130 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


über die Regierungsvorlage (79 der Beilagen): Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossen­schaft andererseits über die Freizügigkeit samt Anhängen und Schlussakte


Das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit betrifft die Personenfreizügigkeit und ist Teil eines aus sieben Verträgen bestehenden Vertragspakets. Die übrigen sechs Verträge – sie behandeln den Luftverkehr, den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die gegenseitige Anerkennung der Konformitätsbewertungen, be­stimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens und die wissenschaftlich-technische Zusammenar­beit – werden als Gemeinschaftsabkommen abgeschlossen.

Die sieben Verträge sind durch eine Klausel, die in jedem einzelnen Abkommen enthalten ist, miteinander verbunden. Durch diese Klausel wird sichergestellt, dass die Verträge nur gleichzeitig in Kraft treten können und dass im Fall der Kündigung auch nur eines Abkommens alle sieben Abkommen außer Kraft treten. Die Abkommen werden vorerst für einen Zeitraum von sieben Jahren geschlossen und sodann stillschweigend auf unbeschränkte Zeit verlängert, sofern die Gemeinschaft oder die Schweiz der anderen Vertragspartei vor Ablauf der Geltungsdauer nichts Gegenteiliges notifiziert.

Seit sich die Schweiz am 6. Februar 1992 gegen eine Teilnahme am EWR entschieden hat, wurde immer deutlicher, dass die vertraglichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Union bei weitem nicht der Intensität der realen wirtschaftlichen Verflechtung der beiden Märkte entsprechen.

Nach Erteilung der Verhandlungsmandate durch den Rat Allgemeine Angelegenheiten am 31. Oktober 1994 (Freier Personenverkehr, Forschung und technologische Entwicklung, Landwirtschaft, Gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen und Öffentliches Auftragswesen) sowie am 14. März 1995 (Land- und Luftverkehr) fanden über vierjährige Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und der Schweizerischen Eidgenossenschaft statt. Die politische Einigung über das Abkommenspaket konnte am Rande des Europäischen Rates von Wien (11./12. Dezember 1998) erreicht werden. Am 26. Februar 1999 wurde das Abkommen in Bern paraphiert. Die Unterzeichnung des Abkommens über die Freizügigkeit erfolgte am Rand des Rates Allgemeine Angelegenheiten am 21./22. Juni 1999 in Luxemburg (Punkt 12 des Beschlussprotokolls Nr. 100 über die Sitzung des Ministerrates am 8. Juni 1999).

Ziel des Abkommens ist die Einräumung des Rechtes auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbst­ständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbstständiger sowie des Bleiberechts im Hoheitsge­biet der Vertragsparteien, die Erleichterung der Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien, insbesondere die Liberalisierung kurzzeitiger Dienstleistungen, die Einräumung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien für Personen, die im Aufnahmeland keine Erwerbstätigkeit ausüben, und die Einräumung der gleichen Lebens-, Beschäfti­gungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer.

Durch das Abkommen wird Dienstleistungserbringern ermöglicht, an 90 Arbeitstagen pro Kalenderjahr grenzüberschreitende Leistungen zu erbringen. Die Systeme der sozialen Sicherheit werden weitgehend koordiniert. Am Ende des Anhangs II betreffend die soziale Sicherheit befindet sich ein Protokoll, das integraler Bestandteil des Abkommens ist.

Das Abkommen enthält einen Übergangsmechanismus, für den es in keinem anderen Abkommen der Gemeinschaft Parallelen gibt: grundsätzlich ist nach fünf Jahren ab Inkrafttreten die volle Personenfrei­zügigkeit erreicht, allerdings kann die Schweiz einseitig wieder Kontingente für jeweils zwei Jahre einführen, falls es zu einer sehr starken Zuwanderung kommt. Nach insgesamt zwölf Jahren sind jedenfalls alle Kontingente abgeschafft.

Durch das Abkommen wird ein Gemischter Ausschuss eingesetzt, der für die Verwaltung und die ordnungsgemäße Anwendung dieses Abkommens verantwortlich ist und gewöhnlich einmal im Jahr zusammentritt. Er setzt sich aus Vertretern der Vertragsparteien zusammen und fasst Beschlüsse insbesondere hinsichtlich der Auswirkung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, der Revision des Abkommens und der Streitbeilegung. Er entscheidet einvernehmlich.

Bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen sind vom gegenständlichen Abkommen nicht betroffen.

Die Schlussakte enthält neun Erklärungen (vier gemeinsame Erklärungen, drei weitere seitens der Schweiz sowie zwei durch die EG-Seite), die keinen integralen Bestandteil des Abkommens bilden (Gemeinsame Erklärung über eine allgemeine Liberalisierung der Dienstleistungen, Gemeinsame Erklärung über die Versorgungsbezüge der in der Schweiz wohnhaften Ruhegehaltsempfänger der EU-Institutionen, Gemeinsame Erklärung über die Durchführung des Abkommens, Gemeinsame Erklärung über künftige zusätzliche Verhandlungen; Erklärung der Schweiz über die Verlängerung des Abkommens, Erklärung der Schweiz zur Migrations- und Asylpolitik, Erklärung der Schweiz zur Anerkennung der Architekten-Diplome; Erklärung der EG und ihrer Mitgliedstaaten zu den Artikeln 1 und 17 des Anhangs I – auf Grund eines österreichischen Wunsches, betrifft die Entsendebedingungen – Erklärung zur Teilnahme der Schweiz an den Ausschüssen).

Das Abkommen wird in dänischer, deutscher, englischer, finnischer, französischer, griechischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer, spanischer und schwedischer Sprache abgeschlossen, wobei jeder dieser Wortlaute gleichermaßen verbindlich ist.

Das vorliegende Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit ist gesetz­ändernd bzw. gesetzesergänzend und bedarf der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 letzter Satz B-VG. Es bedarf weiters der Zweidrittelmehrheit im Nationalrat im Hinblick auf vorgesehene Verfassungsbestimmungen gemäß Art. 50 Abs. 3 B-VG und der Zustimmung des Bundesrates mit Zweidrittelmehrheit gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG.

Auf Grund der Bestimmungen in Art. 10 Abs. 2 dritter Satz, Art. 14 Abs. 1 und 2, Art. 16 Abs. 2 Art. 18 und Art. 19 werden dem Gemischten Ausschuss Hoheitsrechte der Republik Österreich übertragen, wofür Art. 9 Abs. 2 B-VG eine verfassungsrechtliche Grundlage bietet, soweit es sich bei den einzelnen übertragenen Hoheitsrechten um solche des Bundes handelt. Hinsichtlich der den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffenden Hoheitsrechte besteht keine verfassungsrechtliche Grundlage, weshalb Art. 10 Abs. 2 dritter Satz, Art. 14 Abs. 1 und 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 18, die eine Beschlussfassung des Gemischten Ausschusses auch hinsichtlich des Kompetenzbereiches der Länder vorsehen, verfassungsändernd zu genehmigen sind.

Da das Abkommen neben in der Kompetenz der Gemeinschaft liegenden Materien auch Bereiche regelt, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind, wird es als so genanntes gemischtes Abkommen geschlossen und bedarf dementsprechend neben der Genehmigung durch die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten auch der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten.

Im Hinblick auf die Kundmachung des Abkommens im Amtsblatt der EG soll die Kundmachung gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG durch Auflage im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten erfolgen.

Das Abkommen hat nicht politischen Charakter und ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich zugänglich, so dass eine Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist.

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 24. Mai 2000 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

           1. Der Abschluss des Staatsvertrages: Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit samt Anhängen und Schlussakte (79 der Beilagen) wird genehmigt.

           2. Gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG ist dieser Staatsvertrag dadurch kundzumachen, dass das Ab­kommen samt Anhängen und Schlussakte, das in den elf Amtssprachen der Europäischen Union im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wird, im Bundesministeri­um für auswärtige Angelegenheiten zur öffentlichen Einsichtnahme aufliegt.


Wien, 2000 05 24

                         Dr. Gerhart Bruckmann                                                          Peter Schieder

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann