586/AE XXI.GP

Eingelangt am: 13.12.2001

 

 


ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Manfred Lackner

und GenossInnen

betreffend Prüfung bei der Neuzulassung von Arzneimittel für Kinder und Jugendliche

Nach Einschätzung von Experten sind 80 Prozent der Arzneimittel, die in der
Kinderheilkunde eingesetzt werden, für diesen Indikationsbereich nicht zugelassen. Diese
Medikamente sind mithin nicht gezielt und systematisch untersucht worden, so weit es um
ihre Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei der pädiatrischen Anwendung geht.
Für etwa 40 Prozent der in Deutschland verordneten Medikamente, die nach der
Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unverzichtbar sind, gilt nach
Herstellerangaben in der Kinderheilkunde ein prinzipielles Anwendungsverbot. Die
Kinderärzte müssen jedoch solche „Erwachsenenmedikamente" zur Therapie einsetzen, wenn
ein Heilungsversuch mit ihnen Erfolg verspricht. In diesen Fällen bewegen sich die
Kinderärzte außerhalb des haftungsrechtlichen Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Für
Heilversuche mit „Erwachsenenmedikamenten" benötigen die Pädiater die spezielle
Einwilligung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten und - so weit möglich - die
der Kinder selbst.

Von der therapeutisch wirksamen Dosis eines Arzneimittels, das zur Behandlung einer
Erkrankung bei Erwachsenen angewandt wird, kann nicht ohne Weiteres eine für den
kindlichen oder jugendlichen Organismus wirksame Dosis abgeleitet werden. Kinder und
Jugendliche können nicht als kleine Erwachsene angesehen und therapiert werden. Die
Kinderheilkunde unterscheidet anhand der Reifungs- und Differenzierungsprozesse des
Organismus vielmehr fünf Entwicklungsstadien, (Frühgeborene, Neugeborene, Kleinkinder,
Schulkinder und Adoleszente), die jeweils durch physiologische Besonderheiten
gekennzeichnet sind, die ihrerseits für die Arzneimitteltherapie relevant sind.

Wegen des Fehlens systematisch erhobener wissenschaftlicher Daten verharrt die
Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen notwendigerweise auf der Stufe der
Empirie, wenn „Erwachsenenmedikamente" eingesetzt werden. Die vorhandenen
Therapieempfehlungen sind letztlich mit einer „Kochrezeptesammlung" vergleichbar. Die
medikamentöse Behandlung von Kindern und Jugendlichen weist demnach nicht den
Qualitätsstandard auf, der bei Erwachsenen erreicht ist. Der Einsatz von
„Erwachsenenmedikamenten" in der Pädiatrie geht mit einem höheren Risiko für
unerwünschte Nebenwirkungen einher, es kann zu klinisch relevanten Über- und
Unterdosierungen kommen. Diese Situation kann sich zudem dadurch weiter verschärfen,
dass in der Kinderheilkunde gut bewährte Präparate wegen fehlender wirtschaftlicher


Interessen der pharmazeutischen Unternehmer nicht mehr in die Nachzulassung gebracht und
deshalb alsbald nicht mehr zur Verfugung stehen werden. Die Kinder, die in Österreich leben,
haben aber dasselbe Recht auf eine adäquate, effiziente und sichere Pharmakotherapie wie
Erwachsene.

Mit dem Problem des Einsatzes von „Erwachsenenmedikamenten" in der Kinderheilkunde ist
nicht nur Österreich konfrontiert. Zu seiner Lösung sind weltweit verschiedene Alternativen
entwickelt worden. Die USA haben eine Vorreiterrolle übernommen. Mit dem Modernization
Act von 1997 haben sie ein Gesetzpaket geschnürt, das zum einen Zwangsmaßnahmen und
zum anderen wirtschaftliche Anreize enthält. Die Hersteller innovativer Arzneimittel sind
seither gehalten, die Indikationsstellung auch für die Kinderheilkunde zu beantragen und die
entsprechenden Nachweise beizubringen, wenn erwartet werden kann, dass das Medikament
für die Behandlung kranker Kinder und Jugendlicher geeignet ist. Die Sicherheit und
therapeutische Wirksamkeit solcher Arzneimittel müssen für jede einzelne Altersgruppe
untersucht werden. Ferner kann die US-amerikanische Zulassungsbehörde, die Food and Drug
Administration (FDA) kindgerechte Darreichungsformen vorschreiben. Den Herstellern
bereits zugelassener „Erwachsenenmedikamente" kann die FDA gegebenenfalls vorgeben,
ihre Präparate im nachhinein für den Einsatz in der Kinderheilkunde zu untersuchen. Sie hat
insoweit eine Prioritätenliste erstellt, die 400 zu prüfende Wirkstoffe umfasst.

Die wirtschaftlichen Anreize bestehen in der Verlängerung des Patentschutzes bzw.
Alleinvertriebsrechts um sechs Monate, wenn das Arzneimittel auch für den Einsatz in der
Kinderheilkunde zugelassen wird. Beantragt der Arzneimittelhersteller eine nachträgliche
Indikationsstellung in der Kinderheilkunde, wird er von den Bearbeitungsgebühren befreit.
Die Pediatric Rule sieht weitere Verbesserungen vor: Bei der FDA ist ein Ausschuss
pädiatrischer Sachverständiger einzusetzen, Leitlinien über kinetische und klinische Studien
mit Kindern und Jugendlichen sind zu erarbeiten und zu veröffentlichen, schließlich ist die
systematische Begleitung und Überwachung aller Studien zu Gewähr leisten, die mit Kindern
durchgeführt werden.

Darüber hinaus werden in den USA staatliche Zuschüsse für Kompetenzzentren gezahlt, die
Studien mit Wirkstoffen vorbereiten, durchführen und auswerten, die in der Kinderheilkunde
eingesetzt werden sollen. Des Weiteren fließen unmittelbar staatliche Gelder in die Förderung
von Forschung an und mit Wirkstoffen, die in der Pädiatrie angewendet werden sollen. Die
Europäische Kommission hat ähnliche Konzepte erarbeitet.

Im Gegensatz zu den staatlichen Aktivitäten spielt die Entwicklung von Medikamenten für
Kinder in der Arzneimittelforschung der Pharmaunternehmen lediglich eine untergeordnete
Rolle. Die Gründe hierfür sind die hohen Entwicklungskosten, die begrenzten Absatzchancen


auf dem Markt und das ausgeprägtere Risiko des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen
in der klinischen Prüfung.

Unter dem Strich ist die Situation auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit in der
Kinderheilkunde so unbefriedigend, dass sie nicht länger hinnehmbar ist. Es besteht
dringender Handlungsbedarf.

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag:

Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird aufgefordert folgende
Punkte zu prüfen, und dem Nationalrat bis zum 30. Juni 2002 einen Bericht vorzulegen:

1.   Ob Arzneimittelhersteller nach dem europäischen und dem nationalen Arzneimittelrecht
dazu angehalten werden können, bei Neu- und insbesondere auch bei Nachzulassungen
die Indikationsstellung auch für die Kinderheilkunde zu beantragen und die dazu
erforderlichen Unterlagen, insbesondere klinische Studien einzureichen, wenn absehbar
ist, dass dem jeweiligen Medikament für die Behandlung kranker Kinder und Jugendlicher
ein hoher Stellenwert zukommt.

2.   Ob der Patent- und/oder Verwertungsschutz verlängert werden kann, wenn der
Arzneimittelhersteller eine Indikationsstellung des Medikaments auch für die
Kinderheilkunde beantragt und die erforderlichen Nachweise und Unterlagen beibringt.

Zuweisungsvorschlag: Gesundheitsausschuss