2610/AB XXI.GP
Eingelangt am: 23.08.2001
BM für Justiz
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Jarolim, Genossinnen und Genossen haben
an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „das Strafverfahren beim LG Innsbruck
28 Vr 904/97, 28 Hv 109/99" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Auf Grund von Umstrukturierungsmaßnahmen (zu starke Belastung der Untersu -
chungsrichterabteilungen und Unterauslastung der Hauptverhandlungsabteilungen)
wurde die Hauptverhandlungsabteilung 38 Hv des Landesgerichtes Innsbruck
aufgelöst und in eine Untersuchungsrichterabteilung umgewandelt. Dies machte
eine Änderung der Geschäftsverteilung notwendig, weshalb mit Beschluss des
Personalsenates des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. März 1998 die Geschäfts -
verteilung dieses Gerichtes dahingehend geändert wurde, dass die anfallenden und
bereits anhängigen Strafsachen (Einzelrichter - und Schöffengericht) mit den
Anfangsbuchstaben des Namens des (ersten) Angeklagten (Beschuldigten) K (ohne
Kr), N und Pm bis Pz, mit Ausnahme der den Abteilungen 23, 24, 35 und 39
zugewiesenen Strafsachen, der Geschäftsabteilung 28 (und somit dem Richter des
Landesgerichtes Innsbruck Dr. Werner ENGERS) zugewiesen wurden.
Die Geschäftsverteilung sowie deren Änderung wird durch die zuständigen Perso -
nalsenate beschlossen und ist somit als Angelegenheit der unabhängigen Gerichts -
barkeit einer Einflussnahme durch die monokratische Justizverwaltung entzogen.
Unter dieser grundsätzlichen Prämisse kann festgehalten werden, dass das in Art.
87 Abs. 3 B - VG verankerte Prinzip der festen Geschäftsverteilung Änderungen der
Geschäftsverteilung nicht schlechthin
untersagt. Dieses Prinzip wird u.a. durch §
27a des Gerichtsorganisationsgesetzes näher ausgeführt, wonach während des
Geschäftsverteilungsjahres die Geschäftsverteilung (nur) aus wichtigen dienstlichen
Gründen geändert werden darf. Im Hinblick auf die vom Personalsenat des Landes -
gerichtes Innsbruck seinem Beschluss zu Grunde gelegte, zur Sicherstellung einer
ausgewogenen Verteilung notwendige Umstrukturierung steht sohin die fragliche
Änderung der Geschäftsverteilung nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz
im Einklang mit den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Bestimmungen,
sodass darin keine Verletzung des in Art. 83 Abs. 2 B - VG verankerten Rechtes auf
den gesetzlichen Richter erblickt werden kann.
Zu 3:
Die im Verfahren 28 Hv 109/99 des Landesgerichtes Innsbruck herangezogenen
Schöffen wurden aus der damals geltenden Schöffenliste ausgewählt, wobei einige
Schöffen mit Beschluss befreit wurden. Diese sind aus dem Strafakt ersichtlich,
sodass die Bestellung der Schöffen nachvollziehbar ist. Es liegen keine Anhalts -
punkte für eine Verletzung des § 14 Geschworenen - und Schöffengesetz 1990 - in
dem die Berufung und Ladung von Schöffen geregelt ist - vor.
Im Übrigen wäre die von Dipl. - Ing. Dr. P. nunmehr monierte Nichtigkeit des Urteils
wegen nicht gehöriger Besetzung des Gerichtes auf Grund nicht nachvollziehbarer
Schöffenbestellung im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen
gewesen und hätte selbst bei rechtzeitiger Geltendmachung nur dann zu einer
Nichtigkeit führen können, wenn die bestellte Person zum Amt des Schöffen
überhaupt nicht befähigt gewesen wäre.
Zu 4:
Abolitionsgesuchen des Dipl. - Ing. Dr. Wilhelm P. vom 10. und 15. Mai 1999 wurde
am 8. Juli 1999 nicht Folge gegeben. Da bereits eine rechtskräftige Anklage vorlag
und im Falle eines Schuldspruches das längere Zurückliegen der Delinquenz bei der
Strafbemessung Berücksichtigung finden kann, sowie aus der grundsätzlichen
Erwägung, dass die Abolition einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechtspflege
darstellt, wurden die geltend gemachten Gründe nicht als ausreichend erachtet, um
das förmliche Beweisverfahren und die Rechtsprechung der unabhängigen Gerichte
durch Niederschagung zu verhindern. Die Finanzprokuratur wurde zur Gnadenfrage
nicht um Stellungnahme ersucht.
Zu 5:
Die von Dipl. - Ing. Dr. Wilhelm P. angestrengten Amtshaftungsverfahren, die er - für
den Fall der Begnadigung - mit einem unakzeptablen Generalvergleich beenden
wollte, waren für die Beurteilung der Gnadenfrage ohne Einfluss.
Zu 6:
Diese Frage spricht offensichtlich eine Passage des Haftbefehls des Landesgerich -
tes Innsbruck vom 24.11.1999 an, die sich mit dem Haftgrund der Tatbegehungsge -
fahr auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang weise ich generell darauf hin,
dass ich mich aus grundsätzlichen Erwägungen der Bewertung einer Formulierung,
die ein Gericht in Ausübung der unabhängigen Rechtsprechung verwendet hat,
enthalte.
Zu 7:
Die Begründung des Auslieferungsbegehrens ist dem Steckbrief des Landesgerichts
Innsbruck vom 24.2.2000, 28 Vr 904/97, Hv 109/99, zu entnehmen. Eine darüber
hinausgehende Begründung erfolgte nicht, weil eine solche gesetzlich nicht vorge -
sehen ist.
Zu 8:
Aussagen über die durchschnittliche Dauer von (Straf - )Verfahren werden erst nach
einem entsprechenden Beobachtungszeitraum nach Umsetzung des Redesign - Pro -
jektes der Verfahrensautomation Justiz möglich sein. Im derzeit verwendeten
Betrieblichen Informationssystem werden die in einem Berichtszeitraum (Berichts -
jahr) angefallenen, erledigten sowie am Ende des Berichtszeitraumes anhängig
verbliebenen Fälle ausgewiesen. Im Jahr 2000 sind nach dem Betrieblichen Infor -
mationssystem in der Geschäftsgattung Hv (Einzelrichter, Schöffensenat/Geschwo -
renengericht beim Gerichtshof) 25.622 Verfahren angefallen. Von den am Ende des
Jahres 2000 anhängig verbliebenen Fällen fielen 399 im Jahr 1999 und früher, 73 im
Jahr 1998 und früher sowie 16 Verfahren im Jahr 1997 und früher an.
Der Anhängigkeitsstand in der Geschäftsgattung Hv (anhängig verbliebene Verfah -
ren dividiert durch die im Berichtszeitraum angefallenen Verfahren) betrug am
31.12.1990 bundesweit 25% und ist bis zum 31.12.2000 auf 21,2%
zurückgegangen.
Zu 9 und 10:
Im Verfahren 25 Hv 109/99 wurde der Angeklagte Dipl. - Ing. Dr. Wilhelm P. am
24. November 1999 mit Urteil eines Schöffengerichtes des Landesgerichtes
Innsbruck mehrerer Verbrechen und Vergehen für schuldig erkannt und über ihn
eine zur Gänze bedingt nachgesehene Geldstrafe in Höhe von 15 Millionen Schilling
sowie eine unbedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren verhängt.
Gegen dieses Urteil brachte der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung
ein. Mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 3. Mai 2001 wurde die Nichtigkeits -
beschwerde des Angeklagten verworfen.
Die objektiv lange Dauer des Strafverfahrens ist in einem nicht unbeträchtlichen
Ausmaß auf das Verhalten des Angeklagten zurückzuführen. Der Akt umfasst
mittlerweile fast 70 Aktenbände mit über 2200 Ordnungsnummern, wobei etwa die
Hälfte der den Akt bildenden Aktenstücke vom Angeklagten stammen. Hiebei
handelt es sich vorwiegend um erfolglose Beschwerden, haltlose Strafanzeigen,
Dienstaufsichtsbeschwerden und Disziplinaranzeigen gegen beteiligte Gerichtsper -
sonen sowie zahllose Ablehnungs - und Ausschließungsanträge gegen Mitglieder
aller an der Sache beteiligter Gerichte, so insbesondere gegen den Vorsitzenden
des Schöffengerichtes und alle Richter des Oberlandesgerichtes Innsbruck. Allein
die letzten fünf Aktenbände bestehen nahezu ausschließlich aus (an verschiedene
Gerichte und Behörden adressierten) Eingaben des Dipl. - Ing. Dr. P. Von einer
Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren kann daher im vorliegenden Fall
auf Grund der durch das Prozessverhalten des Angeklagten eingetretenen Verzöge -
rungen nicht gesprochen werden.
Weiters muss in Betracht gezogen werden, dass bei einem derartigen Großverfah -
ren auf Grund der Notwendigkeit der Einholung von Sachverständigengutachten und
der Komplexität des Sachverhalts mit einer längeren Verfahrensdauer zu rechnen
ist. Hinzu kommt noch, dass auf Grund der zahlreichen, zumeist aussichtslosen
Beschwerden des Dipl. - Ing. Dr. P. der Akt immer wieder dem Rechtsmittelgericht
vorgelegt werden musste und auch dadurch viel Zeit verloren gegangen ist.
Zu 11:
Österreich wurde vom EGMR bisher fünfmal wegen überlanger Dauer von Strafver -
fahren verurteilt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass Verfah -
rensdauerfälle vor Inkrafttreten des Protokolls Nr.11 zur Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten über
die Umgestaltung des durch die Konven -
tion eingeführten Kontrollmechanismus, BGBl. III Nr. 30/1998, in der Regel nicht vor
den EGMR gebracht wurden.
Derzeit sind gegen Österreich dreizehn Verfahren wegen überlanger Dauer von
Strafverfahren anhängig. Festzuhalten ist, dass dem Bundesministerium für Justiz
naturgemäß nur jene Fälle bekannt sind, mit denen die Republik Österreich bereits
befasst wurde.
Zu 12 und 13:
Mit der Strafprozessnovelle 2000, BGBl. I Nr. 108/2000, wurde die Möglichkeit
geschaffen, in Fällen extremen Verfahrensumfangs auf Antrag des Rechtsmittelwer -
bers die Rechtsmittelfrist von vier Wochen um den Zeitraum zu verlängern, der
erforderlich ist, um eine ausreichende Vorbereitung der Verteidigung oder der
Verfolgung der Anklage zu gewährleisten. Die entsprechenden Bestimmungen sind
am 1.11.2000 in Kraft getreten.