808 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 22. 10. 2001

Bericht

des Verfassungsausschusses


über die Regierungsvorlage (622 der Beilagen): Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird

Der Abschluss des Vertrags von Nizza und im B-VG enthaltene Fehlzitate und Interpretationsversehen machen Änderungen und legistische Anpassungen notwendig.

Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 17. Oktober 2001 in Verhandlung genommen.

In der Debatte ergriffen die Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger, Dr. Caspar Einem, Dr. Gerhard Kurzmann, Dr. Peter Pilz, Dr. Andreas Khol, Dr. Josef Cap, MMag. Dr. Madeleine Petrovic, Peter Schieder, Wolfgang Jung und Dr. Michael Krüger sowie der Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel das Wort.

Die Abgeordneten Dr. Andreas Khol und Dr. Michael Krüger brachten einen Abänderungsantrag ein, der wie folgt begründet war:

„In der Regierungsvorlage ist vorgesehen, dass die neuen Art. 18 Abs. 4, Art. 23b Abs. 2, Art. 39 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 2 gleichzeitig mit dem Vertrag von Nizza in Kraft treten. Da diese Bestimmungen jedoch in keinem Zusammenhang zum Vertrag von Nizza stehen, sollen sie bereits mit 1. Jänner 2002 in Kraft gesetzt werden.“

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungs­antrages der Abgeordneten Dr. Andreas Khol und Dr. Michael Krüger mehrstimmig angenommen. Ein vom Abgeordneten Dr. Peter Pilz eingebrachter Abänderungsantrag fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2001 10 17

                        Dr. Michael Spindelegger                                                     Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann

Anlage

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Bundes-Verfassungsgesetz, zuletzt geändert durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. I Nr. 114/2001, wird wie folgt geändert:

1. In Art. 18 Abs. 3 wird der Ausdruck „(Artikel 55, Absatz 2)“ durch den Ausdruck „(Art. 55 Abs. 3)“ ersetzt.

2. In Art. 18 Abs. 4 wird der Ausdruck „die Geschäftsordnung“ durch den Ausdruck „das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates“ ersetzt.

3. Art. 21 Abs. 1 lautet:

„(1) Den Ländern obliegt die Gesetzgebung und Vollziehung in den Angelegenheiten des Dienst­rechtes einschließlich des Dienstvertragsrechtes und des Personalvertretungsrechtes der Bediensteten der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände, soweit für alle diese Angelegenheiten in Abs. 2, in Art. 14 Abs. 2, Abs. 3 lit. d und Abs. 5 lit. c und in Art. 14a Abs. 2 lit. e und Abs. 3 lit. b nicht anderes bestimmt ist. Über Streitigkeiten aus vertraglichen Dienstverhältnissen entscheiden die Gerichte.“

4. In Art. 21 Abs. 6 wird der Ausdruck „Abs. 6“ durch den Ausdruck „Abs. 5“ ersetzt.

5. In Art. 23b Abs. 2 werden das Wort „Hochschullehrer“ durch das Wort „Universitätslehrer“ und das Wort „Hochschullehrers“ durch das Wort „Universitätslehrers“ ersetzt.

6. In Art. 23e Abs. 5 wird der Ausdruck „Abs. 2“ durch den Ausdruck „Abs. 3“ ersetzt.

7. In Art. 23f Abs. 1 bis 3 wird das Wort „Amsterdam“ durch das Wort „Nizza“ ersetzt.

8. In Art. 39 Abs. 2 wird der Ausdruck „die Geschäftsordnung des Nationalrates“ durch den Ausdruck „das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates“ ersetzt.

9. In Art. 91 Abs. 2 wird das Wort „Geschworne“ durch das Wort „Geschworene“ ersetzt.

10. In Art. 147 Abs. 2 erster Satz werden nach den Worten „diese Mitglieder“ die Worte „und Ersatz­mitglieder“ eingefügt.

11. In Art. 151 Abs. 25 wird der Ausdruck „31. November 2000“ durch den Ausdruck „24. November 2000“ ersetzt.

12. Art. 151 wird folgender Abs. 26 angefügt:

„(26) In der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2001 treten in Kraft:

           1. Art. 18 Abs. 3 und Art. 23e Abs. 5 mit 1. Jänner 1997;

           2. Art. 21 Abs. 1 und Abs. 6 mit 1. Jänner 1999;

           3. Art. 147 Abs. 2 erster Satz mit 1. August 1999;

           4. Art. 18 Abs. 4, Art. 23b Abs. 2, Art. 39 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 2 mit 1. Jänner 2002;

           5. Art. 23f Abs. 1 bis 3, gleichzeitig mit dem Vertrag von Nizza. Der Bundeskanzler hat diesen Zeitpunkt im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.“

 

Abweichende persönliche Stellungnahme

der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Dr. Peter Pilz

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

zum Bericht des Verfassungsausschusses über ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (622 der Beilagen) geändert wird


Art. 23f Abs. 1 sowie die 1998 eingefügten Abs. 3 und 4 betreffen die Mitwirkung Österreichs in der zweiten Säule der EU, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Abs. 2 stellt klar, dass das parlamentarische Mitwirkungsverfahren nach Art. 23e B-VG auch auf Beschlüsse der zweiten und der dritten Säule der EU anzuwenden ist.

Im Abs. 1 wird einleitend die Mitwirkung Österreichs „auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Amsterdam (ab jetzt: Nizza)“ unterstrichen. Er begründet so dann die Mitwirkungsmöglichkeit an Wirtschaftssanktionen bzw. Embargos der EU sowie an Missionen nach Art. 17 Abs. 2 (Petersberg) „dieses Vertrages“. Um schließlich im Falle der Einfüh­rung einer „gemeinsamen Verteidigung der EU sowie zu einer Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union“ die Beschlussfassung des Nationalrates nach Art. 44 Abs.1 und 2 zu normieren. Mit der Übernahme der WEU-Institutionen in die EU und der entsprechenden Streichung der Passagen über die WEU in Art. 17 des EU-Vertrages von Nizza, ist eine Änderung der Verfassung und damit eine Beschlussfassung nach Art. 44 B-VG notwendig geworden.

Art. 23f Abs. 3 führt zusätzlich eine Verfahrensregel für das Stimmverhalten im Europäischen Rat – bei Art. 17 bzw. bei Beschlüssen betreffend die gemeinsame Verteidigung – ein: Das Stimmrecht ist im Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und der Außenministerin auszuüben. Der Abs. 4 verweist schließlich auf die zur Entsendung österreichischer Truppen notwendigen verfassungsrechtlichen Voraus­setzungen, wobei in den Erläuterungen (1255 der Beilagen, XX. GP) mit der Aussage, dass durch ein Stimmverhalten der Regierungsvertreter im Rat „das Ergebnis des im KSE-BVG vorgesehenen Verfahrens nicht präjudiziert wird“, nahe gelegt wird, dass eine entsprechende Beschlussfassung des Hauptausschusses vor einer Zustimmung eines Regierungsvertreters zu einer Truppenentsendung durch den Art. 23f überflüssig würde. Das ist nicht der Fall.

Generell dient Art. 23f B-VG der weiteren Einschränkung des Neutralitätsrechtes unter Zuhilfenahme des Vertrages von Amsterdam. Bereits bei seiner ursprünglichen Einführung im Oktober 1994 war mit der Ermöglichung einer Beteiligung des neutralen Österreich an Wirtschaftssanktionen und Embargos der EU ein erster Schritt gesetzt worden. Bei der Novelle 1998 wurden an dieser Stelle noch einmal die Neuerungen der GASP wie sie im Amsterdamer Vertrag beschlossen wurden, im österreichischen Verfassungsrecht eingelassen, wobei sie in ihrer Stoßrichtung letztlich nicht über den Vertrag von Amsterdam hinausreichten. Allerdings war die weitere Einschränkung der Neutralität beabsichtigt wie auch aus den Erläuterungen hervorgeht:

„In Entsprechung des Vertrages von Amsterdam gilt dies auch für den Fall, dass eine solche Maßnahme (nach Art. 17 Abs. 2 EU-Vertrag) nicht in Durchführung eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ergriffen wird.“ (1255 der Beilagen, XX. GP)

Erläuterungen sind freilich nicht als Teil des Gesetzes anzusehen. Der Amsterdamer Vertrag hat im Gegensatz zu der zitierten Passage mit dem Instrument der „konstruktiven“ (formell begründeten) Enthaltung dem Neutralen und Bündnisfreien ein klassisches Instrument – nämlich in Kriegen bei Seite zu stehen – zur Erhaltung seines völkerrechtlichen Status auch bei Kampfeinsätze zur Friedensschaffung zur Hand gegeben.


Durch die verwendeten Formulierungen des Art. 23f Abs. 1 (Titel V des EU-Vertrages in der Fassung Amsterdam) wird offen gelegt, dass es sich um einen statischen und keinen dynamischen Verweis handelt. Der Ausschussbericht sagt:

„Der Art. 23f B-VG verweist auf den Vertrag über die EU, der duch den Vertrag von Amsterdam geändert wird. Da dieser Verweis im Allgemeinen als statischer Verweis angesehen wird und außerdem Miss­verständnisse von vornherein ausgeschlossen werden sollen, ist es erforderlich klarzustellen, dass dieser Verweis auf den Vertrag über die EU ein Verweis auf diesen Vertrag in der Fassung von Amsterdam ist.“ (1255 der Beilagen, XX. GP)

Damit würde ein einfaches Fortbestehen nicht hinreichen, um die auf die GASP bezogenen Bestim­mungen dieses Artikels voll wirksam aufrecht zu erhalten. Die Neufassung des EU-Vertrages nach Nizza muss demzufolge eine Änderung der Verweise in den Absätzen 1, 3 und 4 nach sich ziehen. Dies scheint nicht nur formell, sondern auch substanziell notwendig, da schließlich auch Änderungen der entsprechen­den Bestimmungen in Nizza durchgeführt wurden. Das ist mit vorliegendem Beschluss auch gewährleistet.

Die Bestimmungen über die bei Beschlüssen nach Art. 17 im Rat erforderliche einvernehmlichen Haltung von Bundeskanzler und Außenministerin ist offensichtlich Ergebnis der rot-schwarzen Koalition, die 1998 bei der Neufassung des Art. 23f noch federführend war. Dieses Einvernehmen im Allgemeinen Rat wäre bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung aus grundsätzlichen staatspolitischen Erwägungen voraus­zusetzen gewesen. Spätestens in der derzeit regierenden Koalition ist – auch alleine schon auf Grund der einfärbigen parteipolitischen Besetzung der Ämter – mit Differenzen im Allgemeinen Rat nicht mehr zu rechnen. Diese Bestimmung ist somit politisch praktisch obsolet.

Aus substanziellen Gründen ändert sich der Sinn dieses Verweises, da im Titel V – mit der Streichung der WEU und der Übernahme ihrer Institutionen in die EU, der Einführung des Sicherheitspolitischen Komitees und der Einführung eines Sonderbeauftragten für die Durchführung einer gemeinsamen Aktion oder Strategie – in der Sache ganz wesentliche Änderungen vorgenommen wurden. Durch die Übernahme der WEU in die EU wird eine Beschlussfassung nach Art. 44 Abs. 1 und 2 B-VG erforderlich. Die Frage nach der verfassungsmäßig verankerten Notwendigkeit des Einvernehmens zwischen Außenminister und Bundeskanzler ist nicht mehr gegeben, der Abs. 3 daher obsolet.

Die im Ausschuss beantragte Bindung von Kampfeinsätzen zur Krisenbewältigung an ein UN-Mandat nach dem Vorbild Finnlands ist abgelehnt worden. Eine Neubestimmung der politischen Rolle des neutralen Österreichs im Zusammenhang der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicher­heitspolitik der Europäischen Union war in der Sitzung des Verfassungsausschusses nicht möglich. Eine weltoffene, global orientierte, solidarische Sicherheits- und Friedenspolitik hätte diese hier vorge­schlagene Verfassungsreform jedoch dringend erfordert. In diesem Zusammenhang hätten die völker­rechtlichen Verpflichtungen und die verfassungsrechtliche Entwicklung im europäischen Zusammen­hang auf eine neue Basis gestellt und in Einklang gebracht werden können. Das Neutralitätsgesetz und die Verpflichtungen aus der Teilnahme Österreichs an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union wären auf diese Weise mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen eines neutralen Landes ausgezeichnet vereinbar geworden. Nicht zuletzt hätte eine derartige Verfassungsreform auch einen Impuls für eine europapolitische Neuorientierung der Bundesregierung darstellen können.