753/A XXI.GP
Eingelangt am: 19.09.2002
der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
betreffend eines Gesetzes zur Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesgesetz zur Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz
Der Nationalrat hat beschlossen:
§ 1 Durch dieses
Gesetz werden verurteilende militärstrafgerichtliche
Entscheidungen der NS-Militärgerichte an Österreichern, die unter
Verstoß gegen
elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 12. März 1938 zur
Durchsetzung
oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes ergangen
sind,
aufgehoben.
§ 2 Der Nationalrat
bezeugt mit diesem Bundesgesetz den Opfern derartiger
Verurteilungen und ihren Familien Achtung und Mitgefühl.
§ 3 Entscheidungen im
Sinne des § 1 sind insbesondere:
Entscheidungen aufgrund der
Delikte Hochverrat, Kriegsverrat,
Entscheidungen aufgrund der
§§ 57 bis 60, 62 bis 65, 67, 69 bis 73, 77, 89, 80 bis
85, 87, 89, 91, 92, 94 bis
97, 99 bis 104, 106 bis 108, 110 bis 112, 139, 141, 144,
147, 147a, 150 des
Militärstrafgesetzbuches in den Fassungen der Gesetzte vom
16. Juni 1926 (RGBL. l S. 275), 16. Juli
1935 (RBGI. l S. 1021) und 10. Oktober
1940(RBGI. IS. 1347).
Entscheidungen, die auf Grund
der Verordnung über das Sonderstrafrecht im Krieg
und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom
17. August 1938 (RGBI. 1939 l S. 1455) erfolgten.
Begründung:
Der österreichische Nationalrat hat
mit seiner Entschließung, am 14. 7. 1999 einen
ersten richtigen Schritt zur längst fälligen Rehabilitierung und
Entschädigung der
Opfer der nationalsozialistischen Militärgerichtsbarkeit gesetzt. Die
damalige
Entschließung lautete folgendermaßen:
„Die Bundesregierung
wird ersucht, ehestmöglich die historische Aufarbeitung der Verurteilungen
von
Österreichern durch die nationalsozialistische Militärgerichtsbarkeit
einschließlich des
Reichskriegsgerichtes Berlin,
insbesondere nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung, zu
veranlassen und zu fördern sowie nach Vorliegen der Forschungsergebnisse
für die Herbeiführung von
Gerichtsbeschlüssen im Sinne des § 4 des Aufhebungs- und
Einstellungsgesetzes, StGBI. Nr.
48/1945, und nach Möglichkeit für die Verständigung der
Hinterbliebenen hievon zu sorgen."1
Als Folge dieser
Entschließung wurde vom Bundesministerium für Bildung,
Wissenschaft und Kultur ein entsprechender Forschungsauftrag an das Institut
für
Staatswissenschaft der Universität Wien vergeben. In der Folge wurde
häufig bei der
Forderung nach weiteren Schritten zur Rehabilitierung und Entschädigung
auf das
Forschungsprojekt verwiesen und diese dadurch verzögert. Es besteht, wie
auch
vom Projektleiter Dr. Walter Manoschek schon mehrmals betont wurde, kein
sachlicher Zusammenhang zwischen der grundsätzlichen Entscheidung
über
Urteilsaufhebungen und der Vorlage der Forschungsergebnisse. In der derzeitigen
Argumentation wird das Anliegen der Rehabilitierung für längere Zeit
auf das Gleis
der Forschung verlagert. Es ist jedoch, angesichts des hohen Alters der Betroffenen,
höchste Zeit, Urteilsaufhebungen so schnell und unbürokratisch wie
möglich
herbeizuführen.
Dazu ist das Aufhebungs- und
Einstellungsgesetz der Provisorischen Staatregierung
unter Renner2 nicht genügend. Es bietet zwar - in seiner
derzeitigen, in Einzelfällen
recht großzügigen Interpretation - die Möglichkeit, einen
großen Teil der NS-
Unrechtsurteile aufzuheben, hat jedoch entscheidende Mängel. Zuerst ist es
für
Einzelfallprüfungen gedacht, und schließlich auch nur in sehr
wenigen Einzelfällen
bisher angewandt worden. Außerdem deckt sein Inhalt nicht alle
Unrechtsurteile der
NS-Militärjustiz, die aufzuheben sind, ab und schließlich - was ein
grundsätzlicher
Mangel darstellt - ist es einer sehr rigiden Interpretation offen, was zur
Folge haben
könnte, dass womöglich die Anwendung der KSSVO nicht als per se
unrechtsbegründet angesehen, die Wehrdienstverweigerung nicht als eine
gegen die
nationalsozialistische Herrschaft gerichtete Handlung anerkannt werden und
Deserteure von vornherein nicht einbezogen werden könnte.
Vor allem auch auf Grund der Entwicklung
in Deutschland hat sich ein dringender
Handlungsbedarf ergeben. Der
Deutsche Bundestag hat am 17.5.2002 in dritter
Lesung beschlossen, Urteile der
NS-Militärgerichtsbarkeit wegen Desertion, Feigheit,
unerlaubter Entfernung und weiterer militärischer Delikte pauschal
aufzuheben. Per
Gesetz wurde im
Rechtsnachfolger des NS-Regimes alle entsprechenden
Verurteilungen
aufgehoben.
Angesichts dessen zeigt sich
in Österreich, dessen offizielle Vertreter seit jeher die
Rolle als "erstes Opfer" Hitlerdeutschlands betonen, sofortiger
Handlungsbedarf.
Denn nun ist Österreich
das einzige Land, in dem Unrechtsurteile der NS-
Militärgerichtsbarkeit
nicht aufgehoben sind.
Im Laufe der Diskussion wurde von mehreren
Seiten die Auffassung vertreten, bei
Urteilsaufhebungen sei eine Einzelfallprüfung sachgerechter. Diese
Argumentation
ist schlüssig und unvermeidbar für Verfahren in den Bereichen der
Entschädigung
und Versorgung, weil es hier jeweils um sehr individuelle Schadenstatbestände
geht
(Grad der verfolgungsbedingten Gesundheitsschädigung,
Kapitalentschädigung
entsprechend der Dauer von KZ-Haft etc.). Bei der Frage der Rehabilitierung,
also
1 Entschließungsantrag, 1070/A(E) XX. Gesetzgebungsperiode (GP) in weiterer Folge XX-209/E.
2 StGBI 48/1945 v 9.7.1945, dazu die ergänzende Verordnung v 15,9.1945, StGBI. 155/1945.
der Aufhebung von Urteilen,
die für bestimmte Tatbestände ergangen sind, gibt es
solche Erfordernisse der Differenzierung aber nicht:
Der Großteil der Verurteilungen auf
Grund der in diesem Gesetz benannten
Rechtsbestimmungen entsprechen nationalsozialistischer Unrechtsideologie,
verstoßen elementaren Grundsätzen der Menschlichkeit und sind
deshalb per se als
Unrecht zu bezeichnen. Deshalb darf auch nicht nach individuellen Motiven
für diese
Handlungen gefragt werden, es genügt, dass sich die Handlungen de facto
gegen
die Deutsche Wehrmacht richteten, die an einem völkerrechtswidrigen
Angriffs- und
Vernichtungskrieg aktiv beteiligt war. Die Personen, die wegen dieser Delikte
verurteilt wurden, haben es aus Gewissensgründen oder berechtigter Angst
um ihr
Leben gewagt, sich sinnlosen Befehlen zu widersetzen oder sie in Frage zu
stellen,
sich dem Kriegsdienst durch Flucht zu entziehen oder ihre Dienstpflichten zu
verletzen. In einem vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldeten
Angriffs-
und Vernichtungskrieg war dies weder kriminell noch unehrenhaft.
Viele der realisierten
Tatbestände sind dahingehend zu sehen, dass Österreicher in
einer fremden Armee dienen mussten, weshalb die Strafbarkeit dieser Taten
keinesfalls gegeben ist. Vielmehr müsste jegliche Form der Entziehung oder
Verweigerung in der Deutschen Wehrmacht eigentlich als Pflicht honoriert, kann
aber auf keinen Fall als
Verbrechen betrachtet werden!
Das Argument, dass mit der Rehabilitierung
von Kriegsdienstverweigerer,
Fahnenflüchtige, sogenannten Wehrkraftzersetzer eine Diffamierung der
Soldaten im
Zweiten Weltkrieg einhergeht ist schlichtweg falsch. Allenfalls könnten
durch die
Brandmarkung der Unrechtsurteile diejenigen ins Unrecht gesetzt werden, die die
Betroffenen verurteilt haben, also die Kriegsrichter. Bei diesen Blutrichtern
ist das
auch mehr als angebracht. Wenn ein Soldat wirklich glaubte, für eine
gerechte
Sache zu kämpfen und nicht erkennen konnte, dass er für Hitlers Krieg
"missbraucht" wurde, so wird ihm seine Würde mit der
Rehabilitierung von den
Opfern der NS-Militärjustiz nicht genommen. Wenn auf diesem Hintergrund
eine
Herabwürdigung geschehen ist, dann durch diejenigen, die diesen Glauben
der
Soldaten für ihre verbrecherischen Ziele missbrauchten. Wobei in diesem
konkreten
Fall klargestellt werden muss, dass dieses Gesetz nicht nach den Tätern
oder den
sogenannten Systemzwängen fragt unter denen die Täter handelten. Es
geht allein
darum, ob den Verfolgten durch die NS-Unrechtsmaßnahme spezifisches NS-
Unrecht widerfahren ist, und dies ist hier der Fall.
Die Argumentation, dass die
Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure gleichzeitig
eine Ermunterung zu Desertion auch in demokratischen Staaten ist, und dass
damit
das österreichische Bundesheer in Misskredit komme ist eine
abenteuerliche. Wird
damit also das Bundesheer in die Traditionslinie der Deutschen Wehrmacht
gestellt?
Wer so argumentiert, hat den fundamentalen Unterschied zwischen dem
Bundesheer der demokratischen Republik Österreich und der Wehrmacht in
einem
völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskrieg bis heute nicht
begriffen. Es
müsste doch jeder demokratisch eingestellte Mensch gerade zu betonen, dass
und
worin sich der Unterschied zwischen Bundesheer und Wehrmacht und vor allem der
Verurteilungen der verbrecherischen, von der NS-Führung gesteuerten Justiz
unterscheidet.
Der Gesetzgeber kann - und sollte in
diesem Fall - eine pauschale Aufhebung (bzw.
Brandmarkung) der Urteile vornehmen. Eine pauschale Aufhebung kommt in den
Fällen in Betracht, bei denen der Unrechtscharakter der Strafvorschrift,
der
Verfahrenspraxis, der Urteilspraxis und der Strafvollzug so erheblich von
rechtsstaatlichen Verfahren abweichen, dass der Unrechtscharakter dieser Justiz
evident ist. Dass dies bei den Urteilen der NS-Militärjustiz der Fall ist,
steht
hoffentlich außer Zweifel, und wurde auch vom österreichischen
Justizministerium in
der Anfragebeantwortung (5377/AB XX.GP) klargestellt: Es "ist
grundsätzlich davon
auszugehen, dass diese Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht
entsprochen
haben."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuß vorgeschlagen.