566/AE XXI.GP

Eingelangt am: 12.12.2001

 

 


DRINGLICHER ANTRAG

der Abgeordneten Glawischnig, Freundinnen und Freunde
an den Bundeskanzler

betreffend eine österreichische Initiative für einen Atomausstieg in Europa beim EU-Gipfel in
Laeken.

MISSERFOLG 1: DIE GEFÄHRLICHSTEN AKW EUROPAS SOLLTEN LÄNGST
GESCHLOSSEN SEIN

„Die drei gefährlichsten Kernkraftwerke in Europa werden geschlossen", schreibt der
Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft in jenen
Großinseraten vom 7. und 8.12.2001, in denen die Atom-Politik der Bundesregierung als
erfolgreich dargestellt wird. Die drei AKW, die so genannten „Hochrisikoreaktoren" Bohunice
(Block 1+2), Kozloduj (Block 1-4), Ignalina (Block 1+2) sollten laut ursprünglich mit der EU
vereinbarten Stillegungsplänen längst geschlossen sein (s. Tabelle). Entgegen zahlreichen
Ankündigungen, sich für eine rasche Schließung dieser Reaktoren einzusetzen, hat die
Bundesregierung sogar eine dramatische Verschiebung der ursprünglichen
Stillegungszeitpläne durch die EU unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Das slowakische
AKW Bohunice, das als eines der gefährlichsten der Welt gilt, kann jetzt mit EU-Billigung bis
2006 bzw. sogar 2008 am Netz bleiben. Die Bundesregierung hat es nicht nur verabsäumt,
Protest einzulegen, sondern hat mittlerweile dem Abschluss des Energiekapitels mit der
Slowakei zugestimmt.

Konzept Sicherheitsstandards in Osteuropa gescheitert

Bereits 1992 wurde auf einem G7-Gipfel in München ein multilaterales Aktionsprogramm zur
Verbesserung der nuklearen Sicherheit in Osteuropa vereinbart. In Folge wurden AKW
russischer Bauart (RBMK=Tschernobyl-Typ/z.B.: Ignalina; WWER 440/230: z.B. Bohunice
V1, Kozloduj 1-4) als nicht nachrüstbare Hochrisikoreaktoren eingestuft, die so rasch als
möglich stillgelegt werden sollten. 1997 wurden von der EU im Rahmen der Agenda 2000 für
diese Reaktoren Stillegungsdaten festgelegt und für Sicherheitsnachrüstungen bis zum
Ausstiegsdatum Finanzhilfen zugesagt. Als letzter der von der EU als hochriskant
eingestuften insgesamt acht Blöcke in den drei AKW sollte Ignalina Block 2 im Jahr 2002
vom Netz gehen. Bis heute ist kein einziger Block abgeschaltet worden. Im Gegenteil vier
neue Risiko-Reaktoren gingen seit 1993 ans Netz (Kozloduj Block 6 - 1993; Cernavoda
1/Rumänien - 1996; Mochovce 1+2/Slowakei -1998/99).

Obwohl also klare Stillegungsdaten vereinbart worden sind und sogar Gelder für kurzfristige
Sicherheitsnachrüstungen bereitgestellt wurden, haben die betroffenen Staaten
Stillegungszusagen gebrochen. So führte ein ursprünglich als Ausstiegsprogramm
gedachtes Konzept zu Laufzeitverlängerungen. Vor dem Helsinki-Gipfel 1999 wurden dann
von der EU-Kommission neue Schließungsdaten akzeptiert.

AKW

 

Block

 

Ursprüngl. vereinbarte
Schließungsdaten

 

Neu vereinbarte
Schließungsdaten

 

Kozloduj (Bulgarien)

 

1 + 2
3 + 4

 

Frühjahr 1997
Ende 1998

 

2003
noch nicht vereinbart

 

Ignalina (Lithauen)

 

1
2

 

1998
2002

 

2005
2009

 

Bohunice (Slowakei)

 

1 + 2

 

2000

 

2006/2008

 

Schließungsdaten Hochrisikoreaktoren: ursprünglich und aktuell.


MISSACHTUNG PARLAMENTARISCHER ANTI-ATOM-AUFTRÄGE DURCH DIE
BUNDESREGIERUNG

Beispiel 1; Hochriskoreaktor Bohunice V1: Laufzeitverlänqerung akzeptiert

Per einstimmigem Nationalratsbeschluss vom 18.11.1999 (3/UEA/XXI.GP) wurde die
Bundesregierung unter anderem beauftragt „im Hinblick auf den Europäischen Rat am 10.
Und 11. Dezember 1999 in Helsinki raschest koordinierte Schritte mit dem Ziel einer
Einleitung der Schließung im Jahr 2000 für das Atomkraftwerk Bohunice zu unternehmen",
sowie „sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass vom Europäischen Rat in Helsinki ein
klares Signal zur Vorverlegung der konkret vorliegenden Schließungsdaten ergeht.
Österreich verlangt Verhandlungsbereitschaft der Slowakischen Republik über die
Möglichkeit früherer Schließungsdaten für Bohunice noch vor Aufnahme konkreter
Beitrittsverhandlungen mit der Slowakischen Republik."

Auftrag nicht umgesetzt:

Im September 1999 legte die Slowakei für das AKW Bohunice einen neuen Schließungsplan
vor, wonach die beiden Blöcke erst in den Jahren 2006 bzw. 2008 vom Netz genommen
werden sollen. Der ursprünglich von der slowakischen Regierung gegenüber der EU
zugesagte Stillegungstermin im Jahr 2000 wurde damit um 6 bzw. 8 Jahre nach hinten
verschoben. Entgegen der Entschließung des Nationalrates hat die Bundesregierung die
Laufzeitverlängerung für Bohunice akzeptiert und der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
mit der Slowakei beim EU-Rat in Helsinki im Dezember 1999 vorbehaltlos zugestimmt.

Beispiel 2: Aktionsplan der Bundesregierung aus Juli 1999 bis heute nicht umgesetzt

Im Juli 1999 verabschiedete die damalige rot-schwarze Bundesregierung per einstimmigem
Ministerratsbeschluss den Aktionsplan „österreichische Anti-Atom-Politik im europäischen
Zusammenhang". Der Aktionsplan wurde vom damaligen Umweltminister Bartenstein (ÖVP)
als Meilenstein gefeiert wurde. Auch die blau-schwarze Bundesregierung hat sich im
Regierungsprogramm zur Umsetzung des Aktionsplanes verpflichtet. Der Nationalrat hat den
Aktionsplan zweimal einstimmig bekräftigt (18.11.1999 und 6.6.2001).

Der Aktionsplan enthält unter anderem betreffend die Hochrisikoreaktoren „die Vorlage
umfassender und überzeugender Schließungspläne als ein unverzichtbarer Bestandteil des
Beitrittsprozesses", betreffend Temelin „den Stand der Technik als eine Voraussetzung für
eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union", eine Initiative für die Reform des EURATOM-
Vertrages mit dem Ziel einen Beschluss beim Rat in Helsinki (Dezember 1999) anzustreben,
Klärung von Wettbewerbsfragen zum AKW Temelin „im Rahmen der Beitrittsverhandlungen
zum Kapitel Wettbewerb" konsequent zu relevieren", sowie das Eintreten „für effektive
gesamteuropäische Anti-Dumping-Regelungen" und das Versprechen an die Konsumenten,
für den Bezug von Ökostrom finanziell nicht mehr belastet zu werden als beim Bezug von
herkömmlichem Strom.

Auftrag nicht umgesetzt:

Der Aktionsplan ist bis heute nicht umgesetzt worden.

•    „Überzeugende Schließungspläne für Hochrisikoreaktoren wurden nicht vorgelegt. Die
Bundesregierung hat trotzdem grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
mit der Slowakei gegeben und mittlerweile auch das Energiekapitel angeschlossen.

•    Die Position, dass der Stand der Technik eine Voraussetzung für eine Mitgliedschaft zur
Europäischen Union ist, wurde aufgegeben.

•    Es wurde keine nennenswerte Euratom-Initiative gesetzt.

•    Es wurde beim AKW Temelin die Wettbewerbsfrage nicht verfolgt.


•    Es wurde verabsäumt, für effektive gesamteuropäische Anti-Dumping-Regelungen
eintreten

•    Die Wahlfreiheit des Konsumenten beim Strombezug ist nicht in vollem Umfang
gegeben, Konsumenten, die keinen Atomstrom wollen (also Ökostrom beziehen) müssen
in vollem Umfang für die finanzielle Mehrbelastung selbst aufkommen

Beispiel 3: Sicherheitsstandards für AKW Temelin unvollständig und ohne Rechtssicherheit:

Am 21.11. 2001 wurde im Nationalrat mit den Stimmen der ÖVP und FPÖ eine
Entschließung (104/E/XXI.GP) verabschiedet, die Bundeskanzler Schüssel als
Verhandlungsmandat mit dem tschechischen Premier Zeman in Brüssel dienen sollte.

Die österreichische Bundesregierung wird darin unter anderem ersucht, dem vorläufigen
Abschluss des Energiekapitels im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der tschechischen
Republik nicht zustimmen, solange folgende Voraussetzungen nicht erfüllt sind:

•    Die tschechische Republik verpflichtet sich, die von Österreich in die Diskussion
eingebrachten zentralen 7 Sicherheitsprobleme zu lösen und die Lösungen umzusetzen.

•    Diese mit Tschechien bezüglich Temelin zu vereinbarende Vorgangsweise wird auch im
Rahmen des Beitrittsprozesses auf wirksame Weise verankert.

Auftrag nicht umgesetzt:

Weder wurde durch die Brüsseler Temelin-Vereinbarung erreicht, dass sich Tschechien zur
Lösung aller sieben von Österreich thematisierten Sicherheitsprobleme verpflichtet, noch
wurde die Vereinbarung im Energiekapitel so verankert, dass die Behebung der sieben
Sicherheitsmängel vor dem EuGH einklagbar sind.

MISSERFOLG 2: FREIGABE VON 500 MILLIONEN ATS ÖSTERREICHISCHE
STEUERGELDER FÜR EU-ATOMINDUSTRIE (EURATOM-FORSCHUNGSPROGRAMM)

Mit der Zustimmung zum EURATOM-Programm hat Wissenschaftsministerin Gehrer den
Betrag von 500 Millionen ATS österreichischer Steuergelder zur Förderung der EU-
Atomindustrie freigegeben. 17 Milliarden ATS werden in den Jahren 2002-2006 in die EU-
Atomforschung fließen. Hauptziel des Programms ist der Bau von kommerziellen
Kernfusionsreaktoren und die Erforschung von neuen Reaktorkonzepten im Bereich
Kernspaltung. Der Programmteil Sicherheitsforschung ist vernachlässigbar gering dotiert.

MISSERFOLG 3: BUNDESREGIERUNG GIBT GRÜNES LICHT FÜR INBETRIEBNAHME
DES AKW TEMELIN

Temelin-Vereinbarunq keine Garantie für Lösung Sicherheitsfraqen
„Für Österreich gut verhandelt. Bundeskanzler Schüssel: Wir haben höchstmögliche
Sicherheit für die Menschen erreicht", ließ die ÖVP am 7. Und 8. Dezember in großen
Inseraten in österreichischen Tageszeitungen verlautbaren. In den Inseraten wird behauptet,
dass die österreichischen Sicherheitsforderungen vollinhaltlich von Tschechien umgesetzt
werden und dass die in Brüssel zwischen Bundeskanzler Schüssel und dem tschechischem
Premier Zeman verhandelte Vereinbarung rechtsverbindlich sei und nach einem Beitritt
Tschechiens zur EU beim Europäischen Gerichtshof einklagbar sein werde. Diese
öffentlichen Behauptungen, bezahlt mit österreichischer Steuermitteln aus der Parteikassa
der ÖVP, entsprechen nicht der Faktenlage und sind daher die Unwahrheit. Die ÖVP und
allen voran Bundeskanzler Schüssel versuchen, die Öffentlichkeit durch Falsch-Aussagen
vorsätzlich in die Irre zu führen.


Sicherheitsforderungen werden nur mangelhaft von Tschechien umgesetzt
Für die meisten der sieben offenen Sicherheitsfragen wurde seitens Tschechien im Brüssel-
Abkommen keine ausreichende Lösung zugesagt, Messlatte für die Erfüllung der insgesamt
sieben offenen Sicherheitsforderungen ist der von einem internationalen Expertenteam im
Auftrag der Bundesregierung erstellte Bericht (NPP Temelin, Austrian Technical Position
Paper, Juli 2001). Würden die Aussagen des Bundeskanzlers der Wahrheit entsprechen, so
müsste das Brüsseler Abkommen einer rechtssicheren Verpflichtung Tschechiens
entsprechen, allen im Expertenbericht aufgelisteten Empfehlungen nachzukommen und die
Sicherheitsmängel vollständig zu beheben. Das entspricht nicht den Tatsachen, denn

•    die für die Sicherheit extrem wichtige Frage des Containments (also jener Beton-
Schutzhülle, die bei schweren Unfällen ein Entweichen von Radioaktivität verhindern soll)
ist im Brüssel-Abkommen nicht angesprochen.

•    beim Sicherheitspunkt „Integrität des Reaktordruckbehälters und Thermoschock-Analyse"
hat Tschechien nur das zugesagt, was im Rahmen der von der tschechischen
Atomaufsichtsbehörde vorgesehenen Maßnahmen ohnehin geplant war, nämlich die
Sprödbruchsicherheitsanalyse für den Reaktordruckbehälter erst innerhalb der nächsten
5 Jahre (!) durchzuführen. Der Expertenbericht i.A. der Bundesregierung fordert das
Durchführen der Analysen vor einer Inbetriebnahme. Auch Block 2 kann in Betrieb
genommen werden, ohne dass die Sprödbruchanalysen vor der Aufnahme des
Testbetriebes durchgeführt werden.

•    Bei den zwei Sicherheitsfragen „Auslegungsmängel der 28,8 Meter Bühne" und
„Funktionale Qualifizierung von sicherheitsrelevanten Ventilen" wurde lediglich zugesagt,
dass fehlende Analysen bis September bzw. Juni 2002 nachgemacht werden. Das
Ergebnis soll dann der tschechischen Atomaufsichtsbehörde vorgelegt werden. Die
Entscheidung, ob und in welchem Ausmaß nachgerüstet wird, bleibt der tschechischen
Aufsichtsbehörde überlassen und dadurch völlig offen.

Ein eindeutiger Beleg dafür, dass Tschechien sich nicht verpflichtet sieht, die
österreichischen Forderungen umzusetzen, sind die Aussagen des Tschechischen Premiers
Zeman, der die zusätzlichen Kosten für die Erhöhung der Sicherheit von Temelin mit ATS 40
Millionen beziffert. Expertenschätzungen gehen von den hundertfachen Kosten (ca. 4 Mrd.
ATS) aus, um Temelin auf EU-Sicherheitsniveau zu bringen. Für den tschechischen
Industrieminister Gregr sind die Sicherheitsnachrüstungen überhaupt „vernachlässigbar.

Vereinbarung ist rechtlich kaum abgesichert und nicht vor dem EuGH einklaqbar
Im Verhandlungskapitel Energie wurde eine Passage aufgenommen, die auf das Brüsseler
Temelin-Abkommen Bezug nimmt. Die Formulierung im Energiekapitel ist die Nagelprobe für
die beabsichtigte eu-rechtliche Verankerung der österreichisch-tschechischen Vereinbarung.
Eine genaue Analyse des Textes zeigt, dass die EU im Enerqiekapitel nur zwei der sieben
von Österreich vorgebrachten Sicherheitsprobleme berücksichtigen will.
Denn die EU
betrachtet die Brüssel-Vereinbarung lediglich als eine „Information Tschechiens, die im
Rahmen des Ratsberichts über nukleare Sicherheit im Kontext der Erweiterung bereitgestellt
wurde und wird diese Information berücksichtigen, wenn sie ihre Sicherheitsüberprüfung
(peer review) durchführt, soweit sie für die Umsetzung der Empfehlungen des genannten
Berichts (Anm.: gemeint ist der EU-Bericht) relevant sind", heißt es jetzt wörtlich im
Energiekapitel.

Der angesprochene EU-Bericht wurde bereits am 27. Mai 2001 veröffentlicht und schreibt
Tschechien für Temelin nur zwei konkrete Nachrüstungsempfehlungen vor (28,8 Meter
Bühne und Ventile). Im Energiekapitel ist also klar festgeschrieben, dass die EU nur jene
Informationen berücksichtigt, die bereits als Empfehlungen im genannten EU-Bericht
festgeschrieben sind. Nur für diese zwei Punkte besteht daher Rechtssicherheit. Alle
anderen Sicherheitsfragen ''darunter so wichtige wie Containment (Schutzhülle).
Reaktordruckgefäß oder Erdbebensicherheit) werden somit von der EU nicht berücksichtigt,


werden daher nicht in ein abfälliges Protokoll zum Beitrittsvertrag aufgenommen und sind
daher auch nicht vor dem EuGH einklagbar.

Brüssel-Abkommen ist ein vorgetäuschtes Verhandlungserqebnis des Kanzlers
Das Zustandekommen des Brüsseler Verhandlungsergebnisses ist ein Täuschungsmanöver
des Bundeskanzlers. Denn die Formulierung zu jenen zwei Sicherheitsfragen, die von der
EU auch im Rahmen des Energiekapitels berücksichtigt werden, stammen wortident aus
einem tschechischen Papier aus September 2001, in dem Prag die weitere Vorgangsweise
betreffend der zwei Sicherheitsfragen gegenüber der EU-Kommission zugesagt hat. Der
angebliche Verhandlungsdurchbruch war in Wirklichkeit keiner, der Bundeskanzler hat
Scheinverhandlungen geführt.

Abschluss des Enerqiekapitels bedeutet Ende der Temelin-Verhandlungen
Die Eu-Außenminister haben beim Rat für allgemeine Angelegenheiten die gemeinsame
Position der EU zum Verhandlungskapitel Energie mit Tschechien ohne weitere Diskussion
beschlossen. Der von Außenministerin Ferrero-Waldner geäußerte Vorbehalt, im Laufe der
Beitrittsverhandlungen wieder auf das Energiekapitel zurückzukommen, steht in krassem
Widerspruch zur EU-Praxis. Ein einmal vorläug abgeschlossenes Verhandlungskapitel kann
nicht jederzeit einfach wieder aufgemacht werden. Laut EU-Kommissar Verheugen bedarf es
sogar eines einstimmigen Beschlusses der 15 Mitgliedsstaaten, das Kapitel wieder zu
öffnen. Tschechien wird heute, Mittwoch, auf der Beitrittskonferenz der Position der EU-15
zum Energiekapitel zustimmen. Dies bedeutet das endgültige Ende der Temelin-
Verhandlungen auf EU-Ebene im Rahmen des Beitrittsprozesses. Das Energiekapitel wird
wegen Temelin nicht mehr aufgemacht werden.

Temelin-Zeitplan schiebt Sicherheitsprobleme auf die lange Bank

Die von Bundesminister Molterer gemeinsam mit dem tschechischen Aussenminister Kavan
erarbeitete „road map", also der Zeitplan für die Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen ist
unzureichend. Wichtige Sicherheitsfragen werden auf die lange Bank geschoben. Besonders
gravierend erscheint die Tatsache, dass in der Road-Map keine Unterscheidung zwischen
dem im Testbetrieb befindlichen Block 1 des AKW und Block 2 gemacht wird, obwohl bei
Block 2 die Brennelemente noch nicht eingeführt wurden.

Beispiel 1: Integrität des Reaktordruckbehälters und Thermoschock-Analyse

„Für Block 1 wurde keine vorbetriebliche Sprödbruchsicherheitsanalyse des Reaktor-
druckbehälters bei Themoschockbelastung unter Druck durchgeführt. Die
Sprödbruchsicherheit des Druckgefäßes ist von höchster Wichtigkeit, da die
Sicherheitssysteme weder in Temelin noch anderswo dafür ausgelegt sind, plötzliches
Versagen eines Reaktordruckbehälters zu beherrschen. Ein Störfall dieser Art könnte zu
Freisetzungen von radioaktivem Material in die Umwelt führen, die sich unmittelbar auf
Österreich auswirken könnten. Die vorbetriebliche Sprödbruchsicherheitsanalyse dient dem
Nachweis, daß während der gesamten Betriebsdauer trotz unvermeidlicher
Materialversprödung ein hinreichend großer Sicherheitsabstand gegenüber katastrophalem
Versagen des Reaktordruckbehälters unter Druck- und Thermoschockbelastung erhalten
bleibt. Die Tatsache, dass die Genehmigungsbehörde einem Zeitplan zugestimmt hat,
welcher eine Sprödbruchsicherheitsanalyse erst innerhalb der nächsten fünf Jahre vorsieht
und damit ein wesentliches Kriterium der Lizenzierung umgeht, wirft ernste Fragen zur
Haltung der Beteiligten hinsichtlich Sicherheitskultur auf."

NPP Temelin, Austrian Technical Position Paper, Juli 2001

Obwohl die österreichischen Atom-Experten eine Durchführung dieser Analysen vor der
Inbetriebnahme dringend empfehlen (was zumindest für Block 2 hoch möglich wäre), soll
diese wichtigen Frage erst in der ersten Jahreshälfte 2004 (!) in einem Meeting behandelt


werden. Dieser Zeitplan entspricht dem von der tschechischen Atomaufsichtsbehörde
ursprünglich vorgesehenen Plan. Es ist augenscheinlich, dass sich die Bundesregierung in
dieser Frage keinen Milimeter weit durchgesetzt hat.

Beispiel 2: Integrität der Prirnärkreislaufkomponenten, zerstörungsfreie Werkstoffprüfung:

„Das Konzept der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung entspricht nicht dem Stand der
Technik. Die zerstörungsfreien Werkstoffprüfverfahren für die Prirnärkreislaufkomponenten
wurden noch nicht validiert (kalibriert), obwohl die zu diesem Zweck erforderlichen
Testblöcke bereits zur Verfügung stünden. Aufgrund unzureichender Prüfung unerkannt
gebliebene Materialfehler könnten die Materialfestigkeit und damit Unversehrtheit
sicherheitsrelevanter Komponenten gefährden. Spezielle Ultraschallprüfungsverfahren (in
diesem Fall Tandem- oder französische Fokussierungstechnologie), die eine zuverlässige
Feststellung von normal zur Oberfläche liegenden, rißähnlichen Defekten am
Reaktordruckbehälter gewährleisten, wurden nicht angewandt. Obwohl der Block 1 bereits in
Betrieb genommen wurde, verfügt das Kraftwerk nicht über einen zusammenfassenden
Bericht der Ergebnisse der durchgeführten Ultraschalltests des Primärkreislaufes. Ein
zusammenfassender Bericht über sämtliche vorbetriebliche Prüfungsergebnisse - wie er von
den Richtlinien der Genehmigungsbehörde gefordert wird - existiert auch nicht. Die
Rundschweißnähte der Frischdampfleitung auf der +28,8 m-Bühne wurden lediglich mittels
Gammadurchstrahlung überprüft."

NPP Temelin, Austrian Technical Position Paper, Juli 2001

Auch zu diesem wichtigen Punkt soll erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 ein Meeting
stattfinden, obwohl die österreichischen Experten gefordert hatten, dass diese
Überprüfungen jedenfalls vor der Beladung des Reaktors mit Brennelementen vorgenommen
werden sollen.

EU-SICHERHEITSSTANDARDS NÄCHSTER MISSERGOLG DES BUNDESKANZLERS?

Die Ankündigung des Bundeskanzlers, sich beim bevorstehenden EU-Rat in Laeken für EU-
weite Sicherheitsstandards für AKW einzusetzen, könnte zum nächsten Misserfolg der
österreichischen Anti-Atom-Politik werden. Denn Sicherheitsstandards können gefährlich
sein, wenn sie nicht eindeutig, transparent und einklagbar als Ausstiegsinstrument verankert
werden.

GEFAHR 1: Ein Wiederholen der Fehler, die EU in Osteuropa gemacht hat
Falsch angelegt, könnte die Schüssel-Initiative kontraproduktiv sein und den europaweiten
Ausstieg um Jahre verzögern. Dann nämlich, wenn mit dem Thema Sicherheitsstandards so
umgegangen wird, wie das die EU in den letzten zehn Jahren in Osteuropa praktiziert hat.

GEFAHR 2: Niedrige Standards bringen keine Sicherheit, aber Laufzeitverlänqerunqen
Es besteht die Gefahr, dass Sicherheitsstandards so niedrig angesetzt werden, dass sie de-
facto keine Verbesserung bringen und einen europaweiten Ausstieg um Jahre verzögern.
Die einzig derzeit international anerkannten Standards sind jene der IAEO, der in Wien
angesiedelten internationalen Atomaufsichtsbehörde. Diese Standards sind jedoch sehr
vage, sehr niedrig, die IAEO ist zudem eine völlig intransparente Institution.

Die zweite relevante Institution, die sich mit Sicherheitsstandards beschäftigt, ist die WENRA
(Zusammenschluss der Aufsichtsbehörden der AKW betreibenden EU-Länder) Obwohl
WENRA kein offizielles Mandat hat, ist sie eines der wesentlichen beratenden Gremien der
EU in Sachen Nuklearenergie. In zwei Berichten hat WENRA bereits Sicherheitsstandards in
Osteuropa bewertet. Diese Berichte sind unter anderem wegen schwacher Methodologie
und sehr vager und widersprüchlicher Standards heftig kritisiert worden. WENRA hat sogar
die Stillegungsnotwendigkeit der Blöcke 1+2 von Bohunice in Frage gestellt. Angeblich


arbeitet die WENRA bereits an einem Vorschlag für Eu-weite Sicherheitsstandards. Diese
Vorgangsweise, in der sich die Atomlobby ihre Sicherheitsstandards quasi selbst vorschreibt,
kann nur dazu führen, dass die Standards sich an einem sehr niedrigen Niveau orientieren.
Die Folgen: Laufzeitverlängerungen statt Ausstiegsszenarien.

In diesem Zusammenhang stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgenden

ANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Bundeskanzler wird aufgefordert, beim EU-Rat in Laeken eine Initiative für einen
Atomausstieg in Europa zu setzen, welche die folgenden Maßnahmen umfassen soll:

•    Höchstmögliche Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke in der EU und den
Beitrittsländern als Ausstiegsinstrument. Ziel soll der gesamteuropäische Atomausstieg
innerhalb der kommenden zehn Jahre sein. Sicherheitsstandards sollen dabei als
Kriterien dienen, um verbindliche Abschaltefristen für europäische AKW festzuschreiben.
Die Sicherheitsstandards sollen unter Einbeziehung der atomfreien EU-Staaten und
insbesondere unter Beteiligung von Experten aus NGOs in transparenter Art und Weise
diskutiert und entwickelt werden. Die von der IAEO und der WENRA bisher
veröffentlichten Standards werden in diesem Zusammenhang als unzureichend
angesehen. Die Sicherheitsstandards sollen sich am höchsten Stand der Technik in der
EU orientieren.

•    Auflösung des EURATOM-Vertrages: Ein eigenes Kapitel Energie soll im EU-Vertrag
verankert werden und die massive Subventionierung der EU-Atomindustrie damit
beendet werden. Stattdessen soll die EU verstärkt auf die Förderung erneuerbarer
Energieträger setzen. Ein diesbezüglicher Beschluss soll vom Bundeskanzler für die EU-
Regierungskonferenz 2004 vorbereitet werden.

•    Europäischer Ausstiegsfond: Finanzielle Ressourcen, die auf europäischer Ebene zur
Förderung der Atomenergie zur Verfügung stehen (z.B.: EURATOM-
Forschungsprogramm, EURATOM-Kredite etc.) sollen in einen europäischen
Ausstiegsfonds umgeleitet werden, der einerseits zur Modernisierung der
Energiesysteme (Energieeffizienz, Erneuerbare Energieträger), andererseits in Form von
Zuschüssen für die Stillegung von AKW eingesetzt werden soll. Vordringlich sollte dabei
ein Ausstiegsangebot für das AKW Temelin sein.

•    Rasche Stillegung der Hochrisikoreaktoren Bohunice, Kozluduj, Ignalina. Die
Bundesregierung muss auf europäischer Ebene für eine Vorverlegung der derzeit
vereinbarten Schließungsdaten eintreten.

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieses Antrages sowie die Abhaltung
einer Debatte gern §74a (1) GOG verlangt