6412/J XX.GP
Gemäß Par. 93 Abs 2 606
der Abgeordneten Dr. Schmidt, Partnerinnen und Partner
an den Bundeskanzler
betreffend Ablegung eines Offenbarungseides über den sicherheitspolitischen Status
Die Regierungsparteien vertreten zur vitalen Frage der Zukunft der österreichischen
Sicherheitspolitik so unterschiedliche Positionen, daß Österreichs Einschätzbarkeit
innerhalb der EU schweren Schaden erleidet und in Krisensituationen extreme
innerösterreichische Konflikte auftreten. Während in Österreich die Neutralität verbal
einbetoniert wird, werden auf europäischer Ebene alle Schritte in Richtung
europäischer Solidarität mitgetragen.
Bundeskanzler Viktor Klima rief in der "Pressestunde" vom 18.4.1999 sogar ein
Diskussionsverbot aus, indem er vorschlug, die Neutralität "für fünf Jahre außer Streit
zu stellen." In der Folge führte er mit dem Neutralitätsthema einen Wahlkampf der
leeren Versprechungen. Jetzt bietet er den anderen Parteien eine "Vereinbarung" an,
das Thema "Neutralität" die gesamte folgende Legislaturperiode außer Streit zu
stellen (STANDARD, 15.6.1999).
Die ÖVP hingegen - durch einen gültigen Parteitagsbeschluß aus dem Jahr 1998
auf den NATO - Beitritt festgelegt - widerspricht sich sogar innerhalb weniger Tage
selbst. Während Außenminister Wolfgang Schüssel noch im April dieses Jahres "auch
angesichts der Militäraktionen gegen Jugoslawien einen Beitritt Österreichs zur
NATO" anstrebt ("Profil", 5.4.1999), meint Klubobmann Andreas Khol in "Zur Sache"
am 19.4.1999, daß die ÖVP eine NATO - Mitgliedschaft "derzeit nicht" anstrebe. Der
SPÖ warf sie jedoch während des gesamten EU - Wahlkampfes vor, eine
"Sicherheitslüge" zu betreiben.
Es geht nun darum, die Position Österreichs innerhalb der EU nicht weiterhin so
widersprüchlich darzustellen, sondern die Karten auf den Tisch zu legen. Während
die Neutralität scheibchenweise de facto beseitigt wird, wird der Bevölkerung
gleichzeitig vorgegaukelt, man sei weiterhin neutral und könne gewissermaßen die
Politik der 50er bis 70er Jahre unverändert fortführen. Das führt zu einem Befremden
der europäischen befreundeten Staaten, für die Österreich immer weniger ein
verläßlicher europäischer Partner ist. Zugleich aber wird gegenüber der
österreichischen Bevölkerung der Eindruck erweckt, daß die Neutralität nicht nur die
Identität Österreichs bestimme sondern auch der Sicherheit des Landes diene. Eine
Diskussion über das Wesen und den Inhalt der Neutralität findet schon deshalb nicht
statt, weil dabei jedenfalls die Differenz zwischen Rechtslage und Handlungsweise
der Regierung zutage träte, anderseits man sich der mühsamen Aufgabe
unterziehen müßte, die tatsächlichen Wirkungsweisen der außenpolitischen
Instrumente wie Neutralität oder Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik den
Bürgerinnen und Bürgern zu
verdeutlichen.
Auch unter diesem Gesichtswinkel ist der Aufruf vom Bundeskanzler aber auch des
Bundespräsidenten. die Sicherheitspolitik aus Wahlkämpfen herauszuhalten, höchst
befremdlich. Vielmehr ist es nach Auffassung der Liberalen notwendig, endlich eine
Debatte darüber zu führen, wo Österreich sicherheitspolitisch tatsächlich steht,
welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung es gibt und für welchen Weg man sich
tatsächlich entscheidet. Diese sicherheitspolitische Weichenstellung ist unter
anderem auch für das österreichische Bundesheer und dessen Beschaffungswesen
von existentieller Bedeutung. Für die Zukunft des Bundesheeres muß dringend ein
umfassendes Planungskonzept erstellt werden. Daher ist es wichtig zu wissen, ob
das Heer nach wie vor auf der Basis des völlig veralteten Landesverteidigunsplanes
agieren soll, der auf der autonomen Verteidigung eines Einzelstaates aufbaut, oder
ob es in die zukünftige europäische Sicherheitspolitik eingebettet werden soll.
Um die Debatte seriös zu führen, ist die Zustandserhebung nötig und dabei
aufzuzeigen, welche Schritte zur Aushöhlung der Neutralität bereits gesetzt wurden.
Folgende Schritte zur Aushöhlung der Neutralität wurden gesetzt:
- 1991 wurden im Zuge des Golfkonfliktes, als der UN - Sicherheitsrat militärische
Sanktionen gegen den Irak beschloß, Strafgesetzbuch und
Kriegsmaterialiengesetz dahingehend geändert, daß bei einem Transit von
Kriegsmaterial auf Basis eines Sicherheitsratsbeschlusses keine
Neutralitätswidrigkeit vorliege
- 1995 brachte Österreich mit dem Beitritt zur Europäischen Union den
sicherheitspolitisch gravierendsten Schritt weg von der Neutralität, denn in einer
Gemeinsamen Erklärung zur Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik
(GASP) verpflichteten sich die neuen Mitgliedstaaten zu folgenden Punkten: Man
kommt überein, daß
"die neuen Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt ihres Beitritts bereit und fähig
sein werden, sich in vollem Umfang und aktiv an der Gemeinsamen Außen -
und Sicherheitspolitik, so wie sie im Vertrag über die Europäische Union
definiert ist, zu beteiligen;
die neuen Mitgliedstaaten mit dem Beitritt alle Ziele des Vertrags... vollständig
und vorbehaltlos übernehmen werden
die neuen Mitgliedstaaten bereit und fähig sein werden, die zum Zeitpunkt
ihres Beitritts für die verschiedenen Bereiche gültige Politik der Union zu
unterstützen."
- Folgerichtig wurde im selben Jahr auch das Bundes - Verfassungsgesetz durch
einen neuen Art. 23f geändert:
(Abs 1 ): "Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union... mit. Dies schließt die
Mitwirkung.. an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen
zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt
oder
vollständig eingestellt werden."
- Die klarste Ansage zur Verabschiedung von der Neutralität fand durch den von
Österreich mitgetragenen EU - Vertrag über die Europäische Union von
Amsterdam 1997, der am 1. Mai 1999 in Kraft getreten ist, statt. Er bringt ein
Bekenntnis zur künftigen europäischen Verteidigung. Teile des neuen Artikel 17
sind nicht mit dem österreichischen Neutralitätsgesetz vereinbar:
(Abs 1) "Die Union fördert engere institutionelle Beziehungen zur WEU im
Hinblick und auf die Möglichkeit einer Integration der WEU in die Union, falls
der Europäische Rat dies beschließt:
Abs 2) "Die Fragen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird,
schließen humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende
Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich
friedensschaffender Maßnahmen ein.
Durch die so erfolgte Integration der "Petersberger Aufgaben" der WEU kann die EU
im Sinne dieses Artikel theoretisch auch ohne Beschluß des UN - Sicherheitsrates
tätig werden. Unter unveränderter Aufrechterhaltung der "immerwährenden"
Neutralität und des Neutralitätsgesetzes kann Österreich an Kampfmaßnahmen im
Rahmen der GASP nicht teilnehmen.
- Folgerichtig wurde daher der Art. 23f B - VG neuerlich dahingehend geändert, daß
Österreich an solchen Kampfeinsätzen teilnehmen könnte. In den Erläuterungen
zu dem diesbezüglichen Antrag 791/A der Abgeordneten Kostelka und Khol,
beschlossen am 18.6.1998, heißt es sogar:
"Mit dieser Änderung ist klargestellt, daß Österreich nicht nur an Maßnahmen
der Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik aufgrund des Maastrichter
Vertrag von Amsterdam... neu eingeführten sog. Petersberg - Aufgaben. In
Entsprechung des Vertrages von Amsterdam gilt dies auch für den Fall, daß
eine solche Maßnahme nicht in Durchführung eines Beschlusses des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ergriffen wird."
- 1997 brachte auch das Scheitern eines der wichtigsten Vorhaben der
Bundesregierung für diese Legislaturperiode, nämlich die Erstellung eines
gemeinsamen "Optionenberichtes" über die Zukunft der österreichischen
Sicherheitspolitik. Hauptgrund: die möglichen Konsequenzen für das
Neutralitätsgesetz.
- Anfang 1999 einigt sich die Bundesregierung darauf (50 Außenminister Schüssel
im Februar vor dem Nationalrat), die Integration der WEU in die EU in der
Europäischen Union aktiv zu betreiben und somit die EU auch zu einer
Verteidigungsunion einschließlich Beistandspflicht zu machen. Kein einziger
Völkerrechtler vertritt die These, daß in diesem Fall die "immerwährende"
Neutralität aufrechtzuerhalten wäre. Dies ist auch logischer ein Schritt in Richtung
europäischer Solidarität, der im übrigen durch die geltende Regierungserklärung
ins Auge gefaßt wurde. Die Bundesregierung beabsichtigte
"alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage
einer Vollmitgliedschaft Österreichs in der WEU einer umfassenden Überprüfung
(zu) unterziehen und dem
Parlament hierüber... noch vor der Übernahme des
EU - Vorsitzes durch Österreich, spätestens jedoch im Laufe des ersten Quartals
1998 zu berichten."
- Der Artikel 5 der WEU (Beistandsverpflichtung) ist darin mit keinem Wort erwähnt,
was bedeutet, daß seine Übernahme nicht von vornherein ausgeschlossen
werden sollte.
- 1999 kann sich Österreich nicht solidarisch mit seinen EU - Partnern zeigen, indem
es Überflugsgenehmigungen für den NATO - Kosovo - Einsatz verweigert, obwohl
Bundeskanzler und Außenminister den Militärschlag anläßlich des Europäischen
Rates in Berlin Ende März akzeptieren und im April die NATO - Luftangriffe in einer
Erklärung der EU - Außenminister weiter als "notwendig und geboten" bezeichnen,
da die Genehmigung dem Neutralitätsgesetz widerspräche.
- Durch die Beschlüsse des Europäischen Rates in Köln vom 4. Juni1999 wird mit
Zustimmung des Bundeskanzlers die europäische Verteidigungspolitik
weiterentwickelt. In der Erklärung "zur Stärkung der gemeinsamen europäischen
Sicherheits - und Verteidigungspolitik" wird in den Leitprinzipien neben einer
Bekräftigung dieses Grundprinzips festgestellt, daß der Rat der Europäischen
Union "in die Lage versetzt wird, Beschlüsse über das gesamte Spektrum der
ihm zur Verfügung stehenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen
Instrumente zu fassen, wenn es darum geht, auf Krisensituationen zu reagieren."
Gefordert wird, daß die Mitgliedstaaten "Streitkräfte weiterentwickeln, die auch für
Krisenbewältigungsoperationen geeignet sind". Zur effektiven Durchführung von
EU - geführten Operationen soll die EU von Fall zu Fall zu entscheiden haben, ob
diese "unter Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der NATO" oder "ohne Rückgriff
auf Mittel und Fähigkeiten der NATO" durchgeführt werden. Dazu sei es
schließlich notwendig, "daß entweder die nationalen Kommandostrukturen
...genutzt werden oder daß auf die bestehenden Kommandostrukturen innerhalb
der multinationalen Streitkräfte zurückgegriffen wird." All dies deutet auf ein
endgültiges Ende einer Rolle für neutrale Staaten hin, vor allem aber auch auf
eine Emanzipation der EU vom atlantischen Bündnis, ohne aber die
Verbindungen zu diesem völlig zu durchtrennen.
Damit ist klargestellt, daß ein gemeinsames Handeln aller Mitglieder vorgesehen ist,
und zwar ohne Festschreibung eines Sonderstatus für die Neutralen. Vetorecht und
"konstruktive Enthaltung" gilt daher für alle 15 Staaten gleichermaßen und ist nicht
als Sonderrecht für Neutrale konzipiert.
Dieser kurze Abriß zeigt, daß zwischen der österreichischen Neutralität und der
Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik ein fundamentaler Widerspruch besteht.
Doch die Diskussion um Österreichs Rolle im Kosovo - Konflikt und die unehrliche
Debatte rund um die Neutralität während des EU - Wahlkampfes haben das Desaster
der österreichischen Sicherheitspolitik prolongiert. Bis heute liegt keine
entscheidungsreife Positionierung der Bundesregierung über eine zu verfolgende
Option vor, obwohl man sich in der Regierungserklärung 1996 dazu verpflichtet hatte.
Wie oben erwähnt hat Bundeskanzler Viktor Klima nur den Vorschlag des
Diskussionsverbotes.
Die österreichische Außenpolitik ist allerdings - das zeigte der Kosovo - Konflikt -
weder neutral noch solidarisch. Auf der einen Seite wird in einer Aussprache des
Europäischen Rates vom 14.4.1999 "der Einsatz schärfster Maßnahmen,
einschließlich militärischer Aktionen" für notwendig und gerechtfertigt erachtet, weil
man das Morden und die Deportationen im Kosovo nicht hinnehmen könne;
militärische Überflüge können hingegen wegen der Verfassungslage nicht gestattet
werden. Auf der anderen Seite betreibt Österreich keineswegs die "aktive
Neutralitätspolitik", von der Klima spricht. Denn während sogar die NATO - Länder
Italien und Ungarn sowie das bündnisfreie Schweden ihre Botschaften in Belgrad
geöffnet hielten, zog Österreich sein Botschaftspersonal ab, obwohl ein Offenhalten
mit freiwilligen MitarbeiterInnen dringend geboten schien, um beispielsweise Serben
über die Erteilung eines Visums einen Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Es ist
daher bezeichnend, daß der Präsidnet des bünndnisfreien Finnland, Martti Ahtisaan,
beauftragt wurde, im Namen der EU eine Vereinbarung mit Serbien über den Einsatz
einer Friedenstruppe unter UN - Mandat im Kosovo auszuverhandeln. Österreich blieb
in der Rolle des Zuschauers.
Notwendig ist für die Zukunft daher, die GASP und ein Vorantreiben einer
europäischen Sicherheits - und Verteidigungsidentität nicht nur in den Verträgen zu
verankern, sondern auch wirklich zu leben. Die Voraussetzungen dafür, auch was die
künftige Sicherheits - und Verteidigungsstruktur der EU betrifft, wurden schon
großteils (einschließlich der unbedingt notwendigen Integration der WEU in die
Union) im Vertrag von Amsterdam hergestellt und nun beim Europäischen Rat in
Köln fortgeführt. Doch nur ein Land, das weiß, in welche Richtung der
sicherheitspolitische Zug fahren soll, kann sich aktiv an einer Weiterentwicklung
Europas für mehr Frieden und Stabilität beteiligen. Allererste Voraussetzung ist
jedoch, daß Österreich die völkerrechtliche "immerwährende" Neutralität geklärt wird,
ihr Widerspruch zu jeglicher Art von militärischer Kampfmaßnahmen außer Streit
gestellt und endlich eine innerösterreichische Bereinigung mit dem Ziel der vollen
Teilnahme Österreichs an der GASP im Sinne des Amsterdamer Vertrages
herbeigeführt wird.
Daher richten die unterzeichneten Abgeordenten gemäß Par 93 Abs 2 606/M
folgende
an den Bundeskanzler:
1. Österreich hat 1955 das BVG zur immerwährenden Neutralität beschlossen und
dessen Inhalt der internationalen Staatengemeinschaft völkerrechtlich notifiziert.
Sind Sie der Auffassung, daß diese völkerrechtliche Verpflichtung weiterhin
besteht?
2. Der völkerrechtlich immerwährend neutrale Staat ist völkerrechtlich zur Nicht -
Teilnahme an militärischen Konflikten zwischen Dritten generell verpflichtet.
Halten Sie diesen Inhalt der immerwährenden Neutralität für aufrecht?
3. Österreich hat anläßlich seines Beitrittes zur EU die seit dem Maastricht - Vertrag
festgelegte Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik, inklusive
Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen soll,
ratifiziert. Halten Sie die Umsetzung und die Beteilung an der GASP in diesem
Sinne für eine österreichische vertragliche Verpflichtung?
4. Halten Sie die Aufnahme der Petersberger Aufgaben unter Einschluß von
kampfmaßnahmen in den Amsterdamer Vertrag, und damit seit 1. Mai dieses
Jahres in die österreichische Bundesverfassung, für eine ausreichende
Rechtsgrundlage für die Teilnahme Österreichs an derartigen militärischen
Aktionen und somit für vereinbar mit den völkerrechtlichen Enthaltungspflichten
durch das Neutralitätsgesetz?
5. In Entsprechung des Amsterdamer Vertrages wurde durch Art. 23 f B - VG
ausdrücklich verfassungsrechtliche Vorsorge für die östereichische Teilnahme an
friedensschaffenden Maßnahmen (Kampfeinsätze) geschaffen. Ist diese
Verfassungsnovelle kompatibel mit der immerwährenden Neutralität? Wenn ja,
warum?
6. In den Erläuternden Bemerkungen zu Antrag 791/A XX. GP werden ausdrücklich
Kampfeinsätze auch ohne Beschluß des UN - Sicherheitsrates ermöglicht. Ist dies
geltende Rechtsauffassung der Bundesregierung?
7. In den Erläuternden Bemerkungen zu Antrag 791/A werden ausdrücklich
Überflüge und Durchführen im Rahmen von GASP - Beschlüssen ermöglicht. Ist
dies geltende Rechtsauffassung der Bundesregierung?
8. Im Falle der konstruktiven Enthaltung ist der Mitgliedsstaat laut Art. 23 Abs 1 EUV
zwar "nicht verpflichtet, den Beschluß durchzuführen, akzeptiert jedoch, daß der
Beschluß für die Union bindend ist. Im Geiste gegenseitiger Solidarität unterläßt
jener MS alles, was dem auf diesem Beschluß beruhenden Vorgehen
zuwiderlaufen oder es behindern könnte." Ist dies vereinbar mit der
völkerrechtlichen Gleichbehandlungspflicht des immerwährend Neutralen
gegenüber Konfliktparteien?
9. Müßte Österreich nicht in konsequenter Befolgung der immerwährenden
Neutralität gegen jede einzelne GASP - Maßnahme mit militärischen Auswirkungen
ein Veto einlegen? Wenn nein, warum nicht?
10. Wären aber Vetos im Sinne der Frage 9 nicht ein fundamentaler Widerspruch zu
der eingegangenen Verpflichtung im Beitrittsvertrag, die GASP vollinhaltlich
mitzutragen und umzusetzen? Wenn nein, warum nicht?
11. Die EU hat im Mai 1999 Wirtschaftssanktionen gegen das kriegführende
Jugoslawien verhängt bzw. verschärft (Einfrieren von Geldern,
Investitionsverbote). Einseitige Wirtschaftssanktionen gegen kriegführende
Staaten verstoßen gegen die immerwährende Neutralität und das
Neutralitätsgesetz. Mit welchen Begründungen konnten Sie daher diesen
Sanktionen zustimmen?
12. Beim Europäischen Rat in Berlin haben Sie als Regierungschef eines
Immerwährend neutralen Staates für militärische Aktionen einer Konfliktpartei
gestimmt, indem Sie den NATO - Einsatz für "sinnvoll und geboten" erachteten.
Wie
läßt sich diese Haltung mit der österreichischen
Neutralität vereinbaren?
13. Sie haben die beim Europäischen Rat in Köln erfolgte Erklärung über die
Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits - und Verteidigungspolitik unterzeichnet.
Betrachten Sie dies für eine auch für Österreich richtige Zielsetzung?
14. In den Schlußfolgerungen von Köln steht. daß sich neben bündnisfreien auch
"neutrale" Staaten in vollem Umfang und gleichberechtigt an EU - Operationen
beteiligen können. Welche prinzipiellen Unterschiede bzw. rechtlichen
Sonderpositionen für Neutrale gibt es dann noch gegenüber EU - Mitgliedstaaten,
die in einem Bündnis oder bündnisfrei sind?
15. Halten Sie die Integration der WEU in die EU, wie im Amsterdamer Vertrag als
Ziel formuliert, für sinnvoll und notwendig?
16. Stehen Sie zum geltenden Koalitionsübereinkommen, in dem der Beitritt
Österreichs zur Westeuropäischen Union als Option ausdrücklich angesprochen
wird?
17. In den Schlußfolgerungen von Köln heißt es, daß die Europäische Union zur
effektiven Durchführung von EU - geführten Operationen entscheiden kann, ob sie
diese unter Rückgriff und Fähigkeiten der NATO oder OHNE Rückgriff auf die
NATO durchführt. Sehen Sie darin die Entwicklung der EU zu einer
Verteidigungsunion, die ggf. auch ohne Beteiligung der NATO tätig werden kann?
18. Werden Sie sich für die Schaffung einer europäischen Friedens - Sicherheits - und
Verteidigungsunion im Sinne des Amsterdamer Vertrages - unter Einschluß
Österreichs - einsetzen?
19. Wieso schlagen Sie vor, die Debatte über die Zukunft der österreichischen
Neutralität und Sicherheitspolitik bis Ende der nächsten Legislaturperiode zu
beenden, obwohl entscheidende Verhandlungen über die Zukunft der
europäischen Sicherheitspolitik, an der sich Österreich aktiv beteiligen sollte, in
den nächsten Jahren anstehen?
20. Die Bundesregierung konnte entgegen Ihrem Versprechen im
Koalitionsübereinkommen dem Nationalrat im ersten Quartal 1999 keinen
"Optionenbericht" über die Zukunft der österreichischen Sicherheitspolitik
vorlegen. Werden Sie einen Optionenbericht vorlegen, der die hier aufgezeigten
grundsätzlichen Fragestellungen und Widersprüche klärt? Wenn nein, was
werden Sie tun, um die völlig unterschiedlichen Positionen von SPÖ und ÖVP zu
einer sicherheitspolitischen Linie der Bundesregierung zusammenzuführen, mit der
Sie international wieder glaubwürdig werden?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage gemäß Par. 93 als dringlich zu
behandeln.