268 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Bericht

des Hauptausschusses


über den Antrag 211/A der Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Ing. Peter Westenthaler und Genossen gemäß Art. 49b B-VG in Verbindung mit § 26 GOG-NR auf Durchführung einer Volksbefragung gemäß Art. 49b B-VG über die Weiterentwicklung des EU-Rechts zur Sicherstellung der Gleichberechtigung und der demokratischen Rechte aller EU-Mit­gliedstaaten, zur Garantie von Grund- und Freiheitsrechten in der Europäischen Union sowie zur Schaffung eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei behaupteter Verletzung von Grundwerten der Europäischen Union und zur sofortigen Aufhebung der ungerecht­fertigten Sanktionen gegen Österreich


Gemäß Art. 49b B-VG hat eine Volksbefragung über eine Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung, zu deren Regelung der Bundesgesetzgeber zuständig ist, stattzufinden, sofern der Nationalrat dies auf Grund eines Antrages seiner Mitglieder oder der Bundesregierung nach Vorberatung im Hauptausschuss beschließt. Die Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Ing. Peter Westenthaler und Genossen haben den gegenständlichen Antrag am 5. Juli 2000 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

“Der Hauptausschuss des Nationalrates hat anlässlich der Vorbereitung der Regierungskonferenz von Feira folgende Stellungnahme gemäß Art. 23e B-VG beschlossen:

,Der Hauptausschuss des Nationalrates begrüßt namens des Nationalrates gemäß Art. 23e Abs. 5 B-VG den von der Bundesregierung ausgearbeiteten Vorschlag zur Neufassung der Art. 7 und 46 des EU-Vertrages, womit ein gerechtes, rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Art. 6 EUV eingerichtet wird. Der Hauptausschuss des Nationalrates beauftragt namens des Nationalrates gemäß Art. 23e Abs. 5 B-VG die österreichische Bundesregierung alles zu unternehmen, dass dieses Verfahren betreffend Art. 7 und 46 EU-Vertrag bei der Regierungskonferenz der Europäischen Union durchgesetzt wird.‘

In der Antragsbegründung wurde das unerschütterliche Bekenntnis zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, wie sie in Art. 6 EUV beschrieben sind, bekräftigt, eine Aufhebung der von den anderen 14 EU-Staaten über Österreich ungerechtfertigt und ohne Rechtsbasis verfügten Sanktionen zum ehestmöglichen Zeitpunkt verlangt und die Bundesregierung bei allen politischen und rechtlichen Schritten zur Aufhebung dieser Maßnahmen unterstützt.

Im Antrag wurde auch die Resolution der Landeshauptleutekonferenz vom 12. Mai 2000 bekräftigt:

           1. Die Sanktionen der 14 EU-Staaten durch ein transparentes System gegenseitigen Verständnisses und Respekts abzulösen, das für alle Mitglieder verbindlich gelten soll.

           2. Europaweit rasch einen Kodex zu entwickeln, der sauber und einleuchtend definiert, was es mit Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten auf sich hat, und was sich daraus für die nationalen Parlamente, Regierungen, die Organe der Europäischen Gemeinschaft und die Bevöl­kerung ergibt.

Die Landeshauptmännerkonferenz unterstützt ausdrücklich die diplomatischen und politischen Bemühun­gen der Bundesregierung und erwartet, dass es dadurch zur Aufhebung der Sanktionen kommt. Die Bundesländer unterstützen diese Bemühungen durch eigene Beiträge auf regionaler Ebene.‘

Trotz des intensiven Bemühens der österreichischen Bundesregierung ist es aber unter der portugiesi­schen Präsidentschaft nicht zur Aufhebung der Sanktionen gekommen. Der vom portugiesischen Rats­präsidenten gemachte Vorschlag beinhaltet vielmehr die Einsetzung eines Weisenrates, der einen Bericht erstatten soll. Entgegen den Ankündigungen enthält dieser Vorschlag keinen Zeitplan.

Auf Grund dieser Entwicklung erscheint die Abhaltung einer Volksbefragung zum Verhältnis Österreichs zur Europäischen Union weiterhin notwendig, um sicherzustellen, dass die Sanktionen schnell aufgehoben werden. Außerdem soll die Weiterentwicklung der EU dem Grundatz der Gleichberechtigung aller Mitgliedstaaten entsprechen, die rechtsstaatlichen Grundregeln, die Menschenrechte der Bürger und die Grundfreiheiten der Mitgliedstaaten respektieren und bei behaupteter Verletzung solcher Grundwerte ein rechtsstaatliches Verfahren mit richterlicher Kontrolle in den EU-Vertrag aufgenommen werden.

Eine Volksbefragung gemäß Art. 49b B-VG ist zur Erreichung dieser Ziele politisch und rechtlich das geeignete Mittel. Nach dieser Bestimmung kann nämlich eine Volksbefragung über solche Angelegen­heiten von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung durchgeführt werden, zu deren Regelung der Bundesgesetzgeber zuständig ist. Eine immer wichtiger werdende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers stellt die Mitwirkung an der EU-Rechtssetzung dar. Der Nationalrat ist im Sinne des Art. 23e B-VG, § 31d GOG-NR zur Abgabe von Stellungnahmen in Angelegenheiten der Europäischen Union zuständig, die für die betroffenen Mitglieder der Bundesregierung bindende Wirkung haben. Darüber hinaus ist der Bundesgesetzgeber aber auch noch gemäß Art. 50 B-VG zur Genehmigung von Staatsverträgen zuständig. Dazu zählen auch die durch die Volksbefragung angeregten Änderungen des EU-Vertrages, die einer bundesverfassungsgesetzlichen Zustimmung bedürfen (Art. 50 Abs. 3 B-VG), sodass auch aus dieser Sicht die verfassungsmäßigen Voraussetzungen des Art. 49b B-VG gegeben sind.”

Der Hauptausschuss hat den vorliegenden Initiativantrag in seiner Sitzung am 11. Juli 2000 in Verhand­lung genommen.

Nach der Berichterstattung durch den Abgeordneten Dr. Gottfried Feurstein ergriffen in der darauf­folgenden Debatte die Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Dr. Peter Kostelka, Dr. Evelin Lichten­berger, Peter Schieder, Dr. Andreas Khol, Mag. Herbert Haupt, Reinhart Gaugg, Dr. Peter Pilz, DDr. Erwin Niederwieser, Georg Schwarzenberger, Dr. Josef Cap, Dr. Michael Spindelegger, Wolfgang Jung, der Berichterstatter Dr. Gottfried Feurstein, Präsident Dr. Heinz Fischer, Dritter Präsident Dr. Werner Fasslabend sowie der Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser und der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Franz Morak das Wort.

Als Experten gemäß § 40 Abs. 1 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 wurden Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller, Univ.-Prof. Dr. Michael Lang, Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer und Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger angehört.

Die Abgeordneten Dr. Andreas Khol und Ing. Peter Westenthaler brachten einen Abänderungsantrag ein.

Bei der Abstimmung wurde der gegenständliche Initiativantrag unter Berücksichtigung des Abänderungs­antrages der Abgeordneten Dr. Andreas Khol und Ing. Peter Westenthaler mit Stimmenmehrheit angenommen.

Weiters wurde mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung beschlossen:

“Der Hauptausschuss gelangt nach Anhörung von Experten zu folgenden Feststellungen:

           1. Zu den Angelegenheiten, die zum Gegenstand einer Volksbefragung gemacht werden können, gehören auch jene Angelegenheiten, die Gegenstand einer Stellungnahme nach Art. 23e B-VG, eines Bundesverfassungsgesetzes, eines Staatsvertrages nach Art. 50 B-VG oder eines auf Grund einer Sonderverfassungsbestimmung (vgl. zB das Ermächtigungsgesetz zum Abschluss des Vertrages von Amsterdam, BGBl. I Nr. 76/1998) ergangenen generellen Aktes sein können. Die nunmehr vorliegende Frage entspricht daher auch insoweit den Voraussetzungen des Art. 49b B‑VG.

           2. Die nunmehr vorliegende Fragestellung enthält keine Suggestivfrage und entspricht somit den Vorgaben, die der VfGH in seinem Erkenntnis vom 16. Juni 2000, V 103/99 zum Steiermärki­schen VolksrechteG entwickelt hat.

           3. Bei der nunmehr vorliegenden Frage handelt es sich um eine einzige Frage, sodass sich auch aus diesem Blickwinkel keine Bedenken im Lichte des § 9 VolksbefragungsG ergeben.”

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Hauptausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

“Gemäß Art. 49b B-VG wird eine Volksbefragung über die Weiterentwicklung des EU-Rechts zur Sicher­stellung der Gleichberechtigung und der demokratischen Rechte aller EU-Mitgliedstaaten, zur Garantie von Grund- und Freiheitsrechten in der Europäischen Union sowie zur Schaffung eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei behaupteter Verletzung von Grundwerten der Europäischen Union und zur sofortigen Aufhebung der Sanktionen gegen Österreich mit nachstehender Fragestellung durchgeführt:

Soll der Bundesgesetzgeber im Zuge der bevorstehenden Reform des EU-Vertrages mit allen geeigneten Mitteln sicherstellen, dass die folgenden Zielsetzungen erreicht werden:


–   sofortige Aufhebung der von den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen Österreich verhängten Sanktionen;

–   Ausbau der Europäischen Union als umfassende Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten, die allen Mitgliedstaaten gleiche Rechte und Pflichten garantiert und nicht die Vorherrschaft einiger weniger großer Staaten über die anderen ermöglicht;

–   Sicherstellung, dass die Europäische Union das Grundrecht jedes Landes, seine Regierung auf Basis freier demokratischer Wahlen selbst zu bestimmen, den freien Wettbewerb und die Rechte aller demokratischen Parteien sowie die Einrichtungen der direkten Demokratie achtet;

–   klare Aufgabenteilung zwischen der europäischen Ebene und den Mitgliedstaaten sowie Aufwertung der Regionen;

–   Verpflichtung aller Einrichtungen der Europäischen Union zur Einhaltung der Grundregeln des Rechtsstaates und der Menschenrechte;

–   Aufnahme eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei behaupteter Verletzung von Grundwerten der Union mit richterlicher Kontrolle in den EU-Vertrag?

                                           O JA                                                                                 O NEIN”

Wien, 2000 07 11

                          Dr. Gottfried Feurstein                                                    Dr. Werner Fasslabend

                                   Berichterstatter                                                                 Obmannstellvertreter

 

Minderheitsbericht

der Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Peter Schieder, Dr. Josef Cap, DDr. Erwin Niederwieser, Dr. Elisabeth Pittermann

gemäß § 42 Abs. 4 GOG

zum Antrag 211/A der Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Ing. Peter Westen­thaler und Genossen gemäß Art. 49b B-VG in Verbindung mit § 26 GOG-NR auf Durchführung einer Volksbefragung gemäß Art. 49b B-VG über die Weiterentwicklung des EU-Rechts zur Sicherstellung der Gleichberechti­gung und der demokratischen Rechte aller EU-Mitgliedstaaten, zur Garantie von Grund- und Freiheitsrechten in der Europäischen Union sowie zur Schaffung eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei behaupteter Verlet­zung von Grundwerten der Europäischen Union und zur sofortigen Auf­hebung der ungerechtfertigten Sanktionen gegen Österreich


Die unterzeichneten Abgeordneten stellen fest, dass durch die Befragung der Experten im Hauptausschuss weitestgehende Auffassungsunterschiede aufgetreten sind, wie die Bestimmung des Art. 49b B-VG zu interpretieren ist. Beispielsweise bestanden zu folgenden Fragen divergente Auffassungen:

–   Begriff des Wortes “Bundesgesetzgeber” in Art. 49b B-VG

–   Frage der Reichweite des Begriffes “Bundesgesetzgebung” in der Bundesverfassung

–   Frage der Geltung des Art. 49b für den Abschluss von Staatsverträgen

–   Frage des Verhältnisses betreffend Art. 23e über das Stellungnahmerecht des Hauptausschusses zu Art. 49b betreffend die Volksbefragung

–   Zulässigkeit der Fragestellung betreffend Verhaltens der Bundesregierung

–   Zulässigkeit, Stellungnahmen des Nationalrates gemäß Art. 23e über die Änderung des Primärrechts abzugeben

–   Übertragbarkeit der Argumentation des Verfassungsgerichtshofes zur Grazer Volksbefragung auf die Volksbefragung nach Art. 49b B-VG

–   Zulässigkeit, mehrere Fragen, die gesondert zu beantworten sind, in einer Volksbefragung zu stellen

–   Zulässigkeit, mehrere Fragen zu stellen, die lediglich unter einem beantwortet werden können

–   Problematik, ab wann eine eindeutige und klare Fragestellung im Sinne der Judikatur des Verfassungs­gerichtshofes vorliegt

–   Frage, was unter einer “suggestiven Frage” im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu verstehen ist

–   Rolle des Bundespräsidenten, wenn er eine Fragestellung für verfassungswidrig hält

–   Frage, ob der Bundespräsident nur grobe Fehler aufgreifen dürfe oder jeden Fehler aufgreifen müsse

–   Rolle des Nationalrates gegenüber dem Bundespräsidenten, Frage der Sanktionsmöglichkeit des Nationalrates gegenüber dem Bundespräsidenten im Falle einer unterschiedlichen Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Fragestellung

–   Rolle der Bundesregierung bei der Einleitung einer Volksbefragung

–   Funktion einer Volksbefragung und ihr Missbrauch

Bei einer einzigen Frage waren die Experten einer einhelligen Auffassung, und zwar bei jener, dass es sich bei Zielsetzungen der EU-Reform und die österreichische Mitwirkung dabei um Fragen von gesamtösterreichischer und grundlegender Bedeutung handelt. In allen anderen Fragen waren die Experten unterschiedlicher Auffassung. Bei einzelnen Fragen, insbesondere über den Begriff “Bundes­gesetzgeber”, vertrat die Mehrheit der Experten eine im Ergebnis gleiche Auffassung, allerdings mit unterschiedlichen Begründungen, die sich gegenseitig wiederum ausschlossen.


Kein einziger Experte hat die konkrete Art der Fragestellung, auch auf Grund der durch den Abände­rungsantrag modifizierten Fassung, für einwandfrei gehalten. Ein einziger Experte hat es für möglich gehalten, dass es zulässig sein könnte, sechs unterschiedliche Fragen zu stellen, die mit einer einzigen Antwort zu beantworten sind.

Ein einziger Experte hat die Frage offen gelassen, ob die Abhaltung der Volksbefragung die Bundes­regierung dem Ziel einer Aufhebung der Sanktionen näher bringen könne. Alle anderen Experten haben – auch wenn alle die Sanktionen für falsch gehalten haben – betont, dass die Volksbefragung kein sinnvolles Mittel sei, um die anderen Staaten zur Aufhebung der Sanktionen zu bewegen.

Zusammengefasst halten die unterzeichneten Abgeordneten fest, dass die Anhörung der Experten mehr verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen als gelöst hat. Die von den beiden Regierungsfraktionen beantragte Ausschussfeststellung ist inhaltlich von den Aussagen der Experten in keiner Weise gedeckt. Die Ausschussfeststellung ist daher irreführend und falsch, auch wenn sie von der Regierungsmehrheit angenommen wurde.