2611/AB XXI.GP

Eingelangt am: 23.08.2001

BM für Justiz

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Johannes Jarolim, Genossinnen und Genos -

sen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Straffreiheit" gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der in der Anfrage einleitend geschilderte

Sachverhalt nicht exakt jenem Tatgeschehen entspricht, das von der Staatsanwalt -

Schaft Wels auf Grundlage der Ermittlungen der Bundespolizeidirektion Wels (u.a.

Vernehmung von Zeugen und der Verdächtigen) als erwiesen angenommen werden

konnte. Vorauszuschicken ist daher, dass der in der Anfrage genannte

Jugendliche von der Bundespolizeidirektion Wels wegen Verdachtes des Verbre -

chens der versuchten Erpressung nach §§ 15,144 Abs. 1 StGB und Vergehens der

Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB angezeigt wurde. Demnach soll er im

Mai 2000 dem in der Anfrage bezeichneten Erwachsenen mehrere Schläge ins

Gesicht und gegen den Körper versetzt und nach Beendigung dieser Tätlichkeiten

10.000 S als Entschädigung für einen früher stattgefundenen sexuellen Übergriff

verlangt haben. Der in der Anfrage bezeichnete Erwachsene wurde rechtskräftig des

Verbrechens nach § 209 StGB schuldig erkannt, weil er im Juni 1998 den Jugendli -

chen über seiner Hose am Geschlechtsteil betastet, ihn zum Oralverkehr aufgefor -

dert und schließlich vor ihm onaniert hatte.

 

Von diesem Sachverhalt ausgehend beantworte ich die Anfrage wie folgt:

 

Zu 1, 2A und 3:

Der Tatbestand des § 144 Abs. 1 StGB ist in objektiver Hinsicht nicht erfüllt, weil

- nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten - der Jugendliche den in der

   Anfrage bezeichneten Erwachsenen im Zusammenhang mit der Forderung eines

Geldbetrages nicht bedrohte und gegen diesen auch nicht (weiter) tätlich vorgegan -

gen ist. Auch die subjektive Tatseite, der Vorsatz sich unrechtmäßig zu bereichern,

ist zu verneinen, weil der Jugendliche auf Grund des früheren sexuellen Übergriffes

und des damit verbundenen Schockerlebnisses seinem subjektiven Empfinden nach

Anspruch auf eine Geldzahlung hatte. Im Hinblick auf den durch kriminalpolizeiliche

Ermittlungen gänzlich geklärten Sachverhalt, hatte die Staatsanwaltschaft Wels

darüber hinausgehende Erhebungen zur Aufklärung eines allfälligen deliktischen

Verhaltens nach §§ 15, 144 Abs. 1 StGB nicht zu veranlassen.

 

Zu 2B:

Wie alle strafrechtlichen Tatbestände ist auch jener des Verbrechens der Erpres -

sung nur dann anzunehmen, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale in objektiver

und subjektiver Hinsicht erfüllt sind. Wie bereits ausgeführt, war dies anlassbezogen

nicht der Fall. Da die Zurücklegung der Anzeige gegen den in der Anfrage bezeich -

neten Jugendlichen sohin nicht, wie die Anfrage unterstellt, auf Grund einer spezi -

fisch täterbegünstigenden Rechtslage, sondern aus grundsätzlichen strafrechtlichen

Erwägungen erfolgte, sehe ich für legistische Maßnahmen keine Notwendigkeit.

 

Zu 4, 5A und 6:

Die Ansicht der Staatsanwaltschaft Wels, wonach bei einzelfallbezogener Betrach -

tungsweise die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Z 3 JGG und demnach mangelnde

Strafwürdigkeit der Tat einer weiteren Verfolgung des Jugendlichen nach § 83 Abs.

1 StGB entgegensteht, ist zu teilen. Der Jugendliche war zum Zeitpunkt der Tat

unbescholten, hatte sich durch die zuvor vom Erwachsenen gesetzten Tathandlun -

gen nach § 209 StGB gekränkt und verletzt erachtet und die eigenen Tätlichkeiten

eingestanden. Entgegen den Angaben des in der Anfrage bezeichneten Erwachse -

nen konnten laut Krankengeschichte nur geringfügige Verletzungen und eine

Vorschädigung objektiviert werden. Insoweit sich die Anfrage auf die Judikatur zu

Tätlichkeiten gegen ein bereits am Boden liegendes Opfer stützt, ist auf das Ergeb -

nis der kriminalpolizeilichen Ermittlungen zu verweisen. Diese Ermittlungen und die

geringen Verletzungen lassen den Schluss, dass der in der Anfrage bezeichnete

Jugendliche derart rohe Tathandlungen setzte, nicht zu.

 

Zu 5B:

Anlässlich der ärztlichen Untersuchung konnten neben einer Vorschädigung bloß

geringfügige - äußerlich nicht sichtbare - Verletzungen festgestellt werden, weshalb

die Einholung eines ärztlichen Gutachtens zur Dauer der Gesundheitsschädigung

unterbleiben konnte.

 

Zu 5C:

Der Umstand, dass der in der Anfrage bezeichnete Erwachsene homosexuelle

Neigungen haben soll, kann nicht von vornherein eine Anwendung des § 42 StGB

aus generalpräventiven Gründen ausschließen. Bei der Prüfung der Voraussetzun -

gen des § 4 Abs. 2 Z 3 JGG ist grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung aller Tatfakto -

ren (Vorleben, Ausmaß der Schuld, Folgen der Tat, Intensität des deliktischen

Verhaltens) vorzunehmen. Bei einer solchen Gesamtschau konnte die Staatsanwalt -

schaft Wels zu Recht zu dem Ergebnis gelangen, dass general -  und spezialpräven -

tive Hinderungsgründe nicht bestehen, weil die Anwendung des § 4 Abs. 2 Z 3 JGG

im konkreten Fall nicht befürchten lässt, das allgemeine Rechtsbewusstsein könnte

in der Abgrenzung zwischen mangelnder Strafwürdigkeit (rechtswidrigen) delikti -

schen Handelns und - aus der Sanktionslosigkeit etwa irrig abgeleiteter - Rechtmä -

ßigkeit solchen Verhaltens überfordert und irritiert werden. Im Übrigen wird im

Jugendstrafrecht tendenziell ein großzügigerer Maßstab bei der Anwendung des

§ 42 StGB angelegt (siehe auch JAB 738 BlgNR XVII GP, 4).

 

Zu 7:

Den Fragestellern ist bekannt, dass der Nationalrat mehrmals mit der Frage einer

ersatzlosen Aufhebung oder Änderung des § 209 StGB befasst war. So fand sich in

der Abstimmung des Nationalrats über das Strafrechtsänderungsgesetz 1996 und

verbundene Initiativanträge keine Mehrheit für einen Entfall des Tatbestandes,

ebensowenig wurden anlässlich der Abstimmung über das Strafrechtsänderungsge -

setz 1998 Abänderungsanträge zur Streichung des § 209 StGB angenommen. Bis

zu einer anderen Entscheidung des Gesetzgebers gehört § 209 StGB dem gelten -

den Rechtsbestand an und ist somit von den Justizbehörden anzuwenden.

 

Die Zurücklegung der Anzeige gegen den in der Anfrage bezeichneten Jugendlichen

teils nach § 4 Abs. 2 Z 3 JGG kann - wie schon ausgeführt - nicht beanstandet

werden.

 

Zu 8:

In dem hier in Rede stehenden Fall wurde bisher keine Gnadenbitte beim Bundes -

ministerium für Justiz eingebracht. Die Frage, ob Anlass zur Erstattung eines

Gnadenvorschlags besteht und in welche Richtung dieser Vorschlag gehen soll,

kann daher derzeit nicht beantwortet werden.