregelung nicht nur einen enormen zusätzlichen
Verwaltungsaufwand in den Unternehmungen erzeugt, sondern sie steht von ihrer
Zielsetzung der oft angekündigten JungunternehmerInnen-Offensive diametral
entgegen. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz steht als Paradebeispiel für die
Erzeugung von Mehraufwand für und in den Unternehmen und letztlich hat die
Regierung auch versäumt, evidente Behinderungen für unternehmerische Tätigkeit
zu beseitigen, wie im Fall des Anlagenrechts anläßlich der "Reform" der
Gewerbeordnung.
Es kann aber weder eine echte Entlastung durch eine tiefgreifende Steuerreform
noch eine Trendwende bei der Abgabenquote geben, wenn die Kosten - und
Ausgabenstruktur der öffentlichen Verwaltung nicht von Grund auf “abgeschlankt"
wird. Dabei geht es
• einerseits um die politische Definition der Kernkompetenzen des Staates
• und andererseits damit untrennbar verbunden, um den Mitteleinsatz im Verhältnis
zur Erfüllung dieser Aufgaben, also um die Berücksichtigung der Kosten
staatlicher Aufgabenerfüllung.
Die hohe Belastung des Faktors Arbeit und die Abgabenquote erfordern dringenden
Handlungsbedarf. Österreich ist mit dem Niveau der steuerlichen Belastung des
Faktors Arbeit an einen Plafond gestoßen, der nicht weiter nach oben ausdehnbar
ist, und bereits negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die internationale
Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes nach sich zieht.
Die OECD stellt in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht über Österreich fest, daß die
Verteilungsgerechtigkeit des Steuersystems dringend verbesserungsbedürftig ist.
Eine der Hauptursachen für die Verschleierung des tatsächlich zur Anwendung
kommenden Tarifs - so die OECD - sei die faktische Steuerfreiheit der "13.und 14.
Monatsbezüge" ohne Berücksichtigung der Einkommenshöhe. Dem
Vorstandsvorsitzenden einer Großbank wird nach der derzeitigen Regelung also
dieselbe Steuerbegünstigung eingeräumt wie einem teilzeitbeschäftigten Büroboten.
Der Forderung des Liberalen Forums, die Grenzsteuersätze zu senken und
gleichzeitig die "13. und 14. Monatsbezüge" als Teil des gesamten
Jahreseinkommens mit dem zur Anwendung kommenden Tarif zu besteuern, kann
diese Kritik der OECD beseitigen. Durch die Entprivilegierung hoher Einkommen
steigt die vertikale Verteilungsgerechtigkeit des Steuersystems bei gleichzeitiger
Entlastung der unteren Einkommensgruppen.
Außerdem ist eine Rücknahme der geldwertbedingten Einnahmensteigerung längst
überfällig. Die Auswirkungen dieser kalten Progression müssen durch eine
Steuersenkung beseitigt werden. Der liberale Steuersenkungsvorschlag sieht dabei
folgendes vor:
Senkung der Steuersätze und zwar beim Spitzensteuersatz (50%) um ein Fünftel auf
40%, um ein Viertel von 42% auf 32%, um ein Drittel von 32% auf 22% und um die
Hälfte von 22% auf 10%, ein steuerfreier Sockel soll für Einkommen bis zu 15.000
Schilling brutto bestehen.
Der aktuelle Spielraum für eine Senkung der Tarife in der Lohn - und
Einkommensteuer wurde durch die sogenannte Reform der Familienbesteuerung
allerdings weitgehend verbraucht. Dabei wurde einmal mehr die Chance vertan, dem
Grundsatz der vertikalen
Verteilungsgerechtigkeit Rechnung zu tragen und die
vielfach angesprochene Treffsicherheit von Transferleistungen zu erhöhen. Statt
Transferzahlungen in Abhängigkeit des Einkommens zu gestalten, wurde wieder
nach dem Gießkannenprinzip verfahren. Das ist insbesondere im Bereich der
Transferzahlungen weder gerecht noch ohne weiteres Steigern der Abgabenquote
finanzierbar und steht überdies im Widerspruch zum Arbeitsübereinkommen der
Bundesregierung, in dem es heißt, daß die Treffsicherheit von Transferzahlungen
erhöht werden soll.
Die Vermutungen verdichten sich, daß es angesichts der anhaltenden
Reformunfähigkeit und des Politikstillstandes der Bundesregierung im Bereich des
Rückbaus des Staates und der Konzepte zu nachhaltigen Ausgabeneinsparungen
ein drittes Sparpaket geben wird. Bereits die Sparpakete I und II haben das
Gegenteil einer Tarifreform verwirklicht: Haben sie doch - entgegen gegenteiliger
Ankündigungen - zu zwei Drittel Steuer - und Abgabenerhöhungen und nur zu einem
Drittel Ausgabenkürzungen realisiert, welche wieder überwiegend durch
Transferkürzungen statt durch Kosteneinsparungen erzielt wurden.
Vor dem Hintergrund der historisch höchsten Abgabenquote dieser Republik, der
drohenden Fortsetzung der Belastungspolitik durch die Bundesregierung bei
gleichzeitigem Stillstand im Bereich des Rückbaus des Staates und der Gefahr, das
Stabilitätsziel bei einem Rückgang der Konjunktur nicht mehr zu erreichen, stellen die
unterfertigten Abgeordneten folgende
Dringliche Anfrage
1. Der von Ihnen vorgelegte Bundesvoranschlag für 1999 enthält gegenüber dem
Budgetprogramm der Bundesregierung 1996 - 2000 ein geplantes Nettodefizit
von 2,6 % gegenüber dem ursprünglich geplanten Defizit von 2,3%. Wie erklären
Sie diese Abweichung vor dem Hintergrund der aktuell günstigen Konjunkturlage?
2. Wie beurteilen Sie die Kritik der OECD, daß das Nettodefizit derzeit höchstens 1
bis 1‚5 % betragen dürfe, um im nächsten Konjunkturabschwung den Erhalt des
Stabilitätskriteriums von 3,0 % des BIP nicht zu überschreiten?
3. Wie entkräften Sie den Vorwurf des Europäischen Währungsinstituts in seinem
Konvergenzbericht, daß die hohe österreichische Abgabenquote von 45,7 %
“dem Wirtschaftswachstum schaden könnte”?
4. Welche nachhaltigen1 kostensparenden, nicht leistungskürzenden Maßnahmen
trugen aus Ihrer Sicht zu den bisherigen Erfolgen der Konsolidierung des Budgets
bei?
5. Welche sogenannten Einmalmaßnahmen haben aus Ihrer Sicht zu den bisherigen
Erfolgen bei der Budgetkonsolidierung beigetragen?
6. Welche Strukturreformen sind in Vorbereitung, um das Volumen der
Einmalmaßnahmen zu ersetzen?
7. Wie planen Sie, die Mehrbelastung von etwa 6 Mrd. S für das Budget durch die
zweite Ausbaustufe der Familienbesteuerungsreform, zu finanzieren?
8. Welches Szenario haben Sie für den Fall ausarbeiten lassen, daß die
notwendigen und erwarteten Einnahmen durch eine negative
Konjunkturentwicklung
ausbleiben?
9. Welche Vorschläge zur Senkung des Verwaltungsaufwandes gibt es in den
einzelnen Ministerien und sind Ihrem Haus übermittelt worden?
10. Gibt es in Ihrem Ministerium eine Koordinierungsstelle, die diese Vorschläge auf
Plausibilität, Effizienz und Zeithorizonte zur Realisierung dieser
Kostensenkungsvorschläge überprüft?
11. Welche Maßnahmen im Hinblick auf die absehbar notwendige Neudefinition der
staatlichen Aufgabenerfüllung lassen Sie in Ihrem Ministerium vorbereiten?
12. Gibt es dabei Überlegungen, wie die Überwälzung von Kosten staatlichen
Handelns auf die Unternehmungen reduziert beziehungsweise gänzlich beseitigt
werden kann?
13. Welches Potential zur Senkung der Steuerlast ist Ihrer Einschätzung zufolge
durch echte Strukturreformen im Bereich der Verwaltung kostensenkend zu
erzielen?
14. Wie beurteilen Sie unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit
zwischen unselbständig Erwerbstätigen mit unterschiedlichen Einkommen die
Sechstelbegünstigung?
15. Wie beurteilen Sie unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit die
Tatsache, daß die freien Dienstnehmer die Sechstelbegünstigung nicht in
Anspruch nehmen können?
16. Welche Zeithorizonte zur Realisierung des Ursprungslandprinzips haben Sie im
Rahmen Ihres Schwerpunktes zur EU - Steuerharmonisierung in Aussicht
genommen?
17. Ist daran gedacht, angesichts prognostizierter Überschüsse die
Dienstgeberbeiträge zum FLAF zu reduzieren und damit einen Schritt zur
Entlastung des
Faktors Arbeit zu machen?
18. Bei welchen Steuern steht aus Ihrer Sicht der Aufwand ihrer Einbringung in einem
ungünstigen Verhältnis zu ihrem Aufkommen?
19. Können Sie ausschließen, daß durch das Auslaufen des geltenden
Finanzausgleiches im Jahr 2000 mit einer Verschiebung der Steuerreform zu
rechnen ist, weil die Neuordnung des Steuersystems auch einer grundlegenden
Umstrukturierung der Finanzierung der Länder und Gemeinden bedarf?
20. Welche Maßnahmen zur Ökologisierung des Steuersystems bei gleichzeitiger
Entlastung des Faktors Arbeit sind geplant?
21. Steuerkürzungen in welcher Höhe und in welchen Bereichen sind durch die
geplante Steuerreform zu erwarten?
in formaler Hinsicht wird vor Eingang in die Tagesordnung die Durchführung
einer Debatte zum frühestmöglichen Zeitpunkt verlangt.