2535/AB XXI.GP

Eingelangt am:01.08.2001

 

BUNDESKANZLER

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Stoisits, Freundinnen und Freunde haben

am 5. Juni 2001 unter der Nr.2513/J an mich eine schriftliche parlamentarische An -

frage betreffend Vertretung der Republik Österreich vor dem Europäischen Gerichts -

hof für Menschenrechte gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Vorweg darf ich darauf hinweisen, daß die Frage der Vertretung der Republik Öster -

reich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Angelegenheit be -

trifft, die in den Wirkungsbereich des Bundesministeriums für auswärtige Angelegen -

heiten fällt. Dessen ungeachtet möchte ich zu den einzelnen Fragen folgendes be -

merken:

 

Zur Frage 1:

Gestützt auf die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

und deren Protokolle, BGBI. Nr. 210/1958 idF BGBI. III Nr.30/1998 (im folgenden:

EMRK), die in Österreich Verfassungsrang genießen, erlässt der europäische Ge -

richtshof für Menschenrechte (im folgenden: EGMR) seine Verfahrensordnung

selbst. Die jüngste Verfahrensordnung ist am 1. November 1998 in Kraft getreten

(siehe BGBI. III Nr.13/2000). Art. 35 der Verfahrensordnung bestimmt - wie schon

seine Vorgängerbestimmung - daß die Vertragsparteien durch Prozeßbevollmächtig -

te vertreten werden, die zu ihrer Unterstützung Rechtsbeistände (Agents) oder Bera -

ter hinzuziehen können. Die Bestimmung lautet in ihrer englischen Fassung wie folgt:

 

„The Contracting Parties shall be represented by Agents, who may have the assis -

tance of advocates or advisers.“

 

Der Umstand, daß in den Entscheidungen des EGMR die Vertretung der belangten

Vertragspartei als „Regierung“ (government) bezeichnet wird. ist ohne rechtliche Be -

deutung. Keinesfalls kann daraus auf eine Zuständigkeit der Bundesregierung ge -

schlossen werden. Eine Bestimmung, die ausdrücklich eine Zuständigkeit der Bun -

desregierung vorsieht, enthält die Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht.

Die Innerstaatliche Zuständigkeit zur Wahrnehmung der Funktion des Agent richtet

sich mangels besonderer Regelung nach den Bestimmungen des Bundesministeri -

engesetzes 1986 (im folgenden BMG). Nach Teil 2 der Anlage zu § 2, Abschnitt B

fällt der Verkehr mit internationalen Organisationen (und auch mit Einrichtungen wie

dem EGMR) in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für auswärtige Angelegen -

heiten. inhaltlich ist von diesem Geschäft jedoch nicht nur der Wirkungsbereich des

Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten, sondern auch der anderer

Bundesministerien berührt. § 5 BMG sieht für solche Geschäfte. die den Wirkung -

bereich mehrerer Bundesministerien betreffen1 vor, daß diese Bundesministerien

gemeinsam, oder im Zusammenwirken vorzugehen haben. Über die Art dieses

gemeinsamen Vorgehens und des Zusammenwirkens enthält § 5 nähere Vor -

schriften.

 

Zu den Fragen 2 und 2a:

Der ständige Prozessbevollmächtigte (Agent) gehört dem Bundesministerium für aus -

wärtige Angelegenheiten an1 weil es bei seiner Tätigkeit formell um Akte des Ver -

kehrs mit einer zwischenstaatlichen Einrichtung geht. Nach der internen Aufgaben -

verteilung dieses Bundesministeriums ist es der Leiter des Völkerrechtsbüros, dem

diese Funktion zukommt. Es entspricht der Übung, daß der österreichische Verfah -

rensbevollmächtigte und auch dessen Vertreter von der Bundesregierung bestellt

wird. Der gegenwärtige Agent, Botschafter Dr. Hans Winkler, wurde zu Beginn des

Jahres 2000 durch Beschluß der Bundesregierung zum ständigen Prozeßbevoll -

mächtigten vor dem EGMR bestellt.

 

Bei der Vertretung im Verfahren vor dem EGMR handelt es sich nicht um eine Ner -

tretung der Republik nach außen“ iSd Art. 65 B-VG. Eine solche beschränkt sich

nämlich nur auf die „Vornahme völkerrechtlicher Rechtsakte für die Republik Öster -

reich“ (vgl. Berchtotd, Der Bundespräsident1 S. 118). Bei der genannten Tätigkeit

handelt es sich nämlich nicht um die Ausübung auswärtiger Gewalt, sondern um die

Wahrnehmung prozessualer Rechte durch den Staat als belangte Behörde in einem

gerichtlichen Verfahren, woraus auch in der Literatur geschlossen wird, daß diese

Akte nicht dem Bundespräsidenten vorbehalten sind (Vcelouch, Gerichtskompetenz

der EU, 33 ff). In diesem Sinn wurde die Vertretung von den Organen der EMRK seit

jeher gehandhabt (vgl. dazu Matscher, Das ‚(erfahren vor den Organen der EMRK,

EuGRZ 1982 518).

 

Zu den Fragen 3, 4, 6 und 7:

Die Befugnis des Agent leitet sich von der des Bundesministers für auswärtige Ange -

legenheiten ab, der oberstes Organ der Vollziehung ist (vgl. Art. 20 Abs. 12 und Art.

69 Abs. 1 B - VG). Er ist unbeschadet des Weisungsrechts des Bundesministers gem.

Art. 10 Abs. 1 BMG zur selbständigen Behandlung der ihm übertragenen Angelegen -

heiten befugt.

Zur Frage 5:

Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist kein Nor -

menprüfungsverfahren und daher der Verhandlungsgegenstand ein anderer als im

Gesetzes - und Verordnungsprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof.

Auch eine Aufhebungsbefugnis kommt dem EGMR nicht zu.