576 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 9. 5. 2001

Bericht

des Ausschusses für Menschenrechte


über die Regierungsvorlage (437 der Beilagen): Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen samt Erklärungen


I. Zur Entstehung der Charta

Die Arbeiten an der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen gehen insbesondere auf Initiativen der parlamentarischen Versammlung des Europarates und der ständigen Konferenz der Kommunal- und Regionalbehörden Europas (CLRAE) zurück. Ein Ad-hoc-Sachverständigenausschuss für Regional- oder Minderheitensprachen (CAHLR) erstellte nach längeren Vorarbeiten für das Minister­komitee des Europarates den endgültigen Wortlaut der Charta. Am 25. Juni 1992 nahm das Minister­komitee die Charta als Konvention an und legte sie am 5. November 1992 in Strassburg zur Zeichnung auf. Österreich hat die Charta am 5. November 1992 unterzeichnet. Bis zum 20. November 2000 haben zwölf Mitgliedstaaten (Frankreich, Island, Italien, Luxemburg, Malta, die frühere jugoslawische Republik Mazedonien, Österreich, Rumänien, Spanien, Ukraine, das Vereinigte Königreich, Zypern) die Charta unterzeichnet und elf Mitgliedstaaten (Dänemark, Deutschland, Finnland, Kroatien, Liechtenstein, Niederlande, Norwegen, Slowenien, Schweden, Schweiz, Ungarn) die Charta ratifiziert.

Das Ministerkomitee erteilte die Zustimmung zur Veröffentlichung des Erläuternden Berichts. Dieser enthält Hinweise auf die Bedeutung, den Zweck und die Vorgeschichte der Charta und seine einzelnen Bestimmungen.

Der Erläuternde Bericht zeichnet die bis ins Jahr 1957 zurückreichenden Initiativen des Europarates zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen im Einzelnen nach. Danach gingen diese Initiativen von der Tatsache aus, dass es im Hoheitsgebiet vieler europäischer Länder regional ansässige autochthone Gruppen gibt, die eine andere Sprache als die Mehrheit der Bevölkerung sprechen. Dies sei eine natürliche Folge geschichtlicher Abläufe, bei denen die Bildung von Staaten nicht nach rein sprachbe­zogenen Grundsätzen stattgefunden hat. Die demographische Situation solcher Regional- oder Minder­heitensprachen sei sehr unterschiedlich; die Zahl derjenigen, die diese Sprache sprechen, reiche von einigen Tausend bis zu mehreren Millionen Menschen, und ebensolche Unterschiede gäbe es in Bezug auf Recht und Praxis der einzelnen Staaten hinsichtlich dieser Sprachen. Jedoch sei vielen gemeinsam, dass sie mehr oder weniger gefährdet seien.

Seit vielen Jahren haben daher verschiedene Gremien innerhalb des Europarates ihre Besorgnis über die Lage der Regional- oder Minderheitensprachen zum Ausdruck gebracht. Zwar enthält die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Art. 14 den Grundsatz der Nicht­diskriminierung und verbietet – im Hinblick auf den Genuss der durch die Konvention gewährleisteten Rechte und Freiheiten – unter anderem die Diskriminierung auf Grund der Sprache oder der Zugehörig­keit zu einer nationalen Minderheit. Damit wird aber nur ein Recht für den Einzelnen eingeräumt, keiner Diskriminierung unterworfen zu werden, nicht jedoch ein System, das einen positiven Schutz für Minderheitensprachen vorsieht.

II. Zielsetzung, Inhalt und Gliederung der Charta

Wie in der Präambel erläutert, ist der Hauptzweck der Charta kultureller Natur. Die Charta soll die Regional- oder Minderheitensprachen als einen bedrohten Aspekt des europäischen Kulturlebens schützen und fördern. Aus diesem Grund enthält sie nicht nur ein Diskriminierungsverbot hinsichtlich Benutzung dieser Sprachen, sondern sieht auch Maßnahmen vor, die die positive Unterstützung für diese Sprachen anbieten: Es geht darum, im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen die Benutzung der Regional- oder Minderheitensprachen im Bildungswesen und in den Medien sicherzustellen und ihre Benutzung im Justiz- und Verwaltungsbereich, im Wirtschafts- und Sozialleben sowie bei kulturellen Tätigkeiten zu erlauben bzw. zu fördern.

Mit der Charta sollen Regional- oder Minderheitensprachen, nicht jedoch sprachliche Minderheiten, geschützt und gefördert werden. Daher wird die Betonung auf die kulturelle Dimension sowie die Benutzung einer Regional- oder Minderheitensprache in allen Lebensaspekten ihrer Benutzer gelegt. Die Charta sieht für diejenigen, die Regional- oder Minderheitensprachen sprechen, keine Individual- oder Kollektivrechte vor. Dennoch werden die Verpflichtungen der Vertragsparteien im Hinblick auf den Status dieser Sprachen und die innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die in Übereinstimmung mit der Charta stehen müssen, einen offensichtlichen Einfluss auf die Lage der betroffenen Bevölkerungsgruppen und ihre einzelnen Mitglieder haben.

Die Charta befasst sich nicht mit der Lage neuer, oft nicht europäischer Sprachen, die in jüngster Zeit in den Unterzeichnerstaaten als Ergebnis von Wanderungsbewegungen, in Erscheinung getreten sind. Der CAHLR war der Auffassung, dass diese Probleme gesondert, gegebenenfalls in einer eigenen Überein­kunft, behandelt werden sollten.

Der Schutzgegenstand der Charta ist die Sprache, genauer die Regional- oder Minderheitensprache. Der Begriff der Sprache, wie er in der Charta verwendet wird, konzentriert sich in erster Linie auf die kulturelle Aufgabe der Sprache. Daher wird sie nicht subjektiv in einer Weise definiert, dass ein Individualrecht geschützt wird, dh. das Recht, „seine eigene Sprache“ zu sprechen, wobei es jedem Einzelnen überlassen bleibt, diese Sprache zu bestimmen. Auch wird keine politisch-soziale oder ethnische Definition gegeben, in der man die Sprache als Kommunikationsmittel einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe beschreiben könnte. Da das Ziel der Charta nicht darin besteht, die Rechte ethnischer/kultureller Minderheitengruppen festzulegen, sondern darin, die Regional- oder Minderheitensprachen als solche zu schützen und zu fördern, kann die Charta davon absehen, den Begriff sprachlicher Minderheiten zu definieren.

Der CAHLR entschied sich für den Ausdruck „Regional- oder Minderheitensprachen“, den er anderen Ausdrücken wie „weniger verbreitete Sprachen“ vorzog. Das Adjektiv „regional“ bezeichnet Sprachen, die in einem begrenzten Teil des Hoheitsgebiets eines Staates gesprochen werden, in dem sie außerdem von der Mehrheit der Bürger gesprochen werden können. Der Ausdruck „Minderheiten-“ bezieht sich auf Situationen, in denen die Sprache entweder von Personen gesprochen werden, die nicht auf einen bestimmten Teil des Hoheitsgebietes eines Staates konzentriert sind, oder von einer Personengruppe, die zwar auf einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates konzentriert ist, jedoch der Bevölkerung in dieser Region, welche die Mehrheitssprache des Staates spricht, zahlenmäßig unterlegen ist. Beide Ausdrücke beziehen sich daher auf tatsächliche Umstände und nicht auf Rechtsbegriffe und gelten auf jeden Fall für die Lage in einem bestimmten Staat (zB kann eine Minderheitensprache in einem Staat eine Mehrheitssprache in einem anderen Staat sein). Nähere Ausführungen finden sich in den Erläuterungen zu Art. 1, der – unter anderem – eine Legaldefinition des Begriffs „Regional- oder Minderheitensprachen“ enthält.

Die Charta gliedert sich zunächst in einen Teil I (Allgemeine Bestimmungen) und einen Teil II (Ziele und Grundsätze in Übereinstimmung mit Art. 2 Abs. 1), der insbesondere einen gemeinsamen Kern von Grundsätzen festlegt, der auf alle Regional- oder Minderheitensprachen Anwendung findet. Andererseits enthält Teil III (Maßnahmen zur Förderung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen im öffentlichen Leben im Einklang mit den nach Art. 2 Abs. 2 eingegangenen Verpflichtungen) der Charta eine Reihe von besonderen Bestimmungen, die den Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen in den verschiedenen Bereichen des Lebens der Gemeinschaft betreffen: Die einzelnen Staaten können innerhalb bestimmter Grenzen frei entscheiden, welche dieser Bestimmungen auf jede der innerhalb ihrer Grenzen gesprochenen Sprachen angewendet werden sollen. Zusätzlich umfassen eine ganze Reihe von Bestimmungen mehrere unterschiedlich strenge Optionen, von denen – entsprechend der Situation, in der sich jede Sprache befindet – eine anzuwenden ist. In dieser Hinsicht ist es wichtig, dass es den Vertragsparteien ermöglicht wird, zu einem späteren Zeitpunkt weitere Verpflichtungen einzugehen, je nachdem, wie sich ihre rechtliche Lage entwickelt oder ihre finanziellen Umstände es erlauben. Schließlich enthält Teil IV (Anwendung der Charta) Bestimmungen über die Einzelheiten der Anwendung der Charta, darunter insbesondere über die Einsetzung eines europäischen Sachverständigenausschusses zur Überwachung der Anwendung der Charta. Teil V (Schlussbestimmungen) enthält Schlussklauseln, die sich an die für die im Rahmen des Europarates geschlossenen Übereinkommen anlehnen.

III. Anwendungsbereich in Österreich

1. Allgemeines

Der mit der Charta verfolgte Hauptzweck ist – wie bereits hervorgehoben – kultureller Natur. Die Verwendung der Sprache im Sinne der Charta bezieht sich daher insbesondere auf die kulturelle Funktion der Sprache als Kommunikationsmedium. In der Charta sind Kriterien für den Begriff der Regional- oder Minderheitensprachen angeführt. Angelegenheit der Vertragsstaaten ist es, den Anwendungsbereich der Charta im Einzelnen zu bestimmen. Die Vertragsstaaten legen fest, welche Bestimmungen über die Umsetzung der Grundsätze und Ziele des Teiles II hinaus, auf welche Sprachen angesichts der unterschiedlichen Lage der einzelnen Regional- oder Minderheitensprachen angewendet werden.

2. Anwendungsbereich

Minderheitensprachen im Sinne der Charta sind in Österreich Burgenlandkroatisch, Slowenisch, Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch und das Romanes der österreichischen Volksgruppe der Roma.

Jede Vertragspartei ist verpflichtet, nach Inkrafttreten der Charta Teil II auf alle in seinem Hoheitsgebiet gebrauchten Minderheitensprachen anzuwenden, die der Begriffsbestimmung des Art. 1 entsprechen (Art. 2 Abs. 1). Teil II enthält in Art. 7 Verpflichtungen zu Zielen und Grundsätzen, die der Politik, Gesetzgebung und Praxis der Vertragspartei hinsichtlich dieser Sprachen zugrunde zu legen sind. Die Vertragsstaaten haben gemäß Art. 21 die Möglichkeit, Vorbehalte zu Art. 7 Abs. 2 bis 5 zu erklären. Die Vertragsstaaten haben weiter die Möglichkeit, einzelne Sprachen für einen Schutz nach Teil III der Charta zu bezeichnen. Teil III der Charta enthält einen umfangreichen Katalog detaillierter Verpflichtungen, von denen mindestens 35 – unter Berücksichtigung bestimmter Voraussetzungen – übernommen werden müssen, um eine Sprache zum Schutz nach Teil III anmelden zu können. Der Anwendungsbereich der Charta in Österreich wird in zwei Erklärungen beschrieben, welche die Republik Österreich gegenüber dem Europarat abgeben wird, um die Zulässigkeit einer territorial differenzierenden Umsetzung der Charta sicherzustellen.

Das vorliegende Übereinkommen ist ein gesetzesändernder bzw. -ergänzender Staatsvertrag und bedarf daher der Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG. Es hat keinen politischen Charakter und enthält keine Bestimmungen verfassungsändernden oder -ergänzenden Charakters. Sein Inhalt ist im innerstaatlichen Bereich nicht unmittelbar anwendbar, es ist daher ein Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG erforderlich. Durch das gegenständliche Abkommen werden auch Angelegenheiten betroffen, die in den selbstständigen Wirkungsbereich der Länder fallen, es ist daher die Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG erforderlich.

Der Ausschuss für Menschenrechte hat den gegenständlichen Staatsvertrag am 3. Mai 2001 in Verhandlung genommen.

Nach der Berichterstattung durch den Abgeordneten Erwin Hornek gaben folgende Experten gemäß § 40 Abs. 1 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates mündliche Stellungnahmen ab: MinR Dr. Heinz Tichy (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur), Univ.-Prof. Dr. Dieter Kolonovits (Universität Wien) und Martin Ivancsics (Vorsitzender der Vorsitzendenkonferenz der Volksgruppen­beiräte).

An der anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Harald Ofner, Mag. Ulrike Lunacek, Mag. Walter Posch, Dr. Christof Zernatto und die Ausschussobfrau Mag. Terezija Stoisits sowie der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Franz Morak.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

Eine von den Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits und Mag. Walter Posch eingebrachte Ausschuss­feststellung fand keine Mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Menschenrechte somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

           1. Der Abschluss des Staatsvertrages: Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen samt Erklärungen (437 der Beilagen) wird genehmigt.

           2. Dieser Staatsvertrag ist im Sinne des Art. 50 Abs. 2 B-VG durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen.

Wien, 2001 05 03

                                   Erwin Hornek                                                             Mag. Terezija Stoisits

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau