480 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 4. 5. 2001

Regierungsvorlage


Kündigung des Übereinkommens (Nr. 89) über die Nachtarbeit der Frauen im Gewerbe (Neufassung)

Der Bundespräsident erklärt im Namen der Republik Österreich das von der Internationalen Arbeits­konferenz anlässlich ihrer 31. Tagung in Genf im Jahre 1948 angenommene Übereinkommen (Nr. 89) über die Nachtarbeit der Frauen im Gewerbe (Neufassung) gemäß seinem Artikel 15 für gekündigt.

Vorblatt

Problem:

Österreich hat zwei Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert, die ein grundsätzliches Nachtarbeitsverbot für Frauen vorsehen, das dem Gemeinschaftsrecht (Artikel 5 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen) widerspricht:

Übereinkommen (Nr. 4) über die Nachtarbeit der Frauen, 1919, und dessen Neufassung,

Übereinkommen (Nr. 89) über die Nachtarbeit der Frauen im Gewerbe, 1948.

Da das Übereinkommen Nr. 89 nur alle zehn Jahre gekündigt werden kann (nächste Möglichkeit innerhalb von zwölf Monaten nach dem 27. Februar 2001), im Anhang XV Punkt V des EU-Beitrittsvertrages, BGBl. Nr. 45/1995, eine Übergangsfrist für die Geltung des Artikels 5 der Richtlinie 76/207/EWG hinsichtlich der Nachtarbeit bis zum Jahr 2001 vereinbart. Österreich ist gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, beide Übereinkommen zu kündigen. Für die Kündigung des Übereinkommens Nr. 4 wird parallel eine eigene Regierungsvorlage zur Beschlussfassung vorgelegt.

Lösung:

Kündigung des Übereinkommens, damit die innerstaatliche Rechtslage EU-konform gestaltet werden kann.

Alternativen:

Keine.

EU-Konformität:

Da mit Ende 2001 der Artikel 5 der Richtlinie 76/207/EWG für Österreich in Kraft treten wird, dient die Kündigung des Übereinkommens der Herstellung einer EU-konformen Rechtslage.

Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Österreich:

Beseitigt wird die völkerrechtliche Verpflichtung zur Aufrechterhaltung einer auf Grund veränderter Technologien nicht mehr zeitgemäßen Schutzbestimmung für Frauen, die sich zu einer Diskriminierung der Frau im Arbeitsleben gewandelt hat. Diese Diskriminierung führte zu zahlreichen innerstaatlichen Ausnahmeregelungen für eine Reihe von Berufsgruppen (Krankenpflege, Reinigungsarbeiten, Gastgewerbe).

Die Kündigung des Übereinkommens ermöglicht die Schaffung einer vereinfachten Rechtslage, wonach Männer und Frauen gleichermaßen Nachtarbeit leisten können. Das weibliche Arbeitskräftepotential kann nunmehr für derartige Arbeitsplätze erschlossen werden.

Besonderheiten des Normenerzeugungsverfahrens:

Kündigung gemäß Artikel 50 B-VG.

Finanzielle Auswirkungen:

Bei rechtzeitiger Kündigung des Übereinkommens: Keine.

Bei Unterlassen der Kündigung und Aufrechterhaltung des EU-widrigen Frauennachtarbeitsverbotes können individuelle Schadenersatzansprüche gegen die Republik Österreich wegen Nicht-Umsetzung des Artikels 5 der Richtlinie 76/207/EWG entstehen.

Erläuterungen


Allgemeiner Teil

Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte:

Bei der völkerrechtlichen Kündigung eines Staatsvertrages ist grundsätzlich das gleiche Verfahren wie beim Abschluss einzuhalten. Das Übereinkommen Nr. 89 wurde als Staatsvertrag gemäß Art. 50 B-VG vom Nationalrat genehmigt (BGBl. Nr. 229/1950). Daher wäre das Übereinkommen ebenfalls mit Genehmigung des Nationalrates gemäß Artikel 50 B-VG zu kündigen.

Die Kündigung hat nicht den Charakter eines verfassungsändernden oder verfassungsergänzenden Staats­vertrages im Sinne von Artikel 50 Absatz 3 B-VG. Sie betrifft auch nicht Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder, sodass eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Absatz 1 letzter Satz nicht erforderlich ist. Ein Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Absatz 2 B-VG ist ebenfalls nicht notwendig.

Das Übereinkommen Nr. 89 wurde von Österreich am 5. Oktober 1950 ratifiziert (BGBl. Nr. 229/1950) und ist seit 5. Oktober 1951 für Österreich in Kraft. Umgesetzt ist das Übereinkommen Nr. 89 durch das Nachtarbeitsverbot für Frauen nach dem Bundesgesetz über die Nachtarbeit der Frauen 1969, BGBl. Nr. 237.

Die derzeitige österreichische Rechtslage widerspricht der Judikatur des EuGH, der ein grundsätzliche Frauennachtarbeitsverbot als gleichheitswidrig ansieht. In seinem Urteil vom 25. Juli 1991 (Rechtssache 345/89 – Stöckel) hat er ausgesprochen, dass das Frauennachtarbeitsverbot Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen widerspricht, sofern kein solches auch für Männer besteht.

Mit dem Beitritt zum EWR war Österreich verpflichtet, mit 1. Jänner  1994 den „aquis communautaire” auch im arbeitsrechtlichen Bereich zu übernehmen.

Das Übereinkommen kann gemäß seinem Artikel 15 nur alle zehn Jahre gerechnet ab seinem erstmaligen Inkrafttreten (27. Februar 1951) gekündigt werden. Bis dahin ist Österreich völkerrechtlich verpflichtet, das Frauennachtarbeitsverbot im Gewerbe beizubehalten. Die nächste Möglichkeit, dem Generaldirektor des IAA die Kündigung mitzuteilen, besteht innerhalb von zwölf Monaten nach dem 27. Februar 2001. Daher wurde bei den EWR- und auch EU-Beitrittsverhandlungen (im Anhang XV Punkt V des EU-Beitrittsvertrages, BGBl. Nr. 45/1995), eine Übergangsfrist für die Geltung des Artikels 5 der Richtlinie 76/207/EWG hinsichtlich der Nachtarbeit der Frauen bis zum Jahr 2001 vereinbart.

Alle anderen EU-Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen ratifiziert hatten, haben es bereits gekündigt (Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien 27. Februar 1992, Griechenland 25. Februar 1992, Irland 26. Februar 1982, Luxemburg 19. Februar 1982, Niederlande 26. Februar 1972)

Durch die Kündigung des Übereinkommens Nr. 89 würde für Österreich die Wirkung des Vorgänger­übereinkommens Nr. 4 wieder aktuell werden, (BGBl. Nr. 226/1924; Ratifikation am 12. Juni 1924) da dieses noch nicht die später übliche Klausel enthält, dass es bei der Ratifikation einer Neufassung automatisch außer Kraft tritt. Es wäre daher auch zu kündigen. Die Kündigung ist nach Artikel 13 dieses Übereinkommens möglich.

Das bedeutet, dass Österreich verpflichtet ist, seine innerstaatliche Rechtslage bis zum Ende des Jahres 2001 zu ändern und eine EU-konforme Regelung der Nachtarbeit zu schaffen sowie innerhalb von zwölf Monaten nach dem 27. Februar 2001 das IAO-Übereinkommen Nr. 89 zu kündigen. Dies schließt auch die Verpflichtung zur Kündigung des Übereinkommens (Nr. 4) über die Nachtarbeit der Frauen, 1919, mit ein.

Für die Kündigung dieses Übereinkommens Nr. 4 wird parallel eine eigene Regierungsvorlage zur Beschluss­fassung vorgelegt.

Kompetenz:

Die Bundeskompetenz ergibt sich aus Artikel 10 Absatz 1 Z 2 und Z 11 B-VG (Abschluss von Staats­verträgen, Arbeitsrecht, soweit es nicht unter Artikel 12 fällt).

Völkerrechtliche Verpflichtung zur Beratung mit den Sozialpartnern:

Auf Grund des Artikels 5 Abs. 1 lit. e des von Österreich ratifizierten IAO-Übereinkommens (Nr. 144) über dreigliedrige Beratungen zur Förderung der Durchführung internationaler Arbeitsnormen, 1976, ist die Kündigung von IAO-Übereinkommen mit den maßgebenden Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden (dh. WKÖ, VÖI, BAK, ÖGB) zu beraten. Die genannten Interessenvertretungen wurden vor Einleitung des Verfahrens zur Kündigung des Übereinkommens Nr. 89 informiert und äußerten keine Einwendungen.


Finanzielle Auswirkungen:

Bei rechtzeitiger Kündigung des Übereinkommens: Keine.

Bei Unterlassen der Kündigung und Aufrechterhaltung des EU-widrigen Frauennachtarbeitsverbotes könnten individuelle Schadenersatzansprüche gegen die Republik Österreich wegen Nicht-Umsetzung des Artikels 5 der Richtlinie 76/207/EWG entstehen: Auf Grund der Judikatur des EuGH kann nämlich eine Privatperson einen Mitgliedstaat bei Nicht-Umsetzung einer Richtlinie haftbar machen, wenn die Richtlinie der Privatperson Rechte einräumt. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Verstoß gegen das Gemeinschafts­recht dem nationalen Gesetzgeber zuzuschreiben ist. (EuGH vom 19. November 1991, Rs C-6 und -9/90, Andrea Francovich, Danila Bonifaci ua./Italienische Republik; EuGH vom 5. März 1996, Rs C-46 und -48/93, Brasserie du pêcheur SA/Bundesrepublik Deutschland; The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte: Factorame Ltd ua.)

Besonderer Teil

enthält die Kündigungserklärung.

Darauf hinzuweisen ist, dass nach Artikel 15 des Übereinkommens Nr. 89 die Wirkung der Kündigung ein Jahr nach der Eintragung der Kündigung durch den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eintritt.