305 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


über die Regierungsvorlage (201 der Beilagen): Kündigung des Übereinkommens vom 5. Juli 1890 betreffend die Veröffentlichung der Zolltarife und die Organisation einer Internationalen Vereinigung zur Veröffentlichung der Zolltarife samt seinem Durch­führungsregulativ


Österreich ist Mitglied des Übereinkommens vom 5. Juli 1890 betreffend die Veröffentlichung der Zolltarife und die Organisation einer Internationalen Vereinigung zur Veröffentlichung der Zolltarife.

Das am 5. Juli 1890 gegründete Internationale Zolltarifbüro hat unter anderem den Zweck, auf gemein­same Kosten so rasch und genau wie möglich die Zolltarife der verschiedenen Staaten sowie die Abänderungen, welche diese Tarife in der Folge erfahren, zu veröffentlichen. Zu diesem Zweck wurde in Brüssel dieses Büro errichtet, mit der Aufgabe, diese Tarife sowie die diese abändernden gesetzlichen oder administrativen Bestimmungen zu übersetzen und zu veröffentlichen. Die Veröffentlichungen erscheinen unter dem Titel “Bulletin International des Douanes”. Das Personal dieses Büros wird vom belgischen Ministerium des Äußeren gestellt, welches unter anderem auch für den geordneten Geschäfts­gang des Institutes sorgt. Die Kosten für dieses Zolltarifbüro sowie die Veröffentlichungen werden durch Mitgliedsbeiträge bestritten. Für Österreich beträgt dieser Beitrag pro Jahr zirka 470 000 S.

Die durch das Internationale Zolltarifbüro ausgeführten Aufgaben haben im Laufe der Entwicklung für Österreich ihre Bedeutung verloren.

Mit der Entwicklung immer modernerer und kostengünstigerer weltweiter Kommunikationsmethoden (Telefon, Fax, E-Mail und Internet) und der dadurch sehr einfach gewordenen Möglichkeit der direkten Beschaffung von aktuellen Informationen über die Zollsätze eines bestimmten Landes, in das zB ein Export geplant ist, haben die Publikationen des Internationalen Zolltarifbüros für die österreichische Wirtschaft ihre Bedeutung verloren. Auch die Verwaltung stützt sich bei ihrer Tätigkeit, zB bei der Vorbereitung auf Zolltarifsenkungsrunden im Rahmen der WTO (früher GATT), nicht mehr auf die Publikationen des Internationalen Zolltarifbüros, sondern auf Unterlagen, die für diese Verhand­lungsrunden von der WTO und der Europäischen Kommission erstellt werden bzw. nutzt die durch das Internet gegebenen Zugriffsmöglichkeiten auf die entsprechenden Datenbanken.

Der aus dem Übereinkommen gezogene Nutzen steht somit in keiner Relation mehr zu dem von Österreich zu leistenden jährlichen Mitgliedsbeitrag. Das Übereinkommen wäre daher zu kündigen.

Europarechtliche Gesichtspunkte:

Der gemeinsame Zolltarif der Europäischen Gemeinschaft (Artikel 23 EGV) fällt zwar unter die aus­schließliche Gemeinschaftszuständigkeit, sodass die Europäische Gemeinschaft auch im Außenverhältnis die Regelungskompetenz besitzt. Das vorliegende Übereinkommen enthält aber keine Regelungen im Zoll- oder Handelsbereich und ermächtigt den Verband auch nicht zur Schaffung oder Änderung der­artiger Vorschriften. Die Mitglieder des Übereinkommens sichern sich nur Serviceleistungen betreffend die Zollvorschriften der einzelnen Staaten oder Staatengemeinschaften zu, insbesondere die Veröffent­lichung dieser Vorschriften in verschiedenen Sprachen. Die Rechte und Pflichten aus dem Überein­kommen bestehen völlig unabhängig vom materiellen Inhalt des EG-Rechts im Zollbereich. Sie sind auch nicht mit Rechten und Pflichten der Gemeinschaft untrennbar verknüpft. Die Europäische Gemeinschaft ist nicht Mitglied dieses Übereinkommens. Eine solche Mitgliedschaft ist auf Grund des Wortlauts des vorliegenden internationalen Vertrags nicht möglich. Als Mitglieder können dem Übereinkommen gemäß seinem Artikel 14 lediglich “Staaten und Kolonien” beitreten. Somit ist die Kündigung eines einzelnen EU-Mitgliedstaates mit dem EG-Vertrag vereinbar. Auch in der Praxis hatte daher die Europäische Kommission in letzter Zeit keine Bedenken gegen eine Kündigung durch einen Mitgliedstaat, wie sich bei der Kündigung durch Dänemark, die Niederlande und Irland gezeigt hat.

Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte:

Die völkerrechtliche Kündigung des Übereinkommens vom 5. Juli 1890 betreffend die Veröffentlichung der Zolltarife und die Organisation einer Internationalen Vereinigung zur Veröffentlichung der Zolltarife kann gemäß seinem Artikel 15 durch jeden Vertragspartner an die belgische Regierung gerichtet werden.

Es stellt sich die Frage, in welcher Rechtsform eine derartige Kündigung innerstaatlich erfolgen müsste. Das Übereinkommen vom 5. Juli 1890 (samt seinem Durchführungsregulativ, welchem gemäß Arti­kel 13 des Übereinkommens die gleiche bindende Kraft wie dem Übereinkommen selbst zukommt) wurde durch die Vollzugsanweisung vom 15. Juni 1920 betreffend das Inkrafttreten gewisser internationaler Verträge in den Rechtsbestand der Republik Österreich übernommen (StGBl. Nr. 304/1920). Zum damaligen Zeitpunkt erfolgte in der Veröffentlichung des Textes keine explizite Einordnung in den Stufenbau der Rechtsordnung.

Im Jahre 1949 kam es zu einer inhaltlichen Änderung des Übereinkommens und des Durchführungs­regulativs, welche im BGBl. Nr. 218/1951 veröffentlicht wurde. Gemäß den Aufzeichnungen des Staatsnotariats im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten wurde zum damaligen Zeitpunkt kein Ministerratsvortrag vorgelegt und kein parlamentarisches Genehmigungsverfahren eingeleitet. Dies ist ein formales Indiz dafür, dass es sich beim gegenständlichen Übereinkommen um einen Rechtsakt im Verordnungsrang handelt.

Allerdings könnte eingewendet werden, dass mit dem Übereinkommen eine internationale zwischen­staatliche Organisation gegründet wurde, die für Österreich Mitgliedsbeitragszahlungen in nennenswerter Höhe mit sich brachte. Das Übereinkommen wäre daher auf Grund seines Inhalts als gesetzeser­gänzender Staatsvertrag anzusehen.

Das vorliegende Übereinkommen wurde im Jahre 1890 abgeschlossen. Gemäß Artikel 6 des zu dieser Zeit geltenden Staatsgrundgesetzes über die Ausübung der Regierungs‑ und der Vollzugsgewalt (RGBl. Nr. 145/1867) war zur “Gültigkeit” von “Handelsverträgen” und “jener Staatsverträge, die das Reich oder Teile desselben belasten oder einzelne Bürger verpflichten”, die Zustimmung des Reichsrates erforderlich. Die – für den vorliegenden Zusammenhang relevante – zuletzt genannte Umschreibung zustimmungs­bedürftiger Staatsverträge wurde dahin gehend verstanden, “dass sie jene Verträge umfasse, die ihrem Inhalt nach die Gesetzgebungskompetenz des Reichsrates berühren” (vgl. Öhlinger, Theo: Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht, 1973, 228). Es erscheint nicht ganz eindeutig, ob dieses Übereinkommen tatsächlich unter zustimmender Mitwirkung des Reichsrates zustande gekommen ist. Aus StGBl. Nr. 304/1920, FN 5 zu Z 5, geht allerdings hervor, dass sein Text bis dahin nicht veröffentlicht wurde. Dieser Umstand spricht dagegen, dass eine Zustimmung des Reichsrates eingeholt wurde (vgl. demgegenüber zB Internationaler Vertrag zum Schutz der Unterseekabel, RGBl. Nr. 40/1888). Hinzu kommt, dass gemäß Artikel 15 des vorliegenden Übereinkommens die “Regierungen” einvernehmlich “Verbesserungen” daran vornehmen dürfen. Mit guten Gründen kann daher davon ausgegangen werden, dass dieses Übereinkommen seinerzeit als Regierungsübereinkommen abgeschlossen wurde.

Sollte diese Einschätzung zutreffen, dann stünde das Übereinkommen wohl nach wie vor als Regierungs­übereinkommen in Kraft. Dies ist aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu schließen, derzufolge in der Monarchie erlassene Verordnungen auch unter dem Geltungsbereich des B‑VG weiterhin als Verordnungen in Kraft stehen (zB VfSlg. 2722/1954). Kaum anderes kann dann aber für aus der Monarchie übernommene Staatsverträge gelten. Auch sie stehen unter dem B-VG als Regierungs­übereinkommen weiter in Kraft, wenn sie als solche in der Monarchie abgeschlossen wurden.

Die Änderung und Aufhebung von aus der Monarchie übernommenen Rechtsakten hat allerdings nach Maßgabe der Anforderungen des B-VG zu erfolgen. Aus der Monarchie stammende und als solche übergeleitete Verordnungen dürfen daher nur durch Gesetz aufgehoben oder abgeändert werden, wenn sie über keine ausreichende gesetzliche Grundlage verfügen (vgl. Brande in Wenger-FS, 1983, 212).

Ebenso ist davon auszugehen, dass auf die Änderung oder Kündigung von übergeleiteten Staatsverträgen die Regelungen über Staatsverträge im B-VG in vollem Umfang zur Anwendung kommen. Auch eine Kündigung ist nämlich als Staatsvertrag im Sinne des B-VG zu verstehen und an den Kriterien des Art. 50 B‑VG zu messen (vgl. zB Kündigung des Europäischen Übereinkommens über den Widerspruch bei international gehandelten Inhaberpapieren, BGBl. Nr. 453/1988). Demnach wäre die Kündigung des vor­liegenden Übereinkommens als “gesetzesergänzender” bzw. “gesetzändernder” Staatsvertrag im Sinne von Art. 50 B-VG anzusehen, wenn es dafür keine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt.


Da in der geltenden Rechtsordnung keine geeignete gesetzliche Grundlage für ein Übereinkommen dieses Inhalts vorhanden ist, wäre das Übereinkommen mit Genehmigung des Nationalrates gemäß Art. 50
B-VG zu kündigen.

Die Kündigung hat nicht den Charakter eines verfassungsändernden oder verfassungsergänzenden Staats­vertrages im Sinne von Art. 50 Abs. 3 B-VG. Sie betrifft auch nicht Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder, sodass eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 letzter Satz nicht erforderlich ist. Ein Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG ist ebenfalls nicht notwendig.

Kompetenz:

Die Bundeskompetenz ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 2 und Z 8 (Abschluss von Staatsverträgen, Warenverkehr mit dem Ausland, Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie). Die Zuständigkeit nach dem Bundesministeriengesetz in der geltenden Fassung ergibt sich aus Abschnitt C Z 14 des Teiles 2 der Anlage zu § 2 des BMG (Wahrnehmung handels- und wirtschaftspolitischer Angelegenheiten gegen­über dem Ausland sowie die Vorbereitung und Verhandlung von Staatsverträgen auf diesem Gebiet).

Finanzielle Auswirkungen:

Die Kündigung des Übereinkommens wird ausschließlich positive budgetäre Auswirkungen haben. Mit Inkrafttreten der Kündigung entfallen nämlich die jährlichen Mitgliedsbeiträge Österreichs. Dies ergibt eine Ersparnis von zirka 470 000 S pro Jahr.

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 4. Oktober 2000 in Verhandlung genommen.

An der anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek, Dr. Michael Spindelegger sowie die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner.

Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

Im vorliegenden Fall hält der Außenpolitische Ausschuss die Erlassung eines besonderen Bundesgesetzes gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG zur Erfüllung des Staatsvertrages für entbehrlich.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

Der Abschluss des Staatsvertrages: Kündigung des Übereinkommens vom 5. Juli 1890 betreffend die Veröffentlichung der Zolltarife und die Organisation einer Internationalen Vereinigung zur Veröffent­lichung der Zolltarife samt seinem Durchführungsregulativ (201 der Beilagen) wird genehmigt.

Wien, 2000 10 04

                                   Erwin Hornek                                                                    Peter Schieder

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann