Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber und Dr. Gabriela Moser

zum Bericht 1154 der Beilagen des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über das Agrarrechtsänderungsgesetz 2002

Schon während der letzten Jahre kam es im Rahmen von Agrarrechts-Sammel-Gesetzes-Novellen zu Vereinfachungen bei der Zulassung von umwelt- und gesundheitsbedenklichen agrarischen Betriebsmitteln sowie zum Abbau von Kontrollen und Informationspflichten.

Chronologie

1. Bundesministeriengesetz 2000 und Agrarechtsänderungsgesetz 2000

Bereich Pflanzenschutzmittel: Bis zum In-Kraft-Treten der Novelle zum Bundesministeriengesetz 2000 waren als zuständige Behörden das BMLF, das Bundeskanzleramt und das BM für Umwelt an der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln beteiligt. Durch die Zusammenlegung vom Landwirtschafts- und Umweltministerium und die Übertragung der Mitkompetenz im Zulassungsverfahren des Bundeskanzleramtes (Übertragung der Angelegenheit des Giftverkehrs) an das BMLFUW entfällt ein bei der Beurteilung von Pflanzenschutzmitteln wesentlicher Gesichtspunkt, nämlich der Gesundheits- und KonsumentInnenschutz.

Aufgrund dieses Gesetzes sind auch die Meldungen nicht mehr zu veröffentlichen, die der zuständige Bundesminister der EU-Kommission und gegebenenfalls den Mitgliedstaaten zu erstatten hat hinsichtlich der Zulassungsinhaber und der zugelassenen Pflanzenschutzmittel (Name und Anteil jedes darin enthaltenen Wirkstoffes, Rückstandshöchstwerte, festgesetzte Höchstwerte für Rückstände usw.). Die jährlich zu erstellende Liste aller zugelassenen Pflanzenschutzmittel ist nicht mehr kundzumachen in einem Bundesgesetzblatt. Damit entfällt die Veröffentlichungspflicht in einem für die Umwelt und die Gesundheit der KonsumentInnen sehr relevanten Bereich.

Im Zusammenhang mit Änderungen des Pflanzenschutzmittelgesetzes hat die Grüne Fraktion vermehrt darauf hingewiesen, dass durch die Anwendung von Pestiziden gesellschaftliche Kosten entstehen (ua. beim Trinkwasser Überwachungs-, Ausweich-, und Aufbereitungskosten, bei Lebensmitteln Rückstands- Kontrollkosten, bei Belastungen der menschlichen Gesundheit Behandlungskosten), die nicht verursachergerecht internalisiert, dh. nicht über den Preis von Pflanzenschutzmittel in den Marktprozess zurückgeführt werden. Damit existieren derzeit keine wirksamen Ansätze für eine Verminderung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes durch marktwirtschaftliche Instrumente. Um eine Verminderung der Pflanzenschutzmittelintensität in der Landwirtschaft zu erreichen, müsste die nationale und europäische Pflanzenschutzpolitik daher dringend durch marktorientierte Maßnahmen ergänzt werden. In anderen EU-Mitgliedstaaten wie Dänemark, den Niederlanden und Schweden wurden Aktionsprogramme zur Reduzierung des Pestizidverbrauchs beschlossen, die eine deutliche Verringerung der verkauften Wirkstoffmenge innerhalb von fünf bis zehn Jahren vorsehen). Unser diesbezüglicher Entschließungsantrag, ein derartiges Aktionsprogramm auch in Österreich zu starten, wurde von den Regierungsparteien abgelehnt.

2. Agrarrechtsänderungsgesetz 2001

Es findet eine weitere Vereinfachung der Zulassung, Kontrolle und Überwachung für Dünge-, Futter- und Pflanzenschutzmittel statt. Beim Düngemittelgesetz wird das bisher notwendige Einvernehmen mit dem BKA (dort war vor der Regierungsumbildung der KonsumentInnenschutz angesiedelt) ersatzlos gestrichen (bei Pflanzenschutzmitteln, Saatgut und Futtermitteln wurde dies bereits durch das Agrarrechtsänderungsgesetz 2000 bzw. Bundesministeriengesetz veranlaßt). Dadurch, dass nun Umwelt- und Landwirtschaftsministerium zusammengelegt sind und das Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen kein Mitspracherecht bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln hat, kontrolliert sich der Agrarbereich ausschließlich selbst.

Weiters wurde die Rolle der zuständigen Behörden (zB des Bundesamts und Forschungszentrums Landwirtschaft BFL), aufgewertet. Sie erhalten erstinstanzliche Kompetenzen (dies wurde auch im Ernährungssicherheitsgesetz 2002 abgesichert). Diese Übertragung von Vollzugsaufgaben wird politisch mit einer „Verschlankung der Ministerien“ begründet. Zu beachten ist, dass das traditionell dem Landwirtschaftsministerium zugeordnete BFL als größte Institution auch in der Agentur für Ernährungssicherheit hinsichtlich der Kontrolle der agrarischen Betriebsmittel die wesentlichste Rolle zu spielen hat.

3. Agrarrechtsänderungsgesetz 2002

Art. 5: Änderung des Pflanzenschutzmittelgesetzes

In den letzten Jahren wurden die meisten Pflanzenschutzmittelzulassungen über § 12 Abs. 2 des Pflanzenschutzmittelgesetzes 1997 erteilt:

§ 12 Abs. 2: „Ein Pflanzenschutzmittel, das bereits in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, ist zuzulassen, wenn der Mitgliedstaat, in dem das Pflanzenschutzmittel zugelassen worden ist, in bezug auf Land- und Forstwirtschaft, Pflanzenschutz und Umwelt – einschliesslich der Witterungsverhältnisse – mit denen im Inland nachweislich vergleichbar ist.“

In einer diesbezüglichen Verordnung gem. § 12 Abs. 9 PMG 1997 (Gleichstellungsverordnung) ist die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat angeführt, mit dem ein Verwaltungsübereinkommen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Zulassungsverfahrens getroffen wurde. Demzufolge ist ein Pflanzenschutzmittel, das in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen ist, nur bezüglich der Kennzeichnung zu prüfen und auch in Österreich zuzulassen. Der Vorschlag zur Kennzeichnung und Einstufung erfolgt im BFL.

Dass durch diese vereinfachten Zulassungsverfahren laufend PM auf den Markt kommen, deren Auswirkungen nicht absehbar sind, liegt auf der Hand. Heißt es doch selbst im Grünen Bericht 2000:

„Vergleiche mit anderen Ländern sind problematisch, da die Klima- und Bodenverhältnisse differieren, das eingesetzte Wirkstoffspektrum nicht ident ist und das Erhebungsverfahren aufgrund anderer gesetzlicher Grundlagen anders aufgebaut ist.“

Jetzt geht man im Agrarrechtsänderungsgesetz 2002 § 12 Abs. 10 sogar noch weiter: „Pflanzenschutzmittel, die in einem Mitgliedstaat, der seit zwei Jahren in einer Verordnung gemäß Abs. 9 angeführt ist, zum Inverkehrbringen zugelassen sind, sind zugelassene Pflanzenschutzmittel nach diesem Bundesgesetz, soweit sie in der Originalverpackung und mit der Originalkennzeichnung einschließlich der Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache in Verkehr gebracht werden.“

Damit können per Verordnung weitere beliebige Mitgliedstaaten bestimmt werden, mit denen ein Verwaltungsübereinkommen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Zulassungsverfahrens von PM abgeschlossen werden kann. Nach zwei Jahren sind diese PM bei uns automatisch zugelassen. Damit fällt die nationale Begutachtung von Pflanzenschutzmitteln so gut wie flach und Österreich hat keinen Einfluß mehr auf die Zulassungsbedingungen.

§ 12 PMG 1997 sieht in Abs. 2 und Abs. 7 zwar ein sehr eingeschränktes, aber immerhin doch noch ein Zulassungsverfahren und damit grundsätzlich eine „Eingangskontrolle“ für in anderen Mitgliedstaaten zugelassene Pflanzenschutzmittel vor. Mit dem Abs. 10 entfällt die „Eingangskontrolle“ jeweils nach Ablauf von zwei Jahren vollständig.

Bei der vereinfachten Zulassung hat der Antragsteller lediglich zu erklären, dass das Pflanzenschutzmittel mit einem bestimmten Referenzprodukt identisch ist, die beabsichtigte Kennzeichnung anzugeben und ein Muster der Verpackung beizuschließen. Kontrolliert wird dann nur mehr, ob die Kennzeichnung mit den Angaben, Anwendungsbestimmungen und mengenmäßigen Angaben übereinstimmt. Liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor, hat der Antragsteller die Unterlagen beizubringen, „soweit ihm deren Beschaffung zugemutet werden kann“ und gegebenenfalls eine für die Untersuchung ausreichende Menge des zur Zulassung beantragten PM beizubringen.

Durch diese schwammigen Formulierungen könnten sich auch Probleme mit dem Vollzug der Pflanzenschutzmittel-Höchstwerteverordnung ergeben. Denn ohne entsprechende Daten können für Wirkstoffe von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Pflanzenschutzmittel keine zulässigen Höchstwerte festgelegt werden.

Eine weitere Vereinfachung der Zulassung und Inverkehrbringung wird auch erreicht, indem tw. neu definiert wird, welche Pflanzenschutzmittel mit bereits im Inland oder auf EU-Ebene zugelassenen PM „identisch“ sind. Für diese Pflanzenschutzmittel ist ebenfalls ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen. So fällt gegenüber dem PMG 1997 im § 11 Abs. 2 Z 3 die „Beschaffenheit“ weg sowie die „Unbedenklichkeit für die Gesundheit von Mensch und Tier“.

4. Allgemeine Problematik hinsichtlich der agrarischen Betriebsmittel: Kontroll- und Informations­defizite, Interessenkollisionen

Kontrolldefizite: Trotz des in der Öffentlichkeit angekündigten Mottos „vom Feld bis zum Teller“ wurden keine Möglichkeiten zu mehr Transparenz oder Rückverfolgbarkeit geschaffen. Es kam zu keiner Kompetenzverschiebung vom Landwirtschaftsminister hin zum Gesundheitsressort und die Kontrolle vor Ort bleibt im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung.

Die Ursache der kontinuierlichen Belastung von Lebensmitteln liegt in der übermäßigen Anwendung von umwelt- und gesundheitsschädigenden Betriebsmitteln im Rahmen der landwirtschaftlichen Urproduktion. Die Kontrolle muss daher in der Landwirtschaft  ansetzen. Die Lebensmittelkontrollen können lediglich dazu dienen, die Missstände konsequent aufzuzeigen.

Die landwirtschaftlichen Betriebsmittelgesetze (Dünge-, Pflanzenschutz-, Futtermittelgesetze usw.) regeln die Zulassung und Inverkehrbringung; diesbezüglich erfolgen auch entsprechende Kontrollen bei Importeuren, Händlern und Produzenten. Nicht unter den Begriff des „Inverkehrbringens“ fällt allerdings der Import von Betriebsmitteln für den Eigenverbrauch. Auf diesen Sachverhalt können diese Gesetze nicht angewendet werden.

Informationsdefizite: Derzeit werden die Untersuchungsergebnisse bei den agrarischen Betriebsmitteln nicht bekannt gegeben. Im Fall von GVO-Saatgut zB wissen die Landwirte nicht, ob ihr Saatgut geprüft wurde und was die Untersuchungsergebnisse waren.

Interessenkollisionen: Das Bundesamt für Ernährungssicherheit als Behörde, dem die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen der agrarischen Betriebsmittelgesetze obliegt, kann auf Mitarbeiter der Ernährungsagentur GmbH zurückgreifen. Das bedeutet, dass dieselben Personen einerseits im Zulassungsbereich wie anderseits auch im Überwachungs- und Kontrollbereich tätig sind.

Unter dem Titel der Verwaltungsvereinfachung wurden die Zulassungsverfahren der agrarischen Betriebsmittel über die Agrarrechtsänderungsgesetze der letzten Jahre verkürzt und die Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Umwelt immer weniger geprüft. Die Änderungen laut Agrarrechtsänderungsgesetz 2002 führen zu einer de facto Freigabe von EU-Pflanzenschutzmitteln in Österreich. Die Vielzahl der erlaubten Produkte würden einen zusätzlichen Kontrollaufwand erfordern, für den keinerlei Ressourcen bereitgestellt werden.

5. Forderungen der grünen Fraktion

      Die Zulassung, Überwachung und Kontrolle aller lebensmittelrelevanten Bereiche der agrarischen Betriebsmittel sollten ausschließlich in die Kompetenz des für Gesundheit und Lebensmittel zuständigen Bundesministeriums kommen.

      Warn- und Informationspflicht: Bei festgestellten krassen Beanstandungen bei agrarischen Betriebsmitteln, die relevant für Lebensmittelproduktion sind, sollte eine dem 25a Lebensmittelgesetz nachgebildete Regelung den zuständigen Bundesminister verpflichten, die Öffentlichkeit unter Nennung des Produkts, Händlers und Herstellers zu warnen.

      Die Sanktionen bei Verstößen müssten im agrarischen Betriebsmittelrecht vereinheitlicht und verschärft werden.

      Die Zulassungsbedingungen für agrarische Betriebsmittel müssten im Sinne eines vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes verschärft werden.

      Für Direktimporte von agrarischen Betriebsmitteln ist eine Meldepflicht einzuführen.

      Die KonsumentInnen sind regelmäßig über die Pestizidbelastungen von Lebensmitteln zu informieren.

      Zur Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in Österreich ist von der Bundesregierung ein Pestizid-Aktionsprogramm vorzulegen.

Aus den genannten Gründen wird die Grüne Fraktion daher dem Agrarrechtsänderungsgesetz 2002 nicht zustimmen.