2433/AB XXI.GP

Eingelangt am: 10.07.2001

 

DER BUNDESMINISTER

FÜR JUSTIZ

 

 

zur Zahl 2427/J - NR/2001

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossen haben an

mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Zivilprozessordnung - Verfahrenshilfe -

Einseitige Rechtsmittel" gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Bevor ich im Einzelnen auf die gestellten Frage eingehe, möchte ich vorweg einiges

richtigstellen:

 

Die einleitenden Ausführungen zu der parlamentarischen Anfrage lassen den

Eindruck entstehen, dass das Instrument des „einseitigen Rekurses“ es dem Gegner

der Verfahrenshilfe beantragenden Partei ermöglicht, erfolgreich Unwahres vorzu -

bringen, auf diese Art und Weise die Abweisung der Verfahrenshilfe zu erreichen

und daraus Prozessvorteile zu ziehen. Dies ist unrichtig.

 

Über einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe ist - was die finanziellen

Voraussetzungen betrifft - primär auf der Grundlage des vom Antragsteller vorzule -

genden Vermögensbekenntnisses (und der vorgelegten Belege) zu entscheiden.

Bestehen Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit, so ist dieses vom

Gericht zu überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn Bedenken erst anlässlich eines

Rechtsmittels entstehen. Das Rechtsmittelgericht entscheidet daher nicht auf Grund

von unüberprüften Behauptungen in einem vom Gegner gegen die Bewilligung der

Verfahrenshilfe eingebrachten Rechtsmittel.

 

Entgegen den Ausführungen zu der parlamentarischen Anfrage steht es dem

Gegner daher nicht „frei“, „darin Behauptungen anzuführen oder Wesentliches zu

verschweigen, um das Gericht zu täuschen“. Es gibt zwar nicht die prozessuale

Möglichkeit, das Rekursvorbringen der Gegenseite nochmals zu kommentieren -

dieses ist jedoch ohnehin auf den Stoff des erstinstanzlichen Verfahrens beschränkt.

 

Im Hinblick auf das Neuerungsverbot in zweiter Instanz, das beide Parteien, also

auch den Gegner des Verfahrenshilfe Beantragenden von neuem Vorbringen

ausschließt, erscheint die Gewährung weiteren Gehörs nicht erforderlich. Das

Neuerungsverbot erlaubt die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung nur

auf der Basis der in erster Instanz behandelten Sachanträge und Tatsachenvorbrin -

gen und stellt sicher, dass durch Rechtsmittel kein weiterer Prozessstoff in das

Verfahren eingebracht werden kann.

 

Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass unwahres Vorbringen in Täuschungsab -

sicht zur Erzielung eines Prozessvorteiles als (versuchter) (Prozess)betrug nach

§ (15,) 146 StGB strafbar ist.

 

Auch die weitere Bemerkung in der Begründung der Anfrage, dass den Antragstel -

lern „auf Grund der Vermögenssituation (Anwalt kann nicht bezahlt werden) der

Zugang zum Recht genommen“ werde, ist in dieser Form nicht nachvollziehbar, weil

dies voraussetzen würde, dass die Entscheidung über den in zwei gerichtlichen

Instanzen überprüften Antrag auf Verfahrenshilfe jedenfalls falsch ist.

 

Zu 1:

 

Rechtsmittel sind Anträge an das entscheidende oder diesem übergeordnete

Gericht auf Aufhebung oder Abänderung einer von diesem getroffenen Entschei -

dung. Solche Anträge können zwei- oder einseitig ausgestaltet sein. Beim einseiti -

gen Rechtsmittel entscheidet das Gericht über das Rechtsmittel aufgrund der Akten -

lage ohne Anhörung des Gegners. Beim zweiseitigen Rechtsmittel erhält der Gegner

eine Gleichschrift des Rechtsmittels und kann sich dazu äußern.

 

Einseitige Rechtsmittel kennt die österreichische Zivilprozessordnung bereits seit

ihrer Einführung. Sie stellen eine kostensparende und verfahrensbeschleunigende

Ergänzung zu zweiseitigen Rechtsmitteln in jenen Fällen dar, in denen dies sachlich

vertretbar ist. Zweiseitige Rechtsmittel benötigen mehr Zeit bis zu ihrer Erledigung,

einseitige können zwar rascher behandelt werden, sind aber, weil sie dem Gegner

kein Äußerungsrecht gewähren, überall dort bedenklich, wo es um die Entscheidung

in der Hauptsache oder die Zulässigkeit der Rechtschutzgewährung geht (siehe

auch Fasching, Handbuch zum Zivilprozessrecht, Rz 1673). So sieht die österreichi -

sche Zivilprozessordung daher vor, dass Rechtsmittel gegen Sachentscheidungen

(Urteile, Endbeschlüsse) und gegen die nach Streitanhängigkeit ergehenden Klags -

zurückweisungsbeschlüsse bzw. eine solche Zurückweisung ablehnenden

Beschlüsse sowie gegen Aufhebungs - und Zurückweisungbeschlüsse zweiseitig,

gegen alle übrigen Beschlüsse einseitig sind.

 

Ich halte dieses System grundsätzlich für ausgewogen, stehe aber Überlegungen

den Kreis der Beschlüsse, die mit einem zweiseitigen Rechtsmittel bekämpft werden

können, aus Gründen eines verbesserten Rechtsschutzes zu erweitern, aufge -

schlossen gegenüber.

 

Zu 2:

 

Wie ich bereits einleitend ausgeführt habe, ist über einen Antrag auf Gewährung der

Verfahrenshilfe - was die finanziellen Voraussetzungen betrifft - primär auf der

Grundlage des vom Antragsteller vorzulegenden Vermögensbekenntnisses (und der

vorgelegten Belege) zu entscheiden. Der einseitige Rekurs ist die Möglichkeit, im

Rahmen des Neuerungsverbots - also im Rahmen des bereits in erster Instanz

Erörterten - die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz einer weiteren Überprü -

fung zu unterziehen. Da so kein neues Material in die Entscheidungsfindung einge -

bracht werden kann, sehe ich in der Einseitigkeit des Rechtsmittels keine Verletzung

des rechtlichen Gehörs des Antragstellers.

 

Zu 3 und 4:

 

Aus der Verfahrensautomation Justiz können die abgefragten Daten über Rekurse

gegen die Gewährung von Verfahrenshilfe und die Entscheidung über Rekurse in

Verfahrenshilfesachen nicht abgefragt werden. Die Fragen könnten nur nach Ermitt -

lung und Durchsicht aller in Frage kommenden Akten beantwortet werden. Ich bitte

um Verständnis, dass von einer händischen Sichtung im Hinblick auf den unvertre -

tetbaren Verwaltungsaufwand Abstand genommen werden muss.

 

Zu 5 bis 7:

 

Ich sehe im Bereich der einseitigen Rechtsmittel in der ZPO keinen generellen

Reformbedarf. Wohl aber soll nach Abschluss der derzeit in Gang befindlichen

legistischen Arbeiten einer Reform des erstinstanzlichen Verfahrens auch das

Rechtsmittelverfahren einem Diskussionsprozess unterzogen werden, der sich unter

anderem mit der Frage der Einseitigkeit von Rechtsmitteln - auch gemessen am

Maßstab der EMRK - beschäftigen wird.

 

Einen Schritt in dieser Beziehung hat der Gesetzgeber jüngst anlässlich der Verab-

schiedung des 2. Euro - Justiz - Begleitgesetzes getan, indem - der Judikatur des

Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgend - im Kostenrekursverfahren

der Grundsatz der Zweiseitigkeit verwirklicht wurde.

 

Derzeit laufen auf EU - Ebene Arbeiten zu einer Vereinheitlichung der Regeln über

die Gewährung von Verfahrenshilfe, deren Ergebnis sinnvollerweise abgewartet

werden sollte, bevor über die Frage eines Reformbedarfs abschließend entschieden

werden kann.