60/AE XXI.GP

 

DRINGLICHER ANTRAG

 

 

der Abgeordneten Peter Pilz, Freundinnen und Freunde

 

betreffend

 

ÖSTERREICHISCHE NEUTRALITÄT, DIE EUROPÄISCHE EINIGUNG UND DIE

SOFORTIGE DURCHFÜHRUNG EINER VOLKSBEFRAGUNG

 

 

Die Neutralität Österreichs ist für die Gemeinsame Europäische Aussen - und Sicherheitspolitik

eine historische Chance und kein Hindernis. Sie ist nach dem Völkerrecht ein spezifischer

Beitrag zum Frieden und keine Verweigerung von Solidarität. Sie verpflichtet zu einer aktiven

Aussenpolitik, zu Ausgleich und Konfliktprävention, zu Vermittlung und in besonderem

Ausmass zu ziviler und humanitärer Hilfe. Die Neutralität ermöglicht Österreich, weit über seine

Stellung als Kleinstaat hinaus, eine bedeutsame Rolle im Rahmen der Vereinten Nationen zu

übernehmen. Als die österreichische Aussenpolitik ein einziges Mal in der zweiten Republik

internationale Anerkennung errang, verfolgte sie eine umfassende aktive Neutralitätspolitik.

Bruno Kreisky befreite damals die österreichische Neutralität aus ihrer bloß passiven Rolle im

Ost  - West - Konflikt und entwickelte sie zu einer umfassenden Vermittlungsposition im Nord -

Südkonflikt.

 

Die Neutralität Österreichs entspricht dem demokratischen Willen der überwältigenden Mehrheit

der Bevölkerung und ist mit ihrem strikten Friedensgebot die angemessene Haltung gegenüber

der eigenen Geschichte der Verstrickung in die schrecklichsten Aggressionskriege des

zwanzigsten Jahrhunderts. Ihre systematische Aushöhlung durch die Regierungspolitik der

letzten Jahre stellt eine vorsätzliche Missachtung eines zentralen Verfassungsgebotes dar,

beschädigt die Rechtsstaatlichkeit und die Verfassungskultur unseres Staates und wird ohne

demokratische Legitimation betrieben. Offenkundig versucht die Bundesregierung Österreich in

eine Zwangslage zu manövrieren, in der sie den Beitritt zur Nato und die Aufgabe der Neutralität

als unausweichlich darstellen können.

 

Die Neutralität Österreichs muss als ein Angebot auch mit der Bereitschaft, alle damit

verbundenen Aufgaben und Lasten zu übernehmen, in die Verhandlungen um eine künftige

Europäische Aussen - und Sicherheitspolitik eingebracht werden. Diese Neukonzeption der

österreichischen Neutralität im Kontext der europäischen Integration unterlassen zu haben, ist ein

historisches Versäumnis der Koalitionsregierungen. Damit wurden auch zahlreiche Chancen

vertan, Österreich im internationalen Maßstab als federführend bei der Konfliktprävention und -

vermittlung zu etablieren. Von der Bundesregierung wurden in den letzten Jahren auch alle

Initiativen hintertrieben, eine gemeinsame Haltung der neutralen und blockfreien Staaten in der

EU zu entwickeln.

 

Die Neutralität Österreichs kann als allerletzte Möglichkeit - nur mehr in die im Februar

beginnenden Verhandlungen der Regierungskonferenz der EU eingebracht werden. Doch bei der

Erstellung der Tagesordnung zur Regierungskonferenz verzichtete die Bundesregierung

wiederum darauf. Die Glaubwürdigkeit der österreichischen Neutralität wird durch diese Politik

schwer erschüttert. Das Versprechen einer eigenständigen und aktiven Mitgestaltung Österreichs

an der weiteren Entwicklung der Europäischen Union bleibt so ein weiteres Mal uneingelöst. Die

Bundesregierung hat die österreichische Neutralität längst mit einem Ablaufdatum versehen.

 

Die europäische Einigung kann letztlich nur dann Erfolg haben, wenn Europa die Verantwortung

für die eigene Sicherheit und den Frieden übernimmt und die militärischen Blockstrukturen aus

dem kalten Krieg überwindet. Demgegenüber Milliardenbeträge für Aufrüstung bei einer Nato -

Erweiterung auszugeben, ist unverantwortlich.

 

Auch gegenüber den ehemals kolonialisierten Ländern vor allem Afrikas ist es erforderlich, die

EU nicht als verlängerten militärischen Ann der Vereinigten Staaten zu entwickeln. Bezweifeln

die Mitgliedsstaaten der EU dagegen ihre eigene Fähigkeit Frieden zu halten und zu stiften und

für die eigene Sicherheit zu sorgen, dann stellen sie den Kern der europäischen Einigungsidee

selbst in Frage. Die Ausdehnung der Abhängigkeit von der Nato auf den gesamten Kontinent

kann jedenfalls der ureigenen Verantwortung Europas nicht gerecht werden. Sicherheitspolitik ist

eine Funktion der Aussenpolitik. Es ist geplant, dass die europäischen Sicherheitsstrukturen mit

der Nordatlantischen Allianz verschmolzen werden sollen, ohne dass die EU auch nur den

Ansatz einer gemeinsamen, handlungsfähigen europäischen Aussenpolitik entwickelt hat.

 

Die Nato ist kein europäisches Sicherheitssystem, sondern sie ist wesentlich ein Instrument US -

amerikanischer Aussenpolitik mit geringer Mitsprache einiger europäischer Staaten. Die Nato ist

kein Verteidigungsbündnis mehr, sondern hat die offensive globale Interventionsfähigkeit als

neue strategische Doktrin. Die Nato weigert sich die internationalen Verträge zur Abschaffung

der Atomwaffen einzulösen. Die Nato macht sich zusehends unabhängig von dem

völkerrechtlichen Gewaltmonopol der Vereinten Nationen und ermächtigt sich selbst zu

militärischer Gewalt. Die Nato ist ein Instrument US - amerikanischer Weltmachtpolitik mit

Europa in der Rolle des Helfers.

 

Die Aufrechterhaltung der Neutralität und Bündnisfreiheit einzelner Staaten in der EU kann

dagegen die Option einer autonomen europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung und die

Option einer souveränen europäischen Aussenpolitik für die kommenden Generationen

offenhalten.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

DRINGLICHEN ANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten wird aufgefordert:

• mit der Beibehaltung der Neutralität einen eigenständigen Beitrag Österreichs zu Frieden und

  Sicherheit in Europa zu leisten und dabei eine gemeinsame Politik mit den übrigen neutralen

  und bündnisfreien Staaten der EU zu entwickeln;

 

• mit der Beibehaltung der Neutralität den Weg für ein wirkliches europäisches

  Sicherheitssystem offenzuhalten,

- das dem Völkerrecht verpflichtet ist;

- das sich dem Gewaltmonopol der UNO unterwirft;

- das auf alle Massenvernichtungswaffen verzichtet;

- das der Konfliktverhütung oberste Priorität einräumt und entsprechende Kräfte zur zivilen

  Konfliktlösung aufbaut;

- das zu weltweiter Abrüstung beiträgt;

- das sich nicht als Instrument von Großmachtsansprüchen und neuen Blockbildungen

  versteht;

- das nicht nur einen Raum der Sicherheit, sondern einen Raum des Friedens schafft!

 

• in einer Erweiterung der Europäischen Union das eigentliche und vorrangige Friedensprojekt

  Europas zu erkennen, was in allererster Linie die Verpflichtung, den Aufbau von Demokratie,

  sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung, den Schutz der Umwelt und die kulturelle

  Entfaltung in den Reformstaaten endlich angemessen zu unterstützen, beinhaltet;

 

• die Neutralität auch als Verpflichtung zu verstehen, bei humanitären Hilfsaktionen, bei

  Maßnahmen zur Entwicklung von Demokratie, Sozialstaat, Achtung der Menschenrechte und

  Rechtsstaatlichkeit, des Wiederaufbaus und der Entwicklungspolitik in besonderem Ausmaß

  Aufgaben und Lasten zu übernehmen;

• die österreichische Neutralität in die Regierungskonferenz der EU so einzubringen, daß sie in

  den Beschlüssen zur Europäischen Sicherheitspolitik verankert wird;

 

• die sofortige Durchführung einer Volksbefragung über die Beibehaltung der Neutralität zu

  initiieren, deren Ergebnis die Bundesregierung in der Regierungskonferenz der Europäischen

  Union zu vertreten hat. Ohne Verankerung dieses Ergebnisses im neuen EU - Vertrag ist eine

  Zustimmung Österreichs nicht möglich!

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieses Antrages gem. §§ 74a (2) iVm 93 (2)

GOG verlangt