430/A(E) XXI.GP

Eingelangt am:10.05.2001

 

                                               DRINGLICHER ANTRAG

 

der Abgeordneten Van der Bellen, Pilz und FreundInnen

 

an die Bundesregierung

 

betreffs Presse - und Meinungsfreiheit

 

Die drei „Weisen“ haben in ihrem Bericht über die österreichische Bundesregierung und über den

Justizminister unmißverständlich festgestellt:

 

93. Eines der problematischsten Kennzeichen führender Mitglieder der FPÖ sind Versuche, politische

Gegner zum Schweigen zu bringen oder sie sogar zu kriminalisieren, wenn sie die österreichische

Regierung kritisieren. Das häufige Anstrengen von Beleidigungsprozessen gegen Personen, die die

FPÖ oder Äußerungen ihrer politischen Führung kritisiert haben, muß auch in diesem

Zusammenhang gesehen werden.

 

94. In einer Pressekonferenz, die der Landeshauptmann des Landes Kärnten in Anwesenheit des

Bundesministers der Justiz gab, wurde die Möglichkeit erwähnt, eine Vorschrift des Strafgesetzbuches

auf Abgeordnete anzuwenden, die die Regierung kritisieren. Als die Oppositionsparteien eine

förmliche parlamentarische Befragung einleiteten, betonte der Justizminister die

Meinungsäußerungsfreiheit jener, die einen solchen Vorschlag unterbreiteten. Er unterstrich, daß

jeder die Möglichkeit haben müsse, seine Meinung zu äußern.

 

95. Wir sind der Auffassung, daß eine solche Position eines Ministers in der Bundesregierung nicht

mit den Verpflichtungen eines Staatsorgans vereinbar ist, wie sie sich aus der Verfassungsstruktur der

Europäischen Union ergeben, die in Artikel 6 des Unionsvertrags bestätigt wird..

 

104. Wir haben den Eindruck gewonnen, daß das Verhalten der Minister der FPÖ in der Regierung

seit Februar 2000 im allgemeinen nicht kritisiert werden kann. In einigen Fällen hat das Verhalten

des Justizministers jedoch Besorgnis ausgelöst.

 

Am 10. September 2000 hat sich Bundeskanzler Schüssel auf Grund des Weisenberichts vom ersten

Versuch des Justizministers, Kritik an der Regierung strafrechtlich sanktionieren zu lassen, distanziert.

(s. APA 0383/10. September 2000) Nicht nur der Bundeskanzler hat sich bereit erklärt, die Kritik des

Berichts ernst zu nehmen und den Empfehlungen zu folgen. Die österreichische Bundesregierung hat

sich damit verpflichtet, alles zu tun, um insbesondere die Presse - und Meinungsfreiheit vor Angriffen

zu schützen.

 

Trotzdem sind die Serienprozesse, die Regierungspolitiker gegen Opposition und Medienkritik

eingeleitet haben, verstärkt fortgeführt worden. Klagen werden nach wie vor als Mittel zur

Einschüchterung mißbraucht. Die Kanzlei des Justizministers spielt dabei nach wie vor eine

Schlüsselrolle.

 

Seit kurzem wird allerdings Kritik erstmals auf eine neue Art verfolgt. Die Journalisten, die am 4.

Oktober 2000 an einer Pressekonferenz im Grünen Klub teilgenommen und darüber berichtet haben,

werden mit einem Verfahren nach § 301 StGB und damit mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs

Monaten bedroht. Ein kaum judizierter, „vergessener“ Paragraph des Strafgesetzbuches ist

wiederbelebt worden, um erstmals Journalisten mit Freiheitsstrafen bedrohen zu können.

 

Der Paragraph 301 (1) sagt: Wer einem gesetzlichen Verbot zuwider eine Mitteilung über den

Inhalt einer Verhandlung vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde, in der die

Öffentlichkeit ausgeschlossen war, in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine

Weise veröffentlicht, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, ist mit

Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

 

Jetzt ist Justizminister Böhmdorfer einen Schritt weiter gegangen. Ein neuer Paragraph 56 soll in der

Strafprozeßordnung das Zitieren aus Akten gerichtlicher Vorverfahren mit schweren Strafen bedrohen.

Der § 56, der zur Begutachtung ausgesandt wurde, lautet:

 

§ 56: Der Beschuldigte ist berechtigt, dem Amtsgeheimnis unterliegende Informationen die er im

Verfahren unmittelbar oder durch Akteneinsicht erlangt hat, zum Zweck seiner Verteidigung und zur

Verfolgung anderer überwiegender Interessen zu verwerten. Es ist ihm jedoch untersagt, solche

Geheimnisse in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mitteilung

einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, wenn dadurch schutzwürdige Interessen Dritter verletzt

würden (§ 301 StGB).

 

Damit hat der Justizminister auch nach dem Bericht der „Weisen“ offen versucht, Meinungsfreiheit

und Pressefreiheit durch Gesetze einzuschränken. Nicht nur Böhmdorfer weiß: Wer die Pressefreiheit

einschränkt, schneidet auch die parlamentarische Opposition wirksam von der Öffentlichkeit ab. Auch

wenn der Justizminister jetzt „Nachgeben“ signalisiert, bleibt es dabei: Der § 56 der

Strafprozeßordnung mit den Strafdrohungen gegen investigativen Journalismus soll unverändert in

Begutachtung gehen. Die Strafdrohung wird vom § 301 einfach übernommen.

 

Letzten Endes ist es nicht entscheidend, ob die freie Berichterstattung durch Freiheitsstrafen oder

„nur“ durch existenzbedrohende Geldstrafen gefährdet wird. Es geht um den Grundsatz: um Presse -

und Meinungsfreiheit in dem vollen Umfang, den die Europäische Menschenrechtskonvention und die

Europäische Grundrechtscharta festgelegt haben.

 

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, eben diese Freiheiten unter allen Umständen zu schützen. Er hat

daher jeden einzelnen Versuch zu deren Einschränkung im Wirkungsbereich der Bundesregierung zu

unterbinden. Da dieser Schutz durch die Vorhaben des Justizministeriums nicht mehr gewährleistet

scheint, stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

 

ANTRAG

 

Der Nationalrat möge beschließen:

 

Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Ministerrat

 

1.   in der Regierungsvorlage zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens keine Bestimmung zu

      beschließen, die inhaltlich dem von Justizminister Böhmdorfer vorgeschlagenen §56 StPO

      entspricht, und diese und andere Bestrebungen des Justizministers zur Einschränkung der

      Beschuldigtenrechte und der Pressefreiheit abzuwenden;

 

2.   eine Regierungsvorlage zu beschließen, in der § 301 StGB so geändert wird, daß er nicht mehr zur

      Bedrohung der Presse - und Meinungsäußerungsfreiheit mißbraucht werden kann.

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieses Antrages gem §74a iVm §93 Abs2 GOG verlangt