506/A(E) XXI.GP

Eingelangt am: 26.09.2001

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Manfred Lackner

und GenossInnen

betreffend Studien über die Einsatz von „Erwachsenenmedikamenten“ in der Kinderheilkunde

 

Nach Einschätzung von Experten sind 80 Prozent der Arzneimittel, die in der

Kinderheilkunde eingesetzt werden, für diesen Indikationsbereich nicht zugelassen. Diese

Medikamente sind mithin nicht gezielt und systematisch untersucht worden, so weit es um

ihre Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei der pädiatrischen Anwendung geht.

Für etwa 40 Prozent der in Deutschland verordneten Medikamente, die nach der

Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unverzichtbar sind, gilt nach

Herstellerangaben in der Kinderheilkunde ein prinzipielles Anwendungsverbot. Die

Kinderärzte müssen jedoch solche „Erwachsenenmedikamente“ zur Therapie einsetzen, wenn

ein Heilungsversuch mit ihnen Erfolg verspricht. In diesen Fällen bewegen sich die

Kinderärzte außerhalb des haftungsrechtlichen Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Für

Heilversuche mit „Erwachsenenmedikamenten“ benötigen die Pädiater die spezielle

Einwilligung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten und so weit möglich - die

der Kinder selbst.

 

Von der therapeutisch wirksamen Dosis eines Arzneimittels, das zur Behandlung einer

Erkrankung bei Erwachsenen angewandt wird, kann nicht ohne Weiteres eine für den

kindlichen oder jugendlichen Organismus wirksame Dosis abgeleitet werden. Kinder und

Jugendliche können nicht als kleine Erwachsene angesehen und therapiert werden. Die

Kinderheilkunde unterscheidet anhand der Reifungs - und Differenzierungsprozesse des

Organismus vielmehr fünf Entwicklungsstadien, (Frühgeborene, Neugeborene, Kleinkinder,

Schulkinder und Adoleszente), die jeweils durch physiologische Besonderheiten

gekennzeichnet sind, die ihrerseits für die Arzneimitteltherapie relevant sind.

 

Wegen des Fehlens systematisch erhobener wissenschaftlicher Daten verharrt die

Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen notwendigerweise auf der Stufe der

Empirie, wenn ,,Erwachsenenmedikamente“ eingesetzt werden. Die vorhandenen

Therapieempfehlungen sind letztlich mit einer „Kochrezeptesammlung“ vergleichbar. Die

medikamentöse Behandlung von Kindern und Jugendlichen weist demnach nicht den

Qualitätsstandard auf, der bei Erwachsenen erreicht ist. Der Einsatz von

„Erwachsenenmedikamenten“ in der Pädiatrie geht mit einem höheren Risiko für

unerwünschte Nebenwirkungen einher, es kann zu klinisch relevanten Über - und

Unterdosierungen kommen. Diese Situation kann sich zudem dadurch weiter verschärfen,

dass in der Kinderheilkunde gut bewährte Präparate wegen fehlender wirtschaftlicher

Interessen der pharmazeutischen Unternehmer nicht mehr in die Nachzulassung gebracht und

deshalb alsbald nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Die Kinder, die in Österreich leben,

haben aber dasselbe Recht auf eine adäquate, effiziente und sichere Pharmakotherapie wie

Erwachsene.

 

Mit dem Problem des Einsatzes von „Erwachsenenmedikamenten“ in der Kinderheilkunde ist

nicht nur Österreich konfrontiert. Zu seiner Lösung sind weltweit verschiedene Alternativen

entwickelt worden. Die USA haben eine Vorreiterrolle übernommen. Mit dem Modernization

Act von 1997 haben sie ein Gesetzpaket geschnürt, das zum einen Zwangsmaßnahmen und

zum anderen wirtschaftliche Anreize enthält. Die Hersteller innovativer Arzneimittel sind

seither gehalten, die Indikationsstellung auch für die Kinderheilkunde zu beantragen und die

entsprechenden Nachweise beizubringen, wenn erwartet werden kann, dass das Medikament

für die Behandlung kranker Kinder und Jugendlicher geeignet ist. Die Sicherheit und

therapeutische Wirksamkeit solcher Arzneimittel müssen für jede einzelne Altersgruppe

untersucht werden. Ferner kann die US - amerikanische Zulassungsbehörde, die Food and Drug

Administration (FDA) kindgerechte Darreichungsformen vorschreiben. Den Herstellern

bereits zugelassener ,,Erwachsenenmedikamente“ kann die FDA ggf. vorgeben, ihre Präparate

im nachhinein für den Einsatz in der Kinderheilkunde zu untersuchen. Sie hat insoweit eine

Prioritätenliste erstellt, die 400 zu prüfende Wirkstoffe umfasst.

 

Die wirtschaftlichen Anreize bestehen in der Verlängerung des Patentschutzes bzw.

Alleinvertriebsrechts um sechs Monate, wenn das Arzneimittel auch für den Einsatz in der

Kinderheilkunde zugelassen wird. Beantragt der Arzneimittelhersteller eine nachträgliche

Indikationsstellung in der Kinderheilkunde, wird er von den Bearbeitungsgebühren befreit.

Die Pediatric Rule sieht weitere Verbesserungen vor: Bei der FDA ist ein Ausschuss

pädiatrischer Sachverständiger einzusetzen, Leitlinien über kinetische und klinische Studien

mit Kindern und Jugendlichen sind zu erarbeiten und zu veröffentlichen, schließlich ist die

systematische Begleitung und Überwachung aller Studien zu Gewähr leisten, die mit Kindern

durchgeführt werden.

 

Darüber hinaus werden in den USA staatliche Zuschüsse für Kompetenzzentren gezahlt, die

Studien mit Wirkstoffen vorbereiten, durchführen und auswerten, die in der Kinderheilkunde

eingesetzt werden sollen. Des Weiteren fließen unmittelbar staatliche Gelder in die Förderung

von Forschung an und mit Wirkstoffen, die in der Pädiatrie angewendet werden sollen. Die

Europäische Kommission hat ähnliche Konzepte erarbeitet.

Im Gegensatz zu den staatlichen Aktivitäten spielt die Entwicklung von Medikamenten für

Kinder in der Arzneimittelforschung der Pharmaunternehmen lediglich eine untergeordnete

Rolle. Die Gründe hierfür sind die hohen Entwicklungskosten, die begrenzten Absatzchancen

auf dem Markt und das ausgeprägtere Risiko des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen

in der klinischen Prüfung.

 

Unter dem Strich ist die Situation auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit in der

Kinderheilkunde so unbefriedigend, dass sie nicht länger hinnehmbar ist. Es besteht

dringender Handlungsbedarf.

 

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

 

Entschließungsantrag:

 

Die Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird beauftragt im

Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen - ÖBIG - eine Studie erstellen zu

lassen, die nationale und internationale empirische Erkenntnisse über den Einsatz von

,,Erwachsenenmedikamenten“ in der Kinderheilkunde erfaßt und systematisch auswertet und

die Ergebnisse dieser Analyse zu veröffentlichen und dem Nationalrat zuzuleiten.

 

Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird weiters beauftragt in der

Bundesstrukturkommission anzuregen, dass multizentrische klinische Studien über

„Erwachsenenmedikamente“ in der Kinderheilkunde, an kranken Kindern und Jugendlichen

vorbereitet, betreut und partiell oder vollständig finanziert werden.

 

 

 

 

 

 

Zuweisungsvorschlag: Gesundheitsausschuss