553/AE XXI.GP
Eingelangt am: 23.11.2001
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Dieter Brosz, Haidlmayr, Freundinnen und Freunde
betreffend
Sicherung des Zugangs gehörloser Kinder zur Österreichischen
Gebärdensprache (ÖGS) im österreichischen Schulsystem
Etwa jedes
tausendste Kind wird gehörlos geboren oder ertaubt vor dem
Spracherwerb und fällt somit in eine Gruppe von Kindern mit besonderem
Förderbedarf. Die Hörstörung kann hierbei als
Primärbehinderung angesehen
werden.
Sprachentwicklungsverzögerungen, emotionale Störungen, kognitive
Auffälligkeiten, die öfters in Kombination mit einer
Hörschädigung zu beobachten
sind, können als Sekundärbehinderung eingestuft werden, die mit
entsprechender
Förderung weitgehend vermeidbar sind.
Versäumnisse
der Entwicklungsförderung in den ersten Lebensjahren sind später
nur schwer- beziehungsweise überhaupt nicht nachzuholen. Der Erwerb einer
natürlichen Gebärdensprache sollte möglichst früh beginnen,
um die Vorteile der für
den Spracherwerb optimalen Phase zu nutzen.
Internationale
Forschungsergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer
bilingualen (Lautsprache und einer Gebärdensprache) und bikulturellen
Förderung
für gehörlose Kinder und deren Eltern. Die Familie der
Gebärdensprachen gilt
weltweit als Erstsprache (umgangssprachlich "Muttersprache")
gehörloser Menschen
und vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet handelt es sich bei
der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) um eine vollwertige
Sprache.
Dennoch ist
derzeit ist die Lautspracherziehung die dominierende
Unterrichtsmethode in Österreich, und vereinzelte Angebote von
"Gebärdenpflege"
werden
unsystematisch und mit marginalem Einfluß auf den restlichen Unterricht
gemacht.
Diese lautsprachliche Erziehung und Wissensvermittlung, also ohne
Österreichische Gebärdensprache, wie sie an österreichischen
Gehörlosenschulen
praktiziert wird, beeinträchtigt die Kommunikation mit gehörlosen
Kindern und
Jugendlichen auf emotional-psychischer und inhaltlich-fachlicher Ebene stark.
Das
führt zu einer geringen Sprachkompetenz der Kinder sowohl in der
Lautsprache
Deutsch
als auch der ÖGS. Als direkte Folge davon kann die gravierend verminderte
Chancengleichheit von Mitgliedern der Gehörlosengemeinschaft in
Österreich
gesehen werden.
Bilingualer
Unterricht hat derzeit nur in einer einzigen ersten Volksschul-Klasse in
Wien Schulversuchsstatus. Bilingualer Unterricht bedeutet in diesem Fall,
Deutsch
gezielt
als Zweitsprache (Lese- und Schriftsprache) zu unterrichten und die
Österreichische Gebärdensprache als Medium der Wissensvermittlung
einzusetzen
und für die Vermittlung von Gebärden- und Lautsprache zu nutzen. Dem
Kind soll
mit Unterstützung der bilingualen Förderung die Möglichkeit
gegeben werden durch
eine altersgemäße Kommunikation und individuelle Betreuung eine
gelungene
Gesamtentwicklung
zu durchlaufen. Bilinguale Förderung bedeutet,
Gebärdensprache
und Lautsprache in der Kommunikation mit dem Kind gleichwertig
einzusetzen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die
Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird aufgefordert,
den
Zugang gehörloser Kinder zur Österreichischen Gebärdensprache
durch folgende
Maßnahmen sicherzustellen und die notwendigen gesetzlichen Änderungen
vorzubereiten:
1. Das Recht jedes gehörlosen Kindes auf
Unterricht in ÖGS muss gesichert
werden.
2. österreichische Gebärdensprache
muss als Erstsprache gehörloser Kinder
anerkannt werden, auch wenn ihre Eltern eine andere Erstsprache haben. Diese
Erkenntnis sollte sich im Curriculum für Gehörlosenschulen
niederschlagen.
3. Das Erlernen der österreichischen
Gebärdensprache und Mindestkenntnisse der
Gehörlosenkultur müssen ein wesentlicher Teil der Ausbildung zum/zur
Gehörlosenpädagogln sein. Dies muss durch Sprachprüfungen
gesichert werden
und ein klar definierter Mindeststandard an ÖGS-Kenntnis muss für
alle mit
gehörlosen
Kindern und Jugendlichen arbeitenden Menschen (in der
Frühförderung, und im Kindergarten-, Schul- und Internatsbereich)
festgesetzt
werden.
4. Fortbildungsmöglichkeiten bereits tätiger
PädagogInnen in diesen Bereichen und
entsprechende Angebote für Eltern gehörloser Kinder sind
sicherzustellen. Das in
Schweden mit größtem Erfolg praktizierte Modell schreibt z.B.
kostenlose,
umfassende, professionelle ÖGS-Kurse für Familien von gehörlosen
Kindern vor.
5. Gehörlose AnwärterInnen auf den Beruf der
Lehrerin/des Lehrers dürfen nicht
diskriminiert
werden: Die Möglichkeit, LehrerIn an einer Gehörlosenschule zu
werden
muss im Unterschied zur gegenwärtigen Praxis der Pädagogischen
Akademien,
gehörlosen Studierenden nur "Zertifikate" aber keine
Lehrberechtigung auszustellen, gewährleistet werden.
6. Die Gewährleistung bilingualen
Unterrichts (mit ÖGS als Erstsprache und
Deutsch als Zweitsprache siehe DaF und DaZ-Bereich) sowie rasche
Angleichung an das europäische Niveau der Gehörlosenbildung ist
sicherzustellen.
7. Unterrichts- und Prüfungsformen müssen
angepasst werden: Englisch sollte
sinnvollerweise schriftlich statt mündlich geprüft werden, angepasste
Musikerziehung (z.B. Rhythmuserziehung,
Gebärdensprachenpoesie, visuelle
Erziehung,
...) etc. ist umzusetzen.
8. Gehörlose Kinder müssen das gleiche Recht
auf Bildung haben wie hörende:
Qualität und Standard an Gehörlosenschulen muss dem Standard an
Regelschulen
angepasst werden.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Unterrichtsausschuss vorgeschlagen.