Vorblatt

Probleme und Ziele des Entwurfs:

Die Struktur des Vorverfahrens nach der geltenden Strafprozessordnung 1975 geht im Wesentlichen auf die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers des Jahres 1873 zurück. Die Leitidee unmittelbarer richterlicher Ermittlungen konnte sich jedoch aus vielerlei Gründen nicht durchsetzen. Vor dem gesetzlich eingehend geregelten Abschnitt der gerichtlichen Voruntersuchung hat sich daher „praeter legem“ ein faktisches „sicherheitsbehördliches Vorverfahren“ herausgebildet. In diesem gibt es aber weder für routinemäßig durchzuführende Ermittlungen der Sicherheitsbehörden (wie beispielsweise die Feststellung der Identität von Personen und deren Vernehmung) noch für ausreichenden Rechtsschutz verdächtiger und anderer von Ermittlungen betroffener Personen eine ausreichende und hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage.

Der vorliegende Entwurf setzt sich daher – als vorläufiger Schlusspunkt einer jahrzehntelangen Diskussion – zum Ziel, kriminalpolizeiliche Aufgaben und Befugnisse ebenso wie die Rechte der von der Ausübung dieser Befugnisse betroffenen Personen eindeutig zu regeln. Die Staatsanwaltschaft soll in die Lage versetzt werden, die Sammlung des Prozessstoffes nach den wesentlichen rechtlichen Kriterien für ihre Entscheidung über Anklage oder sonstige Beendigung des Ermittlungsverfahrens unmittelbar mitzubestimmen, dem Gericht soll weiterhin – und verstärkt – Kontrolle und Rechtsschutz zukommen. Ferner soll langjährigen Forderungen nach Berücksichtigung der besonderen Interessenlage von Opfern strafbarer Handlungen durch Aufwertung ihrer rechtlichen Stellung im Verfahren entsprochen werden.

Grundzüge der Problemlösung:

Auf Grundlage des im April 1998 veröffentlichten Diskussionsentwurfs des Bundesministeriums für Justiz zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens [1]) und seiner Weiterentwicklung durch den Ministerialentwurf eines Strafprozessreformgesetzes [2]) sowie der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens mit seinen mehr als 100 – zum Teil ausführlichen und inhaltsreichen – Stellungnahmen soll die auf das Jahr 1873 zurückgehende Struktur des Vorverfahrens der geltenden Strafprozessordnung heutigen Auffassungen und Anforderungen sowohl auf dem Gebiet kriminalpolizeilicher Effizienz als auch im Bereich des grundrechtlichen Schutzes angepasst werden. In diesem Sinne wird ein einheitliches Vorverfahren vorgeschlagen, das einerseits eigenständige Ermittlungskompetenz der Kriminalpolizei anerkennt, andererseits Koordinations- und Leitungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft als Garantin der Justizförmigkeit des Verfahrens sowie verstärkte Kontrolle des Gerichts vorsieht.

Aufgaben und Zuständigkeiten sollen klar verteilt werden, um der faktischen Ermittlungskompetenz der Kriminalpolizei und der rechtlichen Zuständigkeit der Justiz im Sinne eines Kooperationsmodells gerecht zu werden. Ermittlungen zur Aufklärung gerichtlich strafbarer Handlungen sollen somit nach mehr als 100 Jahren endlich einen zweckmäßigen und ausreichenden rechtlichen Rahmen erhalten.

Das Ermittlungsverfahren soll von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in Zusammenarbeit geführt werden. Die zur Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehenden Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen werden in ihren inhaltlichen und rechtlichen Voraussetzungen exakt determiniert; auf kriminalistische Anweisungen wird verzichtet. Die bei der Beweisaufnahme einzuhaltenden Förmlichkeiten und die Voraussetzungen für die Verwertung ihrer Ergebnisse als Beweis in der Hauptverhandlung werden geregelt. Die gerichtliche Voruntersuchung soll entfallen. Hingegen soll – anders als noch im Ministerialentwurf vorgeschlagen – das Privatanklageverfahren grundsätzlich, jedoch in veränderter Form beibehalten bleiben.

Das Gericht soll im Ermittlungsverfahren die Berechtigung von Grundrechtseingriffen kontrollieren, Rechtsschutz gegen die Verweigerung von Verfahrensrechten bieten und bestimmte Beweise aufnehmen, nämlich solche, die in der Hauptverhandlung voraussichtlich überhaupt nicht oder nicht in derselben Qualität zur Verfügung stehen werden. Das Gericht soll nur auf Antrag sowie über Einsprüche und Beschwerden tätig werden. Es soll als Einzelrichter entscheiden. Als Rechtsmittelinstanz soll das Oberlandesgericht fungieren, dem auch die Entscheidung über Anträge auf Fortsetzung des Verfahrens zukommen soll; die Ratskammer ist nicht mehr vorgesehen.

Der Beschuldigte soll als Subjekt des Verfahrens konkret formulierte Mitwirkungs- und Antragsrechte erhalten, gegen deren Verweigerung er das Gericht anrufen kann.

Geschädigten sollen weiter gehende Rechte zustehen als bislang den Privatbeteiligten, ohne dass dies stets an die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gebunden wäre. Sie sollen auch die Kontrolle der Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf Einstellung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht verlangen können. Bestimmten Geschädigten (nämlich Opfern von Sexual- und schweren Körperverletzungsdelikten sowie Angehörigen von Todesopfern) wird darüber hinaus unter bestimmten Umständen das Recht auf Beigebung eines kostenlosen Rechtsvertreters eingeräumt.

Alternativen:

Beibehaltung der derzeitigen, aus 1873 stammenden Struktur des strafprozessualen Vorverfahrens, von der sich die Praxis der Ermittlungen weit entfernt hat.

Kosten:

1. Im Bereich der Staatsanwaltschaften wird es zu einer deutlichen Vermehrung der Aufgaben kommen, die durch die vorgesehenen Effizienzsteigerungen im Zuge der Konzentration des Ermittlungsverfahrens auf die Landesgerichte allein nicht ausgeglichen werden kann. Derzeit sind bei den Staatsanwaltschaften erster Instanz rund 180 Staatsanwälte eingesetzt. Es ist davon auszugehen, dass durch die Reform ein Mehrbedarf an Staatsanwälten im Ausmaß von 50% der derzeit in der ersten Instanz eingesetzten Staatsanwälte eintreten wird. Der Wegfall der Voruntersuchung wird zu einer deutlichen Entlastung im Bereich der im Vorverfahren eingesetzten Richter führen. Die frei werdenden Untersuchungsrichter werden jedoch zu einem erheblichen Teil im Bereich des durch den Entwurf ausgeweiteten Grundrechtsschutzes einzusetzen sein, sodass im Ergebnis etwa 20 Untersuchungsrichter-Planstellen mit dem voraussichtlichen In-Kraft-Treten der Reform zum 1. Juli 2006 in Staatsanwalts-Planstellen umgewandelt werden können. Saldiert ergibt sich ab dem Stellenplan 2006 daher ein zusätzlicher Bedarf von 70 Staatsanwalts-Planstellen.

Im Kanzleibereich benötigen die 70 zusätzlichen Staatsanwälte rund 50 zusätzliche Mitarbeiter. Fünf davon können durch Anfallsverminderungen auf der bezirksgerichtlichen Ebene bei den Bezirksanwälten gewonnen werden, sodass auf Grund des Entwurfs 45 zusätzliche Kanzleibedienstete erforderlich sind.

Damit zum vorgesehenen In-Kraft-Tretens-Termin 1. Juli 2006 die erforderlichen Staatsanwälte zur Verfügung stehen, muss Mitte des Jahres 2003 die Aufnahme von Richteramtsanwärtern einsetzen. Im Rahmen des Stellenplans ist die erforderliche Aufnahme von Richteramtsanwärtern durch die volle Ausschöpfung des Allgemeinen Teils des Stellenplans möglich, die budgetäre Vorsorge für die zuletzt nicht ausgeschöpften Aufnahmemöglichkeiten muss jedoch beginnend mit dem Budget 2003 getroffen werden.

Für das zusätzliche Kanzleipersonal wird keine stellenplanmäßige und auch keine budgetäre Vorsorge erforderlich sein, weil dieses Personal bis zum In-Kraft-Treten der Reform durch Umschichtungen innerhalb des Justizressorts auf Grund des ständig zunehmenden Einsatzes von Informationstechnologie gewonnen werden kann.

Zusammenfassend stellt sich der mit dem Entwurf verbundene Personalbedarf daher wie folgt dar:

Mehrbedarf an Staatsanwälten

+ 90

Entlastung Untersuchungsrichter

– 20

Entlastung Bezirksanwälte

–  5

Mehrbedarf an nichtrichterlichen Bediensteten (insbe­sondere Kanzleileiter, Kanzleibedienstete)

+ 50

Insgesamt

+115

Stellenplanwirksam wird davon lediglich ein Mehrbedarf von 70 Staatsanwälten.

Die Mehrausgaben für 70 Staatsanwälte betragen an Personalausgaben rund 4,1 Millionen Euro, die für 45 nichtrichterliche Bedienstete rund 1,3 Millionen Euro. Hiezu kommen die Raumkosten für 115 Arbeitsplätze inklusive Erschließungs- und Nebenflächen, die mit rund 0,6 Millionen Euro Miete kalkuliert werden, sowie die mit 12% der Personalausgaben angesetzten laufenden Sachausgaben in der Höhe von rund 0,6 Millionen Euro und weiters die mit 20% der Personalausgaben zu schätzenden Verwaltungsgemeinkosten von rund 1,1 Millionen Euro.

Zur budgetären Belastung ist festzuhalten, dass die Aufnahme von 70 Richteramtsanwärtern bereits ab dem 1. Juli 2003 zu erfolgen haben wird, woraus sich für das Jahr 2003 ein Mehraufwand von rund 0,945 Millionen Euro und für die Jahre 2004 und 2005 ein jährlicher Mehraufwand von rund 1,890 Millionen Euro ergibt.

Bei der Ermittlung der budgetären Belastung ab dem Jahr 2006 ist zu berücksichtigen, dass die erforderlichen zusätzlichen 45 nichtrichterlichen Bediensteten durch Umschichtungen (Rationalisierung durch EDV-Einsatz) ohne Mehrausgaben gewonnen werden sollen, sodass die auf sie entfallenden Mehrkosten wegfallen.

Die budgetäre Belastung für 70 Staatsanwälte wird ab dem Jahr 2006 mit insgesamt rund 5,7 Millionen Euro, davon rund 4,1 Millionen Euro Personalausgaben, rund 0,4 Millionen Euro Raumkosten, rund 0,4 Millionen Sachausgaben und rund 0,8 Millionen Euro Verwaltungsgemeinkosten, angenommen.

Die einmaligen Ausgaben – voraussichtlich im Jahr 2005 – werden für die Einrichtung von 70 Arbeitsplätzen rund 0,2 Millionen Euro und für die erforderlichen Schulungen rund 2 Millionen Euro betragen.

2. Im Bereich des Bundesministeriums für Inneres erfordert die Inkraftsetzung des Strafprozessreformgesetzes eine Einschulung aller Exekutivbeamten des Ressorts im Ausmaß einer Woche. Die dafür anfallenden Kosten dürften sich nach den derzeit möglichen Einschätzungen des Bundesministeriums für Inneres (die sich insbesondere auf die Erfahrungen bei der Einschulung desselben Personenkreises auf das In-Kraft-Treten des Sicherheitspolizeigesetzes stützen) auf rund 7 267 283,4 Euro (100 000 000 S) für Seminargebühren und Sachaufwand belaufen.

Werden zusätzlich die Kosten für die durch diese Schulungsmaßnahmen bedingte Abwesenheit der Beamten von ihren Dienststellen nach den vom Bundesministerium für Finanzen vorgesehenen Sätzen bewertet, so wären diese Kosten mit etwa 36 336 417 Euro (500 000 000 S) zu beziffern. Tatsächliche Kosten würden aber nur dort anfallen, wo auf Grund der Abwesenheit Überstunden angeordnet werden müssen.

3. Die Gewährleistung der im Entwurf des Strafprozessreformgesetzes vorgesehenen Verfahrensrechte von Beschuldigten und Privatbeteiligten im Bereich der Kriminalpolizei wird bei den Sicherheitsbehörden einen nicht unerheblichen Mehraufwand nach sich ziehen (Arbeitszeitaufwand und Kopierkosten im Zusammenhang mit der Gewährung von Akteneinsicht; vermehrte Dolmetschgebühren; Erfüllung der Berichtspflichten gegenüber der Staatsanwaltschaft). Der erhöhte Personal- und Sachaufwand für das Kopieren könnte gegebenenfalls durch die Einhebung von Gebühren hereingebracht werden. Im Übrigen lässt sich der damit verbundene Mehraufwand angesichts des nicht einschätzbaren Ausmaßes, in dem die erwähnten Verfahrensrechte von den Betroffenen tatsächlich in Anspruch genommen werden, nicht präzise berechnen.

4. Der IT-Einsatz zur Verwirklichung des angestrebten elektronischen Aktenlaufes zwischen Staatsanwaltschaften und Dienststellen des Bundesministeriums für Inneres wird nach Maßgabe der budgetären Vorgaben des Bundes schrittweise verwirklicht werden. Bereits jetzt sind alle Mitarbeiter der Staatsanwaltschaften und der Gerichte mit bundesweit vernetzten PC-Arbeitsplätzen ausgestattet. Im Zuge des Projektes „Redesign“ wurden alle Staatsanwaltschaften und Gerichte mit modernster Software versorgt, die in weiterer Folge die elektronische Kommunikation mit den Sicherheitsdienststellen ermöglichen wird. Die mit dem IT-Einsatz in den Zuständigkeitsbereichen des Justiz- und des Innenressorts verbundenen Kosten sind allerdings keine durch die vorgeschlagene Reform verursachten Aufwendungen, weil die erforderliche Weiterentwicklung des Einsatzes moderner Bürotechnik im Sinne eines rationellen Ressourceneinsatzes ohnehin laufend vorzunehmen und voranzutreiben ist.

5. Die unter 1. bis 3. erwähnten, mit dem Gesetzentwurf verbundenen Mehrkosten erscheinen mit Rücksicht auf den Umstand, dass die – seit Jahrzehnten angestrebte – Neugestaltung und Verrechtlichung des im Kern 130 Jahre alten strafprozessualen Vorverfahrens einen besonders wichtigen Punkt des Regierungsprogramms umsetzt, insbesondere auch im Hinblick auf die mit dieser Regierungsvorlage angestrebte Verbesserung des Rechtsschutzstandards für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger (sowohl als Beschuldigte als auch als Opfer einer Straftat) und auf eine klare und eindeutige Bestimmung der Befugnisse der Kriminalpolizei zur Aufklärung von Straftaten, vertretbar und notwendig.

Im Hinblick auf die in Aussicht genommene längere Legisvakanz erscheint es auch vertretbar, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine abschließende und endgültige Kostenfolgenschätzung zu erstellen; der erforderliche Mehrbedarf an Planstellen im Justizbereich wurde jedoch schon jetzt konkretisiert, um die Planstellenbewirtschaftung und Ausbildung vorausschauend planen zu können.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

Kompetenzgrundlage:

Die vorgeschlagenen Änderungen des Strafverfahrensrechts unterliegen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Der vorliegende Entwurf enthält keine Bestimmungen, die als Verfassungsbestimmungen zu beschließen wären. Allerdings sieht er – insbesondere im Bereich der Zusammenarbeit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft einerseits und des gerichtlichen Rechtsschutzes andererseits – ein Verfahrensmodell vor, das sich im Verhältnis zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft zwar auf das historische Verständnis der Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes nach Art. 94 B-VG durch den Anklagegrundsatz nach Art. 90 Abs. 2 B-VG stützen kann, aber wegen der Ausweitung des gerichtlichen Rechtsschutzes auf Akte der Kriminalpolizei allenfalls verfassungsrechtlicher Absicherung bedürfen könnte.

Verhältnis zu EU- Recht:

EU- Recht wird durch den vorliegenden Entwurf grundsätzlich nicht berührt. Der Rahmenbeschluss des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82, wird berücksichtigt.


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

1. Zur Entstehung des Entwurfs und zum Ergebnis des Begutachtungsverfahrens

Nach Abschluss der Reformarbeiten an einem neuen Strafgesetzbuch im Jahre 1974 fanden die Bemühungen um eine Reform des Strafprozesses einen konkreten Ausdruck in der Gründung des Arbeitskreises für Grundsatzfragen einer Erneuerung des Strafverfahrensrechts. Dieser tagte in den Jahren 1974 bis 1983 im Bundesministerium für Justiz und förderte eine außerordentliche Fülle von neuen Gedanken und interessanten Aspekten bekannter Fragen zu der – schon damals so bezeichneten – „alternden Kodifikation“ [3]) der StPO zutage. In den Jahren 1980 sowie 1985 waren seine Inhalte auch Gegenstand der Beratungen der Österreichischen Juristenkommission. Ein Meinungsschwerpunkt könnte in der damals vertretenen Ansicht gefunden werden, dass § 24 StPO bloß zu „verbessern“ und dahin gehend auszubauen wäre, dass „die Sicherheitsdienststellen bei Eingriffen in verfassungsgesetzlich geschützte Rechte unter besonderen Voraussetzungen spontan tätig werden dürfen“ [4]).

In der Folge rückten die Probleme des Zusammenwirkens von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im strafprozessualen Vorverfahren in den Vordergrund. Dabei wurde von der Tatsache ausgegangen, dass die Sicherheitsbehörden in der Mehrzahl der Fälle nicht bloß die von § 24 StPO erforderte Anzeige erstatten, sondern aus eigener Initiative und eigenverantwortlich „durchermitteln“. Diesen Prozess der Verlagerung des strafprozessualen Vorverfahrens zu den Sicherheitsbehörden rückgängig zu machen, wurde als wenig realistisch eingeschätzt [5]). Die Aufgaben- und Gewaltenteilung der am Strafverfahren beteiligten Behörden und Berufsgruppen wurde zur lenkenden Maxime der Neugestaltung des Vorverfahrens: „Es wäre dann Sache der Polizei zu ermitteln, Sache des Richters, eine Zwangs- und Kontrollfunktion auszuüben, und Sache des Staatsanwalts, die Antragsfunktion wahrzunehmen. Unter Antragsfunktion ist zu verstehen, dass die Staatsanwaltschaft den von der Polizei ermittelten Tatverdacht in die Anklage oder auch in den an den Untersuchungsrichter gerichteten Antrag umsetzt, ein Zwangsmittel zuzulassen. Die Staatsanwaltschaft muss auch das Recht haben, die Polizei zur Durchführung bestimmter Ermittlungen anzuweisen und umgekehrt die Beendigung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Beides setzt freilich voraus, dass die Staatsanwaltschaft vom Stattfinden eines Ermittlungsverfahrens überhaupt weiß“ [6]). Weitere Vorschläge wiesen in die gleiche Richtung. [7])

Die Vorstellung des so genannten MIKLAU/SZYMANSKI-Modells [8]) im Jahr 1988 und des darauf aufbauenden Konzepts der Straflegislativsektion des Bundesministeriums für Justiz zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens [9]) verursachte heftige Diskussionen [10]). Das MIKLAU/SZYMANSKI-Konzept hat jedoch der Diskussion eine neue Qualität gegeben. Die dogmatisch klare und eindeutige Abgrenzung der Zuständigkeiten der am Strafverfahren beteiligten Behörden und Organe hat die Probleme verdeutlicht, die im Zusammenhang mit der Aufgabenteilung zwischen den am Strafverfahren beteiligten Behörden und Organen – auch aus verfassungsrechtlicher Sicht – bestehen. Es führte schließlich auch dazu, dass sämtliche am Strafverfahren beteiligten Berufsgruppen ihre Vorstellungen zur Reform entwickelten und akzentuierten [11]). Das Konzept der Richtervereinigung [12]) sah dabei ein von Anfang an „justizielles“ – und daher der Justiz „zuzurechnendes“ Vorverfahren unter der „Herrschaft und Verantwortung des Staatsanwaltes“ vor.

Diese Reformbemühungen zeigen insgesamt, dass die Überlegungen über die Erörterung der dogmatischen Struktur des Vorverfahrens und insbesondere des Verhältnisses zwischen Justiz- und Sicherheitsbehörden nicht wesentlich hinausgekommen sind. Der erkenntnistheoretische Schwerpunkt lag in der Regel auf der – aus dem jeweiligen Blickwinkel unterschiedlich beurteilten – Frage der „Verfahrensherrschaft“ (Sachleitungsbefugnis).

Einen Neubeginn der Reformdiskussion bedeutete die vom Bundesministerium für Justiz bereits im Juli 1995 den Mitgliedern des Justizausschusses vorgelegte Punktation zum kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren unter besonderer Bedachtnahme auf Befugnisse zur Bekämpfung organisierter Kriminalität [13]). Die darin vorgeschlagenen Grundsätze einer neuen Struktur des Vorverfahrens wurden im Rahmen der Österreichischen Richterwoche 1996 in Rust ausführlich erörtert und haben darüber hinaus umfassende grundsätzliche Zustimmung, sowohl aus Sicht der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis, als auch der Lehre, erfahren [14]). Demgegenüber hat das gleichfalls 1995 veröffentlichte Konzept der Arbeitsgruppe StPO-Reform im Bundesministerium für Inneres [15]) wegen der Beschränkung der justiziellen Einflussmöglichkeiten auf die Stoffsammlung in Lehre und Praxis keine Unterstützung gefunden. [16]) Der im April 1998 vorgestellte Diskussionsentwurf (im Folgenden „DE“) orientierte sich daher an der erwähnten Punktation und versuchte, kontroversielle Standpunkte dadurch zu überwinden, dass anhand konkreter Formulierungen strukturelle Fragen nicht isoliert, sondern in ihrem verfahrensrechtlichen Zusammenhang mit Fragen der Beweisaufnahme und der Stellung der Verfahrensparteien betrachtet wurden.

Dieses Vorhaben wurde großteils begrüßt; der Diskussionsentwurf war Gegenstand ua. der Tagung der Österreichischen Juristenkommission im Mai 1999 [17]), der Vorarlberger Tage im Juni 1999 [18]), des 28. Strafrechtlichen Seminars im Februar 2000 in Ottenstein [19]), und der strafrechtlichen Abteilung des Vierzehnten Österreichischen Juristentages im Mai 2000 in Wien [20]). Trotz mannigfaltiger Detailkritik kann die im Bericht der Arbeitsgruppe der Vereinigung der Österreichischen Richter und der Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst zum Diskussionsentwurf an den Vorstand und die Bundessektionsleitung enthaltene Kernaussage, wonach „das Reformziel, die gerichtliche Zuständigkeit im Vorverfahren auf Grundrechtsschutz, Beweissicherung und Rechtsschutzgewährung zu reduzieren, die Ermittlungsaufgaben aber zur Gänze der Sicherheitsbehörde in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft zu übertragen, grundsätzlich für richtig befunden“ wird, den gemeinsamen Nenner der Stellungnahmen aus Praxis und Lehre bilden [21]).

Auf Grund dieser grundsätzliche Akzeptanz und Zustimmung wurde schließlich im Mai 2001 der Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes zur allgemeinen Begutachtung versandt, der auf den Vorschlägen des Diskussionsentwurfs aufbaute und diesen weiterentwickelte. Er bildete den Schwerpunkt der Richterwoche 2001 „Strafverfahren – Menschenrechte – Effektivität“ [22]). In den seitdem erstatteten mehr als 100 Stellungnahmen wird der Entwurf durchwegs kritisch betrachtet, wobei im Vordergrund der kritischen Beiträge die Sorge steht, dass die zur Umsetzung der Reform notwendige Bereitstellung an zusätzlichen Ressourcen nicht rechtzeitig erfolgen werde. Die organisationsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft ist als zweiter maßgeblicher Grund für die ablehnende Haltung der Mehrzahl der Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden sowie der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Standesvertretungen zu nennen. Schließlich missfällt auch der als Eingriff in den Anklagegrundsatz empfundene gerichtliche Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren.

Der vorliegende Entwurf hält an dem dem Begutachtungsentwurf zu Grunde liegenden Konzept fest, versucht jedoch, erhobener Detailkritik in weitem Umfang Rechnung zu tragen.

2. Grundlegender Reforminhalt

Der vorliegende Entwurf gliedert die geltende Strafprozessordnung in sechs Teile (Allgemeines und Grundsätze des Verfahrens, Ermittlungsverfahren, Beendigung des Ermittlungsverfahrens, Hauptverhandlung und Rechtsmittelverfahren, besondere Verfahrensarten, Schlussbestimmungen). Diese – über Inhalt und Umfang des eigentlichen Gegenstandes des Entwurfs hinausgehende – Einteilung ist notwendig, um die neuen Bestimmungen über das Vorverfahren mit jenen des grundsätzlich bestehen bleibenden Haupt- und Rechtsmittelverfahrens kompatibel zusammenführen und vom Diskussionsentwurf [23]) ausgeklammerte Bestimmungen (zB über Zuständigkeiten und Ausschließungsgründe, Anklage und Diversion) in die neue Verfahrensstruktur eingliedern zu können.

Im 1. Teil des Entwurfs („Allgemeines und Grundsätze des Verfahrens“) werden jene Bestimmungen zusammengefasst, die für das gesamte Strafverfahren von zentraler Bedeutung sind. Neben der Programmatik des Entwurfs, die den an die Spitze gestellten Grundsätzen des Verfahrens entnommen werden kann, werden darin Organisation und Rechtsstellung der am Verfahren beteiligten Behörden und Gerichte, das Verhältnis dieser Behörden und Gerichte unter einander und zu anderen öffentlichen Behörden und Dienststellen sowie zu privaten Personen, die Rechte der Beteiligten des Verfahrens, nämlich von Beschuldigten und Geschädigten sowie Haftungsbeteiligten, die Befugnis der Behörden und Gerichte zur Datenverwendung, die Art und Weise der Bekanntmachung und Zustellung von Erledigungen sowie der Vollzug der nach diesem Bundesgesetz verhängten Geld- und Freiheitsstrafen (Ordnungs- und Beugestrafen) geregelt.

Im 2. Teil findet sich das Kernstück des Entwurfs, nämlich die inhaltliche Ausgestaltung des neuen Ermittlungsverfahrens. Nach allgemeinen Bestimmungen über seinen Zweck, über die Anwendung von Zwangsgewalt und Beugemittel, über Verhängung von Ordnungsstrafen sowie über die Art und Weise der Protokollierung werden die Aufgaben und Befugnisse der Behörden und Gerichte im Ermittlungsverfahren bestimmt und von einander abgegrenzt. Daran anschließend werden die für die Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehenden Befugnisse (8. Hauptstück „Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme“) geregelt. Abgeschlossen wird dieser Teil mit den Bestimmungen des 9. Hauptstückes über „Fahndung, Festnahme und Untersuchungshaft“.

Im 3. Teil („Beendigung des Ermittlungsverfahrens“) werden jene Entscheidungen der Staatsanwaltschaft geregelt und terminologisch wie inhaltlich unterschieden, die das Ermittlungsverfahren endgültig oder bloß vorläufig beenden, ohne es in ein Hauptverfahren überzuleiten, nämlich Einstellung (derzeit § 90 StPO), Einstellung wegen Geringfügigkeit (Umgestaltung des materiellen Strafausschließungsgrundes des § 42 StGB in eine prozessuale Ermächtigung zum Verfolgungsverzicht), Einstellung bei mehreren strafbaren Handlungen (derzeit § 34 StPO), Abbrechung des Ermittlungsverfahren gegen Abwesende und gegen unbekannte Täter (derzeit § 412 StPO) sowie der Rücktritt von Verfolgung (Diversion). In diesem Teil finden sich auch die Regelungen der Bedingungen, unter denen ein von der Staatsanwaltschaft eingestelltes Ermittlungsverfahren fortgeführt werden kann. Gegenüber dem Begutachtungsentwurf ist insbesondere die systemgerechte Weiterentwicklung des Subsidiarantrages nach geltendem Recht in einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens, über den das Oberlandesgericht zu entscheiden haben soll, zu erwähnen.

Im 4. Teil („Haupt- und Rechtsmittelverfahren“) wird zunächst die Anklage neu geregelt, mit der das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren in ein gerichtliches Verfahren übergeleitet wird. Den übrigen Inhalt dieses Teils sollen die – in einem weiteren Reformschritt anzupassenden – Bestimmungen des XVII. („Von den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung“) und des XVIII. Hauptstückes der StPO („Von der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz und von den Rechtsmitteln gegen deren Urteile“) bilden.

Die gleichfalls der neuen Struktur anzugleichenden Bestimmungen der Hauptstücke XIX. bis XXX. sollen als 5. Teil über besondere Verfahren zusammengefasst werden.

Mit dem 6. Teil („Schlussbestimmungen“) werden der StPO schließlich Regelungen über In-Kraft-Treten und Verweisungen, die Übergangsbestimmungen und eine Vollzugsklausel angefügt.

In inhaltlicher Hinsicht werden Bestimmungen des geltenden Rechts

      zum Teil in die Systematik und Gesetzessprache des Entwurfs transformiert,

      zum anderen Teil mit Bestimmungen aus dem DE kombiniert – vgl. zB §§ E 1 und 2 („Allgemeines“ und „Zweck des Ermittlungsverfahrens“) und § Z 3 („Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Einsatz von Zwangsgewalt und Beugemitteln“), nunmehr §§ 1 und 5 bzw. § 93,

      teils – mit entsprechenden Veränderungen – aus dem DE übernommen – zB die §§ B 1 bis 15 DE und §§ P 1 bis 11 DE, nunmehr 3. und 4. Hauptstück (§§ 49 bis 73),

      schließlich aber auch gänzlich neu konzipiert – zB der 1. Abschnitt des 2. Hauptstückes („Kriminalpolizei“), der 4. Abschnitt des 2. Hauptstückes („Ausschließung und Befangenheit“) und der 1. Abschnitt des 5. Hauptstückes („Einsatz der Informationstechnik“).

3. Wesentliche Neuerungen

Der wesentliche Inhalt des Entwurfs lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Rechte des Beschuldigten

Nach dem „materiellen Beschuldigtenbegriff“ ist Beschuldigter jede Person, die auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben bzw. an ihr beteiligt zu sein, und gegen die zur Aufklärung dieses konkreten Verdachts ermittelt oder Zwang ausgeübt wird. Der Beschuldigte soll seine Rechte grundsätzlich ab der ersten gegen ihn gerichteten Ermittlung wahrnehmen können. Als wesentliche Rechte des Beschuldigten werden daher geregelt:

die Information über den Inhalt der Beschuldigung und die wesentlichen Rechte im Verfahren (vgl. § 50),

das Recht auf Akteneinsicht, das im Ermittlungsverfahren grundsätzlich in den jeweiligen Akt der Kriminalpolizei bzw. der Staatsanwaltschaft zu gewähren ist (vgl. §§ 51 bis 53),

das Beweisantragsrecht (vgl. § 55),

das Recht auf Übersetzungshilfe (vgl. § 56),

die freie Verteidigerwahl und der Anspruch auf Verfahrenshilfe (vgl. §§ 58 ff),

das Recht zu schweigen und das Recht, vor seiner Vernehmung mit einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und sich mit ihm zu besprechen (vgl. § 164 Abs. 1),

das Recht, seiner Vernehmung eine Person seines Vertrauens beizuziehen (vgl. § 164 Abs. 2),

das Recht auf Einspruch wegen Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Verweigerung von Verfahrensrechten oder die rechtswidrige Anordnung oder Durchführung von Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen (vgl. § 106),

das Recht auf Beschwerde gegen gerichtliche Beschlüsse (vgl. § 87),

das Recht, die Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (vgl. § 108),

  Beteiligungs- und Anwesenheitsrechte (vgl. §§ 127 Abs. 2, 150 Abs. 1, 165).

Die Rechtsstellung des Beschuldigten soll somit insgesamt den Erfordernissen eines von Kriminalpolizei und staatsanwaltschaftlichen Behörden geführten Ermittlungsverfahrens angepasst werden. Dem Beschuldigten sollen grundsätzlich vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an bestimmte Verfahrensrechte zukommen, deren Umfang und Reichweite gesetzlich festgelegt werden. Die vorgeschlagenen Verfahrensrechte sollen insbesondere den Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und das verfassungsrechtlich zustehende Recht auf Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK) auf einfach gesetzlicher Ebene ausgestalten.

Geschädigte und ihre Rechte

Ein zentrales Anliegen der Reform bildet die Stärkung der Rechte des Verletzten im Strafprozess. Gegenüber den im DE vorgeschlagenen Bestimmungen (§§ P 1 bis P 11 DE) und dem Begutachtungsentwurf ergeben sich unter Zugrundelegung bisheriger Stellungnahmen folgende Veränderungen:

Auf den Begriff „Opfer“ wird zu Gunsten des allgemeinen Begriffs des Geschädigten (§ 65 Z 1) verzichtet.

Geschädigte werden durch Erklärung (§ 70 Abs. 1) zu Privatbeteiligten (§ 65 Z 3) mit umfassenden prozessualen Rechten (§ 66).

Emotional in der Regel besonders betroffene Geschädigte (§ 65 Z 1 lit. a und b) sollen sich unabhängig von privatrechtlichen Ansprüchen als Privatbeteiligte am Strafverfahren beteiligen können, wobei diesen Privatbeteiligten auch das Recht auf Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Vertreters zustehen soll, wenn sie zusätzlich privatrechtliche Ansprüche geltend machen (§ 66 Abs. 3).

  Privatbeteiligte, die einen privatrechtlichen Anspruch erheben, können eine von der Staatsanwaltschaft zurück gezogene Anklage durch Erklärung als Subsidiarankläger aufrecht halten (§§ 65 Z 4, 72).

Im Falle einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch das Gericht soll dem Privatbeteiligten Beschwerde an das Oberlandesgericht zustehen (§ 87 Abs. 1).

  Privatbeteiligten soll darüber hinaus das Beweisantragsrecht (§ 66 Abs. 2 Z 4), das Recht auf Teilnahme an kontradiktorischen Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten (§ 165), an Befundaufnahmen (§ 127 Abs. 2) und an Tatrekonstruktionen (§ 150) zustehen.

Geschädigte sind über ihre Rechte zu belehren (§ 69), über Antrag von einer Entlassung des Beschuldigten aus der Haft und in anderen Fällen vom Fortgang des Verfahrens zu verständigen (vgl. §§ 25 Abs. 3, 177 Abs. 5, 194, 197 Abs. 3, 206, 208 Abs. 2 und 213 Abs. 1).

Als Korrektiv für den Entfall des Subsidiarantrags nach geltendem Recht sollen Geschädigte bei Gericht die Fortführung eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens verlangen können (§ 195).

Das Privatanklageverfahren wird – entgegen dem Vorschlag im Begutachtungsentwurf – beibehalten, jedoch wegen des Entfalls der gerichtlichen Voruntersuchung umgestaltet (§§ 65 Z 2 und 71). Als Privatankläger wird jede Person bezeichnet, die bei Gericht eine Anklage oder einen anderen Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens wegen eines Privatanklagedelikts einbringt.

Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme

Im 8. Hauptstück sollen jene Befugnisse im Einzelnen (und abschließend) geregelt werden, die der Kriminalpolizei, aber auch der Staatsanwaltschaft, zur Erfüllung ihrer Aufgaben, mithin zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zur Verfügung stehen. Dabei wird anerkannt, dass der Begriff der Beweisaufnahme nicht ausschließlich auf die erkennende Tätigkeit des Gerichts in der Hauptverhandlung zu beziehen ist, weil sich diese in vielen Fällen als Kontrolle der im Ermittlungsverfahren erzielten Ergebnisse erweist. Den Vorwirkungen der Ermittlungstätigkeit der Kriminalpolizei und ihrem (mit)bestimmenden Einfluss auf die Qualität der in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Beweise wird daher Rechnung getragen. Dabei ist einerseits Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Effektivität, anderseits jenen Garantien zu entsprechen, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 sowie insbesondere in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten sind. Die Voraussetzungen der Anordnung und Genehmigung bzw. Bewilligung müssen auch – nach der jeweiligen Eingriffsintensität abgestufte – Entscheidungs- und Rechtsschutzmechanismen vorsehen, um auf diese Weise anzuerkennen, dass die reformierte Strafprozessordnung nicht theoretische oder illusorische Rechte garantiert, sondern Rechte, die konkret und wirksam sind. Folgende Zwangs- und Beweismittel werden geregelt:

  Sicherstellung, Beschlagnahme und Auskunft über Bankkonten und über Bankgeschäfte (vgl. §§ 109 bis 116),

  Identitätsfeststellung, Durchsuchung von Orten und von Gegenständen, Durchsuchung von Personen, körperliche Untersuchung und molekulargenetische Untersuchung (vgl. §§ 117 bis 124),

  Sachverständige und Dolmetscher (vgl. §§ 126 und 127),

  Leichenbeschau und Obduktion (vgl. § 128),

Observation, verdeckte Ermittlung und Scheingeschäft (vgl. §§ 129 bis 133),

  Überwachung von Nachrichten und Personen (vgl. §§ 134 bis 140),

  Automationsunterstützter Datenabgleich (vgl. §§ 141 bis 143),

  Augenschein und Tatrekonstruktion (vgl. §§ 149 und 150),

  Erkundigungen und Vernehmungen (vgl. §§ 151 bis 165),

Fahndung, Festnahme und Untersuchungshaft (vgl. §§ 167 bis 181),

Vollzug der Untersuchungshaft (vgl. §§ 182 bis 189).

Anordnungen und Bewilligungen

Im Bereich der Zuständigkeit für Anordnungen und Bewilligungen wird nach der Intensität des Grundrechtseingriffs und dem dadurch bedingten Rechtschutzbedürfnis festgelegt, ob die Maßnahme von der Kriminalpolizei „von sich aus“ („aus eigener Macht“) durchzuführen ist oder eine Anordnung der Staatsanwaltschaft oder eine gerichtliche Bewilligung erfordert (dies soll im Wesentlichen überall dort der Fall sein, wo eine solche Bewilligung durch die Verfassung vorgeschrieben ist; dh. bei Eigentumseingriffen, bei Hausdurchsuchungen, bei Eingriffen in das Post- und Fernmeldegeheimnis und in das Privatleben sowie beim Entzug der persönlichen Freiheit).

Der wesentliche Unterschied zum geltenden Recht besteht darin, dass die Entscheidung des Gerichts nicht in einem „Befehl“ an die Kriminalpolizei bestehen soll, sondern in der Bewilligung (oder Abweisung) eines Antrags der Staatsanwaltschaft, die Trägerin des staatlichen Verfolgungswillens ist [24]). Die gerichtliche Bewilligung eines Zwangsmittels ist daher als Ermächtigung – regelmäßig – der Staatsanwaltschaft zu verstehen, eine bestimmte Anordnung erlassen zu können. Kriminaltaktische Gesichtspunkte hat das Gericht dabei nicht zu berücksichtigen, sodass die Staatsanwaltschaft weder verpflichtet ist, von einer solchen Ermächtigung auch tatsächlich Gebrauch zu machen, noch ein „contrarius actus“ erforderlich ist, wenn sie auf die Erlassung der ursprünglich beabsichtigten Anordnung verzichtet.

Der Kriminalpolizei (vgl. die Begriffsdefinition in § 18), worunter Behörden, Dienststellen und Exekutivorgane in ihrer jeweiligen Eigenschaft zu verstehen sind (und sowohl „Polizei“ als auch „Gendarmerie“ umfasst werden), wird erweitertes Instrumentarium zur Verbrechensaufklärung an die Hand gegeben.

Auf berechtigte Forderungen nach effizientem kriminalpolizeilichem Instrumentarium zur Verbrechensaufklärung wird durch die Regelungen kriminalpolizeilichen Einschreitens bei Gefahr im Verzug eingegangen (vgl. die §§ 99 Abs. 2 und 120 Abs. 1 und 2), wobei dieses Einschreiten – anders als nach geltendem Recht – der gerichtlichen Kontrolle (im Wege des Einspruchs nach § 106 Abs. 1 oder durch das Erfordernis nachträglicher gerichtlicher Bewilligung; vgl. § 122 Abs. 1) unterworfen wird.

Die Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen ordnen die geltenden Zeugnisverweigerungsrechte in einer neuen Systematik (vgl. §§ 155 bis 159).

Der Schutz des Beichtgeheimnisses und bestimmter Berufsgeheimnisse wird nicht mehr ausschließlich im Zusammenhang mit Zeugnisverboten bzw. Umgehungsverboten von Zeugnisverweigerungsrechten geregelt, sondern besonders hervorgehoben (§ 144).

Weiterer wichtiger Inhalt

      Das Ziel des Entwurfs besteht vor allem auch in der Schaffung zuverlässiger Beweise für die Hauptverhandlung; in diesem Sinne bekennt sich der Entwurf zu einem Ausbau der Beweisverwertungsverbote und daran anschließender Vernichtungsgebote (vgl. § 166 – Verwertungsverbot bei Missachtung bzw. Umgehung von wesentlichen Verteidigungsrechten), weil die Verhältnismäßigkeit einer Regelung unter dem Blickwinkel der EMRK auch den Aspekt ausreichenden Rechtsschutzes einbezieht. [25]) Die Feststellung fehlerhafter Anordnung eines Grundrechtseingriffs bzw. rechtswidrigen Vorgehens erwiese sich ohne daraus abzuleitende verfahrensrechtliche Konsequenzen als wenig effizient und kaum geeignet, falsche Rechtsanwendung zu verhindern. Andererseits wird im Bereich der Erkundigungen und verdeckten Ermittlungen von dem im Diskussionsentwurf vorgesehenen strikten Verwertungsverbot abgegangen.

      Der Entwurf sieht im Ermittlungsverfahren eine generelle Zuständigkeit des Landesgerichts vor (§ 29 Abs. 1), ohne Rücksicht darauf, welches Gericht für das Hauptverfahren sachlich zuständig sein wird; dies wird erst mit Einbringen der Anklage festgelegt.

      Mit Einbringen der Anklage beim Gericht des Hauptverfahrens durch die Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 1) wird das Ermittlungsverfahren in das Hauptverfahren übergeleitet; ein „Zwischenverfahren“ wie im geltenden Recht ist nicht mehr vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft verliert ihre Rolle als verfahrensführende Behörde und wird zur Beteiligten des Hauptverfahrens, dessen Leitung dem Gericht obliegt (§ 210 Abs. 2).

      Am gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Anklage wird schon wegen der Publizitätswirkung einer folgenden öffentlichen Hauptverhandlung festgehalten. Die Einspruchsgründe werden konkretisiert (§ 212). Dabei wird vor allem Schutz gegen übereilte Anklagen (§ 212 Z 3) und gegen Anklageerhebung bei ungenügendem Tatverdacht trotz umfangreicher Ermittlungen (§ 212 Z 2) geboten. Eine Zurückweisung der Anklage durch das Oberlandesgericht im Einspruchsverfahren soll zur Wiedereröffnung des Ermittlungsverfahrens führen (§ 215 Abs. 3).

      Das Landesgericht soll das Oberlandesgericht nach Einbringen der Anklage mit der Entscheidung über seine Zuständigkeit befassen können, wenn es entsprechende Bedenken hat, und zwar auch dann, wenn ein Einspruch nicht erhoben wurde (§ 213 Abs. 6).

      Das Gericht soll die Rechtswirksamkeit der Anklage formell feststellen (§ 213 Abs. 4). Damit soll perpetuatio fori eintreten (§ 213 Abs. 5) und ohne Verzug die Hauptverhandlung angeordnet werden.

      Im 3. Teil soll terminologisch zwischen der Beendigung des Ermittlungsverfahrens (die alle Fälle umfasst), seiner Einstellung (§§ 190 bis 192) und dem Rücktritt von Verfolgung („Diversion“, §§ 198 ff) unterschieden werden.

      In den 3. Teil neu aufgenommen wurden die Fälle und Bedingungen der Fortführung eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungsverfahrens (Anpassung der Regelung der formlosen Wiederaufnahme nach § 363 StPO und Weiterentwicklung des Subsidiarantrages in einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens, §§ 193 ff).

4. Zu den finanziellen Auswirkungen

Hiezu wird auf die detaillierten Ausführungen im Vorblatt unter „Kosten“ verwiesen.

Da es sich um ein äußerst umfangreiches Vorhaben im Sinne einer teilweisen Neukodifikation handelt, fehlen die erforderlichen Erfahrungswerte, um die finanziellen Auswirkungen gemäß den Anforderungen des BHG in allen Belangen genau beurteilen zu können. Hinzu kommt, dass eine Umsetzung des Entwurfs von legistischen Begleitmaßnahmen abhängt, die einem gesonderten Normerzeugungsverfahren unterworfen werden sollen (Anpassungen und Folgeänderungen im Haupt- und Rechtsmittelverfahren der StPO, im StGB, im JGG, im SMG und im FinStrG sowie in anderen strafrechtlichen Nebengesetzen). Im Hinblick auf diese Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens und auf die erforderliche längere Legisvakanz erscheint es vertretbar, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine abschließende und endgültige Kostenfolgenschätzung zu erstellen; der erforderliche Mehrbedarf an Planstellen im Justizbereich wurde jedoch schon jetzt konkretisiert, um die Planstellenbewirtschaftung und Ausbildung vorausschauend planen zu können.

Im Übrigen ist es sehr schwierig, im Voraus abzuschätzen, inwieweit die neue Verfahrensgestaltung, insbesondere im Hinblick auf den erhöhten Rechtsschutzstandard, in der Praxis allgemein zu einem erhöhten Aufwand führen wird. Gleiches gilt für die Einschätzung längerfristiger Rationalisierungseffekte auf Grund der Straffung von Verfahrensabläufen.

5. Verfassungsrechtliche Fragen

Die vorgeschlagene Strukturreform des strafprozessualen Vorverfahrens soll zunächst in ihrem einfach gesetzlichen Zusammenhang auf parlamentarischer Ebene beraten werden. Eine auf Grund des Ergebnisses dieser Diskussion allenfalls erforderliche verfassungsrechtliche Absicherung wird einem gesonderten – im Einvernehmen mit dem zuständigen Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zu veranlassenden – Gesetzgebungsverfahren vorbehalten.

Allerdings wurden die verfassungsrechtlichen Problembereiche im Begutachtungsentwurf bereits konkret angesprochen. Auf Grund der dazu ergangenen Stellungnahmen sowie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung [26]) lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt folgende Aussagen treffen:

       Kompetenzgrundlage (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG)

Im Begutachtungsverfahren wurde eingewendet, dass der Begriff „Strafrechtswesen“ als Kompetenzgrundlage für die vorliegende Gesetzesinitiative nicht undifferenziert herangezogen werden könne, sondern eingehenderer Betrachtung bedürfe.

In diesem Zusammenhang ist an die Überlegungen der Bundesregierung zur Kompetenzrechtslage anlässlich der Vorbereitung des Sicherheitspolizeigesetzes im Jahr 1991 anzuknüpfen, von denen der vorliegende Entwurf in gleicher Weise ausgeht. [27])

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis zur „Dienstvorschrift für die Erhebungsabteilungen der österreichischen Bundesgendarmerie“ [28]) ausgeführt, dass zum Kompetenztatbestand „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ auch die „Angelegenheiten der Strafjustiz“ gehörten, lediglich dann, wenn die Bundesgendarmerie gemäß § 7 des Gendarmeriegesetzes 1894 von den Gerichten oder Staatsanwaltschaften unmittelbar in Anspruch genommen werde, sei deren Tätigkeit diesen Behörden zuzurechnen und gehöre zum Kompetenztatbestand „Strafrechtswesen“.

Auf dieses Erkenntnis gestützt wurde in der erwähnten Regierungsvorlage festgehalten, dass zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit [auch] gehöre, eine Gefahr zu beseitigen, die von einem mit gesteigertem Rückfallrisiko behafteten Täter solange ausgeht, als seine Täterschaft unbekannt, die Tat also ungeklärt ist. Dies gelte jedoch weder für die Klärung von Straftaten, bei denen bereits feststeht, dass der unbekannte Täter keine weiteren Angriffe setzen wird, noch für die rechtsförmige Aufbereitung des Ermittelten für Staatsanwaltschaft und Gericht; bei diesen Agenden handle es sich nicht mehr um Gefahrenabwehr, sondern bereits um Strafrechtswesen. Diese Abgrenzung würde nach dem der geltenden Strafprozessordnung zu Grunde liegenden Konzept keine Schwierigkeiten bereiten, weil es danach den Sicherheitsbehörden bloß zukäme, gemäß § 24 StPO den Sachverhalt zu klären (arg. „nachforschen“), also im Überschneidungsbereich Strafrechtswesen und Sicherheitspolizei tätig zu werden, und im Anschluss daran – ausgenommen die Fälle der Gefahr im Verzug – die Behörden der Strafjustiz einzuschalten. Nun sei aber bekanntlich die Praxis der Kriminalpolizei weit über die geschilderte Aufgabenverteilung hinausgegangen, sodass sich die Sicherheitsbehörden zeitweise ausschließlich im Bereich des Strafrechtswesens bewegten, und zwar nicht bloß dann, wenn Gefahr im Verzug vorliegt oder Staatsanwaltschaft/Gericht unmittelbar auf Organe der Bundesgendarmerie greifen.

Es ist daher auch für das vorliegende Gesetzesprojekt davon auszugehen, dass die Sicherheitsbehörden dann, wenn sie eine mehr oder minder rechtsförmige Aufbereitung ihres Ermittlungsergebnisses für die Behörden der Strafjustiz vornehmen, den Rahmen der Sicherheitspolizei völlig verlassen haben. Daraus ist der Grundsatz abzuleiten, dass es zwar Aufgabe der Sicherheitspolizei, also der Gefahrenabwehr ist, den Sachverhalt einschließlich der Identität des für die Gefahr Verantwortlichen zu klären, um feststellen zu können, ob vom Täter weitere Angriffe zu erwarten sind, denen vorgebeugt werden muss; Befugnissen zu Eingriffen in die Grundrechtssphäre dürfen in diesem Zusammenhang nur in dem Umfang zur Verfügung stehen, als dies zur Klärung der für die Gefahr maßgeblichen Umstände erforderlich ist. Ab diesem Zeitpunkt hingegen ist es Aufgabe der Strafprozessordnung, das der Kriminalpolizei zur Aufklärung und Verfolgung zur Verfügung stehende Instrumentarium und ihr Vorgehen zu determinieren und exakt zu regeln.

      Zum Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei (Art. 83 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 B-VG)

Dem Begutachtungsentwurf wurde eine durchgehende Zuständigkeitsüberschneidung zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei vorgeworfen, welche im Hinblick auf Art. 83 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 B-VG verfassungsrechtlich unzulässig wäre. Nachdem das bisherige System des strafprozessualen Vorverfahrens eine solche Überschneidung nicht kenne (§ 88 StPO im Stadium der Vorerhebungen bzw. noch deutlicher § 97 Abs. 2 StPO im Stadium der Voruntersuchungen), könne dieser Verstoß gegen Art. 83 Abs. 2 B-VG auch nicht damit gerechtfertigt werden, hier sei vom Verfassungsgeber ein von dieser Bestimmung abweichendes System „historisch vorgegeben“; noch weniger könne der Anklagegrundsatz eine solche Abweichung rechtfertigen.

Richtig ist, dass sowohl Art. 18 Abs. 1 und Abs. 2 B-VG als auch Art. 83 Abs. 2 B-VG nach der Judikatur des VfGH das Gebot zu entnehmen ist, strikte Zuständigkeitsgrenzen festzulegen. [29]) Der VfGH hat wiederholt ausgesprochen, dass sich die Zuständigkeit der dem Rechtsunterworfenen entgegentretenden Behörde exakt – im Sinne des Art. 18 Abs. 1 B-VG – aus dem Gesetz ergeben müsse [30]). In diesem Sinne hat der VfGH Art. 83 Abs. 2 B-VG als verletzt angesehen, weil von der Sicherheitsbehörde gegen einen in Haft befindlichen Beschuldigten, gegen den bereits die Voruntersuchung eingeleitet war, Erhebungen durchgeführt wurden, die nicht vom Untersuchungsrichter beauftragt waren, und dazu unter Hinweis auf § 93 Abs. 1 StPO ausgeführt: „Der Wille des Gesetzgebers geht ganz klar dahin, dass mit der Einleitung der Voruntersuchung deren Gang ausschließlich vom Untersuchungsrichter bestimmt wird. Diese vom Gesetz gewollte Konzentration der Voruntersuchung in der Hand des Untersuchungsrichters schließt es aus, dass neben der gerichtlichen Voruntersuchung und unabhängig von ihr eine polizeiliche Untersuchung geführt wird, die sich nicht auf bestimmte, vom Gericht erteilte Aufträge bezieht“. [31]) Auf das in der Hand der Staatsanwaltschaft konzentrierte Ermittlungsverfahren übertragen könnte dies bei formaler Betrachtung bedeuten, dass es Art. 83 Abs. 2 B-VG widerspreche, wenn neben den von der Staatsanwaltschaft angeordneten Ermittlungen wegen desselben Deliktes auch solche vorgenommen werden, die sich auf keinen bestimmten Auftrag gründen. [32]) Zwar hat der VfGH auch ausgesprochen, dass die Einrichtung einer zweiten Einbringungsstelle für Beschwerden wegen Verletzung von Rechten durch „Verwenden/Verwendung“ personenbezogener Daten entgegen den Bestimmungen des 4. Teiles des SPG das Gebot fester Zuständigkeitsgrenzen – zumal auch „im Interesse des Bürgers“ liegend – nicht missachte. [33]) Hingegen würden zwei nebeneinander und gleichzeitig geltende inhalts- und voraussetzungsgleiche gesetzliche Verbotsermächtigungen an zwei verschiedene Verwaltungsorgane als miteinander konkurrierende Zuständigkeitsbestimmungen diesem Gebot widerstreiten. Daran würde auch der Umstand nichts ändern, dass dem jeweils anderen Verwaltungsorgan eine Einvernehmenskompetenz bei Erlassung der betroffenen Entscheidung durch das dafür vom Gesetzgeber für zuständig erklärte Verwaltungsorgan eingeräumt werde.

Dazu wäre grundsätzlich auf die Bestimmungen der §§ 20 Abs. 1 und 101 Abs. 1 des Entwurfs zu verweisen, wonach die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren leitet und über dessen Fortgang und Beendigung entscheidet. Auch die Bestimmungen des § 103 der Regierungsvorlage beinhalten keine konkurrierende Zuständigkeit, sondern legen bloß fest, dass es der Kriminalpolizei obliegt, die Anordnungen der Staatsanwaltschaft durchzuführen, und dass die Staatsanwaltschaft ermächtigt ist, auch selbst Ermittlungen durchzuführen oder durch einen Sachverständigen durchführen zu lassen. § 99 Abs. 1 wiederum knüpft an den Grundsatz der Amtswegigkeit an und bestimmt, dass die Kriminalpolizei von Amts wegen oder auf Grund einer Anzeige ermittelt. Zugleich wird in dieser Bestimmung jedoch festgelegt, dass die Kriminalpolizei Anordnungen der Staatsanwaltschaft zu befolgen hat. Dieses „System des beweglichen Zusammenwirkens“ („Kooperationsmodell“) bedeutet noch keine „sich ständig überschneidenden Kompetenzbereiche“, weil die Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen die Anordnungen der Staatsanwaltschaft zu befolgen hat und sie nur insoweit überschreiten darf, als sie sich dadurch nicht in Widerspruch zu Rechtsauffassungen der Staatsanwaltschaft setzt. Insgesamt lassen sich diese Bestimmungen als Ausfluss der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Leitung des Ermittlungsverfahrens begreifen und stellen keine Überschneidung mit den Ermittlungskompetenzen der Kriminalpolizei dar; die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren zu leiten, die Ermittlungen selbst obliegen hingegen grundsätzlich der Kriminalpolizei.

       Anklagegrundsatz – Art. 90 Abs. 2 B-VG

Gegenüber dem der geltenden StPO zu Grunde liegenden Verständnis des Anklagegrundsatzes als formalem Antragsprinzip zur Veranlassung richterlicher Inquisition nach dem Grundsatz „Wo kein Kläger, da kein Richter“ will der Entwurf das materielle Prinzip der Stoffsammlung betonen. Dieses materielle Verständnis des Anklagegrundsatzes wird nach herrschender Lehre mit Art. 90 Abs. 2 B-VG als vereinbar erachtet. [34]) Die der Staatsanwaltschaft übertragene Verantwortung für die Beschuldigung einer bestimmten Person, somit die Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter einen Rechtssatz, setzt eben voraus, dass die Staatsanwaltschaft auch für die Ermittlung dieses Sachverhalts zuständig und verantwortlich ist. Insoweit ist davon auszugehen, dass kein Anpassungsbedarf des Art. 90 Abs. 2 B-VG besteht.

Zudem ist für den zur Auslegung des Art. 90 Abs. 2 B-VG maßgeblichen Versteinerungszeitpunkt [35]) davon auszugehen, dass ein Vorverfahren unter der Leitung des Richters nicht notwendiger Bestandteil des Anklagegrundsatzes ist. Auch die Einschätzung der Lehre aus dem 19. Jahrhundert spricht dafür, die Voruntersuchung nicht als Ausgestaltung des Anklagegrundsatzes, sondern als Relikt aus dem Inquisitionsprozess zu sehen. [36])

Die vorgeschlagene Betrauung der Staatsanwaltschaft mit der Leitung des Ermittlungsverfahrens greift nicht in ein verfassungsrechtlich garantiertes, änderungsfestes Organisations- und Aufgabengefüge ein. Der Grundsatz der Trennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung und das Anklageprinzip als die beiden festen Elemente dieses Gefüges werden durch die Zuweisung von kriminalpolizeilichen Ermittlungsaufgaben an die staatsanwaltschaftlichen Behörden und Organe nicht beeinträchtigt. [37])

      Zum Trennungsgrundsatz (Art. 94 B-VG)

Das Anklageprinzip legitimiert ein Zusammenwirken von Gerichten und Verwaltungsorganen im Strafprozess. Es entspricht dem Anklageprinzip, wenn Verwaltungsbehörden wie die Staatsanwaltschaften zur Strafverfolgung berufen und mit dem Anklagemonopol ausgestattet werden. Die Ausübung dieser Funktion ist selbst noch kein Eingriff in die Gewaltentrennung. Das Anklageprinzip legitimiert aber auch Formen des Zusammenwirkens, die formeller Gewaltentrennung widersprechen, wie zB die Entscheidung über einen Einspruch gegen die Anklageschrift. Hier handelt es sich um einen gewaltenüberschreitenden Instanzenzug, dessen verfassungsrechtliche Legitimation im Hinblick auf Art. 94 B-VG mit Hilfe von historisch-systematischen Überlegungen zu suchen und zu finden ist. Die Ausnahme darf aber nicht extensiv interpretiert werden. [38]) Der vorgesehene Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106), wonach im Ermittlungsverfahren jede Person, die sich durch eine Anordnung oder durch unmittelbaren Zwang in einem subjektiven Recht verletzt fühlt, Einspruch an das Gericht erheben kann, könnte aus diesem Grund mit Art. 94 B-VG nicht vereinbar sein.

      Zur Frage des richterlichen Befehls

Schon nach dem Diskussionsentwurf soll die gerichtliche Bewilligung eines Zwangsmittels als Ermächtigung – regelmäßig – der Staatsanwaltschaft zu verstehen sein, eine bestimmte Anordnung erlassen zu können; sie ist daher Grundlage der konkreten Maßnahme, in der Rahmen, Grenzen und Ziel des Eingriffs zu definieren sind, nicht mehr jedoch (unmittelbare) Anordnung an die Sicherheitsbehörde.

Insoweit könnte daher die Auffassung vertreten werden, dass die Anordnung von Hausdurchsuchungen, von Festnahmen und von Eingriffen in das Post- und Fernmeldegeheimnis „lediglich“ auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung verfassungswidrig wäre. [39]) Schließt man sich dieser Ansicht an, so müssten daher im Art. 4 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, in den §§ 1 und 2 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechts, RGBl. Nr. 88/1862 in der Fassung BGBl. Nr. 422/1974, sowie in den Art. 10 und 10a des Staatsgrundgesetzes, RGBl. Nr. 142/1867 in der Fassung BGBl. Nr. 684/1988, die Worte „richterlicher Befehl“ in der jeweiligen grammatikalischen Form durch die Wendung „gerichtliche Bewilligung“ ersetzt werden. Andernfalls könnte argumentiert werden, der Begriff des „Befehls“ stelle eine historisch zu verstehende Ausdrucksweise dar, deren grundrechtlicher Schutzzweck durch eine gerichtliche Bewilligung in gleicher Weise erreicht werde, weil letztere unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtseingriffs auch als ein bloßes Minus gegenüber dem „Befehl“ verstanden werden könne, das dem gleichfalls grundrechtlich fundierten Verhältnismäßigkeitsgebot noch besser Rechnung trägt.

       Bankgeheimnis

Die Regelung des Bankgeheimnisses nach § 38 Abs. 2 Z 1 BWG kann nach der Verfassungsbestimmung des § 38 Abs. 5 BWG vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen abgeändert werden.

Eine – allerdings bloß „technische“ – Änderung des § 38 Abs. 2 Z 1 BWG ist jedoch erforderlich, weil das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft (und die Kriminalpolizei) geführt werden soll; eine gerichtliche Leitung des Vorverfahrens ist nicht mehr vorgesehen (vgl. demgegenüber § 38 Abs. 2 Z 1 BWG: „Im Zusammenhang mit eingeleiteten gerichtlichen Strafverfahren gegenüber den Strafgerichten …“).

6. Zusätzlicher Reformbedarf

Der Entwurf enthält ein völlig neu gestaltetes strafprozessuales Vorverfahren. Umfangreich erforderliche Folgeänderungen im Bereich der übrigen Teile der StPO (vornehmlich im Haupt- und Rechtsmittelverfahren) werden dort, wo es zum Verständnis erforderlich ist, in den Erläuterungen angesprochen, jedoch im Text selbst nicht berücksichtigt. Diese Folgeänderungen in der StPO und die erforderlichen Anpassungen des StGB (zB bei den Bestimmungen über die Verjährung und iZm der Umwandlung von Antragsdelikten zu Ermächtigungsdelikten) sowie der verfahrensrechtlichen Bestimmungen einer Reihe von strafrechtlichen Nebengesetzen (vor allem des Finanzstrafgesetzes) an die neue Struktur des strafprozessualen Vorverfahrens sollen einem weiteren Reformschritt vorbehalten bleiben, zumal es zweckmäßig erscheint, hiefür die Ergebnisse des Gesetzgebungsverfahrens zur vorliegenden „großen“ Reform zu berücksichtigen.

Besonderer Teil

Zu Z 1 (Neue Bestimmungen der §§ 1 bis 216):

Zum 1. Teil („Allgemeines und Grundsätze des Verfahrens“):

1.1. Zum 1. Hauptstück („Das Strafverfahren und seine Grundsätze“):

Zu § 1 („Das Strafverfahren“):

Mit der Grundsatzbestimmung des § 1 Abs. 1, wonach das Strafverfahren „zur Aufklärung von Straftaten und zur Verfolgung verdächtiger Personen dient“ soll einleitend ein präziser Begriff des Strafverfahrens normiert und die herkömmliche, aber überholte Definition des Prozessbeginns, die noch auf das Inquisi­tionsverfahren zurückgeht, überwunden werden. [40]) „Aufklärung“ und „Verfolgung“ sind insofern untrennbare Begriffe, als jede auf die Klärung des Verdachts einer Straftat gerichtete Tätigkeit einer Strafverfolgungsbehörde auch darauf abzielt, diesen Verdacht einer bestimmten Person zuzuordnen. Des Weiteren wird zum Ausdruck gebracht, dass das derzeitige Stadium der Vorerhebungen auch gegen – zunächst – unbekannte Täter (§§ 87 und 88 StPO, „… die nötigen Anhaltspunkte für die Veranlassung eines Strafverfahrens wider eine bestimmte Person … zu erlangen“) nicht „verfahrensfrei und formlos“, sondern nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu führen ist.

Die Definition der Straftat im zweiten Satz des Abs. 1 macht deutlich, dass das in diesem Bundesgesetz geregelte Verfahren nicht nur auf den Bereich der Kompetenz des Bundes für „Strafrechtswesen“ im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG, sondern auch auf alle Tatbestände anzuwenden ist, die auf Grund der so genannten Adhäsionskompetenz nach Art. 15 Abs. 9 B-VG landesgesetzlich normiert sind. Diese Definition ist darüber hinaus auch für das Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzdelikte maßgebend, für das gemäß § 195 FinStrG grundsätzlich „die allgemeinen Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren“ gelten.

Gegenüber dem Begutachtungsentwurf soll auf dem prozessualen Tatbegriff aufgebaut werden, wobei eine Tat im Sinne des Prozessrechtes nach der Rechtsprechung des OGH stets – aber nicht nur – bei Tateinheit im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB gegeben ist, sodass einander ausschließende oder mit einander real konkurrierende Taten gleichfalls eine Tat im Sinne des Prozessrechtes sein können. Somit kann das Gericht beispielsweise im Fall einer Anklage wegen Diebstahls auch einen Schuldspruch wegen Hehlerei fällen. Dem mit diesem herkömmlichen Verständnis des prozessualen Tatbegriffes (der auch dem Art. 4 des 7. ZP EMRK entspricht) in Einzelfällen verbundene, aus grundrechtlicher Sicht problematische   „Überraschungseffekt“ wurde zuletzt vom OGH durch eine an Art. 6 EMRK orientierte Auslegung des § 281 Abs. 1 Z 8 StPO Rechnung getragen. [41]) Schließlich können die mit der Verwendung des Begriffes „strafbare Handlung“ gelegentlich verbundenen Missverständnisse – etwa dahin gehend, dass im Falle ideell konkurrierender strafbarer Handlungen eine „Teileinstellung“ bzw. ein „Qualifikationsfreispruch“ möglich sei, vermieden werden [42]).

Abs. 2 ist auf das Ziel eines einheitlichen Ermittlungsverfahrens ausgerichtet und enthält darüber hinaus die Abkehr vom herkömmlichen Prozessverständnis: Bereits jede „Erhebung des Sachverhalts“ soll zum Strafverfahren zählen, womit eine Unterscheidung zwischen einer allgemeinen „Vorklärung“ des Verdachts einer Straftat und einer speziellen Untersuchung der Anschuldigung einer bestimmten Person und damit eine „Zweiteilung“ des Verfahrens in eine „formfreie Aufklärungsphase“ und ein „förmliches“ Verfahren keine Berechtigung hat. Ein Strafverfahren nach diesem Bundesgesetz beginnt demnach mit jeder auf den Zweck des Verfahrens ausgerichteten Ermittlung, sohin mit jeder Tätigkeit einer Strafverfolgungsbehörde oder eines ihrer Organe, die auf die Gewinnung und Verwendung von Informationen oder Beweisen zur Aufklärung des Verdachts einer strafbaren Handlung abzielt. Es endet gemäß der neuen Gliederung der Strafprozessordnung mit einer der drei angeführten Arten des Verfolgungsverzichts oder mit gerichtlicher Entscheidung. Der Begriff des „Ermittelns“ erfasst sowohl so genannte „Informa­tionseingriffe“, somit Maßnahmen zur Gewinnung und Verwendung von Informationen, bei deren Anwendung Daten ermittelt, verarbeitet und übermittelt oder auf sonstige Weise verwendet werden, als auch die Aufnahme von Beweisen. [43]) Einer besonderen Erwähnung dieser – im Hinblick auf die beabsichtigte Verwendung des Beweises in der Hauptverhandlung – besonders formalisierten Ermittlung, nämlich jener der Beweismittelsicherung bzw. der Auswertung eines Beweismittels, bedarf es in dieser allgemeinen Bestimmung nicht.

Abs. 2 ist im Zusammenhang mit der Definition des „materiellen Begriffs des Beschuldigten“ (vgl. § 48 Abs. 1 Z 1) zu lesen. Diese hat zur Konsequenz, dass dem Verdächtigen bereits bei der ersten – in der Regel polizeilichen – Ermittlung, die sich unmittelbar gegen ihn richtet, grundsätzlich alle Rechte des Beschuldigten zustehen. Damit übereinstimmend soll jede auf die Aufklärung des Verdachts einer Straftat gerichtete „Ermittlung“ den Beginn des Strafverfahrens markieren und damit der – kritisierten – Lehre vom Prozessrechtsverhältnis eine endgültige Absage erteilen. [44]) Gegenüber dem DE verzichtet die Vorlage in diesem Zusammenhang auf den Begriff der „Verfolgungshandlung“, um das Missverständnis zu vermeiden, dass zwischen Ermittlungen schlechthin und dem Ermittlungsverfahren unterschieden werde; wesentlich ist bloß, dass an die Stelle der formellen Beschuldigung einer Person die materielle Beschuldigung tritt, deren Wirksamkeit keines deklaratorischen Einleitungsbeschlusses bedarf. [45]) Die Stellung als Beschuldigter auf Grund dieser materiellen Qualifikation kann sich einerseits aus der objektiven Verdachtslage, andererseits aus der nach außen hin erkennbaren Vorgangweise der Strafverfolgungsbehörden ergeben, wobei entscheidend ist, ob objektiv erkennbar ist, dass sich die in Betracht kommenden Ermittlungen gegen eine bestimmte Person als möglichen Täter richten. [46])

Durch den Bezug auf den Verdacht einer Straftat wird aber auch die – bereits im geltenden Gesetz verankerte – rechtsstaatliche Funktion des so genannten Anfangsverdachts betont, die den Einzelnen davor schützt, ohne gegebenen Anlass zum Objekt von Ermittlungen zu werden. [47]) Die aus dem Präventionsauftrag abgeleitete (sicherheitspolizeiliche) Aufgabe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten hat dort zu enden, wo konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen.

Abs. 3 verweist darauf, dass die Bestimmungen dieser Verfahrensordnung von im Folgenden dargestellten verfassungsrechtlichen und einfach gesetzlichen Grundsätzen determiniert werden. [48]) Diese sollen einerseits – unbeschadet verfassungsrechtlicher Vorgaben – ein System der Leitprinzipien der reformierten Strafprozessordnung bilden und damit zur Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe bzw. zur Lückenfüllung herangezogen werden können, andererseits – insbesondere für die Ausübung von Befugnissen im Rahmen der Strafverfolgung – den Schutz der Grundrechte gewährleisten und somit auch als Maßstab für die Beweisverwertung dienen. [49]) Insoweit sind sie Normen, die gebieten, dass bestimmten Grundsätzen – im Rahmen der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten – in einem möglichst hohen Maß entsprochen wird. Grundsätze sind demnach Optimierungsgebote und haben programmatischen Charakter, bezeichnen also keinen extremen Standpunkt. Wenn ein Grundsatz proklamiert oder angewendet wird, muss man immer Einschränkungen und Ausnahmen beachten. [50])

Zu § 2 („Amtswegigkeit“):

Die Offizialmaxime und das in ihr ausgedrückte Prinzip der so genannten „materiellen Wahrheitsforschung“ stellen tragende Grundsätze des geltenden Strafprozessrechts dar (vgl. die §§ 2, 3, 87, 88, 96, 206, 254 StPO). Wenngleich die Lehre [51]) eine gelegentlich übermäßige Betonung der Pflicht zur „materiellen Wahrheitsforschung“ durch die Judikatur kritisiert, soll die Bedeutung der Offizialmaxime als Leitgedanke auch in der reformierten Strafprozessordnung anerkannt, dieses Prinzip aber gleichzeitig auf seinen wesentlichen Inhalt reduziert und von den – mit ihm in engem Zusammenhang stehenden – Grundsätzen der Objektivität, des Anklageprinzips, der Verhältnismäßigkeit sowie des Grundsatzes „in dubio pro reo“ deutlicher als bisher abgegrenzt werden.

Der Grundsatz der Offizialmaxime leitet die Aufzählung der Verfahrensprinzipien allerdings nicht wegen einer andere Grundsätze des Verfahrens überragenden Stellung ein, sondern wegen seiner Bedeutung für den Beginn des Strafverfahrens. Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei (vgl. zur Bedeutung dieses Be­griffs § 18) sollen von Amts wegen verpflichtet sein, ein Ermittlungsverfahren zu führen, sobald ihnen der Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung zur Kenntnis gelangt ist. Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat sollen daher die unbedingte und ermessensfreie Pflicht der genannten Strafverfolgungsbehörden und -organe auslösen, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes tätig zu werden (Abs. 1).

Abs. 2 stellt den Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden die wichtigste Aufgabe des Gerichts gegenüber und verweist in diesem Zusammenhang auf das Hauptverfahren, in dem die Bestimmung des § 254 StPO maßgeblich ist. Das Gericht soll die Hauptverhandlung (das gesamte Hauptverfahren) weiterhin zwar auf Grund einer Anklage, aber von Amts wegen einzuleiten und durchzuführen haben; die neue Rolle der Staatsanwaltschaft und vermehrte Mitwirkungsrechte der Beteiligten im Ermittlungsverfahren haben weder eine adversarische Ausgestaltung der Hauptverhandlung zur Konsequenz, noch zielt der Entwurf auf einen solchen Effekt.

Zu § 3 („Objektivität“):

Die gemäß § 3 bestehende Verpflichtung zur unvoreingenommenen Beurteilung aller den Verdächtigen be- und entlastenden Umstände stellt als besonderes Kennzeichen österreichischer Rechtstradition ein wichtiges Element nicht nur richterlichen, sondern auch staatsanwaltlichen Berufsbildes und Selbstverständnisses dar. [52]) Dieser Grundsatz soll daher aus dem geltenden Recht in nahezu unveränderter Form übernommen werden. Er steht zwar in engem Zusammenhang mit der zuvor geregelten Amtswegigkeit, soll jedoch wegen seiner eigenständigen Bedeutung, insbesondere auch wegen seiner Auswirkungen für die kriminalpolizeilichen Ermittlungen, besonders hervorgehoben werden. Die im geltenden Recht enthaltene allgemeine Manuduktionspflicht hingegen kann entfallen, weil der Entwurf im Einzelnen Pflichten zur Belehrung von Beschuldigten und Geschädigten auferlegt (siehe §§ 50 und 69).

Dem Grundsatz der Objektivität und Unvoreingenommenheit wird aber nur dann entsprochen, wenn die ermittelnden Organe über jeden Anschein der Befangenheit erhaben sind („justice must not only be done but also seen to be done“). Im Abs. 2 wird diese – auch verfassungsrechtlich vorgegebene (vgl. Art. 6 Abs. 1 EMRK) – Verpflichtung zur Unparteilichkeit daher für sämtliche am Strafverfahren beteiligten Richter und Organe der Strafverfolgungsbehörden festgehalten.

Zu § 4 („Anklagegrundsatz“):

Der Entwurf geht von der bestehenden Verfassungsrechtslage aus, wonach das Anklageprinzip ein Zusammenwirken von Staatsanwaltschaften mit Gerichten erlaubt, das mit dem Grundsatz der Trennung der Verwaltung von der Gerichtsbarkeit ansonsten nicht vereinbar wäre. [53])

Der Entwurf verbindet mit dem Anklageprinzip im Ermittlungsverfahren das – nach geltendem Recht das Stadium der Vorerhebungen beherrschende – Prinzip amtswegiger Stoffsammlung und eine Bestandsgarantie der Institution Staatsanwaltschaft (Abs. 1). [54]) Die der Staatsanwaltschaft übertragene Verantwortung für die formelle Beschuldigung einer bestimmten Person setzt die Subsumtion eines Sachverhalts unter einen Rechtssatz und somit auch voraus, dass die Staatsanwaltschaft für die Ermittlung dieses Sachverhalts zuständig und – im Rahmen ihrer Aufgaben und Tätigkeiten – (mit)verantwortlich ist. [55])

Die Staatsanwaltschaft soll daher im Ermittlungsverfahren nicht mehr bloß „hinter den Kulissen agieren“ [56]), sondern sie soll sich mit ihrer Entscheidung über Anklage oder sonstige Beendigung des Ermittlungsverfahren weiter identifizieren können, weil sie bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens umfassenden Einfluss auf die Erkenntnisquellen auszuüben vermag. [57])

Dem Argument, die Staatsanwaltschaft würde im Fall engerer Einbindung in die Ermittlungstätigkeit nicht mehr in der Lage sein, objektiv über den Wahrheitsgehalt kriminalpolizeilicher Ermittlungen zu entscheiden, ist entgegenzuhalten, dass auch das erkennende Gericht über einen Stoff entscheidet, für dessen Feststellung es – in der Hauptverhandlung – selbst verantwortlich ist. [58]) Ferner wurde der dem Anklageprinzip unmittelbar vorgelagerte Grundsatz der Objektivität als unverzichtbarer Teil des Leitbildes staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit als maßgebend betont.

Dieses Verständnis von den Wirkungen des Anklageprinzips im Ermittlungsverfahren erlaubt es aber auch, auf die richterliche Voruntersuchung zu verzichten; die Funktion der gerichtlichen Ermittlungen, eine objektive und rechtsförmige Untersuchung zu garantieren, soll die Staatsanwaltschaft übernehmen, deren Organe sich nicht bloß auf Grund gesetzlicher Anordnung, sondern sowohl gemäß ihrem Selbstverständnis als auch wegen ihrer richterlichen Ausbildung als Organe der Rechtspflege begreifen. [59])

Eine lebensnahe Betrachtung muss allerdings bereits bei der einfach gesetzlichen Ausgestaltung des Anklagegrundsatzes anerkennen, dass der materielle Beschuldigtenbegriff und die daran anknüpfende Definition des Beginns des Strafverfahrens in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine Entscheidung oder ausschließliche Verantwortung der Staatsanwaltschaft über den Beginn des Strafverfahrens zulässt; eine Ausdehnung des § 2 Abs. 1 StPO bzw. eine Fortschreibung der Fiktion des § 24 StPO ist daher zu vermeiden. Wesentlich erscheint jedoch, dass sichergestellt wird, dass gegen den ausdrücklichen Willen der Staatsanwaltschaft ein Verfahren nicht geführt werden darf – und zwar weder gegen eine bestimmte Person noch gegen „unbekannte Täter“. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des zweiten und dritten Satzes des Abs. 1 findet sich in den Bestimmungen über kriminalpolizeiliche Berichte (§ 100) und über die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die danach erforderlichen Anordnungen zu treffen sowie über Fortgang und Beendigung des Verfahrens zu entscheiden (§ 101).

Während somit in Abs. 1 die Bestandsgarantie mit einer inhaltsbezogenen Funktionsgarantie verknüpft wird, sollen in den Abs. 2 und 3 das traditionelle Trennungsprinzip und dessen Auswirkungen auf die richterliche Entscheidungsmacht im Stadium der Hauptverhandlung festgehalten werden. [60]) Hinsichtlich des vorgesehenen Entfalls der so genannten Antragsdelikte genügt es, in diesem Zusammenhang einen Vorbehalt bezüglich einer allenfalls erforderlichen Ermächtigung (vgl. § 92) aufzunehmen. Die weiteren Ausnahmen von der ausschließlichen Anklagebefugnis – die Privat- und Subsidiaranklage (§§ 71 und 72) – werden bereits in Abs. 1 klarstellend erwähnt.

Zu § 5 („Gesetz- und Verhältnismäßigkeit“):

Bereits im DE wurde die Einhaltung folgender Grundsätze bei der Erfüllung strafprozessualer Aufgaben gefordert:

      Grundsatz der strikten Aufgabenbindung: Die strafprozessualen Regelungen decken bloß jene Maßnahmen, die der Erfüllung der Ermittlungsaufgabe dienen.

      Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Aufgabenerfüllung: Maßnahmen der Aufgabenerfüllung, die nicht in grundrechtlich geschützte Positionen eingreifen, werden durch eine Generalklausel für zulässig erklärt.

      Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen sind nur zulässig, wenn sie der Aufgabenerfüllung dienen, hiefür erforderlich und angemessen sind.

      Grundsatz der Wahrung der Rechte Betroffener: Bei Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen sind die gesetzlich normierten Rechte der Betroffenen zu wahren.

      Grundsatz der Bestimmtheit (Legalitätsprinzip des Art. 18 B-VG): Grundrechtseingriffe, insbesondere Eingriffe in die persönliche Freiheit, in das Hausrecht, in das Fernmeldegeheimnis, in die Privatsphäre, in das Grundrecht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten und in das Eigentum, und Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie Regelungen und Handlungen, die die rechtliche Position der Verfahrensbeteiligten definieren, bedürfen einer speziellen gesetzlichen Regelung. [61])

In der nun vorgeschlagenen Bestimmung werden die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit zusammengefasst und ihre Geltung auf das gesamte Verfahren ausgedehnt. Bei Ausübung von Zwang verlangen insbesondere der Grundsatz der Unschuldsvermutung und das Grundrecht auf ein faires Verfahren eine vernünftige Beziehung zwischen dem Ausmaß des staatlichen Eingriffs und dem Zweck der eingreifenden Maßnahmen. Ferner müssen die Bedingungen, unter denen zum Zweck der Beweisführung und Beweissicherung Zwang ausgeübt werden darf, im Gesetz umschrieben werden. Diese Bedingungen müssen auch nach der jeweiligen Eingriffsintensität abgestufte Entscheidungs- und Rechtsschutzmechanismen vorsehen, um auf diese Weise anzuerkennen, dass die EMRK nicht theoretische oder illusorische Rechte garantiert, sondern Rechte, die konkret und wirksam sind. [62]) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist aber auch abzuleiten, dass bestimmte Zwangsmaßnahmen einer gerichtlichen Ermächtigung bedürfen; der EGMR erblickt etwa in der Einschaltung richterlicher Entscheidungsgewalt bei Prüfung der Zulässigkeit eines Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK regelmäßig eine Maßnahme, die dem Missbrauch von Befugnissen wirksam begegnen könne. [63])

Neben der strikten Bindung an ihre Aufgaben und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit sollen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht durch Abs. 2 daher auch ausdrücklich verpflichtet werden, die Mittel ihrer Aufgabenerfüllung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszuwählen und derart auszuüben, dass in die Rechte von Personen nur im geringst möglichen Ausmaß eingegriffen wird. [64]) Abs. 2 enthält überdies eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: auch dort, wo die Ausübung von Zwang nach den Grundsätzen des Abs. 1 in concreto zulässig ist, muss von den Befugnissen in einer möglichst schonenden Art und Weise, die insbesondere auch die Würde der betroffenen Person unangetastet lässt, Gebrauch gemacht werden.

Die Bedeutung dieses Grundsatzes liegt ua. darin, dass im Rahmen von Ermittlungen nur dann in Rechte von Personen eingegriffen werden darf, wenn hiefür eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage besteht. Aber auch wenn der Einsatz von Zwangsgewalt gesetzlich zulässig ist, muss im Einzelfall nach den in Abs. 1 und 2 angeführten Kriterien geprüft werden, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist und nicht eine weniger eingreifende Maßnahme für die Erreichung des Ermittlungszwecks zur Verfügung steht. Anders als nach geltendem Recht ist es dadurch – soweit nicht spezifische Ausprägungen erforderlich sind – möglich, bei der Ausgestaltung von Ermittlungsbefugnissen und Zwangsmaßnahmen grundsätzlich bloß auf dieses Prinzip zu verweisen.

Im Abs. 3 soll als besondere Ausprägung der Verpflichtung zur gesetz- und verhältnismäßigen Vorgangsweise bei der Aufklärung von Straftaten das Verbot des „agent provocateur“ des § 25 StPO – wörtlich nahezu unverändert – aufgenommen werden, um einerseits die unzulässige Tatprovokation von den zulässigen Maßnahmen der verdeckten Ermittlung und des Scheingeschäfts komplementär abzugrenzen und andererseits das Verbot des Einsatzes von „Spitzeln“ (etwa Zellengenossen) zum Herauslocken von Geständnissen und damit das Verbot der bewussten Umgehung der strengen Formvorschriften für die Vernehmung eines Beschuldigten zu bekräftigen.

Verstöße der Strafverfolgungsbehörden gegen diese Vorschriften wären – soweit sie nicht strafrechtlich relevant sind – in erster Linie dienstrechtlich und disziplinär zu ahnden. Als sachgerechte Konsequenz in Bezug auf die Strafbarkeit der zur Straftat rechtswidrig provozierten Person (zB des Verkäufers illegaler Drogen) kommt allerdings nicht Straffreiheit, sondern nur Strafminderung in Betracht. Die Einführung eines Nichtigkeitsgrundes unzulässiger Tatprovokation wäre nämlich kaum zu rechtfertigen, weil sich ein – wenn auch rechtswidrig angestifteter – Täter letztlich doch entschlossen hätte, eine (schwere) Straftat zu begehen, und diese versucht oder sogar ausgeführt hätte. Eine Lösung kann daher nur im materiellen Recht gefunden werden, möglicherweise könnte die Tatprovokation sogar in einer dem außerordentlichen Milderungsrecht vergleichbaren Weise berücksichtigt werden. [65]) Auch nach der Judikatur des (deutschen) Bundesgerichtshofs führt die Überschreitung der Grenzen zulässigen Lockspitzeleinsatzes nicht zu einem Verfahrenshindernis eigener Art „wegen Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs“ auf Grund widersprüchlichen Verhaltens staatlicher Organe. Werde eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet, so begründe dies dennoch einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 erster Satz EMRK. Dieser Verstoß sei in den Urteilsgründen festzustellen und bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensieren. Das Maß der Kompensation für das konventionswidrige Handeln sei gesondert zum Ausdruck zu bringen. [66])

Zu den §§ 6 bis 9 („Faires Verfahren – rechtliches Gehör“, „Recht auf Verteidigung“, „Unschuldsvermutung“, „Beschleunigungsgebot“):

Zentralen Regelungsgegenstand des Entwurfs bildet ein Verfahren, das sowohl in seiner Gesamtheit als auch in seinen einzelnen Abschnitten den verfassungsrechtlichen Anforderungen – insbesondere des Art. 6 EMRK – genügt. Mit den in den §§ 6 bis 9 des Entwurfs niedergelegten Grundsätzen werden Teilaspekte des Grundrechts auf ein faires Verfahren auf einfach gesetzliche Ebene transformiert und dadurch besonders akzentuiert. Die Gewährleistung eines fairen Verfahrens soll nicht nur hehres Verfassungsgebot sein, dessen Einhaltung nur unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO ex tunc geprüft werden kann, sondern auch als konkrete, von Amts wegen wahrzunehmende Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden formuliert werden. Ein Verfahren nach der reformierten Strafprozessordnung soll daher nur dann als fair bezeichnet werden können, wenn es im Einzelfall unter Beachtung der Vermutung der Unschuld, zügig und ohne vermeidbare Verzögerung geführt wird und keine Anhörungs-, Beteiligungs- oder Verteidigungsrechte des Beschuldigten umgangen werden. Konkrete Wirkung entfalten diese Grundsätze nicht nur bei der Ausgestaltung der Rechte des Beschuldigten, sondern insbesondere auch im Rahmen der Bestimmungen über seine Vernehmung (§§ 164 ff).

Zu § 6 („Faires Verfahren – rechtliches Gehör“):

Die materielle Stellung des Beschuldigten als zentralem Beteiligten des Verfahrens erfordert, dass ihm umfassende Mitwirkungs- und Teilhaberechte eingeräumt werden. Er muss, um sich wirksam verteidigen zu können, bestimmenden Einfluss auf die Stoffsammlung haben und sich von der unvoreingenommenen Bewertung des Sachverhalts überzeugen können. Das Recht, während der Hauptverhandlung anwesend zu sein, ist ihm daher grundsätzlich einzuräumen (Abs. 1).

Die Durchführung von Ermittlungen und Beweisaufnahmen können aber auch Rechte von Personen berühren, die nicht beschuldigt werden. Auch diese Personen haben – insoweit punktuell – ein schutzwürdiges Interesse daran, ihr Recht oder ihren Anspruch zu verteidigen. Dieses spezifische Verteidigungsinteresse setzt voraus, dass diese Personen über Anlass und Zweck der Maßnahme sowie über ihnen offen stehende Rechtsbehelfe informiert werden und Gelegenheit erhalten, sich zu äußern (Abs. 2).

Zu § 7 („Recht auf Verteidigung“):

In dieser Bestimmungen werden die Mindestanforderungen wirksamer Verteidigung zusammengefasst (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 EMRK und Art. 2 des 7. ZP). Die konkrete Ausgestaltung dieser Anforderungen findet sich in den §§ 48 ff.

Abs. 1 enthält zunächst den unabdingbaren und absoluten Anspruch des Beschuldigten auf freie Verteidigerwahl, der auch das Recht umfasst, sich selbst zu verteidigen.

Abs. 2 enthält als weiteres, die Position des Beschuldigten kennzeichnendes Recht den grundsätzlichen Anspruch, als Subjekt des Verfahrens behandelt zu werden, dh. nur nach seinem freien Willen auszusagen bzw. zu schweigen und die Aussage zu verweigern. Ein Zwang zur Aussage oder die Anwendung unerlaubter (bewusstseinsstörender) Mittel auf die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung zur Erlangung einer Aussage wären mit dem verfassungsrechtlichen Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung unvereinbar. [67])

Zu § 8 („Unschuldsvermutung“):

Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK wird „bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist“. Dieser Nachweis der Schuld kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung nach einem gesetzmäßigen Verfahren (vgl. § 5) erbracht werden. Dieser Grundsatz enthält somit die einfach gesetzliche Ausformung des Verfassungsgebots des Art. 6 Abs. 2 EMRK und soll auch ausschließen, dass im strafprozessualen Bereich, aber auch in anderen Verfahren, für die Beurteilung von Vorfragen Schuldvermutungen aufgestellt werden. Wie bereits erwähnt entfaltet die Vermutung der Unschuld auch Wirkungen auf die Ausgestaltung einzelner Ermittlungsbefugnisse. Zwangsmaßnahmen, insbesondere die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, dürfen daher keine die Strafe vorwegnehmende Wirkung entfalten. [68])

Zu § 9 („Beschleunigungsgebot“):

Abs. 1 wiederholt das verfassungsrechtliche Gebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK, wonach Strafverfahren stets in angemessener Zeit abzuschließen sind. [69]) Auch unter dem Blickwinkel der primären Aufgabe des Verfahrens, nämlich der Rechtsdurchsetzung, erscheint der angemessen rasche Abschluss des Verfahrens als vorrangig. Jede Prozessreform muss darauf bedacht sein, Beschleunigung und Wahrheitsfindung auszubalancieren und beide Ziele im größtmöglichen Umfang zu erreichen. [70])

Eine Verletzung des Grundsatzes der Beschleunigung soll allerdings – wie nach geltendem Recht – grundsätzlich nicht zu einem durchsetzbaren Anspruch auf Einstellung des Verfahrens führen. Lediglich in extremen Fällen, in denen weitere Ermittlungen eine notwendige Verdichtung der Verdachtslage vernünftigerweise nicht (mehr) erwarten lassen, soll das Verfahren beendet werden und der Beschuldigte das Recht haben, dies geltend zu machen und durchzusetzen (vgl. Antrag auf Einstellung und Einspruch gegen die Anklageschrift; § 108 Abs. 1 Z 2 bzw. §§ 212 Z 2 und 215 Abs. 2).

Abs. 2 entspricht dem mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, betonten und seitdem auch in der gerichtlichen Praxis wirksam gewordenen Gebot der vorrangigen Behandlung von Verfahren, in denen sich der Beschuldigte in Haft befindet. [71]) Die Bestimmung dient auch der Umsetzung der Verfassungsgebote der Art. 5 Abs. 1 PersFrG und Art. 5 Abs. 3 zweiter Satz EMRK.

Zu § 10 („Beteiligung der Geschädigten“):

Die Reform des Vorverfahrens verfolgt auch das Ziel, die verfahrensrechtliche Position der durch strafbare Handlungen Verletzten zu verbessern. In einer Grundsatzbestimmung soll daher zum Ausdruck gebracht werden, dass die geschädigte Person – soweit sie dies wünscht – am Verfahren zu beteiligen ist. Näheres hiezu wird in den Bestimmungen des 4. Hauptstückes ausgeführt.

Unabhängig von einer formellen Verfahrensbeteiligung soll die durch eine strafbare Handlung geschädigte Person jedenfalls umfassend über ihre Rechte im Verfahren und über ihre Möglichkeiten, materielle und immaterielle Hilfe zu erlangen, informiert werden (Abs. 2).

Abs. 3 übernimmt den Inhalt der – im Rahmen der Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr. 55 („Diversion“), eingeführten – Bestimmung des § 90i StPO; gerade in Fällen einer Verfahrenserledigung ohne Durchführung einer Hauptverhandlung haben geschädigte Personen, deren berechtigte Interessen durch diversionelles Vorgehen nicht geschmälert werden dürfen, besonderen Informationsbedarf.

Zu § 11 („Geschworene und Schöffen“);

Diese Bestimmung enthält die einfachgesetzliche Umsetzung des Grundsatzes des Art. 91 B-VG; es scheint nach wie vor wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil bürgernaher Rechtsprechung zu sein, dass an ihr Personen „aus dem Volk“ beteiligt werden. Der Entwurf übersieht keineswegs die mannigfaltige Kritik am derzeitigen System der Laiengerichtsbarkeit, insbesondere an der Geschworenengerichtsbarkeit [72]), vermeint jedoch, dass die Umsetzung der als dringend zu bewertenden Reform des Vorverfahrens gefährdet wäre, wenn eine Reform der Laiengerichtsbarkeit und damit unweigerlich auch eine Reform des Systems der Nichtigkeitsgründe (§ 281 StPO) verbunden würde; dies soll künftigen Reformschritten vorbehalten bleiben. Um jedoch den Eindruck einer Identifikation des vorliegenden Entwurfs mit der Problematik des Geschworenenverfahrens zu vermeiden, wird der Grundsatz der Laienbeteiligung bewusst nicht wortgleich mit Art. 91 Abs. 2 B-VG („… entscheiden Geschworene über die Schuld des Angeklagten“) formuliert.

Um einem möglichen Gefühl subjektiver Überforderung bei der Mitwirkung an der Entscheidung über Schuld und Strafe eines Menschen entgegenzuwirken, soll im Abs. 2 der Anspruch der Geschworenen und Schöffen auf rechtzeitige und angemessene Vorbereitung durch entsprechende Information hervorgehoben werden (vgl. §§ 8 und 14 GSchG).

Zu den §§ 12 bis 15 („Mündlichkeit und Öffentlichkeit“, „Unmittelbarkeit“, „freie Beweiswürdigung „ und „Vorfragen“);

Die Grundsätze der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit, der Unmittelbarkeit, der freien Beweiswürdigung und der selbständigen Beurteilung von Vorfragen (Art. 90 Abs. 1 B-VG; Art. 6 Abs. 1 EMRK; §§ 5, 228, 252 und 258 StPO) stellen tragende Prinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechts dar und sollen in ihrer Bedeutung für eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Verfahrensrechts durch die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens keine Änderung erfahren, sondern unter Berücksichtigung jüngerer Judikatur der Höchstgerichte und des EGMR lediglich in mancher Hinsicht stärker akzentuiert werden.

Zu § 12 („Mündlichkeit und Öffentlichkeit“):

Das Prinzip der Mündlichkeit als Grundlage des § 258 StPO, dem zu Folge das Gericht sein Urteil nur auf das stützen darf, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist, soll hervorgehoben werden.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist in Art 90 Abs. 1 B-VG, wonach die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht öffentlich sind, und in Art 6 Abs. 1 EMRK, wonach jedermann Anspruch darauf hat, dass das Urteil über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage öffentlich verkündet wird, verfassungsrechtlich verankert. Öffentlichkeit bedeutet, dass grundsätzlich jedermann an der Verhandlung teilnehmen kann; man spricht in diesem Zusammenhang von Volksöffentlichkeit im Gegensatz zur Parteiöffentlichkeit. Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die Kontrolle, die das Volk bzw. die Allgemeinheit ausüben können soll.

Rechtsstaat und Demokratie bedürfen der Öffentlichkeit. Freilich kann der Grundsatz der Öffentlichkeit kein schrankenloser sein, er muss vielmehr mit den Persönlichkeitsrechten, insbesondere mit jenem auf Wahrung und Achtung der Menschenwürde, abgewogen werden. Denn so sehr die Öffentlichkeit Garant für die Durchführung eines „fairen Prozesses“ sein kann und damit dem Einzelnen gewährleistet, dass er nicht einer „Geheim- oder Kabinettsjustiz“ ausgeliefert wird, so sehr kann mit Öffentlichkeit auch ein Eingriff in die Würde als Mensch verbunden sein.

Beschränkungen des so verstandenen Öffentlichkeitsgrundsatzes sind auf mehreren Ebenen denkbar: zum einen handelt es sich dabei um Beschränkungen, die dem in Art 90 Abs. 1 B-VG verankerten Öffentlichkeitsgrundsatz immanent sind, zum anderen sind darunter die Beschränkungen zu verstehen, die vom Gesetzesvorbehalt des Art 90 Abs. 1 Satz 2 B-VG umfasst sind. Bei den immanenten Beschränkungen ist zuerst an praktische Gegebenheiten zu denken, die nur ein gewisses Ausmaß an Öffentlichkeit zulassen. Ein Ausschluss einzelner Personen aus Platzmangel ist daher solange unbedenklich, als nicht bloß im Vorhinein bestimmte Zuhörer eingelassen werden. Aber auch die einfach gesetzliche Einschränkung auf erwachsene Personen in § 228 StPO kann – im Hinblick auf ihr Bestehen zum Zeitpunkt der Schaffung des B-VG – als Bestandteil des Art 90 Abs. 1 Satz 1 B-VG betrachtet werden. Die Vorschrift, als Zuhörer unbewaffnet sein zu müssen (vgl. § 228 StPO), stellt keine Einschränkung des Art 90 Abs. 1 B-VG dar, weil jede zum Waffentragen verpflichtete Person das Recht hat, mit dieser Waffe an der Verhandlung teilzunehmen. Anderen Personen steht es frei, die Waffe abzulegen. [73]) Die nach § 229 StPO und anderen gesetzlichen Anordnungen bestehenden Möglichkeiten, einen Ausschluss der Öffentlichkeit zu verfügen, werden durch den Entwurf nicht verändert. [74])

Zwecks Klarstellung und zur Abgrenzung zwischen den einzelnen Abschnitten des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung soll die Geltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit auf dieses Verfahrensstadium beschränkt bleiben. Das Ermittlungsverfahren soll weiterhin grundsätzlich nicht öffentlich geführt werden, jedoch unter Beachtung des Prinzips der so genannten Parteiöffentlichkeit, insbesondere im Falle von Beweisaufnahmen, die in der Hauptverhandlung nicht mehr wiederholt werden können. [75])

Zu § 13 („Unmittelbarkeit“):

Die beabsichtigte Reform des strafprozessualen Vorverfahrens bedingt, dass die Diskussion auf diesen Verfahrensabschnitt fokussiert. Die grundsätzliche rechtliche Anerkennung der Vorwirkungen der Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden und ihres (mit)bestimmenden Einflusses auf die Qualität der in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Beweise soll keineswegs die unabhängige richterliche Erkenntnistätigkeit auf Grund öffentlicher und mündlicher Verhandlung abwerten, ganz im Gegenteil. [76])

Die Hauptverhandlung soll daher weiterhin den Schwerpunkt des gerichtlichen Verfahrens bilden. [77]) In ihr sind – grundsätzlich – alle entscheidungswesentlichen Tatsachen unmittelbar zu klären. Dem Ermittlungsverfahren kommt insoweit bloß vorbereitende und unterstützende Funktion zu; in ihm ist primär sicherzustellen, dass die Staatsanwaltschaft rasch und zuverlässig über seine Beendigung, sei es durch Einstellung, durch Rücktritt von der Verfolgung oder durch Anklage, entscheiden kann. Die Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren ist daher funktionell auf diesen Zweck zu beschränken; der unmittelbaren Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ist Vorrang einzuräumen.

Das Gericht darf im Urteil nur verwerten, was es in der Hauptverhandlung unmittelbar als Beweis aufgenommen hat. [78]) Soweit nach den maßgebenden Bestimmungen der §§ 245 und 252 StPO eine Verlesung zulässig ist, gilt eine solche freilich auch als unmittelbare Beweisaufnahme im formellen Sinne.

Abs. 3 soll das schon bisher aus den Verlesungsbeschränkungen der oben erwähnten Bestimmungen abgeleitete Prinzip betonen, dass das Gericht – soweit wie möglich – die primären Beweismittel aufzunehmen hat und sich nicht mit Surrogaten begnügen darf. Die Unmittelbarkeit im materiellen Sinne verlangt, dass die tatnächsten Beweismittel und nicht Erkenntnisse „aus dritter Hand“ in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Insbesondere für den Zeugenbeweis gilt daher, dass das Gericht Zeugen grundsätzlich in der Hauptverhandlung persönlich und unmittelbar zu befragen hat; ihre Aussage darf grundsätzlich nicht durch tatfernere, mittelbare Beweise ersetzt werden. Damit wird sowohl den Zwecken der Wahrheitsfindung gedient als auch das den Parteien durch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK eingeräumte Fragerecht gewährleistet. [79]) Allerdings kann ein Verbot des „Zeugen vom Hörensagen“ bei realitätsnaher Betrachtung nicht absolut angeordnet werden; wenn unter den Bedingungen des § 252 Abs. 2 StPO ein Protokoll über eine Vernehmung verlesen werden darf, dann ist gemäß § 252 Abs. 4 StPO auch die Vernehmung eines „Zeugen vom Hörensagen“ zulässig.

Zu § 14 („Freie Beweiswürdigung“):

Nach diesem Prinzip hat das Gericht die Beweismittel auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen. [80]) Über die Frage, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist, entscheiden die Richter nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, sondern „nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismitteln gewonnenen Überzeugung“ (§ 258 Abs. 2 StPO). Dabei muss ein Überzeugungsgrad vorliegen, der keine objektiv vernünftigen Zweifel bestehen lässt. Die gezogenen Schlussfolgerungen müssen schlüssig und zureichend begründet sein und dürfen weder den logischen Denkgesetzen noch allgemeiner Lebenserfahrung widersprechen. Innerhalb dieses Rahmens hat das Gericht jedoch „freies“ Ermessen; der „Indizienbeweis“ soll nach wie vor gültig sein. Dem Grundsatz wird daher entsprochen, wenn das Gericht die entscheidungswesentlichen Tatsachen in der Urteilsbegründung sowohl formal korrekt (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) als auch inhaltlich überzeugend (§ 281 Abs. 1 Z 5a StPO) darstellt. [81])

Kann dem Angeklagten dem zu Folge die Tat nicht bewiesen werden, soll nach dem nun ausdrücklich in das Gesetz aufgenommenen Grundsatz „in dubio pro reo“ die Vermutung Platz greifen, dass er die Tat nicht begangen habe. Dieser Grundsatz hat in Bezug auf Tatsachenfeststellungen auch insofern zu gelten, ob der Angeklagte einen qualifizierten Tatbestand verwirklicht oder die Tat bloß versucht oder vollendet oder – beispielsweise – in Notwehr gehandelt hat. Im Übrigen darf aus ihm nicht abgeleitet werden, dass sich das Gericht bei mehreren denkbaren Schlussfolgerungen in jedem Fall für die dem Angeklagten günstigste entscheiden müsste.

Zu § 15 („Vorfragen“):

Vorfragen sollen im Strafverfahren grundsätzlich selbstständig beurteilt werden, ohne dass das Gericht an Erkenntnisse anderer Behörden gebunden wäre oder diese abwarten müsste. [82]) Allerdings soll unnötiger Aufwand vermieden werden und sind zuständige Behörden in der Regel eher prädestiniert, rasch eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Diese soll daher abgewartet werden können, wenn in Kürze mit ihr zu rechnen ist.

An Entscheidungen der Zivilgerichte, soweit sie privatrechtliche Rechte und Pflichten begründen, sollen die Strafgerichte jedoch weiterhin gebunden sein; Gleiches soll für rechtsgestaltende Entscheidungen von Gerichten und anderen Behörden (zB über Verleihung der Staatsbürgerschaft) gelten. [83])

Zu den §§ 16 und 17 („Verbot der Verschlechterung“ und „Verbot wiederholter Strafverfolgung“):

In diesen Bestimmungen sollen für das Rechtsmittelverfahren bedeutsame Grundsätze hervorgehoben werden. Das derzeit im § 290 Abs. 2 StPO verankerte „Verschlimmerungs-“ oder „Verschlechterungsverbot“ soll auf alle Entscheidungen der Gerichte ausgedehnt werden, die auf Grund eines einzig und allein zu Gunsten des Angeklagten ergriffenen erfolgreichen Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs ergehen. Der Beschuldigte soll kein Risiko eingehen müssen, wenn er einen Rechtsbehelf (Einspruch oder Einspruch gegen die Anklageschrift) oder ein Rechtsmittel ergreift. [84])

Hinsichtlich der umstrittenen Wirkungen dieses Verbots nach geltendem Recht bekennt sich der Entwurf zur älteren Auffassung, der zu Folge eine unrichtige Anwendung des Gesetzes, die durch die Staatsanwaltschaft nicht bekämpft wurde, niemals und in keiner Richtung zum Nachteil des Beschuldigten behoben werden darf (Gesamtbetrachtung: „… Inhalt … gerichtlicher Entscheidungen“). [85]) Entgegen der herrschenden Rechtsprechung soll daher auch eine Verurteilung wegen einer schwereren Tat bei gleich bleibender Strafhöhe dem angeführten Verbot widersprechen. [86])

Schließlich soll der – im Gegensatz zu internationalen Verträgen (vgl. Art. 54 SDÜ) – im geltenden Recht nicht ausdrücklich angesprochene Grundsatz, dass durch ein rechtskräftiges Urteil das Verfolgungsrecht verbraucht wird und daher kein weiteres Verfahren stattfinden darf, im Gesetz verankert werden.

1.2. Zum 2. Hauptstück („Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht“):

In diesem Hauptstück werden Struktur und Zuständigkeit der am Strafverfahren beteiligten Behörden und Gerichte erläutert, wobei – wie auch im Folgenden – dem üblichen Verfahrensablauf (Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) gefolgt wird.

1.2.1. Zum 1. Abschnitt („Kriminalpolizei“):

Während der DE organisationsrechtliche Fragen der Sicherheitsbehörden noch ausklammern konnte und die Begriffe Sicherheitsbehörden und Sicherheitsorgane im Sinne des geltenden Rechts verwendete (vgl. DE, V 20), muss eine reformierte Strafprozessordnung auch die Behörden und Organe definieren, deren Agieren für das dem Entwurf zu Grunde liegende Kooperationsmodell zwischen Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörden konstitutiv ist. Dabei muss die – zugleich mit dem In-Kraft-Treten des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1992, am 1. Mai 1993 – vorgenommene organisationsrechtliche, aber auch aufgabenbezogene Verankerung der Sicherheitsbehörden (und der Wachkörper) im 3. Abschnitt des 3. Hauptstückes des B-VG (Art. 78a bis Art. 78d B-VG) berücksichtigt werden, durch die insbesondere im Zusammenhang mit der Neufassung des Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG eine verfassungsrechtliche Absicherung der Sicherheitsbehörden des Bundes erfolgte, indem jene Behörden explizit aufgezählt werden, die für den Bund Sicherheitsagenden besorgen. [87])

Das Strafverfahrensrecht ist jedoch kompetenzrechtlich dem Tatbestand „Strafrechtswesen“ (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG) zugeordnet, was auch – mit den im Allgemeinen Teil der Erläuterungen erwähnten und dort näher ausgeführten Einschränkungen – für das Vorverfahren einschließlich der Tätigkeit der Sicherheitsbehörden im Dienste der Strafjustiz gilt. [88]) Mit der neuen Definition der Sicherheitspolizei auf Verfassungsebene wurde somit auch klargestellt, dass die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten durch Sicherheitsbehörden und ihre Organe – ungeachtet bestehender Überschneidungen – dem Strafrechtswesen und nicht der Sicherheitspolizei zuzuordnen sind.

Zu § 18 („Kriminalpolizei“):

Die – insbesondere auf Grund ihrer Verknüpfung mit dem Anklageprinzip bedeutsame – Zuordnung kriminalpolizeilicher Aufgabenerfüllung zum Strafrechtswesen und ihre Abgrenzung von sicherheitspolizeilicher Tätigkeit soll auch in einer eigenständigen Begriffsbildung ihren Niederschlag finden. Im Sinne der von mehreren Seiten erhobenen Vorschläge soll der Begriff „Kriminalpolizei“ zunächst als funktioneller Oberbegriff polizeilicher Tätigkeiten im Dienste der Strafrechtspflege eingeführt werden. [89])

Zugleich soll damit jedoch auch die eigenständige kriminalpolizeiliche Aufgabe inhaltlich definiert werden. Die sachliche Zuständigkeit der „Kriminalpolizei“ im Ermittlungsverfahren besteht also nicht etwa darin, in einer formfreien „Aufklärungsphase“ festzustellen, ob hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen eine bestimmte Person vorliegen. Denn sobald sich im Zuge einer Sachverhaltsaufnahme hinreichende Verdachtsgründe einer strafbaren Handlung ergeben („Anfangsverdacht“), wird die kriminalpolizeiliche Aufgabenstellung der Aufklärung strafbarer Handlungen im Sinne einer mehr oder minder rechtsförmigen Aufbereitung ihres Ermittlungsergebnisses für die Behörden der Strafjustiz wirksam und ist von den hiezu berufenen – in Abs. 2 angeführten – Behörden und Organen wahrzunehmen. Auf die im Begutachtungsentwurf noch enthaltene demonstrative Aufzählung jener Tätigkeiten, die der eigenverantwortlich wahrzunehmenden kriminalpolizeilichen Aufgabenerfüllung dienen, wird verzichtet, weil die Befugnisse der Kriminalpolizei im Rahmen dieses Entwurfs ohnedies eingehend geregelt werden (vgl. die §§ 99 ff und die Bestimmungen des 8. Hauptstückes).

Im Abs. 2 wird zunächst den Sicherheitsbehörden die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben übertragen. Der Entwurf bedient sich dabei der Technik des Verweises auf die Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung, weil grundsätzlich auf bestehende Behörden und deren Exekutivorgane zurückgegriffen und nicht in die Organisationshoheit des Bundesministeriums für Inneres eingegriffen werden soll. Dadurch soll auch der erforderliche organisatorische Spielraum für die Neustrukturierung des Kriminaldienstes gewahrt bleiben. Aus demselben Grund kann auch auf eine nähere Normierung der jeweiligen sachlichen und örtlichen Zuständigkeiten verzichtet werden [90]).

Wie bereits im Allgemeinen Teil der Erläuterungen erwähnt, sollen Anpassungen in strafrechtlichen Nebengesetzes einem weiteren Reformschritt vorbehalten bleiben. Die Stellung der Finanzstraf- und Zollbehörden wäre ebenso wie die Stellung der Lebensmitteluntersuchungsanstalten und ihrer Kontrollorgane auf diese Bestimmung in der jeweiligen gesetzlichen Regelung (FinStrG bzw. LMG) abzustimmen.

Schließlich soll im Abs. 3 ein für den gesamten Entwurf bedeutsamer Begriff definiert werden: „Kriminalpolizei“ soll nicht nur eine bestimmte Funktion umschreiben, sondern auch im Sinne einer sprachlichen Vereinfachung alle im Abs. 2 zur Wahrnehmung der Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege berufenen Behörden und Organe umfassen. [91]) Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden stehen daher auch grundsätzlich ihren Organen zu (Abs. 2 zweiter Satz). Soweit daher in einer Bestimmung des Entwurfs ohne weitere Differenzierung eine bestimmte Befugnis der „Kriminalpolizei“ zur Aufgabenerfüllung übertragen wird (vgl. zB § 110 Abs. 3), wird damit sowohl die Behörde ermächtigt, ihren Organen die Durchführung aufzutragen, als auch das einzelne kriminalpolizeiliche Organ ermächtigt, diese Befugnis von sich aus auszuüben.

1.2.2. Zum 2. Abschnitt („Staatsanwaltschaftliche Behörden“):

Die Staatsanwaltschaft ist eine zur Wahrung der Staatsinteressen berufene Behörde, deren vorrangige Aufgabe es ist, im Rahmen staatlicher Verwaltung die Strafverfolgung wahrzunehmen. Unter dem Begriff Justiz bzw. Rechtspflege ist die Staatsanwaltschaft als Justizbehörde im weiteren Sinne der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Ebenso wie das Gericht hat sie für unparteiische Ermittlung der Wahrheit zu sorgen.

Die Aufgabenzuteilung an die Staatsanwaltschaft stellt ein wesentliches Strukturelement des Vorverfahrens dar. Die programmatische Anordnung des Art. 90 Abs. 2 B-VG („Im Strafverfahren gilt der Anklageprozess“) bedeutet, dass die Funktion des Anklägers und des Richters im Strafverfahren getrennt sein müssen. Im Zusammenhang mit den einfach gesetzlichen – zur Zeit des In-Kraft-Tretens des Bundes-Verfassungsgesetzes bereits in Geltung stehenden – Bestimmungen der geltenden Strafprozessordnung ergibt sich daraus weiters der Grundsatz, dass ein gerichtliches Strafverfahren nur eingeleitet und fortgesetzt werden darf, soweit es von einer entsprechenden Willensäußerung des dazu berechtigten Anklägers getragen ist. Die objektive Aufbereitung der Beschuldigung durch die Staatsanwaltschaft und ihre endgültige Beurteilung durch das Gericht machen die inhaltliche Aufgabenverteilung des prozessualen Gewaltenteilungsprinzips aus. Die Staatsanwaltschaft ist (im Ermittlungsverfahren) weder Gegnerin des Beschuldigten noch des Gerichts [92]); sie soll vielmehr das Bindeglied zwischen kriminalpolizeilichen Ermittlungen und dem gerichtlichen Hauptverfahren bilden. [93])

Der Entwurf definiert die Rolle der Staatsanwaltschaft durch Anknüpfung an die sich bereits aus dem Anklageprozess ergebende strikte Absage an das Inquisitionsprinzip und will damit eine klarere Trennung von Strafverfolgung und Strafentscheidung als das geltende Recht gewährleisten. Die Stellung der Staatsanwaltschaft soll im Sinne des bereits vom Strafprozessänderungsgesetz 1993 eingeschlagenen Weges systemkonsequent weiter entwickelt werden. [94])

Die Bestimmungen der §§ 19 ff fassen Organisation und Zuständigkeit der staatsanwaltschaftlichen Behörden zusammen. Vom materiellen Verständnis des Anklageprinzips ausgehend wird die Staatsanwaltschaft nicht auf eine bloße Transportfunktion verwiesen, sondern es werden vielmehr sämtliche Aufgaben, die sich für diese Behörde und ihre Organe im Strafprozess ergeben, nämlich die Gesamtverantwortung für das Zustandekommen, den Inhalt und den Umfang der Anklage festgelegt, und ihre Funktion im Haupt- und Rechtsmittelverfahren umschrieben. [95])

Zu § 19 („Allgemeines“):

Staatsanwaltschaften sind Justizverwaltungsbehörden, die nach dem monokratischen System eingerichtet sind. Sie sind einheitlich und unteilbar und den Strafgerichten neben geordnet. Ihre umfassende organisations- und dienstrechtliche Regelung erfuhren die staatsanwaltschaftlichen Behörden vor allem durch das Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG, BGBl. Nr. 164/1986) und in der Verordnung zu dessen Durchführung (DV-StAG, BGBl. Nr. 338/1986).

Im Hinblick auf die Bestimmungen des StAG gibt § 19 lediglich einen Überblick über die Zuordnung der einzelnen Organisationseinheiten zu den unterschiedlichen Gerichtstypen (Abs. 1) und beschränkt sich im Übrigen auf den Verweis der subsidiären Anwendbarkeit des StAG (Abs. 3). Die Staatsanwaltschaft am Sitz des Landesgerichts untersteht der Oberstaatsanwaltschaft am Sitz des Oberlandesgerichts und beide sind direkt dem Bundesminister für Justiz als Spitze dieser Hierarchie unter geordnet (§ 2 Abs. 1 letzter Satz StAG). Im Besonderen soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Staatsanwälte als Organe der Rechtspflege fungieren.

Zu den §§ 20 bis 22 („Sachliche Zuständigkeit“):

Zu § 20:

Abs. 1 umschreibt (als Nachfolgebestimmung des § 31 StPO) den sachlichen Kompetenzbereich der bei den Landesgerichten eingerichteten Staatsanwaltschaften abschließend. Für das Ermittlungsverfahren wird der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht die Aufgabe zugewiesen, diesen Verfahrensabschnitt zu leiten und über seinen Abschluss zu entscheiden.

Bereits der DE bekannte sich zu einer „Leitung des Ermittlungsverfahrens“ durch die Staatsanwaltschaft (§ E 2 DE). Dieser Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nicht etwa bloß Antragstellerin und damit (Organ-)Partei eines gerichtlichen oder etwa kriminalpolizeilichen Verfahrens, sondern – im Sinne des Anklageprinzips – für Umfang und Inhalt der von ihr veranlassten oder mit ihrer Kenntnis durchgeführten Ermittlungen und deren Ergebnis verantwortlich ist. [96]) Während die Kriminalpolizei die Ermittlungen in faktischer Hinsicht bestimmen soll, soll es primäre Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein, den dynamischen Prozess des Vorverfahrens in rechtlicher Hinsicht zu dominieren und gegebenenfalls die dafür erforderlichen Anordnungen zu treffen, Genehmigungen zu erteilen und Anträge bei Gericht zu stellen.

Das materielle Verständnis vom Anklageprinzip begünstigt eine solche Neuorientierung, weil aus diesem Prinzip auch nach geltendem Recht abzuleiten ist, dass die Staatsanwaltschaft grundsätzlich berechtigt (aber auch verpflichtet) ist, alle Erhebungen pflegen zu lassen, die ihrer Entscheidung dienen, ob sie „wider eine bestimmte Person das Strafverfahren … veranlassen“ (§ 90 Abs. 1 StPO) oder die Anzeige zurücklegen soll. Der Staatsanwaltschaft muss es daher möglich sein, Art und Umfang der für diese Entscheidung erforderlichen Informationen zu bestimmen.

Ein wesentliches Ziel ist es, die – schon auf Grund historischer Entwicklung irreversible – „faktische Dominanz“ kriminalpolizeilicher Ermittlungstätigkeit sowie die Eigenverantwortlichkeit der Kriminalpolizei als Strafverfolgungsbehörde anzuerkennen und legistisch umzusetzen (vgl. die §§ 18 und 99), gleichzeitig aber durch begleitende Kontroll- und Einflussmöglichkeiten die rechtliche Dominanz der Staatsanwaltschaft in den Vordergrund zu rücken.

Auch mit der Festlegung, dass ausschließlich die Staatsanwaltschaft berufen ist, öffentliche Anklage einzubringen (§ 20 Abs. 1 zweiter Satz), bezieht sich die zentrale Regelung staatsanwaltschaftlicher  Agenden auf die verfassungsrechtliche Garantie des Anklageprinzips im oben genannten Sinne. [97])

Nach § 31 letzter Satz StPO erstreckt sich der Geschäftskreis des Staatsanwalts beim Gerichtshof erster Instanz auch auf die Beteiligung an den vor die Bezirksgerichte „gehörigen“ Verhandlungen. Damit in engem Zusammenhang steht die Bestimmung des § 4 Abs. 1 erster Satz StAG, wonach der Staatsanwaltschaft bei dem in Strafsachen tätigen Gerichtshof erster Instanz auch die Anklagevertretung vor den Bezirksgerichten im Sprengel dieses Gerichtshofes obliegt. Angesprochen wird damit jede Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Bereich solcher Delikte, die – bezogen auf das Hauptverfahren – in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit fallen würden. [98])

Gemäß § 4 Abs. 1 letzter Satz StAG können die Leiter der Staatsanwaltschaften die Behandlung der staatsanwaltschaftlichen Geschäfte im bezirksgerichtlichen Bereich unter bestimmten Voraussetzungen (§ 41 Abs. 2 DV-StAG) Bezirksanwälten übertragen, die als Beamte des Fachdienstes oder in gleichartiger Verwendung stehende Vertragsbedienstete (§ 4 Abs. 2 StAG) in Ausübung dieser Befugnisse Staatsanwälten direkt untergeordnet sind (§ 4 Abs. 1 letzter Satz StAG). Vor allem die Einführung diversioneller Erledigungsformen in die Strafprozessordnung mit der Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr. 55, und der damit verbundene Entfall der (bezirks-)gerichtlichen Strafverfügung zog eine Ausweitung staatsanwaltschaftlicher Entscheidungsbefugnisse und damit eine nicht unbeträchtliche Aufwertung der Funktionen der Bezirksanwälte nach sich.

In § 20 Abs. 2 findet die organisatorische Anordnung des § 4 Abs. 1 letzter Satz StAG ihre strafprozessuale Verankerung. Eine bezirksgerichtliche Zuständigkeit im Vorverfahren ist nicht mehr vorgesehen, alle diesbezüglichen gerichtlichen Aufgaben im Ermittlungsverfahren werden in die Kompetenz des Landesgerichts verschoben (vgl. § 29 Abs. 1).

Die Diktion des § 4 Abs. 1 letzter Satz StAG, wonach die Vertretung der Anklage Bezirksanwälten übertragen werden kann, wird grundsätzlich beibehalten (§ 20 Abs. 2), mit dem Hinweis auf das Staatsanwaltschaftsgesetz wird aber weiterhin von der bestehenden Aufgabenverteilung zwischen Staats- und Bezirksanwälten ausgegangen. Allenfalls gewünschte Änderungen wären in erster Linie dienstrechtlicher Natur und daher im Staatsanwaltschaftsgesetz vorzunehmen.

§ 20 Abs. 3 legt die generelle sachliche Kompetenz der Staatsanwaltschaft für Rechtshilfeersuchen fest und regelt die entsprechende örtliche Zuständigkeit. Die jeweilige Staatsanwaltschaft soll nur für solche Rechtshilfeersuchen zuständig sein, welche in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, andere hat sie an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.

Zu § 21:

§ 21 enthält den normativen Inhalt des § 32 StPO zum Kompetenzbereich der Oberstaatsanwaltschaft. Weitere Befugnisse der Oberstaatsanwaltschaft, wie etwa das Substitutionsrecht, ergeben sich aus dem Staatsanwaltschaftsgesetz (§ 2 Abs. 2 letzter Satz).

Zu § 22:

§ 22 umschreibt – in Anlehnung an das geltende Recht (§ 33 Abs. 1 StPO) – den Geschäftskreis der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof und hebt hervor, dass die Generalprokuratur nicht als Anklagebehörde einschreitet, sondern – quasi als „Hüterin des Rechts“ – die Interessen des Staates in der Strafrechtspflege wahrt. [99]) Die Generalprokuratur ist zwar eine staatsanwaltschaftliche, aber insofern keine Strafverfolgungsbehörde, als ihr eine Disposition über das Anklagerecht nicht zukommt, so dass es ihr nicht zusteht, ein Rechtsmittel zurückzuziehen; dergleichen kann sie einer Staatsanwaltschaft nur empfehlen. [100]) Die Staatsanwaltschaften sind nicht ihr, sondern dem Bundesministerium für Justiz unterstellt; die Generalprokuratur ist solcherart eine Behörde „sui generis“. [101])

Insbesondere kommt – aus historischen Gründen – nur der Generalprokuratur (allenfalls im Auftrag des Bundesministers für Justiz) die Befugnis zu, Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23; vgl. § 33 StPO) an den Obersten Gerichtshof zu erheben. Weitere Befugnisse ergeben sich aus § 363a StPO (Antragstellung auf Erneuerung des Strafverfahrens) und § 362 StPO (Beteiligung an Verfahren zur außerordentlichen Wiederaufnahme).

Zu § 23 („Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes“):

In den Abs. 1 und 2 wird der Aussagegehalt des § 33 Abs. 2 StPO übernommen und sprachlich angepasst. Wie bisher sollen gerichtliche Entscheidungen im Rahmen gesetzlich zulässigen Ermessens einer Überprüfung mittels Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht zugänglich sein. Anders, wenn die Ermessensentscheidung auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruht. In diesem Fall ist die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes weiterhin zulässig. [102])

Der letzte Satz des Abs. 2 stellt klar, dass jede Person berechtigt ist, bei der Generalprokuratur die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes anzuregen; ein Rechtsanspruch auf Einbringung einer solchen Nichtigkeitsbeschwerde wird dadurch allerdings nicht begründet. [103]) Der erste Satz des Abs. 2 entspricht dem letzten Satz des § 33 Abs. 2 StPO.

Zu § 24 („Stellungnahmen staatsanwaltschaftlicher Behörden“):

Der normative Regelungsgegenstand des § 24 entspricht weitgehend dem § 35 Abs. 2 StPO in der Fassung der Strafprozessnovelle 2000, BGBl. I Nr. 108. Diese mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, in die Strafprozessordnung eingeführte und mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 762, erweiterte Regelung, die im Interesse zweckmäßiger Verteidigung dem Grundsatz der Kontradiktorietät des Verfahrens dient, wurde mit der Strafprozessnovelle 2000 auch auf Stellungnahmen („Croquis“) staatsanwaltschaftlicher Behörden zu Rechtsbehelfen ausgedehnt, um im Sinne der Judikatur des EGMR auch in Verfahren über einen Einspruch gegen die Anklageschrift die Zweiseitigkeit zu wahren. [104]) Erweitert wird die Bestimmung des § 35 Abs. 2 StPO insofern, als nicht nur dem Beschuldigten (Angeklagten, Betroffenen) die Stellungnahme einer staatsanwaltschaftlichen Behörde zu seinem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf zuzustellen ist, sondern auch jedem anderen gegnerischen Beteiligten. In diesem Zusammenhang wäre etwa an eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zur Beschwerde eines von einer Hausdurchsuchung betroffenen Wohnungsinhabers zu denken.

Entgegen entsprechenden Einwänden im Begutachtungsverfahren wurde die nach dem Vorbild des geltenden Rechts variabel gehaltene Frist zur Äußerung beibehalten, weil – beispielsweise im Falle von Haftbeschwerden – dem Betroffenen mit einer raschen Entscheidung des Rechtsmittelgerichts mehr gedient sein kann, als mit der Möglichkeit, binnen eines längeren Zeitraumes seine Beschwerdeargumentation darzulegen. Es soll dem Rechtsmittelgericht daher weiterhin möglich sei, den entsprechenden Zeitraum unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls adäquat festzulegen.

Zu § 25 („Örtliche Zuständigkeit“):

Explizite Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft sieht das geltende Recht nicht vor. In Anlehnung an § 31 Abs. 1 StPO erfolgt die Aufteilung staatsanwaltschaftlicher Geschäfte unter den einzelnen Staatsanwaltschaften nach dem Kriterium, welches sachlich zuständige Gericht entsprechend den §§ 51 ff StPO für das Strafverfahren örtlich zuständig wäre, unabhängig davon, ob dieses Gericht mit der Strafsache überhaupt befasst wird. Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft orientiert sich somit ausschließlich an den Gerichtsständen. Das ist deswegen verständlich, weil die geltende Strafprozessordnung das gerichtliche Vorverfahren vor Augen hat (vgl. §§ 88, 90 Abs. 1 StPO) und demgemäß aus Sicht des historischen Gesetzgebers kein Anlass bestand, eine gesonderte Zuständigkeitsordnung für die Staatsanwaltschaft festzulegen.

An diesem System wird seither festgehalten, wenn auch das gerichtliche Vorverfahren (abgesehen vom obligatorischen Fall der gerichtlichen Voruntersuchung in Haftsachen) mittlerweile stark zurückgedrängt wurde. Demgegenüber ist die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit im Vorverfahren in der Praxis – nicht zuletzt durch die Einführung der Diversion mit der Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr. 55 – nach und nach in den Vordergrund gerückt. In der Mehrzahl der Straffälle wird das Gericht überhaupt nicht oder erst später durch Einbringen der Anklage befasst.

Für den Bereich des Vorverfahrens wird diese Koppelung staatsanwaltschaftlicher örtlicher Zuständigkeit an die gerichtliche Zuständigkeitsordnung aufgegeben und – entsprechend dem chronologischen Verfahrensablauf – die örtliche Zuständigkeit des Gerichts im Ermittlungsverfahren umgekehrt an die Zuständigkeitsregelungen der Staatsanwaltschaft geknüpft (§ 36). Erst für das Stadium des Hauptverfahrens regeln eigene Bestimmungen, die mit den im Ermittlungsverfahren maßgebenden Anknüpfungspunkten korrespondieren (§§ 25 Abs. 5, 37, 210 Abs. 1), die gerichtliche Zuständigkeit. Die Anknüpfung erfolgt primär an den Tatort (§§ 51 ff StPO); ausdrücklich wird nun auch eine versuchte Tatbegehung berücksichtigt. Um die zuständige Staatsanwaltschaft möglichst rasch feststellen zu können und insoweit den Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen, soll künftig subsidiär zum Tatort der Ort des Erfolgseintritts, beziehungsweise jener inländische Ort, an welchem der Erfolg der Straftat eintreten hätte sollen, für die Zuständigkeit maßgebend sein. Letztlich wird mit einer solchen Zuständigkeitsverteilung auch eine Konvergenz zur Regelung des § 67 Abs. 2 StGB hergestellt. Dass in solchen Fällen auch der Ort, an welchem ein gebotenes Tun zur Erfolgsabwendung unterlassen wurde, ebenso zuständigkeitsbegründend sein kann, ergibt sich schon aus dem materiellen Recht (vgl. § 2 StGB). Sonderzuständigkeiten – wie sie etwa das Jugendgerichtsgesetz oder das Lebensmittelgesetz normieren – sind jedenfalls zu beachten.

Die weiteren, subsidiären Zuständigkeitsregeln nach dem Ort des (letzten) Wohnsitzes, des (letzten) Aufenthalts oder der Betretung des Beschuldigten nach § 54 Abs. 1 StPO sind vor allem für solche Straftaten beizubehalten, die unabhängig davon, dass sie außerhalb des Bundesgebietes begangen wurden, in Österreich zu verfolgen sind (vgl. etwa § 64 StGB). Führt eine Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren auf Grund einer Zuständigkeit nach Abs. 2, so hat sie das laufende Ermittlungsverfahren an die nach Abs. 1 zuständige Staatsanwaltschaft abgetreten werden, sobald ein Tatort im Bundesgebiet bekannt wird.

Da sich die Zuständigkeit des Gerichts des Hauptverfahrens ebenso vorwiegend am Tatort und subsidiär am Ort des Erfolgseintritts orientiert (§ 37 Abs. 1), soll dadurch sichergestellt sein, dass die Staatsanwaltschaft bei jenem Gericht, das über eine Anklage zu verhandeln und zu entscheiden hätte, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Verfahren übernimmt.

Abs. 3 gewährleistet, dass zunächst – unabhängig von der Klärung der Zuständigkeitsfrage – jede Staatsanwaltschaft, die von einer strafbaren Handlung, welche im Inland zu verfolgen ist, Kenntnis erlangt, für das Ermittlungsverfahren zuständig ist. Kann danach eine zuständige Staatsanwaltschaft nach den vorstehenden Regeln bestimmt werden, hat diese das Verfahren (fort-) zu führen (vgl. § 51 Abs. 2 StPO).

Von einer Abtretung hat die Staatsanwaltschaft die Kriminalpolizei, den Privatbeteiligten, den Beschuldigten und – sofern es bereits befasst war – das Gericht zu verständigen (Abs. 3). Die Verständigung soll gewährleisten, dass die Verfahrensbeteiligten möglichst rasch Kenntnis über die örtliche Zuständigkeit der verfahrensführenden Staatsanwaltschaft erlangen. Würde aber eine sofortige Mitteilung über die Abtretung den Zweck der Ermittlungen gefährden (etwa weil der Ermittlungserfolg einer Überwachung der Telekommunikation voraussetzt, dass bestimmte Betroffene während der Überwachungsphase keine Kenntnis vom Verfahren haben), so kann sie im Interesse der Strafverfolgung in Anlehnung an § 52 für den erforderlichen Zeitraum aufgeschoben werden.

Kann die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft nach den Abs. 1 bis 3 nicht bestimmt werden, was insbesondere in Auslieferungsverfahren der Fall sein kann, so hat die Generalprokuratur eine Staatsanwaltschaft zu ordinieren (Abs. 4, vgl. § 54 Abs. 2 StPO).

Zu § 26 („Zusammenhang“):

Dem § 56 StPO entsprechend soll das Ermittlungsverfahren – aus praktischen Erwägungen – in Fällen objektiver, subjektiver, subjektiv-objektiver Konnexität und im Falle anderen engen sachlichen Zusammenhanges einheitlich von einer der (nach § 25) örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften zu führen sein (Abs. 1). Die Kontinuität staatsanwaltschaftlicher Zuständigkeit im Ermittlungs- und Hauptverfahren soll gefördert werden und die Kriminalpolizei soll möglichst in räumlicher Nähe zur Staatsanwaltschaft ermitteln können. Schließlich soll staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit für Ermittlungs- und Hauptverfahren soweit vermeidbar nicht auseinanderfallen (vgl. auch § 37).

Abs. 2 stellt zunächst klar, dass Regelungen wie beispielsweise § 34 Jugendgerichtsgesetz (zur Verbindung von Jugendstrafsachen und Strafsachen gegen Erwachsene) primär von Bedeutung sind. Stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Verfahrensführung in solcherart ungeregelten Fallkonstellationen, soll – in Anlehnung an § 55 StPO – die für den unmittelbaren Täter nach § 25 örtlich zuständige Staatsanwaltschaft auch das Verfahren gegen die weiteren Beteiligten (§ 12 StGB) ex lege an sich ziehen. Im Übrigen soll jene Staatsanwaltschaft das gesamte Verfahren führen, die den anderen zuvorgekommen ist, somit auf Grund eines Berichts der Kriminalpolizei oder von sich aus als erste eine Anordnung getroffen oder eine Genehmigung erteilt hat. Das spätere Bekanntwerden früher begangener strafbarer Handlungen soll grundsätzlich keinen Anlass geben, das Verfahren abzutreten und eine andere Staatsanwaltschaft mit der Bearbeitung des Falles zu befassen, sofern sich nur einer der Tatorte im Zuständigkeitsbereich der verfahrensführenden Behörde befindet. Der einheitlichen Führung des Ermittlungsverfahrens soll gegenüber einem variablen System mit fortwährender Änderung staatsanwaltschaftlicher Zuständigkeit bei Hinzutreten eines weiteren Tatortes der Vorzug gegeben werden.

Die Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit knüpfen in diesen Fällen zwar an die zeitliche Komponente an (vgl. § 37 Abs. 3 zweiter Satz), berücksichtigen aber die für die Staatsanwaltschaft gültigen Zuständigkeitsregeln insofern, als sie eine örtliche Zuständigkeit jenes Gerichts für das Hauptverfahren normieren, dessen Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren zuständig war, wenn auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen im Sprengel dieses Gerichts begangen worden sein soll (Abs. 3 dritter Satz). Damit soll vermieden werden, dass die örtliche Zuständigkeit des Gerichts für das Hauptverfahren von jener, die im Ermittlungsverfahren für die Staatsanwaltschaft den Ausschlag gibt, bloß aus dem Grund abweicht, dass die frühere strafbare Handlung an einem anderen Ort begangen worden wäre.

Zu § 27 („Trennung von Verfahren“):

Im Hinblick auf die „neue“ Rollenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht und die Beschränkung der Subsidiaranklage auf das Stadium des Hauptverfahrens wird die Befugnis zur Trennung des Verfahrens gegen einzelne Beschuldigte oder wegen einzelner strafbarer Handlungen im Ermittlungsverfahren nunmehr ausschließlich in die Ingerenz der Staatsanwaltschaft fallen. Dies bringt eine wesentliche Vereinfachung der entsprechenden Regelung des § 57 StPO – die, wenngleich ihrem Wortlaut nach dem Gericht vorbehalten, in der Praxis auch von der Staatsanwaltschaft angewendet wird – in der Bestimmung des § 27 mit sich.

Zunächst verschiebt § 27 systemkonform die in § 57 Abs. 1 StPO normierte Befugnis des Gerichts im Stadium des Ermittlungsverfahrens zur Staatsanwaltschaft. Aus Zweckmäßigkeitsgründen und vor allem mit Blick auf § 28 StGB (über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen) soll das Verfahren wegen mehrerer strafbarer Handlungen, die nach § 26 (§ 56 StPO) zusammentreffen, weiterhin grundsätzlich gemeinsam geführt werden. Eine getrennte Verfahrensführung gegen einzelne Beschuldigte oder wegen einzelner strafbarer Handlungen soll nur zulässig sein, wenn dies geeignet ist, Verzögerungen zu vermeiden oder eine Haft zu verkürzen, aber auch dann, wenn unterschiedliche Maßnahmen zu treffen sind (wenn beispielsweise gegen einen Beschuldigten Anklage einzubringen, gegen einen anderen eine diversionelle Maßnahmen einzuleiten ist). Eine teilweise Einstellung des Verfahrens (§§ 190 ff) rechtfertigt hingegen noch keine Trennung der Verfahren; solche Maßnahmen wären im ursprünglichen Verfahren vorzunehmen.

Ist hinsichtlich eines Teils der Vorwürfe bereits Anklage einzubringen, so richtet sich die Zuständigkeit des Gerichts für das Hauptverfahren – und somit auch die der Staatsanwaltschaft (§ 25 Abs. 4) – nach den allgemeinen Kriterien des § 37. Ihre Zuständigkeit würde die Staatsanwaltschaft – und damit das korrespondierende Gericht – im Hinblick auf § 37 Abs. 3 mit Einbringen dieser („Teil“-)Anklage aber nur dann verlieren, wenn kein einziger der Tatorte der angeklagten Fakten in ihrem Zuständigkeitsbereich läge. Im Übrigen soll auch der Beschuldigte eine Teilung der Verfahren beantragen können.

Zu § 28 („Bestimmung der Zuständigkeit“):

Die Zuständigkeit des Gerichts im Ermittlungsverfahren wird an jene der Staatsanwaltschaft geknüpft (§ 36), weil in diesem Prozessstadium vorwiegend die Strafverfolgungsbehörden agieren und das Gericht nur über Antrag bzw. Einspruch in einem bereits eingeleiteten Verfahren tätig wird. Es ist daher zu erwarten, dass viele Ermittlungsverfahren überhaupt ohne Inanspruchnahme des Gerichts abzuwickeln sein werden. Die Entscheidung über (positive oder negative) Zuständigkeitsstreitigkeiten von Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren soll daher nicht dem Gericht, sondern nach § 28 Abs. 1 der Oberstaatsanwaltschaft bzw. – wie im Begutachtungsverfahren gefordert – der Generalprokuratur (an Stelle des im Entwurf vorgeschlagenen Bundesministers für Justiz) zukommen.

Wenngleich das Gericht eine örtliche (Un-)Zuständigkeit nach Rechtswirksamkeit der Anklage bzw. nach Anordnung der Hauptverhandlung von Amts wegen nicht mehr wahrnehmen können soll, kann es zuvor – beispielsweise bei Trennung der Verfahren im Stadium des Hauptverfahrens (§ 37 Abs. 5) – auch zwischen Gerichten zu Streitigkeiten über die Zuständigkeit kommen. In solchen Fällen soll § 38 zur Anwendung kommen.

Eine – dem geltenden Recht entsprechende – Befugnis des Oberlandesgerichts (§ 62 StPO) – zur „Delegierung“ im Vorverfahren würde der Systematik widersprechen. Als Ausgleich zur Beschränkung der „gerichtlichen Delegierung“ auf das Haupt- und Rechtsmittelverfahren (§ 39 Abs. 1) wird dem Beschuldigten das Recht eingeräumt, eine Änderung der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren durch einen Antrag an die Oberstaatsanwaltschaft bzw. an die Generalprokuratur zu erwirken (§ 28 Abs. 2), sofern einer der Gründe des § 39 Abs. 1 vorliegt („aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen wichtigen Gründen“, zu diesen sei auf die Judikatur zu § 62 StPO verwiesen).

1.2.3. Zum 3. Abschnitt („Gerichte“):

Im 3. Abschnitt werden Organisation und Zuständigkeit der Gerichte sowie die Formen gerichtlicher Entscheidungen im Ermittlungs-, Haupt- und Rechtsmittelverfahren dargestellt. Vor allem gilt es, den Zuständigkeitsbereich des Gerichts im Ermittlungsverfahren strukturbezogen zu definieren und seine Rolle von jener der Strafverfolgungsbehörden klar abzugrenzen. Diesem Anliegen entspricht es, inquisitorische Züge des Verfahrens zurückzudrängen und das Gericht von eigenen Erhebungen weitgehend zu entbinden. Das Gericht soll im Ermittlungsverfahren vor allem eine Rechtskontrolle der Ermittlungstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ausüben und über die Zulässigkeit von (Grundrechts-)-Eingriffen in (subjektive) Rechte entscheiden. Die „Beweis erhebende Funktion“ des Gerichts wird unter bestimmten, eng umschriebenen Voraussetzungen auf die Leitung von Tatrekonstruktionen und die Durchführung von kontradiktorischen Vernehmungen beschränkt.

Eine eingehende Strukturreform des gerichtlichen Verfahrens nach Rechtswirksamkeit der Anklage steht derzeit nicht zur Diskussion. Die Bestimmungen zum Vorverfahren müssen daher so weit wie möglich mit dem System, das die geltende Strafprozessordnung ab dem XVII. Hauptstück vorgibt, abgestimmt werden. In diesem Zusammenhang sind einzelne Änderungen der Bestimmungen über das Haupt- und Rechtsmittelverfahren unerlässlich (vgl. dazu die Ausführungen im Allgemeinen Teil der Erläuterungen, Punkt 5.).

Das bezirksgerichtliche Verfahren nach geltendem Recht ist im Hinblick auf seine inquisitorischen Züge bedenklich [105]), weil der Richter des Bezirksgerichts in derselben Strafsache sowohl für die Vorerhebungen als auch für die Hauptverhandlung zuständig ist und daher – vor allem im Falle umfangreicher Vorerhebungen – der Anschein der Parteilichkeit des erkennenden Gerichts entstehen kann. [106]) Wenn auch gerichtliche Vorerhebungen im bezirksgerichtlichen Verfahren in der Praxis nicht häufig sind und in der Regel auf Entscheidungen über die Haft und andere Zwangsmittel beschränkt bleiben, erfolgt in den verbleibenden Fällen dennoch eine – aus Sicht des Art. 6 Abs. 1 EMRK fragwürdige – Inanspruchnahme der Bezirksgerichte bereits im Stadium des Ermittlungsverfahrens. Das Ermittlungsverfahren soll aber erst klären, ob und weswegen Anklage eingebracht werden soll. Demgegenüber gibt nach geltendem Verfahrensrecht die Subsumierung des Verdachts einer Straftat zu Beginn der Erhebungen den Ausschlag für die Zuständigkeit im Vorverfahren. Auf diese Weise wird die strafbare Handlung dem Kompetenzbereich eines bestimmten Gerichts nicht etwa zu einem Zeitpunkt zugeordnet, zu dem der Verdacht bereits einigermaßen aufgeklärt und bestimmt ist, sondern vielmehr – auch bei bloß vagem Anfangsverdacht – bereits zu Beginn der Aufklärungsphase. Dies zieht aber vor allem im Stadium des Vorverfahrens weit reichende prozessuale Konsequenzen nach sich, weil das bezirksgerichtliche Verfahren bestimmten Einschränkungen unterliegt (vgl. § 452 StPO). Überdies kommt es vor, dass eine nähere Klärung des Verdachts die sachliche Zuständigkeit ändert und eine Abtretung des Verfahrens an ein anderes Gericht erfordert.

Im Interesse einer rechtsstaatlich unbedenklichen Lösung wird daher die gerichtliche Zuständigkeit für das Ermittlungsverfahren ausschließlich dem Landesgericht zugewiesen und demnach der derzeitige Zuständigkeitsbereich des Bezirksgerichts für Vorerhebungen – so weit künftig überhaupt in diesem Zusammenhang gerichtliche Zuständigkeit gegeben sein wird – zum Landesgericht verschoben. Dadurch wird in Haftfällen sichergestellt, dass keine Dislokation zwischen dem über Haftfragen entscheidenden Gericht, der dort eingerichteten, ermittlungsführenden Staatsanwaltschaft und dem in der Justizanstalt des Landesgerichtes anzuhaltenden Beschuldigten besteht.

Von der im Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes vorgeschlagenen Erweiterung der Zuständigkeit des Bezirksgerichts im Hauptverfahren auf alle strafbaren Handlungen, die mit einer drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind – bei unveränderter Beibehaltung der Eigenzuständigkeit des Geschworenen- und des Schöffengerichts – wurde angesichts der diesbezüglichen Kritik im Begutachtungsverfahren Abstand genommen. Die sachliche Zuständigkeit des Bezirks- und des Landesgerichtes nach geltendem Recht soll beibehalten werden.

Zu § 29 („Allgemeines“):

Abs. 1 spricht die Gerichte des Strafverfahrens in sachlichen Hinsicht an und steckt gleichzeitig den Rahmen ihrer diesbezüglichen Zuständigkeit unter Bezug auf die einzelnen Verfahrensstadien ab. Abweichend von der korrespondierenden Bestimmung des geltenden § 8 StPO werden durchgehend die Ausdrücke „Landesgericht“ bzw. „Oberlandesgericht“ verwendet und wird auf die Bezeichnung „Gerichtshof erster Instanz“ und „Gerichtshof zweiter Instanz“ generell verzichtet. Der Umstand, dass das Oberlandesgericht bei gewissen Entscheidungen, wie beispielsweise einer Delegierung, in erster Instanz tätig wird, wird durch den Verweis auf besondere gesetzliche Bestimmungen berücksichtigt und dort jeweils ausdrücklich geregelt.

Auf eine dem § 8 Abs. 2 erster Satz StPO entsprechende Regelung wird verzichtet. Die im Zusammenhang dazu stehende Bestimmung des § 61 StPO zur diplomatischen Immunität kann folgenlos entfallen, weil ihr durch auf Gesetzesstufe stehende internationale Abkommen im Sinne einer Einschränkung der Immunitätsrechte derogiert wurde. [107]) Die allgemeine Verpflichtung des § 8 Abs. 2 zweiter Satz StPO findet sich in § 153 Abs. 2 letzter Satz.

Kann durch die Anwendbarkeit der §§ 39, 313 StGB das gesetzlich angedrohte Höchstmaß der Strafe überschritten werden, so soll diese Möglichkeit bei der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit weiterhin beachtlich bleiben, um die Strafbefugnis des jeweiligen Gerichts absolut zu begrenzen. Auch § 287 Abs. 1 letzter Satz StGB könnte nach dem Vorbild des § 8 Abs. 3 zweiter Satz StPO die Zuständigkeit des Gerichts verschieben (Abs. 2).

Zu § 30 („Das Bezirksgericht“):

Wie bereits zu § 29 erläutert, wird das Bezirksgericht im Vorverfahren von jeder Tätigkeit entbunden. Dadurch kann effizienter Strafverfolgung besser gedient und das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgezeigte strukturelle Problem der Befangenheit des Bezirksrichters gelöst werden. [108])

Um Einwänden im Begutachtungsverfahrens Rechnung zu tragen, werden die einzelnen strafbaren Handlungen der bezirksgerichtlichen Zuständigkeit nach dem Vorbild des § 9 Abs. 1 Z 1 StPO zugeordnet (Abs. 1). Funktionell soll das Bezirksgericht weiterhin ausschließlich als Einzelrichter fungieren (Abs. 2).

Zu § 31 („Das Landesgericht“):

§ 31 regelt die sachliche Zuständigkeit des Landesgerichts abschließend. Entsprechend dem chronologischen Prozessablauf beschreibt diese Bestimmung taxativ die Zuständigkeiten des Landesgerichts im Ermittlungsverfahrens (Abs. 1), im Hauptverfahren (als Geschworenen-, als Schöffengericht und als Einzelrichter; Abs. 2, 3 und 4) und im Rechtsmittelverfahren (Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen Beschlüsse des Bezirksgerichts; Abs. 5).

Die Institution Ratskammer ist nicht mehr vorgesehen. Dieses Gremium von drei Richtern (vgl. § 12 StPO) war historisch in erster Linie als Aufsichtsorgan über den Untersuchungsrichter vorgesehen, dessen eigene, selbständige Entscheidungsmöglichkeiten es wesentlich verminderte. Damit bildet die Ratskammer im – in der Praxis niemals im beabsichtigten Sinne wirksam gewordenen – „Untersuchungsrichtersystem“ ein Element des Inquisitionsverfahrens, das nach der Reform des 19. Jahrhunderts im Strafprozess verblieben ist. [109])

Vor allem das Strafprozessänderungsgesetz 1993 leitete mit seiner Tendenz, Funktionen der Ratskammer auf den (Untersuchungs-)Richter zu übertragen, dessen Entscheidungskompetenz auszuweiten und damit das Rechtsschutzsystem zu vereinheitlichen, die Entwicklung ein, die es nun mit dem Verzicht auf die Ratskammer mit ihren vielfältigen Zuständigkeiten abzuschließen gilt. [110]) Die der Ratskammer durch das geltende Gesetz eingeräumten Befugnisse werden entsprechend der Struktur des Ermittlungsverfahrens vorwiegend dem Landesgericht als Einzelrichter und – teils unter völliger Neufassung der Rechtsinstitute (vgl. zB § 195, „Antrag auf Fortführung“) dem Oberlandesgericht zugewiesen.

Wie bei gerichtlichen Vorerhebungen nach geltendem Recht soll das Gericht im Ermittlungsverfahren von jeder autonomen Tätigkeit entbunden werden. Es soll nur auf Antrag tätig werden und die eigentliche richterliche Aufgabe erfüllen, Recht zu sprechen, also über die Zulässigkeit von Eingriffen in subjektive Rechte und über die Verweigerung bestimmter Verfahrensrechte zu entscheiden. [111]) Die dem Gericht nach § 89 StPO zugewiesene Aufgabe, als „Gehilfe“ der Staatsanwaltschaft durch Aufnahme von Beweisen einen bestimmten Sachverhalt zu klären, wird weitgehend eingeschränkt. Im Fall, dass die Unmittelbarkeit und Kontradiktorietät der Hauptverhandlung gefährdet sind, weil damit gerechnet werden muss, dass ein Beweismittel in der Hauptverhandlung nicht oder nicht in der gleichen Form zur Verfügung stehen wird, soll das Gericht (weiterhin) eine kontradiktorische Vernehmung bzw. eine Tatrekonstruktion leiten.

Abs. 1 zählt die Zuständigkeiten des Gerichts im Ermittlungsverfahren taxativ auf: Beweissicherung (Z 1), Entscheidung über die Zulässigkeit von schwerwiegenden Eingriffen in subjektive Rechte (Z 2), über Einsprüche wegen Rechtsverletzung (Z 3) und über Anträge auf Einstellung des Verfahrens (Z 4).

Abs. 2 weist dem Landesgericht als Geschworenengericht in Anlehnung an das geltende Recht (§ 14 Abs. 1 StPO) die Zuständigkeit für die in den Z 1 bis 11 aufgelisteten Delikte bzw. Deliktsgruppen zu, die Z 12 hat, im Interesse der Vollständigkeit und Übersichtlichkeit, vor allem die im Verfassungsrang stehende Zuständigkeitsbestimmung des § 3j VerbotsG vor Augen.

Abs. 3 normiert die – gegenüber der Zuständigkeit des Geschworenengerichts subsidiäre – sachliche Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht in einer Generalklausel (Z 1) mit darauf folgender Auflistung der zuständigkeitsbegründenden Tatbestände (Z 2 bis 7) nach der Systematik der geltenden Strafprozessordnung (§ 13 Abs. 2 StPO). Die Anführung des Abs. 4 des § 27 SMG – wie in § 13 Abs. 2 Z 7 StPO – in der Z 7 des Abs. 3 kann folgenlos entfallen, weil sich die schöffengerichtliche Zuständigkeit im Hinblick auf die Strafgrenzen dieses Delikts schon auf Grund der Generalklausel der Z 1 ergibt. Eine schöffengerichtliche Zuständigkeit auf Grund besonderer gesetzlicher Vorschriften ist etwa in § 196a Finanzstrafgesetz vorgesehen.

Subsidiär zu den Absätzen 2 und 3 normiert Abs. 4 die Zuständigkeit des Einzelrichters für die verbleibenden strafbaren Handlungen, soweit sie mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, wobei auch im einzelrichterlichen Zuständigkeitsbereich weiterhin (vgl. § 8 Abs. 3 StPO) eine Verschiebung zum Landesgericht als Schöffengericht stattfindet, sofern die Möglichkeit einer Überschreitung des Höchstmaßes der Strafe nach den §§ 39 oder 313 StGB besteht (§ 29 Abs. 2). Die im § 30 Abs. 1 Z 1 bis 5 aufgelisteten Delikte fallen – wie auch nach geltendem Recht – ebenso in die Kompetenz des Einzelrichters, eine Zuständigkeit auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmungen ist zum Beispiel in den §§ 41 MedienG, 122 GmbHG und 37 Denkmalschutzgesetz geregelt.

Für den Bereich des Rechtsmittelverfahrens gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte soll nach Abs. 5 weiterhin die sachliche und funktionale Zuständigkeit des Landesgerichts in Form eines Senats von drei Richtern gegeben sein.

Zu § 32 („Zusammensetzung des Landesgerichts als Geschworenen- und Schöffengericht“):

§ 32 folgt – abgesehen von sprachlichen Änderungen und Kürzungen – inhaltlich zur Gänze den §§ 13 Abs. 1 und 3 bis 5, 14 Abs. 2, 300 Abs. 1, 2 und 2a StPO (zur Senatsentscheidung unter dem Vorsitz eines Richters – § 13 Abs. 3 erster Halbsatz StPO – siehe § 40 Abs. 1 erster Satz). Der Entwurf wollte anstelle des so genannten Drei-Richter-Senates (§ 13 Abs. 3 StPO), der sich in der Regel aus dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts und zwei weiteren durch die Geschäftsverteilung bestimmte Richter zusammensetzt, vorsehen, dass dem Senat die – mit der jeweiligen Strafsache bereits vertrauten – beiden Berufsrichter des Schöffengerichts angehören (Abs. 3). Der diesbezügliche Einwand im Begutachtungsverfahren, dass eine solche Senatsbestimmung zu personenbezogen und vor allem im Falle einer dauernden Verhinderung eines Senatsmitglieds nicht praktikabel sei, führte zur Beibehaltung des angesprochenen Drei-Richter-Senats.

Zu § 33 („Das Oberlandesgericht“):

Das Oberlandesgericht entscheidet im Rahmen seines Wirkungsbereiches nach Abs. 1 Z 1 bis Z 4 über alle Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Landesgerichts als Einzelrichter (sowohl im Ermittlungs- als auch im Hauptverfahren, über („Straf-“)Berufungen gegen Urteile des Landesgerichts als Geschworenen- oder Schöffengericht (§§ 280 zweiter Satz, 285i in Verbindung mit 344 zweiter Satz StPO), über Einsprüche gegen die Anklageschrift (§ 213 Abs. 6), über Anträge auf Fortführung (§ 195), über Kompetenzkonflikte (§ 38) und über Delegierungen (§ 39) in der Zusammensetzung von drei Richtern, von denen einer den Vorsitz führt (§ 40 Abs. 1 erster Satz). Die allgemeine Bestimmung in der Z 5 des Abs. 1 soll Kompetenzen des Oberlandesgerichts, wie sie etwa 41 GebAG vorsieht, abdecken.

Zu § 34 („Der Oberste Gerichtshof“):

Der Zuständigkeitsbereich des Obersten Gerichtshofes wird nicht berührt. Lediglich aus systematischen Gründen werden in Abs. 1 Z 1 bis 5 die bedeutsamsten sachlichen Zuständigkeiten und in Abs. 2 die Zusammensetzung der Senate samt ihrer funktionalen Zuständigkeiten überblicksweise dargelegt. Die generelle Norm zur Zuständigkeit in der Z 6 des Abs. 1 umfasst beispielsweise auch die Kompetenz des Obersten Gerichtshofes über Beschwerden gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts nach § 41  GebAG zu entscheiden. Im Übrigen wird auf die bezughabenden Bestimmungen das Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof verwiesen.

Zu § 35 („Form gerichtlicher Entscheidungen“):

Die geltende Strafprozessordnung enthält zwar das (VIII.) Hauptstück „Von der Bekanntmachung gerichtlicher Verfügungen …“, unterscheidet jedoch die möglichen Formen gerichtlicher Entscheidung nicht exakt. Die bloß negative Formulierung des § 481 StPO („Gegen Entscheidungen des Bezirksgerichtes, insofern sie der Berufung nicht unterliegen, steht dem Beteiligten das Rechtsmittel der Beschwerde … zu“) lässt gerade diese Abgrenzung offen (selbst eine Ladung könnte als gerichtliche Entscheidung begriffen werden; dagegen spricht jedoch die Judikatur, der zu Folge „prozessleitende“ Verfügungen nicht mit Beschwerde angefochten werden können. [112]) Die Regelung des Verfahrens über Beschwerden (§§ 87 bis 89) setzt aber eine klare Trennung zwischen gerichtlichen Verfügungen und Beschlüssen voraus:

Abs. 1 spricht alle jene Erledigungen der Gerichte an, die im Haupt- und Rechtsmittelverfahren in Form eines Urteils zu ergehen haben und verankert die dabei einzuhaltende, verfassungsgesetzlich vorgesehene Form (Art. 82 Abs. 2 B-VG, „Die Urteile und Erkenntnisse werden im Namen der Republik verkündet und ausgefertigt“) auf einfachgesetzlicher Ebene, ohne von der geltenden Rechtslage abzuweichen. So weit das Gesetz ermöglicht, Rechtsmittel mit Beschluss zurückzuweisen (§§ 285, 470 StPO), handelt es sich nicht um Entscheidungen über die Schuld, sondern über die Zulässigkeit des betreffenden Rechtsmittels.

Abs. 2 hält fest, dass andere Entscheidungen der Gerichte, die nicht nach Abs. 1 der Urteilsform vorbehalten sind, als Beschluss zu fassen sind, soweit nicht bloß eine auf den Fortgang des Verfahrens oder die Bekanntmachung einer gerichtlichen Entscheidung gerichtete Verfügung erlassen wird.

Zu § 36 („Örtliche Zuständigkeit“):

Anknüpfungspunkt für den örtlichen Wirkungsbereich des Landesgerichts im Ermittlungsverfahren sind die Zuständigkeitsbestimmungen für die Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren führt (Abs. 1). Der Entwurf will bei dieser Verknüpfung der Zuständigkeit von der dem einfachen Gesetzgeber nach Art. 83 Abs. 1 B-VG eingeräumten Befugnis, die Zuständigkeit der Gerichte festzustellen, Gebrauch machen. Nach der Rechtsprechung des VfGH umfasst das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) auch den Schutz und die Wahrung der gesetzlich begründeten Behördenzuständigkeiten. Durch eine Änderung der den gesetzlichen Richter determinierenden Zuständigkeitsbestimmungen wird dieses verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht aber nicht berührt. [113])

Im Ermittlungsverfahren wird das Landesgericht – abgesehen von Beschwerden (§ 87), Einsprüchen wegen Rechtsverletzung (§ 106) und Anträgen auf Einstellung (§ 108) – nur über Antrag der Staatsanwaltschaft tätig (§ 98 Abs. 2), wobei jeweils jenes Landesgericht örtlich zuständig ist, an dessen Sitz sich die verfahrensführende Staatsanwaltschaft befindet (§ 36). Bei späterer Abtretung des Verfahrens an die zuständige Staatsanwaltschaft bleibt die Entscheidungskompetenz des Landesgerichts, bei dem Einstellungsanträge oder Einsprüche entsprechend der Koppelung an die staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit bereits vor Abtretung eingebracht wurden, grundsätzlich gewahrt. Dieses Gericht hat demnach auch über bereits „anhängige“ Anträge der Staatsanwaltschaft auf Bewilligung der Anordnung von Zwangsmitteln (§ 31 Abs. 1 Z 2) zu entscheiden und nach § 31 Abs. 1 Z 1 beantragte Beweisaufnahmen durchzuführen (oder abzulehnen). Erforderlichenfalls hat die Staatsanwaltschaft in solchen Fällen mit der Abtretung des Verfahrens bis zur gerichtlichen Entscheidung zuzuwarten. Eine ähnliche Regelung soll für Anträge auf „Klageerzwingung“ gelten, sodass sich durch Teileinstellung und Abtretung eines Verfahrens an eine andere Staatsanwaltschaft keine Änderung der gerichtlichen Zuständigkeit ergibt (Abs. 2).

Zu § 37:

Erst mit Einbringen der Anklage erlangt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts weitergehende Bedeutung. Zur Harmonisierung mit den staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeitsregelungen knüpft § 37 Abs. 1 an den Tatort an, wobei subsidiär der Ort, an welchem der Erfolg eingetreten ist maßgeblich ist. Wie die geltenden §§ 55, 56 StPO bestimmt § 37 Abs. 2 für Fälle objektiver, subjektiver oder subjektiv-objektiver Konnexität eine gemeinsame Verfahrensführung. Abs. 3 normiert die vorrangige Zuständigkeit der (örtlich zuständigen) Gerichte höherer Ordnung sowie jener mit Sonderzuständigkeit und stellt den zeitlichen Konnex her. Unter mehreren an sich (örtlich und nach ihrer Ordnung sachlich) zuständigen Gerichte wird demnach die primäre Zuständigkeit jenes Gerichts festgelegt, in dessen Sprengel die frühere Straftat begangen wurde. Wurde aber das Ermittlungsverfahren von einer Staatsanwaltschaft bei einem Landesgericht geführt, in dessen Sprengel der Ort der Begehung (Abs. 1) auch nur einer der angeklagten strafbaren Handlungen liegt, so soll aus verfahrensökonomischen Gründen dieses Landesgericht zuständig sein.

Abs. 4 enthält die Regel gemeinsamer Führung mehrerer zusammentreffender Strafverfahren. Es ist im Interesse gemeinsamer Verfahrensführung Anliegen, Ausscheidungen von Verfahren gegen einzelne Beschuldigte oder wegen einzelner Straftaten möglichst hintanzuhalten, denn solche Ausscheidungen können weit reichende prozessuale Konsequenzen nach sich ziehen, beispielsweise kann es zur Änderung der Prozessrollen kommen (Beschuldigte eines ausgeschiedenen Verfahrens sind im Stammverfahren in weiterer Folge als Zeugen zu vernehmen), jedenfalls sind damit Kostenfolgen verbunden. Daher soll das Gericht, welches ein Verfahren trennt, seine Zuständigkeit grundsätzlich beibehalten, auch wenn es bei isolierter Betrachtung für das ausgeschiedene Verfahren örtlich nicht zuständig wäre.

Eine Ausnahme soll gemäß Abs. 5 nur insofern bestehen, als sich ein Beschuldigter nach erfolgter Ausscheidung seines Verfahrens nicht vor einem höheren oder einem Gericht mit Sonderzuständigkeit zu verantworten haben soll, wenn sein Verfahren eine solche Zuständigkeit nicht begründet.

Abs. 6 legt den Gerichtsstand des Haftortes fest und setzt damit den Gedanken des § 52 Abs. 2 StPO fort. Festgenommene Beschuldigte werden in Justizanstalten in unmittelbarer räumlicher Nähe zu Landesgerichten, somit zu den am selben Ort eingerichteten Staatsanwaltschaften angehalten, sodass die Zuständigkeit eines dislozierten Bezirksgerichtes ab dem Einbringen der Anklage das Prozessgeschehen wesentlich erschweren könnte. Demgegenüber bietet die bezirksgerichtliche Zuständigkeit des Haftortes (die landesgerichtliche besteht bereits auf Grund der staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeitsregelungen für das Ermittlungsverfahren) Vorteile, weshalb dem Ort der Tatbegehung in bezirksgerichtlichen „Haftsachen“ – sofern sich der Angeklagte bei Einbringen der Anklageschrift bereits in Untersuchungshaft befindet – insofern keine Bedeutung zukommen soll.

Zu § 38 („Kompetenzkonflikt“):

Im Falle, dass zwei oder mehrere Gerichte ihre örtliche Zuständigkeit ablehnen (negativer Kompetenzkonflikt), sollen aufwändige Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit möglichst vermieden werden. Im ersten Schritt soll ein Gericht, das sich für unzuständig hält, das Verfahren (den Antrag, den Einspruch oder die Beschwerde) formlos an jenes Gericht abtreten, das es für zuständig hält. Sollte dieses der Meinung sein, dass das ursprünglich befasste Gericht zuständig sei, hätte es die Entscheidung des gemeinsam übergeordneten Gerichts zu erwirken. Bei Gerichten, die nicht dem Sprengel eines Oberlandesgerichts zugeordnet sind, ist zur Entscheidung der Oberste Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetes Gericht zuständig.

Diese Vorgehensweise soll auch im Fall des Einbringens eines Strafantrags eingehalten werden, lediglich für Anklageschriften ist durch § 213 Abs. 6 ein besonderes Verfahren vorgesehen: Hält sich das Gericht des Hauptverfahrens, bei dem eine Anklageschrift eingebracht wird, für nicht zuständig, so hat es die Anklageschrift dennoch zuzustellen und – unabhängig davon, ob ein Einspruch erhoben wird – seine Bedenken dem ihm übergeordneten Oberlandesgericht mitzuteilen. Auf diese Weise sollen Doppelgleisigkeiten vermieden und die Zuständigkeit sogleich nach dem Einbringen der Anklage – und gegebenenfalls im Zuge eines Einspruchsverfahrens – abschließend geklärt werden (siehe auch § 215 Abs. 4).

Im Übrigen soll im Fall eines sachlichen Kompetenzkonflikts Ähnliches wie bei einem örtlichen gelten. Unrichtig eingebrachte Anträge, Einsprüche und Beschwerden soll das angerufene Gericht an das zuständige überweisen; sofern hieraus ein Kompetenzkonflikt entstünde, wäre in gleicher Weise vorzugehen wie im Falle eines Streites über die örtliche Zuständigkeit.

Zu § 39 („Delegierung“):

Das geltende Recht sieht die Befugnis zur Delegierung, somit die Zuweisung einer Strafsache vom    zuständigen an ein anderes Gericht durch den Gerichtshof zweiter Instanz (§ 62 StPO) bzw. durch den Obersten Gerichtshof (§ 63 Abs. 1 StPO) in jeder Lage des Verfahrens aus „Rücksichten“ der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen wichtigen Gründen vor (von denen die Strafprozessnovelle 1999, BGBl. Nr. 55, explizit auch die Notwendigkeit erwähnte, ein Verfahren gegen einen Richter oder Staatsanwalt desselben oder eines unterstellten Gerichts zu führen). Wenngleich das Gesetz eine nur „ausnahmsweise“ Zuständigkeitsverschiebung durch Delegierung vor Augen hat, kommt diesem Rechtsinstitut in der Praxis erhebliche Bedeutung zu.

Da das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei in Kooperation geführt werden soll, kommt eine gerichtliche Delegierung in diesem Verfahrensstadium nicht in Betracht; an ihre Stelle soll eine entsprechende Entscheidung der Oberstaatsanwaltschaft – gegebenenfalls auf Antrag des Beschuldigten – treten (§ 28 Abs. 2). Im Haupt- und Rechtsmittelverfahren soll die gerichtliche Delegierung erhalten bleiben und die Antragslegitimation der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten zustehen. Dem Gericht soll die Möglichkeit einer amtswegigen, zu begründenden Anregung eingeräumt werden (Abs. 2), damit es weder vor der Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei noch vor dem Oberlandesgericht als Antragsteller aufzutreten hat. Eine Abtretung durch das Gericht von Amts wegen, an Stelle einer Delegierung, kommt hingegen nicht in Betracht, weil durch die Delegierung eine Kompetenzverschiebung an ein an sich unzuständiges Gericht bewirkt wird.

Gegen die Entscheidung steht der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten die Beschwerde offen (§ 87 Abs. 1). Entgegen der geltenden Rechtslage (§ 63 Abs. 3 StPO) soll die Beschwerde auch gegen abweisende Entscheidungen des Oberlandesgerichts zustehen.

Zu den §§ 40 bis 42 („Vorsitz und Abstimmung in den Senaten“):

Die Bestimmungen der geltenden §§ 19 ff StPO werden sprachlich angepasst, im Übrigen aber nahezu unverändert übernommen. Die Leitungsbefugnis des Vorsitzenden wird generalisierend angesprochen (§ 40 Abs. 1 erster und zweiter Satz), wodurch der entsprechende Hinweis in einer Vielzahl strafprozessualer Bestimmungen zur Senatsgerichtsbarkeit entfallen kann. § 40 Abs. 2 vorletzter Satz nimmt – wie § 19 Abs. 2 StPO – auf den Dienstrang der Richter Bezug, wonach der Zeitpunkt der Ernennung als stimmführendes Mitglied des Gerichts maßgebend ist, bei welchem der Richter tätig ist, es sei denn, das Gesetz würde etwas Anderes vorsehen. Die Klarstellung, dass es sich dabei um jenes Gericht handelt, das die Entscheidung zu treffen hat, soll garantieren, dass die im fraglichen Bereich jeweils „erfahreneren“ Richter vor den insoweit „jüngeren“ abstimmen. [114])

1.2.4. Zum 4. Abschnitt („Ausschließung und Befangenheit“):

Die Bestimmungen über Ausschließung und Befangenheit der am Strafverfahren beteiligten Organe sind gleichfalls der neuen Verfahrensstruktur anzupassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Differenzierung zwischen Ausschließungs- und Befangenheitsgründen sowie die daraus abgeleiteten unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Konsequenzen nach geltendem Recht (vgl. §§ 67 ff und 72 ff StPO, insbesondere jedoch §§ 71 und 281 Abs. 1 Z 1 StPO) in anderen, vergleichbaren Verfahrensgesetzen (siehe zB § 7 AVG, § 72 FinStrG) keine Entsprechung finden. [115]) Im Wesentlichen werden die Ausschließungsgründe dort generell als Gründe der Befangenheit behandelt (vgl. § 7 Abs. 1 Z 1 bis 3 AVG und § 72 Abs. 1 lit. a bis d FinStrG), deren Vorliegen das jeweilige Organ verpflichtet, sich von Amts wegen seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen. Während den Parteien im Verwaltungsverfahren kein Ablehnungsrecht zukommt [116]), gewährt § 73 FinStrG ein solches ausdrücklich. In der ZPO schließlich werden Ausschließung und Befangenheit als Ablehnungsgründe behandelt [117]), deren Vorliegen jeweils dieselben verfahrensrechtlichen Konsequenzen auslöst, nämlich Nichtigkeit nach § 25 JN bzw. § 477 Abs. 1 Z 1 ZPO. [118])

Für Staatsanwälte sehen die §§ 75 f StPO unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausschließung vor, die im Dienstaufsichtsweg geltend zu machen ist. Eine ausdrückliche Regelung über die Befangenheit eines Staatsanwaltes enthalten weder die StPO noch das StAG. In diesem Zusammenhang kommt wohl die allgemeine Bestimmung des § 47 BDG zur Anwendung, wonach sich jeder Beamte der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen hat, wenn wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen.

Für Organe der Sicherheitsbehörden ermangelt es der StPO jeder Regelung, allerdings wird im Wege des Art. V EGVG die – auch im Verwaltungsstrafverfahren geltende (§ 24 VStG) – allgemeine Bestimmung des § 7 AVG zur Anwendung gelangen.

In Anbetracht der Unübersichtlichkeit der geltenden Rechtslage soll eine allgemeine Regelung für das unvoreingenommene Vorgehen der am Strafverfahren beteiligten Richter, Staatsanwälte und Exekutivbeamten sorgen. Ausschließung und Befangenheit werden daher in näherer Ausgestaltung des Objektivitätsgebots des § 3, wonach alle Richter und alle Organe der am Strafverfahren beteiligten Behörden ihr Amt unparteilich und unvoreingenommen auszuüben und jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden haben, in den Bestimmungen des vorliegenden Abschnittes zusammenfassend geregelt. Dabei wird an der österreichischen Rechtstradition insofern festgehalten, als weiterhin der Begriff der Ausschließung als besonderes Kennzeichen richterlicher Unvoreingenommenheit beibehalten wird, das für die übrigen am Strafverfahren beteiligten Organe – schon im Hinblick auf die nur auf Richter Bezug nehmenden Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK – nicht in gleichem Maße zutrifft.

Im Übrigen sollen die unübersichtlich gewordenen Regelungen der §§ 67 bis 69 StPO systematisch geordnet und zusammengefasst werden. Für die Staatsanwälte ist von dem bereits im DE beschriebenen Anpassungsbedarf des § 75 StPO [119]) auszugehen, weil – schon im Zusammenhang mit einer eigenen Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaften – sicherzustellen ist, dass staatsanwaltschaftliche Organe von ihrer weiteren Funktion nicht schlechterdings deshalb ausgeschlossen sind, weil sie als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen werden könnten.

Zu § 43 („Ausgeschlossenheit von Richtern“):

Das Postulat einer unabhängigen Justiz kann in der Rechtswirklichkeit nur umgesetzt werden, wenn das unvoreingenommene und unparteiliche Vorgehen der richterlichen Organe sichergestellt und dadurch das volle Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Gerichte gestärkt wird. Vor diesem Hintergrund scheint die unterschiedliche Behandlung von Ausschließungs- und anderen Gründen, welche die volle Unbefangenheit des Richters beeinträchtigen können und im Wege der Ablehnung geltend zu machen sind, im geltenden Recht nicht gerechtfertigt.

Im Abs. 1 sollen daher die bislang in den §§ 67 und 68 StPO (Z 1 und 2) für Richter (und Protokollführer) in allen Instanzen geregelten Ausschließungsgründe mit einer Generalklausel (Z 3) kombiniert werden. [120])

Ein Richter kann seine Funktion nicht unbelastet erfüllen, wenn er im Verfahren bereits als Zeuge oder Sachverständiger fungiert hat oder als solcher auftreten soll (Abs. 1 Z 2). Die Einschränkung „außerhalb seiner dienstlichen Wahrnehmungen“ ist für die Fälle der Begehung strafbarer Handlungen in der Hauptverhandlung erforderlich.

Von dem Vorhaben, den durch die Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr. 55, als wichtigen Grund für Delegierung in die Bestimmung des § 62 StPO eingefügten Umstand, dass ein Strafverfahren gegen einen Richter oder Staatsanwalt desselben oder eines unterstellten Gerichts zu führen wäre, in der Z 3 als Ausschließungsgrund zu regeln, wurde Abstand genommen und die Tatsache, dass das Verfahren gegen eine solche Person zu führen ist wiederum als Delegierungsgrund in § 41 Abs. 1 ausdrücklich formuliert. Letztlich ist jedes Gericht dem Obersten Gerichtshof unterstellt, eine generelle Ausschließung seiner Richter in einem solchen Verfahren gilt es zu vermeiden.

Ein Richter, der aus einem Freispruch oder einer Verurteilung Nutzen oder Schaden zu erwarten hat, soll nach Abs. 1 Z 3 („andere Gründe, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen“) ausgeschlossen sein. Der Umstand wiederum, dass der Richter als Anzeiger aufgetreten ist, soll nicht per se seine Ausschließung bewirken; auch in diesem Fall soll nach der „Generalklausel“ des Abs. 1 Z 3 geprüft werden, ob durch die Anzeige ein Grad der Identifikation mit der dieser zu Grunde liegenden Würdigung eines bestimmten Sachverhaltes eingetreten ist, der die betreffende Person als Richter disqualifiziert. War der Richter hingegen als Ankläger tätig, soll der Ausschließungsgrund des Abs. 1 Z 1 zur Anwendung gelangen.

Abs. 2 enthält den Ausschließungsgrund der Vorbefasstheit für Richter im Hauptverfahren auf Grund eigener richterlicher Tätigkeit in einem vorgängigen Ermittlungs- oder Erkenntnisverfahren (vgl. § 68 Abs. 2 und 4 StPO). Obwohl der Richter im Ermittlungsverfahren gegenüber dem Untersuchungsrichter künftig eingeschränkte Aufgaben haben soll, soll ihn seine Tätigkeit im selben Verfahren weiterhin von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausschließen.

Gleichsam spiegelbildlich enthält Abs. 3 einen Ausschließungsgrund der Vorbefasstheit für Richter von Rechtsmittelgerichten auf Grund eigener richterlicher Tätigkeit oder solcher von Angehörigen in erster Instanz und für Richter erster Instanz auf Grund ihrer Tätigkeit oder der eines ihrer Angehörigen bei einem Rechtsmittelgericht (vgl. § 69 StPO).

Durch Abs. 4 werden schließlich die Abs. 3 und 4 des geltenden § 68 StPO mit der Maßgabe zusammengefasst, dass auch bei einer Wiederaufnahme – ebenso wie bei einem Antrag auf Erneuerung – die Richter, die bereits im früheren Verfahren (also auch als Rechtsmittelrichter) tätig waren, generell ausgeschlossen sein sollen. [121])

Zu § 44 („Anzeige der Ausgeschlossenheit und Antrag auf Ablehnung“):

Durch die Abs. 1 und 2 werden – jeweils mit geringfügigen sprachlichen Änderungen – die Bestimmungen der §§ 70 und 71 StPO übernommen. Die bereits angesprochene vereinheitlichende Wirkung der neuen Systematik besteht darin, dass nunmehr auch die Tätigkeit des Richters bei (auch bloß objektivem) Vorliegen von Befangenheitsgründen (vgl. § 46 Abs. 1 Z 3) mit – nach § 281 Abs. 1 Z 2 StPO geltend zu machender – Nichtigkeit bedroht sein soll.

Abs. 3 gewährt schließlich sämtlichen Beteiligten des Verfahrens das Recht, Ausschließungsgründe – soweit sie nicht von Amts wegen wahrgenommen werden – durch Ablehnung geltend zu machen (vgl. § 72 StPO), ohne dass hiefür – insofern im Gegensatz zum geltenden Recht (§ 73 StPO) – eine Frist vorgesehen wäre. Wenn auch im Begutachtungsverfahren vielfach die Beibehaltung der Fristen des § 73 StPO gefordert wurde, wäre dies nicht sachgerecht, weil die Ausschließungsgründe auch nach Fristablauf bekannt werden könnten.

Zu § 45 („Entscheidung über Ausschließung“):

Abs. 1 überträgt die Kompetenz zur Entscheidung über die Ausschließung – auch im Fall eines Antrages eines Verfahrensbeteiligten – jenem richterlichen Organ, dem ein Ausschließungsgrund anzuzeigen wäre. Lediglich in den Fällen, in denen eine Ablehnung während der Hauptverhandlung geltend gemacht wird oder eine Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten des Gerichts nicht möglich erscheint, ohne die Hauptverhandlung zu vertagen, soll das erkennende Gericht selbst über die Ausschließung entscheiden. Auch dies entspricht weitgehend geltendem Recht (vgl. § 238 Abs. 1 StPO).

In den Abs. 2 und 3 werden der Inhalt der Entscheidung festgelegt und die Konsequenz der Ausschließung geregelt. Zurückgewiesen werden soll der Antrag nur dann, wenn er von einer nicht am Verfahren beteiligten Person gestellt wurde. Um Prozessverschleppungen durch wiederholte unbegründete Anfechtungen hintanzuhalten, soll ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig sein. Hingegen soll dem Antragsteller in jedem Fall – auch in dem der Entscheidung durch das erkennende Gericht – die Geltendmachung der formellen Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 1 bzw. Z 4 StPO offen stehen. [122])

Zu § 46 („Ausschließung von Geschworenen, Schöffen und Protokollführern“):

Für Schöffen, Geschworene und gerichtliche Protokollführer sollen die für Richter normierten Ausschließungsgründe und das Verfahren zu ihrer Geltendmachung mit der Maßgabe zur Anwendung gelangen, dass über die Ablehnung von Geschworenen und Schöffen der Vorsitzende und über die Ablehnung eines Protokollführers der mit der jeweiligen Prozesshandlung betraute Richter zu entscheiden hat. Die Ausschließungsgründe der Vorbefasstheit (§ 43 Abs. 2 bis 4) sollen auf Protokollführer nicht anzuwenden sein; soweit im Einzelfall – etwa nach Berufswechsel – Voreingenommenheit zu befürchten sein sollte, würde die Generalklausel des Abs. 1 Z 3 greifen.

Zu § 47 („Befangenheit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft“):

Wie bereits oben ausgeführt, erschiene eine Regelung über die Befangenheit nicht vollständig, wenn sie hinsichtlich der das Ermittlungsverfahren prägenden Organe der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft keine Bestimmung enthielte. Die Tätigkeit dieser Organe ist gleichfalls am Maßstab der Objektivität zu messen und darf keinen einseitigen oder voreingenommenen Eindruck vermitteln, mögen auch der Aufklärung des Verdachts strafbarer Handlungen in der Regel bestimmte Annahmen zu Grunde liegen, die zur Durchführung von Ermittlungen berechtigen und verpflichten. Zielgerichtetes Vorgehen bedeutet nämlich keineswegs zwangsläufig, dass entlastenden und belastenden Umständen nicht mit gleicher Sorgfalt nachgegangen würde.

Im § 47 sollen daher die derzeit geltenden Befangenheitsgründe (§§ 7 AVG, 47 BDG) mit jenem der Vorbefasstheit in einer anderen Verfahrensrolle – systematisch und sprachlich angepasst – kombiniert werden. Ein und dieselbe Person soll im selben Verfahren natürlich nicht eine andere als ihre ursprüngliche Funktion übernehmen. Andere Gründe, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, können fallbezogen etwa darin gelegen sein, dass ein Staatsanwalt privat Zeuge einer Straftat war, aber ebenso darin, dass ein Organ der Kriminalpolizei gegen einen Angehörigen derselben Dienststelle zu ermitteln hätte.

Staatsanwälte und Organe der Kriminalpolizei sollen aus einer vorliegenden Befangenheit selbst die Konsequenzen ziehen, sich weiterer Tätigkeiten enthalten und – in der Regel durch Vorgesetzte – für erforderliche Vertretung sorgen lassen. Sofern sie dennoch im Verfahren weiterhin tätig bleiben (müssen), soll dies jedoch – anders als bei Richtern – nicht mit absoluter Nichtigkeit bedroht sein (Abs. 2). Dies deswegen, weil einerseits an ermittelnde Organe nicht gleich strenge Maßstäbe wie an entscheidende angelegt werden müssen und andererseits die – mitunter ohne Möglichkeit eines Aufschubes – aufgenommenen Beweise richterlicher Nachprüfung unterliegen.

Gemäß Abs. 3 soll der Leiter der jeweiligen Behörde im Dienstaufsichtsweg über die Befangenheit eines ihm unterstehenden Organs zu entscheiden haben (vgl. §§ 76 StPO, 5 Abs. 2 DV-StAG).

1.3. Zum 3. Hauptstück („Beschuldigter und Verteidiger“):

Durch die Bestimmungen des 3. Hauptstückes soll eines der zentralen Anliegen der Gesamterneuerung des strafprozessualen Vorverfahrens umgesetzt werden, nämlich eine eindeutige und übersichtliche Regelung der Rechte des Beschuldigten zu schaffen. Die Rechtsstellung des Beschuldigten soll insgesamt den Erfordernissen eines von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft geführten (einheitlichen) Ermittlungsverfahrens angepasst werden, wobei es insbesondere darum geht, dass der Beschuldigte wesentliche Rechte schon ab dem Beginn des Verfahrens ausüben kann.

Bereits der DE hat die rechtliche Ausgestaltung der Stellung des Beschuldigten als zentralen Regelungsgegenstand eines rechtsstaatlich geprägten Strafverfahrens bezeichnet. [123]) Im Hinblick auf die grundsätzliche Zustimmung [124]), die das Kapitel „Beschuldigter und Verteidiger“ in den Stellungnahmen zum DE erfahren hat, knüpfte der Begutachtungsentwurf an diese Vorschläge an, wobei allerdings die neuen bzw. veränderten Begriffsinhalte mit den Bestimmungen des Haupt- und Rechtsmittelverfahrens sowie der besonderen Verfahrensarten (insbesondere jenem zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) abzustimmen waren. Das Ziel einer verfahrensrechtlichen Besserstellung des Beschuldigten gegenüber dem geltenden Recht verfolgt die Regierungsvorlage konsequent weiter und versucht zudem, im Begutachtungsverfahren erhobenen Einwänden mit Augenmaß Rechnung zu tragen. Die künftige Rechtsstellung des Beschuldigten wird durch den materiellen Beschuldigtenbegriff gekennzeichnet. [125]) Der Beschuldigte soll seine Rechte ab der ersten gegen ihn gerichteten Ermittlung wahrnehmen können, wobei natürlich Ausnahmen – vor allem auf Grund kriminaltaktischer Erwägungen – vorzusehen sind. Als zentralem Beteiligten des Verfahrens kommen dem Beschuldigten aber grundsätzlich vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an bestimmte Verfahrensrechte zu, deren Umfang und Reichweite in der Strafprozessordnung selbst (und nicht in einem anderen Verfahrensgesetz) gesetzlich festgelegt werden. [126]) Die Verfahrensrechte sollen dabei insbesondere den bereits in den Grundsätzen des Verfahrens verankerten Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK; vgl. auch § 6), vor allem das Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und § 7), konkret ausgestalten.

1.3.1. Zum 1. Abschnitt („Allgemeines“):

Zu § 48 („Allgemeines“):

In dieser Bestimmung werden die für das Hauptstück wesentlichen Begriffe definiert.

Dem Begriff des Beschuldigten nach Abs. 1 Z 1 liegt der materielle Beschuldigtenbegriff zu Grunde. Beschuldigter ist jede Person, gegen die, weil sie auf Grund bestimmter Tatsachen einer Straftat konkret verdächtig ist, ermittelt oder Zwang ausgeübt wird. Diese Begriffsdefinition deckt sich bewusst nicht mit dem im § 1 Abs. 2 festgelegten Beginn des Strafverfahrens. Das Strafverfahren soll mit der ersten Ermittlungshandlung wegen einer Straftat zu einem möglichst frühen Zeitpunkt beginnen und förmlich geführt werden. Hingegen sind der Status als Beschuldigter und die damit verbundene Möglichkeit, die entsprechenden Rechte auszuüben, vor allem dann entscheidend, wenn sich der Verdacht der Begehung einer Straftat bereits konkret gegen den Betroffenen richtet. Der Verdacht seinerseits ergibt sich aus bestimmten, für die Tatbegehung sprechenden Umständen. Würde bereits jede Maßnahme der Kriminalpolizei zur Erlangung solcher Tatsachen, durch die erst geklärt werden soll, gegen welche bestimmte Person sich ein zunächst vager Anfangsverdacht richtet (zum Beispiel bloße Informationseingriffe, wie Hausbefragungen, Fahrzeug- oder Alibiüberprüfungen aber auch die bloße Befragungen zur Identität) Beschuldigtenstellung nach ziehen, wären zwangsläufig eine Vielzahl von Personen ohne gerechtfertigten Grund in ein Strafverfahren verwickelt und mit ihren Daten im KPA aktenkundig. Damit würde eine weitreichende, aber unerwünschte Kriminalisierung mit einer gewissermaßen „aufgezwungenen“ Verfahrensposition einhergehen.

Die Vornahme einer, wenn auch nur faktischen, nicht zwingend unmittelbar und direkt gegen den Beschuldigten gerichteten „Untersuchungshandlung“ zur Aufklärung eines gegen ihn solcherart konkret gerichteten Verdachts erfordert es hingegen, diese Person als zentral Beteiligte (Subjekt) des Verfahrens anzuerkennen. [127]) Lediglich zur Klarstellung soll hervorgehoben werden, dass beispielsweise eine mit unmittelbarem Zwang gegen eine bereits verdächtige Person vorgenommene Identitätsfeststellung nach § 118 die Stellung als Beschuldigter begründet, auch wenn konkret gegen diese Person wegen dieses Verdachts zuvor noch nicht ermittelt worden ist. Die Qualifikation als Beschuldigter soll sich demnach grundsätzlich aus einer objektiven Verdachtslage und einer nach außen hin erkennbaren Vorgangsweise der Strafverfolgungsorgane ergeben. Entscheidend soll immer eine objektive Betrachtungsweise sein. Wenn objektiv zu erkennen wäre, dass sich die fragliche Ermittlung gegen eine bestimmte Person als (auf Grund bestimmter Tatsachen konkret) möglichen Täter richtet, darf es keine Rolle spielen, ob dieser Ermittlung auch ein Wille zur Aufklärung des gegen den Betreffenden gerichteten Verdachts zu Grunde liegt. [128]) Die Ermittlung muss sich im Übrigen nicht unmittelbar gegen den Beschuldigten richten, sie kann beispielsweise auch in der Vernehmung eines Zeugen bestehen, die der Klärung der Verdachtslage dient.

Der Beschuldigte wird nach Abs. 1 Z 2 zum Angeklagten, sobald gegen ihn Anklage bei dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht eingebracht wird (vgl. §§ 210 ff). Mit dem Einbringen der Anklage wird das Ermittlungsverfahren beendet; der Übergang von einem staatsanwaltschaftlichen zu einem gerichtlichen Verfahren und der damit verbundene Wechsel der Staatsanwaltschaft in die Verfahrensrolle einer Beteiligten des Verfahrens (vgl. § 210 Abs. 2) soll auch die entscheidende Zäsur für den Wechsel vom Beschuldigten zum Angeklagten bilden.

Die Definition des „Betroffenen“ nach Abs. 1 Z 3 berücksichtigt, dass – insbesondere durch die Anordnung oder Ausübung von Zwang – in Rechte von Personen unmittelbar eingegriffen wird, die zwar nicht am Strafverfahren beteiligt sind, die aber für die Wahrnehmung ihrer Rechte – partiell – eine Verfahrensposition benötigen, die in mancher Hinsicht der des Beschuldigten vergleichbar ist.

Der Begriff des „Verteidigers“ nach Abs. 1 Z 4 orientiert sich grundsätzlich am geltendem Recht. Allerdings sollten auch im Strafverfahren bloß berufsmäßige Parteienvertreter als Verteidiger zugelassen werden. Die Vernetzung juristischer Berufsbilder bzw. die gegenseitige Anerkennung bestimmter Berufsberechtigungen und damit die Durchlässigkeit juristischer Karrieren ist keine primäre prozessuale Aufgabe und sollte im Zusammenhang mit den jeweiligen Berufsrechten geregelt werden. Es sollen daher ausschließlich solche Personen als Verteidiger namhaft gemacht werden können, die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich berechtigt sind (vgl. § 1 RAO); in diesem Sinne ist auch der ausländische Rechtsanwalt gemäß § 1 EWR-RAG „berechtigt“; dass dieser im Fall notwendiger Verteidigung nur im Einvernehmen mit einem österreichischen Anwalt tätig werden darf, ergibt sich aus § 4 EWR-RAG.

Die Befugnis, als Verteidiger für den Beschuldigten einzuschreiten, soll zu dem Zeitpunkt wirksam werden, zu dem der Verteidiger eine Vollmacht vorlegt, sich mündlich auf eine erteilte Bevollmächtigung beruft oder zu dem er vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer wirksam als Rechtsbeistand bestellt wurde.

Abs. 2 lehnt sich an die Bestimmung des § 38 Abs. 3 StPO an und erweitert den Anwendungsbereich der auf den Beschuldigten bezogenen Regelungen. Auch soweit diese Regelungen bloß auf den Beschuldigten verweisen, sollen sie daher grundsätzlich gleichermaßen auf den Angeklagten und auf Personen anzuwenden sein, gegen die ein Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach den §§ 429 ff StPO eingebracht wurde.

1.3.2. Zum 2. Abschnitt („Der Beschuldigte“):

Zu § 49 („Rechte des Beschuldigten“):

Der Abschied von der Lehre vom Prozessrechtsverhältnis soll auch in einer veränderten Begriffsbildung zum Ausdruck kommen. [129]) Die Bestimmung hält daher fest, dass der Beschuldigte „Beteiligter“ des Strafverfahrens ist, dem als zentrales Recht zusteht, sich (auch „selbst“) zu verteidigen. Dieses Recht wäre mehr oder weniger wirkungslos bzw. bloß programmatisch, wenn es sich nicht in konkreten, situationsbezogenen Verfahrensrechten niederschlüge. Die Legitimationsfunktion des Strafverfahrens verlangt insoweit, dass das Verfahren in formaler Hinsicht von Anfang an so geführt wird, dass es am Ende sämtliche Proteste gegen die Entscheidung absorbiert, also im normativen Sinne als unvernünftig und deshalb als nicht maßgeblich erscheinen lässt. Dies verlangt zweierlei:

Erstens sind die Beteiligten derart in den Kommunikationsprozess zu involvieren, dass jeder von ihnen eine reale Chance erhält, das Ergebnis mit zu beeinflussen. Vor der endgültigen Entscheidung muss also die Möglichkeit bestanden haben, alle einschlägigen Hypothesen zur Sprache zu bringen und in einer von allen Beteiligten getragenen Kommunikation zu überprüfen. Das setzt vor allem die Einräumung „prozessualer Verfügungsrechte“, also effektiver Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte voraus. Dazu gehört auch, dass der Ausgang des Verfahrens bis zur abschließenden Entscheidung offen gehalten wird.

Zweitens muss sich die Entscheidungsfindung von einer in einem hohen Maß plausiblen Argumentation leiten lassen. Hiefür ist insbesondere erforderlich, dass ihr keine unzuverlässigen Beweismittel zu Grunde gelegt werden und dass sie gegen mögliche Fehlerquellen immunisiert wird. [130])

Beteiligung am Verfahren bedeutet somit Möglichkeit und Berechtigung zur aktiven Mitwirkung; sie beinhaltet demnach folgende Rechte:

      Information über den Inhalt der Beschuldigung und die wesentlichen Rechte im Verfahren (Z 1 und § 50),

      Freie Verteidigerwahl und Anspruch auf Verfahrenshilfe (Z 2 und §§ 58 ff),

      Recht auf Akteneinsicht, die im Ermittlungsverfahren grundsätzlich durch Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft in den jeweiligen Akt zu gewähren ist (Z 3 und §§ 51 bis 53),

      Recht zu schweigen und Recht, vor seiner Vernehmung mit einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und sich mit ihm zu besprechen (Z 4 und §§ 58, 59 und 164 Abs. 1 ),

      Recht, seiner Vernehmung eine Person seines Vertrauens beizuziehen (Z 5 und § 164 Abs. 2),

      Recht, die Aufnahme von Beweisen zu beantragen (Z 6 und § 55),

      Recht auf Einspruch gegen Verweigerung von Verfahrensrechten und gegen Ausübung von Zwangsgewalt (Z 7 und § 106),

      Recht auf Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung von Zwangsmaßnahmen (Z 8 und § 87),

      Recht, die Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (Z 9 und § 108),

       Beteiligungs- und Anwesenheitsrechte (Z 10 und §§ 127 Abs. 2, 150 Abs. 1 und 165),

      Recht auf wirksame Rechtsbehelfe und Rechtsmittel (Z 11),

      Recht auf Übersetzungshilfe (Z 12 und § 56).

Zu § 50 („Rechtsbelehrung“):

Mit dieser Bestimmung soll der mit dem Strafprozessänderungsgesetz (StPÄG) 1993, BGBl. Nr. 526, eingeschlagene Weg frühzeitiger Information des Beschuldigten fortgesetzt werden (vgl. § 38 Abs. 4 StPO). [131]) Mit ihr soll die Grundsatzbestimmung des § 6 Abs. 2 (rechtliches Gehör), die sich wiederum an Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK orientiert, näher konkretisiert werden. Dem Beschuldigten soll grundsätzlich das unbedingte Recht zukommen, sobald wie möglich über seine verfahrensrechtliche Stellung, ihre Begründung und seine daraus abzuleitenden wesentlichen Rechte informiert zu werden. Diese Information soll ihm mündlich oder schriftlich – unter Verwendung eines zu individualisierenden Formblattes – durch Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu erteilen sein. Diese Alternative soll grundsätzlich als „entweder – oder“ nach der zeitlichen Abfolge zu verstehen sein, jedoch immer eine Handlungspflicht der jeweiligen Behörde bzw. ihrer Organe auslösen. Die Pflicht, den Beschuldigten über den Inhalt des gegen ihn gerichteten Tatverdachts (die „Anschuldigung“) und über seine wesentlichen Rechte im Verfahren zu belehren, soll die Behörde bzw. das Organ treffen, die oder das jene Ermittlung gesetzt bzw. angeordnet hat, die für die Stellung der betreffenden Person als Beschuldigter konstitutiv ist. Dies wird zwar in den meisten Fällen die Kriminalpolizei sein, die das Verfahren faktisch führt und in der Regel als erste Behörde unmittelbaren Kontakt mit dem Beschuldigten hat, doch soll auch die Staatsanwaltschaft von sich aus verpflichtet sein, die Belehrung vorzunehmen, etwa wenn ihr in einem Bericht der Kriminalpolizei Zweifel mitgeteilt werden, ob eine bestimmte Person als Beschuldigter zu behandeln sei.

Insgesamt soll ein Ausgleich zwischen möglichst weitgehender Achtung der Grundrechte und Wahrung kriminalpolizeilicher Effizienz hergestellt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum möglich, den „richtigen“ Zeitpunkt der Verständigung exakt im Gesetz festzulegen, ohne Umgehungsstrategien zu fördern; eine Verständigung zum Zeitpunkt der Vernehmung kommt zwar vom Standpunkt wirksamer Verteidigung vielfach zu spät, eine Verständigung unmittelbar bei Bekanntwerden erster Verdachtsmomente wäre jedoch aus kriminaltaktischer Sicht wiederum häufig verfrüht. Mit dem Ziel, auch auf kriminalpolizeiliche Effizienz Bedacht zu nehmen, wäre es tatsächlich nur schwer vereinbar, wenn man die Pflicht zur sofortigen und umfassenden Rechtsbelehrung des Beschuldigten so eng verstünde, dass sie in jedem Fall und ausnahmslos unverzüglich nach dem Beginn des Ermittlungsverfahren zu erfolgen hätte. Abgesehen vom Bereich „heimlicher“ Überwachungsmaßnahmen, die schon per definitionem voraussetzen, dass der Beschuldigte von ihrer Durchführung keine Kenntnis hat, soll daher ein Aufschub – wie nach geltendem Recht (vgl. § 38 Abs. 4 letzter Satz StPO) – zulässig sein, wenn entweder auf Grund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass der Erfolg einzelner Ermittlungen andernfalls gefährdet würde (Gefahr der Beeinträchtigung von Beweismitteln) oder wenn die Vernehmung des Beschuldigten ohnedies kurze Zeit später stattfinden soll. Wesentlich erscheint in erster Linie, dass der Beschuldigte jedenfalls vor der Ausübung von Zwang oder unmittelbar danach bzw. vor seiner Vernehmung zur Sache über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht und seine Rechte aufgeklärt wird. Die Mitteilung sämtlicher Verdachtsgründe vor der Vernehmung des Beschuldigten ist schon deshalb zwingend, weil die Gelegenheit, die Verdachtsgründe durch eine zusammenhängende Erklärung zu entkräften, voraussetzt, dass der Beschuldigte auch sämtliche Verdachtsgründe kennt. [132])

Justizielle Kontrolle soll einerseits dadurch gewährleistet werden, dass die Kriminalpolizei in ihren Berichten an die Staatsanwaltschaft nach § 100 Abs. 2 darzulegen hat, ob dem Beschuldigten bereits Rechtsbelehrung erteilt wurde und – sofern dies nicht der Fall ist – aus welchen Gründen dies unterblieb. Die Staatsanwaltschaft hätte dann zum gegebenen Zeitpunkt eine Rechtsbelehrung des Beschuldigten anzuordnen oder selbst durchzuführen. Andererseits könnte eine verspätete oder unzureichende Belehrung auch zum Gegenstand eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung (§§ 106 ff) genommen werden.

Spezielle Belehrungspflichten gegenüber dem verhafteten Beschuldigten sind einerseits in den §§ 153 Abs. 2 und 164 Abs. 1 im Zusammenhang mit der Vernehmung des Beschuldigten, andererseits in den Bestimmungen über die Festnahme des Beschuldigten (§§ 171 Abs. 3) und über die Entscheidung über die Untersuchungshaft (§ 174 Abs. 3) enthalten.

Zu den §§ 51 und 52 („Akteneinsicht“):

Grundsätzlich soll der Beschuldigte berechtigt sein, sich die zum Zweck seiner Verteidigung erforderlichen Informationen durch Akteneinsicht zu beschaffen. In Weiterentwicklung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, der zu Folge im Verfahren über Nachforschungen und vorbereitende Anordnungen im Dienste der Strafjustiz über die Verweigerung der Akteneinsicht ein im Instanzenzug anfechtbarer Bescheid zu ergehen hat (§ 24 StPO, Art. V EGVG in Verbindung mit § 17 AVG) [133]), soll dem Beschuldigten – und zwar unabhängig davon, ob er durch einen Verteidiger vertreten ist (vgl. § 45 Abs. 2 StPO) – ausdrücklich das subjektive Recht eingeräumt werden, bereits in die der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahren (in den „Ermittlungsakt“) Einsicht zu nehmen.

Schon eine bloß aus der Niederschrift einer Vernehmung hervorgehende oder sonst faktische Verweigerung der Akteneinsicht kann durch den vorgeschlagenen Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 ff) einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden. [134]) Dadurch soll das Recht auf Akteneinsicht rasch durchgesetzt werden können, weil die Staatsanwaltschaft im Verfahren über den Einspruch auch die Möglichkeit hat, dem Begehren des Beschuldigten sofort zu entsprechen (§ 106 Abs. 2).

Das Recht auf Akteneinsicht soll sämtliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens umfassen, wobei vom Grundsatz der Aktenvollständigkeit ausgegangen wird. Was für das Ermittlungsverfahren geschaffen oder in diesem sichergestellt worden ist, unterliegt im Hinblick auf den Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör grundsätzlich dessen Akteneinsicht. Dem zu Folge soll Einsicht in alle Unterlagen gewährt werden müssen, die dem Gericht beim Einbringen der Anklage vorzulegen sind, dh. in alle vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an gesammelten, be- und entlastenden Schriftstücke einschließlich allfälliger Bild- und Tonaufnahmen, Fahndungsnachweise und polizeilicher „Spurenakten“, soweit diese Unterlagen bei der Verfolgung einer bestimmten Tat gegen einen bestimmten – bekannten oder unbekannten – Täter angefallen sind und ihr Inhalt für die Feststellung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat und für etwaige gegen ihn zu verhängende Rechtsfolgen von Bedeutung sein kann. Daher soll der Beschuldigte grundsätzlich – nach Maßgabe der näheren Bestimmungen über die Akteneinsicht – auch die Möglichkeit haben, Beweisgegenstände in Augenschein zu nehmen, es sei denn, dass damit ein Nachteil für die Ermittlungen, also etwa eine Vernichtung oder Beeinträchtigung einer Spur verbunden sein könnte.

Die im § B 7 Abs. 1 DE enthaltene Formulierung, wonach der Beschuldigte jederzeit berechtigt sei, in die Akten des Gerichts und in die Ermittlungsergebnisse, die der Staatsanwaltschaft vorliegen oder ihr mit Bericht vorzulegen sind oder wären, Einsicht zu nehmen, ist wegen ihrer mangelnden Bestimmtheit auf Kritik gestoßen. [135]) Wenn auch eine exakte Umschreibung des Umfanges der Akteneinsicht wegen der unterschiedlichen Aktenführung bei Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht schwierig sein mag, so soll doch gewährleistet sein, dass keine relevanten Informationen zurückgehalten werden können. [136]) Gegenüber dem DE soll daher auf eine hypothetische Umschreibung des Umfanges der Akteneinsicht, die auf den Zeitpunkt verweist, in dem Anklage eingebracht wird, verzichtet werden. Der Begriff „Ergebnisse“ des Ermittlungsverfahrens wird nunmehr durch die Bestimmungen des 4. Abschnittes des 6. Haupt­stückes („Protokollierung“) konkretisiert. Danach sind Vorbringen von Personen und andere bedeutsame Vorgänge schriftlich festzuhalten und die Aufnahme von Beweisen zu protokollieren (vgl. die §§ 95 bis 97 und die darauf bezogenen Erläuterungen).

Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht sind daher grundsätzlich nach den gleichen Bestimmungen zu einer am Grundsatz der Aktenvollständigkeit orientierten Aktenbildung verpflichtet. Die neue Struktur des Ermittlungsverfahrens bedingt jedoch, dass die bisher durch den Gerichtsakt erfolgte Vereinheitlichung der Aktenführung durch einen (kriminalpolizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen) „Ermittlungsakt“ abgelöst wird. [137]) Dabei lässt sich – im Hinblick auf das kooperative Zusammenwirken von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren – „doppelte“ Aktenführung in gewissem Umfang nicht vermeiden. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle wird der Akt zunächst ausschließlich durch die Kriminalpolizei geführt werden. Erst wenn der Staatsanwaltschaft Bericht erstattet wird oder wenn diese selbst die Initiative für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens setzt, wird ein „staatsanwaltschaftlicher Akt“ anzulegen sein, der sich inhaltlich jedoch nicht wesentlich vom Behelfscharakter („Behelfe und Unterlagen der staatsanwaltschaftlichen Behörden“) der schon bisher geführten „Tagebücher“ unterscheiden wird (eine Anpassung des § 34 StAG an diese Bestimmungen wird dennoch unumgänglich sein). Soweit die Staatsanwaltschaft selbst Ermittlungen durchführt, soll sie die hergestellten Protokolle sowohl der Kriminalpolizei zur chronologischen Aktenführung übermitteln als auch zu ihren eigenen Akten nehmen (vgl. § 34 Abs. 3 StAG). Diese Akten werden sich daher im Wesentlichen aus den Berichten der Kriminalpolizei, den Anordnungen der Staatsanwaltschaft selbst (vgl. § 102) und den Ausfertigungen allfälliger gerichtlicher Entscheidungen im Ermittlungsverfahren zusammensetzen. Durch die Möglichkeiten, die der Einsatz der Informationstechnik bietet (vgl. dazu die Bestimmungen der §§ 74 bis 75; „elektronischer Akt“), sollen „Doppelgleisigkeiten“ in den Ermittlungen verhindert und sichergestellt werden, dass sich sowohl die Kriminalpolizei als auch die Staatsanwaltschaft jederzeit über den aktuellen Stand des Ermittlungsverfahrens informieren kann. „Elektronische Aktenführung“ und der elektronische Rechtsverkehr sollen in größtmöglichem Umfang genützt werden; hiefür erforderliche Anpassungen im StAG und in der Geo (vgl. die Bestimmungen der §§ 89a ff GOG) werden gesondert entworfen werden. Von der Einsicht in die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ist auch weiterhin die Einsichtnahme in Behelfe und Unterlagen der staatsanwaltschaftlichen Behörden zu unterscheiden, diese bleibt der exklusiven Regelung des § 35 StAG vorbehalten. Der interne Meinungsbildungsprozess innerhalb der staatsanwaltschaftlichen Behörden unterliegt – ähnlich wie gerichtliche Beratungsprotokolle – der nach § 35 StAG beschränkten Einsicht.

Soweit das Gericht im Ermittlungsverfahren tätig wird, soll es – wie bisher im Stadium der Vorerhebungen – einen eigenen Akt führen, in dem seine sämtlichen Tätigkeiten in einem bestimmten Ermittlungsverfahren chronologisch und vollständig zusammenzufassen wären. Ausfertigungen gerichtlicher Protokolle und Beschlüsse wären jedoch auch zu den Ermittlungsakten zu nehmen, um deren Vollständigkeit und Einheitlichkeit zu wahren. Mit der Einbringung der Anklageschrift soll die Staatsanwaltschaft dem Gericht schließlich die solcherart zusammengefassten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorlegen. Ab diesem Zeitpunkt soll ausschließlich das Gericht für die Gewährung der Akteneinsicht zuständig sein.

Das Recht auf Information und Kenntnis muss allerdings dann auf Grenzen stoßen, wenn es gilt, einer bestehenden ernsten Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit (§ 162) einer Person zu begegnen. In solchen Fällen muss die Sicherung der körperlichen Unversehrtheit gegenüber anderen Interessen im Vordergrund stehen. Insoweit ist es zulässig, personenbezogene Daten gefährdeter Personen, aber auch solche Textzusammenhänge, die Rückschlüsse auf ihre Identität oder ihre höchstpersönlichen Lebensumstände zulassen (zum Beispiel die Tatsache, dass eine gefährdete Person Wahrnehmungen zum Tathergang als örtlich unmittelbar angrenzender Nachbar gemacht hat) von der Akteneinsicht generell und für das gesamte Verfahren auszunehmen. Kann der Gefahr (die sich auch erst nach einer Vernehmung ergeben kann) durch Unkenntlichmachung entsprechender Passagen begegnet werden, wären – anstelle der Akteneinsicht – im Sinne der erforderlichen Anonymisierung „zensurierte“ Kopien auszufolgen (§ 51 Abs. 2 erster Satz).

Davon abgesehen soll eine Verweigerung oder Beschränkung der Akteneinsicht des Beschuldigten nach § 51 Abs. 2 zweiter Satz nur bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens (siehe 3. Teil, §§ 190 ff) und nur insoweit zulässig sein, als die Kenntnisnahme des Beschuldigten von bestimmten Aktenbestandteilen den Erfolg weiterer Ermittlungen gefährden würde. Nach Einleitung diversioneller Maßnahmen wird eine solche Beschränkung also kaum in Betracht kommen, zumal die „freiwillige Unterwerfung“ des Beschuldigten dessen Information über Art und Umfang des Tatverdachts voraussetzt.

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass es – jedenfalls bis zum Einbringen der Anklage – mit Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK vereinbar ist, dem Beschuldigten nicht sogleich sämtliche Informationen offen zu legen, wenn damit die Gefahr der Verdunkelung oder sonstigen Beweismittelbeeinträchtigung verbunden wäre. [138])

Durch § 51 Abs. 3 soll klargestellt werden, dass die Erteilung einfacher (in der Regel ohne Einsichtnahme in den Akt zu bewerkstelligende) mündlicher Auskünfte zulässig ist. Damit soll bei einfachen, kurzen Anfragen eine möglichst rasche und unbürokratische Information ermöglicht werden. Die Berechtigung des Auskunftswerbers zur Akteneinsicht und seine Identität sind dabei auf geeignete Weise zu überprüfen.

Die Bestimmung des § 52 enthält jene Vorschriften, die für die Gewährung der Akteneinsicht durch Ausfolgung von Ablichtungen oder anderen Reproduktionen von Aktenbestandteilen anzuwenden sind. Danach soll der Beschuldigte im Umfang der im zustehenden Akteneinsicht auch berechtigt sein, solche Ablichtungen herzustellen oder deren Ausfolgung zu beantragen – beides grundsätzlich gegen Kostenersatz (Abs. 1). Ton oder Bildaufnahmen sind jedoch nicht zu kopieren.

Abs. 2 enthält über die Bestimmungen des Gerichtsgebührengesetzes (denen zu Folge zwei Abschriften eines Protokolls für jede Partei gebührenfrei sind) hinaus gehende Regelungen. Während Befunde und Gutachten dem Beschuldigten immer gebührenfrei auszufolgen sind (weil die Kosten des Gutachtens nach den Bestimmungen des Gebührenanspruchsgesetzes auch das Entgelt für die erforderliche Anzahl von Kopien umfassen), soll dies für andere Aktenteile nur dann gelten, wenn der Beschuldigte mittellos ist und ihm aus diesem Grund Verfahrenshilfe bewilligt wurde. Schließlich sollen dem Beschuldigten im Haftfall wie nach geltendem Recht bis zur „ersten“ Haftverhandlung auch Ablichtungen jener Aktenteile unentgeltlich übermittelt werden, die er zur Beurteilung von Tatverdacht und Haftgrund, sohin zur Vorbereitung dieser Haftverhandlung benötigt.

Abs. 3 fasst jene Fälle zusammen, in denen dem Beschuldigten von Amts wegen oder auf Antrag bestimmte Aktenstücke zuzustellen sind (und übernimmt zu diesem Zweck Teile der §§ 45 Abs. 2 und 45a StPO). Nach Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Z 3 sollen dem Beschuldigten Befunde und Gutachten immer von Amts wegen (und unentgeltlich) zuzustellen sein, andere Ablichtungen hingegen nur auf Antrag und grundsätzlich nur gegen Bezahlung. Eine Ausnahme hievon soll für den in Haft angehaltenen Beschuldigten gelten (vgl. den im Zuge des StPÄG 1993 geänderten § 45a StPO).

Zu § 53 („Verfahren bei Akteneinsicht“):

Abs. 1 regelt das Verfahren zur Entscheidung über die Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren. Grundsätzlich kann Akteneinsicht bis zum Einbringen der Anklage in den jeweiligen Akt sowohl bei der Kriminalpolizei als auch bei der Staatsanwaltschaft begehrt werden. Die Einsicht in den jeweiligen „Ermittlungsakt“ wäre zu gewähren oder mit entsprechender Begründung zu verweigern. Ein kurzfristiger Aufschub aus administrativen Gründen wird in der Praxis auch in dem Fall, dass der Akteneinsicht keine Hindernisse entgegen stehen, häufig erforderlich sein; jedoch wären die Gründe dieses Aufschubs und die näheren Umstände (Zeit, Ort), unter denen der Akt zur Einsicht zur Verfügung stehen wird, konkret mitzuteilen.

Gegen eine Verweigerung stünde dem Beschuldigten der Akteneinsicht Einspruch nach § 106 Abs. 1 Z 1 zu, wobei das Gericht im Fall der Stattgebung die Akteneinsicht grundsätzlich nicht selbst zu gewähren, sondern ihre Erteilung bloß zu bewilligen hätte.

Zur Kompetenz der Staatsanwaltschaft, im Ermittlungsverfahren auch insoweit über die Akteneinsicht zu entscheiden, als Ergebnisse gerichtlicher Beweisaufnahmen betroffen sind, ist festzuhalten, dass gerichtliche Protokolle ebenso Bestandteil des Aktes und daher nicht anders zu behandeln sind wie der von der Staatsanwaltschaft oder von der Kriminalpolizei produzierte Akteninhalt.

Abs. 2 bestimmt, dass Akteneinsicht grundsätzlich in den jeweiligen Amtsräumen und während der Amtsstunden zu gewähren ist; im Hinblick auf die rasch voranschreitenden Möglichkeiten der Büroautomatisation soll sie jedoch auch auf elektronischem Weg (per Datenfernübertragung) ermöglicht werden.

Zu § 54 („Verbot der Veröffentlichung“):

Eine wirksame Verteidigung des Beschuldigten ist ohne Kenntnis des Inhalts und Umfangs eines strafrechtlichen Vorwurfs nicht denkbar. Eine Verfahrensordnung hat jedoch auch die Rechte anderer vom Verfahren betroffener Personen sowie das Strafverfolgungsinteresse zu berücksichtigen, das durch eine ungehinderte Weitergabe von Informationen an die Öffentlichkeit behindert werden könnte. Hinzu tritt das Verfassungsgebot des § 1 Abs. 2 DSG 2000, das den Gesetzgeber verpflichtet, Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen zu verwenden und gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festzulegen. Das Strafverfahren greift in vielfältiger Weise in die Rechte Betroffener ein und bedient sich zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten besonderer Zwangsmaßnahmen, um Daten zu ermitteln. Im Gegenzug kommt ihm daher auch besonderem Maß die Aufgabe zu, den Anspruch der Betroffenen auf Geheimhaltung der solcherart ermittelten Daten wirksam zu gewährleisten, ohne dadurch die Verteidigungsrechte des Beschuldigten (Art. 6 EMRK) und das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit (Art. 10 EMRK) zu beeinträchtigen. [139])

Die geltende Strafprozessordnung enthält – abgesehen vom Sonderfall der besonderen Ermittlungsmaßnahmen („Separatakt“ nach § 149m Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 301 Abs. 3 StGB) – keine Vorschriften darüber, ob und inwieweit es zulässig ist, dass der Beschuldigte oder sein Verteidiger Informationen, die er durch Akteneinsicht erlangt hat, veröffentlicht; die Strafprozessordnung 1975 berücksichtigt allerdings, dass auch am Strafverfahren nicht beteiligte Dritte und die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an einem Strafverfahren haben können. [140]) Bei der Information der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit einer konkreten Strafsache hat der Beschuldigte jedoch eine Reihe – durch andere Gesetze – geschützter Interessen zu wahren, die teils ineinander greifen, teils einander ausschließen. [141])

Der Begutachtungsentwurf hat sich der schwierigen Aufgabe der Wahrung der Balance zwischen widerstreitenden Grundrechten gestellt und versucht, in dem (dort) vorgeschlagenen § 56 an die verfassungsrechtlich ableitbare Schutzpflicht des Staates anzuknüpfen, die dort an Gewicht gewinnt, wo im gesellschaftlichen Prozess übermächtige Informationsinhaber und -mittler einzelnen betroffenen Bürgern   gegenüberstehen. [142]) Dabei konnte an die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung in Folge der Erweiterung der Strafbestimmung des § 301 StGB durch das Bundesgesetz über besondere Ermittlungsmaßnahmen, BGBl. I Nr. 105/1997, angeknüpft werden. Das strafbewehrte Veröffentlichungsverbot wurde insoweit nicht nur im Grundsatz begrüßt [143]), sondern seine Ausdehnung auf die unbefugte Veröffentlichung von Akten des nicht öffentlichen gerichtlichen Vorverfahrens sogar gefordert. [144])

In rechtsvergleichender Sicht wäre neben dem in der Judikatur des EGMR breit behandelten anglo-amerikanischem System des „contempt of court“ und dessen Spannungsverhältnis zu Art. 10 EMRK [145]) zB auf die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland zu verweisen. Nach § 353d des deutschen Strafgesetzbuches („Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“) ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe zu bestrafen, wer entgegen einem gesetzlichen Verbot über eine Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks öffentlich eine Mitteilung macht, oder wer entgegen einer vom Gericht auf Grund eines Gesetzes auferlegten Schweigepflicht Tatsachen unbefugt offenbart, die durch eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu seiner Kenntnis gelangt sind, oder wer die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. [146])

In der Schweiz hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung eines Journalisten der Tageszeitung „Blick“ wegen Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 24 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 320 Z 1 Abs. 1 schwStGB) zu einer (bedingt nachgesehenen) Geldbuße von 500 Franken bestätigt. Den Einwand des Journalisten, durch das Strafverfahren sei der journalistische Quellenschutz unterlaufen worden, hielt der Bundesgerichtshof für unbegründet und hielt fest, dass (sogar) das Interesse der wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Postraub festgenommenen Personen an der Geheimhaltung ihrer Vorstrafen jedenfalls in jenem Stadium des Verfahrens gewichtiger gewesen sei als ein allfälliges Interesse der Öffentlichkeit an diesbezüglichen Informationen. Für die festgenommenen Personen habe die Unschuldsvermutung gegolten. Die Information der Öffentlichkeit über Vorstrafen hätte für die Betroffenen erhebliche persönliche Nachteile zur Folge haben und eine Vorverurteilung begünstigen können. [147])

Obwohl ein Verbot der Veröffentlichung bereits in dem 1998 veröffentlichten Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Justiz zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens enthalten war [148]) und keine Kritik erfahren hat [149]), wurde dem (dort) vorgeschlagenen § 56 des Entwurfs schroffe – und nicht immer sachliche – Ablehnung entgegengebracht. Andererseits wurde auch vor einem inflationären oder leichtfertigen Umgang mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen die Pressefreiheit gewarnt und der Bestimmung grundsätzlich attestiert, einer konventionsgemäßen Auslegung zugänglich zu sein. [150])

Dennoch soll berechtigter Kritik an der Unschärfe und Unbestimmtheit der verwendeten Begriffe Rechnung getragen werden und insbesondere nicht mehr an der Überbindung der Pflicht zur Wahrung des Amtsgeheimnisses auf Beteiligte des Verfahrens festgehalten werden. [151])

§ 54 hält zunächst fest, dass es dem Beschuldigten und seinem Verteidiger grundsätzlich zusteht, Informationen über personenbezogene Daten, die sie in nicht öffentlicher Verhandlung, während nicht öffentlichen (bloß den Verfahrensparteien zugänglichen) Beweisaufnahmen oder durch Akteneinsicht erlangt haben, im Interesse der Verteidigung und anderer – gegenüber der Veröffentlichung – überwiegender Interessen weiterzugeben. Eine Veröffentlichung, die für die breite Öffentlichkeit bestimmt ist, wird allerdings nur ausnahmsweise solchen Interessen dienlich sein. [152]) Sie wäre jedenfalls unzulässig, wenn durch sie – das Interesse der Öffentlichkeit an Information über bedeutende Strafverfahren – überwiegende schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen Dritter verletzt würden. Der Begriff der „schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen“ leitet sich aus dem Datenschutzgesetz 2000 ab. Die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 1 DSG 2000 bestimmt, dass jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. §§ 8 und 9 DSG präzisieren sodann, unter welchen Bedingungen die Verwendung von – nicht sensiblen und sensiblen – Daten keinen unzulässigen Eingriff in die geschützte Geheimnissphäre bewirkt. § 8 Abs. 1 Z 4 DSG erlaubt beispielsweise die Verwendung nicht sensibler Daten, soweit dies überwiegende berechtigte Interessen des Auftraggebers oder eines Dritten erfordern. Bei Verwendung sensibler Daten muss die Güterabwägung ergeben, dass lebenswichtige Interessen eines anderen auf dem Spiel stehen (§ 9 Z 9 DSG 2000).

Die Bestimmung dient daher – beispielsweise –

      dem Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (etwa der Entkräftung des Vorwurfs der Untreue oder der betrügerischen Krida, die dem gesamten Vorstand zur Last gelegt werden; zB Vorwurf übermäßiger Kreditgewährung wegen kostenintensiver Entwicklung eines patentierten Produkts; Preisgabe der Identität von Treuhändern und der von ihnen verwalteten Geschäftsverbindungen, Konten sowie der vertretenen Gesellschaften bzw. natürlichen Personen),

      dem Schutz von dem Bankgeheimnis unterliegenden Informationen und Daten (Kontoübersichten; Nachweis von Geldflüssen; Identität der Zeichnungsberechtigten),

      dem Schutz der Identität von Zeugen und aussagebereiten Mitbeschuldigten,

      dem Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereiches (zB gegen die unzulässige Weitergabe von Lichtbildern – Veröffentlichung von Bildern von Opfern und Namen von Angehörigen, die dadurch in ihrer emotionalen Betroffenheit der Öffentlichkeit ausgesetzt werden; vgl. auch § 47a Abs. 2 StPO),

      dem Schutz gegen Veröffentlichung anderer Angaben zur Person (die beispielsweise im Rahmen ärztlicher Begutachtung von Opfern eines Sexualdelikts, aber auch jedes anderen Gewalt- oder Tötungsdeliktes gewonnen wurden; Details aus psychiatrischen oder psychologischen Gutachten, die ausschließlich die Neugierde bzw. Sensationslust befriedigen sollen, noch bevor das Gericht Aussagekraft und Beweiswert prüfen konnte,

      Schutz höchstpersönlicher Interessen von Angeklagten, Zeugen und Dritten, der im Rahmen der Hauptverhandlung – durch Ausschluss der Öffentlichkeit – gegeben ist und daher um so mehr im Vorverfahren erforderlich ist (das betrifft beispielsweise Protokolle über die Durchsuchung von Personen und von Wohnungen, über körperliche Untersuchungen und über DNA- Untersuchungsergebnisse).

Mittelbar zielt die Bestimmung aber auch auf den Schutz des Beschuldigten beispielsweise gegen die Veröffentlichung des Wortlauts der Anklage, noch bevor diese ihm und seinem Verteidiger zugestellt wurde, oder gegen Veröffentlichung von Protokollen über Vernehmungen unter Außerachtlassung gegenteiliger Verfahrensergebnisse (wodurch einseitige breite Diskussion in der Öffentlichkeit bewirkt und dadurch insbesondere die Gefahr der Beeinflussung von Laienrichtern entstehen kann).

Gegenüber dem Begutachtungsentwurf wird im nunmehrigen § 54 allerdings deutlich hervorgehoben, dass eine Veröffentlichung dennoch gerechtfertigt sein kann, wenn deren Anliegen und Zweck die geschützten Interessen überwiegt. In diesem Sinne muss es dem Beschuldigten beispielsweise gestattet sein, seine Position gegen öffentlich gewordene Vorwürfe aus dem Strafverfahren auch selbst öffentlich zu vertreten. Dazu verpflichten die rechtsstaatlichen Grundsätze der Fairness des Verfahrens und der Waffengleichheit. [153])

Der im Begutachtungsentwurf noch enthaltene Verweis auf die Bestimmung des § 301 StGB über verbotene Veröffentlichung wurde nicht mehr aufgenommen. Dies zum einen deshalb, weil es in erster Linie um eine prozessuale Verbotsnorm zur Durchsetzung staatlicher Schutzpflichten geht und § 301 StGB in seiner geltenden Fassung auf dieses Verbot ohnedies nicht anwendbar wäre [154]), zum anderen aber auch deshalb, weil die medienrechtliche Entschädigungsansprüche (§§ 6 ff MedienG) an dieses Verbot anknüpfen. Soweit Verteidiger betroffen wären, bestünde überdies disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit. Schließlich gilt es, das Ergebnis der vom Bundesministerium für Justiz initiierten Diskussion über die Erweiterung immaterieller Schadenersatzansprüche im Fall der Veröffentlichung geheimhaltungsbedürftiger Informationen abzuwarten, bevor konkrete Überlegungen über die Art der Sanktionierung eines Verstoßes gegen diese Verbotsnorm anzustellen sind. Allerdings ist auch auf das Spannungsverhältnis hinzuweisen, das sich aus der Bestimmung des § 301 Abs. 3 StGB im Verhältnis zu Informationen ergibt, die durch keine der dort genannten besonderen Ermittlungsmaßnahmen gewonnen wurden, jedoch gleichfalls schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen Betroffener berühren und im Fall ihrer Veröffentlichung zu beträchtlichem Schaden Dritter führen können. Für gravierende Verletzungen der hier vorgeschlagenen prozessualen Verbotsnorm wäre daher zu erwägen, im Rahmen der erforderlichen Begleitgesetzgebung zu diesem Reformwerk eine adäquate Strafbestimmung zu schaffen, deren Schwerpunkt auf der Verhängung wirksamer und abschreckender Geldstrafen liegen könnte. Damit wäre es nicht ausschließlich der Initiative des Betroffenen überlassen, ob er sich – mit persönlichem Kostenrisiko – gegen eine unzulässige Veröffentlichung zur Wehr setzt.

In Bezug auf das Redaktionsgeheimnis bekennt sich die Vorlage hier wie auch an anderen Stellen zur Gewährung besonderen Schutzes, berücksichtigt jedoch auch, dass die EMRK dessen Begrenzung innerhalb bestimmter, enger Schranken zulässt. [155]) Dabei ist im Sinne der Judikatur des EGMR festzuhalten, dass Journalisten durch den Grundrechtsschutz des Art. 10 EMRK nicht von ihrer Pflicht entbunden sind, die allgemeinen strafgesetzlichen Vorschriften zu beachten. Im Einzelfall ist daher immer zu prüfen, ob unter den konkreten Umständen das Interesse der Information der Öffentlichkeit die Pflichten und Verantwortlichkeiten der Journalisten im Hinblick auf den zweifelhaften und möglicher Weise verbotswidrigen Ursprung der Informationen überwiegt. [156]) Art. 10 EMRK garantiert insgesamt keine gänzlich uneingeschränkte Freiheit der Meinungsäußerung, selbst bei Rücksichtnahme auf eine Presseberichterstattung über Angelegenheiten von ernsthaftem öffentlichen Interesse. [157])

Zu § 55 („Beweisanträge“):

Es gilt als allgemein – auch aus Sicht kriminalpolizeilicher Verfahrensmodelle – anerkannt, dass dem Beschuldigten zustehen soll, bereits bei der Kriminalpolizei die Feststellung bestimmter verfahrensrelevanter Tatsachen durch bestimmte Ermittlungen – zB die Vernehmung eines Zeugen oder die Sicherstellung von Sachbeweisen – zu beantragen. [158]) Der Verwirklichung dieser Forderung nach verstärkten Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten des Beschuldigten auf die Stoffsammlung soll § 55 dienen. [159]) Gegenüber dem geltenden Gesetz, welches das Recht des Beschuldigten, „wegen der Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen Anträge an den Untersuchungsrichter zu stellen“ (§ 96 Abs. 1 StPO), nur für die richterlich geleitete Voruntersuchung vorsieht, soll das Beweisantragsrecht jedoch weiter konkretisiert werden. [160])

Abs. 1 umschreibt die Voraussetzungen, die ein zulässiger Beweisantrag erfüllen muss, um Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im Sinne ihrer allgemeinen Pflicht zur objektiven und unvoreingenommen Sachaufklärung zu einer Beweisaufnahme zu verpflichten. Durch die geforderten genauen Angaben über Beweisthema, Beweismittel und Ziel der Beweisaufnahme soll wiederholten und unbestimmten Anträge entgegen gewirkt werden.

Dabei soll und kann es keinen wesentlichen Unterschied machen, ob der Antrag im Ermittlungsverfahren oder in der Hauptverhandlung gestellt wird. Das Recht, die Aufnahme bestimmter Beweise zu beantragen, stellt auch in der Hauptverhandlung ein wesentliches Verteidigungsmittel des Angeklagten dar. Die Bestimmungen soll daher – soweit nicht verfahrensrechtliche Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens besondere Beachtung verlangen – auch in der Hauptverhandlung anwendbar sein. Die Formulierung des Abs. 1 nimmt daher im Wesentlichen die in der Judikatur zu den §§ 238 Abs. 1, 246 und 281 Abs. 1 Z 4 StPO herausgebildeten Grundsätze für einen zulässigen Beweisantrag in den Gesetzestext auf. [161])

Dieser Begründungspflicht werden im Abs. 2 jene exakt determinierten Gründe gegenüber gestellt, die eine Unterlassung der Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren und die Abweisung eines Beweisantrages in der Hauptverhandlung begründen können. Beides soll nicht nur dann zulässig bzw. sogar geboten sein, wenn der Beweisaufnahme ein Beweiserhebungs-, ein Beweismethoden- oder ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht, sondern auch dann, wenn das beantragte Beweismittel untauglich wäre, die behauptete Tatsache zu beweisen (Z 1) oder die behauptete Tatsache für die Beurteilung des Tatverdachts ohne Bedeutung wäre oder so behandelt werden könnte, als ob sie bereits erwiesen wäre (Z 2 und 3).

Abs. 3 berücksichtigt schließlich den Zweck des Ermittlungsverfahren und die Grundsatzbestimmung, wonach die Hauptverhandlung den Schwerpunkt des Verfahrens bildet. Wenn die Staatsanwaltschaft auch dann Anklage einbringen würde, wenn die Beweisaufnahme das vom Beschuldigten gewünschte Ergebnis erbrächte, soll sie die Aufnahme dieses Beweises der Hauptverhandlung vorbehalten können. Dieser Vorbehalt soll jedoch unzulässig sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beweis (zB eines Alibis) den gegen den Beschuldigten gerichteten Tatverdacht im Zusammenhang mit den bereits vorliegenden Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens gänzlich beseitigte. Gleiches soll dann gelten, wenn zu befürchten wäre, dass das Beweismittel in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen oder durch Zeitablauf oder andere Einwirkungen an innerem Wert oder sonstiger Beweiskraft verlieren würde. Überzeugend wurde im Begutachtungsverfahren zur weitergehenden Formulierung des § 57 Abs. 3 laut Begutachtungsentwurf („… Gefahr des Verlustes oder der Verschlechterung des Beweismittels..“) eingewendet, dass eine Verschlechterung des Beweismittels – zumindest hypothetisch – auch dann eintreten kann, wenn eine Vernehmung mit einer Verzögerung von wenigen Tagen stattfindet, eine mögliche Gefahr der Verschlechterung in der Praxis somit nur dann ausgeschlossen werden könnte, wenn jeder in Frage kommende Beweis unverzüglich aufgenommen wird.

Der Schwerpunkt der Beweisaufnahme soll aber weiterhin – wie dargelegt – im Hauptverfahren liegen, dem gemäß sollen im Ermittlungsverfahren nur jene Beweise zwingend aufzunehmen sein, welche den Beschuldigten gegebenenfalls so weit entlasten, dass auf die Hauptverhandlung verzichtet werden kann, und solche, die verloren gehen könnten. Unter einem solchen Verlust wäre aber auch eine wesentliche Beeinträchtigung der Beweiskraft zu verstehen, was beispielsweise bei der Vernehmung von Kindern, die Erlebtes in kurzer Zeit vergessen, verdrängen oder mit Fantasien vermengen, besonders zu beachten ist. [162])

Abs. 4 ordnet in Bezug auf das Ermittlungsverfahren an, dass die Kriminalpolizei die beantragte Beweisaufnahme durchzuführen oder (wenn sie der Ansicht ist, dass die Beweisaufnahme im Hinblick auf Abs. 2 unterbleiben kann oder muss) den entsprechenden Antrag mit Anlassbericht der Staatsanwaltschaft vorzulegen hat. Die Staatsanwaltschaft hätte den Antrag unverzüglich zu prüfen und gegebenenfalls anzuordnen, auf welche Weise die Beweisaufnahme durchzuführen ist. Andernfalls hätte sie den Beschuldigten zu verständigen, aus welchen Gründen die Beweisaufnahme unterbleiben kann. Für diesen Fall steht dem Beschuldigten wiederum der allgemeine Rechtsbehelf des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 zu.

Zu § 56 („Übersetzungshilfe“):

Abs. 1 dieser Bestimmung leitet den erst mit dem StPÄG 1993 eingeführten § 38a StPO – im Wesentlichen unverändert – in die Vorlage über und soll sicherstellen, dass auch der fremdsprachige Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wirksam wahrnehmen kann.

Insbesondere im Rahmen parteiöffentlicher Beweisaufnahmen und Verhandlungen erscheint es wesentlich, dass sich der Beschuldigte in einer ihm geläufigen Sprache verständigen bzw. sich über den Gegen­stand des Verfahrens kundig machen kann, sofern er nicht durch einen Verteidiger vertreten ist und durch diesen entsprechende Aufklärung erhält. Auch die Kommunikation mit seinem (Verfahrenshilfe-)-Verteidiger kann Übersetzungshilfe erfordern.

Der Hinweis auf das Interesse der Rechtspflege und die Verteidigungsrechte macht deutlich, dass es auch nach der reformierten Strafprozessordnung keinen unbedingten Anspruch eines Beschuldigten auf Übersetzung aller Aktenstücke in ihren Einzelheiten geben soll. Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK geht nämlich nicht so weit, eine schriftliche Übersetzung des gesamten schriftlichen Beweismaterials oder amtlicher Schriftstücke des Verfahrens zu verlangen. Es genügt, dass dem Beschuldigten durch den Übersetzungsbeistand ermöglicht wird, den ihm zur Last gelegten Vorwurf zu kennen und sich hiezu zu verteidigen, insbesondere seine Version der Ereignisse vorzutragen. [163])

Daran anschließend soll durch Abs. 2 ein Mangel des geltenden Rechts beseitigt werden, das keine Bestimmung für die Vernehmung eines gehörlosen oder stummen Beschuldigten enthält. Der Inhalt des § 164 StPO, der für die Vernehmung eines solchen Zeugen vornehmlich die Beiziehung eines Dolmetschers für die Gebärdensprache vorsieht, soll damit auf die Vernehmung des Beschuldigten ausgedehnt werden. [164])

1.3.3. Zum 3. Abschnitt („Der Verteidiger“):

In diesen Bestimmungen wird die Rechtsstellung des Verteidigers geregelt, wobei grundsätzlich an die Bestimmungen des IV. Hauptstückes der geltenden Strafprozessordnung („Vom Beschuldigten und seiner Verteidigung“) angeknüpft wird. Die vorgeschlagenen Regelungen berücksichtigen, dass die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren in engem Zusammenhang mit jener des Verteidigers steht. In Bezug auf die Verteidigung geht es zum einen allgemein um ihre Position im Verfahren, zum anderen darum, in welchem Ausmaß sie selbständig handeln können sollen. Gegenüber dem geltenden Recht [165]) soll eine eindeutige Aussage darüber getroffen werden, welche Rechtsstellung und welche Aufgaben dem Verteidiger im Strafverfahren zukommen.

Zu § 57 („Rechte des Verteidigers“):

In der Lehre wird die prozessrechtliche Stellung des Verteidigers durchwegs als die eines „(Rechts-)-Beistands“ verstanden, wobei weitgehend davon ausgegangen wird, dass der Verteidiger in erster Linie die Interessen seines Mandanten zu „vertreten“ habe, ohne deshalb bei Prozesshandlungen „Stellvertreter“ oder „Repräsentant“ im technischen Sinne zu sein. [166])

Dieses Verständnis liegt auch dem Abs. 1 zu Grunde. Danach soll der Verteidiger den Beschuldigten beraten und unterstützen und sich daher in erster Linie mit allen ihm zur Verfügung stehenden erlaubten Mitteln um die Interessen des Mandanten kümmern. Der Verteidiger soll als Rechtsbeistand berufen sein, eine wirksame und lückenlose Verteidigung zu führen, die insoweit auch der „Rechtspflege“ gesetzlich verpflichtet ist, als die Rechtspflegedelikte des Strafgesetzbuches, insbesondere das der Begünstigung (§ 299 StGB), in gleicher Weise für ihn gelten und damit auch seine Stellung im Prozess mitbestimmen.

Abs. 2 soll klarstellen, dass Verfahrensrechte grundsätzlich dem Beschuldigten zustehen, ihre Ausübung allerdings durch die Bevollmächtigung oder sonstige Bestellung eines Verteidigers auf diesen erweitert werden kann. Hat der Beschuldigte einen Verteidiger, so soll dieser seine Rechte wahrnehmen, der Beschuldigte jedoch nicht daran gehindert sein, selbst wirksam mündliche oder schriftliche Erklärungen abzugeben.

Nach geltendem Recht ist jede Prozesshandlung des Verteidigers für den Beschuldigten wirksam. Wenn das Gesetz die Vertretung durch einen Verteidiger nicht vorschreibt, ist im Falle einander ausschließender Erklärungen aber jene des Beschuldigten maßgeblich. Ein Rechtsmittel kann der Verteidiger allerdings niemals gegen den erklärten Willen des Angeklagten einbringen. [167]) Der vorgeschlagene Abs. 2 ordnet in diesem Sinne ausdrücklich an, dass im Fall einander widersprechender Erklärungen grundsätzlich jene des Beschuldigten gelten soll. [168]) Dies soll normaler Weise auch für Rechtsmittelerklärungen gelten, weil nur der Beschuldigte selbst jene Erwägungen subjektiv beurteilen kann, die aus seiner Sicht entweder für die Antragstellung in eine bestimmte Richtung (Sachaufklärungsinteresse) oder für die Verfahrensbeendigung maßgeblich sind. Allerdings muss der Beschuldigte in gewissem Ausmaß auch vor übereilten Handlungen, deren Konsequenzen er womöglich nicht abzuschätzen vermag, geschützt werden. Deshalb soll das im § 466 Abs. 1 zweiter und dritter Satz StPO enthaltene Prinzip gewissermaßen verallgemeinert werden. [169]) Der Verzicht des Beschuldigten auf Rechtsmittel, der nicht in Anwesenheit seines Verteidigers und damit ohne Möglichkeit individueller professioneller Beratung abgegeben wird (unabhängig davon, ob der Beschuldigte überhaupt anwaltlich vertreten ist), soll daher wirkungslos bzw. jederzeit durch eine anders lautende Erklärung des Beschuldigten selbst oder seines Verteidigers ersetzbar sein.

Zu den §§ 58 und 59 („Bevollmächtigung des Verteidigers“):

§ 58 Abs. 1 regelt die Grundsätze der Kontaktaufnahme zwischen Beschuldigtem und Verteidiger. Der Beschuldigte soll grundsätzlich berechtigt sein, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen, und zwar unabhängig davon, ob er sich in Freiheit befindet oder festgenommen ist. Dieses Recht ergibt sich schon aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK sowie Art. 4 Abs. 7 PersFrG und wurde mit dem StPÄG 1993 – für den festgenommenen Beschuldigten – in den §§ 178 und 179 Abs. 1 StPO ausdrücklich verankert. Nun soll es – ähnlich wie für das Verwaltungsstrafverfahren (vgl. § 36 Abs. 3 VStG) – auf einfachgesetzlicher Ebene als umfassendes, für jeden Beschuldigten geltendes Recht festgeschrieben werden. [170]) Jedem Beschuldigten soll die Möglichkeit offen stehen, rechtzeitig mit einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen, um sich vor jeder Vernehmung inhaltlich besprechen zu können. Insbesondere im Bereich der Verfolgung schwerster und organisierter Kriminalität gibt es allerdings Situationen, in denen eine – besonders dringliche – Gefahr der Verdunkelung oder Verabredung (zB durch einen „verschlüsselten“ Auftrag zur Verständigung bestimmter Personen) auch durch Überwachung des Verteidigerkontakts nicht hintangehalten werden kann. Im Sinne der Effizienz kriminalpolizeilicher Tätigkeit soll es daher möglich sein, in solchen besonders begründeten Fällen den Verteidigerkontakt des festgenommenen Beschuldigten für relativ kurze Zeit – bis zur Einlieferung des Beschuldigten in die Justizanstalt – auf den Zeitraum zu beschränken, der für die Erteilung der Vollmacht und eine kurze, allgemeine Rechtsberatung (somit ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit der Sache) erforderlich ist (§ 59 Abs. 1).

Weiters soll einerseits die Bedeutung des Zuganges zur Rechtsberatung auch im Anfangsstadium des Verfahrens anerkannt [171]), gleichzeitig aber auch zum Ausdruck gebracht werden, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger nicht berechtigt sind, den Gang der Vernehmung laufend zu unterbrechen. Der Beschuldigte soll daher zwar einen Rechtsanspruch auf Besprechung mit seinem Verteidiger vor der Vernehmung haben, es soll ihm aber – wie nach § 245 Abs. 3 StPO – weiterhin verwehrt sein, sich mit seinem Verteidiger während der Vernehmung über die Beantwortung einzelner Fragen zu beraten. [172])

Die Abs. 2 bis 4 des § 58 übernehmen – im Wesentlichen unverändert – die Bestimmungen der §§ 39 Abs. 2, 40 Abs. 2 und 44 StPO. Sie regeln die Art des Nachweises der erteilten Bevollmächtigung (Abs. 2, bisher § 44 Abs. 1 StPO), die Übertragung der Vollmacht während laufenden Verfahrens (Abs. 3, bisher § 44 Abs. 2 StPO), die Möglichkeit, sich den Beistand mehrerer Verteidiger zu sichern, die sich daraus ergebenden Konsequenzen in Bezug auf das Fragerecht und die Vorträge im Verfahren sowie die Wirksamkeit von Zustellungen an einen der mehreren Verteidiger (Abs. 3, bisher §§ 40 Abs. 2 und 44 Abs. 2 StPO) und schließlich das Recht des gesetzlichen Vertreters, auch gegen den Willen eines Minderjährigen oder einer Person, für die ein Sachwalter bestellt ist, für diesen – ohne Kollisionsentscheidung des Gerichts – einen Verteidiger zu bestellen (Abs. 4, bisher § 39 Abs. 2 StPO).

§ 59 Abs. 1 berücksichtigt die besondere Situation des festgenommenen Beschuldigten und garantiert diesem – in teilweiser Wiederholung, damit jedoch auch Hervorhebung des § 58 Abs. 1 – das Recht, mit einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen, ihn zu bevollmächtigen und sich, im Rahmen des § 164 Abs. 1, mit ihm vor seiner Vernehmung zu besprechen.

Gemäß § 59 Abs. 2 kann die erste Kontaktaufnahme des festgenommenen Beschuldigten mit einem Verteidiger vor Vollmachtserteilung immer unter Aufsicht erfolgen. In besonders begründeten Fällen, die sich einerseits aus persönlichen, andererseits aus räumlichen Gründen ergeben können, kann dieser Kontakt inhaltlich beschränkt werden (Abs. 1).

Im Übrigen soll der Beschuldigte grundsätzlich berechtigt sein, sich mit seinem Verteidiger außerhalb der Hörweite einer dritten Person zu besprechen. [173]) Im Fall der Untersuchungshaft (auch) wegen Verdunkelungs- oder Verabredungsgefahr soll eine Überwachung längstens bis zum Einbringen der Anklage zulässig sein, wenn besondere, schwerwiegende Umstände befürchten lassen, dass der Kontakt mit dem Verteidiger zu einer Beeinträchtigung von Beweismitteln führen könnte. Die Überwachung der Besprechung soll die Staatsanwaltschaft, vor Einlieferung in eine Justizanstalt auch die Kriminalpolizei anordnen können. In jedem Fall muss es sich um eine so genannte „offene“ Form der Überwachung handeln; der heimliche Einsatz von technischen Mitteln zur optischen oder akustischen Überwachung des Kontakts wäre in diesem Zusammenhang ebenso unzulässig wie die Anordnung der Überwachung von Nachrichten zwischen dem Beschuldigtem und seinem Verteidiger. [174])

Eine Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Überwachung des Verteidigerkontakts wäre im Hinblick auf § 102 schriftlich auszufertigen und zu begründen, weil sie ein subjektives Recht zwangsweise beschränkt. Gegen eine solche Anordnung und gegen eine Überwachung durch die Kriminalpolizei vor Einlieferung des Beschuldigten in eine Justizanstalt während der ersten 48 Stunden der Haft stünde dem Beschuldigten der Rechtsbehelf des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 zu.

Zu § 60 („Ausschluss des Verteidigers“):

Der bloße Umstand einer möglichen Ladung des Verteidigers als Zeugen soll dessen Ausschließung – im Gegensatz zur Vorschrift des § 40 StPO – nicht mehr begründen können. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Wahrheitspflicht des Zeugen den Pflichten eines Verteidigers in allen Fällen entgegen steht. Soweit im einzelnen Fall ein Interessengegensatz besteht, hat der Verteidiger die Möglichkeit, sich auf seine Verschwiegenheitspflicht zu berufen oder die Verteidigung niederzulegen. Im Übrigen wäre der Wahrheitsgehalt der Aussage eines Verteidigers wie bei jedem anderen Zeugen im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung zu beurteilen.

Der Ausschluss des Verteidigers soll auch im Ermittlungsverfahren, aber nur dann möglich sein, wenn gegen ihn wegen derselben strafbaren Handlung ein Verfahren geführt wird; niemand kann im selben Verfahren zugleich Verteidiger und Beschuldigter sein. Im Übrigen soll der Ausschluss von der Verteidigung disziplinarrechtlichen Entscheidungen vorbehalten bleiben.

Der Ausschluss soll nur durch Beschluss des Gerichtes erfolgen können; dafür wäre allerdings ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich (§ 105). Dem betroffenen Verteidiger wäre Gelegenheit zu geben, sich zum Vorwurf, der die Ausschließung nach sich ziehen soll, zu äußern. Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, so wird dem Beschuldigten zugleich mit dem Ausschluss aufzutragen sein, einen anderen Verteidiger zu wählen, widrigenfalls ihm ein Verteidiger von Amts wegen beigegeben würde. Gegen den Beschluss des Gerichtes, mit dem der Antrag der Staatsanwaltschaft Folge gegeben und der Verteidiger ausgeschlossen wird, soll sowohl diesem als auch dem Beschuldigten das Rechtsmittel der Beschwerde zustehen (vgl. § 87 Abs. 1). In der Hauptverhandlung soll hingegen wie bisher – nach den §§ 236 f StPO – vorgegangen werden. Erfolgt der Ausschluss im Stadium des Ermittlungsverfahrens, so wäre davon (möglichst rasch) die Kriminalpolizei zu verständigen, um zu verhindern, dass sie dem Verteidiger weiterhin Verfahrensrechte einräumt.

Nach Abs. 3 soll der Ausschluss (von Amts wegen oder auf Antrag) durch das Gericht aufgehoben werden, wenn sich erweist, dass seine Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, also der entsprechende Verdacht nicht weiter besteht.

Zu § 61 („Beigebung eines Verteidigers“):

Während sich der DE noch mit einem Leerverweis auf jene Bestimmungen des geltenden Rechts begnügen konnte, die im Grundsatz beibehalten werden sollen, wurde das System der notwendigen Ver­teidigung und der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers mit dem Begutachtungsentwurf in die neue Struktur des Verfahrens eingefügt. Dabei wurde wird auch der Versuch unternommen, die bislang in § 41 Abs. 1 StPO geregelten Fälle des so genannten „Verteidigerzwanges“ noch übersichtlicher zu regeln. [175])

Abs. 1 enthält im Wesentlichen die Regelung des § 41 Abs. 1 des geltenden Rechts, ordnet jedoch die Fälle notwendiger Verteidigung nach dem Ablauf des Verfahrens. Zwar gewährt Art 6 Abs. 3 lit. c EMRK jedem Angeklagten (ua.) das Recht, sich selbst zu verteidigen, wenn er keinen Verteidiger gewählt hat und auch im Interesse der Rechtspflege keinen Verteidiger benötigt. Die erwähnte Konventionsbestimmung besagt jedoch keineswegs, dass der Angeklagte unter allen Umständen berechtigt ist, sich persönlich zu verteidigen. [176]) Zumindest ist davon auszugehen, dass in Strafverfahren, in denen Haft als Sanktion droht, anwaltliche Verteidigung im Interesse der Rechtspflege grundsätzlich stets geboten ist.

In diesem Sinne werden zunächst jene beiden Fälle geregelt, in denen bereits während des Ermittlungsverfahrens die Vertretung des Beschuldigten durch einen Verteidiger sichergestellt sein muss: es handelt sich um jene Verfahren, in denen der Beschuldigte in Haft gehalten wird oder ihm die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher droht (Z 1 und 2). Weiters soll klargestellt werden, dass notwendige Verteidigung auch dann besteht, wenn die Untersuchungshaft bloß deshalb nicht verhängt, aufrechterhalten oder fortgesetzt werden darf, weil die Haftzwecke durch eine gleichzeitige Strafhaft oder Haft anderer Art zu erreichen sind (vgl. § 176 Abs. 4).

Daran anschließend werden – in Anlehnung an § 41 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 StPO – die Fälle geregelt, in denen ein berufsmäßiger Beistand des Beschuldigten im Hauptverfahren wegen der Schwere der ihm angedrohten Sanktion zwingend erscheint (Z 3 bis 5).

In den Z 6 und 7 sollen schließlich die Fälle des Verteidigerzwanges für das Rechtsmittelverfahren bzw. das Verfahren auf Grund eines Antrages zur Erneuerung des Verfahrens geregelt werden (vgl. § 41 Abs. 1 Z 4 und 7 StPO). Die gegenüber dem geltenden Recht veränderte Formulierung des Abs. 1 Z 5 („das Rechtsmittelverfahren“) soll zum Ausdruck bringen, dass die Judikatur zu § 41 Abs. 1 Z 4 StPO, wonach notwendige Verteidigung nur für die Ausführung des Rechtsmittels und für die Vertretung während des Gerichtstages zur öffentlichen Verhandlung besteht, nicht weiter Gültigkeit haben soll. [177]) Der dem geltenden Recht vorgeworfene – scheinbare – Widerspruch, dass notwendige Verteidigung zwar für alle Hauptverfahren vor dem Landesgericht angeordnet wird, im Rechtsmittelverfahren jedoch auf das Geschworenen- bzw. Schöffengerichtsverfahren beschränkt bleibt, kann mit den unterschiedlichen Anfechtungsgründen gerechtfertigt werden. Immerhin wird dem Beschuldigten durch den Verteidigerzwang eine nicht unbeträchtliche finanzielle Belastung aufgebürdet, was in diesem Zusammenhang mit den besonderen juristischen Anforderungen einer sachgerechten Ausführung der Nichtigkeitsgründe im schöffen- und geschworenengerichtlichen Verfahren zu begründen ist. Durch die Bestimmung über die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Abs. 2 Z 3 kann der Beschuldigte aber auch im Verfahren vor den Bezirksgerichten und dem Einzelrichter des Landesgerichtes anwaltlichen Beistand erlangen.

Abs. 2 übernimmt die Bestimmung des § 41 Abs. 2 StPO und gewährt dem mittellosen Beschuldigten einen Anspruch auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, wobei im Wesentlichen an das geltende Recht angeknüpft wird und sich Veränderungen lediglich im Hinblick auf die Neustrukturierung der notwendigen Verteidigung ergeben. [178]) Für Beschwerden soll es auch künftig darauf ankommen, ob der Beistand durch einen Verteidiger im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist.

Die Entscheidung über die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers soll weiterhin dem Gericht zustehen; sie verträgt sich nicht mit der kontradiktorischen Stellung der Staatsanwaltschaft.

Abs. 3 und 4 übernehmen zum Verfahren in Fällen notwendiger Verteidigung und der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers von Amts wegen bzw. über die Geltungsdauer der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers die inhaltlich unverändert gebliebenen Regelungen des § 41 Abs. 3 und 4 bzw. Abs. 5 StPO.

Zu § 62 („Bestellung eines Verteidigers“):

§ 62 über die Bestellung eines Verteidigers – die gemäß § 45 RAO durch den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu erfolgen hat – und über die so genannte „Notverteidigung“ und die Beendigung der Beigebung und Bestellung von Verteidigern übernimmt den Inhalt der §§ 42 Abs. 1 und 4, 43 sowie 44 Abs. 2 StPO. Das mit dem StPÄG 1993 eingeführte Institut der – individuell mit einem fixen Betrag abgegoltenen – Pflichtverteidigung zur Vertretung des Beschuldigten während der ersten Haftverhandlung und zur allfälligen Ausführung einer Beschwerde gegen einen in dieser ergangenen Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft (§ 42 Abs. 2 und 3 StPO) soll hingegen nicht weiter gelten, weil es sich im System der Verfahrenshilfe als Fremdkörper erwiesen und in der Praxis den Nachteil mit sich gebracht hat, dass in vielen Fällen ein Verteidigerwechsel stattfinden muss, weil manche Rechtsanwaltskammern aus administrativen Gründen nicht in der Lage sind, dieselbe Person als „Pflicht“- und als „Verfahrenshilfeverteidiger“ zu bestellen. Auch der angestrebte Zweck des Instituts, junge, engagierte Rechtsanwälte vermehrt für Vertretungen im Strafverfahren zu gewinnen, wurde in nennenswertem Ausmaß nicht erreicht. Überdies hat sich erwiesen, dass der Bestellungsvorgang durch die Ausschüsse der Rechtsanwaltskammern angesichts der technischen Entwicklung auf dem Gebiet der Büro- und Kommunikationstechnologie rasch abgewickelt werden kann, so dass eine weitere sachliche Rechtfertigung für die Beibehaltung unterschiedlicher Institute der Verfahrenshilfebestellung für Haftfälle und andere Verfahren nicht zu erkennen ist. [179])

Im Übrigen soll – wie nach geltendem Recht (§ 43 StPO) – in einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte ein gemeinsamer Verteidiger beigeben oder bestellt werden können. Von Amts wegen oder auf Antrag kann aber auch jedem Beschuldigten sein eigener Verteidiger bestellt werden, wenn die Möglichkeit einer gegenseitigen Belastung oder sonstiger Interessenkollision besteht (Abs. 3). Auch in diesem Bereich war den im Begutachtungsverfahren vorgetragenen Einwänden Rechnung zu tragen. Eine – wie im Begutachtungsentwurf vorgesehen gewesene – generelle gesonderte Vertretung lässt sich angesichts der damit einhergehenden finanziellen Belastung der Beschuldigten (man denke etwa an gemeinsam angeklagte Eheleute) letztlich nicht rechtfertigen.

Zu § 63 („Fristenlauf“):

Durch die vorgeschlagene Regelung des § 63 sollen die Bestimmungen des § 43a StPO über die Verlängerung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels oder einer sonstigen Prozesshandlung im Fall der Beigebung eines Verteidigers und die Bestimmung des § 44 Abs. 2 StPO zusammengeführt werden.

Der gegenüber § 43a StPO etwas veränderte Wortlaut des Abs. 1 („Wird … innerhalb … der Frist ein Verteidiger nach § 61 Abs. 2 oder 3 beigegeben oder hat der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt die Beigebung … beantragt“) berücksichtigt die Judikatur, der zu Folge die Fristverlängerung analog anzuwenden ist, wenn der Beschuldigte vor dem Beginn des Laufs einer Frist die Beigebung beantragt hat, die Bestellung jedoch erst während laufender Frist erfolgt. [180])

Die Bestimmung des Abs. 2 soll verhindern, dass das Zurücklegen oder Kündigen der Vollmacht aus verfahrenstaktischen Gründen zu schikanösen Verfahrensverzögerungen missbraucht werden kann. Der Lauf einer Frist, die durch eine Zustellung an den Verteidiger in Gang gesetzt wurde, soll daher nicht gehemmt werden, wenn die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird. In diesen Fällen soll der Verteidiger vielmehr weiterhin verpflichtet sein, den Beschuldigten vor verfahrensrechtlichen Nachteilen zu schützen und die allenfalls erforderliche Prozesshandlung dennoch vorzunehmen, es sei denn, dies würde ihm durch den Beschuldigten ausdrücklich untersagt (§ 11 Abs. 3 RAO). [181])

1.3.4. Zum 4. Abschnitt („Haftungsbeteiligte“):

Zu § 64 („Haftungsbeteiligte“):

Die Verurteilung einer Person berührt in ihrem Rechtsfolgenausspruch auf Grund gesetzlicher Bestimmungen mitunter auch die Rechtssphäre von Personen, die selbst strafrechtlich nicht beschuldigt wurden. In diesem Sinne kann beispielsweise nach § 20 Abs. 4 StGB auch derjenige zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt werden, der durch die strafbare Handlung eines anderen – ohne an dieser beteiligt zu sein – unmittelbar unrechtmäßig bereichert wurde. In gleicher Weise kann eine Person von der Anordnung des Verfalls nach § 20b StGB betroffen sein, ohne selbst der strafbaren Handlung angeklagt zu sein. Schließlich finden sich in einer Reihe von strafrechtlichen Nebengesetzen Bestimmungen, durch die einem Unternehmensinhaber eine (subisidäre Ausfalls-)Haftung für die über einen Mitarbeiter des Unternehmens ausgesprochene Geldstrafe oder die Kosten des Verfahrens auferlegt werden können (vgl. zB § 69 LMG; §§ 136 und 137 KartG; § 30 Devisengesetz). Alle diese Personen sind daher – jedenfalls im Stadium der Hauptverhandlung – in einer dem Beschuldigten ähnlichen Position, weil sie ein Interesse haben, die Verurteilung des Angeklagten als Tatbestandselement ihrer Haftung abzuwenden. Deshalb sollen sie in der Hauptverhandlung – wie nach geltendem Recht (vgl. §§ 50 und 444 Abs. 1 StPO) – als Beteiligte des Verfahrens dem Beschuldigten eingeräumte Rechte beanspruchen können. Sie sollen jedoch – auch in Fällen notwendiger Verteidigung – nicht gezwungen sein, einen Rechtsanwalt zu bevollmächtigen (§ 73).

Auf welche Weise Haftungsbeteiligte von der Hauptverhandlung zu verständigen und an dieser zu beteiligen sind, wird sich weiterhin aus § 444 Abs. 1 StPO ergeben; die zulässigen Arten der Zustellung, insbesondere die hier bestehende Möglichkeit der Zustellung durch Hinterlegung ohne vorherigen Zustellversuch für den Fall, dass der Betroffene trotz Kenntnis des Verfahrens einen Aufenthaltswechsel dem Gericht nicht bekannt gibt, sind im § 82 Abs. 2 enthalten (im geltenden Recht § 80 Abs. 2 StPO).

Im Ermittlungsverfahren sollen die durch § 64 erfassten Personen die Stellung eines Beteiligten des Verfahrens jedoch (noch) nicht beanspruchen können. Soweit – etwa durch Sicherstellung oder Beschlagnahme – in ihre Rechte eingegriffen wird, wären sie zur Beschwerde nach § 106 Abs. 1 berechtigt. Es erschiene jedoch überschießend, sie in gleichem Maß am Ermittlungsverfahren zu beteiligen wie den Beschuldigten.

1.4. Zum 4. Hauptstück („Geschädigte und ihre Rechte“):

Neben der rechtlichen Ausgestaltung der Stellung des Beschuldigten richtet sich besonderes Augenmerk auf die verstärkte Berücksichtigung der Interessen Geschädigter; nicht zuletzt will der Entwurf die Vorgaben des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 15. März 2001, betreffend die Stellung von Opfern im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82, – soweit im Strafprozessrecht realisierbar – innerstaatlich umsetzen. Die Verfahrensstellung der durch strafbare Handlungen geschädigten Personen als Subjekte des Verfahrens findet sich in der österreichischen Strafprozessordnung bereits in traditionellen Rechtsinstituten wie Privatbeteiligung, Subsidiaranklage und Privatanklage und soll weiterentwickelt werden.

Das legitime Interesse von Personen, die zu Schaden gekommen sind, sich am Strafverfahren zu beteiligen, soll sich in konkreten Verfahrensrechten niederschlagen. Der durch die strafbare Handlung geschädigten Person kann es bei der Bewältigung der Tatfolgen hilfreich sein und ihre berechtigten Genugtuungsinteressen befriedigen, wenn sie in das Verfahren einbezogen wird; auch die Befriedigungswirkung des Strafrechts im Bewusstsein der Allgemeinheit wird dadurch erhöht. [182]) Sowohl das Viktimisierungs­ereignis selbst als auch die spätere (strafverfolgende) Reaktion sind in diesem Sinne eine Angelegenheit mit öffentlichem Charakter, wobei die derzeitige Verfahrensgestaltung subjektiv vielfach dahin gehend beurteilt wird, dass Geschädigte im Rahmen der Strafverfolgung in ungerechtfertigter Weise an den Rand gedrängt würden. Mit der Anerkennung der Rechtsstellung des Geschädigten als Beteiligten und Subjekt des Strafverfahrens will der Entwurf den Wiedergutmachungsaspekt im Rechtsfolgenbereich stärken. Wesentliches Ziel dabei ist, den Geschädigten jedenfalls soweit in den Gang des Verfahrens einzubeziehen, dass er seine Sicht darlegen und so einen eigenen Mitwirkungsbeitrag im Verfahren leisten kann. [183])

Anders als das geltende Recht, das eine enge Verbindung zwischen der Beteiligung des Geschädigten und dem Bestehen privatrechtlicher Ansprüche herstellt (§ 47 Abs. 1 StPO), will die Regierungsvorlage, wie schon der Entwurf, zu Gunsten solcher Personen, die durch eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung Qualen erlitten haben, schwer am Körper verletzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sein könnten, aber auch für bestimmte Angehörige einer Person, deren Tod durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden sein könnte, eine Art „absolute Privatbeteiligung“[184] institutionalisieren (§ 65 Z 1 lit. a und b). Darunter ist eine Beteiligung auf Grund objektiver persönlicher Betroffenheit und eines besonderen Grads der Viktimisierung zu verstehen – ungeachtet des Bestehens privatrechtlicher Ansprüche aus der strafbaren Handlung. [185])

Der DE differenziert zwischen „Opfer“ (§ P 1 Z 1 DE) und „Geschädigtem“ (§ P 1 Z 3 DE) und demgemäß zwischen „Privatkläger“ (§ P 1 Z 2 DE) und „Privatbeteiligtem“ (§ P 1 Z 4) mit unterschiedlichen prozessualen Rollenausgestaltungen und will damit der besonderen Bedeutung jener Körperverletzungs-, Sexual- und sonstigen Delikte, die mit gravierendem Einfluss auf die physische und psychische Integrität des Opfers verbunden sind, Rechnung tragen. [186])

Auf Grund der dagegen vielfach erhobenen Kritik [187]) belässt es die Regierungsvorlage – wie schon der Begutachtungsentwurf – beim einheitlichen Begriff des „Geschädigten“ (§ 65 Z 1), der in der prozessualen Rolle des „Privatbeteiligten“ (§ 65 Z 3) am Verfahren teilnimmt. Geschädigten nach § 65 Z 1 lit. a, b und c stehen im Wesentlichen dieselben Verfahrensrechte zu. Ausnahmen bestehen nur insoweit, als Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsvertreters nur Geschädigten nach § 68 Z 1 lit. a oder b, die auch einen privatrechtlichen Anspruch geltend machen, zu gewähren ist (§ 66 Abs. 3), als Personen, die durch eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, weitergehend zu informieren sind (§ 89 Abs. 2) und als das Subsidiaranklagerecht solchen Geschädigten vorbehalten bleiben soll, die sich (auch) wegen privatrechtlicher Ansprüche am Verfahren beteiligen (§ 72 Abs. 1).

Verzichtet der Begutachtungsentwurf im Sinne der Betonung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung noch auf Privatanklage- und Antragsdelikte, haben Einwände im Begutachtungsverfahren dazu geführt, dass die Regierungsvorlage ein Privatanklageverfahren – in modifizierter Form – wieder vorsieht. Der Verzicht auf Antragsdelikte wird hingegen – nicht zuletzt im Interesse rechtspolitischer, dogmatischer und struktureller Klarheit – beibehalten.

In terminologischer Hinsicht kehrt die Regierungsvorlage zu den eingeführten Begriffen „Privatankläger“, „Privatbeteiligter“ und „Subsidiarankläger“ zurück.

Das Recht auf Subsidiaranklage will die Regierungsvorlage, wie schon der Entwurf, auf das Hauptverfahren beschränken (§ 72). Im Gegenzug soll Geschädigten und Personen, deren strafrechtlich geschützte Interessen durch eine strafbare Handlung sonst verletzt worden sein könnten, das Recht eingeräumt werden, die Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungsverfahrens beim Oberlandesgericht zu verlangen (§ 195). Gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch das Gericht (§ 108) soll Privatbeteiligten Beschwerde an das Oberlandesgericht (§ 87 Abs. 1) zustehen.

1.4.1. Zum 1. Abschnitt („Allgemeines“):

Zu § 65 („Definitionen“):

Der erste Abschnitt enthält die maßgebenden Begriffsdefinitionen, an die an anderen Stellen angeknüpft wird. Der Entwurf geht dabei vom einheitlichen Begriff des Geschädigten aus (Z 1 lit. a, b und c) und bezieht sich in Z 1 lit. a und b auf die Verletzung immaterieller Rechte der dort genannten Personen sowie in Z 1 lit. c auf die Verletzung materieller Rechte sämtlicher Geschädigter (somit auch jener nach Z 1 lit. a und b). Wenn auch bei vielen Geschädigten materielle Restitutionsinteressen im Vordergrund stehen werden, kann erlebter Verfahrensgerechtigkeit im Einzelfall vorrangige Bedeutung gegenüber einer Ergebnisgerechtigkeit zukommen. Allen Geschädigten soll daher die Möglichkeit eröffnet werden, nicht bloß als Objekt der Wahrheitsfindung zu dienen, sondern sich als Subjekt mit konkreten Verfahrensrechten am Prozessgeschehen zu beteiligen, auch wenn sie einen materiellen Anspruch nicht haben oder nicht geltend machen. Die größere Autonomie des Geschädigten [188]) steht im Vordergrund, eine Verpflichtung zur aktiven Verfahrensbeteiligung ist damit – abgesehen von der allgemeinen Zeugenpflicht – naturgemäß nicht verbunden.

Z 1 lit. a stellt auf die besondere Betroffenheit solcher Personen ab, deren Recht auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung durch eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung verletzt worden sein könnte. Im Bereich der körperlichen Unversehrtheit wird mit Bezugnahme auf die Tatfolgen einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB ein höherer Viktimisierungsgrad gefordert. Alle in der Z 1 lit. a genannten Verletzungen müssen Folge vorsätzlichen Verhaltens sein.

Personen, die in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, sind unabhängig von der Intensität der unmittelbaren psychischen oder physischen Tatfolgen Geschädigte nach Abs. 1 lit. a. [189]) Das Merkmal „Qualen“ kann deliktsspezifischen Charakter haben (vgl. zum Beispiel die §§ 92 Abs. 1, 99 Abs. 2, 106 Abs. 1 Z 2, 107 Abs. 2 StGB), korrespondiert aber grundsätzlich ganz allgemein mit dem Erschwerungsgrund des § 33 Z 6 StGB („… in einer für das Opfer qualvollen Weise …“). [190])

Auch mit Z 1 lit. b will der Entwurf eine Art „absoluter Privatbeteiligung“ einführen und die ausschließliche Koppelung der Verfahrensbeteiligung an einen privatrechtlichen Anspruch nach Maßgabe der Art und Schwere des tatsächlichen Erfolgs sowie dem Grad der Viktimisierung auflösen. Bestimmten nahen Angehörigen eines durch die strafbare Handlung Getöteten, die in der Regel schwer betroffen sind, soll unabhängig von der Geltendmachung zivilrechtlicher Ersatzansprüche das Recht zustehen, sich am Verfahren zu beteiligen. [191])

Z 1 lit. c spricht schließlich alle Personen als Geschädigte an, die auf Grund einer strafbaren Handlung privatrechtliche Ansprüche erworben haben könnten (vgl. § 47 Abs. 1 StPO). Nicht ideelle Interessen, sondern ausschließlich materielle Interessen sollen hier im Mittelpunkt stehen. Wie schon nach bisheriger Rechtsprechung [192]) sollen sich auch (bloß) mittelbar Geschädigte dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anschließen können. Privatbeteiligung bleibt im Verfahren gegen den Schädiger auch dann möglich, wenn aus der strafbaren Handlung ein Amthaftungsanspruch gegen den Rechtsträger zusteht.

Kommt Personen nach materiellem Recht die Befugnis zu, die strafrechtliche Verfolgung einer Person zu verlangen, und nehmen sie dieses Recht in Anspruch, werden sie zu Privatanklägern (Z 2). Im Hauptverfahren kommen ihnen grundsätzlich – abgesehen von Zwangsbefugnissen – die gleichen Rechte wie der Staatsanwaltschaft zu (§ 71 Abs. 5). Strafgerichtliche Verfolgung ist entweder durch Einbringen einer Anklage oder eines selbständigen Antrages auf Erlassung vermögensrechtlicher Anordnungen nach § 445 StPO wegen eines Privatanklagedeliktes zu verlangen (§ 71 Abs. 1).

Da ein „Weisungsrecht Privater“ an die Kriminalpolizei nicht in Betracht kommen kann und eine Ermittlungsfunktion des Gerichts im Vorverfahren der Systematik widersprechen würde, ist das Privatanklageverfahren zur Gänze als Hauptverfahren vor Gericht ausgestaltet; Ermittlungsverfahren finden in Privatanklagesachen nicht statt (§ 71 Abs. 1). Dem gemäß wird das Verfahren grundsätzlich mit der Anklage eingeleitet. Müssen schon vor diesem Zeitpunkt Beweisgegenstände sichergestellt oder vermögensrechtliche Anordnungen getroffen werden, so kommt dem Privatankläger ein entsprechendes Antragsrecht im Verfahren auf Grund eines selbständigen Antrags auf Erlassung vermögensrechtlicher Anordnungen nach § 445 StPO zu.

Schließt sich der Geschädigte dem Strafverfahren an, steht ihm die besondere prozessuale Stellung als „Privatbeteiligter“ (Z 3) zu. Die Rückkehr zur Diktion des geltenden Rechts will vor allem Verwechslungen mit dem wieder aufgenommenen Begriff „Privatankläger“ (Z 2) vermeiden.

Das bestehende Recht des Geschädigten, schon in einem frühen Prozessstadium (vor Einbringen der Anklage) als Subsidiarankläger einzuschreiten und an Stelle der Staatsanwaltschaft Anklage zu erheben (vgl. § 48 Abs. 1 StPO), erweist sich in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Strafverfolgung ist grundsätzlich – mit Ausnahmen bei den Privatanklagedelikten – staatliche Aufgabe. Dies anerkennt auch das geltende Recht, indem es die Verfolgung durch einen Subsidiarankläger beispielsweise durch strikte Fristen und im Bereich des Rechtszuges einengt und bei diversioneller Verfahrensbeendigung überhaupt nicht zulässt (vgl. § 48 Abs. 2 StPO). Die untergeordnete Bedeutung des Subsidiarantrags in der Praxis kann vor allem auf die restriktive Zulassungspraxis der Gerichte und das hohe Kostenrisiko des Subsidiar­anklägers, dem in der Regel nur geringer unmittelbarer Nutzen aus einer Verurteilung gegenübersteht, zurückgeführt werden.

Da der Subsidiarankläger – so wie der Privatankläger – in der Regel nicht in der Lage wäre, im Vorverfahren erforderliche Ermittlungen aus Eigenem zu besorgen, ein „Weisungsrecht“ Privater an die Kriminalpolizei nicht in Betracht kommen kann und eine Ermittlungsfunktion des Gerichts im Vorverfahren der Systematik widersprechen würde, schlägt der Entwurf ein differenziertes System vor:

Im Ermittlungsverfahren sollen Geschädigte und Personen, deren strafrechtlich geschützte Interessen sonst verletzt worden sein könnten, beim Oberlandesgericht die Fortführung eines durch die Staatsanwaltschaft nach den §§ 190 bis 192 eingestellten Verfahrens verlangen können (§ 195). Privatbeteiligten kommt überdies das Recht auf Beschwerde (§ 87 Abs. 1) gegen eine gerichtliche Einstellung (§ 108) zu. Der Begriff „Subsidiarankläger“ (Z 4) und der Anwendungsbereich des Instituts der Subsidiaranklage sollen im Gegenzug auf die Phase des Hauptverfahrens beschränkt werden. Privatbeteiligte, die (auch) privatrechtliche Ansprüche geltend machen, sollen nach einem Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Anklage dadurch, dass sie die Anklage als Subsidiarankläger aufrechterhalten (§ 72 Abs. 1), die Amtswegigkeit des Hauptverfahrens ungehindert fortsetzen können, indem sie die von der Staatsanwaltschaft bereits aktualisierte Rechtsprechungskompetenz des Gerichts über einen rechtswirksam angeklagten Sachverhalt beanspruchen.

Der DE will über die Definition des Begriffs Rechtsvertreter (§ P 1 Z 6) auch für Privatkläger relativen Anwaltszwang im Strafprozess einführen. [193]) Wie schon der Begutachtungsentwurf löst sich auch die Regierungsvorlage von diesem Gedanken und lässt wie das geltende Recht (§ 50 Abs. 1 StPO) auch andere als zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft berechtigte Personen als Vertreter von Privatbeteiligten oder Subsidiaranklägern zu (§ 73).

1.4.2. Zum 2. Abschnitt („Geschädigte und Privatbeteiligte“):

Zu § 66 („Rechte der Privatbeteiligten“):

Diese Bestimmung definiert Privatbeteiligte ausdrücklich als Mitwirkende am Verfahren und räumt ihnen die zentralen Rechte ein, am Verfahren aktiv teilzunehmen und ihre privatrechtlichen Ansprüche zu verfolgen. Soweit Abs. 1 zweiter Satz eine amtswegige Verpflichtung zur Feststellung des Schadens normiert, folgt der Text, stärker als der Begutachtungsentwurf, den §§ 365 Abs. 1 erster Satz, 366 Abs. 2 zweiter Satz StPO (vgl. auch § 99 StPO).[194]) Ist eine amtswegige Feststellung des Schadens im Strafverfahren mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden (man denke etwa an umfangreiche Wirtschaftsverfahren, anhängige Zivilprozesse und konkursverfangene Forderungen), so wäre einer raschen Verfahrensführung – schon wegen des Beschleunigungsgebots nach § 6 EMRK – natürlich auch weiterhin der Vorrang einzuräumen und der Privatbeteiligte gegebenenfalls im Rahmen des Hauptverfahrens auf den Zivilrechtsweg zu verweisen (vgl. § 366 StPO). Kann der Schaden durch einfache zusätzliche Erhebungen festgestellt werden, so wären diese im Interesse des Privatbeteiligten weiterhin durchzuführen (vgl. auch § 366 Abs. 2 zweiter Satz StPO).

Zur Effektuierung des Ziels einer Stärkung der Rolle Geschädigter und in Umsetzung des bereits erwähnten Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung von Opfern im Strafverfahren (vgl. insbes. Art. 3 Abs. 1 und Art. 5), werden Privatbeteiligte mit weitgehenden konkreten Verfahrensrechten ausgestattet, die im Einzelnen angeführt werden.

So sind neben dem Recht auf Akteneinsicht auch umfassende Verständigungen Privatbeteiligter vorgesehen, um sie vom Verlauf des Verfahrens in Kenntnis zu setzen und ihnen eine Ausübung weiterer Verfahrensrechte zu ermöglichen. Beispielsweise wären Privatbeteiligte von einer Freilassung des Beschuldigten zu verständigen, sofern sie dies wünschen und beantragt haben (§ 177 Abs. 5), und über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens zu informieren (§ 194). [195])

Das geltende Recht beschränkt den Privatbeteiligten im Vorverfahren darauf, dem Staatsanwalt und dem Gericht „alles an die Hand zu geben, was seine Anklage unterstützt“ (§ 47 Abs. 2 Z 1). [196]) Erst nach Rechtskraft der Anklage stehen ihm ein Beweisantragsrecht (§ 222 Abs. 1 StPO) sowie der Antrag auf Vervollständigung der Voruntersuchung (§ 224 Abs. 1 StPO) zu.

Nun wird das Beweisantragsrecht des Privatbeteiligten auf das Vorverfahren ausgedehnt (Abs. 2 Z 4) und der Privatbeteiligte legitimiert, einzelne Ermittlungshandlungen, die für den Nachweis der Tatbegehung oder die Beurteilung der privatrechtlichen Ansprüche wesentlich sind, bereits in einem frühen Prozessstadium zu beantragen. Die Regelungen über das Beweisantragsrecht des Beschuldigten (§ 55) wären dabei sinngemäß anzuwenden. Die im Entwurf geregelten „Nachforschungen“ (sowohl des Beschuldigten als auch des „Privatbeteiligten“ [197]) wurden im Begutachtungsverfahren vielfach kritisiert und wurden daher nicht mehr aufgenommen.

Als Konsequenz der – gegenüber dem Entwurf – neu geregelten Fortführung des Verfahrens (§§ 195 ff) kommt auch dem Privatbeteiligten ein entsprechendes Antragsrecht an das Oberlandesgericht zu (Abs. 2 Z 8).

Abs. 3 gewährt Privatbeteiligten, die Geschädigte im Sinne des § 65 Z 1 lit. a oder b sind und darüber hinaus einen privatrechtlichen Anspruch aus der strafbaren Handlung geltend machen, Verfahrenshilfe in Form der Beigebung eines Rechtsanwalts unter den Voraussetzungen der §§ 61 Abs. 4, 62 Abs. 1, 2 und 4. Das (gegenüber dem DE, § P 6 Abs. 2) zusätzliche Erfordernis der Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche beruht auf der Überlegung, dass Verfahrenshilfe in Form der Beigebung berufsmäßiger Rechtsvertretung nur dann gewährt werden soll, wenn die Vertretung – neben menschlicher Unterstützung im Prozess – primär juristische Kenntnisse (auch im zivilrechtlichen Bereich) erfordert. Geschädigte, die sich ausschließlich auf Grund persönlicher Betroffenheit dem Strafverfahren anschließen, bedürfen vor allem im psychologischen und sozialen Bereich einer Betreuung, wozu sich auch andere Vertreter (vgl. die Ausführungen oben und das Projekt „Prozessbegleitung“ des BMJ) in prominentem Maße eignen. [198]) Eine spezifisch rechtliche Vertretung soll daher nur dann bestellt werden, wenn sie zur Verfolgung schadenersatzrechtlicher Ansprüche erforderlich und eine primär psychisch-therapeutische orientierte Prozessbegleitung und -vertretung entweder nicht möglich oder nicht ausreichend ist.

Die Kosten einer solchen rechtlichen Vertretung können im Hinblick auf § 393 Abs. 4 StPO anderen Personen, insbesondere dem Verurteilten zur Last fallen; die dafür nötigen gesetzlichen Anpassungen (vorrangig des § 395 StPO) müssen einem weiteren Reformschritt vorbehalten bleiben.

Tritt der Geschädigte im Laufe des Verfahrens von seiner Stellung als Privatbeteiligter zurück (zB weil seine Ansprüche befriedigt werden), so soll die Tätigkeit seines allfälligen Verfahrenshilfevertreters zu diesem Zeitpunkt ex lege enden.

Hingegen soll Geschädigten, die sich ausschließlich wegen ihrer privatrechtlichen Ansprüche am Strafverfahren beteiligen (§ 65 Z 1 lit. c) und auf die nicht unter die Begriffsbestimmungen des § 65 Z 1 lit. a oder b fallen, Verfahrenshilfe durch kostenlose Rechtsvertretung auch weiterhin nicht zustehen. Wenngleich das geltende Recht in diesem Bereich vielfach kritisiert und vor allem die Forderung einer Annäherung an die Bezug habenden zivilprozessualen Normen erhoben wurde, muss bedacht werden, dass das Strafverfahren zwar dazu dienen soll, privatrechtliche Ansprüche nach Möglichkeit rasch „mit“ zu erledigen, dies – wie die jahrzehntelange Praxis belegt – in vielen Fällen jedoch nicht möglich ist. Dem Geschädigten ist derzeit durch Gewährung der Verfahrenshilfe im Zivilverfahren in vielen Fällen mehr und besser gedient als durch Beistellung eines Vertreters im Strafverfahren, dessen Bemühen um privatrechtlichen Zuspruch im Strafverfahren häufig von vornherein aussichtslos ist. Das Strafverfahren mit weiteren Kosten zu belasten, deren Effektivität zweifelhaft ist, wäre ökonomisch nur schwer vertretbar.

Weiters ist zu bedenken, dass der Privatbeteiligte im Strafverfahren nicht im Sinne einer seine Rechte verteidigenden Partei auftritt und auch mit keinen diesbezüglichen Verteidigungsschranken konfrontiert wird. Die vom Privatbeteiligten im Strafprozess geltend gemachten Ansprüche werden niemals „ab“gewiesen, sondern im ungünstigsten Fall auf den Zivilrechtsweg „ver“wiesen, auf dem der Privatbeteiligte seine Ansprüche unter voller Geltung der Möglichkeiten der Verfahrenshilfe weiter verfolgen kann. [199])

Der DE will dem Geschädigten bei entsprechender prozessualer Beteiligung das zusätzliche Recht einräumen, ein freisprechendes Urteil – selbst im Fall, dass die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet – mit Nichtigkeitsbeschwerde zu bekämpfen (§ P 10 Abs. 2 DE), um auf diese Weise die Lösung der Tat- und Schuldfrage beeinflussen zu können. Davon wird, wie schon im Entwurf, auf Grund der dagegen erhobenen Kritik [200]) und auch deshalb abgegangen, weil eine Besserstellung des Privatbeteiligten (im Sinne des § P 1 Z 2 DE) gegenüber dem Subsidiarankläger, der das Kostenrisiko trägt, dem aber gegen ein freisprechendes Urteil ein Rechtsmittel derzeit nicht zusteht und auch künftig nicht eingeräumt werden soll, nicht gerechtfertigt schiene. [201])

Zu § 67 („Akteneinsicht“):

Auf Privatankläger und Privatbeteiligte sind im Wesentlichen die Bestimmungen zur Akteneinsicht des Beschuldigten (§§ 51, 52 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 und 3, 53) sinngemäß anzuwenden. Im Sinne objektiver Wahrheitsermittlung muss aber (auch) dem Privatbeteiligten die Akteneinsicht verweigert oder beschränkt werden können, wenn und solange durch die Kenntnis bestimmter Ermittlungsergebnisse seine unbeeinflusste Aussage als Zeuge oder überhaupt der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Eine solche Verweigerung oder Beschränkung soll aber beispielsweise auch dann zulässig sein, wenn Ermittlungsergebnisse betroffen sind, die besonderer Geheimhaltung bedürfen und im Falle eines erfolgreichen Rechtsmittels des Beschuldigten oder eines Dritten keine Verwendung als Beweis finden dürften, zumal solche Informationen weder öffentlich bekannt gemacht noch in einem anderen Verfahren als Beweis verwertet werden dürfen. [202])

Abs. 2 will das Informationsbedürfnis auch solcher Geschädigter, die nicht am Verfahren als Privatbeteiligte mitwirken, anerkennen und ihnen die Möglichkeit geben, durch Einsicht in die Akten den Verfahrensverlauf zu erkunden. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, sämtliche Geschädigte über die jeweiligen Verfahrensschritte zu informieren, würde (abgesehen vom organisatorischen Aufwand und den damit verbundenen Kosten) zu einer laufenden Konfrontation des Geschädigten mit dem Strafverfahren, an dem er sich nicht beteiligen will, führen.

Abs. 3 erweitert das (teilweise) Verbot der Veröffentlichung (§ 54) auf Geschädigte, Privatankläger, Privatbeteiligte und deren Vertreter (§ 73 Abs. 1). Geschädigte sollen – wie der Beschuldigte – schützenswerte Informationen, die sie auf Grund ihrer Verfahrensposition erhalten, zwar für ihre Interessen verwerten, aber nicht veröffentlichen dürfen, wenn dadurch bestimmte Interessen Dritter (des Beschuldigten, aber auch weiterer Verfahrensbeteiligter und unbeteiligter Personen) verletzt werden.

Zu § 68 („Privatrechtliche Ansprüche“):

Abs. 1 knüpft an § 371 StPO an und räumt Privatbeteiligten darüber hinaus die Möglichkeit ein, im Strafverfahren alle aus der strafbaren Handlung resultierenden privatrechtlichen Feststellungen und – abgesehen von Statusurteilen – Rechtsgestaltungen zu treffen.

Abs. 2 ermöglicht vornehmlich im Interesse des Privatbeteiligten, aber auch zu Zwecken der Verfahrenskonzentration und zur Vermeidung eines dem Strafverfahren folgenden Zivilprozesses den Abschluss eines zivilrechtlichen Vergleichs zwischen dem Privatbeteiligtem und dem Beschuldigtem vor dem Strafgericht. [203]) Während der Diskussionsentwurf (§ P 9 Abs. 3 DE) einen solchen Vergleich in jeder Lage des Verfahrens zulassen wollte, beschränkt die Vorlage, wie schon der Entwurf, dieses – im Strafverfahren neue Institut – auf das Stadium des Hauptverfahrens, weil das Gericht mit der Sache im Ermittlungsverfahren häufig gar nicht befasst sein wird. Die Bestimmung verfolgt primär das Ziel, im Rahmen des Hauptverfahrens alle straf- und zivilrechtlichen Komponenten eines Sachverhalts nach Möglichkeit gemeinsam und abschließend zu erledigen. Ein Zivilgericht soll neben dem Gericht des Hauptverfahrens nicht bloß deshalb befasst werden müssen, weil die Parteien einen Vergleich über die mit der Straftat im Zusammenhang stehenden zivilrechtlichen Belange anstreben. Dadurch soll aber nicht die grundsätzliche Kompetenz der Zivilgerichte zum Vergleichsabschluss in Frage gestellt werden. Selbstverständlich bleibt es dem Beschuldigten und dem Geschädigten unbenommen – unabhängig vom Stadium des Prozesses, somit auch während laufenden Ermittlungsverfahrens – vor einem Zivilgericht einen Vergleich zu schließen.

Abs. 3 versteht sich als Anreiz für den Beschuldigten, zivilrechtliche Folgen der ihm zur Last liegenden strafbaren Handlung – wiederum im primären Interesse des Geschädigten – zu bereinigen, ohne dass daraus ein Schuldeingeständnis abgeleitet oder überhaupt ein Beweis gegen ihn gewonnen werden dürfte. [204]) Die Bereitschaft des Beschuldigten, in privatrechtlicher Hinsicht für einen Schaden einzustehen, muss nicht auch seine Bereitschaft beinhalten, strafrechtliche Schuld auf sich zu nehmen.

Nach Abs. 4 soll die Staatsanwaltschaft sogleich die Rückgabe eines zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche sichergestellten Gegenstandes (§ 110 Abs. 1 Z 2) an den Geschädigten anordnen, wenn der Gegenstand nicht (mehr) zu Beweisgründen erforderlich ist und durch die Freigabe in Rechte Dritter nicht eingegriffen wird. Der Geschädigte soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt nach der Tat (wieder) über sein Eigentum verfügen können (vgl. § 367 Abs. 1 StPO).

Zu § 69 („Recht auf Information“):

Eine verbesserte Information des Geschädigten über seine Rechte ist Voraussetzung für eine wirksame Stärkung seiner Rechtsstellung. [205]) Der Entwurf verpflichtet daher Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, den Geschädigten detailliert über seine Verfahrensrechte in Kenntnis zu setzen, sobald Ermittlungen gegen eine bestimmte (nicht unbedingt namentlich bekannte) Person geführt werden. Diese Verpflichtung wird in erster Linie der Kriminalpolizei obliegen, die in der Regel unmittelbar und als Erste mit den beteiligten Personen in Kontakt kommt, in gleicher Weise aber der Staatsanwaltschaft, sobald diese vom Ermittlungsverfahren Kenntnis erhält und feststellt, dass die Belehrung noch nicht erfolgt ist. Ein Aufschub der Information ist nur solange zulässig, als dies der Zweck der Ermittlungen erfordert.

Entgegen wiederholten Forderungen, an Stelle von Geschädigten bestimmte Opferhilfeeinrichtungen zu verständigen, wird an der unmittelbaren Information festgehalten, weil es sich um ein persönliches Recht handelt und die Weitergabe von Informationen an Dritte nur über Auftrag bzw. mit Zustimmung der Betroffenen erfolgen soll.

Da Geschädigte eines Sexualdelikts auf Grund ihrer Verletzungen im höchstpersönlichen Privat- und Intimbereich erhöhten psychischen Belastungen ausgesetzt sind, stehen ihnen eigene Rechte zu, über die sie in gleicher Weise zu informieren sind (Abs. 2). Dabei handelt es sich um die Rechte, vor der Vernehmung Kontakt mit einer Beratungsperson (vgl. auch § 25 Abs. 3 SPG) aufzunehmen (Z 1), im gesamten Ermittlungsverfahren – soweit dies auf Grund der personellen Gegebenheiten möglich ist – von einer Person des gleichen Geschlechts vernommen zu werden (Z 2; wofür von Amts wegen Sorge zu tragen wäre [206]), die Beantwortung bestimmter Fragen zu verweigern (Z 3), „schonend“ – ohne Konfrontation mit dem Beschuldigten – vernommen zu werden [207]) (Z 4) und den Ausschluss der Öffentlichkeit zu verlangen (Z 5).

Zu § 70 („Privatbeteiligung“)

Geschädigte sollen – abgesehen von der Erfüllung einer Zeugenpflicht – weiterhin nicht gezwungen werden, sich am Strafverfahren zu beteiligen. Es soll ihrer freien Entscheidung überlassen bleiben, ob sie die Verfahrensposition als Privatbeteiligter einnehmen wollen.

Zur Privatbeteiligung bedarf es einer Erklärung, die nur dann, wenn die Möglichkeit eines – in den Fällen des § 65 Z. 1 lit. a oder b – immateriellen, im Übrigen materiellen Schadenseintritts nicht offensichtlich ist, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu begründen wäre [208]) (Abs. 1 zweiter Satz). Ist die Berechtigung, am Verfahren mitzuwirken, nicht offenkundig, so muss sie ebenfalls begründet werden. Unterlässt der Geschädigte eine demzufolge erforderliche Begründung oder ist offensichtlich, dass ein Beteiligungsrecht nicht besteht (etwa weil ein materieller Anspruch zur Gänze beglichen wurde), so wäre die Erklärung nach Abs. 3 Z 1 zurückzuweisen, und zwar im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft, im Hauptverfahren vom Gericht (Abs. 4). Gleiches soll gelten, wenn die Erklärung verspätet abgegeben (Abs. 3 Z 2) oder der Geldanspruch nicht rechtzeitig beziffert wird (Abs. 3 Z 3). Es soll daher – in gewissem Umfang – in jeder Lage des Verfahrens geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine Mitwirkung als Privatbeteiligter aktuell vorliegen und dem Geschädigten die mit dieser Verfahrensrolle verbundenen prozessualen Rechte zu gewähren sind.

Dem Geschädigten würde gegen eine solche Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf Zurückweisung der Erklärung Einspruch wegen Rechtsverletzung zustehen (§ 106 Abs. 1 Z 1).

Die Erklärung, sich am Verfahren zu beteiligen, ist im Ermittlungsverfahren bei der Kriminalpolizei oder bei der Staatsanwaltschaft, im Hauptverfahren bei Gericht abzugeben und kann jederzeit zurückgezogen werden (Abs. 2 letzter Satz). Entsprechend der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 47 Abs. 1 StPO [209]) wäre eine Mitwirkung als Privatbeteiligter einheitlich [210]) bis zum Schluss des Beweisverfahrens zulässig, wobei spätestens zu diesem Zeitpunkt – allenfalls unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Beweisverfahrens – auch die Höhe eines begehrten Geldbetrages zu beziffern wäre.

1.4.3 Zum 3. Abschnitt („Privatankläger und Subsidiarankläger“):

Zu § 71 („Privatankläger“):

Abweichend vom Begutachtungsentwurf, der auf Privatanklage- und Antragsdelikte gänzlich verzichtete, wird mehrfachen Anregungen folgend die Privatanklage in die Systematik der Reform integriert und damit der im Entwurf propagierte Anspruch, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu unterstreichen, zu Gunsten eines zusätzlichen Rechtsinstruments für Geschädigte aufgegeben.

Welche strafbaren Handlung zur Privatanklage berechtigen und auf wessen Verlangen hin sie zu verfolgen sind, bezeichnet weiterhin das materielle Strafrecht. [211]) Anders als das geltende Recht, das dem Privatankläger neben dem Antrag auf Bestrafung den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung zur Verfügung stellt, um sein Verfolgungsrecht auszuüben [212]), kann dem Privatankläger in der neuen Verfahrenssystematik diese Möglichkeit nicht zustehen; schließlich wird das Gericht im Ermittlungsverfahren nur in einem sehr begrenzten Rahmen tätig. [213])

Da ein „Weisungsrecht des Privatanklägers“ an die Kriminalpolizei von vornherein nicht in Betracht kommt, sieht § 71 Abs. 1 vor, dass das Verfahren als Hauptverfahren zu führen ist und ein Ermittlungsverfahren nicht stattfindet. Folglich beginnt das Privatanklageverfahren mit der Anklage. Kann eine solche (noch) nicht eingebracht werden, sollen aber dennoch zur Sicherung von Beweisen oder vermögensrechtlichen Anordnungen Zwangmaßnahmen ergriffen werden [214]) – zu denken ist hier vor allem an Sicherstellung von Produkten, die unter Verletzung von Immaterialgüterrechten hergestellt und in Verkehr gebracht werden oder auch an Auskunft über Bankkonten und über Bankgeschäfte – wäre ein selbständiger Antrag auf Erlassung vermögensrechtlicher Anordnungen nach § 445 StPO bei Gericht zu stellen. Ein solcher Antrag würde gleichfalls zur Eröffnung des Hauptverfahrens führen. [215])

Die Verzeihung der strafbaren Handlung und der Verfolgungsverzicht sollen weiterhin Gründe für den Verlust des Privatanklagerechts bilden [216]) (Abs. 2). Der erste Satz des Abs. 2 übernimmt im Wesentlichen den Inhalt des § 2 Abs. 2 zweiter Satz StPO. Da der Verfolgungsantrag im Allgemeinen nicht mehr befristet sein soll, ist das Privatanklagerecht in den Fällen des § 117 Abs. 2 und 3 StGB konsequenter Weise nicht mehr an die Verweigerung der Ermächtigung oder deren Zurückziehung durch die vorgesetzte Stelle innerhalb bestimmter Frist gebunden. Im Übrigen erlischt das Recht auf Privatanklage jedenfalls, sobald die Strafbarkeit der Tat verjährt ist.

Der Verfolgungsantrag, mit dem das Privatanklagerecht ausgeübt wird, hat den Erfordernissen einer Anklageschrift (§ 211) zu entsprechen und, entsprechend der Anschlusserklärung des Privatbeteiligten (§ 70 Abs. 2), die Berechtigung zur Privatanklage sowie allfällige privatrechtliche Ansprüche zu begründen. Soweit diese Umstände offensichtlich sind, kann eine Begründung entfallen. Einzubringen sind sowohl die Anklage als auch der selbständige Antrag auf Erlassung vermögensrechtlicher Anordnungen nach § 445 StPO beim dafür zuständen Gericht.

Die verpflichtende Begründung des Verfolgungsantrags soll die amtswegige Überprüfung – sei es durch das Bezirksgericht selbst (§ 451), sei es über Anregung des Einzelrichters durch eine übergeordnete Instanz (vgl. § 485 StPO) – der Anklage oder des selbständigen Antrags erleichtern und damit den Schutz für Beschuldigte vor ungerechtfertigten Privatanklagen verbessern.

Privatanklägern sollen, wie schon bisher, grundsätzlich die gleichen Rechte wie der Staatsanwaltschaft zukommen. Im Bereich von Zwangsmaßnahmen, bei denen das Verhältnismäßigkeitsgebot besonders zu beachten ist, sollen Privatankläger auf die zur Sicherung von Beweisen oder vermögensrechtlichen Anordnungen nötigen Rechte beschränkt bleiben. Anträge auf Festnahme oder auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft zu stellen, sollen sie jedenfalls nicht berechtigt sein.

Abs. 6 übernimmt im Wesentlichen die Regelung des § 46 Abs. 3 StPO.

Zu § 72 („Subsidiarankläger“):

Anders als der Diskussionsentwurf (vgl. § P 11 Abs. 1) schränkt Abs. 1, wie schon der Entwurf, das Recht, eine von der Staatsanwaltschaft eingebrachte und danach zurück gezogene Anklage an deren Stelle als Subsidiarankläger im Hauptverfahren zu vertreten, auf den Kreis jener Personen ein, die (auch) einen privatrechtlichen Anspruch geltend machen. Damit wird der Kritik Rechnung getragen, dass ein Einschreiten einer privaten Person als Subsidiarankläger anstelle der Staatsanwaltschaft nur zulässig sein soll, wenn die Subsidiaranklage ein konkretes Verfahrensziel – die Befriedigung materieller Interessen – verfolgt. Wenn auch die Betroffenheit geschädigter Personen anerkannt und emotional belasteten Personen durch die Möglichkeit, sich am Verfahren zu beteiligen, besonderer Stellenwert zuerkannt werden soll, so würde dennoch das Genugtuungsinteresse allein eine Strafverfolgung nicht rechtfertigen. [217])

Anträge auf Festnahme des Beschuldigten sowie auf Anordnung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft sollen dem Subsidiarankläger nicht zustehen, vielmehr wäre der Beschuldigte, sofern er sich zu diesem Verfahren in Haft befindet, nach Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Anklage unverzüglich zu enthaften (Abs. 3, vgl. auch § 49 Abs. 3 StPO). Rechtsmittelbefugnis steht dem Subsidiarankläger nach geltendem Recht nur soweit zu wie dem Privatbeteiligten (§ 49 Abs. 2 Z 3 StPO), also nur wegen seiner privatrechtlichen Ansprüche und vor allem nicht gegen ein freisprechendes Urteil (§ 283 Abs. 4 StPO). Diese Rechtslage soll aufrechterhalten bleiben (Abs. 4 im Zusammenhang mit § 366 StPO), denn es wäre schlicht unverhältnismäßig, den Angeklagten weiterer Strafverfolgung auszusetzen, wenn die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurückgetreten ist und das Gericht einen Freispruch gefällt hat. Im Übrigen sollen dem Subsidiarankläger im Hauptverfahren die gleichen Rechte zustehen dem Privatbeteiligten (Abs. 4), eine Wiederaufnahme des Verfahrens (zum Nachteil des Angeklagten) soll er weiterhin gleichfalls nicht beantragen können.

Abs. 4 normiert ein – dem § 49 Abs. 1 zweiter Satz StPO entsprechendes – Recht der Staatsanwaltschaft, die Anklage jederzeit wieder an sich zu ziehen, wodurch der Subsidiarankläger wiederum bloß als Privatbeteiligter am Verfahren mitwirken könnte.

Die Absätze 1 bis 3 übernehmen – im Wesentlichen unverändert – den normativen Inhalt der Bestimmung des § 48 Abs. 1 Z 3 StPO. Voraussetzung für ein Einschreiten als Subsidiarankläger ist notwendigerweise eine Erklärung, am Verfahren als Privatbeteiligter mitzuwirken. Tritt die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung zurück, muss der Privatbeteiligte sofort erklären, ob er die Anklage aufrecht hält. Im Falle seiner Abwesenheit kann er dieses Recht daher nicht ausüben. Der Angeklagte wäre in diesem Fall – wie derzeit – gemäß § 259 Z 2 StPO freizusprechen (Abs. 2). Tritt die Staatsanwaltschaft außerhalb der Hauptverhandlung von der Anklage zurück, so muss die zur Subsidiaranklage berechtigende Erklärung bei sonstigem Rechtsverlust binnen 14 Tagen ab Verständigung abgegeben werden, widrigenfalls das Verfahren mit Beschluss einzustellen wäre (Abs. 3).

1.4.4. Zum 4. Abschnitt („Vertreter“):

Zu § 73 („Vertreter“):

Der Begriff „Vertreter“ soll die Vertretung des Haftungsbeteiligten, des Privatanklägers, des Privatbeteiligten und des Subsidiaranklägers von jener des Beschuldigten abgrenzen. § 73 umschreibt die Aufgaben und den Vertretungsumfang und benennt die dazu berufenen Personen. Anders als der Diskussionsentwurf (§ P 6) will die Regierungsvorlage, wie schon der Entwurf, „relativen Anwaltszwang“ in diesem Bereich nicht mehr normieren [218]) und lässt auch andere Personen, sofern diese hiezu geeignet erscheinen, als Vertreter zu.

Wenngleich eine sachkundige Vertretung (vor allem) des Privatbeteiligten und des Privatanklägers schon angesichts ihrer verbesserten Stellung durch Ausweitung der Verfahrensrechte [219]) und neu hinzugekommener Anforderungen formeller Art vielfach zweckmäßig sein wird, soll dennoch beispielsweise auch (weiterhin) eine Vertretung durch geeignete Mitarbeiter von Opferschutzeinrichtungen und durch andere Personen zulässig sein. Schließlich soll nicht unberücksichtigt bleiben, dass juristische Personen, die privatrechtliche Ansprüche oder Privatanklage erheben, nicht zur Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes gezwungen werden sollen, wenn eine entsprechende Vertretung durch eigene Rechtsabteilungen sichergestellt ist. [220])

1.5. Zum 5. Hauptstück („Gemeinsame Bestimmungen“):

Die Bestimmungen dieses Hauptstückes fassen jene verfahrensrechtlichen Vorschriften zusammen, die sowohl für Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft als auch für das Gericht gelten sollen und sich nicht bloß auf das Ermittlungsverfahren beziehen, sondern grundsätzlich in sämtlichen Stadien des Verfahrens von Bedeutung sind und zur Anwendung gelangen können.

1.5.1. Zum 1. Abschnitt („Einsatz der Informationstechnik“):

Allgemeines:

Die geltende Strafprozessordnung befasst sich – im Hinblick auf ihre Entstehungszeit naturgemäß – nicht mit den modernen Formen der automationsunterstützten Aktenführung und der elektronischen Speicherung von Ermittlungsergebnissen. Die technische Entwicklung ist jedoch rasant vorangeschritten, weshalb das Justizressort den IT-Einsatz seit längerem als wirksames Mittel zur Erreichung wichtiger Ziele der Justizpolitik, insbesondere als strategisches Mittel zur Effizienzsteigerung und Rationalisierung, versteht und einsetzt. Im Strafverfahren werden seit dem Jahr 1996 die Register der Bezirksgerichte automationsunterstützt geführt, ebenso die staatsanwaltschaftlichen Geschäftsbehelfe, sowohl auf Ebene der Bezirksgerichte als auch auf Gerichtshofebene (Register „St“ und „BAZ“), jene der Landesgerichte wurden im Laufe des Jahres 2001 umgestellt (Projekt „Redesign“). [221]) Ferner wurde die Möglichkeit, den elektronischen Rechtsverkehr zu nutzen, durch die Schaffung der §§ 78a ff GOG eröffnet und im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 33/2000 [222]), auch auf das Strafverfahren erweitert. Wenngleich der „papierlose“ Akt noch nicht verwirklicht werden konnte, gibt es auch in diese Richtung erfolgreiche Anwendungsversuche [223]) („WEB“-Verfahren in Salzburg, Baukartell/Flughafen-Verfahren in Korneuburg), die einen Übergang zum elektronischen Akt in Zukunft realistisch erscheinen lassen (vgl. auch die zahlreichen Projekte des so genannten e-government auf Bundes- und Landesebene). Es ist daher – insbesondere unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten – unerlässlich, in der Strafprozessordnung eine gesetzliche Grundlage für diese Möglichkeiten der elektronischen Aktenführung zu schaffen.

Zu § 74 („Verwenden von Daten“):

Zur entsprechenden Bestimmung des Begutachtungsentwurfs (§ 77) wurde bemängelt, dass die ersten beiden Absätze keinen inhaltlichen Mehrwert zu den Bestimmungen des DSG (§§ 7 bis 9) brächten. Dass personenbezogene Daten nur soweit verwendet werden dürften, als dies für Zwecke der Aufgabenerfüllung unbedingt erforderlich ist, ergebe sich allgemein bereits aus § 6 Abs. 1 DSG.

Danach dürfen Daten in personenbezogener Form generell nur nach Treu und Glauben und auf rechtmäßige Weise verwendet, des weiteren nur für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke ermittelt und nicht in einer mit diesen Zwecken unvereinbaren Weise weiter verwendet werden. Ferner ist ihre Verwendung auf den Zweck der Datenanwendung zu beschränken und darf nicht über diesen hinausgehen. Daten müssen schließlich so verwendet werden, dass sie im Hinblick auf den Verwendungszweck im Ergebnis sachlich richtig und, wenn nötig, auf den neuesten Stand gebracht sind. Ihre Aufbewahrung in personenbezogener Form ist nur soweit zulässig, als dies für die Erreichung der Zwecke, für die sie ermittelt wurden, erforderlich ist; eine längere Aufbewahrungsdauer muss ausdrücklich angeordnet werden (oder sich aus archivrechtlichen Vorschriften ergeben).

Gemäß § 7 DSG 2000 dürfen Daten nur verarbeitet werden, soweit Zweck und Inhalt der Datenanwendung von den gesetzlichen Zuständigkeiten oder rechtlichen Befugnissen des jeweiligen Auftraggebers gedeckt sind und die Verarbeitung schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen nicht verletzt. Nach § 8 Abs. 4 DSG 2000 verstößt die Verwendung von Daten über gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbare Handlungen oder Unterlassungen, insbesondere auch über den Verdacht der Begehung von Straftaten, sowie über strafrechtliche Verurteilungen oder vorbeugende Maßnahmen nur dann nicht gegen schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen, wenn bestimmte enge Voraussetzungen gegeben sind: Entweder muss eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung solcher Daten bestehen oder die Verwendung derartiger Daten für Auftraggeber des öffentlichen Bereichs eine wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung einer ihnen gesetzlich übertragenen Aufgabe bilden. Im Übrigen ist die Verarbeitung solcher Daten nur zulässig, wenn sich dies aus gesetzlichen Sorgfaltspflichten oder sonstigen, die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen überwiegenden berechtigten Interessen des Auftraggebers ergibt und die Art und Weise, in der die Datenanwendung vorgenommen wird, die Wahrung der Interessen der Betroffenen nach dem Datenschutzgesetz 2000 gewährleistet.

Zu der in § 77 Abs. 3 des Entwurfs vorgeschlagenen Einrichtung eines „Informationsverbundsystems“ wurde einerseits kritisiert, dass sich die Befugnis, Dienstleister heranzuziehen, schon allgemein aus § 10 Abs. 1 DSG 2000 ergebe. Andererseits wäre der Eindruck zu vermeiden, dass Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte nicht nur wechselseitig Zugriff auf die Daten der jeweils anderen Behörden hätten, sondern diese auch inhaltlich bearbeiten könnten. Zu Abs. 4 wurde bemerkt, dass ein Dienstleister stets nur auf Weisung bzw. Auftrag eines Auftraggebers handeln dürfe und selbst keinerlei eigenständige Dispositionsbefugnisse über die ihm anvertrauten personenbezogenen Daten besitze, was sich ebenfalls abschließend aus § 11 Abs. 1 Z 1 DSG 2000 ergebe. Abs. 5 wurde schließlich unter Hinweis auf Art. 126b B-VG und die dort verankerten Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bemängelt.

Dieser Kritik trägt der Entwurf Rechnung, indem er zunächst klarstellt (Abs. 1), dass die Regelungen des Datenschutzgesetzes 2000 für das Verwenden personenbezogener Daten zur Erfüllung von Aufgaben nach der Strafprozessordnung grundsätzlich zu beachten sind, soweit keine besonderen Bestimmungen ausdrücklich anderes anordnen.

Das DSG 2000 enthält besondere Bestimmungen in Bezug auf die Verwendung sensibler (das sind die in § 4 Z 3 DSG 2000 taxativ aufgezählten Datenarten; zur Zulässigkeit der Verwendung sensibler Daten siehe § 9 DSG 2000) und strafrechtsbezogener Daten (vgl. § 8 Abs. 4 DSG 2000). Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte verwenden zur Erfüllung von Aufgaben nach der Strafprozessordnung naturgemäß Daten, die unter beide angeführten Begriffe fallen (zB Daten aus einer molekulargenetischen Analyse). Soweit die StPO nicht eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung in Bezug auf die Verwendung von solchen Daten vorsieht, ist die Zulässigkeit ihrer Verwendung daher nicht nur nach den Regelungen der StPO, sondern auch in Bezug auf die §§ 7 bis 9 DSG 2000 zu prüfen (Abs. 2). Auf Grund der Sensibilität und angesichts der relativ häufigen Notwendigkeit der Verwendung solcher Daten zur strafprozessualen Aufgabenerfüllung erscheint es – auch im Hinblick auf die Regelung des § 1 Abs. 2 zweiter Satz DSG 2000 – allerdings sinnvoll, die Strafverfolgungsbehörden in einer besonderen Bestimmung nochmals auf die Notwendigkeit angemessener Vorkehrungen zur Wahrung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen im Falle der Verarbeitung derartiger Daten hinzuweisen (Abs. 2). Beispiele für solche Vorkehrungen sind die Verschlüsselung der Datenübermittlung, Zugangsrestriktionen und entsprechende Schulungsmaßnahmen.

Besonders zu beachten wäre, dass auf Grund der Regelung des § 58 DSG 2000 alle wesentlichen Bestimmungen des Datenschutzgesetzes 2000 auch auf personenbezogene Daten, die in konventioneller Form in Dateien verarbeitet werden, anzuwenden sind.

Zu § 75 („Berichtigen, Löschen und Sperren von Daten“):

Nach Abs. 1 wird den Behörden des Strafverfahrens und den Gerichten die unbedingte Verpflichtung auferlegt, unrichtige oder entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes ermittelte Daten unverzüglich richtig zu stellen oder zu löschen.

Die Verpflichtung, Daten zu löschen, bezieht sich im vorliegenden Zusammenhang also vor allem darauf, die Verknüpfung einzelner Suchkriterien zu personenbezogenen Daten aufzulösen, sodass beispielsweise auf Grund einer Namensanfrage nicht sämtliche diese Person betreffenden Vorgänge und Aktenzahlen erschlossen werden können. Sie bedeutet aber nicht, dass Aktenzahlen oder gar der Inhalt von Akten – sofern diese automationsunterstützt („papierlos“) geführt werden könnten – physisch zu löschen wäre; dergleichen ist nach den Vorschriften über die Aktenskartierung vorzunehmen.

Anregungen im Begutachtungsverfahren folgend soll schließlich eine Verpflichtung zur routinemäßige Prüfung der Notwendigkeit des Löschens oder Berichtigens der Daten bei automationsunterstützter Verarbeitung personenbezogener Daten – die leicht zu bewerkstelligen und zudem ein wichtiges Instrument zur Anhebung der Datenqualität darstellt – verankert werden. Für automationsunterstützte Verarbeitungen soll eine solche Prüfung der Daten im Rhythmus von fünf Jahren vorgenommen werden. Werden der datenverarbeitenden Strafverfolgungsbehörde früher Umstände bekannt, die ein Berichtigen oder Löschen notwendig machen, ist dies selbstverständlich bereits auf Grund der Regelung des ersten Satzes in Abs. 1 geboten.

Abs. 2 schlägt die Unterbindung des Zugriffs auf Namensverzeichnisse (die „Namensabfrage“) nach Ablauf von fünf Jahren ab Vollzug der Strafe bzw. im Falle eines Freispruchs ab der zu Grunde liegenden Entscheidung vor. Im Begutachtungsverfahren erhobene Vorschläge, auf die Tilgung nach dem Tilgungsgesetz abstellen, werden deshalb nicht aufgegriffen, weil dies – insbesondere im Fall mehrerer Verurteilungen – zu einer Verlängerung der Frist führen würde (zumal es auch untilgbare Verurteilungen gibt; siehe § 5 TilgG).

In Fortsetzung zu den tilgungsrechtlichen Bestimmungen soll jedoch sichergestellt werden, dass einerseits die Daten unbescholtener Personen (§ 1 Abs. 4 Tilgungsgesetz) nicht über die Namensabfrage im ADV-System der Justiz abfragbar sind, andererseits die Daten des Verfahrens, die dem derzeitigen „Papier-Akt“ entsprechen, auch im Hinblick auf künftige papierlose Aktenführung erhalten bleiben (im Begutachtungsverfahren wurde diese Perspektive bei mancher Kritik an der Länge dieser Frist nicht angemessen berücksichtigt). Die Verfahrensdaten müssen als solche auch deshalb verfügbar bleiben (Zugriff nur über die Geschäftszahl), weil eine Fortsetzung des Verfahrens nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann und die Daten – auch unabhängig von der Person des Beschuldigten – in anderen Straf- oder sonstigen Verfahren (zB auch für Zwecke der Sozialversicherung, etwa zur Beurteilung von Versicherungszeiten im Fall der Untersuchungs- und Strafhaft) benötigt werden können. Im Übrigen sollen durch die Möglichkeit, Daten nach Beendigung des Verfahrens und nach Tilgung der Verurteilung weiter aufzubewahren, vor allem auch – nicht personenbezogene – Auswertungen zu kriminalpolitischen bzw. kriminalstatistischen Zwecken sowie eine nachprüfende Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden und andere Untersuchungen von unmittelbarem strafverfahrensrechtlichen Interesse ermöglicht werden.

Längstens jedoch nach 60 Jahren sollen – entsprechend dem bisherigen System der Aktenvernichtung – alle Daten aus dem Onlinesystem endgültig gelöscht werden. Die Länge dieser Frist erklärt sich wiederum – wie bereits erwähnt – aus der Perspektive des papierlosen Aktes.

Abs. 4 sieht für besonders sensible bzw. solche Daten, die durch erkennungsdienstliche Maßnahmen im weiteren Sinne gewonnen wurden, besondere Verwendungsbeschränkungen in zeitlicher Hinsicht vor. Derartige Daten dürfen auch im Fall einer Verurteilung grundsätzlich nur so lange verwendet werden, als konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene trotz der Sanktionierung des von ihm verursachten Rechtsbruchs weitere strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen begehen werde. Für den Fall des Freispruchs tritt dieses Verwendungsverbot jedenfalls mit Rechtskraft der Entscheidung unverzüglich ein.

Nicht mehr aufgenommen wurde die im Begutachtungsentwurf vorgeschlagene Bestimmung des § 79 im Hinblick auf die abschließende Regelung des Auskunftsrechts durch § 26 DSG 2000. Dessen Abs. 2 Z 5 enthält eine entsprechende Einschränkung des Auskunftsrechts für den Fall, dass überwiegende öffentliche Interessen der Vorbeugung, Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten einer Auskunftserteilung entgegenstehen.

Zur Auskunftserteilung in Bezug auf von den Gerichten verarbeitete Daten ist auf die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 5 DSG 2000 hinzuweisen, welche Akte der Gerichtsbarkeit von der Kognitionsbefugnis der Datenschutzkommission ausnimmt.

1.5.2. Zum 2. Abschnitt („Amts- und Rechtshilfe, Akteneinsicht“):

In diesem Abschnitt werden das Verhältnis der am Strafverfahren beteiligten Behörden und Gerichte mit anderen Behörden, Dienststellen und Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Gewährung von Akteneinsicht für solche Personen geregelt, die weder am Verfahren beteiligt noch durch die dem Strafverfahren zu Grund liegende strafbare Handlung geschädigt worden sind.

Zu § 76 („Amts- und Rechtshilfe“):

Durch diese Bestimmung soll die Verpflichtung zur Leistung von Amtshilfe nach Art. 22 B-VG konkretisiert werden. Sie soll den Inhalt der zusammenhängenden Bestimmungen der §§ 26, 36 und 83 StPO vereinigen. Unterschiede zum geltenden Recht ergeben sich vor allem wegen der veränderten Stellung von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und ihrem Verhältnis zueinander; dieses kann im Hinblick auf die in den Bestimmungen der §§ 98 ff verankerten Verpflichtung zur Zusammenarbeit nicht mehr ausschließlich auf den Rechtsgrund der Verpflichtung zur Amtshilfe beschränkt werden. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft werden eigenständige Ermittlungsaufgaben zugewiesen, zu deren Erfüllung sie Unterstützung durch andere Behörden benötigen, weswegen sie entsprechende Ersuchen – insbesondere soweit es sich um Übermittlung automationsunterstützt verarbeiteter Daten handelt – von sich aus stellen sollen, zumal dies im Wege gerichtlicher Vorerhebungen nicht mehr möglich sein wird.

Die Abs. 1 und 2 übernehmen daher – im Wesentlichen wortgleich – die Bestimmungen des § 26 Abs. 1 und 2 der geltenden StPO, dehnen den Anwendungsbereich jedoch im Sinne der vorstehenden Ausführungen auf kriminalpolizeiliche Behörden und Staatsanwaltschaften aus. Die Wendung in Abs. 2 „… insoweit die Verpflichtung zur Verschwiegenheit auch gegenüber den Gerichten auferlegt ist..“ lässt den Größenschluss auf Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizei zu, eine diesbezügliche Änderung in den Materiengesetzen ist demnach in diesem Bereich nicht erforderlich. Die durch § 1 Abs. 1 des Art. X des Strafrechtsänderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 762, als „lex fugitiva“ verankerte Amtshilfe der Sozialversicherungsträger für die Sicherheitsbehörden im Dienste der Strafrechtspflege, wonach die Sicherheitsbehörden ermächtigt sind, bei den Sozialversicherungsträgern und deren Hauptverband Auskunft über Daten einzuholen, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege (§§ 24, 26, 36 und 88 StPO) benötigen, wird durch die vorgeschlagene Bestimmung daher obsolet.

Im Übrigen wird im Abs. 1 („Behörden und öffentlichen Dienststellen“) an die mit dem StPÄG 1993 eingeführte modernere Terminologie des § 84 Abs. 1 StPO angeknüpft [224]), jedoch ein Spannungsverhältnis zu Art. 22 B-VG vermieden, weil eine Amtshilfeverpflichtung nur zwischen Organen von Bund, Ländern und Gemeinden besteht. Sonstige Rechtsträger des öffentlichen Rechts kann der Bund nur verpflichten, wenn sie durch Bundesgesetz eingerichtet worden sind.

Zur Rechtshilfe mit ausländischen (Polizei- und Justiz-)Behörden verweist Abs. 3 – nach dem Vorbild des § 26 Abs. 3 StPO – auf die Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge (das sind zwischenstaatliche Verträge und Verträge der Republik Österreich mit einer internationalen Organisation) sowie des ARHG und nimmt (für den Bereich internationaler kriminalpolizeilicher Kooperation) explizit das Polizeikooperationsgesetz in seinen Regelungsgegenstand auf.

Abs. 4 soll – ähnlich wie § 57 Abs. 3 SPG – klarstellen, dass Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte jedenfalls berechtigt sind, die von ihnen ermittelten und verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verwenden und einander darüber Auskunft zu erteilen. Eine Datenübermittlung an andere als die in Abs. 4 genannten Behörden soll hingegen einer ausdrücklichen Ermächtigungsnorm im jeweiligen Materiengesetz bedürfen.

Abs. 5 übernimmt schließlich die bislang in § 83 StPO geregelte Pflicht, vom der Einleitung und Beendigung eines Strafverfahrens gegen einen Beamten dessen vorgesetzte Dienstbehörde zu verständigen. Begrifflich wird an den Beginn des Strafverfahrens gegen einen Beamten angeknüpft, also an jenen Zeitpunkt, ab dem sich der Verdacht konkret gegen den Beamten richtet und er als Beschuldigter zu behandeln ist (vgl. § 48 Z 1); dabei wird an die umfassende, funktionelle Definition des Beamtenbegriffs nach § 74 Z 4 bis Z 4c StGB angeknüpft. Die übrigen in § 83 StPO enthaltenen Verständigungspflichten (zB der Ordenskanzleien) sind als entbehrlich anzusehen.

Zu § 77 („Akteneinsicht“):

Durch Abs. 1 sollen die Bestimmungen des § 82 StPO und des § 35 Abs. 4 StAG in einer einheitlichen (subsidiären) Regelung der Akteneinsicht für Personen, die nicht am Verfahren beteiligt sind, jedoch ein besonderes rechtliches Interesse an den Ergebnissen des Verfahrens haben, zusammengefasst werden. Die Entscheidung, ob und inwieweit dem Antrag auf Akteneinsicht stattgegeben wird, soll ausschließlich der Staatsanwaltschaft (bezüglich des „Ermittlungsaktes“ im Ermittlungsverfahren und in jenen Fällen, in denen ein Verfahren vor Einleitung eines Hauptverfahrens beendet wurde) bzw. dem Gericht zukommen, weil es immer um die Beurteilung eines rechtlichen Interesses geht. Im Übrigen wird durch den Verweis des Abs. 3 auf die Bestimmungen des § 54 klar gestellt, dass insbesondere auch das Verbot der Veröffentlichung zur Anwendung gelangt.

Wird im Ermittlungsverfahren ein Antrag auf Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft „abgewiesen“, so steht dem Betroffenen der Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht zu (§ 106 Abs. 1 Z 1; nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens steht der Einspruch allerdings nicht mehr zu, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft wäre dann lediglich im Dienstaufsichtsweg „bekämpfbar“). Das Gericht wiederum hat – im Haupt- und Rechtsmittelverfahren – mit Beschluss zu entscheiden, wogegen dem Betroffenen und der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Beschwerde zusteht (§ 87).

Abs. 2 knüpft an den mit dem StPÄG 1993 eingeführten § 82a StPO an, durch welchen die Akteneinsicht für wissenschaftliche Untersuchungen erleichtert und auf eine eindeutige rechtliche Grundlage gestellt wurde. Solche Untersuchungen haben insbesondere in Gestalt der so genannten Begleitforschung zu den Auswirkungen neuer legislativer Maßnahmen Bedeutung erlangt und in mehreren Fällen rechtspolitisch bedeutsame Ergebnisse erzielt.

1.5.3. Zum 3. Abschnitt („Anzeigepflicht, Anzeige- und Anhalterecht“):

Mit dem StPÄG 1993 [225]) und zuletzt mit der Strafprozessnovelle 2000, BGBl. I Nr. 108/2000, wurden die Bestimmungen des § 84 StPO betreffend die Anzeigepflicht von Behörden und öffentlichen Dienststellen präzisiert. [226]) Diese Rechtslage soll inhaltlich unverändert übernommen werden.

Das Recht privater Personen, Anzeige zu erstatten und tatverdächtige Personen anzuhalten, stellt materiellrechtlich einen nicht unbedeutenden Rechtfertigungsgrund [227]) dar und soll – durchaus im Sinn der Vorstellungen über eine „civil society“ – mutige Bürgerinnen und Bürger begünstigen, die einen von ihnen wahrgenommen Bruch von strafbewehrten Werten nicht „achselzuckend“ hinnehmen, sondern aktiv dagegen auftreten.

Zu den §§ 78 und 79 („Anzeigepflicht“):

§ 78 übernimmt – nahezu wörtlich – die Bestimmungen des § 84 Abs. 1 bis Abs. 2a StPO in der seit 1. November 2000 (vgl. BGBl. I Nr. 108/2000) geltenden Fassung. Im Sinne übersichtlicher legistischer Gliederung wird Abs. 2a des geltenden Rechts als Abs. 3 gereiht.

Die Vorlage will der Kriminalpolizei (allgemein) die Aufgabe übertragen, von Amts wegen strafbare Handlungen aufzuklären, sodass die mit dem StPÄG 1993 in § 84 Abs. 3 StPO explizit eingefügte „Anzeigepflicht“ der Sicherheitsbehörden entbehrlich erscheint. Die eigenständige kriminalpolizeiliche Aufgabe lässt sich nicht mehr auf die Pflicht reduzieren, Anzeige zu erstatten und sodann im Auftrag von Staatsanwaltschaft oder Gericht Erhebungen durchzuführen. Nach der Systematik des Entwurfs bedarf es daher insoweit keiner Abgrenzung der kriminalpolizeilichen Aufgaben von der Anzeigepflicht von Behörden und öffentlichen Dienststellen (siehe auch die §§ 99 ff).

Nach § 79 sollen Behörden und öffentliche Dienststellen gegenüber Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht auch dann zur (vollständigen) Aktenübermittlung verpflichtet sein, wenn die Leitung der Behörde oder Dienststelle im Einzelfall aus einem der in § 78 Abs. 2 genannten Gründe von einer Anzeige Abstand genommen hat, die Strafverfolgungsbehörden jedoch auf andere Weise Kenntnis vom Sachverhalt erlangt haben. Damit soll klargestellt werden, dass die Pflicht zur wechselseitigen Amtshilfe (Art. 22 B-VG; § 80) jedenfalls in dem Umfang besteht, als staatliche Organe zur Anzeige verpflichtet sind. Beispielsweise soll ein Ersuchen einer Staatsanwaltschaft an eine Behörde um Aktenübersendung grundsätzlich selbst dann nicht gegen das Umgehungsverbot verstoßen (§ 152 Abs. 3 StPO, § 157 Abs. 2), wenn diese Behörde nach § 78 keine Anzeige erstattet hat, der Verdacht jedoch auf andere Weise bekannt geworden ist. Dies gilt jedoch nicht für Schriftstücke oder Informationen von Personen, die auf Grund spezieller berufsrechtlicher Verschwiegenheitspflichten berechtigt sind, die Aussage zu verweigern.

Zu § 80 („Anzeige- und Anhalterecht“):

Diese Bestimmung übernimmt – in sprachlich vereinfachter Form – jene des § 86 StPO. Nach Abs. 1 soll grundsätzlich jedermann berechtigt sein, ihm zur Kenntnis gelangte strafbare Handlungen der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft anzuzeigen, ohne sich damit dem Vorwurf der Verleumdung auszusetzen. Eine ausdrückliche Verpflichtung der Gerichte, Anzeigen entgegenzunehmen, erscheint einerseits nicht mehr zeitgemäß, andererseits auch deshalb verzichtbar, weil die Gerichte im Hinblick auf § 78 ohnehin zur Anzeige verpflichtet sind.

Abs. 2 umschreibt die Voraussetzungen des privaten „Festnahmerechts“ und beinhaltet materiellrechtlich einen Rechtfertigungsgrund, vor allem zu den strafbaren Handlungen gegen die Freiheit (§§ 99 ff StGB). Die Anhaltung muss jedoch auf die gelindeste noch zum Ziel führende Weise vorgenommen werden und darf nur von äußerst knapper Dauer sein. [228]) Eine Voraussetzung der Rechtfertigung ist daher auch, dass unverzüglich Anzeige erstattet wird. Die Wortfolge „Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes“ wurde in dieser Bestimmung gewählt, weil es insoweit nicht darauf ankommen kann, ob das betreffende Organ auch tatsächlich mit der Erfüllung kriminalpolizeilicher Aufgaben betraut ist. Die strafbare Handlung, deretwegen eine Person angehalten werden darf, muss sich bereits im Ausführungsstadium befinden oder unmittelbar zuvor ausgeführt worden sein. Nach diesen Zeitpunkten ist eine private Anhaltung nur soweit zulässig, als wegen der Bedeutung und dem Gewicht der strafbaren Handlung angenommen werden kann, dass nach dieser Person gefahndet werde.

1.5.4. Zum 4. Abschnitt („Bekanntmachung, Zustellung und Fristen“):

Zu den §§ 81 bis 83 („Bekanntmachung“, „Zustellung“, „Arten der Zustellung“):

Angesichts der Neuverteilung der Rollen werden gerichtliche Erledigungen im Stadium des Ermittlungsverfahrens numerisch stark zurückgehen. An ihre Stelle werden vermehrt Erledigungen bzw. Anordnungen der Staatsanwaltschaft treten, die auch von der Staatsanwaltschaft bekannt zu machen sein werden. Die dafür maßgebenden §§ 81 ff entsprechen grundsätzlich den §§ 77 bis 80 StPO, erstrecken deren Inhalt jedoch auch auf den staatsanwaltschaftlichen Bereich.

Eine Bekanntmachung erfolgt wie bisher durch mündliche Verkündung oder durch Zustellung der Erledigung auf die im § 81 vorgesehene Weise. Derzeit werden die Akten im justiziellen Vorverfahren immer bei Gericht geführt, der Staatsanwaltschaft stehen Tagebücher (§ 34 StAG, §16 DV-StAG) zur Verfügung. In Hinkunft sollen die Ermittlungsakten generell von der Staatsanwaltschaft zu führen sein und dem Gericht nur bei Bedarf übermittelt werden. Für diesen Fall bezieht sich § 81 Abs. 3 nunmehr auch auf das Gericht (vgl. § 78 StPO).

Soweit schriftliche Ausfertigungen vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft (beispielsweise im Rahmen einer Vernehmung) nicht unmittelbar übergeben werden, sind sie per Telefax, im elektronischen Rechtsverkehr oder durch Organe der Post zuzustellen (§ 82 Abs. 3); die ohnehin kaum angewendete Möglichkeit der Zustellung durch Gemeindeorgane soll künftig nicht mehr bestehen.

Die Vorschriften über Zustellungen sollen auch von der Kriminalpolizei angewendet werden; ferner soll die Kriminalpolizei auch selbst gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Schriftstücke zustellen (§ 85 Abs. 3; vgl. § 89 Abs. 3 StPO), dies allerdings nur in wenigen Ausnahmsfällen, beispielsweise im Zuge einer Festnahme (Übergabe der entsprechenden gerichtlichen Genehmigung und staatsanwaltschaftlichen Anordnung).

Vor dem Hintergrund steigender Mobilität der Bevölkerung und vermehrter anwaltlicher Vertretung wird auf eine dem § 81 StPO nachgebildete Regelung, die erlaubt, Rechtsmittel beim Bezirksgericht des Zustellortes mündlich einzubringen, verzichtet. Sofern eine unvertretene Partei Rechtsberatung benötigt, steht ihr (unter anderem) jedes Bezirksgericht zum Amtstag zur Verfügung; ein dort formuliertes Rechtsmittel wäre sodann per Post einzubringen.

Anklagen sind dem Beschuldigten zu eigenen Handen zuzustellen, weil sich der Einspruch an das Gericht richtet (vgl. § 83 Abs. 3). Sofern der Beschuldigte allerdings einen Verteidiger hat, wäre die Anklage diesem – im Hinblick auf § 83 Abs. 3 letzter Satz – mit Zustellnachweis oder auch per Telefax (vgl. § 83 Abs. 2) zu übermitteln, und zwar unabhängig davon, ob sich der Beschuldigte in Haft befindet. Das für die Zustellung an den Verteidiger bisher erforderliche „Verlangen“ des festgenommenen Beschuldigten (§ 209 Abs. 3 StPO) soll somit entfallen.

Die allgemeine Regelung des § 83 Abs. 1 erlaubt die Zustellung von Strafanträgen grundsätzlich ohne Zustellnachweis, weil ein Rechtsbehelf gegen einen Strafantrag nicht zusteht. Allerdings werden Strafanträge wohl – wie es der derzeitigen Praxis entspricht – in der Regel weiterhin gemeinsam mit der Ladung zur Hauptverhandlung und aus diesem Grund zu eigenen Handen des Beschuldigten (§ 83 Abs. 4 zweiter Satz) zugestellt werden.

Zu § 84 („Fristen“):

§ 84 entspricht zur Gänze dem geltenden § 6 StPO. Die Z 4 des Abs. 1 wird aus Gründen der Vollständigkeit hier aufgenommen, dadurch ergibt sich keine normative Änderung.

1.5.5. Zum 5. Abschnitt („Beschlüsse und Beschwerden“):

Zu § 85 („Allgemeines“):

Seit langem wird das Fehlen eines allgemeinen Beschlussverfahrens als Mangel des geltenden Strafprozessrechts empfunden. [229]) Beschlüsse werden derzeit nur negativ – als „alle Entscheidungen, die keine Urteile sind“ [230]) – definiert. Anerkannt ist ferner, dass § 270 Abs. 2 Z 5 StPO über die Begründung von Urteilen auf Beschlüsse analog anzuwenden ist. [231]) Ihre Anfechtbarkeit ist für bestimmte Verfahrensarten und Verfahrensabschnitte unterschiedlich geregelt. [232]) An Stelle dieser kasuistischen und schwer überblickbaren Regelung will der Entwurf eine allgemeine Bestimmung über Beschlüsse im Strafverfahren und ihre Anfechtbarkeit treten lassen.

§ 85 sieht daher vor, dass für Beschlüsse im Strafverfahren die Bestimmungen dieses Abschnitts zu gelten haben, es sei denn, es wäre im Einzelnen etwas Abweichendes normiert. Auf eine inhaltliche Definition des Begriffs „Beschluss“ wird verzichtet, weil diese – abgesehen von der Abgrenzung zu Entscheidungen, die im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen sind – kaum eine inhaltliche Aussage beinhalten würde (vgl. auch § 35 zur Form der gerichtlichen Entscheidungen).

Zu § 86 („Beschlüsse“):

Abs. 1 knüpft an Lehre und Judikatur an und bestimmt, dass Beschlüsse in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung gegliedert sein müssen. Im Spruch soll die Entscheidung des Gerichts klar zum Ausdruck kommen, wobei die Gesetzesstellen anzuführen sind, auf die der Ausspruch gestützt wird. In der Begründung soll zwischen den tatsächlichen Feststellungen und der Subsumtion deutlich unterschieden werden. Schließlich soll der Betroffene über eine Beschwerdemöglichkeit und das einzuhaltende Verfahren in einer Rechtsmittelbelehrung informiert werden.

Abs. 2 und 3 ordnen an, dass jeder Beschluss, der auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung mündlich zu verkünden ist, dennoch schriftlich auszufertigen und den zur Beschwerde Berechtigten auch zuzustellen ist, es sei denn, die Beteiligten des Verfahrens hätten unmittelbar nach Verkündung auf Beschwerde gegen den Beschluss verzichtet (was beim vertretenen Beschuldigten die Anwesenheit des Verteidigers voraussetzt – § 57 Abs. 2). In diesem Fall soll jedoch der wesentliche Inhalt des Beschlusses im Protokoll festgehalten werden. Angesichts entsprechender Einwände im Begutachtungsverfahren wurde die Ausfertigungsfrist im Abs. 2 – wie auch die Beschwerdefrist (§ 88 Abs. 1) – auf vierzehn Tage verlängert. In der Hauptverhandlung soll der Beschluss in die Urteilsausfertigung aufgenommen werden können, soweit ein selbstständiges, abgesondertes Rechtsmittel gegen ihn nicht zusteht (vgl. § 238 StPO). Anfechtbar bleiben solche Entscheidungen weiterhin über eine allfällige Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 4.

Zu § 87 („Beschwerden“):

Abs. 1 ordnet allgemein an, dass dem Beschuldigten, dessen Interessen durch die Entscheidung betroffen sind („Grundsatz der Beschwer“) und der Staatsanwaltschaft gegen Beschlüsse des Gerichts im Strafprozess Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zusteht, soweit das Gesetz eine solche nicht ausdrücklich ausschließt. (Der allgemeine Begriff „Rechtsmittelgericht“ wurde im Hinblick auf das bezirksgerichtliche Verfahren gewählt; Rechtsmittelgericht ist daher nach § 31 Abs. 5 das Landesgericht oder nach § 33 Abs. 1 Z 1 das Oberlandesgericht.) Soweit mit der Durchführung des betreffenden Zwangsmittels in ihre subjektiven Rechte eingegriffen wird, sind neben dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft auch jene Personen zur Beschwerde legitimiert, die – ohne beschuldigt zu sein – von der Bewilligung der Anordnung eines Zwangsmittels unmittelbar betroffen sind. Einen Beschluss des Gerichts, mit dem das Ermittlungsverfahren eingestellt wird, kann überdies – auch in dem Fall, dass die Staatsanwaltschaft eine Beschwerde unterlässt – der Privatbeteiligte anfechten.

Aufschiebende Wirkung soll einer Beschwerde nur dann zukommen, wenn dies gesetzlich besonders angeordnet wurde (Abs. 2). [233])

Zu § 88 („Verfahren über Beschwerden“):

§ 88 regelt das Verfahren zur Einbringung der Beschwerde näher. Abs. 1 legt zunächst den notwendigen Inhalt einer Beschwerde fest. Die im Begutachtungsentwurf noch enthaltene generelle Begründungspflicht soll auf die Mindesterfordernisse der Bezeichnung des kritisierten Vorgangs und der Rechtsverletzung reduziert werden, um – vor allem unvertretenen Beschwerdeführern – eine formgerechte Ausführung der Beschwerde zu erleichtern. [234]) In diesem Zusammenhang soll auch die Konsequenz der Zurückweisung der Beschwerde bei ungenügender Begründung laut § 93 Abs. 2 des Entwurfs entfallen. Weiters soll die Beschwerdefrist – wie bereits dargelegt – einheitlich vierzehn Tage betragen und mit der Bekanntmachung des gerichtlichen Beschlusses beginnen.

Grundsätzlich ist eine Beschwerde bei dem Gericht einzubringen, das den insoweit bekämpften Beschluss gefasst hat. Davon abweichend bestimmt Abs. 2, dass eine Beschwerde gegen einen Beschluss über die Bewilligung eines Zwangsmittels bei der Staatsanwaltschaft einzubringen ist, wodurch es dieser ermöglicht wird, die Beschwerde unmittelbar mit einer Stellungnahme an das Gericht weiterzuleiten.

Abs. 3 ordnet an, dass die Beschwerde dem Rechtsmittelgericht unverzüglich samt Akt vorzulegen ist; im Übrigen soll die Bestimmung des § 115 StPO hier in allgemeiner Form übernommen werden.

Abs. 4 erklärt schließlich eine fristgerechte Beschwerde auch dann für rechtzeitig, wenn sie nicht beim zuständigen Erstgericht sondern beim (zuständigen) Rechtsmittelgericht oder in den Fällen des Abs. 2 nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern bei Gericht eingebracht wurde. Die primär der Beschleunigung des Verfahrens dienende Sonderregelung des Abs. 2 soll sich demnach – bei einem allfälligen Irrtum – für den Beschwerdeführer nicht nachteilig auswirken.

Zu § 89 („Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht“):

§ 89 regelt das Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht. Abs. 1 bestimmt, dass über eine Beschwerde jedenfalls mit Beschluss abzusprechen ist. Zuvor ist der staatsanwaltschaftlichen Behörde am Sitz des Rechtsmittelgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Die Notwendigkeit der Zustellung dieser Stellungnahme (des „croquis“) an den Beschwerdeführer ergibt sich aus § 24.

Abs. 2 ordnet an, dass die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn sie verspätet oder von einer Person eingebracht wurde, der eine Beschwerdelegitimation nicht zukommt. Besteht kein Grund für eine Zurückweisung der Beschwerde, so hat das Rechtsmittelgericht grundsätzlich in der Sache zu entscheiden; ein nachträglicher Entfall der „Beschwer“ ändert daran nichts. In Anlehnung an § 114 Abs. 2 StPO soll das Rechtsmittelgericht auch entscheidungsrelevante Umstände zu berücksichtigen haben, welche erst nach (erstinstanzlicher) Beschlussfassung eingetreten sind, aber auch solche, welche erst später bekannt geworden sind. Stellt das Rechtsmittegericht aus Anlass einer Beschwerde im Zuge seiner Entscheidungsfindung fest, dass dem Erstgericht auch andere wesentliche, vom Beschwerdeführer nicht relevierte Rechtsverletzungen unterlaufen sind, hätte es auch diese einer Prüfung zu unterziehen und gegebenenfalls – unter Beachtung des Verbots der Verschlechterung (§ 16) – in seiner Entscheidung zu berücksichtigen.

Abs. 3 übernimmt für Entscheidungen über die Untersuchungshaft das beneficium cohaesionis des § 114 Abs. 3 StPO [235]), Abs. 4 sieht vor, dass die Ergebnisse unzulässiger „besonderer Ermittlungsmaßnahmen“ – wie bisher (§§ 149b Abs. 4, 149f Abs. 3, 149j Abs. 3 StPO) zu vernichten sind.

Nach Abs. 5 kann das Rechtsmittelgericht vor seiner Entscheidung das Erstgericht und die Staatsanwaltschaft um Aufklärungen ersuchen. Zu den Ergebnissen dieser Aufklärungen und zu Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft hat es die Beteiligten zu hören oder ihnen gleichfalls Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Die Beschwerde soll daher grundsätzlich zweiseitig sein.

Abs. 6 stellt klar, dass gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht zustehen soll.

1.5.6. Zum 6. Abschnitt („Vollstreckung von Geld und Freiheitsstrafen“):

Zu § 90 („Vollstreckung von Geld und Freiheitsstrafen“):

Abs. 1 und 2 beinhalten den normativen Gehalt des § 7 Abs. 1 und 3 StPO, Abs. 3 entspricht dem § 7 Abs. 2 StPO. Der Entwurf versteht unter den in diesem Gesetz angedrohten Freiheitsstrafen – wie das geltende Recht – Ordnungs(freiheits)strafen (§ 94; vgl. für das Hauptverfahren die §§ 233 Abs. 3 und 235 StPO) und mit Freiheitsentziehung verbundene Beugemittel (§ 93 Abs. 2). Über die Neubemessung von Geldstrafen oder die Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe hat nach Abs. 2 in jedem Fall das Gericht zu entscheiden, weil Entscheidungen über freiheitsentziehende Sanktionen allein dem Gericht zukommen sollen.

Zum 2. Teil („Das Ermittlungsverfahren“):

In den Bestimmungen des 2. Teils werden die zentralen Elemente der neuen Struktur des strafprozessualen Vorverfahrens (der „Gang“ des Verfahrens) geregelt. Inhaltlich führen sie die Kapitel „Ermittlungsverfahren“, „Zwangsmittel und Beweisaufnahme“ und „Gericht im Ermittlungsverfahren“ des DE zusammen und entwickeln sie fort. [236]) Der 2. Teil betrifft somit Zweck und Grundsätze des Ermittlungsverfahrens, die Aufgaben und Befugnisse der daran beteiligten Behörden und den gerichtlichen Rechtsschutz, also den „Kern“ des so genannten Vorverfahrens. Dem Stand der Fachdiskussion [237]) entsprechend soll durch ihn ein einheitliches Vorverfahren geschaffen werden, das von „Kriminalpolizei“ und Staatsanwaltschaft grundsätzlich – soweit möglich – im Einvernehmen zu führen ist. Es werden die Struktur und der Ablauf des neuen Vorverfahrens geregelt, die Aufgaben der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts im Allgemeinen definiert und von einander abgegrenzt sowie die Grundsätze der Zusammenarbeit („Kooperation“) zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft festgelegt. Dabei soll eine eigene Ermittlungskompetenz der Kriminalpolizei ebenso anerkannt werden wie der Umstand, dass die Staatsanwaltschaften schon quantitätsmäßig überlastet wären, sofern sie in allen Verfahren mit Ermittlungen befasst würden; die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Streit- und Zweifelsfall wird jedoch weiterhin als unverzichtbar angesehen (siehe insbesondere § 101). Sodann werden jene Befugnisse im Einzelnen geregelt, die den kriminalpolizeilichen Behörden und Organen, aber auch der Staatsanwaltschaft zur Erfüllung ihrer prozessualen Aufgabe, mithin zur Aufklärung und Verfolgung strafbarer Handlungen, zur Verfügung stehen sollen. Schließlich sollen die Kompetenzen des Gerichts im Ermittlungsverfahren der neuen Struktur des Verfahrens und der veränderten Rollenverteilung angepasst werden. Es soll weder gerichtliche Vorerhebungen noch eine gerichtliche Voruntersuchung geben (allerdings „Beweissicherungen“ auf Antrag der Staatsanwaltschaft). Das Gericht soll umfassenden „begleitenden“ Rechtsschutz ausüben; ihm soll die Entscheidung über die Zulässigkeit von Eingriffen in subjektive Rechte und darüber hinaus die allgemeine Rechtskontrolle der Ermittlungstätigkeit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft obliegen. Ferner soll dem Gericht die Aufgabe übertragen werden, Tatrekonstruktionen zu leiten und unter bestimmten, eng umschriebenen Voraussetzungen Vernehmungen (schonende bzw. kontradiktorische Einvernahmen) durchzuführen. [238])

2.6. Zum 6. Hauptstück („Allgemeines“):

Das 6. Hauptstück fasst nach der einleitenden Definition des Zwecks des Ermittlungsverfahrens und der darauf folgenden Klarstellung, welche Bedeutung einer Ermächtigung für die Aufgabenerfüllung der zur Strafverfolgung berufenen Behörden zukommen soll, jene Bestimmungen zusammen, die den Rahmen der Ausübung von Zwang bzw. der Aufnahme von Beweisen bilden, dh. jeweils „mitzudenken“ sind, etwa weil sie die Art und Weise der Protokollierung von Ermittlungen oder die Befugnisse der ermittelnden Organe zur Aufrechterhaltung der Ordnung während Ermittlungen oder der Aufnahme von Beweisen regeln.

2.6.1. Zum 1. Abschnitt („Zweck des Ermittlungsverfahrens“):

Zu § 91 („Zweck des Ermittlungsverfahrens“):

Im Abs. 1 werden die wesentlichen Funktionen des Ermittlungsverfahrens umschrieben. Neben dem traditionellen Zweck, den Prozessstoff zu beschaffen, also die Grundlage dafür zu bieten, dass die Staatsanwaltschaft über die Anklage entscheiden kann, und Beweismittel für die Hauptverhandlung zu sichern („Ermittlungs- und Sicherungsfunktion“), soll neben der Anklage auch der Rücktritt von der Verfolgung nach diversionellen Maßnahmen als grundsätzlich gleichwertiges und eigenständiges Verfahrensziel hervorgehoben als auch die Möglichkeit der Beendigung des Ermittlungsverfahrens durch Einstellung angeführt werden („Entscheidungsfunktion“). [239]) Damit sollen die materielle Eigenbedeutung des Strafverfahrens und seine Einbindung in die Präventionsaufgaben des Strafrechts gesetzlich anerkannt und somit dokumentiert werden, dass das Strafverfahren selbst als strafrechtliche Reaktion im weiteren Sinne verstanden werden kann. [240]) Die Stoffsammlung im Ermittlungsverfahren soll daher nicht bloß auf die Entscheidung über Anklage oder Einstellung ausgerichtet werden, sondern auch die erforderlichen Grundlagen erbringen, anhand derer die Staatsanwaltschaft über die Notwendigkeit der Bestrafung nach kriminalpolitischen Gesichtspunkten der Prävention entscheiden kann (so genannte Erforderlichkeitsklausel). [241])

Im Abs. 2 wird zunächst der Begriff der „Ermittlung“ definiert. Mit ihm soll jede Tätigkeit von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht erfasst werden, die auf die Gewinnung und Verwendung von Informationen oder Beweisen abzielt. Dieser Begriff berücksichtigt auch den Umstand, dass sich kriminalpolizeiliche Tätigkeit in vielerlei Hinsicht als „Informationseingriff“, somit als Maßnahme zur Gewinnung und Verwendung von Informationen darstellt, mit der Daten ermittelt, verarbeitet und übermittelt oder auf sonstige Weise verwendet werden. [242]) Im zweiten Satz dieser Bestimmung wird schließlich die Konsequenz aus der veränderten Struktur des Ermittlungsverfahren gezogen, indem angeordnet wird, dass jede Ermittlung ausschließlich in der nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes vorgesehenen Form als Erkundigung oder als Beweisaufnahme zu erfolgen hat. Diese – den Legalitätsgrundsatz des Art. 18 B-VG auf einfachgesetzlicher Ebene wiederholende – Anordnung hat zur Folge, dass sich alle im Strafverfahren tätigen Behörden und Gerichte sowie ihre Organe bei der Aufklärung strafbarer Handlungen nur jener Befugnisse bedienen dürfen, die ihnen die Strafprozessordnung zur Erfüllung ihrer prozessualen Aufgabe zuweist.

Der Begriff der „Erkundigung“ wird jenem der „Beweisaufnahme“ gegenübergestellt. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist die Möglichkeit der Verwertung als Beweis in der Hauptverhandlung, die voraussetzt, dass im Rahmen der Beweismittelsicherung bzw. der Auswertung eines Beweismittels die Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Beschuldigten gewahrt werden. Dies ist bei Erkundigungen und bei verdeckten Ermittlungen nicht der Fall, weil der Beschuldigte im Rahmen dieser Ermittlungen nicht in seiner Prozessrolle als Beteiligter des Verfahrens auftreten kann. [243]) Grundsätzlich hält die Regierungsvorlage daher an der bereits vom DE skizzierten zentralen Unterscheidung zwischen Information und Beweis fest und trägt insoweit der Realität Rechnung, als sie anerkannt, dass die Sammlung von Informationen nicht immer auf eine Weise erfolgen kann, die sämtliche Formgebote der Beweisaufnahme achtet. [244]) Wegen der Art und Weise ihres Zustandekommens sollen unzuverlässige Beweismittel daher nicht ungeprüft in die Hauptverhandlung eingeführt werden, ihre Verwertung als Beweis wird jedoch nicht absolut verboten (vgl. hiezu näher die Erläuterungen zu § 152).

Zu § 92 („Ermächtigung zur Strafverfolgung“):

Während der Entwurf den völligen Entfall des Privatanklageverfahrens [245]) und die kriminalpolitische Prüfung der Umgestaltung von Privatanklage- und Antragsdelikten in Ermächtigungsdelikte vorschlägt [246]), kehrt die Regierungsvorlage auf Grund der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens zum Privatanklageverfahren – in modifizierter Form – zurück. Den Verzicht auf Antragsdelikte und deren Umgestaltung in Ermächtigungsdelikte behält sie im Interesse rechtspolitischer, dogmatischer und struktureller Klarheit bei.

Darüber hinaus muss die Rechtsordnung auch das Interesse von Personen anerkennen, ihre privaten oder beruflichen Geheimnisse nicht zu offenbaren oder Verletzungen derselben außergerichtlich zu regeln; in solchen Fällen kann die Ermächtigung zur (weiteren) Verfolgung ein sinnvolles Instrument (auch der Konfliktregelung) sein. [247])

Abs. 1 übernimmt daher die Bestimmung des § 2 Abs. 5 StPO in die Terminologie des Entwurfs. Wird wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt, für deren Verfolgung das materielle Recht eine Ermächtigung des Geschädigten vorsieht („… ist nur mit Ermächtigung des … zu verfolgen“) [248]), soll das Verfahren zwar fortgesetzt werden, jedoch unverzüglich nach Ausforschung eines Verdächtigen der Geschädigte zu befragen sein, ob er die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteile. Obgleich das Vorliegen der Ermächtigung keine Voraussetzung für die weitere Vornahme kriminalpolizeilicher Ermittlungen darstellt, soll auch die Kriminalpolizei im Hinblick auf ihre eigenständige Ermittlungsaufgabe verpflichtet sein, um die Ermächtigung anzufragen, ohne dass es hierfür eines Berichts an die Staatsanwaltschaft bedürfte. Nur in den Fällen, in denen das Verfahren gegen einen konkreten Beschuldigten (ab „ovo“) auf Grund einer Initiative der Staatsanwaltschaft geführt wird, soll diese Verpflichtung der Staatsanwaltschaft obliegen. Gleiches soll gelten, wenn erst im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens die rechtliche Qualifikation eines bestimmten Sachverhalts ergibt, dass ein Ermächtigungsdelikt vorliegt.

Der Zeitpunkt (der Zustellung) der Anfrage wird im Ermittlungsakt exakt festzuhalten sein, weil die Ermächtigung – wie nach geltendem Recht – als verweigert gelten soll, wenn sie nicht binnen vierzehn Tagen nach Anfrage erteilt wird. Freilich soll die Anfrage weiterhin auch mündlich oder mittels Formblatt im Rahmen der Vernehmung des Geschädigten erteilt werden können. Auch eine sofortige Verweigerung der Ermächtigung soll möglich bleiben. Im Falle der Verweigerung der Ermächtigung wäre das Verfahren einzustellen; die besondere Fristbestimmung für Beleidigungen eines verfassungsmäßigen Vertretungskörpers soll weiterhin gelten.

Abs. 2 ordnet an, dass sich die Ermächtigung stets auf eine bestimmte Person als Beschuldigten beziehen muss; sie kann daher auch nur für die Verfolgung eines von mehreren Beschuldigten erteilt werden. Gegenüber dem geltenden Recht soll die Ermächtigung jedoch Voraussetzung für die Einleitung eines Hauptverfahrens oder die Beendigung des Ermittlungsverfahrens durch diversionelle Maßnahmen sein; die Staatsanwaltschaft soll sie daher spätestens beim Einbringen der Anklage dem Gericht nachzuweisen haben. Gleiches soll dann gelten, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren durch diversionelle Maßnahmen beenden will; in diesem Fall muss zuvor geklärt sein, ob der Berechtigte überhaupt eine sanktionsähnliche staatliche Reaktion auf den Rechtsbruch wünscht.

Die einmal erteilte Ermächtigung soll – sofern das Verfahren nicht zuvor bereits rechtswirksam beendet wurde – bis zum Schluss des Beweisverfahrens zurückgezogen werden können. Hat der Geschädigte erklärt, am Verfahren als Privatbeteiligter mitzuwirken (siehe § 70), so soll diese Erklärung jedenfalls die Ermächtigung zur Strafverfolgung implicite mit umfassen.

2.6.2. Zum 2. Abschnitt („Zwangsgewalt und Beugemittel, Ordnungsstrafen“):

Zu § 93 („Zwangsgewalt und Beugemittel“):

Abs. 1 ermächtigt Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, Zwang einzusetzen (Befehls- und Zwangsgewalt mit unmittelbarem Befolgungsanspruch), soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich und nach der betreffenden Regelung zulässig und im Einzelfall verhältnismäßig ist. Kriminalpolizei und – obwohl in der Praxis kaum bedeutungsvoll – Staatsanwaltschaft sollen unter dieser Voraussetzung (Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit) erforderlichenfalls auch körperliche Gewalt gegen Sachen und Personen ausüben können [249]), soweit ansonsten eine Ermittlungshandlung oder eine Beweisaufnahme nicht durchführbar wäre. Insoweit sind auch Unterlassungen zwangsweise durchsetzbar, als sich die Verpflichtung von Personen ergibt, bestimmte staatliche Zwangsmaßnahmen (zB eine Personsdurchsuchung) zu dulden.

Dieser unmittelbare Zwang zur Durchsetzung von Befugnissen soll sich grundsätzlich auch gegen den Beschuldigten und gegen Personen richten können, die von der Aussagepflicht befreit sind oder die Aussage zu verweigern berechtigt sind. Ein Widerspruch zum Prinzip des „nemo tenetur“ wird dadurch nicht hergestellt, weil nicht ein bestimmtes Verhalten des Beschuldigten erzwungen, sondern die Durchführung einer Beweisaufnahme oder sonstigen Ermittlung ermöglicht, mithin eine kriminalpolizeiliche Befugnis durchgesetzt wird. Unter diesen Voraussetzungen wäre es beispielsweise auch zulässig, eine Sicherstellung aus Beweisgründen oder eine Befundaufnahme durch Durchsuchung von Behältnissen, Kraftfahrzeugen oder Grundstücken (etwa Aufgraben eines Waldgrundstückes zum Zweck der Auffindung einer Leiche oder der Beute) durchzusetzen, soweit damit kein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Hausrecht verbunden ist.

Abs. 2 regelt das Verfahren, das einzuhalten ist, wenn eine Person eine ihr von der Strafprozessordnung auferlegte (aktive) Handlungs- oder Mitwirkungspflicht (vgl. zB §§ 111 Abs. 1, 153 Abs. 2 und 154 Abs. 2) nicht erfüllt. Ist weder unmittelbares Durchsetzen noch Ersatzvornahme möglich, sollen Beugemittel eingesetzt werden können. Diesen kommt zwar auch Zwangscharakter zu, doch stellen sie gegenüber der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung von Befugnissen im Sinne des Abs. 1 insofern ein „aliud“ dar, als das von ihnen angestrebte Verfahrensziel nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar erreicht werden soll. Beugemittel dürfen daher weder das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung noch Befreiungen von der Aussagepflicht oder Aussageverweigerungsrechte umgehen. Abs. 2 beschränkt die Anwendung von Beugemitteln und die Ersatzvornahme daher auf Handlungspflichten; Pflichten, ein Verhalten zu Unterlassen, können damit nicht durchgesetzt werden.

Abs. 3 hält ausdrücklich fest, dass für Waffengebrauch die materiellen und formellen Voraussetzungen nach dem Waffengebrauchsgesetz 1969 vorliegen müssen.

Abs. 4 zählt die in Betracht kommenden Beugemittel auf, nämlich Geldstrafe bis 10 000 Euro oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen. Ihr Einsatz und ihr Ausmaß sollen im Hinblick auf die im Vordergrund stehende Beurteilung von Rechtsfragen und die Sanktionsähnlichkeit der Maßnahme (Geld- und Haftstrafen) auch im Ermittlungsverfahren in Form eines gerichtlichen Beschlusses ergehen. Eines besonderen Hinweises auf die Verhältnismäßigkeit [250]) bedarf es in Anbetracht des Grundsatzes der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit nach § 5 nicht, die Anwendung von Freiheitsstrafen wird zudem auf „wichtige Fälle“ (vgl. § 143 Abs. 2 StPO) beschränkt.

Abs. 5 ordnet an, dass die Ausübung von Zwang dem Betroffenen grundsätzlich anzukündigen bzw. anzudrohen ist. Als „Betroffener“ ist jene Person zu verstehen, gegen welche die Zwangsgewalt ausgeübt, in deren Rechte mithin eingegriffen werden soll (siehe zur Definition dieses Begriffs § 48 Abs. 1 Z 3). Aspekte der Kriminaltaktik sollen jedoch insofern berücksichtigt werden können, als die Aufklärungs- und Informationspflicht entfällt, solange anzunehmen ist, dass durch sie der Erfolg (das angestrebte Ergebnis) der Ermittlung oder Beweisaufnahme gefährdet wäre.

Zu § 94 („Ordnungsstrafen“):

§ 108 StPO ermächtigt den Untersuchungsrichter, ungebührliches oder beleidigendes Verhalten durch Verhängung einer Ordnungsstrafe zu sanktionieren. Wegen der vorgeschlagenen Übertragung der Ermittlungsbefugnisse auf Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft soll der jeweilige Leiter der Amtshandlung nach § 94 verpflichtet sein, für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Wahrung des Anstandes zu sorgen. Hiefür muss er über entsprechende Maßnahmen verfügen können. [251]) Die Mittel dieser Disziplinargewalt zur Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Anstand und das Verfahren ihrer Anwendung sollen sich durch einen (Voraus-)Verweis auf die Bestimmungen über die so genannte Sitzungspolizei (§§ 233 Abs. 3 und 235 bis 236a StPO) ergeben. [252]) Die dort genannten Ordnungsstrafen und Maßnahmen (Aufforderung, einen anderen Vertreter zu bestellen, gegebenenfalls Beigabe eines Vertreters von Amts wegen und vorübergehender Entzug der Vertretungsbefugnis) sollen jedoch weiterhin nur dem Gericht – allenfalls auf Antrag der Staatsanwaltschaft und Initiative der Kriminalpolizei – zukommen.

Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft sollen aber von sich aus berechtigt sein, Personen zeitweilig oder für die gesamte Dauer der Amtshandlung wegzuweisen, wenn diese ein störendes, die Amtshandlung beeinträchtigendes Verhalten an den Tag legen und trotz Mahnung fortsetzen.

2.6.3. Zum 3. Abschnitt („Protokollierung“):

Ein einheitliches Ermittlungsverfahren verlangt Bestimmungen, die gleiche oder zumindest ähnliche Aktenführung bei Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht ermöglichen. Diesem Zweck dienen die Bestimmungen dieses Abschnittes (§§ 95 bis 97). Darüber hinaus bieten sie die Grundlage für die Regelung der Akteneinsicht und der Bestimmung des § 100 Abs. 1, welche der Kriminalpolizei die Pflicht auferlegt, ihre Ermittlungen derart („aktenmäßig“) festzuhalten, dass Anlass, Durchführung und Ergebnis dieser Ermittlungen nachvollzogen werden können. Auf ihren engen Zusammenhang mit den Bestimmungen über den Einsatz der Informationstechnik und den durch sie ermöglichten elektronischen Aktenverbund wurde bereits in den Erläuterungen zu den §§ 74 f eingegangen. Im Vergleich zum geltenden Recht sollen sie die nur für das Gericht geltenden Bestimmungen der §§ 101 ff StPO ablösen bzw. der neuen Verfahrensstruktur anpassen.

Zu § 95 („Amtsvermerk“):

Durch diese Bestimmung soll der – auch vergleichbaren Verfahrensgesetzen [253]) immanente – Grundsatz des § 197 StPO, wonach Vorbringen von Personen und sämtliche für das Verfahren bedeutsame Vorgänge schriftlich zu dokumentieren sind, in die reformierte Strafprozessordnung übernommen werden. Eine solche Dokumentation ermöglicht nicht nur eine nachprüfende Kontrolle der Ermittlungstätigkeit im Rahmen des Einspruchs wegen Rechtsverletzung, sondern auch, dass sowohl sämtliche am Verfahren beteiligte Behörden und Gerichte als auch der Beschuldigte und der Privatbeteiligte über denselben Kenntnisstand verfügen. Letztlich erleichtert sie auch die wechselseitige Information zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und hilft, Wiederholungen in der Hauptverhandlung zu vermeiden.

Die Vornahme von Ermittlungen – in Form eines Berichts über Anlass, Zweck und Ergebnis der Ermittlung – soll daher ein Amtsvermerk dokumentieren, während die Aufnahme von Beweisen nach § 96 zu protokollieren ist. Ein „Vorbringen von Personen“ kann beispielsweise in der Entgegennahme einer Anzeige oder sonstiger Hinweise und Informationen durch Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft bestehen. „Andere bedeutsame Vorgänge“ können etwa das Ergebnis von Erkundigungen (§ 152) oder sonstiger nicht formalisierter Ermittlungen beinhalten. Im Unterschied zum Protokoll nach § 96 muss ein Amtsvermerk nicht zwingend von allen an der Ermittlung beteiligten oder von ihr betroffenen Personen, sondern nur vom aufnehmenden Organ unterfertigt werden. Meist wird es jedoch zweckmäßig sein, den Inhalt des Amtsvermerks durch Unterschrift der betreffenden Person zu verifizieren.

Zu § 96 („Protokoll“):

Abs. 1 ordnet an, dass über die Aufnahme eines Beweises (Vernehmung, Augenschein, Tatrekonstruktion) ein Protokoll aufzunehmen ist, und bestimmt, was dieses zumindest enthalten muss.

Abs. 2 regelt die Art der Protokollierung. Danach soll der jeweilige Leiter der Amtshandlung für die Abfassung des Protokolls verantwortlich sein. Es kann von ihm selbst oder – unter seiner Leitung – von einem Schriftführer erstellt werden. Auf eine – im Entwurf noch vorgesehene – Regelung über die Beeidigung von Schriftführern wurde im Hinblick auf § 7 BDG und § 5 VBG verzichtet.

Das Protokoll ist grundsätzlich in Vollschrift abzufassen. Wird es diktiert, hat dies so zu geschehen, dass die Beteiligten mithören können, um Streitigkeiten über den Inhalt des Protokolls sogleich entscheiden zu können und nicht auf einen späteren Zeitpunkt verlagern zu müssen. Es soll freilich auch zulässig sein, die Protokollierung vorläufig in Kurzschrift oder nach Maßgabe der technischen Entwicklung durch die Verwendung technischer Mittel (Diktiergerät bzw. Spracherkennungssystem) zu unterstützen. Eine solche Tonaufnahme muss – im Begutachtungsverfahren erhobenen Einwänden Rechnung tragend – nur dann unmittelbar wiedergegeben werden, wenn dies einer der Beteiligten verlangt.

Abs. 3 verlangt weder, dass die Fragen des vernehmenden Organs, noch, dass die Aussagen der vernommenen Person wörtlich wiedergegeben werden. Jede Zusammenfassung bedeutet jedoch auch eine Verkürzung des Aussageinhalts und birgt die Gefahr gewisser Akzentverschiebungen in der Beurteilung der Bedeutung der Aussage in sich. Soweit es für die Beurteilung der Sache notwendig ist oder es der Betroffene im Einzelnen verlangt, sind seine Aussagen daher in der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise „redend“ und wörtlich wiederzugeben; Gleiches gilt für die Fragen des Vernehmenden, soweit andernfalls die Antworten un- oder missverständlich wären. Im Übrigen soll der Inhalt der Aussage zusammengefasst, jedoch erzählungsweise im Protokoll festgehalten werden.

Abs. 4 regelt das Verfahren zur Bestätigung des Inhalts des Protokolls bzw. seiner Ergänzung oder Berichtigung. Nach Abs. 5 ist das Protokoll in der Urschrift zum Akt zu nehmen; Ausfertigungen oder Kopien sollen den an der Beweisaufnahme Beteiligten – im Umfang ihrer Berechtigung zur Akteneinsicht – jedoch soweit möglich sogleich ausgefolgt werden, es sei denn, sie würden darauf ausdrücklich verzichten. Die unmittelbare Ausfolgung der Kopie eines Protokolls soll somit auch dann unterbleiben können, wenn zu befürchten ist, dass durch seine Weitergabe das Verfahrensziel gefährdet wird.

Gemäß Abs. 5 steht der vernommenen Person auf ihr Verlangen grundsätzlich zu, eine Kopie des mit ihr aufgenommenen Protokolls zu erhalten. Dies ist vor allem in jenen Fällen von Bedeutung, in denen Anzeige über eine Straftat erstattet wird und der entstandene Schaden durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Strafverfolgungsbehörden werden daher im Rahmen ihrer Pflicht, die Interessen der Geschädigten zu fördern, entsprechend aufklärend zu wirken haben. Von der Ausfolgung der Kopie kann jedoch abgesehen werden, soweit dadurch ein nachteiliger Einfluss auf das Verfahren oder auf Interessen Dritter befürchtet werden muss. Auch das (eingeschränkte) Verbot der Veröffentlichung soll zur Anwendung kommen; darauf ist der Empfänger besonders hinzuweisen. Kurzschriften und Tonaufnahmen sollen nach rechtskräftigem Abschluss bzw. sonstiger Beendigung des Verfahrens gelöscht werden können.

Zu § 97 („Ton- und Bildaufnahme“):

Diese Bestimmung soll dem weitgehenden Ersatz der schriftlichen Protokollierung dienen, wenn die vernommene Person über die Ton- oder Bildaufnahme der gesamten Vernehmung informiert wird oder sich die Zulässigkeit der Aufnahme aus anderen Bestimmungen ergibt (Tatrekonstruktion und schonende Einvernahme). Wesentlich ist, dass tatsächlich der Verlauf der gesamten Vernehmung aufgenommen wird. Es soll nicht zulässig sein, nur Ausschnitte oder beispielsweise bloß jenen Teil der Vernehmung aufzunehmen, in dem ein anfänglich leugnender Beschuldigter ein Geständnis ablegt. Wird die Aussage aufgenommen, ist die Abfassung eines Protokolls entbehrlich. In diesem Fall genügt es, wenn der Leiter der Amtshandlung eine schriftliche Zusammenfassung über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung erstellt, weil die Ton- oder Bildaufnahmen ohnehin eine genaue Wiedergabe der Vernehmungssituation und des Inhalts der Vernehmung ermöglichen. Im Übrigen ist die Regelung von der des § 96 Abs. 3 zu unterscheiden, die hier keine Anwendung findet und sich lediglich auf die Aufnahme eines Diktats bezieht, wobei das Protokoll erst durch dessen Übertragung erstellt wird.

Da der Beschuldigte zur Aussage nicht verpflichtet ist, der Zeuge hingegen sehr wohl, soll dieser der Aufnahme seiner Vernehmung widersprechen können, in welchem Fall die (weitere) Aufnahme unzulässig wäre. Das Widerspruchsrecht soll dem Zeugen nur dann verwehrt sein, wenn die Ton- oder Bildaufnahme auf Grund besonderer Bestimmungen (§§ 150, 165, 247a, 250 Abs. 3) im Einzelnen vorgesehen und für die Aufnahme eines wichtigen Beweises unerlässlich ist. Dem Beschuldigten hingegen ist es unbenommen, von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen, wenn er die näheren Umstände der Vernehmung nicht akzeptieren will.

2.7. Zum 7. Hauptstück („Aufgaben und Befugnisse der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts“):

2.7.1. Zum 1. Abschnitt („Allgemeines“):

Zu § 98 („Allgemeines“):

In dieser Bestimmung wird die zentrale Frage der neuen Struktur des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens behandelt, nämlich die Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei. In ihr soll das „einstufige Kooperationsmodell“ [254]) – ein einheitliches Ermittlungsverfahren unter Leitung der Staatsanwaltschaft – seinen gesetzlichen Ausdruck finden. [255]) Gleichzeitig soll jedoch die (bislang bloß faktisch) eigenständige Aufgabe der Kriminalpolizei auch rechtlich anerkannt werden. Durch den Text des Abs. 1 („Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben das Ermittlungsverfahren nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes soweit wie möglich im Einvernehmen zu führen“) soll einer Anregung von MOOS [256]) gefolgt und der Grundsatz der Zusammenarbeit hervorgehoben werden. Die Staatsanwaltschaft soll grundsätzlich immer, insbesondere aber zur Zweckmäßigkeit der in Aussicht genommenen Ermittlungen aus kriminalistischer Sicht, das Einvernehmen mit der Kriminalpolizei herstellen.

Dieser Grundsatz soll allerdings nicht etwa eine besondere Form behördlichen Zusammenwirkens als Bedingung für die Erlassung hoheitlicher Entscheidungen anordnen, sondern lediglich dem Umstand Rechnung tragen, dass jeder hoheitliche Akt (zur Aufklärung einer strafbaren Handlung) einer bestimmten Behörde zurechenbar sein muss. [257]) Die praktische Bedeutung dieser Frage der Zuordnung wird im Verfahren allerdings dadurch reduziert, dass ein einheitliches justizielles Rechtsschutzsystem eingerichtet werden soll (vgl. dazu § 106).

Ein einheitliches Ermittlungsverfahren muss jedoch die Frage nach der Verfahrensleitung eindeutig und klar beantworten; die Regierungsvorlage übernimmt daher das bereits im DE [258]) und im Entwurf zum Ausdruck gebrachte Bekenntnis zu einer Weiterentwicklung der Kompetenzverteilung im Bereich derzeitiger sicherheitsbehördlicher Vorerhebungen. Die Staatsanwaltschaft soll im Ermittlungsverfahren nicht bloß Antragstellerin und damit (Organ-)Partei eines kriminalpolizeilichen oder sicherheitsbehördlichen Verfahrens, sondern für den Umfang und den Inhalt der von ihr veranlassten Erhebungen verantwortlich sein. Dadurch gewinnt der Begriff des Anklageprinzips eine auch inhaltsbezogene Verantwortung des Anklägers für die Materialsammlung. [259])

Das in den Erläuterungen zum Anklagegrundsatz (§ 4) dargestellte materielle Verständnis des Anklagegrundsatzes nach Art. 90 Abs. 2 B-VG begünstigt diese Neuorientierung, weil aus diesem Prinzip auch nach geltendem Recht abzuleiten ist, dass die Staatsanwaltschaft grundsätzlich dazu berechtigt ist, alle Erhebungen pflegen zu lassen, die ihrer Entscheidung dienen, ob sie „wider eine bestimmte Person das Strafverfahren … veranlassen“ (§ 90 Abs. 1 StPO) oder die Anzeige zurücklegen soll. [260]) Der Staatsanwaltschaft muss es daher möglich sein, Art und Umfang der für diese Entscheidung erforderlichen Informationen zu bestimmen. Dafür sprechen aber auch reine Praktikabilitätserwägungen: Wenn nämlich die Staatsanwaltschaft über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens durch Einstellen, Einleiten diversioneller Maßnahmen oder Einbringen der Anklage entscheiden kann und die Anklage vor Gericht zu vertreten hat, dann ist es folgerichtig – und ökonomisch -, ihr die Möglichkeit zu eröffnen, vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an die Weichen so zu stellen, dass wirklich jene (und möglichst nur jene) Umstände ermittelt werden, die sie für ihre Entscheidung zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens bzw. für ihre Tätigkeit in der Hauptverhandlung braucht. Sie muss sinnvollerweise von Anfang an verbindlich darauf hinwirken können, dass die nach ihrem justiziellen Erfahrungswissen relevanten (be- und entlastenden) Beweismittel aufgenommen werden, andererseits eine aus ihrer Sicht irrelevante und daher letztlich überflüssige Beweisaufnahme vermieden wird. [261])

Die Stoffsammlung im Ermittlungsverfahren hat auch bestimmenden Einfluss auf das Geschehen in der Hauptverhandlung und damit auf das Urteil. Sie bewirkt daher eine starke Interdependenz von Ermittlungs- und Hauptverfahren, [262]) weshalb eine Reduzierung der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft auf eine „Transportfunktion“ kriminalpolizeilicher Ermittlungsergebnisse zum Gericht wenig zweckmäßig wäre. Die Qualität der Hauptverhandlung ist eben untrennbar mit der Qualität des Ermittlungsverfahrens verbunden; in diesem begangene Fehler können in der Hauptverhandlung vielfach nicht mehr korrigiert werden. [263]) Die rechtliche Anerkennung der Eigenverantwortung kriminalpolizeilicher Ermittlungstätigkeit soll daher von verstärkten Möglichkeiten staatsanwaltschaftlichen Einflusses begleitet werden. Mag die Arbeit der Polizei im Ermittlungsverfahren den weiteren Verlauf des Prozesses auch weitgehend bestimmen und auf diese Weise das Verhalten der Staatsanwaltschaft beeinflussen, so entscheidet die Staatsanwaltschaft über den Fortgang des Verfahrens dennoch nach eigenen Kriterien. Die Einheitlichkeit des Vorverfahrens erfordert daher eine Staatsanwaltschaft [264]) mit Leitungsbefugnis als Bindeglied zwischen den kriminalpolizeilichen Ermittlungen und dem gerichtlichen (Haupt-)Verfahren.

Abs. 2 hält fest, dass das Gericht – im Sinne der Struktur der Gesetzesvorlage – nicht von Amts wegen, sondern nur auf Grund eines Antrags (worunter auch der „Widerspruch“ nach § 112 fällt) oder einer Beschwerde tätig wird.

2.7.2. Zum 2. Abschnitt („Kriminalpolizei im Ermittlungsverfahren“):

Zu § 99 („Ermittlungen“):

In Abs. 1 wird – anknüpfend an die im § 2 verankerte Offizialmaxime und die im § 18 umschriebene sachliche Zuständigkeit – die Ermittlungsaufgabe der Kriminalpolizei definiert. Die Kriminalpolizei soll von Amts wegen, aus Anlass einer Anzeige oder aber auch in Befolgung einer Anordnung der Staatsanwaltschaft strafbare Handlungen aufklären, mithin Ermittlungen im Sinne des § 91 Abs. 2 durchführen (womit jede Tätigkeit bezeichnet werden kann, die auf die Gewinnung oder Dokumentation einer Information oder eines Beweismittels abzielt). Ihre sachliche Zuständigkeit im Ermittlungsverfahren soll also nicht nur darin bestehen, in einer formfreien „Aufklärungsphase“ festzustellen, ob entsprechende Anhaltspunkte für den Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen eine bestimmte Person vorliegen. Sobald sich im Zuge einer Sachverhaltsaufnahme hinreichende Verdachtsgründe wegen einer strafbaren Handlung gegen eine bestimmte Person oder gegen (zunächst) unbekannte Täter ergeben („Anfangsverdacht“), soll die Kriminalpolizei – in Ausübung der Strafrechtspflege – von sich aus ein Ermittlungsverfahren einzuleiten haben.

Diesen Ermittlungsauftrag hat die Kriminalpolizei – entsprechend den sich aus der Offizialmaxime (§ 2) ergebenden Grundsätzen – von Amts wegen und solange in eigener rechtlicher Verantwortung wahrzunehmen, als keine (andere) Anordnung der Staatsanwaltschaft vorliegt. Anordnungen der Staatsanwaltschaft hat sie in jedem Fall zu befolgen.

Abs. 2 enthält eine allgemeine Regel für die Fälle, in denen für eine Ermittlungsmaßnahme eine Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist, diese jedoch wegen Gefahr im Verzug, also wegen einer unabweislichen Notwendigkeit sofortigen Einschreitens, nicht eingeholt werden kann. Die Kriminalpolizei soll in diesen Fällen von sich aus – somit ohne Anordnung – tätig werden (können), jedoch im Wege eines Anlassberichts nach § 100 Abs. 2 Z 2 unverzüglich um nachträgliche Genehmigung durch die Staatsanwaltschaft, welche die fehlende Anordnung substituieren würde, anzufragen haben. Wird das Vorgehen der Kriminalpolizei jedoch nicht nachträglich genehmigt, so soll die Kriminalpolizei verpflichtet sein, die fraglichen Ermittlungen sofort einzustellen und allenfalls entstandene Folgen – soweit möglich – nach dem Prinzip der „restitutio in integrum“ zu beseitigen.

Abs. 3 bezieht sich auf den Fall, dass kriminalpolizeiliches Handeln nicht nur einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung, sondern auch einer gerichtlichen Bewilligung bedarf. Hiefür soll insofern das gegenteilige Prinzip gelten, als die Kriminalpolizei bei Gefahr in Verzug nur dann berechtigt sein soll, von sich aus tätig zu werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (wie zB in § 120 Abs. 1, in welchem Fall – wie bei anderen Konstellationen – die Bewilligung gemäß § 122 Abs. 1 im Nachhinein einzuholen wäre).

Die nachträgliche Genehmigung oder Bewilligung (Abs. 2 und 3) hat sich auf das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen zu beziehen, mit anderen Worten darauf, ob sie auch erteilt worden wäre, wenn im Vorhinein angefragt worden wäre. Stellt sich im Rahmen dieser Prüfung heraus, dass Gefahr im Verzug nicht vorgelegen ist, soll die Genehmigung oder Bewilligung nicht allein deshalb versagt werden. Anderenfalls müssten Maßnahmen, für deren Anwendung sämtliche (materiellen) Voraussetzungen vorliegen, die aber von der Kriminalpolizei unter der irrigen Annahme durchgeführt wurden, es läge Gefahr im Verzug vor, rückgängig gemacht werden; die Verwertung solcher Beweise wäre nicht zulässig. Ein derartiges Ergebniss wäre unbillig und soll vermieden werden. Freilich hätte eine zu Unrecht angenommene „Eilkompetenz“ zu aufsichtsbehördlichen, möglicherweise auch zu dienstrechtlichen Konsequenzen zu führen. Daher wäre in der Begründung der Bewilligung oder Genehmigung in jedem Fall festzuhalten, wenn „Gefahr im Verzug“ zu Unrecht arrogiert wurde.

Abs. 4 berücksichtigt, dass einer unmittelbaren Erfüllung der Ermittlungsaufgabe der Kriminalpolizei nach Abs. 1 bestimmte Gründe entgegenstehen können, die einen Aufschub der Ermittlungen rechtfertigen. In der jüngeren Kriminaltaktik haben sich nämlich – insbesondere zur Bekämpfung so genannter opferloser Delikte [265])Reaktionsformen herausgebildet, die das Ziel der unmittelbaren Verhinderung und Aufklärung strafbaren Verhaltens zu Gunsten eines höherwertigen Ermittlungserfolgs, insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität, (zunächst) zurückstellen; die so genannte „kontrollierte Lieferung“ von Suchtmitteln („controlled delivery“) ist das in der Praxis häufigste Beispiel. Für den sicherheitspolizeilichen Bereich besteht in § 23 SPG bereits eine Rechtsgrundlage dafür, die Beendigung eines gegenwärtigen gefährlichen Angriffs unter bestimmten Umständen aufzuschieben oder zu unterlassen. [266])

Die Spannung zwischen dem traditionell engen Verständnis der Offizialmaxime im Sinne einer unbedingten Verfolgungspflicht und internationalen Übereinkommen, die Österreich verpflichten, kontrollierte Lieferungen über sein Hoheitsgebiet zuzulassen, erfordern eine strafprozessuale Regelung, die es auch im Rahmen kriminalpolizeilicher Aufgabenerfüllung erlaubt, bestimmte Ermittlungen aufzuschieben. [267])

Ein Aufschub nach Abs. 4 soll einerseits zu den Zwecken der „Aufklärung einer wesentlich schwerer wiegenden strafbaren Handlung“ und der „Ausforschung von an der strafbaren Handlung führend Beteiligten“ zulässig sein, soweit mit dem Aufschub keine Gefährdung höherwertiger Interessen und Rechtsgüter verbunden ist. Wesentlich soll somit sein, dass das Aufklärungsinteresse an der vorrangig erforschten strafbaren Handlung eindeutig und offenkundig überwiegt. Liegt diese Voraussetzung vor, so soll ein Aufschub der Ermittlungen auch zulässig sein, wenn durch das Unterbleiben einzelner Ermittlungen gegen den unmittelbaren Täter ermöglicht wird, führend beteiligte „Hintermänner“ auszuforschen (Abs. 4 Z 1). Die Beurteilung, ob eine strafbare Handlung „wesentlich schwerer wiegt“ als die vorrangig aufzuklärende, hätte sich an einem Vergleich der Strafdrohungen und der Wertigkeiten der geschützten Rechtsgütern zu orientieren. In Fällen organisierter Kriminalität könnte grundsätzlich von einem hohen Aufklärungsinteresse ausgegangen werden.

Im Zuge der Aufklärung strafbarer Handlungen und der Verfolgung mutmaßlicher Täter können – insbesondere im Umfeld organisierter Kriminalität – nicht abschätzbare Gefahren für das Leben von Personen entstehen, deren Wissen von entscheidender Bedeutung für die Ermittlungen ist. Sofern sichernde (Zeugenschutz-)Maßnahmen nicht ausreichen, um den Schutz dieser Personen und ihrer Freiheit sicherzustellen, haben Interessen der Strafverfolgung im Interesse des Zeugen- bzw. Opferschutzes zurückzutreten. Würde daher die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit einer bestimmten Person durch Ermittlungshandlungen einer ernsten Gefährdung ausgesetzt, so muss es möglich sein, die an sich erforderliche Ermittlungstätigkeit, etwa die Vernehmung einer bestimmten Person als Beschuldigter oder die Durchführung einer Persons- oder Hausdurchsuchung, aufzuschieben bzw. zu unterlassen (Abs. 4 Z 2). [268])

Die Kriminalpolizei wird in der Regel über die verlässlicheren Informationen zur Beurteilung der konkreten Ermittlungs- und Gefährdungssituation verfügen, sodass sie von sich aus befugt sein soll, einen Aufschub der Ermittlungen anzuordnen. Sie soll jedoch sobald wie möglich der Staatsanwaltschaft darüber zu berichten haben, weil mit dem Aufschub der Ermittlungen ein zumindest temporärer Verzicht auf die Strafverfolgung verbunden sein kann (Abs. 5).

Zu § 100 („Berichte“):

Nach dem Konzept des DE würden ein „Kooperationsmodell“ und die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren theoretisch und ineffektiv bleiben, wenn sie nicht mit einem institutionellen Informationssystem gekoppelt wären. [269]) Obwohl diese Vorstellungen zum Teil heftige Kritik hervorgerufen haben, [270]) hält die Regierungsvorlage an den im Entwurf dargelegten Grundzügen des Berichtssystems fest. Auch soweit die Eingriffsbefugnis der Staatsanwaltschaft teleologisch [271]) an ihrer spezifischen Aufgabe, dh. eben an der für ihre spätere Tätigkeit notwendigen Weichenstellung orientiert und auf diese begrenzt wird, muss sichergestellt werden, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich und rechtzeitig Gelegenheit erhält, die Ermittlungen zu beeinflussen. [272]) Die eigenständigen Ermittlungsbefugnisse der Kriminalpolizei sollen also durch staatsanwaltschaftliche Einflussmöglichkeiten ergänzt werden. [273]) Mit der rechtlichen und faktischen Verselbstständigung der Kriminalpolizei soll eine frühere und bessere Information der Staatsanwaltschaft einhergehen, weil die Staatsanwaltschaft nur im Fall vollständiger Kenntnis des Ermittlungsstandes ihrer zur Objektivität und Transparenz verpflichteten Leitungsbefugnis gerecht werden kann. Zusammenarbeit setzt auch Interaktion der beteiligten Behördenkomplexe voraus, wobei nicht übersehen werden darf, dass ein Bericht der Kriminalpolizei nicht einfach „zu den Akten genommen“ werden darf, sondern grundsätzlich – sofern die Staatsanwaltschaft nicht mit dem angekündigten weiteren Vorgehen der Kriminalpolizei in vollem Umfang einverstanden wäre – eine Reaktionspflicht (Aktualisierung der Leitungsbefugnis) auslöst (§ 101 Abs. 3). [274])

Abs. 1 enthält zunächst den – an und für sich selbstverständlichen – Hinweis, dass die Kriminalpolizei ihre Ermittlungen aktenmäßig festzuhalten, sohin eine verlässliche Dokumentation zu führen hat. Dies ist unverzichtbare Voraussetzung einerseits für einheitliche Aktenbildung und Akteneinsicht, andererseits für die Information der Staatsanwaltschaft. Einen Eingriff in subjektive Rechte Betroffener und die Ausübung von Zwang soll die Kriminalpolizei begründen müssen, um eine nachprüfende Kontrolle im Wege des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 zu ermöglichen.

Abs. 2 zählt sodann die Fälle im Einzelnen auf, in denen die Kriminalpolizei zur Berichterstattung verpflichtet sein soll. Diese Informationspflicht der Sicherheitsbehörden soll grundsätzlich auf Konstellationen beschränkt werden, [275]) in welchen der Zusammenhang zwischen dem Verfahrensverlauf und der Beurteilung der Recht- und Zweckmäßigkeit besonders wichtig erscheint. Grundsätzlich soll aber – auch im Sinne des Beschleunigungsgebots – gewährleistet werden, dass die Staatsanwaltschaft längstens nach Ablauf von drei Monaten von jedem gegen eine bestimmte Person geführten Ermittlungsverfahren Kenntnis erhält (vgl. den „Zwischenbericht“ nach Abs. 2 Z 3). [276]) Gegenüber dem Begutachtungsentwurf wurde diese Frist im Bestreben, ausreichende Information und Kommunikation zwischen den Behörden im Sinne straffer Verfahrensführung, aber keinen unnötigen Bürokratismus einzuführen, auf Grund von Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren von zwei auf drei Monate verlängert. [277]) Die Staatsanwaltschaft muss darüber hinaus in wichtigen oder sonst aus dem Rahmen des Üblichen fallenden Fällen frühzeitig in die Lage versetzt werden, den Gang der Ermittlungen im Hinblick auf das Verfahrensziel zu beeinflussen. Aus diesen Gründen soll Bericht erstattet werden, sobald bestimmte Voraussetzungen vorliegen oder die Staatsanwaltschaft von sich aus einen Bericht verlangt ( Abs. 2 Z 1 und 2).

In diesem Sinne normiert Abs. 2 Z 1 Berichtspflicht, wenn und sobald die Kriminalpolizei Kenntnis vom Verdacht eines schwer wiegenden Verbrechens oder einer strafbaren Handlung von besonderem öffentlichen Interesse Kenntnis erlangt. Besonderes öffentliches Interesse an einer strafbaren Handlung wird anzunehmen sein, wenn der Verdächtige oder der Geschädigte Personen des öffentlichen Lebens (zB Politiker, Künstler usw.) sind oder die strafbare Handlung im Zusammenhang mit Sachen, an denen besonderes öffentliches Interesse besteht (zB Kunstwerke oder Kulturdenkmäler) verübt wurde. Hat sich das besondere öffentliche Interesse bereits durch entsprechende Berichterstattung in den Medien manifestiert, wird die Berichtspflicht jedenfalls aktualisiert. Vom Verdacht eines schwer wiegenden Verbrechens wird einerseits auszugehen sein, wenn die strafbare Handlung mit einer mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe bedroht ist, aber auch dann, wenn sie sonst zu schwerem Schaden oder anderen Nachteilen geführt hat.

Schließlich soll immer dann Bericht zu erstatten sein, wenn aus Sicht der Kriminalpolizei Sachverhalt und Tatverdacht so weit geklärt sind, dass die Staatsanwaltschaft über die Beendigung oder Abbrechung des Ermittlungsverfahrens entscheiden kann (Abs. 2 Z 4).

Abs. 3 legt den Inhalt der Berichte fest. Grundsätzlich ist darin auch das geplante weitere Vorgehen in den Bericht aufzunehmen, allerdings räumt Z 3 – auch im Interesse vorläufiger Geheimhaltung – die Möglichkeit der Erörterung im Rahmen einer Dienstbesprechung ein.

Bei der Berichterstattung soll überflüssiger Bürokratismus soweit wie möglich vermieden werden. Die Möglichkeiten moderner Kommunikationsformen, insbesondere des elektronischen Rechtsverkehrs, sollten daher ausgebaut und genutzt werden. Persönlichen oder telefonischen Kontakten steht die Bestimmung keineswegs entgegen; diese entbinden aber nicht von der unerlässlichen schriftlichen Kommunikation im Sinn der Berichtspflichten. Sobald dies technisch möglich sein wird, sollen die Berichte in einem elektronischen Aktenverbund vorzulegen sein; daneben – und zunächst – soll es jedoch zulässig sein, den Bericht schriftlich unter Anschluss der zur Beurteilung erforderlichen Aktenbestandteile – soweit sie nicht bereits mit einem früheren Bericht übermittelt wurden – der Staatsanwaltschaft zu übersenden (Abs. 4).

Die im Abs. 2 normierten Fristen sind jeweils ab dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Berichterstattung zu berechnen. Die Berichte können auch ohne weiteres aufeinander aufbauen und Bezug nehmen („Modulsystem“), die in Abs. 3 normierten Inhalte müssen nur soweit wiederholt werden, als dies für das Verständnis des jeweiligen Berichts erforderlich ist. Im Fall gehäufter Berichtspflichten (zB auf Grund vielfacher Einsprüche; vgl. Abs. 2 Z 2) soll es auch zulässig sein, nicht unverzüglich und einzeln, sondern innerhalb angemessener Frist gesammelt zu berichten.

2.7.3. Zum 3. Abschnitt („Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren“):

Zu § 101 („Aufgaben“):

Nach § 4 Abs. 1 (Anklagegrundsatz) soll die Staatsanwaltschaft die für die Entscheidung über das Einbringen und die Vertretung der Anklage erforderlichen Anordnungen treffen und Anträge stellen. Damit knüpft diese Grundsatzbestimmung des Entwurfs an die – bereits den Bestimmungen der geltenden StPO zu entnehmende – verfahrensleitende Stellung der Staatsanwaltschaft an und will das materielle Verständnis des Anklagegrundsatzes verstärken. [278]) § 36 StPO bestimmt, dass „die Sicherheitsbehörden und ihre untergeordneten Organe“ den Anordnungen der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten haben. Das daraus abzuleitende funktionelle Weisungsverhältnis setzen die §§ 88 ff. StPO fort, welche die Staatsanwaltschaft als „Herrin“ der Vorerhebungen ausweisen. [279]) Diese Aufgabenverteilung soll in den Bestimmungen der §§ 101 ff zu einem Kooperationsmodell mit Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft weiter­entwickelt werden. [280]) Als maßgebendes Argument für die „leitende“ Kompetenz der Staatsanwaltschaft ist anzuführen, dass es sinnvoll und ökonomisch ist, wenn die Anklagebehörde – zur besseren Ausübung ihrer Funktion im Hauptverfahren – bereits im Ermittlungsverfahren die entscheidenden Weichen stellen kann; dazu kommt bei einer einheitlichen justiziellen Strafverfolgungsbehörde der Vorteil einer leichter überschaubaren Behördenstruktur. [281]) Das Zusammenwirken von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft soll sowohl effizient, also flexibel und rasch sein, als auch rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen.

Nach Abs. 1 soll die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren in erster Linie aus rechtlicher Sicht „leiten“ und insbesondere über dessen Fortgang und Beendigung entscheiden. [282]) Es soll somit Sache der Staatsanwaltschaft sein, für die Durchsetzung von Beweisanträgen des Beschuldigten und des Privatbeteiligten zu sorgen und Anträge an das Gericht für die Bewilligung von Zwangsmitteln zu stellen. Da die Staatsanwaltschaft am besten weiß, welches Tatsachensubstrat sie für die materiellrechtlichen Voraussetzungen ihrer Entscheidung über die Anklage benötigt, soll sie auch die – nach dem jeweiligen Verfahrensstand – erforderlichen Anordnungen treffen; der Berichtspflicht der Kriminalpolizei soll also in der Regel eine konkrete Reaktion der Staatsanwaltschaft folgen, die nicht bloß in der Erteilung eines allgemeinen Ermittlungsauftrages („Akt der Sicherheitsbehörde zur Durchführung von zweckdienlichen Erhebungen“) besteht. Richtig betrachtet soll sich die Leitungsbefugnis daher in erster Linie auf eine Kontrolle aus gewisser Distanz zur unmittelbaren Ermittlungsarbeit beziehen. [283]) Es soll somit der Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben, die Kriminalpolizei von sich aus wirken zu lassen oder ihre Ermittlungstätigkeit durch konkrete Ersuchen in eine bestimmte Richtung zu lenken oder schließlich das Tätigwerden des Gerichts zu beantragen. Der zweite Satz des Abs. 1 soll im Zusammenhang mit der Regelung des Abs. 3 dieses Verständnis deutlich machen: Primäre Eigenverantwortlichkeit der Kriminalpolizei bei jederzeitigem Kontroll- und Eingriffsrecht der Staatsanwaltschaft gemäß ihrer alleinigen Kompetenz, über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden. Aus dieser Bestimmung soll somit die zentrale Kompetenz der Staatsanwaltschaft hervorleuchten, nämlich die Leitung der Stoffsammlung an Hand rechtlicher Kriterien. [284])

Abs. 2 erster und zweiter Satz tragen der Staatsanwaltschaft auf, ihre Anträge an das Gericht zu begründen und dem Gericht den Ermittlungsakt zu übersenden. Der Staatsanwaltschaft soll es somit obliegen, dem Gericht die Tatsachengrundlagen für eine rechts- und sachrichtige Entscheidung zu vermitteln, und zwar auch in jenen Fällen, in denen sie selbst nicht als Antragstellerin auftritt, zB wenn sie einen Einspruch an das Gericht weiterleitet.

Abs. 2 erster und zweiter Satz behandeln lediglich das Verhältnis von Gericht und Staatsanwaltschaft zueinander; das Recht des Beschuldigten und des Privatbeteiligten, die Aufnahme bestimmter Beweise zu beantragen (§§ 55 f und 66 Abs. 2 Z 4), wird dadurch nicht berührt. In jenen Fällen, in denen das Gericht antragsgemäß eine Beweisaufnahme durchführt, ist kein Beschluss erforderlich.

Des Weiteren regelt Abs. 2 das einzuhaltende Verfahren nach gerichtlicher Bewilligung einer Zwangsmaßnahme. Grundsätzlich soll es der Staatsanwaltschaft obliegen, die tatsächliche Erforderlichkeit und den geeigneten Zeitpunkt der Durchführung der Zwangsmaßnahme zu bestimmen. Anders als nach geltendem Recht soll die Entscheidung des Gerichts daher nicht in einem „Befehl“ mit unbedingtem Befolgungsanspruch bestehen, sondern in einer „Ermächtigung“ der Staatsanwaltschaft, eine bestimmte Anordnung zu erlassen. Die richterliche Bewilligung schafft daher die Grundlage der konkreten Maßnahme und soll Rahmen, Grenzen und Ziel des Eingriffs definieren. Diese „vorbeugende“ richterliche Kontrolle kann jedoch nur dann wirksamen Grundrechtsschutz bieten, wenn das Gericht die Maßnahme in ihren konkreten, gegenwärtigen Auswirkungen beurteilt. [285]) Wenn mit der Durchführung nicht begonnen wird, solange diese Voraussetzungen unverändert weiter bestehen, kann die richterliche Bewilligung den Eingriff daher nicht mehr rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft hätte in diesem Fall von der Durchführung des Zwangsmittels abzusehen oder neuerlich die Bewilligung der Maßnahme zu beantragen. Sie ist daher nicht berechtigt, ihre Anordnung beliebig lang aufzuschieben. Ihre Befugnis, von der einmal erteilten Bewilligung nach ihrem Ermessen auch zu einem späteren Zeitpunkt Gebrauch zu machen, ist somit durch objektive Merkmale, wie Art des Tatverdachts und Schwierigkeitsgrad der Ermittlungen, aber auch nach der Dauerhaftigkeit der tatsächlichen Grundlagen für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Maßnahme begrenzt. [286])

Abs. 3 schließt an die Entscheidungsfunktion nach Abs. 1 an und trägt der Staatsanwaltschaft zum Zweck der Entscheidung über das weitere Vorgehen konkretes Studium der kriminalpolizeilichen Berichte auf. Die Staatsanwaltschaft – als jene Behörde, die vom Beginn bis zum Ende des Strafverfahrens beteiligt ist und im Zusammenhang mit dem umfangreichen Rechtswissen ihrer Vertreter, deren forensischer Erfahrung und richterähnlichem Selbstverständnis besonders prädestiniert scheint, von den ersten Ermittlungen an die Verantwortung für das Strafverfahren zu tragen – soll somit in die Verantwortung über die Stoffsammlung eingebunden werden. Dadurch wird die derzeitige institutionelle Trennung von Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung aufgegeben. [287])

Der Staatsanwaltschaft soll auch im Stadium kriminalpolizeilicher Ermittlungen die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Gang der Ermittlungen und insbesondere auf die Gewinnung von Beweisquellen zustehen. Sie soll Gelegenheit haben, bereits die Sammlung des Informationsmaterials an den wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen (etwa der Beweisaufnahme) zu orientieren, weil sie über den Fortgang des Verfahrens nur dann sinnvoll entscheiden kann, wenn sie über die notwendigen Tatsachengrundlagen verfügt. Durch Abs. 3 wird der Staatsanwaltschaft daher ein fachliches Weisungsrecht eingeräumt, das funktionell (aber nicht organisatorisch oder gar dienstrechtlich) bindend ist. [288]) Auch in diesem Bereich kann freilich an die geltende Rechtslage angeknüpft werden, wonach die Sicherheitsbehörden und ihre Organe verpflichtet sind, den Anordnungen der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten (§§ 36, 88 Abs. 1 StPO). [289]) Die Staatsanwaltschaft soll daher weiterhin berechtigt sein, der Kriminalpolizei konkrete Ermittlungsaufträge zu erteilen, soweit sie dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen für geboten hält, um das Ermittlungsverfahren abschließen zu können. Die Kriminalpolizei soll diese Aufträge der Staatsanwaltschaft aber grundsätzlich auch überschreiten können, [290]) soweit sie dadurch nicht in Widerspruch zur Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft gerät.

Die Vorlage strebt somit ein System beweglichen Zusammenwirkens an, welches sowohl die faktische Notwendigkeit der Besorgung der Ermittlungstätigkeit durch die Kriminalpolizei als auch die Zweckmäßigkeit der Kontroll- und Koordinierungsfunktion der Staatsanwaltschaft berücksichtigt und die Zusammenarbeit beider Institutionen unter Beachtung des Beschleunigungsgebots möglichst zweckmäßig und fair gestaltet („Kooperationsmodell“). Dabei soll sich an der derzeitigen Praxis kriminalpolizeilicher Ermittlungen insofern kaum etwas ändern, als kriminalistische Initiative und kriminaltechnisches Know-how weiterhin gefordert sein werden; der bisherigen Tätigkeit der Kriminalpolizei soll in erster Linie ein rechtlicher Rahmen gegeben werden, der – nicht zuletzt im Interesse der agierenden Beamten selbst – modernen rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Ähnliches gilt mutatis mutandis auch für die Staatsanwaltschaften, allerdings mit dem Unterschied, dass die konkrete Ausübung einer Leitungsfunktion eine stärkere Einbindung in die Ermittlungstätigkeit und damit eine intensivere praktische Zusammenarbeit voraussetzt.

Zu § 102 („Anordnungen und Genehmigungen“):

Abs. 1 ordnet an, dass die Staatsanwaltschaft ihre Anordnungen und Genehmigungen grundsätzlich an die Kriminalpolizei gemäß deren Zuständigkeit zu richten hat. Ersuchen um Durchführung von Ermittlungen oder Ausübung von Zwang sind daher an die (sachlich und örtlich) zuständige Behörde zu richten.

Anordnungen und Genehmigungen sollen nur dann schriftlich auszufertigen und zu begründen sein [291]), wenn die Kriminalpolizei dies verlangt oder es von den Umständen her sonst geboten ist. Die im Entwurf vorgesehene generelle Begründungspflicht der Staatsanwaltschaft von Ersuchen um Beweisaufnahme wurde im Begutachtungsverfahren als überzogen kritisiert. Im Fall von Dringlichkeit soll die Anordnung der Kriminalpolizei auch mündlich übermittelt und schriftlich nachgereicht werden können (Abs. 1 dritter Satz). Der Schriftlichkeit soll – nach Maßgabe des technisch Möglichen – die Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr gleichgestellt werden.

Anordnungen der Staatsanwaltschaft sollen nach dem Entwurf funktionell als Weisungen an die Kriminalpolizei, gegenüber den durch sie betroffenen Personen allerdings als hoheitlicher (grundsätzlich verwaltungsbehördlicher) Akt verstanden werden, der in ihre Rechte eingreift. Dennoch soll eine solche Anordnung nicht als Bescheid im Sinne des AVG charakterisiert werden können. Da sich diese Weisungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen auf § 88 StPO und damit auf eine Regelung zurückführen lässt, die bei Erlassung des B-VG 1920 bereits bestanden hat, kann und soll die staatsanwaltschaftliche Anordnung ihre nähere Ausgestaltung weiterhin in der Strafprozessordnung als Rechtsform sui generis finden.

Im Abs. 2 wird der notwendige Inhalt von Ausfertigungen staatsanwaltschaftlicher Anordnungen und Genehmigungen geregelt. Durch diese Formvorschrift soll der rechtsförmige Charakter von Anordnungen und Genehmigungen hervorgehoben und ein Standard vorgesehen werden, der die Überprüfbarkeit im Wege des Einspruchs wegen Rechtsverletzung ermöglicht.

Zu § 103 („Ermittlungen“):

§ 103 bestimmt, dass es grundsätzlich der Kriminalpolizei obliegt, Anordnungen der Staatsanwaltschaft durchzuführen. Dabei soll sie Zeitpunkt, Art und Weise der Durchführung nach kriminaltaktischer Überlegungen grundsätzlich selbst festlegen können. Damit soll eine rasche und flexible Reaktion auf die Gegebenheiten – gegebenenfalls auch ohne Notwendigkeit sofortiger Rückfrage – ermöglicht werden. Die Einsatzleitung vor Ort und damit auch die Verantwortung für die Durchführung soll damit grundsätzlich der Kriminalpolizei zukommen; nur wenn sich aus rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht die Notwendigkeit staatsanwaltschaftlicher Leitung ergibt, soll die Staatsanwaltschaft nach am Einsatzort – vorübergehend – selbst leitend tätig werden und dem gemäß einzelne Aufträge an den Leiter der kriminalpolizeilichen Amtshandlung erteilen (zB im Fall von Ereignissen überregionaler Bedeutung, bei denen sich die Notwendigkeit einer unmittelbaren Koordination verschiedener Behörden, Dienststellen und Sachverständigen und deren Ermittlungskompetenzen ergibt und bei Beurteilung schwieriger Rechtsfragen im Zuge von Hausdurchsuchungen bei Rechtsanwälten oder größeren Wirtschaftsunternehmen).

Nach geltendem Recht (§ 97 Abs. 2 StPO) nimmt „der Staatsanwalt“ bei sonstiger Nichtigkeit des Aktes Untersuchungshandlungen nicht vor; er ist bloß berechtigt, von ihm veranlassten Vernehmungen durch die Sicherheitsbehörde im Rahmen der Vorerhebungen „beizuwohnen“ (§ 88 Abs. 3 StPO). Diese Beschränkung seiner Rolle widerspricht der neuen Struktur des Ermittlungsverfahrens und soll schon deshalb aufgehoben werden, weil die Übernahme einer Leitungsbefugnis bedingt, dass es möglich ist, sich an Ermittlungen der Kriminalpolizei zu beteiligen und auch selbst Ermittlungen durchzuführen. Es wäre inkonsequent und unzweckmäßig, die Staatsanwaltschaft zwar über das von anderen produzierte „Endprodukt“ entscheiden zu lassen, ihr jedoch eigenständige Ermittlungen zu verwehren. Auch aus Sicht der staatsanwaltschaftlichen Praxis wird bedauert, dass es nicht zulässig sei, sich auf Grund eigener ergänzender Vernehmungen selbst ein Bild von einem Beschuldigten oder von einem Zeugen zu machen. [292])

Der Staatsanwaltschaft soll daher auch das Recht zu eigenen Ermittlungen einschließlich der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten sowie der Bestellung von Sachverständigen eingeräumt werden. Dadurch soll bei komplexen Sachverhalten, insbesondere in so genannten Großverfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität, die Beurteilungskapazität der Staatsanwaltschaft gefördert und die Bildung spezieller – interdisziplinärer und interministerieller – Arbeitsgruppen erleichtert werden. [293])

Die Forderung nach Objektivität staatsanwaltschaftlichen Handelns ist dabei aufrechtzuerhalten. Sie steht diesen Überlegungen nicht entscheidend entgegen, denn die Staatsanwaltschaft ist weiterhin verpflichtet, sich wie ein Gericht ein möglichst objektives Bild von der Sachlage zu machen (vgl. die in der Grundsatzbestimmung des § 3 angesprochene Verpflichtung zur Objektivität). [294]) Würde die Staatsanwaltschaft durch die Vornahme eigener Ermittlungen ihre Objektivität hinsichtlich ihrer Entscheidung über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens grundsätzlich verlieren, müsste man auch meinen, dass der erkennende Richter dadurch, dass er in der Hauptverhandlung Beweise aufnimmt, nicht mehr zu einer objektiven Entscheidung fähig wäre. [295])

2.3.4. Zum 4. Abschnitt („Gericht im Ermittlungsverfahren“):

Nach dem DE [296]) erfordern die durch die Schaffung einer eigenständigen kriminalpolizeilichen Ermittlungsaufgabe bewirkte Ausgestaltung eines kriminalpolizeilichen Vorverfahrens mit definierten Verfahrensrechten und die Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft die Einrichtung eines eigenen Rechtsschutzsystems, in dessen Mittelpunkt – in konsequenter Weiterentwicklung der durch das Strafprozessänderungsgesetz 1993 eingeleiteten Tendenz – der Richter im Ermittlungsverfahren stehen soll. Da diesem Konzept gegenüber einem geteilten Rechtsschutz allgemein der Vorzug gegeben wird [297]), will die Regierungsvorlage – wie schon der Entwurf – an diesen wesentlichen Vorschlägen des DE festhalten. Dem Gericht im Ermittlungsverfahren soll daher die die Entscheidung über Bewilligung zwangsweiser Eingriffe in nach diesem Bundesgesetz gewährleistete subjektive Rechte und – als Rechtsschutz­instanz – über die Gewährung von Verfahrensrechten (zB Akteneinsicht und Beweisanträge), zukommen. Neben dieser Rechtsschutzfunktion soll dem Gericht im Ermittlungsverfahren auch die Aufnahme bestimmter Beweise obliegen, wobei insbesondere jene Fälle angesprochen sind, in denen die Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren die unmittelbare Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ersetzen soll; einen Hauptanwendungsfall wird in diesem Zusammenhang die Durchführung so genannter „schonender Vernehmungen“ nach § 165 bilden.

Das Gericht soll im Ermittlungsverfahren nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines am Verfahren Beteiligten oder auf Grund eines Einspruchs tätig werden. Dies ergibt sich als Konsequenz des materiellen Verständnisses des Anklagegrundsatzes, demzufolge gegen den Willen der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren nicht geführt werden darf (vgl. § 101 Abs. 1 letzter Satz), und ermöglicht es dem Richter, seine eigentliche Rolle, nämlich „zu richten“, also Recht zu sprechen, bereits im Ermittlungsverfahren völlig unbefangen zu erfüllen. Nur dadurch, dass der Richter von der Verpflichtung zur Stoffsammlung, vom „Untersuchen“, also von der unmittelbaren Verfolgung von Verdächtigen, entbunden wird, wird er in die Lage versetzt, seine neue Rolle glaubwürdig und effektiv auszufüllen. [298])

Zu § 104 („Beweisaufnahme“):

Eine Beweisaufnahme zu Zwecken der Beweissicherung (etwa eine Tatrekonstruktion) soll das Gericht grundsätzlich in einem kontradiktorischen Verfahren (unter Beteiligung der Parteien) durchführen, damit den Verteidigungsrechten (insbesondere dem Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen, vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK [299]) Genüge getan und die Ergebnisse in der Hauptverhandlung als Beweis und damit als Urteilsgrundlage verwendet werden können. Gelegenheit zur Teilnahme müsste allerdings nur insoweit gegeben werden, als dies faktisch möglich ist. Ist der Beschuldigte abwesend oder flüchtig (§ 197), so könnte eine Tatrekonstruktion oder eine kontradiktorische Vernehmung eines Zeugen dennoch durchgeführt werden. Gleiches gilt, wenn der geladene Beschuldigte von der Beweisaufnahme ausbleibt.

§ 104 führt jene Beweise an, deren Aufnahme auch im Ermittlungsverfahren dem Gericht obliegen soll. [300]) Es sind dies die Tatrekonstruktion und die kontradiktorische Einvernahme von Zeugen und Beschuldigten (§§ 150 und 165). Ferner wird das Gericht verpflichtet, die Beweisaufnahme (unverzüglich) durchzuführen, dh. den Termin zur Durchführung der Tatrekonstruktion oder Vernehmung anzuberaumen und die erforderlichen Ladungen zu veranlassen, oder den darauf gerichteten Antrag abzuweisen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Zu § 105 („Bewilligung von Zwangsmittel“):

§ 105 enthält den Grundsatz, dass das Gericht – weiterhin – nicht nur über die Zulässigkeit freiheitsentziehender Zwangsmaßnahmen, sondern auch über andere Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte subjektive Rechte zu entscheiden haben soll. So soll es auf Antrag der Staatsanwaltschaft über die Zulässigkeit der Beschlagnahme (§ 115 Abs. 2), über die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft (§ 174 ff), auf Grund eines Widerspruchs über die Zulässigkeit der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern (§ 112) sowie über die Bewilligung einer Anordnung der Staatsanwaltschaft von folgenden Zwangsmitteln entscheiden: Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte (§ 116 Abs. 2), Durchsuchung einer Person oder einer Wohnung (§ 120 Abs. 1), körperliche Untersuchung (§ 123 Abs. 3), molekulargenetische Analyse (§ 124 Abs. 2) und Überwachung von Nachrichten sowie optische und akustische Überwachung von Personen (§ 137 Abs. 1).

Zu den §§ 106 und 107 („Einspruch wegen Rechtsverletzung“):

Nach geltendem Recht ist der Rechtsschutz auf das gerichtliche Vorverfahren konzentriert. Nach § 113 StPO steht „allen“ die Möglichkeit der Beschwerde gegen „eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters“ zu; gegen Art und Inhalt staatsanwaltschaftlicher Ersuchen und polizeilicher Ermittlungen bietet die geltende StPO keine Handhabe.

Der Entwurf will diesen Mangel an Möglichkeiten zur Durchsetzung von Verfahrensrechten beheben und – insofern in Anlehnung an § 113 StPO – im Ermittlungsverfahren jeder in einem subjektiven Recht unmittelbar betroffenen Person den unbefristeten Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht gewähren. [301])

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist auf die Ausführungen im Allgemeinen Teil der Erläuterungen zu den erforderlichen Änderungen des B-VG (die einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren unterzogen werden sollen) zu verweisen.

Zu § 106:

Nach Abs. 1 Z 1 und 2 soll jede (tatsächliche oder rechtliche) Handlung der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft oder eines ihrer Organe, durch welche sich der Einspruchswerber unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet, Anlass für einen Einspruch wegen Rechtsverletzung bieten können. Als subjektive Rechte sind solche zu verstehen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach diesem Bundesgesetz konkret einzuhalten sind (Z 2), oder welche dem Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach diesem Bundesgesetz einräumen (Z 1; zB Akteneinsicht, Beweisantragsrecht oder Recht auf Beiziehung einer Person des Vertrauens). In subjektive Rechte kann daher nicht nur durch Anordnungen oder unmittelbare Ausübung von Zwang selbst, sondern auch durch die Art und Weise der Durchführung rechtswidrig eingegriffen werden, beispielsweise wenn der von einer Hausdurchsuchung betroffenen Person die Anwesenheit oder die Beiziehung von Personen ihres Vertrauens verweigert wird. Die Bestimmung des Abs. 1 Z 1 und 2 soll daher den individuellen Anspruch sichern, dass in subjektive Rechte eingreifende Ermittlungen nur in den Fällen und auf die Weise ausgeübt werden, die der Strafprozessordnung entsprechen. Hingegen soll beispielsweise eine Verletzung der in der Richtlinien-Verordnung (RLV) generell für die Aufgabenerfüllung im Rahmen des Exekutivdienstes vorgeschriebenen Bedingungen für das Einschreiten kriminalpolizeilicher Organe keinen Gegenstand eines zulässigen Einspruchs bilden, mag der Einspruchwerber auch von der Verletzung „betroffen“ sein. [302]) Gleichermaßen wäre ein ausschließlich auf Befugnisse nach dem SPG gestütztes Vorgehen der Kriminalpolizei nicht im Wege des Einspruchs bekämpfbar. Auch soweit „doppelfunktionale“ Ermittlungen betroffen sind, hätte das Gericht die Einhaltung der Bedingungen und Förmlichkeiten des SPG nicht zu prüfen; insoweit wäre nach wie vor die Kognitionsbefugnis des UVS nach § 88 SPG gegeben.

Bedeutung wird der Einspruch jedoch insbesondere im Fall der Verweigerung bestimmter Verfahrensrechte des Beschuldigten oder des Privatbeteiligten erlangen (Abs. 1 Z 1). Verweigerung der Akteneinsicht und Ablehnung einer Beweisaufnahme könnten beispielsweise mit Einspruch gerichtlicher Überprüfung zugeführt werden. Auch in diesen Fällen muss es sich jedoch um die Verletzung eines subjektiven Rechts handeln. Das Gericht soll sich somit auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit zu beschränken haben; ob es zweckmäßig wäre, eine bestimmte Ermittlungshandlung durchzuführen, soll es hingegen nicht beurteilen. [303])

Grundsätzlich soll auch ein Unterlassen einen tauglichen Einspruchsgegenstand nach Abs. 1 Z 1 bilden, wenn dadurch Verfahrensrechte nach diesem Bundesgesetz verweigert werden. Dagegen wird das bei einer Verzögerung nur ausnahmsweise und vor allem dann der Fall sein, wenn die Verzögerung des Verfahrens im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs und die Komplexität der Ermittlungen unverhältnismäßig wird. [304]) Im Übrigen wäre das Relevieren von „Verzögerungen“ im Einspruchsverfahren wegen der neuen Struktur des Ermittlungsverfahrens unpassend, weil der Richter keinen unmittelbaren Einfluss auf die Ermittlungen hat. Gegen eine Verzögerung soll dem Betroffenen in erster Linie die Dienstaufsichtsbeschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft zustehen.

Damit soll ein einheitliches Rechtsschutzsystem innerhalb der StPO [305]) geschaffen und der bislang bestehende Rechtszug zu den Unabhängigen Verwaltungssenaten für die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane bei Gefahr im Verzug (dh. ohne gerichtlichen Befehl) beseitigt werden. Die gerichtliche Kontrolle soll nicht mehr davon abhängen, ob eine gerichtlich bewilligte Anordnung vorliegt oder diese wegen Gefahr im Verzug nicht eingeholt werden kann. Es soll sichergestellt werden, dass über die Frage der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in ein subjektives Recht durch Ausübung einer Befugnis nach dieser Strafprozessordnung einheitlich durch Justizorgane entschieden wird. [306]) Für die Kontrolle dieser Grundrechtseingriffe sowie der Verweigerung von Verfahrensrechten soll unterstrichen werden, dass es sich beim gesamten Ermittlungsverfahren um ein justizielles Verfahren mit Ingerenz der Staatsanwaltschaft handelt, für das die Bestimmungen der StPO und nicht jene des SPG gelten und das schon deshalb der Kontrolle der ordentlichen Gerichte unterliegt. [307]) Anregungen, den Einspruch als „Beschwerde“ zu bezeichnen, folgt der Entwurf allerdings nicht, weil dieser Rechtsbehelf weiterhin auch in seiner Bezeichnung von jenem der Beschwerde gegen gerichtliche Beschlüsse abgegrenzt werden soll.

Um Doppelgleisigkeiten im Rechtszug und damit verbundene Verzögerungen auszuschließen, trennt Abs. 2 die Rechtszüge im Sinne einer Klarstellung: insoweit Beschwerde zusteht, kann nicht gleichzeitig Einspruch erhoben werden. Das bedeutet, dass sämtliche Einspruchsgründe in der Beschwerde vorzubringen sind und nicht (mehr) geltend gemacht werden können, wenn eine Beschwerde nicht eingebracht wird. Vermeint beispielsweise jemand, dass die Voraussetzungen für die Durchsuchung einer Wohnung nicht vorgelegen seien, so kann er dies nicht mit Einspruch gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft, sondern nur mit Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung geltend machen, wobei die Beschwerdefrist zu beachten ist.

Nach Abs. 3 soll der Einspruch bei der Staatsanwaltschaft einzubringen sein. Der einzuhaltende Geschäftsweg ergibt sich aus § 84 Abs. 2; danach kann der Einspruch mündlich, schriftlich (auch per Telefax) oder im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht werden. Im Einspruch soll darzulegen sein, durch welche Anordnung oder welchen Vorgang sich der Einspruchswerber beschwert fühlt (Begründung der Behauptung, in einem subjektiven Recht verletzt zu sein). Ferner soll ein bestimmtes Begehren formuliert werden, in dem auszuführen ist, auf welche Weise der Rechtsverletzung abgeholfen werden soll. Der Antrag könnte jedoch auch bloß das Begehren auf Feststellung enthalten, dass durch die zu Grunde liegende Handlung von Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft (den Vorgang oder die Unterlassung) das Gesetz verletzt oder unrichtig angewandt und dadurch ein subjektives Recht des Einspruchswerbers verletzt worden sei.

Richtet sich der Einspruch gegen eine kriminalpolizeiliche Amtshandlung, soll die Staatsanwaltschaft der zuständigen Behörde der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen (Abs. 3 letzter Satz).

Abs. 4 soll die Staatsanwaltschaft als die verfahrensleitende Behörde im Ermittlungsverfahren in die Lage versetzen, einem Einspruch derart „abzuhelfen“, dass es einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr bedarf. [308]) Ein substanziierter Einspruch soll daher von der Staatsanwaltschaft jedenfalls zum Anlass genommen werden, ihre potenzielle Leitungsbefugnis zu aktualisieren, indem sie die Rechtmäßigkeit des angefochten Aktes prüft und erforderlichenfalls steuernd tätig wird.

Die Staatsanwaltschaft soll daher dem Einspruchsbegehren entsprechen können, indem sie die Kriminalpolizei beispielsweise anweist, Akteneinsicht zu gewähren, bestimmten entlastenden Beweisen nachzugehen oder zu Unrecht verarbeitete Daten über eine unzulässige Identitätsfeststellung zu löschen. Aber auch in einem solchen Fall soll der betroffenen Person das Recht zustehen, ihren Einspruch weiter zu verfolgen, weil sie diesen nicht erledigt sieht. In diesem Fall und immer dann, wenn die Staatsanwaltschaft keinen Grund findet, dem Einspruchsbegehren zu entsprechen, soll die Staatsanwaltschaft den Einspruch mit einer allfälligen Stellungnahme, aus welchen Gründen er unberechtigt sei, an das Gericht weiterleiten. Eine solche Stellungnahme wäre wiederum vom Gericht dem Einspruchswerber zur Stellungnahme innerhalb einer festzusetzenden Frist, die sieben Tage nicht übersteigen darf, zu übersenden.

Zu § 107:

Nach Abs. 1 entscheidet über Einsprüche im Ermittlungsverfahren das Landesgericht. Einsprüche, die nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens (somit auch nach Einbringen der Anklage durch die Staatsanwaltschaft) erhoben werden, wären von der Staatsanwaltschaft nicht mehr meritorisch zu behandeln, sondern dem Gericht zu übermitteln und von diesem zurückzuweisen. Sind zum Zeitpunkt der Einbringung der Anklage noch „offene“ Einsprüche anhängig, so soll über diese das Gericht des Hauptverfahren entscheiden. Nur wenn das Verfahren ohne Anklage, also „endgültig“ beendet worden wäre, hätte das Gericht des Ermittlungsverfahrens trotz dessen Beendigung über den Einspruch zu entscheiden.

Einsprüche, die offensichtlich unbegründet sind, kein bestimmtes Begehren enthalten oder denen die Staatsanwaltschaft bereits entsprochen hat, hätte das Gericht „a limine“ zurückzuweisen. Ein Verbesserungsverfahren ist entbehrlich, weil es dem Betroffenen – mangels einer Einspruchsfrist und eines Neuerungsverbots – unbenommen bleibt, neuerlich einen Einspruch zu erheben, sofern das Ermittlungsverfahren noch nicht beendet ist.

Besteht kein Grund, den Einspruch als unzulässig zurückzuweisen, so soll das Gericht nach Abs. 1 in der Sache entscheiden, dh. dem Begehren stattgeben oder es abweisen. Es soll aussprechen, ob eine Verletzung eines subjektiven Rechts nach diesem Bundesgesetz stattgefunden hat und gegebenenfalls bestimmen, auf welche Weise diesem Umstand Rechnung zu tragen sei.

Das Gericht soll grundsätzlich eine Rechtmäßigkeitskontrolle ausüben (es hat daher nicht zu beurteilen, ob es zweckmäßig war, einen Antrag des Beschuldigten auf Aufnahme eines bestimmten Beweises abzuweisen, sondern nur, ob dies vor dem Hintergrund der Regelung des § 55 rechtmäßig war); es würde daher einen Systembruch bedeuten, dem Gericht die Befugnis einzuräumen, selbst ergänzende Ermittlungen durchführen zu lassen. [309]) Kann das Gericht auf Grund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse und des widerstreitenden Vorbringens nicht beurteilen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung stattgefunden hat, so soll es ihm möglich sein, von Amts wegen eine nicht öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen, zu der der Einspruchswerber, die Staatsanwaltschaft, allfällige Zeugen und Auskunftspersonen zu laden wären (Abs. 2). Richtet sich der Einspruch gegen eine Amtshandlung der Kriminalpolizei, wäre auch dieser Gelegenheit zur Teilnahme an der Verhandlung zu geben. Durch diese Möglichkeit, Beweis in einer mündlichen Verhandlung aufzunehmen und auf Grund des unmittelbaren Eindrucks von dieser Beweisaufnahme und des kontradiktorischen Vorbringens der Beteiligten über die Verletzung eines subjektiven Rechts absprechen zu können, soll den Einwänden begegnet werden, wonach das Verfahren vor den UVS (vgl. §§ 67a AVG ff) im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK höhere Rechtschutzgarantien aufweisen würde als das gerichtliche Beschwerdeverfahren, das traditionell ein reines „Aktenverfahren“ ist.

Sieht der Entwurf noch die Möglichkeit vor, das Gericht auch in jenen Fällen anzurufen, in denen die Staatsanwaltschaft zur Gänze Abhilfe geschaffen hat, so trägt die Regierungsvorlage der dagegen im Begutachtungsverfahren massiv vorgetragenen Kritik Rechnung und verzichtet auf eine entsprechende Bestimmung. Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft und des betroffenen Einspruchswerbers soll aufschiebende Wirkung zukommen.

Gemäß Abs. 4 sollen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft die für die Umsetzung erforderlichen Anordnungen zu erteilen bzw. Maßnahmen zu ergreifen haben.

Zu § 108 („Antrag auf Einstellung“):

Der DE wollte dem Beschuldigten die Möglichkeit gewähren, sich gegen unberechtigte Verfolgung an das Gericht zu wenden. Dieses sollte das Verfahren auf Antrag des Beschuldigten mit Beschluss einzustellen haben, wenn die angelastete Tat entweder keine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung darstellt oder die Verfolgung sonst aus rechtlichen Gründen, etwa wegen Vorliegens von Strafaufhebungs-, Strafausschließungs- oder Rechtfertigungsgründen, oder mangels hinreichenden Tatverdachts unzulässig ist. [310]) Die dagegen vorgebrachte Kritik, ein solcher Rechtsbehelf würde gegen das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft verstoßen [311]), ist indes – auch vor dem Hintergrund der (zum Versteinerungszeitpunkt maßgeblichen und noch) geltenden Rechtslage (Einspruch gegen die Anklageschrift – §§ 208 ff StPO und Subsidiarantrag – § 48 Z 1 StPO) – nicht überzeugend. Der Hinweis auf die fehlende eigenständige gerichtliche Kompetenz im Rahmen von Einstellungen der Vorerhebungen nach § 90 Abs. 1 StPO kann auch als Mangel der geltenden StPO empfunden werden, die es eben nicht zulässt, sich gegen unberechtigte Vorerhebungen zur Wehr zu setzen. Eine gegen punktuelle Rechtsverletzungen durch die Staatsanwaltschaft gerichtete Kontrolle des Gerichts im Ermittlungsverfahren, die nicht zugleich gegen eine ungerechtfertigte Verfolgung überhaupt zulässig ist, wäre vielmehr in sich widersprüchlich. [312]) Das Bedürfnis nach einer rechtskontrollierenden Tätigkeit des Gerichts auf Antrag des Beschuldigten hält die Regierungsvorlage – wie schon der Begutachtungsentwurf – daher nach wie vor für berechtigt, zumal der Beschuldigte durch ein gegen ihn – ohne hinreichenden rechtlichen Grund – geführtes Ermittlungsverfahren stärker betroffen sein kann als beispielsweise durch Verweigerung der Beiziehung von Vertrauenspersonen zu bestimmten Ermittlungshandlungen (man denke etwa an Suspendierung eines Beamten, verminderte Aussichten in Bewerbungssituationen, beeinträchtigtes Ansehen in der sozialen Umgebung und Öffentlichkeit).

Nach Abs. 1 soll das Gericht auf Antrag des Beschuldigten das Verfahren mit Beschluss einzustellen haben, wenn feststeht, dass die angelastete Tat entweder keine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung darstellt oder die Verfolgung sonst aus rechtlichen Gründen, etwa wegen Vorliegens von Strafaufhebungs-, Strafausschließungs- oder Rechtfertigungsgründen, unzulässig ist. Dabei muss (arg. „feststeht“) ein strenger Maßstab angelegt werden; es muss nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen die Gewissheit bestehen, dass eine weitere Verfolgung (zB wegen Verjährung der Tat) rechtlich unzulässig wäre. Die Wahrscheinlichkeit oder gar nur Möglichkeit, dass das Gericht im Hauptverfahren einen Freispruch aus dem Grund des § 259 Z 3 StPO fällen werde, reicht hiefür nicht aus. Es wäre der prozesshaften Fortentwicklung der be- und entlastenden Umstände abträglich, (schon) bei der Entscheidung über den Antrag auf Einstellung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ vorzugehen (Abs. 1 Z 1). [313])

Allerdings kann auch in einem nicht mit dem erforderlichen Nachdruck geführten Ermittlungsverfahren eine Verletzung des Beschleunigungsgebots (§ 9) liegen. Das Gericht soll das Ermittlungsverfahren dementsprechend auch dann einzustellen haben, wenn sich ergibt, dass auf Grundlage der bisherigen Verfahrensergebnisse, des Gewichts der vorgeworfenen strafbaren Handlung und der bisherigen Dauer und Intensität des Ermittlungsverfahrens eine Fortsetzung des Verfahrens nicht zu rechtfertigen ist, weil eine weitere Konkretisierung bzw. Erhärtung der Verdachtslage, die eine Beendigung des Verfahrens durch Diversion oder Anklage zulassen würde, überhaupt nicht mehr erwartet werden kann. [314])

Nach Abs. 2 soll die Staatsanwaltschaft, bei der der Antrag auf Einstellung einzubringen ist, ihr bisheriges Vorgehen überprüfen und das Verfahren selbst einstellen oder den Antrag samt einer allfälligen Stellungnahme (über noch durchzuführende Ermittlungen usw.) dem Gericht übermitteln.

Nach Abs. 3 hat das Gericht über den Antrag auf Einstellung mit Beschluss zu entscheiden; dieser soll auf Zurückweisung lauten, wenn er von einer vom Beschuldigten verschiedenen Person eingebracht wurde, im Übrigen jedoch eine Entscheidung in der Sache beinhalten. Der Beschluss kann sowohl durch den Beschuldigten als auch von der Staatsanwaltschaft und vom Privatbeteiligten mit Beschwerde bekämpft werden (siehe § 87), denen – wie auch dem Geschädigten – eine Ausfertigung des Beschlusses zuzustellen ist (vgl. § 86 Abs. 2). Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft soll aufschiebende Wirkung zukommen.

Mit Einbringen der Anklage (aber auch mit jeder anderen Form der endgültigen Beendigung des Ermittlungsverfahrens) durch die Staatsanwaltschaft würde ein bis dahin unerledigt gebliebener Antrag auf Einstellung gegenstandslos (§ 210 Abs. 3).

2.8. Zum 8. Hauptstück („Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme“):

In diesem Hauptstück sollen jene Befugnisse im Einzelnen geregelt werden, die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zur Erfüllung ihrer prozessualen Aufgabe, mithin zur Aufklärung und Verfolgung strafbarer Handlungen, zur Verfügung stehen.

Das Begriffspaar „Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme“ soll verdeutlichen, dass die Sammlung von Beweismitteln den Kern der Ermittlungstätigkeit bildet. Die Bestimmungen dieses Hauptstückes haben daher an den Begriff der Beweisaufnahme anzuknüpfen, der für den Strafprozess eine zentrale, spezifische Bedeutung hat. [315])

Der Begriff der Beweisaufnahme soll somit nicht ausschließlich auf die erkennende Tätigkeit des Gerichts in der Hauptverhandlung bezogen werden, weil sich diese in vielen Fällen bloß als Reproduktion und Überprüfung der im Ermittlungsverfahren erzielten Erkenntnisse erweist. Den Vorwirkungen der Ermittlungstätigkeit der Kriminalpolizei und ihrem (mit)bestimmenden Einfluss auf die Qualität der in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Beweise muss daher Rechnung getragen und ein rechtlicher Rahmen gegeben werden. Dabei soll einerseits Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Effektivität, anderseits jenen Garantien entsprochen werden, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 sowie insbesondere in der Europäischen Menschenrechtskonvention und jüngst in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten sind. [316]) Im Sinne dieser Ziele sollen nunmehr auf einfach gesetzlicher Ebene die Bestimmungen der §§ 5 bis 8 das Strafverfahren charakterisieren.

Da jede auf die Aufklärung einer strafbaren Handlung gerichtete Ermittlung der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft den Beginn des Strafverfahrens markiert (vgl. § 1 Abs. 2), müssen auch alle Bestimmungen über die Ausübung von Befugnissen im Rahmen dieser Aufgabe den Schutz der Grundrechte bezogen auf den Stand der Ermittlungen und die Intensität des Verdachts gegen einen Beschuldigten gewährleisten. [317]) Der Grundsatz der Unschuldsvermutung und das Grundrecht auf ein faires Verfahren verlangen daher auch bei Ausübung von Zwang im Ermittlungsverfahren die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der eine vernünftige Beziehung zwischen dem Ausmaß des staatlichen Eingriffs einerseits und dem Zweck der eingreifenden Maßnahmen andererseits erfordert (siehe § 5). Ferner müssen die Bedingungen, unter denen die Ausübung von Zwang zum Zweck der Beweisführung und -siche­rung zulässig ist, im Gesetz umschrieben werden und das Recht auf Verteidigung, das für alle Abschnitte des Verfahrens garantiert ist, angemessen berücksichtigt werden. Diese Bedingungen müssen auch nach der jeweiligen Eingriffsintensität abgestufte Entscheidungs- und Rechtsschutzmechanismen vorsehen, um auf diese Weise anzuerkennen, dass durch die – insbesondere in den §§ 5 bis 8 verankerten – Grundsätze des Strafverfahrens nicht theoretische oder illusorische, sondern konkrete und wirksame Rechte garantiert werden. [318]) Bestimmte Ermittlungsmaßnahmen sollen daher nur auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung ausgeübt werden dürfen. Damit soll auch die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insoweit berücksichtigt werden, als sie bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK in der Einschaltung richterlicher Entscheidungsgewalt regelmäßig eine Maßnahme erblickt, die dem Missbrauch von Befugnissen wirksam begegnen könne. [319])

Im Gegensatz zum geltenden Recht soll jedoch die Entscheidung des Gerichts nicht in einem „Befehl“ an die Kriminalpolizei bestehen, sondern in der Bewilligung (oder Abweisung) eines Antrags der Staatsanwaltschaft, die Trägerin des staatlichen Verfolgungswillens ist. Die gerichtliche Bewilligung eines Zwangsmittels soll daher Ermächtigung – regelmäßig – der Staatsanwaltschaft sein, eine bestimmte Anordnung erlassen zu können. Kriminaltaktische Gesichtspunkte hat das Gericht dabei nicht zu berücksichtigen, sodass die Staatsanwaltschaft weder verpflichtet ist, von einer solchen Ermächtigung auch tatsächlich Gebrauch zu machen, noch ein „contrarius actus“ erforderlich ist, wenn sie auf die Erlassung der ursprünglich beabsichtigten Anordnung verzichtet.

Entscheidende Bedeutung misst der Entwurf dem Umstand bei, dass die durch Art. 6 EMRK gewährten Rechte schon vor der Hauptverhandlung zu beachten sind, weil ansonsten die Fairness des Verfahrens ernsthaft gefährdet wäre. Allerdings erscheint es schwierig, insoweit abstrakte Regeln zu formulieren. Beispielsweise hängt die Frage, ab wann dem Beschuldigten ein Recht auf einen Verteidiger zuzugestehen ist, maßgeblich von der Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für die Hauptverhandlung ab. [320]) Festzuhalten ist in diesem Sinne etwa, dass dem Beschuldigten bei der Vernehmung von Zeugen im Ermittlungsverfahren nur dann die Möglichkeit der Befragung eingeräumt werden muss, wenn eine solche später voraussichtlich nicht mehr gegeben sein wird (vgl. § 165). In Bezug auf die Anforderungen an einzelne Ermittlungsmaßnahmen muss wiederum – insbesondere soweit es um Eingriffe in die Privatsphäre geht – das zentrale Ziel des Art. 8 EMRK im Auge behalten werden, den Bürger vor willkürlichen polizeilichen Eingriffen zu schützen. Besonders detaillierte Anforderungen sind dabei von der Judikatur des EGMR im Hinblick auf das Abhören von Telefongesprächen entwickelt worden: Die gesetzliche Grundlage muss dem Bürger die Umstände und Voraussetzungen eines Eingriffs deutlich machen und die gesetzliche Ermächtigung ist deutlich einzugrenzen (mögliche Personenkategorien und Straftatbestände, die zur Maßnahme Anlass geben können, zeitliche Begrenzung, Regelung der schriftlichen Aufzeichnung, Überprüfung und Vernichtung von Aufnahmen, richterliche Anordnung). [321]) Als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft kann nur eine Maßnahme eingestuft werden, die auf Grund eines dringenden gesellschaftlichen Bedürfnisses vorgenommen wird sowie verhältnismäßig ist und gegen die im nationalen Recht Beschwerdemöglichkeiten existieren. Diese Anforderungen können weitgehend auf die übrigen Ermittlungsmaßnahmen übertragen werden. Sie sind besonders strikt zu beachten, wenn eine Maßnahme verdeckt durchgeführt wird.

Im System der Anordnungen bestimmter Ermittlungsmaßnahmen lassen sich insgesamt fünf Fallgruppen im Zusammenwirken von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im Ermittlungsverfahren unterscheiden:

1.       Durchführung durch Kriminalpolizei „von sich aus“:

              Sicherstellung (§ 110 Abs. 3),

              Identitätsfeststellung (§ 118 Abs. 2),

              Durchsuchung von Personen nach § 117 Z 3 lit. a (§ 120 Abs. 2),

              Durchsuchung eines nicht allgemein zugänglichen Grundstückes, Raumes, Fahrzeuges oder Behältnisses nach § 117 Z 2 lit. a (§ 120 Abs. 2),

              Abnahme eines Mundhöhlenabstrichs (§ 123 Abs. 3),

              Molekulargenetische Untersuchung biologischer Tatortspuren (§ 124 Abs. 2 zweiter Fall),

              Observation nach § 130 Abs. 1 und verdeckte Ermittlung nach § 131 Abs. 1 (§ 133 Abs. 1 erster Satz),

              optische und akustische Überwachung von Personen (§ 136 Abs. 1 Z 1),

              Augenschein (§ 149 Abs. 2);

              Erkundigungen (§ 152),

              Vernehmungen (§ 153),

              Sachenfahndung (§ 169 Abs. 2).

2.       Durchführung durch Kriminalpolizei auf Anordnung bzw. nach Genehmigung durch die Staatsanwaltschaft:

              Sicherstellung (§ 110 Abs. 2)

              Obduktion (§ 128 Abs. 3),

              Observation nach § 130 Abs. 2, verdeckte Ermittlung nach § 131 Abs. 2 und Scheingeschäft (§ 133 Abs. 1 zweiter Satz),

              Personenfahndung (§ 169 Abs. 1).

3.       Durchführung durch Kriminalpolizei bei Gefahr im Verzug, wobei – abgesehen vom Sonderfall der vorläufigen Festnahme – im Nachhinein eine Genehmigung der Staatsanwaltschaft und eine gerichtliche Bewilligung erforderlich sind:

              Durchsuchung (§§ 120 Abs. 1, 122 Abs. 1),

              vorläufige Festnahme und Enthaftung gegen gelindere Mittel (§§ 171 Abs. 2, 172 Abs. 2).

4.       Durchführung auf Anordnung der Staatsanwaltschaft nach gerichtlicher Bewilligung:

              Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte (§ 116 Abs. 3),

              Durchsuchung einer Wohnung oder eines anderen Ortes, der durch das Hausrecht geschützt ist, und darin befindlicher Gegenstände nach § 117 Z 2 lit. b (§ 120 Abs. 1),

              körperliche Untersuchung (§ 123 Abs. 3),

              Molekulargenetische Untersuchung (§ 124 Abs. 2),

              Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Standort- oder Vermittlungsdaten, Überwachung von Nachrichten und optische und akustische Überwachung (§ 137 Abs. 1 zweiter Satz),

              automationsunterstützter Datenabgleich (§ 142 Abs. 1),

              Festnahme (§ 171 Abs. 1).

5.      Anordnung oder Durchführung durch das Gericht:

              Beschlagnahme (§ 115 Abs. 2),

              Tatrekonstruktion und kontradiktorische Einvernahme (§§ 149 Abs. 3 und 165),

              Untersuchungshaft (§ 174 Abs. 1).

Ein vergleichender Überblick [322]) über die jeweilige Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, in Dänemark, in Frankreich, in Italien, in den Niederlanden, in Österreich und im Vereinigten Königreich hat zur Kontrolle polizeilicher Ermittlungstätigkeit im Strafverfahren im Wesentlichen drei Instrumente hervorgehoben, die nach den jeweils gewachsenen historischen Strukturen in unterschiedlicher Intensität für die „checks and balances“ zwischen kriminalpolizeilicher Ermittlungstätigkeit und justiziellem Einfluss kennzeichnend sind:

      Kontrolle der laufenden polizeilichen Ermittlungen durch ein justizielles bzw. externes Organ,

      richterliche Überwachung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen,

      Kontrolle durch Wahrnehmung von Beschuldigtenrechten.

Die Praxis in den untersuchten Staaten zeigt dennoch, dass es zumeist die Kriminalpolizei ist, die in einem Großteil der Verfahren zunächst selbstständig ermittelt, bevor sie den Vorgang der Anklagebehörde übergibt, sodass das Weisungsverhältnis zumindest bereichsspezifisch, insbesondere bei der Alltagskriminalität, nicht zum Tragen kommt. Ein justizielles Organ als Akteur im Ermittlungsverfahren wird dabei insbesondere dort als sinnvoll betrachtet, wo bereits im Vorverfahren eine qualifizierte Beweisaufnahme mit der Konsequenz stattfinden soll, dass bestimmte Beweisthemen in der Hauptverhandlung bereits präjudiziell sind. Diese – auch im Hinblick auf die Kompatibilität der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der EU zur vereinfachten Zusammenarbeit in Strafsachen bedeutsamen – Anforderungen sollen die Regelung dieses Hauptstückes umsetzen. Sie wollen der Kriminalpolizei bei der Wahl der zielführenden Ermittlungen und der zur Erreichung des jeweiligen kriminalistischen Zwecks einzusetzenden Ermittlungsmaßnahmen weitgehend freie Hand lassen, jedoch für eine sachgerechte justizielle Einbindung und Kontrolle im Hinblick auf die Sicherung der Verteidigungsrechte und die Beweisverwertung in der Hauptverhandlung sorgen.

Die Bestimmungen dieses Hauptstückes dienen schließlich aber auch der Einschränkung des Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel. Im Zusammenhang mit der Ausübung von Zwang soll dieser Grundsatz nur soweit gelten, als die jeweilige Beweismethode bzw. Beweisgewinnung entweder in den in diesem Hauptstück abschließend geregelten Ermittlungsmaßnahmen Deckung findet oder nicht in subjektive Rechte eingreift.

Inhaltlich sind die Bestimmungen dieses Hauptstückes nach folgender Systematik aufgebaut:

„Sicherstellung“, „Beschlagnahme“ und „Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte“ (§§ 109 bis 116) umschreiben jene prozessualen Zwangsmittel, die Eingriffe in das Eigentum bzw. in das „Bankgeheimnis“ darstellen und objektsbezogen einen bestimmten Sicherungs- bzw. Aufklärungszweck erfüllen. „Identitätsfeststellung“ (§ 118), „Durchsuchung einer Person“ und „Durchsuchung von Orten und Gegenständen“ (§§ 119 bis 122), „körperliche Untersuchung“ (§ 123) und „molekulargenetische Untersuchung“ (§ 124) sind gegen eine bestimmte Person gerichtete Zwangsmaßnahmen, die auf die Feststellung und Sicherung sachlicher Beweismittel abzielen. Danach werden die Begriffe und die Aufgaben der „Sachverständigen“ und „Dolmetscher“ definiert (§§ 125 bis 127). Mit „Leichenbeschau und Obduktion“ (§ 128) soll schließlich der Eingriff in die „Totenruhe“ aus strafprozessualen Gründen eine gesetzliche Rechtfertigung erhalten.

Auf die Definition und Regelung dieser herkömmlichen prozessualen Beweis- bzw. Zwangsmittel folgen – in aufbauender Reihenfolge nach der Eingriffsintensität – die Regelungen über die so genannten heimlichen Informationseingriffe, nämlich der „Observation“, der „verdeckten Ermittlung“ sowie des „Scheingeschäfts“ (§§ 129 bis 133). Danach sollen durch die Bestimmungen über die „Beschlagnahme von Briefen“, die „Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten“ und die Überwachung von Nachrichten und von Personen“ die strafprozessualen Eingriffe in das Brief- und Fernmeldegeheimnis begrenzt und auch die besonderen Ermittlungsmaßnahmen der optischen und akustischen Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel und des automationsunterstützten Datenabgleichs in die Systematik des Entwurfs übernommen werden (§§ 134 bis 148).

In den §§ 149 bis 166 werden schließlich die traditionellen Beweismittel des „Augenscheins“, der „Tatrekonstruktion“ sowie der Befragung („Erkundigung“) und der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten definiert und eingehend geregelt.

2.8.1. Zum 1. Abschnitt („Sicherstellung, Beschlagnahme, Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte“):

Zu § 109 („Definitionen“):

Nach geltendem Recht ist zwischen der – im Wesentlichen ungeregelten – vorläufigen Sicherstellung und der gerichtlichen Beschlagnahme (§§ 98 Abs. 2 und 143 Abs. 2 StPO) sowie der einstweiligen Verfügung (§ 144a StPO), der bei Verdacht der Geldwäsche ein sicherheitsbehördliches Transaktionsverbot nach § 41 Abs. 3 BWG vorangehen kann, zu unterscheiden. [323]) Bei der Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren ist schließlich nach § 145 StPO ein besonderes Verfahren vorgesehen, dieses ist grundsätzlich auch für Eingriffe in das Bankgeheimnis nach § 145a StPO anzuwenden. [324]) Die vorgeschlagenen Bestimmungen über „Sicherstellung“, „Beschlagnahme“ und „Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte“ sollen diese unterschiedlichen Regelungen vereinheitlichen.

Nach der Definition der Z 1 soll der Begriff „Sicherstellung“ sowohl die Begründung der (tatsächlichen) Verfügungsmacht über Gegenstände (bewegliche körperliche Sachen – lit. a) als auch das (vorläufige) Verbot der Herausgabe, Veräußerung oder Verpfändung solcher Gegenstände und das Verbot der Herausgabe von anderen Vermögenswerten (Geld, Wertpapiere, Forderungen, Inhaber- und Überbringersparbücher) an Dritte („Drittverbot“ – lit. b) umfassen. In allen Fällen soll es sich bei der Sicherstellung somit um eine bloß vorläufige Maßnahme handeln, deren Fortbestand über einen bestimmten Zeitraum hinaus einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. [325])

Der Begriff „Beschlagnahme“ nach Z 2 soll hingegen gerichtlichen Entscheidungen vorbehalten bleiben. Beschlagnahme soll in diesem Sinne sowohl eine (bestätigende) gerichtliche Entscheidung über die Fortsetzung einer „Sicherstellung“, als auch die originäre Entscheidung des Gerichts über ein Veräußerungs- und Belastungsverbot von Liegenschaften und grundbücherlich eingetragenen Rechten bezeichnen.

Als „Auskunft über Bankkonten und über Bankgeschäfte“ (Z 3 lit. a und b) sollen schließlich die – in das Bankgeheimnis nach § 38 Abs. 1 BWG eingreifenden – Anordnungen an Kredit- und Finanzinstitute verstanden werden, die Identität des Inhabers eines bestimmten Kontos, den Umstand, ob ein Beschuldigter eine Geschäftsverbindung mit diesem Institut unterhält, und Einsicht – für einen bestimmten vergangenen oder zukünftigen Zeitraum – in bestimmte Unterlagen über Art und Umfang einer Geschäftsverbindung und der über diese abgewickelten Geschäftsvorgänge (Transaktionen) zu gewähren. [326])

Zu den §§ 110 bis 114 („Sicherstellung“):

In § 110 werden die materiellen und formellen Voraussetzungen der Sicherstellung geregelt, § 111 enthält die Verpflichtung zur Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten, die der Sicherstellung unterliegen, sowie besondere Verfahrensbestimmungen zur Sicherstellung, § 112 regelt den „Widerspruch“, § 113 behandelt die Beendigung einer Sicherstellung bzw. ihre Überleitung in eine Beschlagnahme und § 114 die Durchführung der Sicherstellung und die Art und Weise der Verwahrung sichergestellter Gegenstände.

Zu § 110:

Sicherstellung soll nach Abs. 1 in drei Fällen zulässig sein: zur Sicherung von Beweisen (Z 1), zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche (Z 2) und zur Sicherung der Entscheidung über vermögensrechtliche Anordnungen (Abschöpfung der Bereicherung, Verfall und Einziehung – Z 3). Da dem Strafverfahren auch die Funktion zukommt, durch Straftaten Geschädigte bei der Verfolgung ihrer Ansprüche aus der strafbaren Handlung zu unterstützen, soll die Sicherstellung daher nicht nur in öffentlichem Interesse, sondern auch dann angeordnet werden können, wenn sie ausschließlich im Interesse derjenigen Person liegt, die durch die strafbare Handlung einen Schaden erlitten haben könnte („Wiedererlangungshilfe“). Anders als der Begutachtungsentwurf, der eine Beschlagnahme zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche ausschließt, enthält die Regierungsvorlage auch eine gerichtliche Beschlagnahme sichergestellter Gegenstände, die voraussichtlich privatrechtlichen Ansprüchen unterliegen werden (§ 115 Abs. 1 Z 2). Damit soll Geschädigten für die Dauer des Strafverfahrens eine erleichterte Durchsetzung ihrer Ansprüche ermöglicht werden. [327])

Nach Abs. 2 soll die Sicherstellung grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft angeordnet und von der Kriminalpolizei durchgeführt werden. [328])

Um einem dringenden Bedürfnis der Praxis entgegenzukommen, soll die Kriminalpolizei nach Abs. 3 jedoch von sich aus („aus eigener Macht“) berechtigt sein, Gegenstände sicherzustellen, die in niemandes Verfügungsmacht stehen (Z 1) [329]) oder am Tatort aufgefunden wurden und als Tatwerkzeug verwendet worden oder zu dieser Verwendung bestimmt gewesen sein könnten (Z 2), die geringwertig oder vorübergehend leicht ersetzbar sind (zB Gegenstände des täglichen Bedarfs, Bekleidung – Z 3), oder deren Besitz allgemein verboten ist (zB Suchtmittel, Kriegsmaterial – Z 4). [330]) Steht ein Gegenstand in niemandes Gewahrsame (Z 1), ist aber sein Eigentümer feststellbar – zu denken wäre dabei etwa an Fahrzeuge, welche aus der Verfügungsmacht des Eigentümers entzogen, als Fluchtfahrzeug verwendet und dann verlassen aufgefunden werden –, so könnte die Kriminalpolizei die Sicherstellung nach dieser Bestimmung zwar aus Eigenem durchführen, hätte jedoch gemäß § 111 Abs. 4 den Berechtigten zu ermitteln und zu verständigen. Diesem käme sodann das Recht zu, Einspruch (§ 106) gegen die Sicherstellung zu erheben.

Werden Tatwaffe oder Fluchtfahrzeug nicht am Tatort, sondern andernorts aufgefunden, kann die Kriminalpolizei sie nur dann aus eigener Macht sicherstellen, wenn ein anderer Tatbestand des Abs. 3 (Z 1, 3 oder 4) Anwendung findet. Andernfalls wäre die Sicherstellung von der Staatsanwaltschaft anzuordnen (Abs. 2), könnte von der Kriminalpolizei jedoch bei „Gefahr im Verzug“ vorläufig auch ohne diese durchgeführt werden (vgl. § 99 Abs. 2 und die Bezug habenden Erläuterungen). Ein wesentlicher praktischer Unterschied ergibt sich dadurch, dass die Kriminalpolizei über Sicherstellungen unverzüglich, längstens binnen 14 Tagen der Staatsanwaltschaft zu berichten und dabei um Genehmigung anzufragen hat, während eine solche Verpflichtung in den Fällen des § 110 Abs. 3 Z 1, 3 erster Fall und 4 nicht unbedingt besteht (§ 113 Abs. 2).

Abs. 4 ordnet – im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – an, dass eine Sicherstellung aus Beweisgründen dann nicht zulässig ist, wenn ihr Zweck auf geeignete Weise substituiert werden kann. Entscheidend soll hier ein entsprechendes Verlangen des Betroffenen sein, der damit auch kundtut, bei der Trennung beweiserheblicher Gegenstände und Urkunden von anderen solchen Gegenständen behilflich sein zu wollen. Ob anzunehmen ist, dass sichergestellte Gegenstände selbst oder die Originale von Unterlagen in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden, wird sich in vielen Fällen (soweit es sich nicht um die vermutete Tatwaffe oder um schriftliche Unterlagen handelt, die einem Schriftvergleich unterzogen werden müssen) nicht sogleich beurteilen lassen. Die Regelung soll daher in dem Sinne verstanden werden, dass sich die Unzulässigkeit der weiteren Verwahrung sichergestellter Gegenstände auch erst nach einigen Tagen bzw. nach Konsultation der Staatsanwaltschaft ergeben kann.

Zu § 111:

Abs. 1 knüpft an die geltende Rechtslage (§ 143 Abs. 2 StPO) an und verpflichtet jedermann, der Kriminalpolizei auf Verlangen jene Gegenstände herauszugeben, die sichergestellt werden sollen. Kann die Sachherrschaft nicht durch Übergabe (Verfügungsmacht über Vermögenswerte) übertragen werden, so soll die Verfügungsmacht der Kriminalpolizei auf andere Weise begründet werden müssen. Es soll daher auch die Verpflichtung bestehen, die für die Herausgabe erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Handlungen vorzunehmen (zB ein „Codewort“ bekannt zu geben). [331])

Eine Verweigerung dieser Mitwirkungsverpflichtung könnte durch Anwendung von Zwang bzw. Ersatzvornahme nach § 93 Abs. 2 durchgesetzt werden. im Fall einer Durchsuchung von Personen oder von Orten und Gegenständen wären dabei auch die Voraussetzungen der §§ 119 bis 122 zu beachten.

Soweit die Strafprozessordnung gesetzliche Verschwiegenheitspflichten anerkennt, indem sie ein Recht zur Verweigerung der Aussage als Zeuge einräumt, soll diese Mitwirkungspflicht allerdings nicht bestehen, soweit sie dieses Recht umgehen bzw. obsolet machen würde. Gegen den Beschuldigten können Strafverfolgungsinteressen hingegen grundsätzlich auch zwangsweise durchgesetzt werden. Es dürfen ihm daher Gegenstände auch mittels Durchsuchung abgenommen werden, obwohl er – im Hinblick auf das Nemo-tenetur-Prinzip – nicht zur Selbstbelastung und damit nicht zur „freiwilligen“ Herausgabe verpflichtet werden darf. Der Einsatz von Beugemitteln gegen ihn soll aus diesem Grund jedoch ebenso wenig zulässig sein wie gegen Personen, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind.

Abs. 2 enthält besondere Vorschriften für den Datenzugriff im Strafverfahren. [332]) Elektronische Daten sind immaterielle Objekte und bedürfen für ihre Existenz materieller Verkörperung. Eine Suche nach Daten ist somit untrennbar an die vorhergehende Suche nach entsprechenden Datenträgern verknüpft. In diesem Zusammenhang kann es insbesondere im Bereich vernetzter Rechnersysteme zu Schwierigkeiten bei der Auffindung von Daten kommen, wobei unter Umständen auf dem eigentlich durchsuchten Rechner keine relevanten Datenbestände auffindbar sind, weil diese auf einem im Netzverbund befindlichen Datenserver gespeichert sind. In einem solchen Fall ist daher auch die Kenntnis der „Netzwerkarchitektur“ von Bedeutung. Gegenüber dem DE soll daher die Verpflichtung betroffener Personen deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, auch jene Handlungen vorzunehmen, die den Zugang zu auf Datenträgern gespeicherten Informationen gewährleisten. Diese Duldungsverpflichtung soll sich danach insbesondere auch darauf beziehen, eine Kopie des Datenbestandes herstellen zu lassen. Damit sollen auch die Anforderungen aus der am 23. November 2001 von Österreich unterzeichneten Cyber-Crime-Konvention des Europarates [333]) – auch im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die Überwachung von Nachrichten, die grundsätzlich technologieneutral formuliert wurden – erfüllt werden.

Abs. 3 sieht im Anschluss an die jüngere Rechtsentwicklung vor, dass Betroffenen, die nicht beschuldigt sind, ihre notwendigen Aufwendungen für ihre Mitwirkung bei der Sicherstellung abgegolten werden. [334])

In Abs. 4 wird die Verpflichtung zur Information der von der Sicherstellung betroffenen Personen geregelt, die insbesondere über ihr Recht, Einspruch wegen Rechtsverletzung einzulegen, zu informieren wären. Darüber hinaus soll ihnen eine Bestätigung über die sichergestellten Gegenstände auszufolgen sein. Soweit dies möglich ist, sollen auch Geschädigte von einer Sicherstellung zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche verständigt werden. Da § 115 Abs. 1 Z 2 nunmehr eine Beschlagnahme zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche ermöglicht, kann das im Begutachtungsentwurf vorgesehen gewesene „Aufforderungsverfahren“ entfallen.

Zu § 112:

Diese Bestimmung regelt das bereits im geltenden Recht enthaltene (vgl. § 145 StPO) Verfahren des Widerspruchs des Betroffenen gegen die Einsicht in schriftliche Unterlagen oder in auf Datenträgern gespeicherte Informationen. Es soll jedoch nicht jeder Widerspruch maßgeblich sein, sondern nur ein solcher, der einen Eingriff in die geistliche Amtsverschwiegenheit oder ein Berufsgeheimnis geltend macht, weil nur in diesem Fall der Schutz des Geheimnisbereiches den Strafverfolgungsinteressen vorgeht. Im Fall eines solchen Widerspruchs soll das Gericht die Unterlagen oder Informationen einsehen und im Hinblick auf berechtigte Geheimhaltungsinteressen und bestehende Beschlagnahmeverbote bzw. Umgehungsverbote sichten. Das Gericht hat dabei nicht etwa die betreffenden Papiere zu „durchsuchen“, also (auch) ihre Beweisrelevanz zu prüfen, sondern nur darüber zu entscheiden, ob diese Prüfung, ungeachtet der dagegen erhobenen Einwände des Inhabers vorgenommen werden darf. Da die Prüfung, ob die allenfalls in Beschlag zu nehmenden Schriftstücke oder Informationen beweisrelevant sind, in jedem Fall der Staatsanwaltschaft bzw. der Kriminalpolizei zukommt, verbleibt als alleiniges Kriterium für die Entscheidung des Gerichts, ob die Beschlagnahme vorzunehmen ist, nur noch die – bloß eine „Sichtung“ erfordernde – Prüfung der Zulässigkeit bzw. des Vorliegens eines Beweisverbots. Diese Kompetenz-Teilung entspricht der sachlogisch einsichtigen Tendenz, einerseits die „Sichtung“ der Papiere im Fall eines Widerspruchs des Inhabers gegen die Durchsuchung einem mit der Untersuchung des Tatgeschehens nicht unmittelbar befassten Organ, nämlich dem Gericht, zu übertragen und damit Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft von der – schon mit einer derartigen „Sichtung“ zwangsläufig verbundenen – Kenntnisnahme vom Inhalt (allenfalls) immunisierter Urkunden zu entlasten [335]), sowie andererseits die Beurteilung der Beweisrelevanz der Schriftstücke und auf Datenträgern gespeicherten Informationen auf jeden Fall in der Hand der mit dem Sachverhalt vertrauten Ermittlungsorgane zu belassen. [336])

Gegenüber dem Begutachtungsentwurf soll der Staatsanwaltschaft und dem Betroffenen die Möglichkeit der Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichtes eingeräumt werden; ihr soll – zur Sicherung ihrer Effektivität – aufschiebende Wirkung zukommen.

Zu § 113:

Abs. 1 fasst die Gründe zusammen, deretwegen eine Sicherstellung zu beenden ist. Dabei wird der vorläufige Charakter dieser Maßnahme deutlich; sie würde rechtswidrig werden und das Eigentumsrecht verletzen, wenn sie nicht unverzüglich, das heißt so rasch wie möglich, beendet oder durch eine förmliche gerichtliche Entscheidung (die Beschlagnahme) „bestätigt“ wird. [337]) Daher soll sie jedenfalls aufzuheben sein, wenn Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft feststellen, dass ihre Voraussetzungen nachträglich weggefallen sind oder irrtümlich angenommen wurden (Z 1 und Z 2). Die Sicherstellung (und damit die Verantwortung der anordnenden Behörde) soll jedenfalls auch dann enden, wenn das Gericht die Beschlagnahme ausgesprochen hat.

Abs. 2 ordnet an, dass die Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft über jede Sicherstellung binnen 14 Tagen zu berichten hat, soweit sie die Maßnahme zuvor nicht selbst aufgehoben hat. Damit soll der Staatsanwaltschaft ermöglicht werden, rechtzeitig bei Gericht die Beschlagnahme zu beantragen. Wenn es sich um geringwertige oder allgemein verbotene Gegenstände handelt oder ein Verfügungsberechtigter nicht ausgeforscht werden kann und berechtigte Interessen Dritter oder Interessen des Verfahrens nicht beeinträchtigt werden, kann auf unverzügliche Berichterstattung verzichtet werden. In diesen Fällen reicht es aus, wenn über die Sicherstellung im Zuge des nächsten zu erstattenden Berichts entsprechende Mitteilungen erfolgen.

Demnach wäre auch in Fällen, in denen Gegenstände zwar in niemandes Verfügungsmacht stehen, der Verfügungsberechtigte jedoch leicht feststellbar ist – zu denken wäre dabei an Fahrzeuge, die zur Flucht verwendet und danach abgestellt wurden – schon aus dem Grund sogleich an die Staatsanwaltschaft zu berichten, dass Interessen der Eigentümer beeinträchtigt werden könnten. Gegenstände, deren Besitz allgemein verboten ist, wären beispielsweise Kriegsmaterial oder kinderpornografisches Material, nicht aber eine Waffe, deren Besitz im Fall behördlicher Bewilligung erlaubt ist.

Nach Abs. 3 soll die Staatsanwaltschaft auf Grund des kriminalpolizeilichen Berichts zu prüfen haben, ob die materiellen Voraussetzungen der Sicherstellung vorliegen, und gegebenenfalls sogleich die gerichtliche Beschlagnahme beantragen. Andernfalls wird sie die Sicherstellung aufzuheben und der Kriminalpolizei aufzutragen haben, die sichergestellten Gegenstände zurückzustellen bzw. einen sonst erforderlichen contrarius actus zu setzen. Die im Entwurf vorgesehene Frist von vier Wochen, binnen der das Gericht bei sonstiger Aufhebung der Sicherstellung über den Antrag auf Beschlagnahme zu entscheiden hätte, sieht die Regierungsvorlage auf Grund von Einwänden im Begutachtungsverfahren nicht mehr vor. Im Extremfall soll ein Versäumnis des Gerichts nicht zu einem Beweismittelverlust führen.

Zu § 114:

Abs. 1 bestimmt, dass die Kriminalpolizei bis zur gerichtlichen Beschlagnahme für die sachgerechte Verwahrung sichergestellter Gegenstände zu sorgen hat. Danach hätte (im Ermittlungsverfahren) die Staatsanwaltschaft die weitere Verwahrung zu bestimmen. Nach Abs. 2 soll die Kriminalpolizei (gegebenenfalls auf Anordnung der Staatsanwaltschaft) im Fall der Aufhebung der Sicherstellung grundsätzlich zur Rückgabe an jene Person verpflichtet sein, aus deren Verfügungsmacht die sichergestellten Gegen­stände entzogen wurden. Lediglich in Fällen, in denen offenkundig ist, dass diese Person nicht zum Besitz dieser Gegenstände berechtigt ist, soll an den tatsächlich Berechtigten ausgefolgt oder nach § 1425 ABGB beim zuständigen Bezirksgericht hinterlegt werden; im Fall, dass der Besitz allgemein verboten ist, kommt eine Ausfolgung naturgemäß nicht in Betracht.

Auch diese Bestimmung soll somit der vereinfachten Erledigung von privatrechtlichen Ansprüchen Geschädigter dienen. Sie geht allerdings davon aus, dass ein allfälliger zivilrechtlicher Streit um die Berechtigung nicht in allen Fällen im Rahmen strafrechtlicher Maßnahmen beigelegt werden kann. [338])

Zu § 115 („Beschlagnahme“):

In dieser Bestimmung werden die materiellen und formellen Voraussetzungen der Beschlagnahme normiert sowie das im Fall einer Beschlagnahme einzuhaltende Verfahren geregelt.

Nach Abs. 1 ist eine Beschlagnahme zulässig, wenn die sichergestellten Gegenstände voraussichtlich als Beweismittel im weiteren Verfahren erforderlich sein werden (Z 1; sofern dieser Zweck nicht durch eine Beschreibung oder andere Dokumentation erreicht werden kann – vgl. Abs. 3). Sichergestellte Gegen­stände können weiters gerichtlich beschlagnahmt werden, wenn sie voraussichtlich privatrechtlichen Ansprüchen unterliegen werden (Z 2). Die Anordnung einer Beschlagnahme kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn dadurch eine vermögensrechtliche Anordnung gesichert werden kann, deren Vollstreckung ansonsten aussichtslos erschiene (Z 3 – das ist der bisherige Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung nach § 144a StPO).

Gemäß Abs. 2 obliegt die Entscheidung über die Beschlagnahme dem Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Das Gericht hat über den Antrag unverzüglich zu entscheiden. Ein bewilligender Beschluss ist der Staatsanwaltschaft und jenen Personen zuzustellen, in deren Rechte durch die Beschlagnahme eingegriffen wurde oder werden sollte (vgl. § 86 Abs. 2).

Im Übrigen enthalten die Abs. 4 bis 6 die entsprechend angepassten Bestimmungen des § 144a Abs. 1, 4 und 5 StPO. Der Staatsanwaltschaft soll im Ermittlungsverfahren konsequenterweise auch die Kompetenz zukommen, die Beschlagnahme aufzuheben, wenn deren Voraussetzungen weggefallen sind oder der Lösungsbetrag nach Abs. 6 erlegt wurde.

Zu § 116 („Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte“):

Mit dieser Bestimmung soll die mit der Strafprozessnovelle 2000, BGBl. I Nr. 108/2000, eingeführte Bestimmung des § 145a StPO in die Systematik des Entwurfs übernommen werden. Dabei sind jedoch – wie bereits im Begutachtungsentwurf angekündigt [339]) – Anpassungen an die europäische Rechtsentwicklung erforderlich. Nach Art. 1 Abs. 1 (“Auskunftsersuchen zu Bankkonten“) des Protokolls zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [340]) ergreift jeder Mitgliedstaat die Maßnahmen, die erforderlich sind, um auf Antrag eines anderen Mitgliedstaats festzustellen, ob eine natürliche oder juristische Person, gegen die strafrechtliche Ermittlungen laufen, eines oder mehrere Bankkonten gleich welcher Art bei einer in seinem Gebiet niedergelassenen Bank unterhält oder kontrolliert; wenn dies der Fall ist, übermittelt er alle Angaben zu den ermittelten Konten. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf Konten, für die der Beschuldigte eine Vollmacht besitzt. Nach Abs. 4 hat die ersuchende Behörde in dem Ersuchen ua. zu begründen, weshalb die erbetenen Auskünfte für die Aufklärung der Straftat von wesentlichem Wert sind, und weshalb sie annimmt, dass die Konten von Banken in dem ersuchten Mitgliedstaat geführt werden. Art. 3 des erwähnten Protokolls („Ersuchen um Überwachung von Bankgeschäften“) wiederum verpflichtet die Mitgliedstaaten, auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaates Bankgeschäfte, die während eines bestimmten Zeitraums im Zusammenhang mit einem oder mehreren in dem Ersuchen angegebenen Bankkonten getätigt werden, zu überwachen und die betreffenden Ergebnisse zu übermitteln, soweit die erbetenen Auskünfte für die Aufklärung einer Straftat wichtig sind. Nach Art. 7 des Protokolls („Bankgeheimnis“) darf das Bankgeheimnis von einem Mitgliedstaat nicht als Begründung für die Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit in Bezug auf ein Rechtshilfeersuchen eines anderen Mitgliedstaats herangezogen werden.

Zur Umsetzung dieser Verpflichtungen sollen daher sowohl Auskünfte über Bankkonten und deren Inhaber als auch Auskünfte über den Inhalt und Art der über ein bestimmtes Konto abgewickelten und künftig abzuwickelnder Geschäftsvorgänge eine ausreichende und eindeutige Rechtsgrundlage erhalten. Dabei soll auch berücksichtigt werden, dass es in der Praxis mitunter dann – unter Hinweis auf den fehlenden Zusammenhang zwischen Geschäftsverbindung und Tatverdacht [341]) – zu einer Verweigerung der Auskunft durch das Kredit- oder Finanzinstitut gekommen ist, wenn in Bezug auf ein bestimmtes Konto die Identität des Inhabers dieses Kontos zur Aufklärung einer Straftat erforderlich erschien (zB vom Tatverdächtigen einer schweren Körperverletzung konnte bloß ermittelt werden, dass er im Lokal, in dem die Auseinandersetzung stattfand, seine Zeche mit Kreditkarte beglichen hat). Im Sinne der Entscheidung des OGH vom 29. Jänner 2002, 14 Os 4/02 [342]) soll ein eindeutiger Eingriffstatbestand geschaffen und ausdrücklich festgehalten werden, dass Kredit- und Finanzinstitute durch eine gerichtliche Bewilligung einer diesbezüglichen Anordnung der Staatsanwaltschaft verpflichtet werden können, den Namen und sonstige ihnen bekannte Daten über die Identität sowie die Wohnanschrift des Inhabers einer Geschäftsverbindung bekannt zu geben und Auskunft zu erteilen, ob der Beschuldigte eine Geschäftsverbindung mit diesem Institut unterhält, aus einer solchen wirtschaftlich berechtigt oder für sie bevollmächtigt ist, soweit diese Informationen für die Aufklärung einer nicht unbedeutenden Straftat erforderlich sind (Abs. 1). Als sonstige Unterlagen über die Identität des Kontoinhabers bzw. seiner Zeichnungsberechtigung wären etwa die Kopie eines Lichtbildausweises und des Unterschriftenblattes anzusehen. Im Hinblick darauf, dass diese Informationen keinen inhaltlichen Bezug zu Art und Umfang der über die Geschäftsverbindung abgewickelten Transaktionen enthalten, erscheint die Übernahme der unübersichtlichen Deliktsumschreibung nach Art. 1 Abs. 3 des erwähnten Protokolls nicht zweckentsprechend. Dadurch können möglicher Weise auch künftig erforderliche Gesetzesänderungen vermieden werden, die andernfalls erforderlich werden könnten, weil in Abs. 6 des Art. 1 des Protokolls festgelegt wird, dass der Rat gemäß Art. 34 Abs. 2 lit. c EUV beschließen kann, den Anwendungsbereich von Abs. 3 zu erweitern.

Dennoch soll in Weiterführung der die Bestimmung des § 452 Z 4 StPO rechtfertigenden Verhältnismäßigkeitsüberlegungen – Ausschluss der Durchsuchung von Papieren dritter Personen im bezirksgerichtlichen Verfahren – festgelegt werden, dass die Auskunft der Aufklärung einer Straftat dienen muss, für die das Landesgericht zuständig ist.

Eine Verpflichtung zur inhaltlichen Auskunftserteilung soll darüber hinaus nur dann aufgetragen werden können, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen angenommen werden kann, dass die Geschäftsverbindung mit der Begehung einer in Abs. 1 der Art nach umschriebenen strafbaren Handlung im Zusammenhang steht [343]), oder für die Transaktion eines Vermögensvorteils benützt wird, der abgeschöpft oder für verfallen erklärt werden kann (Abs. 2). Anregungen im Begutachtungsverfahren und in der jüngeren wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen für diesen Eingriff in das Bankgeheimnis folgend [344]) soll für die erste Alternative jedoch hervorgehoben werden, dass sich der bestimmende Tatverdacht gegen den Kontoinhaber selbst oder eine Person richten muss, die sonst über das Konto verfügen kann. Schließlich soll zur Umsetzung von Art. 3 des erwähnten Protokolls – gegenüber dem geltenden Recht – klargestellt werden, dass diese Verpflichtung auch die über einen bestimmten – in dem gerichtlichen Beschluss genau zu bestimmenden – (künftigen) Zeitraum laufende Auskunftserteilung umfasst.

Nach Abs. 3 soll die Verpflichtung zur Auskunftserteilung durch die Staatsanwaltschaft auf Grund gerichtlicher Bewilligung angeordnet werden; der Inhalt der Anordnung und der Bewilligung wird durch Abs. 4 näher determiniert. Die Abs. 5 und 6 enthalten die dem Entwurf angepassten Bestimmungen des § 145a Abs. 2 und 4 StPO in der Fassung der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002. [345]) Die dort vorgeschlagene besondere Hervorhebung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann im Hinblick auf § 5 des Entwurfs entfallen.

2.8.2. Zum 2. Abschnitt („Identitätsfeststellung, Durchsuchung von Orten und Gegenständen, Durchsuchung von Personen, körperliche Untersuchung und molekulargenetische Untersuchung“):

Zu § 117 („Definitionen“):

In den Bestimmungen diese Abschnitts werden jene Zwangsmaßnahmen zusammengefasst, die sich gegen die Person des Betroffenen richten oder sonstige schwerwiegende Eingriffe in das Eigentum und in das verfassungsgesetzlich geschützte Hausrecht bzw. das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen. Zur Klärung des Begriffsverständnisses werden diesem Abschnitt die Definitionen der einzelnen Maßnahmen in der Reihenfolge der Intensität des durch sie bewirkten Grundrechtseingriffs vorangestellt. Diese Begriffe werden jeweils im Zusammenhang mit der Darstellung der materiellen und formellen Voraussetzungen der jeweiligen Ermittlungsmaßnahme erläutert werden.

Zu § 118 („Identitätsfeststellung“):

Maßnahmen zur Feststellung der Identität von Personen zählen zur alltäglichen Ermittlungspraxis der Strafverfolgungsbehörden. Dennoch wurde erst mit dem Sicherheitspolizeigesetz eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage zur Ausübung dieser Befugnis geschaffen. [346]) Mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993 wurde bloß dem Umstand Rechnung getragen, dass die Strafverfolgung von Personen, die bei der Begehung eines Deliktes im unteren Kriminalitätsbereich betreten werden und nicht in der Lage oder nicht bereit sind, ihre Identität nachzuweisen, gefährdet sein könnte. Dem sollte durch die Einführung eines speziellen Festnahmegrundes der „Betretung auf frischer Tat“ im bezirksgerichtlichen Verfahren entgegengewirkt werden, der freilich nicht der Vorbereitung der Einlieferung des Verdächtigen bei Gericht, sondern lediglich dazu dient, seine Identität festzustellen, wenn das ohne diese – mit längstens sechs Stunden befristete – Maßnahme nicht möglich ist (§ 452 Z 1a StPO). [347])

Das Fehlen einer strafprozessualen Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung wurde von der Rechtsprechung bislang zwar nicht weiter problematisiert, die Regierungsvorlage will – wie schon der Entwurf – diese Lücke jedoch – schon wegen der mit geregelten Verarbeitung personenbezogener Daten – schließen und die Identitätsfeststellung auf Grund kriminalpolizeilicher Erfordernisse von der bisherigen sicherheitspolizeilichen Begriffsbildung abgrenzen. [348]) Nach dem Legalitätsprinzip dürfen kriminalpolizeiliche Organe in Rechte Dritter nur dann eingreifen, wenn hiefür eine Befugnis vorgesehen ist. Die Feststellung der Identität einer Person im strafprozessualen Sinn (vgl. § 117 Z 1) ist dem gemäß darauf ausgerichtet, Merkmale zu ermitteln und festzustellen, die eine bestimmte Person unverwechselbar kennzeichnen.

Nach Abs. 1 soll die Feststellung der Identität einer Person zulässig sein, wenn diese Person einer strafbaren Handlung verdächtig ist oder über wesentliche Informationen zur Aufklärung der strafbaren Handlung verfügt oder am Tatort oder an Gegenständen, mit denen die Tat begangen worden sein könnte, Spuren hinterlassen hat. Für Vergleichszwecke soll daher etwa auch die Identität von Personen festgestellt werden können, die einen bestimmten – im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung stehenden – Raum oder Gegenstand laufend benützen, ohne selbst der Tat verdächtig zu sein (sogenanntes bloßes Gelegenheitsverhältnis, Ausschluss von bestimmten Personen aus dem Kreis möglicher Tatverdächtiger).

Welche personenbezogenen Daten zum Zweck der Feststellung der Identität aufgenommen werden können, wird in Abs. 2 geregelt. Danach soll die Kriminalpolizei bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 grundsätzlich ermächtigt sein, die Namen einer Person sowie das Geschlecht, das Geburtsdatum, den Geburtsort, den Beruf und die Wohnanschrift dieser Person zu ermitteln. [349]) Soweit dies zur Identitätsfeststellung erforderlich ist, soll darüber hinaus die Befugnis bestehen, einer Person Fingerabdrücke abzunehmen, ihre Größe festzustellen, sie zu fotografieren oder ihre Stimme aufzunehmen. Dabei ist insbesondere an Fälle zu denken, in denen die üblichen Angaben zur Person zur verlässlichen Feststellung der Identität einer Überprüfung anhand der erkennungsdienstlichen Evidenzen (§ 70 SPG) oder der Zentralen Informationssammlung (§ 57 SPG) unterzogen werden sollen.

Im Sinne praktischer Ermittlungsrealität wird im Abs. 2 ausschließlich die Kriminalpolizei angesprochen; selbstverständlich ist die Staatsanwaltschaft berechtigt, ihrerseits eine Identitätsfeststellung anzuordnen oder in dem ihr möglichen Umfang selbst durchzuführen. Die Ermächtigung zur Identitätsfeststellung darf jedenfalls nur in dem Umfang und unter den Bedingungen in Anspruch genommen werden, die nach dem in § 5 Abs. 1 umschriebenen Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsgrundsatz zulässig sind.

Durch Abs. 3 soll jedermann die Verpflichtung auferlegt werden, über Aufforderung und nach Information über Anlass und Zweck der Maßnahme an der Feststellung seiner Identität, also erforderlichenfalls auch an den im Abs. 2 zweiter Satz genannten Maßnahmen (Abnahme von Fingerabdrücken, Bild- und Tonaufnahmen) mitzuwirken bzw. diese zu dulden. Wird diese Mitwirkung verweigert, so kann sie nach § 93 Abs. 2 mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden. [350])

Abs. 4 erweitert diese Befugnisse zur Anwendung unmittelbaren Zwangs im Fall der Verweigerung der erforderlichen Mitwirkung, indem er zum Zwecke der Feststellung der Identität auch die Durchsuchung der Kleidung einer Person und der Sachen, die sie bei sich hat (vgl. § 117 Z 3 lit. a), gestattet. Das bedeutet, dass die betroffene Person die Identitätsfeststellung nach Aufforderung und Bekanntgabe von Anlass und Zweck in jedem Fall zunächst dulden muss; der Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs. 1 Z 2 an das Gericht steht ihr erst im Nachhinein zu.

Besondere Verwendungsbeschränkungen, Löschungsverpflichtungen und Auskunftsrechte in Bezug auf Daten, die im Rahmen einer Identitätsfeststellung ermittelt werden, finden sich in §§ 75. Eine Ermächtigung der Kriminalpolizei, nach § 118 Abs. 2 ermittelte Daten für Zwecke eines Strafverfahrens und zur Abwehr gefährlicher Angriffe (§ 16 Abs. 2 und 3 SPG) zu verwenden und zu diesem Zweck in der Zentralen Informationssammlung zu verarbeiten, sofern gegen den Betroffenen Ermittlungen wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung geführt werden, ergibt sich bereits aus dem Sicherheitspolizeigesetz (§§ 53 Abs. 2 und 57 Abs. 1 Z 6 SPG).

Zu den §§ 119 bis 122 („Durchsuchung von Orten und Gegenständen sowie von Personen“):

Durch die §§ 119 bis 122 sollen die Regelungen des XII. Hauptstückes über die Persons- und Hausdurchsuchung (§§ 139 ff StPO) in modifizierter Form übernommen werden. Dabei bedarf jedoch insbesondere die – rudimentäre – Regelung der Durchsuchung einer Person einer Neuregelung, die modernen kriminalistischen und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. [351]) Zudem soll eine rechtliche Basis für die Durchsuchung bestimmter Gegenständen und von Orten, die nicht durch das Hausrecht geschützt sind, geschaffen werden. Im Einzelnen sind dies nicht allgemein zugängliche Grundstücke, Räume, Fahrzeuge und Behältnisse (§ 117 Z 2 lit. a), für deren Durchsuchung Zulässigkeitsvoraussetzungen normiert werden.

Der Begriff „Durchsuchung einer Person“ soll gemäß § 117 Z 3 sowohl die Durchsuchung der Bekleidung einer Person und der Sachen, die sie bei sich hat (lit. a), als auch die Besichtigung ihres unbekleideten Körpers (lit. b) umfassen. Es geht daher immer um einen Eingriff in die Intim- und Privatsphäre einer Person, dessen Voraussetzungen durch ein formelles Gesetz, das den materiellen Anforderungen des Art. 8 EMRK entspricht, festzulegen sind.

Zu § 119:

Abs. 1 enthält einerseits die materiellen Voraussetzungen für die Durchsuchung einer Wohnung, wobei inhaltlich am traditionellen, verfassungsrechtlich vorgegebenen Begriffsverständnis einer Hausdurchsuchung festgehalten werden soll (vgl. § 117 Z 2 lit. b). [352]) Die Durchsuchung einer Wohnung soll demnach voraussetzen, dass mit Wahrscheinlichkeit, die auf bestimmte Tatsachen gegründet ist, anzunehmen ist, dass sich in dem zu durchsuchenden Raum eine der strafbaren Handlung verdächtige Person verbirgt oder Gegenstände und Spuren befinden, die aus Beweisgründen sicherzustellen oder auszuwerten wären. Zum anderen normiert Abs. 1, dass diese Kriterien auch als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Durchsuchung von nicht allgemein zugänglichen Grundstücke, Räumen, Fahrzeugen oder Behältnissen (§ 117 Z 2 lit. a) zu gelten haben. Damit soll dem Schutz der Privatsphäre auch an diesen Orten Rechnung getragen und ein Eingriff an bestimmte Anforderungen gebunden werden. Durchsuchungen allgemein zugänglicher Grundstücken oder Orte (zB Parks, Straßen oder auch Treppenhäuser) werden weiterhin ohne besondere Anforderungen zulässig sein.

Abs. 2 unterscheidet drei Fälle der zulässigen Durchsuchung einer Person: Z 1 soll jene Situation erfassen, in der kriminalpolizeiliche Organe auch aus sicherheitspolizeilichen Gründen (nämlich zur Abwehr von Selbst- bzw. Fremdgefährdung im Zuge einer Festnahme oder bei Betretung auf frischer Tat) zur Durchsuchung einer Person ermächtigt sind. [353]) In der Z 2 soll hingegen der strafprozessuale Regelungsgegenstand stärker in den Vordergrund treten, indem an den Verdacht einer strafbaren Handlung angeknüpft und zusätzlich verlangt wird, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (also nicht bloßer Mutmaßungen) anzunehmen ist, dass der – materiell – Beschuldigte Gegenstände, die der Sicherstellung unterliegen, bei sich oder Spuren an sich habe, die für die Ermittlungen wesentlich sind. Mit der Z 3 soll schließlich eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Besichtigung von Verletzungen sowohl des Beschuldigten als auch einer durch eine strafbare Handlung verletzten Person (oder auch anderer körperlicher Veränderungen) geschaffen werden. Von einer „Durchsuchung“ kann in diesem Zusammenhang aber nur dann gesprochen werden, wenn die Verletzung oder andere körperliche Veränderung nicht im täglichen Leben üblicherweise ohnedies sichtbar ist (wie zB eine Verletzung im Gesicht oder an den Unterarmen). Auch hier geht es um den Schutz der Intimsphäre.

Zu § 120:

Diese Bestimmung enthält die formellen Voraussetzungen für die Durchführung einer Durchsuchung sowohl einer Person als auch einer Wohnung oder eines anderen Ortes oder Gegenstandes. Nach Abs. 1 soll die Durchsuchung grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft auf Grund gerichtlicher Bewilligung anzuordnen sein, es sei denn, es handelte sich bloß um eine solche nach § 117 Z 2 lit. a oder Z 3 lit. a. Derartige bloße Durchsuchungen der (Ober-)Bekleidung einer Person und der Gegenstände, die sie bei sich trägt, oder von nicht allgemein zugänglichen Grundstücken, Räumen, Fahrzeugen oder Behältnissen soll die Kriminalpolizei von sich aus vornehmen können (Abs. 2). Damit sollen verfassungsrechtliche Vorgaben ebenso anerkannt werden wie praktische Bedürfnisse, weil auch solche Situationen zu berücksichtigen sind, in denen selbst die Einholung (nur) einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung den Zweck der Durchsuchung gefährden würde oder zu ihrem Anlass außer Verhältnis stehen würde (etwa wenn der von der Durchsuchung Betroffene bloß aufgefordert wird, Einsicht in eine Tasche zu gewähren, die er bei sich trägt).

Bei Gefahr im Verzug sollen auch Durchsuchungen nach § 117 Z 2 lit. b und Z 3 lit b (somit die Durchsuchung einer Wohnung oder die Besichtigung des unbekleideten Köpers einer Person) von der Kriminalpolizei vorläufig ohne Anordnung und gerichtliche Bewilligung vorgenommen werden können (Abs. 1 letzter Satz). Gemäß § 122 Abs. 1 hätte die Kriminalpolizei über eine solche Durchsuchung der Staatsanwaltschaft sobald wie möglich Anlassbericht (§ 100 Abs. 2 Z 2) zu erstatten; die Staatsanwaltschaft hätte ihrerseits die erforderliche gerichtliche Bewilligung zu beantragen.

Aus dem geltenden Recht nicht übernommen wurde § 141 StPO, welcher § 2 HausRSchG auf einfachgesetzlicher Ebene umsetzt. Moderne Kommunikationstechnologien ermöglichen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht binnen kürzester Zeit wechselseitige Information und machen die in den zitierten Bestimmungen geregelten Fälle von Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Befehl verzichtbar. Soweit die Regelungen nicht ohnehin nicht mehr angewendet werden (Abs. 1), kann den Erfordernissen raschen Handelns durch die „Gefahr in Verzug“ – Regelung des § 120 Abs. 1 letzter Satz Genüge getan werden. Da – anders als nach Abs. 2 der §§ 141 StPO und 2 HausRSchG, welcher eine Eigenzuständigkeit der Sicherheitsorgane annimmt – nunmehr in jedem Fall nachträglich eine gerichtliche Bewilligung einzuholen sein wird, wird die Einhaltung der strengen Voraussetzungen für Durchsuchungen von Wohnungen stets gerichtlich kontrolliert und damit der Schutz vor ungerechtfertigten Eingriffen in Grundrechte erhöht werden.

Durchsuchungen nach § 117 Z 2 lit. a (eines nicht allgemein zugänglichen Grundstückes, Raumes, Fahrzeuges oder Behältnisses) und § 117 Z 3 lit. a (der Bekleidung einer Person und der Gegenstände, die sie bei sich hat) soll die Kriminalpolizei aus eigener Macht durchführen können.

Gegenüber dem DE [354]) sollen durch die Bestimmungen des § 120 berechtigte Anliegen nach Effizienz kriminalpolizeilicher Tätigkeit in stärkerem Ausmaß berücksichtigt werden. Ein Verlust an Rechtsstaatlichkeit ist damit jedoch nicht verbunden, weil weiterhin die Judikatur des VfGH zu beachten sein wird, derzufolge bloß vage Mutmaßungen nicht hinreichen, um den gebotenen konkreten Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung zu begründen (§ 2 HausRSchG). [355]) Im Sinne dieser Judikatur soll nach wie vor Voraussetzung einer Durchsuchung sein, dass den behördlichen Organen bestimmte Tatsachen bekannt sind, aus denen der Tatverdacht bezüglich einer strafbaren Handlung mit gutem Grund, also in vertretbarer Weise, abgeleitet werden kann („konkreter Verdacht“).

Zu § 121:

In § 121 wird die Art und Weise der Durchführung der Durchsuchung näher geregelt. Abs. 1 übernimmt aus dem geltenden Recht die grundsätzliche Verpflichtung der durchführenden Organe, vor der Durchsuchung zu versuchen, durch Vernehmung der betroffenen Person den Tatverdacht zu beseitigen oder die Herausgabe der gesuchten Gegenstände zu erwirken. Eine Aufforderung zur Mitwirkung darf nur bei Gefahr im Verzug sowie – konsequenterweise – im Fall der Festnahme oder der Betretung auf frischer Tat unterlassen werden. Die Kriminalpolizei soll aber andererseits auch berechtigt sein, sofern dies erforderlich ist, innerhalb des Verhältnismäßigkeitsgebots physische Gewalt gegen Sachen (und Personen) anzuwenden (§ 93), soweit dies nicht die Personsdurchsuchung einer durch die strafbare Handlung verletzten Person betrifft. Im Übrigen soll es in diesem Zusammenhang auch möglich sein, eine Person zum Zweck ihrer Durchsuchung für einen gewissen Zeitraum (von höchstens einigen Stunden) anzuhalten.

In den Abs. 2 und 3 werden die besonderen Anforderungen zusammengefasst, die sich aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. § 5) für die Durchsuchung einer Person nach § 117 Z 3 lit. b („Besichtigung des unbekleideten Körpers“) oder einer Wohnung ergeben. Hervorzuheben ist das Recht des Betroffenen, der Durchsuchung eine Person seines Vertrauens beizuziehen. Erlaubt die Dringlichkeit der Durchsuchung nicht, bis zum Eintreffen einer Vertrauensperson zuzuwarten, so sollen der Durchsuchung einer Wohnung grundsätzlich von Amts wegen zwei unbeteiligte, vertrauenswürdige Personen beizuziehen sein. Durchsuchungen in Räumen von „Berufsgeheimnisträgern“ soll von Amts wegen ein Vertreter der jeweiligen Standes- oder Interessenvertretung zur Sicherung des Geheimhaltungsinteresses betroffener Mandanten beigezogen werden. [356]) Die Besichtigung des unbekleideten Körpers ist, soweit sie nicht durch eine Ärztin oder einen Arzt (vgl. Z 8 des Entwurfs, § 515 Abs. 2) erfolgt, immer von einer Person desselben Geschlechts vorzunehmen (vgl. auch § 5 Abs. 3 der Richtlinien-Verordnung – RLV).

Zu § 122:

Abs. 1 widmet sich der erforderlichen justiziellen Kontrolle. Diese soll grundsätzlich dadurch gewahrt werden, dass die Kriminalpolizei über eine bei Gefahr im Verzug ohne Anordnung und ohne Bewilligung vorgenommene oder veranlasste Durchsuchung einer Wohnung oder Besichtigung des unbekleideten Körpers einer Person der Staatsanwaltschaft sobald wie möglich berichten muss. Dieser Bericht, der insbesondere auch die außergewöhnliche Dringlichkeit ausreichend zu begründen hätte, soll die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzen, die Berechtigung des Vorgehens der Kriminalpolizei zu überprüfen, ihren Antrag auf nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Durchsuchung ausreichend zu begründen und allenfalls die zur „Klaglosstellung“ des Betroffenen erforderlichen Schritte zu veranlassen. Durch die gegenüber dem DE vorgenommene Lockerung der vorprüfenden justiziellen Kontrolle (Entfall der Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft) scheint es auch im Hinblick auf den – jedenfalls für eine Durchsuchung einer Wohnung – verfassungsrechtlich erforderlichen „richterlichen Befehl“ geboten, die gerichtliche Kontrolle (ex post) zu verstärken. Schon der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Im Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung führt, ist das Gericht – entsprechend der Trennung von Anklagebehörde und Gericht – unbeteiligter Dritter, der nur auf Antrag tätig wird. Bei Maßnahmen wie Durchsuchungen nach § 117 Z 2 lit. b und Z 3 lit. b, aber auch Festnahmen, die in der Regel ohne vorherige Anhörung des Betroffenen ergehen, soll die gerichtliche Entscheidung insbesondere auch für eine gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sorgen.[357] Das Gericht muss daher die beabsichtigte Maßnahme eigenverantwortlich prüfen, es muss dafür Sorge tragen, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung genau beachtet werden. Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft es die Pflicht, im Fall der Bewilligung einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung durch geeignete Formulierungen sicherzustellen, dass der Grundrechtseingriff verhältnismäßig bleibt. Das Gericht muss daher insbesondere auch den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den Betroffenen zugleich in die Lage, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten.

Wenn die Strafverfolgungsbehörden die Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug von sich aus anordnen, entfällt diese präventive Kontrolle durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Die Kontrolle durch das unabhängige und neutrale Gericht ist dann auf eine repressive Funktion beschränkt, die den bereits geschehenen Eingriff nicht mehr rückgängig machen kann. Der Zweck der Eilkompetenz, der Exekutive schnelles und situationsgerechtes Handeln zu ermöglichen, steht einer unbeschränkten richterlichen Kontrolle dieses Handelns aber nicht entgegen. Die Gerichte müssen hier wie sonst auch der Ausnahmesituation Rechnung tragen, in der sich die nicht richterlichen Organe bei der Annahme der Gefahr im Verzug befunden haben. Im Konkreten sind reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen als Grundlage einer Annahme von Gefahr im Verzug nicht hinreichend. Gefahr im Verzug muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die allgemeine Möglichkeit des Beweismittelverlusts genügt hiefür nicht. An dieser Stelle endet der Spielraum, das Ermittlungsverfahren nach kriminalistischen und taktischen Erwägungen frei zu gestalten. [358]) Die gerichtliche Beurteilung, dass Gefahr im Verzug nicht vorlag, soll allerdings nicht zur Versagung der nachträglichen Bewilligung, allerdings erforderlichenfalls zu dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen führen (vgl. die Erläuterungen zu § 99).

Im Fall einer Durchsuchung nach § 117 Z 2 lit. a oder Z 3 lit. a soll eine Berichterstattung der Kriminalpolizei nach § 122 Abs. 1 hingegen nicht erforderlich sein. Dem Betroffenen steht gegen die Durchführung einer von der Kriminalpolizei von sich aus vorgenommenen Durchsuchung in jedem Fall der Rechtsbehelf des Einspruchs wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs. 1 Z 2) zu. Der damit eröffnete gerichtliche Rechtsschutz sollte schon auf Grund der Kontradiktorietät des Einspruchsverfahrens effektiven Grundrechtsschutz bieten.

Abs. 1 regelt schließlich auch die Konsequenzen für den Fall, dass das Gericht eine Bewilligung zur Durchsuchung verweigert. In einem solchen Fall haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln den der gerichtlichen Entscheidung entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Zu denken wäre dabei etwa an die Vernichtung der von der Durchsuchung herrührenden Daten und Spuren; im Zuge der Durchsuchung sichergestellte Gegenstände wären grundsätzlich wieder auszufolgen.

Abs. 2 übernimmt im Wesentlichen die Regelung über „Zufallsfunde“ aus dem gelten Recht (§ 144 StPO). Solche wären zwar sicherzustellen, jedoch wäre darüber ein besonderes Protokoll aufzunehmen und sofort der Staatsanwaltschaft zu berichten.

Gemäß Abs. 3 soll der von der Durchsuchung betroffenen Person eine Bestätigung über Ablauf und Ergebnis der Durchsuchung sowie gegebenenfalls der Beschluss des Gerichts über die Bewilligung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung zuzustellen bzw. auszufolgen sein. Rechtsbelehrung und Information über die ihm zustehende Beschwerdemöglichkeit wird dem Betroffenen schon im Zuge der jeweiligen Anordnung zu erteilen sein.

Zu § 123 („Körperliche Untersuchung“):

Der Begriff der „körperlichen Untersuchung“ nach § 117 Z 4 erfasst eine Form der Besichtigung des Körpers einer Person, deren Intimität die Maßstäbe des im täglichen Leben Üblichen weit überschreitet. [359]) Er soll daher nicht nur auf die Durchführung medizinischer Eingriffe beschränkt werden, sondern auch solche Handlungen erfassen, die bislang als „Personsdurchsuchung“ verstanden wurden und nur teilweise eine besondere gesetzliche Regelung erfahren haben. [360]) So genannte Mundhöhlenabstriche [361]) fallen als „Durchsuchung einer Körperöffnung“ grundsätzlich unter den Begriff „körperliche Untersuchung“ (§ 117 Z 4), ohne dass dies aus rechtspolitischer Sicht geboten wäre. Weiters ist es schon bisher als Mangel empfunden worden, dass die Abnahme einer Blutprobe zwar im verkehrsrechtlichen Zusammenhang zulässig, als strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme jedoch nicht geregelt ist. [362])

Angesichts der Rechtslage in Staaten mit vergleichbarer Rechtsordnung [363]) bekennt sich der Entwurf – unabhängig von hiefür erforderlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen [364]) – zur Schaffung einer besonderen Ermächtigung, die sich auf die Durchsuchung von Körperöffnungen, die Abnahme einer Blutprobe und andere Eingriffe in die körperliche Integrität bezieht (§ 117 Z 4). Diese Regelung kann sich auf die Rechtsprechung des EGMR stützen, [365]) wonach das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen (Art. 6 Abs. 1 EMRK), „gemeiniglich in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten der Konvention und sonst wo“ so verstanden wird, dass es sich nicht auf die Verwertung von Material erstreckt, das vom Beschuldigten durch den Einsatz von Zwangsbefugnissen erlangt werden kann, jedoch unabhängig vom Willen des Beschuldigten eigenständig existiert (das sind zB Schriftstücke, die gemäß einem Gerichtsbefehl erlangt wurden, Atemluft-, Blut-, Harn- und Gewebeproben). [366])

Nach Abs. 1 besteht der Zweck der körperlichen Untersuchung in der Sicherstellung von Spuren und Gegenständen sowie in der Feststellung von Tatsachen, die für die Aufklärung einer strafbaren Handlung oder für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit einer Person (§ 11 StGB) von maßgebender Bedeutung sind. Die Regelung unterscheidet bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht zwischen der körperlichen Untersuchung des Beschuldigten und anderer Personen, weil eine Differenzierung der materiellen Voraussetzungen einer Untersuchung nach der verfahrensrechtlichen Stellung der betroffenen Person nicht sachgerecht erscheint. [367])

Durch Abs. 2 soll die einzelfallbezogene Betrachtung auf jene Fälle erweitert werden, in denen die Gewinnung von Daten eines bestimmten, näher individualisierten Personenkreises zur Durchführung von Vergleichsuntersuchungen mit am Tatort oder sonst im eindeutigen Zusammenhang mit der aufzuklärenden Straftat aufgefundenen Spuren erforderlich erscheint. Der Verdacht bezieht sich in diesem Fall nicht auf eine bestimmte Person, sondern auf einen nach bisherigen Ermittlungsergebnissen – durch bestimmte, den mutmaßlichen Täter kennzeichnende Merkmale – eingeschränkten Personenkreis. Eine solche „Reihenuntersuchung“ soll jedoch nur zur Aufklärung einer strafbaren Handlung, die mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, oder eines Sexualverbrechens zulässig sein.

Im Abs. 3 werden die formellen Voraussetzungen einer körperlichen Untersuchung geregelt, wobei – im Unterschied zur Durchsuchung einer Person oder einer Wohnung – in jedem Fall eine gerichtliche Bewilligung erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft wird zwar ermächtigt, bei Gefahr im Verzug die Untersuchung anzuordnen, doch hat sie unverzüglich eine gerichtliche Bewilligung einzuholen. Wird diese nicht erteilt, so muss die Untersuchung abgebrochen werden; bereits erzielte Ergebnisse wären zu vernichten. [368])

Nach Abs. 4 soll jede körperliche Untersuchung, dh. auch eine solche, die „bloß“ eine Durchsuchung der Körperöffnungen umfasst und nicht mit einem weiteren Eingriff in die körperliche Integrität verbunden ist, einem Arzt übertragen werden, weil niemand verpflichtet sein soll, einen schwerwiegenden, subjektiv durchwegs als Erniedrigung aufzufassenden Eingriff in seine Intimsphäre durch ein Organ der Strafverfolgungsbehörden zu dulden. Eine hievon abweichende Regelung wird bloß in Bezug auf Mundhöhlenabstriche zur Erlangung des biologischen Materials für eine molekulargenetische Untersuchung vorgeschlagen. Mundhöhlenabstriche werden in der Regel subjektiv nicht als schwerwiegender Eingriff in die Intimsphäre empfunden, sind völlig schmerzlos und ohne gesundheitliches Risiko, weshalb aus rechtspolitischen Erwägungen und um Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen, auf strenge formale Voraussetzungen bei ihrer Abnahme verzichtet werden kann. Sie sollen durch die Kriminalpolizei von sich aus und außer durch einen Arzt auch durch einen besonders geschulten Beamten abgenommen werden können (Abs. 3 und 4, jeweils letzter Satz). In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine zwangsweise Durchsetzung eines Mundhöhlenabstrichs im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des anzuwendenden Zwangs kaum in Betracht kommen wird; im Falle der Weigerung des Betroffenen wäre das biologische Material in erster Linie durch „Ersatzvornahme“ (zB durch Abrieb im Bereich des Nackens oder der Stirne) zu gewinnen. [369])

Abs. 4 enthält zudem besondere Beschränkungen und Bindungen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgebots. Dabei soll auf Kritik an den Vorschlägen des DE eingegangen [370]) und die Durchsetzung von körperlichen Eingriffen mit Zwang nicht zugelassen werden. Abs. 4 geht davon aus, dass mit körperlichen Eingriffen in der Regel eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit verbunden ist und bindet solche daher an die Einwilligung des Betroffenen. Damit soll ein Konflikt mit dem vom Verfassungsgerichtshof judizierten Verbot des Zwangs zur Selbstbeschuldigung vermieden werden, demzufolge der Begriff des Geständnisses auch non-verbale selbstbelastende Handlungen erfasse, wobei es der Beurteilung einer Mitwirkungsverpflichtung nicht schade, dass die geständnisgleichen Ergebnisse mittelbar erzielt werden. [371]) Wesentlich ist allerdings, dass der Begriff „Eingriff in die körperliche Integrität“ durch Verbindung mit jenem der „Einwilligung“ (§§ 90, 110 StGB) nur solche Formen einer invasiven medizinischen Behandlung erfasst, die mit einer – wenn auch geringfügigen – Verletzung am Körper des Betroffen einhergehen. Ein körperlicher Eingriff liegt daher auch dann vor, wenn natürliche Körperbestandteile wie Blut, Liquor, Samen oder Harn entnommen, wenn dem Körper Stoffe zugeführt werden oder sonst in das haut- und muskelumschlossene Innere des Körpers eingegriffen wird. [372]) Der Begriff der körperlichen Untersuchung soll schließlich auch die im § 43 SMG beschriebene Untersuchung mit bildgebenden Verfahren erfassen, soweit der Betroffene dadurch radioaktiver Strahlung ausgesetzt wird.

Gesundheitliche Nachteile müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, weshalb operative Eingriffe im Sinne des § 51 Abs. 3 letzter Satz StGB von vornherein ausgeschlossen sind (vgl. das Begriffspaar „medizinische Behandlung“ und „operativer Eingriff“) und jedenfalls keine medizinische Behandlung angeordnet werden darf, die mit der Gefahr einer Gesundheitsschädigung von mehr als dreitägiger Dauer verbunden ist. [373]) „Bloße“ Durchsuchungen von Körperöffnungen sind aber nicht an die Einwilligung der betroffenen Person gebunden.

Nach Abs. 5 sollen die Bestimmungen der §§ 121 sowie 122 Abs. 1 letzter Satz und 3 bei der Vornahme einer körperlichen Untersuchung sinngemäß anzuwenden sein.

Zu § 124 („Molekulargenetische Untersuchung“):

Die rasante technische Entwicklung auf dem Gebiet der Humangenetik hat zu neuen, aussagekräftigen Untersuchungsmethoden geführt, die in der Öffentlichkeit unter den Schlagworten „DNA-Fingerprinting“ oder „genetischer Fingerabdruck“ bekannt sind. Die „DNA-Untersuchung“ hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem der effizientesten Hilfsmittel des medizinischen Sachbeweises entwickelt und dient im Strafverfahren der Identifizierung bzw. dem Ausschluss von Spurenverursachern und der Feststellung der Abstammung. Im Verhältnis zu herkömmlichen Untersuchungsmethoden kann eine Spur mit unvergleichbar höherer Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Person zugeordnet werden.

Der Entwurf versteht unter molekulargenetischer Untersuchung (§ 117 Z 5) „die Ermittlung der DNA einer Person“. Der Sache nach handelt es sich bei der Vornahme einer DNA-Untersuchung um einen zweistufigen Grundrechtseingriff. Zunächst werden – unter Umständen durch einen körperlichen Eingriff – Körperzellen als Testmaterial gewonnen. Auf der zweiten Stufe wird das gewonnene Material mit gen­analytischen Methoden untersucht. Da bei jeder strafprozessualen Maßnahme sicherzustellen ist, dass die Grenzen beachtet werden, in denen der Einsatz moderner Technik und naturwissenschaftlicher Neuerungen rechtsstaatlich unbedenklich ist, sollen für die strafprozessuale Nutzung dieser Methode klare Vorschriften geschaffen werden. [374]) Diese haben die Voraussetzungen und Beschränkungen, die sich für den Einzelnen aus der Durchführung einer solchen Untersuchung ergeben, festzuschreiben und den Umfang der Nutzung der gewonnenen Ergebnisse einzugrenzen, um den in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffenden, mit der Gentechnik ganz allgemein verbundenen Befürchtungen entgegenzuwirken.

Die vorgeschlagene Regelung des § 124 Abs. 1 bestimmt zunächst allgemein, dass es zur Aufklärung einer strafbaren Handlung zulässig ist, einerseits biologische Spuren und andererseits (biologisches) Material, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte, zu untersuchen. Als biologische Spur wären Körperteilchen zu behandeln, welche (zunächst) keiner bestimmten Person zugeordnet werden können, gleich wo sie aufgefunden werden (zB Blutspuren am Tatort oder Blutspuren am Opfer, die von einer anderen Person herstammen). Weiters wird festgelegt, dass diese Untersuchung dem Zweck zu dienen hat, die Spur einer bestimmten Person zuzuordnen oder die Identität einer Person oder deren Abstammung festzustellen. Darüber hinaus lässt Abs. 1 ausdrücklich zu, Ergebnisse, die auf Grundlage der Strafprozessordnung zu Stande gekommen sind, mit solchen, die nach dem Sicherheitspolizeigesetz rechtmäßig ermittelt wurden, abzugleichen. Damit soll das (prozessuale) Anschlussstück zur Regelung des § 67 SPG („DNA-Untersuchungen“) geschaffen werden, auf deren Grundlage bereits eine DNA-Datenbank besteht. Die Bestimmung stellt auf „Spuren“ ab und ist damit sowohl auf aufgefundenes Material als auch auf solche Spuren anzuwenden, die durch Durchsuchung einer Person oder körperliche Untersuchung gewonnen wurden; solches durch Anwendung prozessualer Zwangsmaßnahmen erlangtes Material unterliegt jedoch nach Abs. 4 einer besonderen Verwendungsbeschränkung. Hat die Untersuchung ein Ergebnis erbracht, welches den Betroffenen als Spurenverursacher ausschließt, so ist es zu vernichten; es darf nicht weiter verarbeitet werden (siehe auch § 75 Abs. 4). Soweit allerdings gleichzeitig – und unabhängig von den hier in Rede stehenden Voraussetzungen – sicherheitspolizeiliche Vorschriften bestehen, die im konkreten Fall eine derartige Untersuchung gebieten oder zulassen (Abs. 5), kommt dieses Vernichtungsgebot nicht zum Tragen.

Aus dem strafprozessualen Verwendungszweck ergibt sich im Übrigen, dass weiterführende Untersuchungen, etwa zu wissenschaftlichen Forschungszwecken oder zu einer über den Aufklärungszweck hinausgehenden Untersuchung im Hinblick auf das Erbmaterial und dadurch bedingte Krankheitsverläufe, unzulässig sind bzw. nur bei Vorliegen der hiefür geltenden Bestimmungen des Gentechnikgesetzes vorgenommen werden dürfen. [375])

In formeller Hinsicht bedarf die Durchführung einer molekulargenetischen Untersuchung von Material, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte (darunter fiele zB auch die Untersuchung von Haaren, die aus einer Bürste stammen, welche von bestimmten Personen benützt wird) nach Abs. 2 einer Anordnung der Staatsanwaltschaft und einer Bewilligung des Gerichts. Die molekulargenetische Untersuchung biologischer Tatortspuren (die zB im Rahmen kriminalpolizeilicher Tatortarbeit sichergestellt werden) soll die Kriminalpolizei hingegen von sich aus zu veranlassen berechtigt sein. Soll biologisches Material, das von einer Leiche stammt, molekulargenetisch untersucht werden, so wäre dieser Fall der Untersuchung von Material, das einer bestimmten Person zugehört, gleichzuhalten.

Mit der Durchführung der Untersuchung wäre gemäß Abs. 3 ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der Gerichtlichen Medizin zu beauftragen, dem das Untersuchungsmaterial ohne zuordenbare Verbindung zu bestimmten personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen ist.

2.8.3. Zum 3. Abschnitt („Sachverständige und Dolmetscher, Leichenbeschau und Obduktion“):

Zu § 125 („Definitionen“):

In dieser Bestimmung werden die für diesen Abschnitt konstitutiven Begriffe erklärt, wobei sowohl für „Sachverständige“ als auch für „Dolmetscher“ im Hinblick auf ihre Aufgabe im Verfahren nicht die Eintragung in eine Sachverständigenliste (§ 2 in Verbindung mit § 14 SDG) maßgeblich sein soll, sondern ihre besonderen Fähigkeiten bzw. Kenntnisse zur Befund- und Gutachtenserstattung bzw. zur Übersetzung von Sprachen.

Der Begriff der „Obduktion“ entspricht im Wesentlichen dem Sinn nach der überkommenen Begriffsbildung nach § 127 StPO bzw. den Bestimmungen der „Verordnung der Ministerien des Innern und der Justiz vom 28. Jänner 1855, giltig für alle Kronländer, mit Ausnahme der Militärgränze, womit die Vorschrift für die Vornahme der gerichtlichen Todtenbeschau erlassen wird“, RGBl. Nr. 26/1855. [376]) Davon ist die Besichtigung der äußeren Beschaffenheit einer Leiche („Leichenbeschau“) zu unterscheiden.

Zu den §§ 126 und 127 („Sachverständiger und Dolmetscher“):

Die Bestimmungen über die Beiziehung von Sachverständigen und Dolmetschern stehen im engen Zusammenhang mit der neuen Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und mit deren Leitungsbefugnis. In konsequenter Ausführung ihrer Kompetenzen im Ermittlungsverfahren soll die Staatsanwaltschaftin Anlehnung an die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland [377]) – im Ermittlungsverfahren ermächtigt werden, zur Unterstützung der in ihrer (Mit-)Verantwortung zu führenden Ermittlungen auch Sachverständige und Dolmetscher beizuziehen.

Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Voreingenommenheit eines durch eine Strafverfolgungsbehörde bestellten Sachverständigen erscheinen unbegründet. Der Sachverständige soll seine Unabhängigkeit und Unbefangenheit grundsätzlich durch seine Persönlichkeit und seine fachliche Kompetenz und nicht bloß auf Grund eines äußeren Bestellungsvorganges dokumentieren. Hinzu kommt, dass eine gerichtliche Zuständigkeit für Bestellung und Auswahl eines Sachverständigen im Vorverfahren mangels verfahrensleitender Kompetenz des Gerichts wenig zweckmäßig und tendenziell verfahrensverzögernd erschiene. [378]) Schließlich sollen die Beteiligten des Verfahrens nach § 126 Abs. 3 an der Auswahl der Person des Sachverständigen teilhaben, wobei Abs. 2 dieser Bestimmung daran festhält, dass vor allem Personen zu bestellen sind, die in eine Sachverständigenliste eingetragen sind und schon aus diesem Grund über die erforderliche Professionalität, Fachkenntnis und Objektivität verfügen. [379]) Würde den Einwänden des Beschuldigten oder des Privatbeteiligten (Abs. 3) gegen die Person des Sachverständigen keine Folge gegeben, so stünde den Betroffenen der Rechtsbehelf des Einspruchs wegen Rechtsverletzung zu (§ 106 Abs. 1 Z 1).

Sachverständige haben im Ermittlungsverfahren die Aufgabe, der Staatsanwaltschaft (oder dem Gericht, falls dieses zur kontradiktorischen Beweisaufnahme berufen ist) das erforderliche fachliche Wissen zu vermitteln, um beweiserhebliche Tatsachen feststellen oder würdigen zu können. Nach § 126 Abs. 1 soll ein Sachverständiger daher für die Befund- oder Beweisaufnahme bestellt werden, wenn weder Staatsanwaltschaft noch Kriminalpolizei (deren kriminaltechnischen Zentral- und Untersuchungsanstalten über einen ständig erweiterten Kenntnisstand unter anderem in den Bereichen Geld- und Urkundenfälschung, Brandlegung, Sprengstoffe, Suchtmitteluntersuchungen verfügen) die erforderlichen Kenntnisse haben. Diesem Sachverständigen soll nach § 127 Abs. 2 obliegen, der Staatsanwaltschaft und den Beteiligten des Verfahrens Gelegenheit zu geben, sich an der Befundaufnahme zu beteiligen und unmittelbar durchzuführende tatsächliche Aufklärungen zu verlangen. Es versteht sich von selbst, dass diese Beteiligungsmöglichkeit in manchen Fällen bereits auf Grund der räumlichen Gegebenheiten bzw. der Art der Befundaufnahme (zB bei Laboruntersuchungen) faktisch nicht möglich ist. Darüber hinaus hätte eine Beteiligung auch dann zu unterbleiben, wenn sie die Aufnahme des Befunds oder berechtigte Interessen beteiligter und unbeteiligter Personen gefährden könnte (zB durch die Gefahr von Atemwegserkrankungen bei der Untersuchung von Brandursachen oder durch die Verletzung der Intimsphäre einer Person).

§ 126 Abs. 4 dient der Sicherung objektiver Befundaufnahme und Gutachtenserstellung und verweist dem gemäß auf die Befangenheitsgründe des § 47 Abs. 1. Das Gericht soll sich in der Hauptverhandlung auf das im Ermittlungsverfahren abgegebene Gutachten stützen und den gleichen Sachverständigen heranziehen können; es bleibt jedoch seiner Beurteilung überlassen, ob es auf diese Weise verfährt oder einen anderen (weiteren) Sachverständigen bestellt. Der Umstand allein, dass der Sachverständige oder Dolmetscher bereits im Ermittlungsverfahren tätig waren, soll seine Unbefangenheit und Sachkunde nicht in Zweifel ziehen lassen; bloß auf diesen Umstand gestützte Ablehnungsanträge wären daher als unzulässig zurückzuweisen. [380])

§ 127 enthält im Übrigen die näheren Vorschriften über die Rechte und Pflichten von Sachverständigen und Dolmetschern, die grundsätzlich dem geltenden Recht entsprechen. Die Bestimmungen des Gebührenanspruchsgesetzes 1975 werden allerdings der vorgeschlagenen Lösung anzupassen sein, weil dessen § 1 bestimmt, dass Zeugen, Sachverständige, Dolmetscher, Geschworene und Schöffen für ihre Tätigkeit (bloß) im gerichtlichen Verfahren Anspruch auf Gebühr nach diesem Bundesgesetz haben. In diesem Sinne gehen auch die §§ 38 ff GebAG davon aus, dass die Gebühr des Sachverständigen von dem Gericht zu bestimmen ist, vor dem die Beweisaufnahme stattgefunden hat oder stattfinden sollte. Die Staatsanwaltschaft sollte jedoch grundsätzlich auch für die Bemessung der Gebühr zuständig sein, weshalb eine gerichtliche Zuständigkeit bloß für den Fall von Einwendungen der Beteiligten gegen den Gebührenanspruch vorzusehen wäre.

Durch § 127 Abs. 5 soll im Sinne des Beschleunigungsgebots (Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 9) die Möglichkeit eingeführt werden, einen säumigen oder nachlässigen Sachverständigen oder Dolmetscher zu entheben und im Falle seines Verschuldens durch das Gericht mit Geldstrafe zu sanktionieren. Das Gebührenanspruchsgesetz (§ 25 Abs. 3) sieht überdies vor, dass dem Sachverständigen die Gebühr für Mühewaltung nach richterlichem Ermessen um bis zu einem Viertel gemindert werden kann, wenn er aus eigenem Verschulden seine Tätigkeit nicht innerhalb der vom Gericht festgelegten Frist erbracht oder sein Gutachten so mangelhaft abgefasst hat, dass es nur deshalb einer Erörterung bedarf.

Zu § 128 („Leichenbeschau und Obduktion“):

Im gegebenen Regelungszusammenhang sollen auch die Voraussetzungen für – regelmäßig durch Sachverständige vorgenommene – Leichenöffnungen aufgenommen werden, weil eine solche Maßnahme zur Rechtfertigung für den mit ihr verbundenen Eingriff in die Totenruhe (vgl. § 190 StGB) einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf. [381]) Leichenbeschau und Leichenöffnung sollen vor der Beerdigung eines Verstorbenen bei jedem unnatürlichen Todesfall vorzunehmen sein, wenn nicht schon aus den Umständen mit Gewissheit hervorgeht, dass der Tod durch keine strafbare Handlung, sondern durch Unfall oder Selbsttötung herbeigeführt wurde. Ist die Leiche bereits beerdigt, so soll sie zu diesem Zweck exhumiert werden, vorausgesetzt, dass nach den Umständen noch ein erhebliches Ergebnis erwartet werden kann.

§ 128 unterscheidet zwischen der Obduktion (Abs. 2, zur Definition siehe § 125 Z 4), die von der Staatsanwaltschaft anzuordnen ist, wenn der Verdacht besteht, dass eine strafbare Handlung Todesursache war und der – ihr vorangehenden – Leichenbeschau (Abs. 1), die von kriminalpolizeilichen Organen durchgeführt werden kann und in der Regel bloß in einer Besichtigung der äußeren Beschaffenheit einer Leiche besteht. Nach Abs. 1 ist eine solche Leichenbeschau – erforderlichenfalls unter Beiziehung eines Arztes – immer dann vorzunehmen, wenn eine natürliche Todesursache nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden kann. [382]) Im Wesentlichen werden daher die Bestimmungen der §§ 127 ff StPO ihrem Inhalt nach unverändert in das neue Recht übernommen. Sollen einer Leiche Teile entnommen werden, reicht der Eingriff aber nicht an die „Öffnung“ der Leiche heran (zB Blutabnahmen, Ausreißen von Haaren), so wäre dies – als einer Obduktion ähnlicher, im Verhältnis zu dieser jedoch minderer Eingriff – unter denselben Voraussetzungen, also auf Anordnung der Staatsanwaltschaft zulässig.

Über die Leichenbeschau soll die Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft Anlassbericht erstatten. Weiters hätte die Kriminalpolizei – möglichst im Einvernehmen mit den Angehörigen des Verstorbenen – dafür Sorge zu tragen, dass die Leiche für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft eine Obduktion anordnet, zur Verfügung steht.

Abs. 3 gestattet die Exhumierung einer Leiche auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft, wenn nach der Beerdigung Anhaltspunkte dafür entstehen, dass eine Obduktion zur Klärung einer strafbaren Handlung beitragen kann.

2.8.4. Zum 4. Abschnitt („Observation, verdeckte Ermittlung und Scheingeschäft“):

In diesem Abschnitt soll ein einheitliches Recht der „heimlichen“ Informationseingriffe und des verdeckten Vorgehens von Strafverfolgungsorganen geschaffen werden. Dabei ist vor allem in Anbetracht internationaler Rechtsentwicklung eine gewisse Faktizität geschaffen worden, welche Ausnahmen vom Grundsatz des „offenen Auftretens“ staatlicher Organe im Rahmen der Aufklärung strafbarer Handlungen unumgänglich erfordert. [383])

Zu § 129 („Definitionen“):

In dieser Bestimmung werden die für diesen Abschnitt wesentlichen Begriffe der „Observation“ (Z 1), der „verdeckten Ermittlung“ (Z 2) und des „Scheingeschäfts“ (Z 3) definiert; diese Definitionen sind der jeweiligen Regelung zu Grunde zu legen; sie werden im Zusammenhang mit den einzelnen Ermittlungsmaßnahmen erläutert werden.

Zu § 130 („Observation“):

Unter (einfacher) Observation (im weiteren Sinne) ist eine zeitlich beschränkte, vorübergehende, unauffällige Beobachtung von Tatverdächtigen, Bezugspersonen oder Objekten zu verstehen; als Befugnis zur heimlichen Datenermittlung bedarf sie einer gesetzlichen Regelung (Art. 8 EMRK). Eine solche einfache Observation soll nach Abs. 1 als „alltägliche“ Ermittlungsarbeit immer dann zulässig sein, wenn sie zur Aufklärung einer strafbaren Handlung oder zur Ausforschung des Aufenthalts eines flüchtigen Beschuldigten erforderlich erscheint.

Davon ist eine planmäßige, langfristige Beobachtung einer Person [384]), die umfassenden Einblick in deren Lebensverhältnisse gewähren soll, zu unterscheiden, wobei neben die Heimlichkeit der Überwachung als maßgebliches Kriterium ein Überwachungszeitraum von mehr als 48 Stunden oder der Umstand treten soll, dass im Rahmen der Observation die Staatsgrenze überschritten wird oder werden soll. [385])

Eine solche längerfristige Observation ist nach den Erfahrungen der Praxis in vielen Bereichen mittlerer und schwerer Kriminalität unverzichtbar, zumal sich das Täterverhalten – vorwiegend im Bereich serienmäßig begangener Delikte – in den letzten Jahren so verändert hat, dass Aufklärungserfolge mit herkömmlichen, einfachen Ermittlungsmethoden vielfach nicht mehr zu erzielen sind. Die planmäßige Über­wachung hat in allen Bereichen der Strafverfolgung große Bedeutung gewonnen und soll daher als Ermittlungsmaßnahme zur Gewinnung von Beweismitteln eingesetzt werden können. [386])

Zur Abgrenzung vom minder schweren Bereich der Kriminalität soll nach Abs. 2 an die Voraussetzung der Anordnung einer Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§ 149a Abs. 1 Z 2 StPO) angeknüpft und die heimliche Überwachung von solchen Personen für zulässig erklärt werden, die selbst der Tat verdächtig sind oder von denen anzunehmen ist, dass sie mit dem Beschuldigten – wenn auch bloß mittelbar – Kontakt herstellen werden. Somit soll beispielsweise auch die Observation einer Freundin oder der Ehegattin des Beschuldigten möglich sein, sofern entsprechender Anlass zur Annahme vorliegt, dass ein Treffen der jeweiligen Personen letztlich zur Ausforschung des Beschuldigten führen werde. In Anlehnung an § 414a in Verbindung mit § 149a Abs. 1 Z 2 StPO soll dies auch zulässig sein, um den Aufenthalt eines flüchtigen oder abwesenden Beschuldigten ermitteln zu können.

Die formellen Voraussetzungen und näheren Vorschriften über die Durchführung einer Observation sind in den „Gemeinsamen Bestimmungen“ des § 133 enthalten.

Zu § 131 („Verdeckte Ermittlung“):

Die Durchführung verdeckter Ermittlungen (siehe § 129 Z 2), sei es durch kriminalpolizeiliche Organe, die sich nicht als solche zu erkennen geben, sei es durch deren „Vertrauenspersonen“, wird im Bereich schwerer und organisierter Kriminalität als für eine funktionstüchtige Strafverfolgung unverzichtbar angesehen. [387]) Diese Realität soll anerkannt und in einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage umschrieben werden, die auch die erforderlichen verfahrensrechtlichen Absicherungen (§ 133) enthält und auf diese Weise für einen Ausgleich zwischen den Interessen effektiver Strafrechtspflege und den Individualrechten der hievon Betroffenen sorgt.

Während die einschlägigen strafprozessualen Regelungen nach deutschem Recht nur Beamte des Polizeidienstes erfassen, die unter einer Legende ermitteln, wobei der Ermittlungsauftrag über einige wenige, konkret bestimmte Ermittlungshandlungen hinausgehen muss, sodass eine unbestimmte Vielzahl von Per­sonen über die wahre Identität des verdeckt ermittelnden Polizeibeamten getäuscht werden, liegt der Definition des § 129 Z 2 ein weiteres Begriffsverständnis zu Grunde. [388]) Es stellt bloß allgemein darauf ab, dass die amtliche Stellung oder der amtliche Auftrag der eingesetzten Organe oder so genannten V-Leute nicht erkennbar wird. Daher sind auch solche Organe der Kriminalpolizei verdeckte Ermittler, die nur gelegentlich – ohne Legende – verdeckt auftreten; Gleiches gilt für so genannte V-Leute der Kriminal­polizei, auch sie haben sich der prozessualen Zweckbestimmung und ihrer Begrenzung zu unterwerfen.

Neben den grundrechtlichen Anforderungen an eine Rechtsgrundlage, die den Einsatz verdeckter Ermittlungen zulässt [389]), muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass verdeckte Ermittlungen, sofern sie über einfache Standardmaßnahmen hinausgehen, für die mit ihrer Durchführung beauftragten Beamten oder „Vertrauenspersonen“ mit hohen Belastungen und Risken verbunden sind. [390]) Neben erheblicher organisatorischer und finanzieller Vorkehrungen bedarf es daher strenger prozessualer Absicherungen, die gewährleisten, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungen nur dann angeordnet wird, wenn zur Aufklärung keine anderen (gelinderen und weniger riskanten) Erfolg versprechenden Mittel zu Gebote stehen (Prinzip der „ultima ratio“).

Während die „einfache“ verdeckte Ermittlung – dh. eine solche, die sich von üblichen Ermittlungen bloß darin unterscheidet, dass der amtliche Zweck nicht offen gelegt wird – nach Abs. 1 bereits dann zulässig sein soll, wenn sie erforderlich ist, um eine strafbare Handlung aufzuklären, soll die Anordnung längerfristiger, systematischer verdeckter Ermittlungen gemäß Abs. 2 nur zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung oder die Aufklärung oder Verhinderung einer im Rahmen von kriminellen Organisationen und terroristischen Vereinigungen nach §§ 278 bis 278b geplanten strafbaren Handlung und nur dann zulässig sein, wenn der Nachweis der Tatbegehung oder die Verhinderung auf andere Weise wesentlich erschwert wäre. Im Umfang des Ermittlungsauftrages soll es darüber hinaus nach Abs. 2 zulässig sein, falsche Urkunden über die Identität von verdeckten Ermittlern herzustellen und im Rechtsverkehr zu gebrauchen. [391])

Im Abs. 3 wird die Führungs- und Überwachungsaufgabe der Kriminalpolizei hervorgehoben, weil der Einsatz von verdeckten Ermittlern wegen deren engen Kontakts zu Straftätern und ihres Tätigwerdens in strafrechtlich relevantem Milieu nicht unbedenklich und sogar gefährlich erscheint. [392]) Im Übrigen ist selbstverständlich, dass verdeckten Ermittlern und V-Leuten die Begehung strafbarer Handlungen untersagt ist, und zwar auch dann, wenn eine solche zur Aufrechterhaltung der „Legende“ erforderlich wäre. Dadurch ist insbesondere das Ablegen einer „Keuschheitsprobe“ und das Lizitieren des „Eintrittspreises“ in kriminelle Organisationen ausgeschlossen. Der Rechtsstaat kann es auch um den Preis der „Waffengleichheit“ mit verbrecherischen Organisationen nicht in Kauf nehmen, dass sich Organe der Kriminalpolizei oder in deren Auftrag eingesetzte Private als Informanten kriminell verhalten. Mit dieser sich aus den allgemeinen Strafgesetzen ergebenden „Beschränkung“ wird schließlich auch die Gefahr der Assimilation der eingesetzten Organe und Privatpersonen an das kriminelle Umfeld begrenzt.

Anders als noch im DE vorgesehen soll in der Bestimmung über die verdeckte Ermittlung selbst keine Regelung der Verwertung der Ergebnisse verdeckter Ermittlungen aufgenommen werden. [393]) Eine scharfe Unterscheidung zwischen „Information“ und „Beweis“ überzeugt in diesem Fall deshalb nicht, weil es kaum einzusehen wäre, warum Ergebnisse einer zulässigen Ermittlungsmaßnahme zwar gemäß § 245 Abs. 1 StPO „vorgehalten“, nicht jedoch gemäß § 252 StPO verlesen werden sollten. Die Konsequenz der strafprozessualen Ermächtigungsnorm zur Durchführung verdeckter Ermittlungen besteht eben darin, dass durch sie erzielte Ergebnisse grundsätzlich auch in der Hauptverhandlung als Beweis verwertet werden können sollen. Es wäre widersprüchlich und dogmatisch nicht begründbar, einerseits verdeckte Ermittlungen zuzulassen, andererseits für die auf diesem Weg erzielten Aussagen ein – wenn auch eingeschränktes – Verwertungsverbot aufzustellen. [394])

Hingegen soll durch Abs. 5 die maßgebliche Judikatur des EGMR berücksichtigt werden. Danach schließt es die EMRK zwar nicht aus, im Ermittlungsstadium eines Strafverfahrens auf Quellen wie anonyme Informanten zurückzugreifen, wenn die Art der strafbaren Handlung dies rechtfertigt. Die nachfolgende Verwertung von solcherart gewonnenen Informationen durch das erkennende Gericht zur Begründung eines Schuldspruches ist jedoch von weiteren Kriterien abhängig zu machen. Es wird daher verlangt, dass im Rahmen der Beweiswürdigung Aussagen von verdeckten Ermittlern und Informanten in besonderer Weise und kritisch gewürdigt werden; einer indirekten oder anonymen Aussage darf im Rahmen der Beweiswürdigung nur sehr geringes Gewicht beigemessen werden. [395])

Ferner geht es bei der Frage der Verwertung von Aussagen des Beschuldigten, die durch verdeckte Ermittlung erzielt wurden, auch darum, inwieweit dadurch eine der hervorstechenden Besonderheiten des Strafverfahrens, nämlich, dass dem Beschuldigten keinerlei Mitwirkungspflichten auferlegt werden, umgangen wird. [396]) Mit dem Bundesgerichtshof geht der Entwurf freilich davon aus, dass verdeckte Ermittlungen nicht in die Selbsbelastungsfreiheit eingreifen, weil von einem verbotenen Zwang gegenüber dem Beschuldigten, gegen sich auszusagen, keine Rede sein kann; die Freiheit von Irrtum fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes. Es scheidet aber auch eine Umgehung der Belehrungsvorschriften (§§ 164, 166 Z 2) aus, weil deren Sinn darin liegt, den Beschuldigten vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht zu bewahren. Diese Ratio ist nicht verletzt, wenn der Tatverdächtige in ein scheinbar privates Gespräch verwickelt wird, in dessen Verlauf er sich gegebenenfalls selbst belastet. Dennoch führt die Abwägung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens mit der Pflicht zur effektiven Strafverfolgung zu dem Ergebnis [397]), dass eine verdeckte Ermittlung nur dann zulässig ist und ihre Ergebnisse nur dann als Beweis verwertet werden können, wenn es sich um den Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und der Einsatz anderer Ermittlungsmaßnahmen erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre (vgl. Abs. 1). Das „Verlocken“ zu einem Geständnis (§ 5 Abs. 3, § 25 StPO) ist in jedem Fall unstatthaft. [398])

In Abs. 4 soll schließlich ausdrücklich angeordnet werden, dass Wohnungen nur im Einverständnis mit dem Inhaber betreten werden dürfen, wobei dieses nicht durch eine über die Verwendung einer falschen Identität hinaus gehende Täuschung „erschlichen“ werden darf. [399]) Demnach wäre es dem verdeckten Ermittler verwehrt, Einlass in die Wohnung zu erzielen, indem er vortäuscht, über eine (formale) gesetzliche Berechtigung zum Eintritt– wie sie zB Angehörigen der Feuerwehr zukommt – zu verfügen.

Zu § 132 („Scheingeschäft“):

Der vielfach – vor allem im Bereich der Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität – übliche Einsatz so genannter „Scheinkäufer“ geht von der derzeitigen Rechtspraxis aus: der Scheinkäufer, der beim „Geschäftspartner“ keinen Kaufentschluss erweckt, sondern bei einem bereits strafrechtswidrig Tätigen oder zumindest zur Tat Entschlossenen (lediglich) den Eindruck erweckt, (illegaler) Kaufinteressent zu sein, tritt weder als Anstifter einer strafbaren Handlung auf noch begeht er – schon mangels tatbestandsmäßigen Vorsatzes – eine solche. [400]) Sein Vorhaben geht vielmehr dahin, eine strafbare Handlung zu verhindern und die tatbestandsmäßigen Gegenstände sicherzustellen, um die von ihnen ausgehende Gefahr auszuschalten.

In Weiterentwicklung dieser Ansicht soll die Bestimmung eine strafprozessuale Grundlage dafür schaffen, , den Einsatz von Scheinkäufern zu gestatten, wenn ein bereits bestehender Verdacht schwerwiegenden strafbaren Verhaltens verifiziert werden soll.

Das Ziel dieser Regelung besteht darin, die Rechtmäßigkeit des Einsatzes so genannter Lockspitzel an den Regelungen der Strafprozessordnung zu messen und anzuerkennen, dass es sich bei der Durchführung eines Scheingeschäfts, mithin einer (polizeilich) kontrollierten Straftat, um eine Maßnahme handeln kann, die nicht mehr nur der Gefahrenabwehr dient, sondern die darauf gerichtet ist, potenzielle Straftäter bei einer Straftat zu ergreifen und der Strafverfolgung zuzuführen, dies allerdings nicht zuletzt deswegen, um damit auch generalpräventive Wirkung zu erzielen. [401])

Während der DE sogar die gezielte Tatprovokation gestattete [402]), begrenzt die Regierungsvorlage wie schon der Entwurf die Durchführung eines Scheingeschäftes auf „den Versuch oder die Ausführung äußerlich strafbarer Handlungen, soweit diese im Erwerben, Ansichbringen, Besitzen, Ein-, Aus- oder Durchführen von Gegenständen oder Vermögenswerten bestehen, die entfremdet wurden, aus einem Verbrechen herrühren oder der Begehung eines solchen gewidmet sind, oder deren Besitz absolut verboten ist“ (siehe § 129 Z 3). [403]) Damit wird auch an dieser Stelle wieder an die Judikatur des EGMR angeknüpft, nach der der Einsatz eines Lockspitzels oder die Herbeiführung einer Situation, die einem Verdächtigen die Gelegenheit geben soll, eine Straftat zu begehen, an sich noch nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt. [404]) Eine mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren unvereinbare Tatprovokation wäre tatbestandlich erst dann gegeben, wenn die Vertrauensperson über das bloße „Mitmachen“ hinaus zur Weckung der Tatbereitschaft oder zur Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkte. [405]) Nach diesem Maßstab liegt eine prozessual unzulässige Tatprovokation noch nicht vor, wenn ein verdeckter Ermittler eine zur Tat geneigte Person bloß darauf anspricht, ob sie etwa Suchtmittel beschaffen könne. Ebenso läge keine Provokation vor, wenn der verdeckte Ermittler nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnützte.

Der Abschluss eines Scheingeschäftes soll nur angeordnet werden dürfen, wenn im Zusammenhang mit einem Verbrechen der Nachweis der Tatbegehung oder die Sicherstellung von bestimmten Gegenständen und Vermögenswerten auf andere Weise wesentlich erschwert wäre. Diese Gegenstände müssen Objekt einer strafbaren Handlung gewesen sein, soweit ihr Besitz nicht überhaupt allgemein verboten ist (zB Waffen, Suchtmittel, kinderpornographisches Material). Die Durchführung des Scheingeschäftes bedarf daher in materieller Hinsicht eines begründeten Anlasses, in formeller Hinsicht (nach § 133 Abs. 1) einer Anordnung bzw. Genehmigung (§ 99 Abs. 2) der Staatsanwaltschaft.

Zu § 133 („Gemeinsame Bestimmungen“):

In dieser Bestimmung werden die verfahrensrechtlichen Vorschriften über Anordnung, Genehmigung und Durchführung von Observation, verdeckter Ermittlung und Abschluss eines Scheingeschäfts zusammengefasst.

Abs. 1 regelt die Anordnungskompetenz und legt fest, dass Maßnahmen, die über eine „einfache“ Observation oder verdeckte Ermittlung (§§ 130 Abs. 1 und 131 Abs. 1) hinausgehen, grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen sind. Im Sinne des Grundsatzes der Kooperation versteht es sich jedoch von selbst, dass die maßgebliche Initiative in der Regel von der Kriminalpolizei auszugehen hat, weil nur sie die damit verbundenen Belastungen und Gefährdungen einigermaßen verlässlich abschätzen kann. Da sich die Notwendigkeit einer sofortigen Anordnung und Durchführung der aufgezählten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen unmittelbar nach Begehung bzw. Entdeckung einer Straftat und insbesondere auch aus dem Verlauf eines konkreten, möglicherweise zunächst auf § 54 SPG gestützten präventiven Einsatzes heraus ergeben kann, sollen diese Maßnahmen bei „Gefahr im Verzug“ auch durch die Kriminalpolizei angeordnet und durchgeführt werden können (§ 99 Abs. 2). In einem solchen Fall hat die Kriminalpolizei jedoch unverzüglich die nachträgliche Genehmigung der Staatsanwaltschaft einzuholen. Wird diese nicht erteilt, so wäre die Ermittlungsmaßnahme sofort einzustellen und gegebenenfalls erzielte Ergebnisse müssten vernichtet werden.

Die Abs. 2 bis 4 enthalten die erforderlichen verfahrensrechtlichen Bestimmungen; diese sind hinsichtlich der Befristung der Anordnung, ihrer Beendigung und der Zustellung an die Betroffenen grundsätzlich nach dem Vorbild der §§ 149e Abs. 4 und 5 sowie 149f Abs. 2 und 3 StPO ausgestaltet; verdeckte Ermittlungen sind allerdings mit drei Monaten befristet.

Den von der Durchführung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen betroffenen Personen steht wiederum das Recht des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs. 1 Z 2 zu. Daher sollen ihnen, sofern ihre Identität bekannt oder ohne besonderen Verfahrensaufwand feststellbar ist, die entsprechenden Anordnungen und Genehmigungen der Staatsanwaltschaft zuzustellen sein (Abs. 4). Betroffener im Sinne dieser Bestimmung ist jede Person, die von der Anordnung oder Durchführung der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen in ihren Rechten unmittelbar berührt wird (§ 48 Abs. 1 Z 3). Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei trifft im Fall einer stattgebenden Entscheidung des Gerichts die Verpflichtung, den entsprechenden Rechtszustand mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln herzustellen (§ 107 Abs. 4).

2.8.5. Zum 5. Abschnitt („Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten sowie Überwachung von Nachrichten und von Personen“):

Der Begutachtungsentwurf unterscheidet zwischen der „Überwachung von Nachrichten“ – unabhängig von der Art und Weise der Übermittlung und des Trägermediums – und der „optischen und akustischen Überwachung von Personen“ im Sinne des mit dem Bundesgesetz über besondere Ermittlungsmaßnahmen, BGBl. I Nr. 105/1997, eingeführten Begriffsverständnisses. [406])

Mittlerweile ist jedoch die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet moderner Kommunikationsmittel und der Möglichkeiten ihrer Überwachung durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2001 [407]), das Bundesgesetz, mit dem bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs geregelt werden (E-Commerce-Gesetz – ECG) [408]) und die auf Grund des § 89 TKG erlassene Überwachungsverordnung [409]) sprunghaft vorangeschritten. Die Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetz 2002 sieht darüber hinaus zum einen eine Anpassung der Bestimmungen der Strafprozessordnung zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§§ 149a ff. StPO) an die Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes und der Überwachungsverordnung, zum anderen eine ausdrückliche Regelung der Zulässigkeit der so genannten „äußeren Rufdatenauswertung“ und der „Standortfeststellung“ vor. Schließlich ergibt sich auch die Notwendigkeit der Umsetzung der am 23. November 2001 von Österreich unterzeichneten Cyber-Crime-Konvention des Europarats [410]), die in ihrem prozessualen Teil ua. Bestimmungen über die Sicherung und Weitergabe von Verbindungsdaten (Art. 17), die Echtzeiterhebung von Verbindungsdaten der mittels eines Computersystems übertragenen Kommunikation (Art. 20) und die Überwachung inhaltsbezogener Daten bestimmter Kommunikation, die mit einem Computersystem übertragen wird (Art. 21), enthält. Auch in Deutschland und in der Schweiz sind die Bestimmungen über die Überwachung der Kommunikation und über die Erhebung damit zusammen hängender Daten wegen der technischen Fortentwicklung auf dem Gebiet der Kommunikation einer Revision unterzogen worden. [411])

Diese Entwicklung erfordert – auch im Hinblick auf die Kritik an den Bestimmungen über die Überwachung von Nachrichten nach den §§ 138 und 139 des Begutachtungsentwurfs [412]) – eine grundlegende Überarbeitung der Bestimmungen des 5. Abschnittes des 8. Hauptstückes. Dabei ist davon auszugehen, dass die Bestimmungen über die Überwachung einer Telekommunikation wegen der vielfältigen Abänderungen in den letzten Jahren an der Grenze ihrer Überblickbarkeit angelangt sind und im Grunde genommen in ihrer Struktur noch immer von ortsfesten Telefonanschlüssen ausgehen. Eine Erweiterung ihres Anwendungsbereiches auf die Bestimmungen der Cyber-Crime-Convention des Europarats erweist sich daher nicht als zielführend. Die Regierungsvorlage strukturiert daher die Bestimmungen über die Überwachung von Kommunikation im weiteren Sinne völlig neu. Dabei soll im Wesentlichen von einem technologieunabhängigen Ansatz ausgegangen werden, um sämtliche Formen moderner Kommunikation, die sich nur zum Teil als Telekommunikation darstellen, erfassen zu können.

Zu § 134 („Definitionen“):

Am Verständnis der Beschlagnahme von Briefen (auf dem Postweg) nach geltendem Recht (§§ 146 ff StPO) soll – auf Grund erhobener Kritik vor allem aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf Art. 10 StGG – grundsätzlich festgehalten werden (Z 1).

Als „Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten“ sollen jene Anordnungen definiert werden, durch die Diensteanbieter verpflichtet werden können, bestimmte Daten im Zusammenhang mit einer Kommunikation (so genannte Verkehrsdaten) oder losgelöst von dieser (Standortfeststellung) [413]) den Strafverfolgungsbehörden bekannt zu geben (Z 2). Die Definition erfasst im Bereich der Telekommunikation insbesondere die so genannte nachträgliche Rufdatenauswertung [414]) und die Standortfeststellung, deren ausdrückliche Verankerung als zulässige Form einer Überwachung einer Telekommunikation in der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002 vorgeschlagen wird (§ 149a Abs. 1 Z 1 lit. a und b StPO in der Fassung RV StrÄG 2002), vermeidet jedoch, diese Datenermittlung als „Überwachung“ zu definieren. Schließlich sollen durch Z 2 lit a auch die von Art. 17 der Cyber-Crime-Convention angesprochenen Daten erfasst werden, die von Dateninhabern wie Diensteanbietern bereits verarbeitet und gespeichert wurden. Dabei wird von dem auch der Cyber-Crime-Convention zu Grunde liegende Verständnis ausgegangen, dass diese Definition nicht bedeutet, dass das Angebot oder die Nutzung von Diensten, die im Rahmen ihrer rechtmäßigen Geschäftspraktiken routinemäßig bestimmte Arten von Daten – wie zB Verbindungs- oder Kundendaten – verarbeiten und speichern, eingeschränkt würde. Es wird aber auch nicht verlangt, dass neue technische Möglichkeiten geschaffen werden, um beispielsweise Daten zu sichern, die nur so kurz im System vorhanden sind, dass sie auf ein Ersuchen oder eine Anordnung hin kaum gesichert werden können. Es soll lediglich eine eindeutige Befugnis geschaffen werden, welche die Sicherung und Weitergabe existierender und rechtmäßig gespeicherter Daten im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen zu verlangen gestattet.

Die Definition der Überwachung von Nachrichten (Z 3) soll ebenfalls nicht mehr ausschließlich auf die Übertragung von Nachrichten durch Telekommunikation abstellen, sondern auch andere Übertragungstechniken berücksichtigen. Die Definition soll demnach auch bestimmte, mittels eines Computersystems übertragene Kommunikationen erfassen, welche allerdings – wie es dem Verständnis der Art. 20 und 21 der Cyber-Crime-Convention entspricht – die Übertragung der Kommunikation über Telekommunikationsnetzwerke vor deren Empfang durch ein anderes Computersystem einschließen können. [415])

Die Definition der „optischen und akustischen Überwachung“ (Z 4) orientiert sich hingegen grundsätzlich am geltenden Recht (§ 149d StPO). Allerdings soll berücksichtigt werden, dass die Auslegung des Be­griffs des „nicht öffentlichen Verhaltens“ mitunter zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu Überwachungsmaßnahmen nach § 54 Abs. 4 Z 2 SPG („Ermittlung personenbezogener Daten mit Bildaufzeichnungsgeräten“) geführt hat, weil das der optischen Überwachung zu Grunde liegende Begriffsverständnis des „nicht öffentlichen Verhaltens“ von jenem des § 69 StGB („Öffentliche Begehung“) abweicht. Eine optische Überwachung soll daher stärker von den vielfältigen im öffentlichen Raum von staatlicher und privater Seite durchgeführten Überwachungen (Videoüberwachung bestimmter Straßenkreuzungen zum Zwecke der Überwachung des fließenden Verkehrs, des U-Bahnbereichs, von Banken, öffentlichen Gebäuden usw.) unterschieden werden. Als maßgebliches Abgrenzungskriterium greift der vorliegende Entwurf auf das Verständnis des Privat- und Familienlebens des Art. 8 EMRK zurück und regelt solche Überwachungen näher, die in den „Intimbereich“ der überwachten Person eindringen. Damit soll auf jene Form der Überwachung gezielt werden, die dem Betroffenen nicht bewusst wird, weil er sich von den Umständen her mit Recht unbeobachtet fühlen und sein privates Verhalten danach bestimmen kann. Nur ein solcher Eingriff erscheint regelungsbedürftig; dies allerdings auch im öffentlichen Raum, wenn die Beobachtung nicht auf übliche Weise erfolgt, sondern nur durch den Einsatz technischer Maßnahmen möglich wird (Z 4).

In Z 5 soll schließlich der Begriff der „Ergebnisse“ der in den Z 1 bis 4 geregelten Ermittlungsmaßnahmen definiert werden, um daran bei den Vernichtungs- und Beweisverwertungsregeln anknüpfen zu können.

Zu § 135 („Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten sowie Überwachung von Nachrichten“):

Abs. 1 übernimmt die materiellen Voraussetzungen der Bestimmung des § 146 StPO über die Beschlagnahme von Briefen und anderen Sendungen. Eine solche soll nur zulässig sein, wenn sich der Beschuldigte wegen einer mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat bereits in Haft befindet oder gegen ihn eine Anordnung auf Festnahme erlassen wurde und die Maßnahme zur Aufklärung dieser Tat erforderlich ist. [416])

Abs. 2 regelt die Zulässigkeit der Einholung einer Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten, wobei die in den Z 2 und 3 geregelten Fälle an die Regelung der Überwachung einer Telekommunikation nach § 149a Abs. 2 Z 1 und 2 in der Fassung der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes anknüpfen. [417]) Im Sinne von im Begutachtungsverfahren erhobener Kritik [418]) soll die Ermittlung von Standort- und Vermittlungsdaten – vergleichbar dem geltenden Recht – dann zulässig sein, wenn sich der Verdacht gegen den Inhaber der technischen Einrichtung richtet, dieser aktiv oder passiv an der Übertragung einer Kommunikation durch Telekommunikation oder im elektronischen Weg beteiligt ist oder war oder der Inhaber der Auskunft zustimmt (etwa zur Ausforschung des Urhebers einer gefährlichen Drohung, die dem Betroffenen per E-Mail übermittelt wurde).

In Abs. 2 Z 1 wird der präventiv-repressive Fall der „Geiselnahme“ insbesondere deshalb aufgenommen, um den Subsidiaritätsgrundsatz zu den stärker eingreifenden Ermittlungsmaßnahmen der optischen und akustischen Überwachung wirksam werden zu lassen. [419])

Abs. 3 regelt die Zulässigkeit der Überwachung von Nachrichten, wobei die einzelnen Tatbestände den Voraussetzungen einer Überwachung der Telekommunikation – unter Einschluss der Überwachung im Fall einer Entführung oder Geiselnahme – nach § 149a Abs. 2 Z 3 StPO in der Fassung der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002 nachgebildet wurden. Zusätzlich soll in die Z 4 der derzeit in § 414a StPO geregelte Fall der Überwachung von Nachrichten aufgenommen werden, soweit diese erforderlich ist, um den Aufenthaltsort eines flüchtigen oder abwesenden Beschuldigten zu ermitteln, wobei gleichfalls der dringende Verdacht einer Vorsatztat bestehen muss, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

Im Übrigen ergeben sich die Unterschiede zur geltenden Rechtslage aus der bereits erwähnten Einbeziehung sämtlicher Formen der Kommunikation und der besonderen Hervorhebung des Schutzes der geistlichen Amtsverschwiegenheit und von Berufsgeheimnissen außerhalb dieser Regelungen (vgl. § 144).

Zu § 136 („Optische und akustische Überwachung von Personen“):

Abs. 1 übernimmt für diese Überwachungsmaßnahme die materiellen Voraussetzungen des § 149d Abs. 1 StPO im Wesentlichen unverändert. Formulierungsunterschiede ergeben sich auch hier durch den andernorts geregelten Schutz der geistlichen Amtsverschwiegenheit und von Berufsgeheimnissen (§ 144) sowie in Folge des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 5). Schließlich soll der besseren Übersichtlichkeit halber in der Z 3 der bislang in § 414a StPO geregelte Fall der Ausforschung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten – einer der dort angeführten schwerwiegenden strafbaren Handlungen – aufgenommen werden.

Im Abs. 2 soll – an systematisch richtiger Stelle – der bislang in § 149e Abs. 1 dritter Satz StPO geregelte Fall der Zulässigkeit des Eindringens in Räume aufgenommen werden.

Abs. 3 enthält die bekannten Fälle der ausschließlich optischen Überwachung „in der Öffentlichkeit“ und in Räumen mit Zustimmung des Inhabers („Videofalle“).

In Abs. 4 soll der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für diesen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff, insbesondere in Relation zu seiner präventiven Ausrichtung, hervorgehoben werden (siehe § 149d Abs. 3 letzter Satz StPO).

Zu den §§ 137 bis 140 („Gemeinsame Bestimmungen“):

In diesen Bestimmungen sollen die formellen Voraussetzungen, die Durchführung und die Kontrolle der in diesem Abschnitt geregelten Ermittlungsmaßnahmen sowie die Voraussetzungen, unter denen ihre Ergebnisse als Beweis verwertet werden können, geregelt werden.

§ 137 Abs. 1 enthält die formellen Anordnungsvoraussetzungen, wobei mit Ausnahme der optischen und akustischen Überwachung im Fall der Freiheitsentziehung („Geiselnahme“) eine Anordnung der Staatsanwaltschaft, die der gerichtlichen Bewilligung bedarf, vorausgesetzt wird. Durch den Verweis in Abs. 2 auf die § 111 Abs. 4 und 112 soll für die Beschlagnahme von Briefen klargestellt werden, dass der Beschuldigte grundsätzlich vor deren Öffnung – nämlich binnen vierundzwanzig Stunden nach der Beschlagnahme – zu verständigen ist und dann eine gesonderte gerichtliche Entscheidung über die Öffnung der Briefe verlangen kann. Damit soll die Art. 10 StGG zu Grunde liegende einfach gesetzliche Rechtslage nach den §§ 147 und 148 StPO in die Systematik des Entwurfs übernommen werden. Gleichfalls auf Grund verfassungsrechtlicher Vorgaben (Art. 10 und 10a StGG) soll auch in den Fällen einer Auskunft über Standort- oder Vermittlungsdaten und einer Überwachung von Nachrichten im Zuge einer „Geiselnahme“ nach § 135 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 Z 1 eine gerichtliche Bewilligung erforderlich sein, weil regelmäßig ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis vorliegt, der nur auf Grund gerichtlicher Entscheidung zulässig ist. Wie schon derzeit durch § 149e Abs. 1 dritter Satz StPO vorgesehen, soll auch das Eindringen in Räume einer gesonderten Anordnung der Staatsanwaltschaft samt gerichtlicher Bewilligung bedürfen (Abs. 1). Zu Einwänden in Bezug auf das „Zusammenwirken“ von Staatsanwaltschaft und Gericht sei hier wiederum darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Staatsanwaltschaft mit Antrag an das Gericht zu wenden hat, welches autonom über die Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs zu entscheiden hat.

§ 137 Abs. 3 enthält den in § 149e Abs. 4 StPO – und nach der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes auch in § 149b Abs. 3 StPO – verankerten Grundsatz, dass jede Überwachungsmaßnahme zu befristen ist, wobei diese Frist einen Monat nicht übersteigen darf. Die Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten soll jedoch auch für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum angeordnet werden dürfen, wobei die Regierungsvorlage selbstverständlich davon ausgeht, dass die Strafverfolgungsbehörden nur auf solche Daten zugreifen dürfen, die der Betreiber rechtmäßig verarbeitet und gespeichert hat. Eine neuerliche Anordnung ist zulässig, wenn nach den bisherigen Ergebnissen ein Erfolg der Überwachung zu erwarten ist.

§ 138 Abs. 1 enthält die inhaltlichen Anforderungen der Anordnung einer Beschlagnahme oder einer Ermittlungsmaßnahme (Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten, Überwachung von Nachrichten und optische und akustische Überwachung) nach den §§ 135 und 136, wobei im Wesentlichen an die Bestimmung des § 149f StPO angeknüpft wird.

§ 138 Abs. 2 übernimmt wiederum die Verpflichtungen der Betreiber von Post- und Telegrafendiensten nach den Bestimmungen des § 146 Abs. 1 und 2 StPO. Daran anschließend soll die in der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002 vorgeschlagene Regelung des § 149c Abs. 1 zweiter Satz über die Verpflichtung der Betreiber zur Mitwirkung und zur Verschwiegenheit aufgenommen werden, die jedoch angesichts des über den Bereich der Telekommunikation hinausgehenden Anwendungsbereiches des § 136 Abs. 2 und 3 nunmehr auch so genannte Diensteanbieter im Sinne des Art. 1 der Cyber-Crime-Convention [420]) erfassen soll. Zur näheren inhaltlichen Umschreibung wird auf die Bestimmungen des E-Commerce-Gesetzes, insbesondere dessen § 18 Abs. 2, verwiesen, wonach die in den §§ 13 und 16 genannten Diensteanbieter verpflichtet sind, auf Grund der Anordnung eines dazu gesetzlich befugten inländischen Gerichtes diesem alle Informationen zu übermitteln, an Hand deren die Nutzer ihres Dienstes, mit denen sie Vereinbarungen über die Übermittlung oder Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, zur Verhütung, Ermittlung, Aufklärung oder Verfolgung gerichtlich strafbarer Handlungen ermittelt werden können. [421])

§ 138 Abs. 3 ordnet an. dass die Staatsanwaltschaft den zur Mitwirkung verpflichteten Betreiber über den Umfang seiner Pflicht und seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit mit gesonderter Anordnung zu informieren hat; dagegen stünde einem Betreiber, der sich zu Unrecht verpflichtet erachtet, Einspruch an das Gericht zu (§ 106).

§ 138 Abs. 4 übernimmt an systematisch richtiger Stelle im Wesentlichen die Regelungen des geltenden Rechts über die – nunmehr von der Staatsanwaltschaft vorzunehmende – Prüfung der Ergebnisse und die Verpflichtung, nur jene Teile zum Akt zu nehmen, die für das Verfahren von Bedeutung sind und keinem Beweisverwertungsgebot unterliegen (§§ 149c Abs. 1 und 149g Abs. 1 StPO).

§ 138 Abs. 5 enthält die Bestimmungen des geltenden Rechts (§§ 149b Abs. 4 und 5 sowie 149g Abs. 2 bis 6 StPO) über die Zustellung der Anordnungen und Bewilligungen an Beschuldigte und Betroffene.

§ 139 fasst die Rechte der Beschuldigten und der Personen auf Einsicht und Vernichtung von Daten zusammen, die durch Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten, Überwachung von Nachrichten sowie optische und akustische Überwachung gewonnen wurden.

In § 140 sind die Bestimmungen über die Beweisverwertung geregelt, wie sie sich im geltenden Recht in § 149c Abs. 3 (in der Fassung der Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002) und in § 149h Abs. 2 und 3 StPO finden.

2.8.6. Zum 6. Abschnitt („Automationsunterstützter Datenabgleich“):

Zu den §§ 141 bis 143 („Datenabgleich“, „Durchführung“ und „Mitwirkungspflicht“):

Durch die Bestimmungen über den automationsunterstützten Datenabgleich sollen die Regelungen der §§ 149i bis 149l StPO im Wesentlichen unverändert, allerdings in der Fassung nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 2001, BGBl. I Nr. 130/2001 – durch das die im Begutachtungsentwurf vorgeschlagenen Anpassungen an die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes 2000 bereits vorgenommen wurden –, in den Entwurf übernommen werden. Weitere Änderungen ergeben sich bloß durch die systematische Trennung von Definition und Voraussetzungen der Anordnung sowie durch die veränderten Kompetenzen von Gericht und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren.

2.8.7. Zum 7. Abschnitt („Geistliche Amtsverschwiegenheit und Berufsgeheimnisse“):

Zu § 144 („Schutz der geistlichen Amtsverschwiegenheit und von Berufsgeheimnissen“):

Die Strafprozessordnung enthält seit jeher ein Verbot der Vernehmung von Geistlichen als Zeugen über das, was ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel der geistlichen Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde (§ 151 Abs. 1 Z 1 StPO in der Fassung BGBl. I Nr. 105/1997). Als Geistlicher im Sinne dieser Bestimmung ist ein geistlicher Amtsträger einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgemeinschaft zu verstehen. Mit der durch das Bundesgesetz „über besondere Ermittlungsmaßnahmen“, BGBl. I Nr. 105/1997, vorgenommenen Einfügung eines § 151 Abs. 2 StPO sollte unmissverständlich festgehalten werden, dass der Schutz der geistlichen Amtsverschwiegenheit bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden darf, insbesondere nicht durch Überwachung des Fernmeldeverkehrs oder durch Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel in Beichtstühlen oder Räumen, die zur geistlichen Aussprache bestimmt sind. [422])

Darüber hinaus anerkennt die Strafprozessordnung an mehreren Stellen besondere berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten, indem sie den Angehörigen dieser Berufsgruppen ein Zeugnisentschlagungsrecht (§ 152 Abs. 1 Z 4 und 5 StPO) einräumt und dessen Einhaltung durch ein Umgehungsverbot und ein unter Nichtigkeitssanktion stehendes Verwertungsverbot (§§ 152 Abs. 3, 281 Abs. 1 Z 3, 345 Abs. 1 Z 4 StPO) absichert. Insbesondere das Umgehungsverbot wirkt sich auf prozessuale Zwangsmaßnahmen (Beschlagnahme, Hausdurchsuchung, Überwachung des Fernmeldeverkehrs, optische und akustische Überwachung sowie automationsunterstützter Datenabgleich) aus, deren Anordnung und (weitere) Durchführung unzulässig ist, soweit ein Angehöriger der erwähnten Berufsgruppen durch die Maßnahme in seinem durch die Verschwiegenheitspflicht geschützten Bereich betroffen wird – was insoweit nicht der Fall wäre, als der Berufsgeheimnisträger selbst der Tat verdächtig wäre (vgl. §§ 149a Abs. 1 Z 2 lit. b und Abs. 2, 149d Abs. 1 Z 3 lit. b, 149e Abs. 2, 149k Abs. 3 sowie 149o Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StPO). [423])

Im Hinblick auf das den erwähnten Bestimmungen zu Grunde liegende Bekenntnis des Gesetzgebers zum hohen Wert der Verschwiegenheit über Mitteilungen unter dem Siegel der geistlichen Amtsverschwiegenheit und unter dem Schutz gesetzlich anerkannter Vertrauensverhältnisse, will der Entwurf den Schutz der geistlichen Amtsverschwiegenheit und von Berufsgeheimnissen sowie seiner Auswirkungen auf die Durchführung bestimmter Ermittlungen an zentraler Stelle zusammenfassend regeln.

In Erweiterung des bestehenden Zeugnisverbotes nach § 151 Abs. 1 Z 1 StPO wird in Abs. 1 zunächst klargestellt, dass die geistliche Amtsverschwiegenheit in dem zuvor erläuterten Sinn absolut geschützt ist. Dieser Schutz soll durch ein ausdrückliches Umgehungsverbot abgesichert werden. Die in § 151 Abs. 2 StPO auf den Bereich der Überwachung des Fernmeldeverkehrs und der optischen und akustischen Über­wachung bezogene demonstrative Aufzählung soll auf die Durchführung sämtlicher in diesem (dem 8.) Hauptstück enthaltenen Ermittlungsmaßnahmen ausgedehnt werden, es versteht sich jedoch von selbst, dass auch alle anderen Formen einer Umgehung unzulässig sind. Zur weiteren Verdeutlichung dieses Verbots, aber auch zum Zwecke der Hervorhebung des – einzigen – absoluten „Schutzes“, den es in diesem Zusammenhang gibt, wird darüber hinaus festgehalten, dass ein Gespräch mit einem der Verschwiegenheit verpflichteten Geistlichen in einem Beichtstuhl (oder an einem vergleichbaren Ort) unter keinen Umständen belauscht werden darf.

Abs. 2 enthält das (teilweise) gleich lautende Umgehungsverbot des Aussageverweigerungsrechts bestimmter Berufsgeheimnisträger (siehe 157 Abs. 1 Z 2 bis 5 und die Bezug habenden Erläuterungen). Damit sollen insbesondere die Vertrauensverhältnisse mit berufsmäßigen Parteienvertretern, Psychiatern, Psychologen, Mediatoren und Mitarbeitern anderer anerkannter Einrichtungen zur psychosozialen Beratung und Betreuung sowie Medienvertretern vor heimlicher „Auskundschaftung“ geschützt werden. Dem gemäß ist beispielsweise die Anordnung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger und hinsichtlich der von ihnen ständig benutzten Anlagen und Computersystemen (zB Endgeräte im Sinne der Bestimmungen des § 88 Abs. 4 TKG) absolut unzulässig, die (weitere) Durchführung einer gegen eine andere Person angeordnete Überwachung insoweit, als das Berufsgeheimnis davon betroffen wäre.

Durch Abs. 3 soll im Sinn der Judikatur und der durch die Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes vorgeschlagenen Bestimmung des § 149a Abs. 3 Z 2 StPO klargestellt werden, dass ein Umgehungsverbot insoweit nicht besteht, als die geschützte Person selbst der den Anlass der Ermittlungsmaßnahme gebenden Tat dringend verdächtig ist. [424]) Im Fall der Überwachung von Nachrichten oder der optischen und akustischen Überwachung soll jedoch für die Bewilligung durch das Gericht eine Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten vorliegen müssen (vor allem zum Schutz unbeteiligter Personen, siehe § 149o Abs. 2 StPO und nunmehr § 147 Abs. 2).

2.8.8. Zum 8. Abschnitt („Besondere Durchführungsbestimmungen, Rechtsschutz und Schadenersatz“):

Zu § 145 („Besondere Durchführungsbestimmungen“):

Diese Bestimmung übernimmt mit den strukturbedingten Änderungen den Inhalt des § 149m StPO, dessen Anwendung sich in der Praxis – insbesondere zur Vermeidung unzulässiger Veröffentlichungen – bewährt hat, und erweitert ihn auf die Ermittlungsmaßnahmen der Observation, der verdeckten Ermittlung und des Scheingeschäfts, welche nunmehr gleichfalls gesetzlich geregelt werden sollen.

Zu den §§ 146 und 147 („Rechtsschutz“):

In diesen beiden Bestimmungen werden jene der §§ 149n und 149o StPO, die für andere Regelungsgebiete (Sicherheitspolizeigesetz und Militärbefugnisgesetz) beispielgebend waren, in den Entwurf übernommen. Die Zuständigkeit des Rechtsschutzbeauftragten soll grundsätzlich nach wie vor auf die Kontrolle der Anwendung und Durchführung optischer und akustischer Überwachungen sowie des automationsunterstützten Datenabgleichs beschränkt bleiben, soweit nicht Auskunft über Standort- und Vermittlungsdaten und Überwachung von Nachrichten eines Berufsgeheimnisträgers betroffen sind. [425])

Veränderungen ergeben sich im Übrigen auch in dieser Bestimmung im Hinblick auf die Hervorhebung des Schutzes der geistlichen Amtsverschwiegenheit und von Berufsgeheimnissen (siehe § 147 Abs. 1 und 2).

Zu § 148 („Schadenersatz“):

Diese Bestimmung übernimmt § 149p StPO in die Systematik des Entwurfs.

2.8.9. Zum 9. Abschnitt („Augenschein und Tatrekonstruktion“):

Zu § 149 („Augenschein und Tatrekonstruktion“):

Augenschein und Tatrekonstruktion zählen zu den klassischen Beweismitteln des Strafverfahrens und gewinnen durch die fortschreitende Entwicklung auf kriminalwissenschaftlichem Gebiet (Tatortanalyse) stetig größere Bedeutung für die Gewinnung und Sicherung sachlicher Beweismittel. Dabei ist charakteristisch, dass die Beteiligten des Verfahrens keine Möglichkeit haben, an diesen Erhebungen mitzuwirken [426]), die in der Praxis häufiger durch Sicherheitsbehörden und Sicherheitsdienststellen bzw. Sachverständige (und nicht nach § 116 StPO durch den Untersuchungsrichter) vorgenommen werden. [427]) Das erkennende Gericht wiederum ist nur in seltenen Fällen in der Lage, sich einen unmittelbaren Eindruck von jenen Tatsachen zu verschaffen, welche in frühen Phasen der Ermittlungen erhoben werden und später häufig wichtige Beweismittel oder die Tatsachengrundlagen für das Gutachten eines Sachverständigen bilden. In der Hauptverhandlung stehen in der Regel nur Surrogate zur Verfügung, die in einer Dokumentation der im Ermittlungsverfahren aufgenommenen Beweise bestehen. Einerseits sollen daher Augenschein und Tatrekonstruktion einen festen rechtlichen Rahmen bekommen, anderseits soll sichergestellt werden, dass die Beteiligten des Strafverfahrens dort, wo dies aus kriminaltaktischen und praktischen Erwägungen möglich ist, in angemessener Weise mitwirken können. [428])

Während der Augenschein in der Regel entweder dazu dient, den Befund für ein Gutachten aufzunehmen oder bestimmte Gegenstände oder Örtlichkeiten zu dokumentieren, die für das Verfahren wesentlich sind, soll bei der Tatrekonstruktion zusätzlich überprüft und dokumentiert werden, ob das behauptete Verhalten von Personen mit realen Gegebenheiten und anderen Beweismitteln in Einklang gebracht werden kann. Dementsprechend soll „jede unmittelbare sinnliche Wahrnehmung und deren Dokumentation durch Ton- und Bildaufnahme, soweit es sich nicht um eine Vernehmung handelt“, als Augenschein definiert werden (Abs. 1 Z 1). Dagegen handelt es sich um Tatrekonstruktion, wenn die szenische Darstellung des mutmaßlichen Tatgeschehens mit der Vernehmung zumindest einer Person einhergeht. (Abs. 1 Z 2). Entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung des Augenscheins von der Tatrekonstruktion soll somit die – bei der Tatrekonstruktion mit dem Nachstellen des Geschehens einhergehende – Vernehmung einer Person sein.

Ein Augenschein wird wesentlich häufiger durchgeführt werden als eine Tatrekonstruktion und soll – wegen der Alltäglichkeit sinnlicher Wahrnehmungen – von der Kriminalpolizei unter erleichterten Bedingungen vorgenommen werden können (Abs. 2). Der Augenschein kann unter Leitung der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft stattfinden. Bedarf es zu seiner Vornahme besonderer Sachkunde, über die weder Kriminalpolizei noch Staatsanwaltschaft verfügen, so soll ein Sachverständiger beigezogen oder ihm die Durchführung des Augenscheins – im Rahmen der Befundaufnahme – übertragen werden können (vgl. § 127 Abs. 2).

Die Tatrekonstruktion – eine Art beweissichernder Ermittlungshandlung, die eine teilweise Vorwegnahme einer im Übrigen der Hauptverhandlung vorbehaltenen Beweisaufnahme bedeutet – hingegen soll wegen der Kontradiktorietät der Beweisaufnahme (vgl. § 165) und im Sinne der Fairness des Verfahrens und der Wahrung der Rechte der Parteien nach Abs. 3 immer durch das Gericht (auf Antrag der Staatsanwaltschaft) vorgenommen werden.

Zu § 150 („Durchführung der Tatrekonstruktion“):

In dieser Bestimmung werden die Bedingungen der Durchführung der Tatrekonstruktion geregelt. Der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigtem, dem Privatbeteiligten und deren Vertretern wäre Gelegenheit zu geben, sich an einer Tatrekonstruktion zu beteiligen. Sie sollen auch Zeugen und Sachverständige befragen und ergänzende Ermittlungen bzw. Feststellungen beantragen können. Die Beteiligung der Kriminalpolizei an der Tatrekonstruktion wird sich in vielen Fällen als zweckmäßig erweisen. Wird die Kriminalpolizei nicht beteiligt, wäre sie vom Termin der Tatrekonstruktion in Kenntnis zu setzen (Abs. 1).

Nach Abs. 2 soll jedoch die Möglichkeit bestehen, den Beschuldigten und den Privatbeteiligten – nicht den Verteidiger – im Interesse einer unbeeinflussten Aussage des Tatopfers vorübergehend von der Beteiligung an einer Tatrekonstruktion auszuschließen; in diesem Fall ist ihnen sogleich das darüber aufgenommene Protokoll zu übermitteln.

Soweit nicht Personen im Zusammenhang mit einer Darstellung des wahrscheinlichen Ablaufs der Tat vernommen und diese Vorgänge dokumentiert werden, soll die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen über dynamische Abläufe, die in der Hauptverhandlung besichtigt und abgehört werden können, auch im Rahmen eines Augenscheins zulässig sein. Die Vernehmung (samt Dokumentation) ist jedoch der Tatrekonstruktion vorbehalten. Einer Umgehung dieser Vorschrift verbietet der auch auf diesen Fall anwendbare § 152 Abs. 1.

Gegen die Ton- oder Bildaufnahme der Vernehmung im Zuge einer Tatrekonstruktion steht Zeugen kein Widerspruchsrecht zu (Verweis auf § 97 Abs. 1). Das Interesse an der Dokumentation des Beweismittels wird in diesem Fall höher bewertet als das Recht des Zeugen, sich gegen unerwünschte Ton- oder Bildaufzeichnungen zur Wehr zu setzen.

2.8.10. Zum 10. Abschnitt („Erkundigungen und Vernehmungen“):

Zu § 151 („Definitionen“):

Solange noch kein konkretisierter Verdacht gegen eine bestimmte Person besteht, die objektiv gegebene Verdachtslage also noch keine Unterscheidung zwischen Auskunftspersonen, Zeugen und Beschuldigten zulässt, wird zwar nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bereits ein Ermittlungsverfahren geführt, doch sind in diesem frühen Stadium (Verfahren gegen „unbekannte Täter – u. T.“) häufig noch keine förmlichen Vernehmungen, sondern bloß informative Befragungen möglich. Der Begriff der „Vernehmung“ setzt nämlich voraus, dass eine Person im Zuge einer Ermittlung zur bewussten Abgabe von sach- oder prozessrelevanten Informationen veranlasst wird. Der Zweck einer informativen Befragung besteht hingegen in einer vorausgehenden Klärung, wer prozessdienliche Angaben in welcher Eigenschaft machen kann. Entsteht im Zuge einer solchen Befragung ein konkreter Tatverdacht gegen die betreffende Person, so wird die informative Befragung zur Vernehmung eines Beschuldigten (zu einer gegen ihn wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung gerichteten Ermittlung) mit allen damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen [429]).

Die Einführung des Instituts der „Erkundigung“ soll dieser Unterscheidung dienen und dadurch den Verzicht einerseits auf die mitunter vorgeschlagene Differenzierung von Aussagen nach den Kriterien „freiwillige Mitwirkung“ an den Ermittlungen und „hoheitliche Vernehmung“ und anderseits auf die geforderte Einführung einer einheitlichen Kategorie der Befragung von „Auskunftspersonen“ ermöglichen, die auch die Vernehmung von Beschuldigten einschließen würde. [430]) Konsequenz des neuen, formlosen Instituts ist die besondere Berücksichtigung des informativen Charakters durch Anordnung eines ausdrücklichen Umgehungsverbotes (vgl. § 152 Abs. 1).

Zu § 152 („Erkundigungen“):

Im Sinne der zu den Definitionen dargelegten Ausführungen weist Abs. 1 den Erkundigungen im Wesentlichen eine – die eigentliche Beweisaufnahme – vorbereitende Funktion zu. In prozessualer Hinsicht schließt diese Bestimmung an die allgemeine Umschreibung der Aufgaben der Kriminalpolizei in § 18 an. Erkundigungen sollen damit in erster Linie dazu dienen, zu Beginn der Ermittlungen konkrete Verdachtsmomente herauszuarbeiten, die als Arbeitshypothese Anlass für weitere Ermittlungen gegen eine bestimmten Person als Beschuldigten bieten können. [431]) Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Erkundigungen in diesem Stadium vielfach unerlässlich sind, jedoch dennoch nicht dazu dienen dürfen, Vernehmungen zu umgehen. Sobald feststeht, dass die Angaben einer Person für das Verfahren von Bedeutung sind, und die Prozessrolle dieser Person geklärt ist, ist eine (förmliche) Vernehmung durchzuführen, denn andernfalls könnten Beschuldigten- oder Zeugenrechte (auf bestimmte Informationen, aber beispielsweise auch jenes auf Aussageverweigerung) umgangen werden. Das heißt, dass Erkundigungen durch Vernehmungen „bestätigt“ werden müssen, sobald dies von den jeweiligen Umständen her möglich ist; nur dann kann ihnen die gleiche Beweiskraft wie Vernehmungen zukommen (dies wäre im Zuge der noch durchzuführenden Anpassungen in der Bestimmung des § 258 klarzustellen). Von dem im DE (§ Z 23 Abs. 3) noch vorgesehen gewesenen generellen Verwertungsverbot für Ergebnisse einer informellen Erkundigung soll somit abgegangen werden. Informationen, die im Rahmen von Erkundigungen in Erfahrung gebracht werden, sollen nach den allgemeinen Verlesungsbeschränkungen des § 252 Abs. 1 StPO als Beweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden können, soweit nicht eine konkrete Erkundigung als Umgehung der Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen bzw. des Beschuldigten angesehen werden müsste. Die Verwertung spontaner Äußerungen soll daher weiterhin zulässig sein; sie setzt freilich voraus, dass die betreffende Person sogleich als Beschuldigter behandelt und auch als solcher förmlich vernommen wird. Aussagen, die durch Erkundigungen gewonnen wurden, sollen daher grundsätzlich – mit den in § 252 Abs. 1 vorgesehenen Einschränkungen – zumindest subsidiär für die Beweiswürdigung herangezogen werden dürfen. [432]) Damit wird die Kritik von MOOS aufgegriffen, dass die vom DE getroffene Unterscheidung polizeilicher Ermittlungen in „erste informelle Aufklärung durch Sammlung von Informationen oder Erkundigungen“, die als Beweismittel für die Hauptverhandlung ungeeignet sein sollen, und die folgende „formelle Beweisaufnahme“ nicht empfehlenswert sei. [433]) Grundsätzlich sollen alle Arten von Ermittlungen beweisgeeignet sein, es sei denn, sie würden die dafür vorgeschriebenen Vorschriften nicht erfüllen oder durch spezielle Beweisverwertungsverbote (Umgehungsverbote) ausgeschlossen sein (Abs. 1 und § 166).

Abs. 2 verpflichtet die Sicherheitsorgane grundsätzlich zu „offenem“ Auftreten gegenüber allen Personen, von denen Informationen eingeholt werden, und hält fest, dass deren Auskünfte im Rahmen von Erkundigungen freiwillig erfolgen. Zwang soll bei Erkundigungen daher nicht eingesetzt werden dürfen (siehe auch § 93 Abs. 1).

Nach Abs. 3 sind Auskünfte und Mitteilungen, die im Zuge einer Erkundigung erlangt wurden, ihrem wesentlichen Inhalt nach (in Form eines Amtsvermerks) zum Akt zu nehmen.

Zu § 153 („Vernehmungen“):

Trotz der steigenden Bedeutung von Sachbeweisen und der Konzentration der Ermittlungstätigkeit auf deren Gewinnung kommt dem Personalbeweis vielfach entscheidende Wirkung auf die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts zu. Eine Regelung förmlicher Vernehmungen im Ermittlungsverfahren hat der eminenten Bedeutung der Aussagen von Zeugen und Beschuldigten für die Hauptverhandlung, in der vielfach auf bereits im Vorverfahren abgegebene Depositionen zurückgegriffen werden muss, Rechnung zu tragen. Dabei geht es – im Sinne der neuen Verfahrensstruktur – nicht zuletzt darum, die Vernehmungstätigkeit der Kriminalpolizei über den Inhalt der durch Art. V EGVG mittelbar anzuwendenden Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes hinaus einem förmlichen Verfahren zu unterwerfen. Auf diese Weise soll auch bewirkt werden, dass Beweismittelverluste so gering wie möglich gehalten werden.

Die Bestimmungen des § 153 beinhalten allgemeine Vorschriften über Zweck und Durchführung einer Vernehmung. Während die Gesetzmäßigkeit eines sicherheitsbehördlichen Ladungsbescheides nach geltendem Recht (§ 24 StPO) unter anderem voraussetzt, dass das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, sollen künftig eine Vorladung durch die kriminalpolizeiliche Behörde und die Vernehmung durch kriminalpolizeiliche Organe im Ermittlungsverfahren ebenso ohne Beschränkung zulässig sein wie durch die Staatsanwaltschaft (Abs. 2). [434]) Einer Ladung bedarf es natürlich nicht, wenn eine Person zur sofortigen Vernehmung bereit ist. Eine ordnungsgemäße Ladung muss befolgt werden; Ausbleibende können, sofern ihnen dies in der Ladung ausdrücklich angedroht wurde, vorgeführt werden (Abs. 2). Eine Ladung, in der die Vorführung angedroht wird, wäre mit Zustellnachweis zuzustellen (§ 83 Abs. 3), was bei der ersten Ladung routinemäßig nicht der Fall ist (§ 83 Abs. 1). Damit wird im Wesentlichen die geltende Rechtslage (§ 159 StPO) übernommen. Die Staatsanwaltschaft soll auch die sofortige Vorführung eines Beschuldigten anordnen können, wenn Flucht- oder Verdunklungsgefahr besteht. In Fällen gerichtlicher Beweisaufnahme (§ 104) soll diese Befugnis – systemkonform – dem Gericht zukommen. Im Fall der Betretung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug soll eine solche Vorführung auch durch die Kriminalpolizei veranlasst werden können (Abs. 3). Auch die inhaltlichen Anforderungen an die Ladung werden geregelt, wobei hervorzuheben ist, dass die Beteiligten des Verfahrens nicht nur über den Gegenstand des Verfahrens und ihrer Vernehmung, sondern auch über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren zu belehren wären, wenn dies nicht zuvor bereits geschehen ist.

Nach dem DE (§ Z 25) sollten sich die Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen ihrem materiellen Inhalt nach grundsätzlich an den geltenden Bestimmungen der §§ 150 ff. StPO orientieren, wobei zur Überlegung gestellt wurde, die derzeitige Differenzierung zwischen Zeugnisverboten (§ 151 StPO), Entschlagungsrechten (§ 152 StPO) und Zeugnisverweigerungsrechten (§ 153 StPO) nicht beizubehalten. Nicht zuletzt, weil diese rudimentären – kein Strukturelement des neuen Verfahrensmodells betreffenden – Vorschläge bzw. Denkansätze des DE Missverständnisse veranlasst haben, muss sich eine Gesamt­reform des strafprozessualen Vorverfahrens diesen Fragen nunmehr in ihrem Gesamtzusammenhang widmen; dies soll in den §§ 154 bis 166 geschehen. [435]) Dabei soll auch die Gelegenheit genutzt werden, die Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen systematisch zu ordnen. Nach der Definition des Zeugen werden seine Verpflichtung zur Aussage und sodann die Fälle der Zeugnisunfähigkeit geregelt. Daran anschließend werden die Befreiungs- und Verweigerungsgründe normiert.

Zu § 154 („Zeuge und Wahrheitspflicht“):

Abs. 1 leitet die Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen mit der Definition des Begriffs des Zeugen im prozessualen Sinne ein; in ihr wird insbesondere zum Ausdruck gebracht, dass ein und dieselbe Person in einem Verfahren nicht zugleich Beschuldigter und Zeuge sein kann. Ferner soll – im Sinne der traditionellen Auffassung – der Grundsatz österreichischen Strafverfahrensrechts, dass kein absolutes Verbot der Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen besteht, beibehalten werden.[436] Allerdings ergibt sich aus dem Grundsatz der Unmittelbarkeit gemäß § 13, dass die Vernehmung eines mittelbaren Zeugen diejenige eines unmittelbaren Zeugen nicht ersetzten kann, solange der unmittelbare Zeuge vernommen werden kann. [437])

Abs. 2 verpflichtet jeden Zeugen zur vollständigen und richtigen Aussage; diese Verpflichtung soll durch die Anwendung von Beugemitteln gemäß § 93 Abs. 2 durchgesetzt werden können. Damit wird der bisherige Inhalt des § 150 StPO („… verpflichtet über das, was ihm vom Gegenstand der Untersuchung bekannt ist, vor Gericht Zeugnis abzulegen“) mit jenem des § 165 StPO („… die reine Wahrheit anzugeben, nichts zu verschweigen …“) kombiniert. Schließlich soll aus dieser prozessualen Norm deutlich werden, welche Pflichtverletzung durch die Bestimmung des § 288 StGB über die falsche Beweisaussage vor Gericht inkriminiert wird. [438]) In einem weiteren Reformschritt wäre § 288 StGB an die Strafbarkeit der vor der Staatsanwaltschaft oder vor der Kriminalpolizei abgelegten falschen Beweisaussage anzupassen.

Zu § 155 („Verbot der Vernehmung als Zeuge“):

Abs. 1 übernimmt die Bestimmungen des § 151 Abs. 1 StPO in die Systematik des Entwurfs ohne Änderung ihres maßgeblichen Inhalts. Geistliche sollen demnach über Themen, die in ihre Amtsverschwiegenheit nach § 144 fallen (siehe die Erläuterungen zu dieser Bestimmung), ebenso wie Beamte, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, nicht als Zeugen vernommen werden dürfen. Erweitert wird der Kreis der Vernehmungsverbote um Mitglieder bestimmter parlamentarischer Ausschüsse, bezüglich welcher der Gesetzgeber mit der Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Bestimmung des § 310 StGB über die Verletzung des Amtsgeheimnisses anerkannt hat, dass sie ihre Kontrollaufgaben gegenüber der Vollziehung nur dann wirkungsvoll ausüben können, wenn sichergestellt ist, dass die Beratungen in diesem Gremien besonderer Verschwiegenheit unterliegen; diese Wertung soll für das Strafverfahren nachvollzogen werden (Abs. 1 Z 3). Personen, die zur Zeit ihrer Vernehmung nicht zurechnungsfähig oder aus einem anderen Grund (zB Kleinstkinder) unfähig sind, die Wahrheit anzugeben, sollen ebenfalls weiterhin – von Amts wegen – als Zeugen auszuscheiden sein (Abs. 1 Z 4).

Gemäß Abs. 1 Z 2 soll die Vernehmung von Beamten als Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit ihrer Aussage unzulässig sein, wenn sie der Amtsverschwiegenheit unterliegen und von dieser Verschwiegenheitspflicht durch ihre Vorgesetzten nicht entbunden wurden. Unter den Begriff des Amtsgeheimnisses (siehe Art. 20 Abs. 3 B-VG und § 46 Abs. 1 B-DG) fallen unter anderem alle Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist. Der Kritik, dass das Amtsgeheimnis im Sinne eines moderneren Verständnisses von der Funktion öffentlicher Verwaltung nicht mehr die absolute Ausschließung von der Vernehmung von Beamten als Zeugen begründen solle, ist vor allem entgegenzuhalten, dass dieses Geheimnis nicht nur öffentlichen, sondern auch privaten Interessen dient. Da der Staat in unterschiedlichen Zusammenhängen sensible private Daten verarbeitet und verwendet, ist er auch verpflichtet, diese zu schützen.

Prinzipiell nicht dem Amtsgeheimnis unterstellt sind jedoch Umstände, die der Beamte als Organ im Dienst der Strafjustiz wahrgenommen hat, und Vorgänge, die der Anzeigepflicht nach § 78 unterliegen. [439]) Von einem Amtsgeheimnis kann somit nicht die Rede sein, wenn der Zeuge – wie es beispielsweise für einen Kriminalbeamten typisch ist – Wahrnehmungen zu kriminalpolizeilichen Zwecken gemacht hat. Dies soll durch Abs. 2 klargestellt werden. Die Bestimmung des § 155 geht von der herrschenden Ansicht aus, dass die Identität einer Person, die der Kriminalpolizei unter der Zusage der Wahrung ihrer Anonymität Informationen zur Aufklärung einer Straftat zukommen ließ und die nicht selbst im Verdacht der Begehung eines Offizialdelikts steht, nicht zu den mitteilungs- oder anzeigepflichtigen Tatsachen gehört, sondern Gegenstand des Amtsgeheimnisses sein kann. [440])

Sofern also feststünde, dass von der Anzeigepflicht gemäß § 78 ausgenommene Umstände (wie die Identität einer solchen Person, der von der Kriminalpolizei die Wahrung ihrer Anonymität zugesichert wurde) vorliegen, obläge es der vorgesetzten Dienstbehörde (§ 46 Abs. 4 B-DG), zu entscheiden, ob der Beamte von der Verschwiegenheitspflicht entbunden wird. [441]) Eine eigenständige Überprüfung dieser Gründe kann dem Gericht hingegen nicht zustehen, dieses hätte die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu respektieren; der Einsatz von Beugemittel wäre jedenfalls unzulässig.

Allgemein ist festzuhalten, dass sich die Vernehmungsverbote von den Befreiungs- und Aussageverweigerungsgründen dadurch unterscheiden, dass sie (schon) von Amts wegen wahrzunehmen sind. Der hohe Wert des Beichtgeheimnisses, der Schutz des Amtsgeheimnisses und das Gebot, nur beweiskräftige Aussagen aufzunehmen, erfordern, dass es nicht der Entscheidung des Zeugen überlassen wird, ob er – allenfalls in einer Notstandssituation unter Bruch einer Verschwiegenheitspflicht – aussagen will, sondern (auch) die Behörde selbst darauf zu achten hat, dass diese Verbote respektiert werden.

Zu § 156 („Aussagebefreiung“):

Abs. 1 übernimmt die persönlichen „Entschlagungsgründe“ des § 152 Abs. 1 Z 2 bis Z 3 StPO, wobei die durch eine Ehe begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht bleibt, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht (Z 1). Die in den Z 2a und 3 des § 152 Abs. 1 StPO geregelten Fälle, denen insgesamt das Konzept der bloß einmaligen Vernehmung eines schonungsbedürftigen Zeugen zu Grunde liegt, sollen in einer Bestimmung zusammengefasst werden. [442]) Noch nicht vierzehnjährige Tatopfer und Personen, die durch die dem Beschuldigten zur Last liegende strafbare Handlung in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten, sollen daher nach Durchführung einer schonenden und kontradiktorischen Vernehmung von der Pflicht zur (neuerlichen) Aussage befreit sein (Z 2).

Erwachsene Angehörige sollen jedoch dann nicht mehr die Aussage verweigern können, wenn sie erklärt haben, am Verfahren als Privatbeteiligte mitwirken zu wollen. Der mit dieser Erklärung (siehe § 70 und die Bezug habenden Erläuterungen) zum Ausdruck gebrachte Verfolgungswille verträgt sich nicht mit einer bloß passiven Verfahrensbeteiligung bzw. partiellen Verweigerung der Mitwirkung am Verfahren. In der Regel wird der für Angehörige typische Interessenkonflikt zwischen verwandtschaftlichen Gefühlen und Wahrheitspflicht im Fall einer Beteiligung an der Strafverfolgung des Angehörigen nicht vorliegen. Dies betrifft allerdings nur erwachsene, eigenberechtigte Personen. Die Situation minderjähriger Zeugen, die über ihren Anschluss als Privatbeteiligte nicht allein disponieren können, ist anders zu beurteilen; ihnen soll der Befreiungsgrund in jedem Fall zukommen

Abs. 3 übernimmt die Bestimmung des § 152 Abs. 4 StPO.

Zu §§ 157 („Aussageverweigerung“):

Abs. 1 enthält jene Fälle, in denen ein Zeuge – in Bezug auf bestimmte Angelegenheiten – einen Teil, unter Umständen aber auch die gesamte Aussage verweigern kann. In dieser Bestimmung finden sich aus dem geltenden Recht bekannte „Entschlagungsgründe“, nämlich das aus dem Prinzip des „nemo tenetur“ abgeleitete Recht, sich unter Wahrheitspflicht (und damit Strafsanktion) nicht selbst verdächtig machen zu müssen (Z 1), bestimmte berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten (Z 2 bis 5) und der Schutz des Wahlgeheimnisses (Z 6). Die (bedingten) Zeugnisverweigerungsrechte des § 153 Abs. 1 und 2 StPO werden nun in einer separaten Bestimmung (§ 158) geregelt.

Die Wahrung der – in den meisten Fällen berufsrechtlichen – Verpflichtung des Zeugen zur Verschwiegenheit obliegt in erster Linie ihm selbst, ebenso die Entscheidung, ob er diese Pflicht – etwa auf Grund einer Notstandssituation – verletzt. Der Zeuge ist daher entsprechend zu belehren, dass er seine Verschwiegenheitspflicht auch im Strafverfahren einzuhalten berechtigt ist, und seine Aussageverweigerung ist zu akzeptieren, darüber hinaus trifft die Behörde jedoch keine Verantwortung für die Einhaltung dieser Pflicht. Dem zu Folge liegt auch keine Verletzung von Verfahrensrechten vor, wenn der Zeuge trotz Belehrung die Aussage auch in kritischen Punkten nicht verweigert, sodass dieser Fall nicht zur Nichtigkeit der Aussage führt. Es obliegt eben einzig dem Zeugen selbst, ob und wie weit er seine berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht wahrt oder sich selbst oder einen Angehörigen belastet.

Z 1 vereinigt die Aussageverweigerungsgründe des § 152 Abs. 1 Z 1 und Z 2 StPO. Demgemäß soll ein Aussageverweigerungsrecht sowohl dem Zeugen zukommen, der sich durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr der Einleitung eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens aussetzen würde (dh. überhaupt erst den Verdacht auf sich lenken würde), als auch demjenigen, der sich durch eine wahrheitsgemäße und vollständige Aussage im Zusammenhang mit einem bereits gegen ihn laufenden Verfahren über seine bisherige Verantwortung hinaus belasten müsste. Damit sollen die zu mannigfaltigen Problemen Anlass gebende Bestimmung des § 152 Abs. 1 Z 1 StPO auf ihren primären Schutzzweck reduziert und vermeidbare Beweismittelverluste reduziert werden. [443]) Im Unterschied zur geltenden Rechtslage wäre dieses Aussageverweigerungsrecht nämlich bei Gefahr der „Selbstbelastung“ eines (rechtskräftig) Verurteilten nicht mehr anzuwenden, weil das Prinzip des „nemo tenetur“ richtiger Ansicht nach hiefür keine Stütze bietet. [444]) Das Recht, die Antwort auf eine bestimmte Frage zu verweigern, soll dem Verurteilten jedoch dann zugestanden werden können, wenn die Antwort geeignet wäre, ihm Schande oder einen vermögensrechtlichen Nachteil zuzufügen (§ 158 Abs. 1 Z 1). Im Übrigen soll jedoch am bisherigen Verständnis des § 152 Abs. 1 Z 1 StPO festgehalten werden. Die Gefahr der Selbstbelastung, der ein Zeuge nicht ausgesetzt werden soll, kann sich auf jede strafrechtliche Verfolgung früherer Delinquenz beziehen, allerdings nicht bei falscher Aussage im eigenen Verfahren. Bei Zeugen, die in einem gegen sie geführten Strafverfahren wegen eines in Betracht kommenden Delikts ein – nicht widerrufenes – Geständnis abgelegt haben, soll ohne weitere hinzutretende Umstände, auf die der Zeuge sich nach entsprechender Belehrung berufen müsste, kein Verweigerungsgrund in einem Folgeverfahren vorliegen, weil sich die Selbstbelastungsgefahr bereits realisiert hat. Zeugen, die als Beschuldigte nicht geständig waren, sollen hingegen im Zusammenhang mit einem wegen Tatbeteiligung oder Anschlussdelinquenz (zB Hehlerei oder Geldwäsche) gegen sie geführten Verfahren ohne weitere Prüfung zur Verweigerung der Beantwortung berechtigt sein. Bei weniger engem „Konnex“ muss die Gefahr des Zwanges zur Selbstbezichtigung geprüft werden. Im Fall einer kontradiktorischen Vernehmung gestattet § 252 Abs. 1 Z 2a StPO die Verlesung sämtlicher vor dieser Vernehmung zustande gekommenen Protokolle und Aufzeichnungen; im Hinblick auf die Erweiterung der kontradiktorischen Vernehmung nach § 165 auf die Vernehmung des Beschuldigten kann dieser Verlesungsgrund auch insoweit Anwendung finden. [445]) Gleiches soll gelten, wenn der Zeuge durch seine Aussage einen Angehörigen der Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aussetzen würde, wobei die Z 1 den Angehörigenbegriff des § 152 Abs. 1 Z 2 StPO übernimmt.

Der Zweck der Aussagebefreiung von Angehörigen bestimmter Berufe liegt vor allem darin, dem Beschuldigten eine vertrauensvolle und vertrauliche Kontaktaufnahme mit einem Parteienvertreter (Z 2) oder mit Angehörigen bestimmter beratender und betreuender Berufsgruppen zu ermöglichen (Z 3 und 4). Er soll nicht befürchten müssen, durch die Inanspruchnahme von Rat und Hilfe Beweismittel gegen sich selbst zu schaffen. [446]) Angehörige dieser Berufsgruppen sollen daher nicht absolut zur Verweigerung der Aussage berechtigt sein, sondern nur in Bezug auf Angelegenheiten, welche ihnen in ihrer berufsmäßigen Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden sind.

Der besondere Charakter des Redaktionsgeheimnisses (§ 31 MedienG „Schutz des Redaktionsgeheimnisses“) begründet die von den übrigen Ziffern des Abs. 1 etwas abweichende Formulierung der Z 5. [447]) Zur Freiheit von Journalisten bei Recherchen über potenzielle Missstände gehört auch, dass es ihnen gestattet ist, sich zu informieren, ohne dass sie Gefahr laufen, in eine gegen ihre Informanten laufende oder drohende Strafverfolgung einbezogen zu werden. Deshalb benötigen Journalisten den Quellenschutz auch in Bezug auf selbst recherchiertes Material, soweit dieses in untrennbarem Zusammenhang mit erteilten Informationen steht und im Falle der Bekanntgabe eine Enttarnung des Informanten ermöglichen würde. [448])

Abs. 1 Z 6 übernimmt die Regelung des § 152 Abs. 1 Z 6 StPO zum Schutz des Wahlgeheimnisses.

Anders als nach dem Begutachtungsentwurf ist eine Bestimmung, dass die Angehörigen der in Abs. 1 Z 2 bis 5 genannten Berufsgruppen ihr Aussageverweigerungsrecht im Fall der Entbindung von ihrer Verschwiegenheitspflicht verlieren, nicht mehr vorgesehen. Dieses Recht soll höchstpersönlich zustehen und selbst im Fall der Entbindung durch den Auftraggeber eine berufsadäquate Abwägung ermöglichen.

Abs. 2 übernimmt das Umgehungsverbot des § 152 Abs. 3 für sämtliche in Abs. 1 Z 2 bis 5 geschützten Geheimnisbereiche; das Recht, die Aussage zu verweigern, soll nicht durch Beschlagnahme, Durchsuchung oder andere Ermittlungsmaßnahmen umgangen werden dürfen. Eine besondere Ausprägung dieses Umgehungsverbotes findet sich schließlich auch in der Bestimmung des § 144 über den Schutz der geistlichen Amtsverschwiegenheit und (bestimmter) Berufsgeheimnisse. Die derzeit in § 152 Abs. 2 StPO angeführten Hilfskräfte und an der Ausbildung teilnehmenden Personen werden nun in diesem Zusammenhang an systematisch richtiger Stelle ausdrücklich erwähnt; ihre Vernehmung ohne entsprechende Belehrung zu einem Thema, das dem jeweiligen Berufsgeheimnis unterliegt, wäre somit eine Umgehung des Aussageverweigerungsrechts.

Zu § 158:

§ 158 entspricht in den wesentlichen Zügen der Bestimmung des § 153 StPO. In den Z 1 und 2 des Abs. 1 werden die bekannten Fälle des bedingten Zeugnisverweigerungsrechts nach § 153 Abs. 1 und 2 StPO aufgenommen; für diese beiden Fälle sieht Abs. 2 – entsprechend der geltenden Rechtslage – vor, dass der sich auf sein Verweigerungsrecht berufende Zeuge dennoch zur Antwort verhalten werden kann, wenn seine Aussage unerlässlich (das ist zwingend erforderlich) ist, um über die Schuld des Beschuldigten (Angeklagten) entscheiden zu können. Anders als der Begutachtungsentwurf schafft die Regierungsvorlage für die Fälle bedingter Zeugnisverweigerungsrechte in § 158 eine eigene Bestimmung, um jene Fälle, in denen ein ausdrücklicher Verzicht des Verweigerungsrecht Voraussetzung für die Verwertbarkeit der Aussage ist, von jenen zu unterscheiden, in denen es ausreicht, dass die betreffende Person über ihr Recht belehrt wird.

Zu § 159 („Information und Nichtigkeit“):

Abs. 1 fasst die Bestimmungen der §§ 152 Abs. 5 und 153 Abs. 3 StPO über die „Belehrung“ zusammen; der Zeuge ist grundsätzlich vor Beginn der Vernehmung über auf ihn zutreffende Aussagebefreiungs- und -verweigerungsgründe zu informieren. Kommen solche Gründe erst im Laufe der Befragung hervor, so wäre die Belehrung zu diesem Zeitpunkt nachzuholen. Von der Verbindlichkeit zur Aussage soll der Zeuge somit bereits – aber auch erst – dann befreit sein, wenn jene Tatsachengrundlage im Verfahren offenbar wird, auf welche die Rechtsbegriffe der in den §§ 156 bis 158 geregelten Befreiungsgründe abstellen.

Abs. 2 sieht – im Sinne der Judikatur zu § 152 Abs. 5 StPO [449]) – vor, dass das Recht zur Verweigerung der Aussage glaubhaft zu machen ist, soweit es – von den Umständen her – nicht offenkundig ist. Diese – schon bisher anerkannte – Obliegenheit des Zeugen, deren Verletzung eine unbedingte Aussagepflicht zur Folge hätte, soll ausdrücklich im Gesetz verankert werden.

Abs. 3 hebt den letzten Satz des § 152 Abs. 5 StPO hervor und ordnet an, dass die Aussage eines Zeugen keine Beweisgrundlage darstellen kann, soweit er auf seine Befreiung von der Aussagepflicht nach § 156 nicht ausdrücklich verzichtet hat. Eine Verletzung des Rechts zur Aussageverweigerung nach § 157 mit derselben Konsequenz soll hingegen nur dann vorliegen, wenn der Zeuge über dieses Recht nicht informiert war; ob er es in Anspruch nimmt, ist grundsätzlich seine Angelegenheit, wenngleich eine entsprechende – informelle – Äußerung des Zeugen jedenfalls insoweit zu respektieren wäre, als von vornherein keine entsprechenden Fragen zu stellen wären. Konsequenterweise sollten in beiden Fällen (auch nur teilweise) nichtiger Aussagen die Protokolle vernichtet bzw. (teilweise) unlesbar gemacht werden.

Verweigert ein Zeuge im Ermittlungsverfahren die Aussage, ohne nach den §§ 156 bis 158 dazu berechtigt zu sein oder obwohl er gemäß § 158 Abs. 2 zur Aussage verhalten wurde, so wäre nach den allgemeinen Bestimmungen des § 93 Abs. 2 und 3 vorzugehen; danach könnte – immer unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots nach § 5 – durch das Gericht über den Zeugen eine Beugestrafe bis zu 10 000 Euro oder Beugehaft bis zu sechs Wochen verhängt werden (vgl. § 160 StPO).

Zu den §§ 160 und 161 („Durchführung der Vernehmung“):

§ 160 übernimmt im Wesentlichen die Bestimmungen des § 162 StPO mit den erforderlichen sprachlichen Anpassungen; anders als nach geltendem Recht soll allerdings die Vertrauensperson ausdrücklich zur Verschwiegenheit über den Inhalt der Vernehmung verpflichtet werden.

§ 161 enthält sodann den Gang der Vernehmung des Zeugen über seine Wahrnehmungen. Dabei sollen die Bestimmung des § 167 StPO im Wesentlichen bloß in modernerer Gesetzessprache, jedoch ohne inhaltliche Veränderung übernommen sowie der bisherige Inhalt des § 166 Abs. 2 StPO systematisch besser eingeordnet werden.

Eine Beeidigung von Zeugen ist nach geltendem Recht im Vorverfahren nur in Ausnahmefällen zulässig (vgl. §§ 169 bis 171 StPO); sie ist im Ermittlungsverfahren ohne weiteres verzichtbar. Die Bestimmungen der §§ 170 und 171 StPO über die Eideshindernisse und über die Eidesformel wären im Anschluss an § 247 Abs. 2 StPO zu regeln, sofern der Eid in der Hauptverhandlung weiterhin als geeignetes Mittel zur Wahrheitsfindung angesehen werden sollte.

Zu § 162 („Anonyme Aussage“):

Zum Schutz gefährdeter Zeugen soll die mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, eingeführte Bestimmung des § 166a StPO in den Entwurf übernommen werden, weil die EMRK nicht nur gebietet, die Verteidigungsinteressen des Angeklagten, sondern auch das Leben, die Freiheit oder die Sicherheit von Zeugen – eben auch von kriminalpolizeilichen Organen – sowie ihr Privat- und Familienleben (Art. 2, 5 und 8 EMRK) zu berücksichtigen. [450])

Zur praktischen Anwendung ist allerdings auf die zwischenzeitige Judikatur des EGMR zu verweisen, wonach eine Verurteilung nicht maßgeblich auf den Angaben des anonymen Zeugen beruhen dürfe. [451]) Nach Auffassung des EGMR beschränkt bereits die Geheimhaltung der Identität eines Zeugen die Interessen der Verteidigung, weshalb die Aussagen des anonym bleibenden Zeugen lediglich zur Abrundung des durch die übrige Beweiserhebung gewonnenen Bildes verwendet werden dürften. Erschwernisse für die Verteidigung müssten nach Art 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art 6 Abs. 3 lit. d EMRK durch die Vorgangsweise der Justizbehörden kompensiert werden. Angehörige der Polizei unterlägen besonderen Pflichten gegenüber den staatlichen Vollziehungsbehörden und hätten üblicherweise eine besondere Verbindung zu den Anklagebehörden; schon allein aus diesem Grunde sollte von der Möglichkeit, sie als anonyme Zeugen zu vernehmen, nur unter außergewöhnlichen Umständen Gebrauch gemacht werden. [452]) Die Ablegung anonymer Aussagen zum Schutz von Zeugen ist somit soweit zulässig, als die auftretenden Behinderungen der Verteidigung im weiteren Verfahren ausgeglichen werden können.

In diesem Sinne soll deutlicher als bisher herausgearbeitet werden, dass auch im Fall einer anonymen Aussage Anspruch auf eine „face to face confrontation“ besteht. Es soll mithin darauf ankommen, dass das Gericht und die anderen Verfahrensbeteiligten auch die non-verbale Reaktion des Zeugen auf Fragen beobachten können, um sich ein Bild über seine Glaubwürdigkeit machen zu können. § 162 zweiter Satz soll klarstellen, dass über die Geheimhaltung der Identität hinaus gehende Maßnahmen nur soweit zulässig sind, als sie die Vernehmung nicht weiter beeinträchtigen. Maßnahmen, die den üblichen Gesprächssituationen des täglichen Lebens krass widersprechen, wie insbesondere die Vermummung des Gesichts oder die Verzerrung der Stimme des Zeugen, können auch im Rahmen einer anonymen Vernehmung nicht zulässig sein.

Zu § 163 („Gegenüberstellung“):

Abs. 1 regelt die so genannte Wahlkonfrontation eines Zeugen mit einer Person, die er – in der Regel – als an einem von ihm wahrgenommenen Tatgeschehen beteiligt wieder erkennen könnte. [453]) Dazu ist erforderlich, dass der Zeuge zuvor seine Wahrnehmungen über das Aussehen dieser Person möglichst genau wiedergibt; danach wären auf Grund dieser Beschreibung mehrere Personen, auf die (eines oder mehrere) Merkmale der zuvor abgegebenen Beschreibung zutreffen könnten, auszuwählen und dem Zeugen gegenüberzustellen (vgl. § 168 Abs. 1 StPO).

Dieselbe Vorgangsweise soll gemäß Abs. 2 eingehalten werden, wenn dem Zeugen Lichtbilder über von ihm zu identifizierende Personen vorgelegt werden oder er zur Identifizierung durch Stimmenvergleich oder zur Wiedererkennung bestimmter Gegenstände aufgefordert wird.

Abs. 3 umschreibt die Fälle der – gleichfalls „Gegenüberstellung“ genannten – Konfrontation mit anderen Zeugen oder Beschuldigten im Fall voneinander abweichender Aussagen; dabei kann an die Bestimmungen des § 168 Abs. 2 und 3 StPO angeknüpft werden.

Zu § 164 („Vernehmung des Beschuldigten“):

Die Regelungen über die Vernehmung des Beschuldigten orientieren sich im Sinne der Vorschläge des DE inhaltlich an den Bestimmungen der §§ 198 ff. StPO. [454]) Insbesondere müssen die Konsequenzen aus der materiellen Definition des Beschuldigtenbegriffs gezogen werden, die in der Bestimmung des Abs. 1 enthalten sind. [455]) Danach wäre der Beschuldigte vor Beginn der Vernehmung umfassend sowohl über das Verfahrensziel als auch über seine wesentlichen Rechte einschließlich jenem, auf eine Aussage zu verzichten, zu informieren. Denn auch das Ziel der Wahrheitsfindung kann keine Rechtfertigung dafür bieten, mit der Unkenntnis des Beschuldigten über seine Rechte zu spekulieren, um eine der Urteilsfindung dienliche Aussage zu erlangen. [456]) Darüber hinaus ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass einerseits die Subjektstellung des Beschuldigten im Strafprozess eine derartige Ausstattung mit Verfahrensrechten verlangt, die schon im Ermittlungsverfahren Einfluss auf die Stoffsammlung ermöglicht, und andererseits der Ausbau der Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der Wahrheitsfindung durchaus auch förderlich sein kann. [457])

Abs. 1 enthält die Belehrungsformel des § 178 zweiter Satz bzw. § 179 Abs. 1 letzter Satz StPO, wonach der Beschuldigte darauf hinzuweisen ist, dass seine Aussage seiner Verteidigung dienen, aber auch als Beweis gegen ihn Verwendung finden könne (zu den Fällen einer zulässigen Verlesung früherer Aussagen des Angeklagten in der Hauptverhandlung siehe § 245 Abs. 1 letzter Satz StPO). Im Gegensatz zur Formulierung des § 136 Abs. 2 dStPO („Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen“), die sich dahin gehend auslegen ließe [458]), dass der Zweck der Vernehmung ausschließlich in der Gewährung rechtlichen Gehörs und nicht darin bestünde, die Sachverhaltsaufklärung durch Aussagen des Beschuldigten zu fördern und Beweis zu erheben, soll eine den Förmlichkeiten genügende Vernehmung des Beschuldigten weiterhin ein zulässiges Beweismittel darstellen und eine taugliche Beweisgrundlage bieten können. Die „Wahrheitserinnerung“ [459]) des geltenden Rechts gemäß § 199 Abs. 1 StPO soll hingegen schon deswegen entfallen, weil der Beschuldigte (immer) straflos die Unwahrheit sagen und eine ihn belastende Aussage als (objektiv) unrichtig bezeichnen darf. [460])

Die im Abs. 1 vorgesehene Information soll daher zum einen die bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbare Aussagefreiheit des Beschuldigten bestätigen, zum anderen jedoch den Grundsatz konkretisieren, dass sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen kann (vgl. §§ 7, „Recht auf Verteidigung“, und 58, „Bevollmächtigung des Verteidigers“). Beide Rechte hängen eng miteinander zusammen, sind jedoch eigenständig. Das Recht des Beschuldigten, selbst über Art und Weise seiner Verteidigung zu bestimmen, hat die Funktion, den Beschuldigten als Prozesssubjekt auf eine solche Weise in den Kommunikationsprozess einzubeziehen, dass er die reale Chance erhält, auf das Ergebnis so einzuwirken, dass mögliche Proteste von vornherein absorbiert werden. [461]) Dabei lässt sich das durch Abs. 1 zum Ausdruck gebrachte „Privileg“ der Aussagefreiheit des Beschuldigten nicht primär als Konsequenz eines eigenständigen Rechts auf Freiheit von Selbstbezichtigung, sondern nur als Konsequenz des Rechts auf freie Bestimmung über die Art und Weise der Verteidigung im Strafverfahren begreifen; dies wird auch durch den systematischen Zusammenhang mit dem Anspruch auf Konsultation eines Verteidigers und dem Recht, einzelne Beweiserhebungen zu beantragen, unterstrichen. [462])

In der Regel sollen sich die vernehmenden Beamten auf die bloße Information des Beschuldigten über das Konsultationsrecht und darauf beschränken können, die Vernehmung für einen angemessenen Zeitraum zu unterbrechen, sofern der Beschuldigte auf Kontakt mit einem Verteidiger besteht. [463]) In diesem Fall wird ihm auch Gelegenheit zu geben sein, in vertretbarem Umfang Kommunikationsmöglichkeiten, insbesondere das (Amts-)Telefon, zu benützen. [464])

Im Abs. 2 soll der nach dem Jugendgerichtsgesetz 1988 bereits geltende – und durch die Jugendgerichtsgesetznovelle 2001, BGBl. I Nr. 19, auf junge Erwachsene bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres ausgedehnte [465]) – Grundsatz, dass der verhaftete Beschuldigte verlangen kann, dass seiner Vernehmung eine Person seines Vertrauens beigezogen wird (§ 37 JGG), auf das allgemeine Strafprozessrecht erweitert werden; die Möglichkeit des Ausschlusses einer bestimmten „Vertrauensperson“ wird aus dem geltenden Recht (§ 162 Abs. 2 StPO; siehe nunmehr § 160 Abs. 2 dritter Satz) übernommen. Einer solchen Vertrauensperson, die auch ein Verteidiger sein kann, sollen allerdings keine eigenständigen Verfahrensrechte zukommen, sie soll auch auf den Inhalt der Vernehmung keinen Einfluss nehmen können.

Mit der Verankerung des Anwesenheitsrechts einer Vertrauensperson – die natürlich auch ein Verteidiger [466]) sein könnte – während der Vernehmung des Beschuldigten soll ein bedeutendes Anliegen der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens verwirklicht werden. Das immer wieder verwendete Argument, dass mit der Anwesenheit eines Verteidigers (schon) bei der (ersten) Vernehmung des Beschuldigten die Zahl der aufgeklärten Straftaten sinken und die Chance von Schuldigen, der Überführung zu entgehen, steigen würde, überzeugt nämlich nicht [467]), denn das hieße, dass eine beträchtliche Zahl der aufgeklärten Straftaten auf Vernehmungen mit mangelnder rechtlicher und prozessualer Beratung des Vernommenen zurückzuführen wäre. [468]) Es wäre auch nicht einzusehen, dass der (auf freiem Fuß befindliche) Beschuldigte zwar im Verwaltungs(straf)verfahren ein Recht auf Anwesenheit eines Verteidigers während der Vernehmung hat, dies im gerichtlichen Strafverfahren jedoch nicht der Fall sein sollte. [469]) Auch die Bestimmung des § 10 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten schreibt vor, dem Verteidiger die Teilnahme an allen Rechtshilfehandlungen (und damit auch an der Vernehmung des verhafteten Beschuldigten) zu gestatten, wenn das Internationale Gericht dies verlangt. [470]) Somit wird vorgeschlagen, dass der Verteidiger den Beschuldigten vor der Vernehmung beraten und während der Vernehmung anwesend sein kann, ohne allerdings in sie eingreifen zu können.

Die Anwesenheit einer Vertrauensperson darf jedoch die Ermittlungen nicht beeinträchtigen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn ein Beschuldigter wegen Verabredungs- oder Verdunkelungsgefahr in Haft angehalten wird und die Beiziehung einer Vertrauensperson – ungeachtet der ihr auferlegten Verschwiegenheitspflicht – gerade diese Gefahr konkret vergrößerte. Sofern daher nicht bloß Vermutungen bestünden, sondern bestimmte Tatsachen vorlägen, auf Grund derer anzunehmen wäre, dass die Anwesenheit einer Vertrauensperson die Ermittlungen beeinträchtigen könnte, kann davon abgesehen werden, eine solche Person beizuziehen. In diesem Fall soll nach Möglichkeit (der technischen, räumlichen und personellen Gegebenheiten) eine Ton- oder Bildaufnahme der Vernehmung angefertigt werden, um die Transparenz der Vernehmungssituation zu wahren. Von einer diesbezüglich zwingenden Vorschrift sieht die Regierungsvorlage, wie schon der Entwurf, aber auch deswegen ab, weil es den Interessen eines Beschuldigten – dem an der Beiziehung einer Vertrauensperson nicht gelegen sein muss – zuwiderlaufen kann, wenn eine Bild- oder Tonaufnahme seiner Vernehmung angefertigt wird.

In den Abs. 3 und 4 werden der Gang der Vernehmung und die Art der Fragestellung geregelt. Dabei werden die in den §§ 198 ff StPO enthaltenen Grundsätze neu strukturiert und zusammengefasst, in ihrem wesentlichen Inhalt jedoch beibehalten.

Als wesentliches Element der Gewährung rechtlichen Gehörs ordnet Abs. 3 zweiter Satz an, dass dem Beschuldigten Gelegenheit für den Versuch zu geben ist, den gegen ihn erhobenen Vorwurf zusammenhängend zu entkräften. Dies setzt voraus, dass die Verpflichtung des Abs. 1 erster Satz, wonach dem Beschuldigten mitzuteilen ist, welcher Tat er verdächtig ist, erfüllt wird. Der Vernehmende muss also dem Beschuldigten sämtliche Anschuldigungspunkte und gegen ihn vorliegende Beweise vorhalten, um dessen Erklärung darüber zu ermöglichen. [471])

In Abs. 4 werden zunächst die verbotenen Vernehmungsmethoden umschrieben, wie dies teilweise bereits durch § 202 StPO geschieht (vgl. auch § 136a dStGB). Grundsätzlich soll jede Einflussnahme auf den freien Willen des Beschuldigten ausgeschlossen werden. Jeder Versuch, die Aussage des Angeklagten in dem einen oder anderen Sinn zu beeinflussen, sie also in eine bestimmte Bahn zu drängen, insbesondere jede Täuschung, erst recht jeder Zwang in dieser Richtung widersprechen dem Ziel der Wahrheitsermittlung. [472]) Bei diesen Verboten geht es somit darum, die Beweiserhebung gegen Fehlerquellen zu immunisieren und mögliche Proteste in Bezug auf eine intersubjektiv akzeptable Entscheidungsfindung von vornherein abzuschneiden. [473]) Eine Verletzung dieser Bestimmungen (Abs. 3 erster und zweiter Satz) würde das Ergebnis der Vernehmung gemäß § 166 Z 2 unverwertbar machen.

Abs. 4 stellt auch die notwendige Ergänzung zum Täuschungsverbot dar, indem er bestimmt, dass dem Beschuldigten nur ausnahmsweise Suggestivfragen gestellt werden dürfen, wobei es jedenfalls unzulässig ist, dabei vom Beschuldigten noch nicht zugestandene Tatsachen als solche zu behandeln. Der Vernehmende soll somit – in engen Grenzen und dann bei wörtlicher Protokollierung – zwar keine Fang-, aber Suggestivfragen stellen und doppeldeutige Erklärungen abgeben dürfen. [474]) Jedoch ist in diesem Zusammenhang Zurückhaltung geboten, weil das Verbot der Einwirkung auf die Aussagefreiheit des Beschuldigten durch physischen oder psychischen Zwang, welches jedenfalls auch zum Zweck der Ausschaltung von Fehlerquellen und damit gerade nicht gegen, sondern im Interesse der Wahrheitsfindung selbst entstanden ist, leicht überschritten werden kann. [475])

Im letzten Satz des Abs. 4 wird schließlich – auch im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach § 5 – an die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 2 RLV angeknüpft, wonach länger andauernde Vernehmungen in angemessenen Abständen für Pausen zu unterbrechen sind. [476])

Zu § 165 („Kontradiktorische Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen“):

Diese Bestimmung übernimmt grundsätzlich die durch das Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, eingeführte und durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 auf erwachsene Opfer von Sexualdelikten erweiterte Bestimmung des § 162a StPO, dehnt ihren Anwendungsbereich jedoch auf die Vernehmung des Beschuldigten aus.

Nach Abs. 1 soll die kontradiktorische Vernehmung des Beschuldigten ebenso wie die eines Zeugen zulässig sein, wenn Grund zur Annahme besteht, dass eine Vernehmung in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen (zB wegen Krankheit) oder rechtlichen Gründen (zB auf Grund einer zu erwartenden Verweigerung der Aussage) nicht möglich sein werde. Eine solche Vernehmung wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn eine Ausscheidung des Verfahrens zu erwarten ist und die Annahme nahe liegt, dass der Beschuldigte als Zeuge in einem Verfahren gegen einen ursprünglich Mitbeschuldigten nach § 157 Abs. 1 Z 1 die Aussage verweigern wird.

Nach Abs. 2 soll die Durchführung einer kontradiktorischen Vernehmung ausschließlich dem Gericht zukommen, weil den Garantien des Art. 6 EMRK nur dadurch vollständig – auch hinsichtlich der Anforderungen an ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal – entsprochen werden kann. Der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Privatbeteiligten sowie deren Vertretern ist Gelegenheit zu geben, sich an der Vernehmung zu beteiligen und Fragen zu stellen, damit der Forderung des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK (Recht, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen) entsprochen und die Voraussetzung für eine Verlesung des Protokolls in der Hauptverhandlung gemäß § 252 Abs. 1 Z 1 und 2a StPO geschaffen wird. Aus der Zitierung der §§ 249 und 250 StPO folgt, dass das Gericht auch im Ermittlungsverfahren – wie der Vorsitzende in der Hauptverhandlung – Fragen als unzulässig zurückweisen und den Beschuldigten von der Vernehmung mit Rücksicht auf den Vernommenen ausschließen kann. [477])

Abs. 3 berücksichtigt die besonderen Interessen schutzbedürftiger Zeugen, deretwegen die kontradiktorische Vernehmung „schonend“ durchgeführt werden soll, und zwar vor allem insofern, als die Gelegenheit der Beteiligten zur unmittelbaren Anwesenheit beschränkt wird. Durch technische Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung wären Bedingungen herzustellen, welche die Ausübung des Fragerechts dennoch ermöglichen. Die Vorschrift des § 97 Abs. 2 erleichtert die Protokollierung.

Gemäß Abs. 4 sollen Zeugen, die von der Pflicht zur Aussage aus persönlichen Gründen befreit sind (§ 156 Abs. 1), berechtigt sein, auf der Durchführung einer solchen schonenden Vernehmung zu bestehen. Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren, die Opfer sexueller Gewalt sein könnten, müssen – wie nach geltendem Recht (§ 162a Abs. 3 StPO) – in jedem Fall auf diese Weise vernommen werden.

Abs. 5 übernimmt die umfänglichen Belehrungsbestimmungen des § 162a Abs. 4 StPO. Die gesamte Vernehmung – und die damit verbundenen Informationspflichten (Abs. 5) – soll einem Sachverständigen nur dann übertragen werden können, wenn es sich um eine (schonende) Vernehmung eines Zeugen handelt. Hingegen soll die Beschuldigtenvernehmung einem Sachverständigen weiterhin nicht zur Gänze überantwortet werden können; einer solchen wäre der Sachverständige erforderlichenfalls beizuziehen.

Abs. 6 verweist zum Gang der Vernehmung auf die jeweils anzuwendenden Bestimmungen des zehnten Abschnitts.

Zu § 166 („Beweisverwertung“):

Die Bestimmung des DE über Verwertungsverbote im Fall einer gesetzwidrigen oder grob fehlerhaften Beschuldigtenvernehmung (§ Z 28) haben in der Literatur keine ungeteilte Zustimmung erfahren. [478]) Im Sinne der Effektivität der Grundsätze einer auf Fairness gegründeten Verfahrensgestaltung und auch deshalb, weil Protokolle der Kriminalpolizei unmittelbaren Beweis in der Hauptverhandlung bilden können und damit von wesentlicher Entscheidungsrelevanz sein sollen, will der Entwurf von den Vorschlägen des DE im Grundsatz jedoch nicht abgehen. Seine Dogmatik besteht eben auch darin, die in den §§ 5 bis 8 verankerten Grundsätze des Verfahrens, die sich insgesamt auf verfassungsrechtliche Prinzipien zurückführen lassen, als wirksame und effektive Rechte auszugestalten. Objektive Verletzungen und bewusste Umgehungen von wesentlichen Verteidigungsinteressen sollen daher durch ein Verbot der Verwertung der dadurch erzielten Beweisergebnisse sanktioniert werden. Dabei geht es vor allem darum, dass dem Anspruch auf ein gesetzmäßiges, die Interessen der Verteidigung und der Strafverfolgung sicherndes und verhältnismäßiges Verfahren verfahrensrechtlich Geltung verschafft wird.

Gegenüber dem DE soll das Verwertungsverbot in konsequenter Weise auch auf fehlerhafte Vernehmungen von Zeugen erweitert werden; dabei geht es darum, dass die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung von Zeugen gleichermaßen geschützt wird wie ihr Interesse, nur dann zur Aussage verhalten zu werden, wenn keiner der Befreiungs- und Verweigerungsgründe der §§ 156 und 157 zur Anwendung gelangt oder wenn im Falle des § 158 die Aussage wegen der besonderen Bedeutung für den Gegenstand des Verfahren unerlässlich ist. [479])

Die Regelung des § 166 inkorporiert zunächst (Z 1) das verfassungsrechtlich vorgegebene Verbot der Folter und unmenschlichen Behandlung und wiederholt das daraus erfließende absolute Verwertungsverbot von Aussagen von Beschuldigten und Zeugen, die auf solche Weise erlangt wurden, auf einfachgesetzlicher Ebene. [480])

Eine Beweisverwertung zum Nachteil des Beschuldigten soll darüber hinaus dann verboten sein (Z 2), wenn vor oder bei der Vernehmung entgegen § 164 unerlaubte Vernehmungsmethoden angewandt und dadurch fundamentale Strafverfolgungs- oder Verteidigungsprinzipien verletzt werden. [481]) Zwang, Drohung oder Täuschung im Sinne der Z 2 würden auch dann unerlaubt angewandt, wenn einem Beschuldigten eine Pflicht zur Aussage vorgetäuscht oder ihm etwa für den Fall der Verweigerung einer Aussage seine Festnahme angedroht wird. Dadurch soll die Einhaltung der unverzichtbaren Verfahrensbestimmungen durch die vernehmenden Organe gewährleistet werden. [482]) Die „Vernehmung einer Vernehmungsperson“ über den Inhalt der unverwertbaren Aussage wäre in diesem Zusammenhang eine unzulässige Umgehung des Verwertungsverbots.

Der Schutz der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten verlangt aber nicht, dass bei jeder Formverletzung ein Verwertungsverbot Platz greift. Es muss sich daher immer um schwerwiegende Verletzungen fundamentaler Grundsätze (vgl. die §§ 5 bis 8) handeln, die eine spätere Sanierung nicht mehr zulassen. Damit wird anerkannt, dass nicht sämtliche Regeln der Beweisgewinnung als gleichwertige Gebote anzusehen, sondern insoweit wertende Gewichtungen unerlässlich sind. [483]) Eine Unterlassung von zwingend vorgesehenen Belehrungen soll daher das Ergebnis der Vernehmung nicht absolut unverwertbar machen [484]), sondern nur dann, wenn dadurch auf die Willensentschließung des Beschuldigten eingewirkt würde, der Beschuldigte also beispielsweise zu einer Aussage bewogen würde, die er bei richtiger Belehrung nicht oder nicht in dieser Form abgelegt hätte. [485]) Soweit die Bestimmung des § 164 Abs. 1 gänzlich unbeachtet bliebe, dh. keine der dort vorgeschriebenen Belehrungen vorgenommen würde, handelte es sich jedoch nicht mehr um eine Vernehmung, sondern dem Grunde nach um eine Erkundigung im Sinne des § 152, mit der die Bestimmungen über die Vernehmung des Beschuldigten umgangen würden, sodass insofern Nichtigkeit der Aussage nach § 152 Abs. 1 vorläge (vgl. die dortigen Erläuterungen).

Das Verbot der Beweisverwertung geht andererseits nicht soweit, dass es auch Beobachtungen von kriminalpolizeilichen Organen am Tatort oder spontane Äußerungen des Beschuldigten vor einer einschlägigen Belehrung erfassen würde; Aussagen über derartige Vorgänge sind in jedem Fall zulässig. Eine „spontane“ Aussage liegt allerdings nur dann vor, wenn die Initiative allein vom Sprechenden ausgeht. Sofern ein Strafverfolgungsorgan aktiv interveniert und – auch ohne Fragen zu stellen – Depositionen entgegennimmt, wird es sich in aller Regel um eine Erkundigung handeln (§ 152). Handlungen eines Beschuldigten, aus denen auf seine Täterschaft geschlossen werden kann, sind keine Aussagen; Wahrnehmungen über sie können daher in jedem Fall verwertet werden. [486])

Die Bestimmung über die Beweisverwertung findet sich im Anschluss an die Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten, sie wirkt jedoch in der Hauptverhandlung. Das erkennende Gericht hat gegebenenfalls zu prüfen, ob der Verwertung einer Aussage eines Zeugen oder Beschuldigten als Beweis eine darin genannte Rechtsverletzung entgegensteht. Aus diesem Grund kann an dieser Stelle – anders als in § 159 Abs. 3 – auch nicht angeordnet werden, dass die entsprechenden Protokolle zu vernichten sind.

2.9. Zum 9. Hauptstück („Fahndung, Festnahme und Untersuchungshaft“):

Das Haftrecht wurde zuletzt durch das Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, umfassend reformiert. Mit der klareren Verteilung der Prozessrollen zwischen der Staatsanwaltschaft (deren Antrag folgerichtig und im Einklang mit dem verfassungsgesetzlich verankerten Anklageprozess Voraussetzung für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft wurde), dem Beschuldigten, dessen Verteidiger und dem Untersuchungsrichter, dem seit dem In-Kraft-Treten der Reform am 1. Jänner 1994 als „Haftrichter“ eigene Entscheidungsfunktionen in der Haftfrage zukommen, wollte der Justizausschuss – auf der Grundlage von Ausarbeitungen des Bundesministeriums für Justiz – eine erste wichtige Etappe der ausständigen Gesamtreform des strafprozessualen Vorverfahrens verwirklichen. Einzelne Bruchlinien gegenüber dem geltenden Recht nach dem Konzept des historischen Gesetzgebers mussten hierbei nach Überzeugung des Ausschusses zu Gunsten der Reformdynamik in Kauf genommen werden. [487]) Es erscheint daher nur konsequent, wenn nun mit dem angekündigten „großen“ Reformschritt die darauf ausgerichteten Bestimmungen über das Haftrecht der StPO im Wesentlichen unverändert übernommen werden. [488]) Dies umso mehr, als die wissenschaftliche Begleitforschung [489]) das Erreichen der mit der Reform des Untersuchungshaftrechts angestrebten Ziele, die Untersuchungshaft zu verkürzen und Verfahren in Haftsachen zu beschleunigen, im Wesentlichen bestätigt hat.

Zum Begriff „Untersuchungshaft“ ist zu bemerken, dass dieser nach der neuen Gestaltung des Ermittlungsverfahrens nicht mehr präzise ist (der Entwurf verwendet durchgängig den Begriff der „Ermittlung“ an Stelle der „Untersuchung“). Dennoch soll an ihm festgehalten werden, weil einerseits keine wesentlichen Abweichungen vom inhaltlichen Begriffsverständnis vorgesehen sind, und andererseits dadurch vermieden werden kann, dass für unterschiedliche Stadien des Verfahrens unterschiedliche Begriffe eingeführt werden (der Begriff „Ermittlungshaft“ würde nur für das Stadium des Ermittlungsverfahrens passen).

2.9.1. Zum 1. Abschnitt („Fahndung“):

Zu § 167 („Definitionen“):

Diese Bestimmung unterscheidet zwischen den Begriffen „Personenfahndung“ (Z 1) und „Sachenfahndung“ (Z 2) und versteht darunter allgemein alle Maßnahmen zur Ermittlung des Aufenthalts einer Person oder zur Festnahme des Beschuldigten bzw. des Verbleibs und der Sicherstellung einer Sache.

Zu den §§ 168 und 169 („Fahndung“):

Die Bestimmungen des XXIV. Hauptstückes der StPO über die Nacheile und den Steckbrief sind völlig veraltet und sollen durch moderne, der neuen Regelungssystematik angepasste Bestimmungen ersetzt werden. Schließlich ist auch hier erforderlich, eine strafprozessuale Rechtsgrundlage zu schaffen, weil es sich bei der Fahndung nach der StPO um eine die Festnahme einer Person vorbereitende Maßnahme oder um eine sonstige Maßnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung handelt.

Im § 168 Abs. 1 werden die Voraussetzungen der so genannten Aufenthaltsermittlung geregelt. Die Ermittlung des Aufenthalts soll nicht nur zur Ausforschung des Beschuldigten, sondern auch in Bezug auf Personen angeordnet werden können, deren Identität (exakt) festgestellt bzw. überprüft werden soll oder die als Zeugen vernommen werden sollen.

Eine Fahndung zur Festnahme soll gemäß § 168 Abs. 2 grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn die Festnahme eines Beschuldigten nicht vollzogen werden kann. Darüber hinaus soll eine solche Fahndung auch zur Vorführung des Beschuldigten, der eine (förmliche) Ladung nicht befolgt hat, zur Hauptverhandlung oder zu einer sonstigen Vernehmung bzw. zu einer Beweisaufnahme, die seine Anwesenheit voraussetzt (zB zur Gegenüberstellung mit Zeugen), zulässig sein.

In § 168 Abs. 3 soll – der Vollständigkeit halber – die Fahndung nach Gegenständen geregelt werden, die der Sicherstellung unterliegen.

§ 169 Abs. 1 umschreibt die formellen Voraussetzungen, unter welchen die Ausschreibung einer Personenfahndung zulässig ist, und bestimmt, dass diese Maßnahme einer Anordnung der Staatsanwaltschaft vorzubehalten ist. [490]) Die Veröffentlichung einer Fahndung soll darüber hinaus nur unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots zulässig sein; der durch die „Mitwirkung“ der Öffentlichkeit zu erwartende Vorteil muss die mit der öffentlichen Brandmarkung verbundenen Beeinträchtigungen eindeutig überwiegen, was etwa dann der Fall wäre, wenn eine Veröffentlichung der Fahndung zum Schutz bestimmter Bevölkerungskreise vor Gefährdungen erforderlich wäre.

Die Anordnung der Ausschreibung von Sachen soll nach § 169 Abs. 2 (wie derzeit) ebenso der Kriminalpolizei obliegen wie die tatsächlichen Ermittlungen auf Grund einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten Ausschreibung von Personen zur Aufenthaltsermittlung oder Festnahme bzw. Vorführung.

2.9.2. Zum 2. Abschnitt („Festnahme“):

Zu § 170 („Zulässigkeit“):

Gemäß dieser Bestimmung soll eine Person festgenommen werden dürfen, wenn Tatverdacht und ein bestimmter Haftgrund (Abs. 1 Z 1 bis 4) vorliegen. Der Begriff der „Festnahme“ bezeichnet den unmittelbaren Zugriff auf eine Person, ihre Folge ist die „Anhaltung“ (vgl. die Gegenüberstellung von „Festnahme“ und „Anhaltung“ in den Art. 4 f des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit [491]). Festnahme eines Beschuldigten (somit einer Person, die einer strafbaren Handlung verdächtig ist) soll nach Abs. 1 in vier Fällen zulässig sein:

      bei Betretung auf frischer Tat (Z 1),

      bei Fluchtgefahr (Z 2),

      bei Verdunkelungsgefahr (Z 3),

      bei Tatbegehungs- bzw. Tatausführungsgefahr (Z 4).

Dabei wird gegenüber dem geltenden Recht (§ 175 Abs. 1 StPO) keine wesentliche inhaltliche Änderung vorgenommen. Der bislang in § 452 Abs. 1 Z 1a StPO geregelte Fall der Festnahme zur Identitätsfeststellung eines Beschuldigten hat sich hingegen als unpraktisch und bedeutungslos erwiesen; demgegenüber soll der Haftgrund der Tatbegehungs- bzw. Tatausführungsgefahr auch dann eine Festnahme rechtfertigen, wenn das angelastete Delikt mit einer sechs Monate übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Damit wird berücksichtigt, dass nach Art. 2 Abs. 1 Z 2 lit. c des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit eine Festnahme auch zulässig ist, um den Verdächtigen bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern; der Begriff der „mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung“ wurde im Entstehungszeitpunkt des genannten BVG im Sinne der ursprünglichen Fassung des § 17 SPG verstanden (mehr als sechsmonatige Freiheitsstrafe). [492]) Gegenüber dem geltenden Recht (§ 175 Abs. 2 StPO) soll die bedingt obligatorische Festnahme jedoch entfallen; eine Festnahme soll in jedem Fall, auch in dem eines sehr schweren Delikts, neben dem Tatverdacht einen Haftgrund voraussetzen. Ungeachtet massiver Forderungen, ein dem § 175 Abs. 2 StPO entsprechendes Institut in das neue Vorverfahren zu übernehmen, will die Regierungsvorlage den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Schutz der persönlichen Freiheit höher bewerten als allfällige Praktikabilitätserwägungen. [493])

Der Entzug der persönlichen Freiheit ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn und soweit er nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht (Art. 1 Abs. 2 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit). Von ihm ist abzusehen, wenn gelindere Mittel ausreichen (Art. 5 Abs. 2 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit). Der hohe Wert des Rechtsguts der persönlichen Freiheit und die erwähnte verfassungsrechtliche Bindung an das Verhältnismäßigkeitsgebot rechtfertigen es, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach § 5 in diesem Zusammenhang als Bedingung der Festnahme ausdrücklich hervorzuheben (Abs. 2).

Zu § 171 („Anordnung“):

Art. 4 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit erlaubt den Entzug der persönlichen Freiheit – ausgenommen bei Gefahr im Verzug und bei Betretung auf frischer Tat – nur auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung. [494]) Nach § 171 Abs. 1 soll daher eine entsprechende Anordnung der Staatsanwaltschaft grundsätzlich einer gerichtlichen Bewilligung bedürfen; auf Grund dieser Anordnung der Staatsanwaltschaft hätte die Kriminalpolizei den Beschuldigten sodann festzunehmen.

Abs. 2 übernimmt den Inhalt des § 177 Abs. 1 StPO über die Festnahme aus eigenem Antrieb der Sicherheitsbehörde bei Gefahr im Verzug, dh. nunmehr ohne Vorliegen einer gerichtlich bewilligten Anordnung der Staatsanwaltschaft.

Abs. 3 übernimmt die Bestimmung des § 176 Abs. 1 StPO, wonach dem Beschuldigten der Beschluss des Gerichts, mit dem die Anordnung der Staatsanwaltschaft bewilligt wird, sogleich bei seiner Festnahme oder zumindest innerhalb der nächsten 24 Stunden zu übergeben ist; für den Fall einer Festnahme durch Organe der Kriminalpolizei von sich aus soll dem Beschuldigten gleichfalls eine schriftliche Begründung über die Voraussetzungen seiner Festnahme auszufolgen sein. Dabei sollen dem Beschuldigten nicht nur die Verdachtsgründe und die Tatsachen, die seine Festnahme erforderlich und verhältnismäßig machen, in gedrängter Darstellung mitzuteilen sein, sondern er soll gleichzeitig auch über seine wesentlichen Rechte, insbesondere auf Kontaktaufnahme mit bestimmten Personen, vor allem auch mit einem Verteidiger, informiert werden. Diese Rechte stehen grundsätzlich sofort zu, in Fällen akuter Verabredungsgefahr kann mit der Verständigung bestimmter Vertrauenspersonen – nicht des Verteidigers – aber einige Stunden zugewartet werden, wenn ansonsten ein schwerer Nachteil für die Ermittlungen zu erwarten wäre. Der notwendige Inhalt der gerichtlichen Bewilligung ergibt sich aus § 86 Abs. 1 („Beschlüsse“), jener der Anordnung der Staatsanwaltschaft aus § 102 Abs. 2.

Zu § 172 („Durchführung“):

Nach Abs. 1 soll die Kriminalpolizei die Staatsanwaltschaft, welche die Festnahme angeordnet hat, bzw. das Gericht des Hauptverfahrens (vgl. § 210 Abs. 2), von der Festnahme des Beschuldigten unverzüglich verständigen (vgl. § 176 Abs. 2 StPO). Im Ermittlungsverfahren obläge es der Staatsanwaltschaft, das für die Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft zuständige Gericht darüber zu informieren, dass die von ihm bewilligte Festnahme auch tatsächlich vollzogen wurde. Der Festgenommene soll – entsprechend § 176 Abs. 2 StPO – der Justizanstalt des zuständigen Landesgerichts zu übergeben sein. In bestimmten Fällen, in denen dies nicht möglich oder die Behandlung des Beschuldigten in einer Krankenanstalt erforderlich ist, soll er einer solchen überstellt oder der Justizanstalt eines unzuständigen Gerichts eingeliefert werden können. In diesem Fall kann ihn das – dislozierte – Gericht mit Hilfe technischer Einrichtungen (Videogerät) vernehmen (vgl. Art. II Z 21 2002 [§ 179a] der RV zu einem Strafrechtsänderungsgesetz 2002 und die Bezug habenden Erläuterungen).

Die Abs. 2 und 3 regeln den Fall der Durchführung einer Festnahme des Beschuldigten durch die Kriminalpolizei ohne justizielle Anordnung („von sich aus“). Die Kriminalpolizei hat den festgenommenen Beschuldigte unverzüglich – unter Beachtung der Bestimmungen des § 164 über die (förmliche) Vernehmung – über Tatverdacht und Haftgründe zu vernehmen. Grundsätzlich soll sie auf Grund dieser Vernehmung entscheiden, ob die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschuldigten vorliegen. Dabei sollen ihre Möglichkeiten zur Haftvermeidung bereits in diesem frühen Stadium erweitert werden; die Kriminalpolizei soll – wenn ein Haftgrund zwar vorliegt, die Anhaltung jedoch durch eines oder mehrere gelindere Mittel abgewendet werden kann – auf Anordnung der in diesem Fall zu kontaktierenden Staatsanwaltschaft – mit Ausnahme der Sicherheitsleistung sowie der medizinischen Behandlung, Psychotherapie oder gesundheitsbezogenen Maßnahme (§ 173 Abs. 5 Z 7 und 8) – sämtliche (im Übrigen dem Gericht vorbehaltene) gelindere Mittel anwenden können. Die Anzeige wäre dennoch innerhalb von 48 Stunden ab Festnahme zu erstatten; auch über die Aufrechterhaltung oder Änderung gelinderer Mittel in der Folge soll weiterhin das Gericht entscheiden (vgl. § 177 Abs. 3 StPO).

Kommt die Kriminalpolizei zur Ansicht, dass die weitere Anhaltung des Beschuldigten erforderlich sei, soll ihr – wie nach geltendem Recht (§ 177 Abs. 2 StPO) – die Entscheidung über die Einlieferung obliegen. Jedoch hätte sie weiterhin die Staatsanwaltschaft zuvor so rechtzeitig zu verständigen, dass sich diese darüber äußern kann, ob sie einen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft stellen werde. [495]) Eine solche Mitteilung bildet gegebenenfalls ein Tatbestandselement der kriminalpolizeilichen Entscheidung auf Einlieferung und damit eine Voraussetzung dieser Einlieferung. Erklärt die Staatsanwaltschaft, dass sie keinen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft stellen werde, hätte die Kriminalpolizei den Beschuldigten dem gemäß freizulassen.

Gegen die Festnahme durch die Kriminalpolizei und die Entscheidung über eine Einlieferung soll dem Beschuldigten der allgemeine Rechtsbehelf des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs. 1 Z 2 zustehen; auf diese Weise wird ihm eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Kriminalpolizei ermöglicht.

2.9.3. Zum 3. Abschnitt („Untersuchungshaft“):

Zu § 173 („Zulässigkeit“):

Das Antragsprinzip in Abs. 1 wurde mit dem Strafprozessänderungesetz 1993, BGBl. Nr. 526, eingeführt. Im Ermittlungsverfahren wird das Gericht zwar immer nur (auf Grund eines Einspruchs, einer Beschwerde oder) auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig, doch sind die Bestimmungen über die Verhängung der Untersuchungshaft auch im Hauptverfahren anzuwenden, weswegen das Antragsprinzip in Abs. 1 beibehalten wird. Im Übrigen soll an der bekannten Systematik des geltenden Rechts nach § 180 StPO im Wesentlichen festgehalten werden, wonach Verhängung, Aufrechterhaltung und Fortsetzung der Untersuchungshaft an folgende kumulative Voraussetzungen gebunden sind (Abs. 1):

      dringender Tatverdacht,

      Vorliegen zumindest eines der in Abs. 2 aufgezählten Haftgründe,

       Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Bedeutung der Sache (das Gewicht der strafbaren Handlung nach Art der Rechtsgutbeeinträchtigung, „sozialer Störwert“) und keine Möglichkeit, die Zwecke der Haft durch Anwendung gelinderer Mittel zu erreichen.

Dabei muss im Einzelfall immer berücksichtigt werden, dass die Untersuchungshaft keine Strafe, sondern eine Maßnahme zur Sicherung des Verfahrens darstellt; die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Unschuldsvermutung erfordern, dass eine Person nur solchen Beschränkungen ihrer Freiheit unterworfen wird, die zur Klärung des Tatverdachts unerlässlich sind. Daraus folgt zwingend, dass die Untersuchungshaft die Strafe nicht vorwegnehmen darf. [496]) Dringender Tatverdacht ist somit zwar Grundvoraussetzung der Untersuchungshaft, aber keineswegs ausreichende Begründung.

Die Verhängung der Untersuchungshaft muss ultima ratio zur Sicherung bestimmter Verfahrensziele sein. Nach Art. 1 Abs. 3 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit sind gesetzliche Haftermächtigungen nur insoweit verfassungsgesetzlich gedeckt, als sie „nach dem Zweck der Maßnahme“ notwendig sind. Diese zulässigen Zwecke werden verfassungsgesetzlich durch Art. 2 Abs. 1 Z 1 lit. b und c des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit näher determiniert. Danach hat die Untersuchungshaft den Beschuldigten daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen, Beweismittel zu beeinträchtigen oder neuerlich eine strafbare Handlung zu begehen bzw. die ihm angelastete strafbare Handlung auszuführen. [497])

Abs. 2 beinhaltet die Haftgründe, wobei gegenüber dem Begutachtungsentwurf, der den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr [498]) etwas änderte, auf Grund von Einwänden im Begutachtungsverfahren zur Terminologie des geltenden Rechts (§ 180 Abs. 1 Z 2 StPO) zurückgekehrt wird. Gleich wie nach geltendem Recht soll eine ausschließlich auf diesen Haftgrund gestützte Untersuchungshaft nicht länger als zwei Monate dauern (§ 178 Abs. 1). Dies bedeutet aber auch, dass Beschränkungen in der – wegen Vorliegens anderer Haftgründe fortgesetzten – Untersuchungshaft, zB der Verkehr mit der Außenwelt, nach Ablauf dieser Frist nicht mehr mit der Verhinderung von Kollusionshandlungen begründet werden können.

Die Haftgründe der Flucht- und der Tatbegehungs- bzw. Tatausführungsgefahr (Abs. 2 Z 1 bzw. 3) unterscheiden sich kaum vom geltenden Recht (abgesehen von der präziseren Formulierung der Fluchtgefahr mit „Art und Ausmaß der ihm voraussichtlich bevorstehenden Strafe“ anstelle „Größe der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe“; darin liegt im Übrigen keine Schuldvermutung, sondern bloß die abstrakte Prognose über die im Fall eines Schuldspruches zu verhängenden Strafe [499]). Lediglich bei der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr wurde – im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Z 2 lit. c des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit – sowohl bei der Anlasstat als auch bei den Prognosetaten in allen Fällen eine strafbare Handlung, die mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist, zur Voraussetzung gemacht. Damit kann der Ausschluss dieses Haftgrundes im bezirksgerichtlichen Verfahren entfallen (§ 452 Z 3 StPO).

Die Abs. 3 bis 5 übernehmen die Bestimmungen des § 180 Abs. 3 bis 6 StPO, wobei die inhaltlich aufeinander Bezug nehmenden Bestimmungen der Abs. 4 und 6 des § 180 StPO im vierten Absatz zusammengefasst werden. Im Übrigen sollen bloß sprachliche Veränderungen vorgenommen werden. Von einer taxativen Aufzählung der in Betracht kommenden gelinderen Mittel soll allerdings abgegangen werden, um zu ermöglichen, dass auch ein anderes, im Katalog des Abs. 5 nicht angeführtes, gelinderes Mittel angewendet werden kann. [500]) Schließlich soll in der Formulierung der gelinderen Mittel nach Abs. 5 Z 1 (Gelöbnis, nicht zu fliehen) und nach Abs. 5 Z 4 (Weisung, sich in bestimmten Zeitabständen bei der Kriminalpolizei oder bei einer anderen Stelle zu melden) die veränderte Rollenverteilung im Ermittlungsverfahren zum Ausdruck kommen. Im Übrigen sollen die bisherigen Z 5 und 6 des § 180 Abs. 5 StPO in einer Ziffer zusammengefasst und moderner formuliert werden (Z 5). In der Z 8 findet sich schließlich die mit dem Suchtmittelgesetz 1997, BGBl. I Nr. 112/1997, eingeführte Z 4a des § 180 Abs. 5 StPO. [501])

Die in § 180 Abs. 7 StPO enthaltene bedingt obligatorische Untersuchungshaft widerspricht insoweit den Grundsätzen des Art. 5 EMRK, als sie auf dringendem Tatverdacht in Kombination mit der Annahme beruht, dass sonstige Haftgründe lediglich nicht auszuschließen sind (sie wird auch unter den verfassungsgemäß zulässigen Haftgründen nach Art. 2 Abs. 1 Z 2 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit nicht erwähnt). Schließlich ist zu Recht bezweifelt worden, dass dieser Haftgrund verhältnismäßig sei, weil von dem grundsätzlichen Erfordernis abgegangen wird, dass das Vorliegen von Haftgründen in positiver Weise festgestellt werden muss. [502]) Die bedingt obligatorische Untersuchungshaft soll daher in den reformierten Strafprozess nicht mehr übernommen werden. Die Regierungsvorlage will diesen Grundsätzen höheren Stellenwert einräumen als den – im Begutachtungsverfahren mehrfach erhobenen – Forderungen, die bedingt obligatorische Untersuchungshaft beizubehalten, weil in einem frühen Stadium der Ermittlungen häufig Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Haftgründe bestünden.

Zu § 174 („Verhängung der Untersuchungshaft“):

Abs. 1 übernimmt grundsätzlich die Bestimmung des § 179 Abs. 1 und 2 StPO, wonach der Beschuldigte durch das Gericht unverzüglich zu den Voraussetzungen der Haft zu vernehmen ist (so genanntes „Pflichtverhör“). [503]) Danach hat das Gericht jedenfalls binnen 48 Stunden nach der Einlieferung des Beschuldigten über die Untersuchungshaft zu entscheiden. [504]) Da es sich um eine förmliche Vernehmung des Beschuldigten handelt, versteht es sich von selbst, dass dem Beschuldigten nicht verweigert werden kann, seiner Vernehmung eine Person seines Vertrauens, somit auch seinen Verteidiger, beizuziehen (§ 164 Abs. 1).

Die Abs. 2 bis 4 enthalten die entsprechend angepassten Bestimmungen des § 179 Abs. 3 bis 4 StPO; Inhalt und Zustellung des Beschlusses sollen sich grundsätzlich vom geltenden Recht nicht unterscheiden, ein Beschluss auf Freilassung soll allerdings – einem dringenden Wunsch Rechnung tragend – auch der Kriminalpolizei zur Kenntnis gebracht werden. Zum Verständnis des Begriffs „Beschluss“ ist auf die Erläuterungen zu § 86 zu verweisen. Hingegen sollen wegen der allgemeinen Regelung des Beschwerdeverfahrens in § 88 die Bestimmungen der § 179 Abs. 5 und 6 StPO nicht mehr übernommen werden; gleichzeitiges Beschwerdeverfahren vor dem Rechtsmittelgericht und Haftverhandlung vor dem Gericht erster Instanz soll künftig vermieden werden. Sofern sich der Beschuldigte gegen die Verhängung der Untersuchungshaft beschwert und damit kundgibt, dass er die nächste Instanz befassen will, soll auf die nach relativ kurzer Frist in erster Instanz durchzuführende Haftverhandlung verzichtet und der Fall dem Oberlandesgericht vorgelegt werden. Um dies auch insofern technisch zu ermöglichen, soll die Beschwerde die nächste Haftfrist (von einem Monat) auslösen; innerhalb dieses Zeitraums hätte die Entscheidung des Oberlandesgericht zu ergehen, welche – im Fall der Fortsetzung der Untersuchungshaft – wiederum die nächste Frist (§ 178 Abs. 2 Z 3) auslösen würde. Der Beschuldigte kann seine Beschwerde im Übrigen jederzeit zurückziehen und einen Enthaftungsantrag stellen, worauf das Landesgericht eine Haftverhandlung durchzuführen hätte. Dies hätte – im Fall der Rückziehung der Beschwerde – jedenfalls innerhalb der durch die Erhebung der Beschwerde ausgelösten Haftfrist (von einem Monat – § 178 Abs. 2 Z 2) zu geschehen.

Zur Begründung des Beschlusses (siehe dessen Inhaltserfordernisse in Abs. 3) ist zu betonen, dass Verhängung und Vollzug der Untersuchungshaft vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden. Angesichts der Bedeutung des Grundrechts auf persönliche Freiheit kann ein Eingriff nur hingenommen werden, wenn und soweit die legitimen Ansprüche der staatlichen Gemeinschaft auf Verhinderung weiterer Delinquenz, vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden können als dadurch, dass der Beschuldigte in Haft genommen wird. Das Gericht muss daher stets im Auge behalten, dass es der vornehmliche Zweck und der eigentliche Rechtfertigungsgrund der Untersuchungshaft ist, schwer wiegende Gefährdungen für die öffentliche Sicherheit durch den Beschuldigten abzuwenden oder die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen; ist sie zu einem dieser Zwecke nicht mehr nötig, so ist es unverhältnismäßig und daher grundsätzlich unzulässig, sie anzuordnen, aufrechtzuerhalten oder zu vollziehen. [505])

Zu § 175 („Haftfristen“):

In dieser Bestimmung soll das Kernstück der Haftreform des Jahres 1993 übernommen werden, nämlich das Fristensystem des § 181 StPO, wonach die Untersuchungshaft nach Ablauf bestimmter Fristen aufzuheben ist, wenn sie nicht vor dem Ablauftag in einer (parteiöffentlichen) Haftverhandlung fortgesetzt wurde. Gegenüber dem geltenden Recht sind folgende Abweichungen anzuführen:

Die so genannte „erste“ Haftfrist (Abs. 2 Z 1) soll erst ab Verhängung der Untersuchungshaft und nicht – wie derzeit (§ 181 Abs. 2 Z 1 StPO) – ab Festnahme laufen, um eine einheitliche Frist bei Gericht zu gewährleisten.

Bereits mit dem Einbringen der Anklage (Anklageschrift beim Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht, Strafantrag beim Landesgericht als Einzelrichter und Bezirksgericht; vgl. § 210 Abs. 1) – und nicht erst, wie derzeit mit dem Beginn der Hauptverhandlung (vgl. § 181 Abs. 6 StPO) – soll die Wirksamkeit des letzten Haftbeschlusses durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzt sein und sollen Haftverhandlungen von Amts wegen nicht mehr stattfinden (Abs. 5). Damit soll insbesondere für den Fall eines Einspruchs gegen die Anklage vermieden werden, dass sich erste und zweite Instanz gleichzeitig mit der Haftrage befassen. Interessen des Beschuldigten bzw. Angeklagten bleiben dadurch gewahrt, dass es ihm freisteht, jederzeit seine Enthaftung zu beantragen, worauf das Gericht unverzüglich eine Haftverhandlung anzuberaumen hätte, soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen die Enthaftung ausspricht.

Zu § 176 („Haftverhandlung“):

Diese Bestimmung ist dem § 182 StPO nachgebildet; die Voraussetzungen, unter denen eine Haftverhandlung durchzuführen ist, werden – zum erleichterten Verständnis – in einem neuen Abs. 1 zusammengefasst. Obwohl das Gericht an der Sammlung des Prozessstoffes nicht initiativ beteiligt ist, soll ihm die Möglichkeit offen stehen, auch von sich aus eine Haftverhandlung anzuberaumen, wenn es die Fortsetzung der Untersuchungshaft in Frage stellen will.

In Abkehr vom Modell des Begutachtungsentwurfs, das von einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anberaumung einer Haftverhandlung ausging, soll es dem Gericht obliegen, Haftverhandlungen von Amts wegen anzuberaumen. Abweichend von der grundsätzlichen Bestimmung des § 86 Abs. 1 soll die Frist des § 182 Abs. 4 StPO zur Erhebung einer Beschwerde von drei Tagen beibehalten werden (Abs. 5), um der in Haftsachen gebotenen Dringlichkeit zu entsprechen und eine rasche Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Haftfrage zu ermöglichen. Entscheidet das Oberlandesgericht, dass die Untersuchungshaft aufzuheben sei und treffen die dafür maßgeblichen Umstände auch bei einem Mitbeschuldigten zu, der keine Beschwerde erhoben hat, so hat das Oberlandesgericht so vorzugehen, als ob eine solche Beschwerde vorläge (beneficium cohaesionis – § 89 Abs. 3).

Als Neuerung gegenüber dem geltenden Recht wird vorgeschlagen, auch die Kriminalpolizei vom Termin der Haftverhandlung zu verständigen, um ihr die Möglichkeit der Teilnahme zu eröffnen (wobei die Vertretung und Antragstellung vor Gericht weiterhin allein der Staatsanwaltschaft zukommen soll). Damit soll die Kommunikation zwischen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht vor und während der Haftverhandlung verbessert werden (vgl. den geltenden § 193 Abs. 3 StPO); nicht vorgesehen ist allerdings eine Verpflichtung der Kriminalpolizei, einer Ladung Folge zu leisten.

Die Möglichkeit einer Beweisaufnahme soll – Forderungen aus dem Begutachtungsverfahren und dem Beispiel der mündlichen Verhandlung über den Einspruch (§ 107 Abs. 2) folgend – aus dem geltenden Recht übernommen werden, soweit diese Beweise für die Haftfrage wesentlich sind, um den Charakter der kontradiktorischen Verhandlung und die Intensität der Rechtskontrolle zu verstärken. [506])

Zu § 177 („Aufhebung der Untersuchungshaft“):

Durch diese Bestimmung wird § 193 StPO – mit Ausnahme seines Abs. 3, der im Hinblick auf das Berichtssystem nach § 100 entfallen kann – in den Entwurf übernommen.

Die gegenüber dem Entwurf veränderte Formulierung des Abs. 4 übernimmt im Wesentlichen und präzisiert das geltende Recht (§ 193 Abs. 6 StPO): Das Gericht entscheidet nur über kontradiktorische Anträge, also auf Antrag des Beschuldigten, wenn sich die Staatsanwaltschaft gegen seinen Antrag ausspricht und auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wenn sie den Beschuldigten durch gelindere Mittel stärker belasten will. Im Falle, dass widersprechende Anträge nicht vorliegen, sondern die Staatsanwaltschaft auf den Einsatz gelinderer Mittel bloß (teilweise) verzichtet, hätte das Gericht bloß die entsprechenden Veranlassungen zu treffen.

Durch den Inhalt des vorgeschlagenen Abs. 5 sollen langjährige Forderungen von Opferschutzeinrichtungen umgesetzt und die Pflicht eingeführt werden, Geschädigte, die dies verlangt haben, von der Enthaftung des Beschuldigten zu verständigen. Diese Pflicht soll in der Regel die Kriminalpolizei treffen, die auch darüber informiert ist, ob Anlass besteht, Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgabe nach § 22 Abs. 4 SPG (vorbeugender Schutz von Rechtsgütern) zu ergreifen. [507]) Im Falle der Entlassung aus der Untersuchungshaft obläge es der Staatsanwaltschaft, die Verständigung zu veranlassen.

Zu § 178 („Höchstdauer der Untersuchungshaft“):

Diese Bestimmung leitet den Inhalt des § 194 StPO in die reformierte Strafprozessordnung über. Die gegenüber dem Entwurf veränderte Systematik soll verdeutlichen, dass die Maximalfristen der Z 1 und 2 bis zum Beginn der Hauptverhandlung zu berechnen sind. Abs. 3 fasst Zweck und Begrenzung einer Untersuchungshaft nach Ablauf der Höchstfrist zur Sicherung der Durchführung einer Hauptverhandlung präziser.

Zu § 179 („Vorläufige Bewährungshilfe“):

Diese Regelung übernimmt § 197 StPO unverändert in den Entwurf.

Zu §§ 180 und 181 („Kaution“):

Diese Bestimmungen übernehmen grundsätzlich jene der §§ 190 bis 192 StPO in der seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 605, geltenden Fassung. [508]) Dabei werden die Bestimmungen der §§ 190 und 191 StPO in einem Paragrafen zusammengefasst, weil die Reglung des § 190 Abs. 2 durch die Einführung eines allgemeinen Beschwerdeverfahrens (§§ 87 ff.) obsolet geworden ist.

2.9.4. Zu den Bestimmungen des 4. Abschnittes („Vollzug der Untersuchungshaft“):

Mit den Bestimmungen dieses Abschnittes sollen die §§ 183 bis 189 StPO in die Systematik des Entwurfs übernommen werden.

Zu den §§ 182 bis 184 („Allgemeines“, „Haftort“ und „Ausführungen“):

In diesen Regelungen werden die Bestimmungen der §§ 183 bis 185 StPO zusammengefasst und der Zweck der Untersuchungshaft, die subsidiäre Geltung des Strafvollzugsgesetzes und die örtliche Zuständigkeit der Justizanstalt des für die Entscheidung über Verhängung und Fortsetzung zuständigen Landesgerichts geregelt sowie besondere Bestimmungen über Vernehmung, Ausführung und Überstellung von Untersuchungshäftlingen erlassen.

§ 182 – als zentrale Bestimmung dieses Abschnittes – fokussiert die Grundsätze der Behandlung von Untersuchungshäftlingen am vorläufigen und bloß sichernden Charakter der Untersuchungshaft; besonders hervorzuheben ist, dass angehaltene Beschuldigte nur solchen Beschränkungen unterworfen werden dürfen, die erforderlich sind, um die Haftzwecke zu erreichen, oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizanstalt unerlässlich sind. Dies bedeutet etwa für den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, dass Beschränkungen des Verkehrs mit der Außenwelt nach Ablauf von zwei Monaten nicht mehr damit begründet werden dürfen, dass zu befürchten ist, der Beschuldigte werde die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren versuchen (§ 182 Abs. 2).

Der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowie der Grundsatz des Rechts auf Verteidigung (§§ 7 und 8) sind bei der Behandlung von Untersuchungshäftlingen uneingeschränkt und vorrangig zu beachten; es ist insbesondere zu gewährleisten, dass Untersuchungshäftlingen ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung gegeben und die Haft auf eine Weise vollzogen wird, die deutlich macht, dass durch sie nicht eine Strafhaft vorweggenommen werden soll (§ 182 Abs. 3).

§ 183 bestimmt den Vollzugsort der Untersuchungshaft, der grundsätzlich – jedenfalls bis zur Verkündung des Urteils erster Instanz – die Justizanstalt des zuständigen Gerichts ist; Ausnahmen sind für weibliche Untersuchungshäftlinge sowie für Fälle eines drohenden Überbelags vorgesehen.

§ 184 ordnet für Vernehmungen, Ausführungen und Überstellungen die sinngemäße Geltung der §§ 97 und 98 StVG an; danach sind Untersuchungshäftlinge immer im Beisein eines Strafvollzugsbediensteten zu vernehmen. Im Übrigen soll gewährleistet werden, dass Vernehmungen grundsätzlich in der Justizanstalt durchgeführt werden; die Ausführung des Beschuldigten soll die Ausnahme bleiben und im Wesentlichen nur dann zulässig sein, wenn seine Anwesenheit zur Teilnahme an einer Verhandlung oder zur Durchführung einer Tatrekonstruktion oder eines Augenscheines erforderlich ist; jede Ausführung bedarf im Ermittlungsverfahren der Anordnung oder Zustimmung der Staatsanwaltschaft.

Zu den §§ 185 bis 187 („Getrennte Anhaltung“, „Kleidung und Bedarfsgegenstände“ sowie „Arbeit und Arbeitsvergütung“):

In diesen Bestimmungen werden die Grundsätze der Unterbringung von Untersuchungshäftlingen, ihrer Behandlung unter Beachtung der Unschuldsvermutung und ihrer Heranziehung für Arbeitsleistungen in oder außerhalb der Justizanstalt geregelt. Damit soll die Bestimmung des § 186 StPO im Wesentlichen unverändert beibehalten werden; dessen Abs. 5 bis 7 über die Arbeit von Untersuchungshäftlingen sollen jedoch in einer eigenen Bestimmung zusammengefasst werden (§ 187).

Zu den §§ 188 und 189 („Verkehr mit der Außenwelt“ und „Zuständigkeit für Entscheidungen“):

In diesen beiden Bestimmungen werden die Beschränkungen im Verkehr mit der Außenwelt geregelt; dabei werden die §§ 187 und 188 StPO mit den erforderlichen strukturellen Anpassungen übernommen; die Mindestbesuchszeit soll jedoch auf zwei Besuche pro Woche mit einer Dauer von jeweils einer halben Stunde ausgedehnt werden (§ 188 Abs. 1 Z 1).

Da die Staatsanwaltschaft künftig für das Ermittlungsverfahren zuständig sein soll, das Gericht daher in diesem Verfahrensstadium kein eigenes Interesse an verfahrenssichernden Maßnahmen haben wird, soll der Staatsanwaltschaft auch die Entscheidung darüber zustehen, mit welchen Personen Untersuchungshäftlinge schriftlich und fernmündlich verkehren bzw. von welchen Personen sie Besuche empfangen dürfen. Auch die Überwachung und Kontrolle des Briefverkehrs und der Besuche sollen im Ermittlungsverfahren künftig der Staatsanwaltschaft obliegen (§ 189 Abs. 1). Nach Einbringen der Anklage soll die Zuständigkeit jedoch auch insoweit auf das Gericht übergehen.

Entscheidungen über den Verfall von Geld und Gegenständen (§ 16 Abs. 2 Z 2 StVG) und über die Aufrechterhaltung besonderer Sicherheitsmaßnahmen über die Dauer von einer Woche hinaus (§ 16 Abs. 2 Z 4 und 5 StVG) sollen jedoch wegen ihres Zwangscharakters weiterhin ausschließlich dem für die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft zuständigen Gericht obliegen (§ 189 Abs. 2).

3.10. Zum 10. Hauptstück („Einstellung, Abbrechung und Fortführung des Ermittlungsverfahrens“):

Zu § 190 („Einstellung des Ermittlungsverfahrens“):

Im Fall des § 190 handelt es sich um die prozessuale Entscheidung über das Anklagerecht, die ausschließlich der Staatsanwaltschaft zusteht und die – abgesehen von der Möglichkeit der Fortführung des Verfahrens nach § 193 – Sperrwirkung im Sinne des „ne-bis-in-idem-Prinzips“ entfaltet. Eine Fortsetzung („Wiederaufnahme“) des Verfahrens soll daher auch weiterhin grundsätzlich nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein; der Anwendungsbereich der so genannten formlosen Wiederaufnahme (§ 363 StPO) soll gegenüber dem geltenden Recht eingeschränkt werden.

Die Staatsanwaltschaft ist zunächst – selbstverständlich und ohne dass dies einer besonderen Erwähnung im Text bedürfte – verpflichtet, den Sachverhalt zu klären (dh. mögliche be- und entlastende Umstände zu ermitteln) und soll danach – wenn kein weiterer Ansatzpunkt für erfolgversprechende Ermittlungen gegeben ist – gemäß Abs. 1 das Ermittlungsverfahren einzustellen haben, wenn

      der Gegenstand des Verfahrens keine gerichtlich strafbare Handlung darstellt oder ein rechtlicher Grund (Z 1) oder

      ein tatsächlicher Grund der (weiteren) Verfolgung des Beschuldigten entgegensteht (Z 2).

Während gegen eine durch die Staatsanwaltschaft verweigerte Einstellung aus rechtlichen Gründen in jedem Fall das Gericht angerufen werden können soll (vgl. § 108 Abs. 1 Z 1), soll dies in Bezug auf eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens aus tatsächlichen Gründen nicht im selben Umfang möglich sein. Dem Anklagegrundsatz gemäß obliegt es ausschließlich der Staatsanwaltschaft zu beurteilen, ob die Beweisergebnisse in tatsächlicher Hinsicht eine Verurteilung des Beschuldigten nahe legen (§ 210 Abs. 1) und der in Rede stehende Sachverhalt daher mittels Anklage dem Gericht des Hauptverfahrens zur Entscheidung zu unterbreiten oder eine andere Maßnahme zu treffen ist. Ein Rechtsschutz gegen diese Beurteilung ist nur in dem Maß sachgerecht, als die Staatsanwaltschaft den Rahmen pflichtgemäßen Ermessens überschreiten und damit gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen würde; zu bedenken ist dabei auch, dass die – wenngleich bedeutsame – Entscheidung über die Anklage noch keine Sanktion auferlegt, sondern eine abschließende gerichtliche Entscheidung über die Schuld erst ermöglicht. Der Entwurf schlägt daher – wie schon der Begutachtungsentwurf – vor, in tatsächlicher Hinsicht nur dann eine gerichtliche Einstellung des Verfahrens gegen den Willen der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen, wenn Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts in Bezug auf Dauer und Umfang der bisherigen Ermittlungen eine Fortsetzung des Verfahrens nicht rechtfertigen (vgl. § 108 Abs. 1 Z 2), die Fortsetzung des Verfahrens also gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK („innerhalb einer angemessenen Frist“) verstoßen würde und eine weitere Klärung des Sachverhalts keine Intensivierung des Verdachts erwarten ließe (vgl. ebenfalls § 108 Abs. 1 Z 2 und die Bezug habenden Erläuterungen). Damit entfernt sich der Entwurf vom geltenden Recht (das dem Untersuchungsrichter die – in der Praxis allerdings kaum bedeutende – Befugnis einräumt, eine gerichtliche Voruntersuchung auch aus faktischen Erwägungen einzustellen und solcherart über das Verfolgungsrecht der Staatsanwaltschaft zu disponieren; § 109 Abs. 2 StPO) und grenzt die Funktion des Gerichts als Rechtsschutzbehörde im Ermittlungsverfahren von der Rolle der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde ab.

Zu § 191 („Einstellung wegen Geringfügigkeit“):

§ 42 StGB ist nach herrschender Ansicht als sachlicher Strafaufhebungsgrund (bzw. Strafausschließungsgrund) konzipiert, der menschliches Verhalten, das an sich alle Merkmale einer strafbaren Handlung enthält, durch Hinzufügen bestimmter weiterer Voraussetzungen materiell für nicht strafbar erklärt. [509]) Die Bestimmung des § 191 übernimmt diesen Gedanken der Entkriminalisierung nicht. Die Verfolgung soll nicht mangels Strafbarkeit der Handlung unterbleiben, sondern – nach dem Prinzip „minima nun curat praetor“ – wegen deren Geringfügigkeit. Die Strafbarkeit des vorgeworfenen Verhaltens bleibt also zwar grundsätzlich außer Diskussion, doch kann unter den Voraussetzungen des § 191 eine (wenngleich für den Verdächtigen folgenlose) prozessuale Alternative innerhalb des strafrechtlichen Sanktionensystems auf Grundlage determinierten Verfolgungsermessens eingesetzt werden.

Die Voraussetzungen korrespondieren allerdings weitgehend mit jenen des § 42 StGB. Die aus diesem und anderen Zusammenhängen bekannte Formulierung spezial- und generalpräventiver Erwägungen (Abs. 2), welche die individuelle kriminalpolitische Angemessenheit dieser Erledigungsform zum Ausdruck bringen soll, soll insoweit ergänzt werden, als nicht nur das Erfordernis einer Bestrafung, sondern auch die Notwendigkeit des Einsatzes der Diversion der Einstellung entgegenstehen kann. Die Folgen der Tat sollen – nicht zuletzt angesichts ihrer erheblichen Bedeutung bei der Beurteilung des Bagatellcharakters – neben dem Verschulden und dem Verhalten des Beschuldigten nach der Tat unter den Abwägungskriterien eigens hervorgehoben werden, wobei der Schadensgutmachung besondere Bedeutung zukommen soll.

Der Anwendungsbereich der Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit soll sich vor allem auf solche strafbaren Handlungen erstrecken, die dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnen und innerhalb dieses Rahmens im Zuge einer Gesamtbetrachtung nach dem „Prinzip kommunizierender Gefäße“ absolut und im Vergleich zu den typischen Fällen der jeweiligen Deliktsverwirklichung durch Geringfügigkeit gekennzeichnet sind, also den Störwert der Tat insgesamt als gering erscheinen lassen.

Soweit ein Beschuldigter einer Tat verdächtig ist, die eine Einstellung wegen Geringfügigkeit gemäß § 191 indiziert, wären somit keine (weiteren) Ermittlungen bis zur restlosen Klärung des Sachverhalts zu führen, sondern es wäre darauf zu verzichten und das Verfahren einzustellen.

§ 42 StGB und die dieser Bestimmung entsprechenden Vorschriften der §§ 4 Abs. 2 Z 3 JGG und 25 Abs. 3 FinStrG wären – im Rahmen der erforderlichen Begleitgesetzgebung zu diesem Reformprojekt – im Hinblick auf § 191 ersatzlos aufzuheben (siehe auch §§ 6 f JGG).

Zu § 192 („Einstellung bei mehreren Straftaten“):

Abs. 1 übernimmt im Wesentlichen die Bestimmung des § 34 Abs. 2 StPO unter Berücksichtigung diversioneller Verfahrensbeendigungen. Wenn kein wesentlicher Einfluss auf die zu erwartende Strafe oder die diversionelle Maßnahme zu erwarten ist, soll weiterhin von der Verfolgung einzelner Straftatenauch unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung – abgesehen werden können.

In den Abs. 2 wird im Sinne besserer Übersichtlichkeit jener Teil des § 363 Abs. 3 StPO aufgenommen, der die Wiederaufnahme einer vorbehaltenen Verfolgung in zeitlicher Hinsicht begrenzt.

Zu § 193 („Fortführung des Verfahrens“):

Abs. 1 entspricht § 90 Abs. 1 letzter Satz StPO unter Berücksichtigung der veränderten Rollenverteilung von Staatsanwaltschaft und Gericht. Eine Person soll also nicht (mehr) mit gegen sie gerichteten kriminalpolizeilichen Ermittlungen belastet werden dürfen, wenn die Staatsanwaltschaft bereits auf weitere Strafverfolgung verzichtet hat. Weitere Ermittlungen sollen daher nur in den in Abs. 2 geregelten Fällen und dann zulässig sein, wenn sie als Vorbereitung für eine Entscheidung nach Abs. 2 im Einzelnen erforderlich sind. Damit soll an die Judikatur angeknüpft werden, die dem Staatsanwalt das Recht zugesteht, auch nach rechtswirksamer Einstellung des Verfahrens durch den Untersuchungsrichter Erhebungen durchführen zu lassen, die ihm erst als Entscheidungsgrundlage für einen allfälligen Antrag auf ordentliche Wiederaufnahme dienen sollen. [510])

Da es sich bei der Maßnahme nach Abs. 1 letzter Satz um eine Anordnung der Staatsanwaltschaft handelt, kommt die allgemeine Regel zur Anwendung, wonach die Kriminalpolizei bei Gefahr im Verzug vorläufig ohne eine solche Anordnung tätig werden kann, jedoch unverzüglich der Staatsanwaltschaft zu berichten hat (§§ 99, 100). Gegen eine solche Anordnung stünde dem Beschuldigten der Rechtsbehelf des Einspruchs nach § 106 zu, weil ihm jedenfalls ein subjektives Recht zukommt, ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht neuerlich in Verfolgung gezogen zu werden.

Während der Begutachtungsentwurf die Fragen der „Wiederaufnahme“ eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens noch ausklammerte, sollen die Fälle, in denen ein Verfahren trotz erfolgter Einstellung fortgeführt werden kann, nunmehr ausdrücklich geregelt werden. Der neuen Systematik entsprechend [511]), soll diese Entscheidung (der contrarius actus) in allen jenen Fällen der Staatsanwaltschaft zukommen, in denen diese (und nicht das Gericht) das in ihrer Zuständigkeit zu führende Ermittlungsverfahren eingestellt hat. Allerdings soll an der grundsätzlichen Sperrwirkung einer Einstellung im Sinne des „ne-bis-in-idem-Prinzips“ festgehalten werden und eine Anordnung der Staatsanwaltschaft, ein bereits durch Einstellung beendetes Verfahren fortzuführen, an die materiellen Voraussetzungen der (gerichtlichen) Wiederaufnahme (keine Verjährung sowie Vorliegen neuer Tatsachen – vgl. § 352 Abs. 1 StPO) gebunden werden (Abs. 2 Z 2). Während das geltende Recht in § 352 Abs. 1 StPO auf das Beibringen „neuer Beweismittel“ abstellt, worunter sowohl neue Tatsachen als auch neue Erkenntnisquellen verstanden werden [512]), soll dieses Verständnis nunmehr im Text selbst hervorgehoben werden. Jede neue Grundlage für die Beurteilung der Verdachtslage soll berücksichtigt werden können, es sollen also sowohl neue Tatsachen als auch neue Erkenntnisquellen für bereits früher bekannt gewordene Tatsachen erfasst werden. In diesem Sinne wird auf das „Entstehen oder Bekanntwerden“ von „Tatsachen oder Beweisen“ abgestellt. Das Recht auf Verfolgung des Beschuldigten wird dann begründet, wenn diese Neuigkeiten im Zusammenhang mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen eine neue, veränderte Beurteilung der Verdachtslage ermöglichen. Entscheidend soll sein, dass die Staatsanwaltschaft bei Kenntnis der veränderten Tatsachen – und der dadurch geänderten Beweislage – das Ermittlungsverfahren nicht eingestellt hätte.

Eine so genannte formlose Wiederaufnahme nach § 363 StPO soll dem gegenüber nur mehr dann möglich sein, wenn der Beschuldigte wegen dieser Tat noch nicht förmlich vernommen (§§ 164 und 165) und noch kein Zwang gegen ihn ausgeübt wurde (Abs. 2 Z 1). Damit wird an die Bedeutung der „Behandlung als Beschuldigter“ gemäß § 363 Z 1 StPO angeknüpft [513]) und wie bisher eine erleichterte Möglichkeit der Fortführung eines eingestellten Verfahrens für jene Fälle geschaffen, in denen sich der Verdacht nicht einmal soweit erhärten ließ, dass es gerechtfertigt gewesen wäre, den Verdächtigen in das Verfahren einzubeziehen.

In Abs. 3 soll klargestellt werden, dass im Fall einer Einstellung bei mehreren Straftaten eine Fortführung des Verfahrens – abgesehen von den Fällen vorbehaltener Verfolgung – nur dann in Betracht kommt, wenn neue Tatsachen entsteht oder bekannt werden, welche die neuerliche Verfolgung des Beschuldigten begründen. Soweit die Staatsanwaltschaft keinen Vorbehalt im Fall einer Einstellung bei mehreren Straftaten erklärt hat, soll eine Möglichkeit formloser Fortführung des Verfahrens nach Abs. 2 Z 1 nicht bestehen.

Eine Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Fortführung des Verfahrens unterliegt systemgemäß der Kontrolle des Gerichtes im Wege des Rechtsbehelf des Einspruchs nach § 106.

Zu § 194 (Verständigungen):

Durch diese Bestimmung soll dem Geschädigten die Ausübung seiner Rechte ermöglicht werden. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Entscheidung daher schriftlich auszufertigen und zu begründen – gegebenenfalls auch den Vorbehalt späterer Verfolgung – sowie den Geschädigten darüber zu informieren, dass er berechtigt sei, beim Oberlandesgericht die Fortführung des nach den §§ 190 bis 192 beendeten Verfahrens zu verlangen.

Zu den §§ 195 und 196 („Fortführung des Verfahrens“ und „Entscheidung des Oberlandesgerichtes“):

Eine gerichtliche Voruntersuchung soll es nicht mehr geben. Diese grundlegende Systemänderung bedingt auch eine Anpassung des Instituts der Subsidiaranklage (§ 48 Z 1 und 2 StPO). Wie bereits im Diskussionsentwurf dargelegt, überzeugen die Argumente für die Beibehaltung der gerichtlichen Voruntersuchung (nur) für diesen Fall schon deshalb nicht, weil der Subsidiarankläger aus der Verurteilung des Beschuldigten in der Regel unmittelbar keinen oder nur geringen Nutzen ziehen kann und – vor allem im Falle eines Einschreitens bereits im Stadium des Vorverfahrens – hohes Kostenrisiko zu tragen hat. [514]) Darauf ist wohl auch zurückzuführen, dass nur wenige Subsidiaranträge eingebracht werden; im Übrigen gelingt es in der Praxis nur in ganz seltenen Fällen, das Gericht von der Notwendigkeit der Fortsetzung des Verfahrens zu überzeugen. Diesem – nun überdies systemfremden – Institut kann daher eine effektive Wirkung bei der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche nicht zugesprochen werden.

Für das Stadium des Hauptverfahrens zeigt sich allerdings ein anderes Bild. Mit dem Einbringen der Anklage wird die Staatsanwaltschaft zur Beteiligten des Verfahrens, dessen Leitung nunmehr dem Gericht obliegt (§ 210 Abs. 2). Vor der Hauptverhandlung findet bereits – im bezirksgerichtlichen Verfahren von Amts wegen, sonst über Antrag – eine gerichtliche (Vor-)Prüfung der Anklage statt. Die Disposition über die Anklage steht in diesem Verfahrensabschnitt daher nicht mehr ausschließlich der Staatsanwaltschaft zu. Im Falle ihres Rücktritt von einer bereits eingebrachten Anklage soll der Geschädigte daher weiterhin berechtigt sein, an Stelle der Staatsanwaltschaft als Subsidiarankläger einzuschreiten (vgl. § 72).

Während sich der Begutachtungsentwurf noch aus systematischen Erwägungen gegen ein so genanntes Klageerzwingungsverfahren ausgesprochen hat [515]), greift die Regierungsvorlage die Kritik auf, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht nur über das Einbringen der Anklage, sondern auch über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens effektiver Kontrolle bedürfe. Dabei geht die Vorlage davon aus, dass die strafprozessuale Trennung zwischen Anklage und Erkenntnis nach Art. 90 Abs. 2 B-VG gewisse gerichtliche Kontrolle über die Staatsanwaltschaft nicht ausschließt. Der schon im Begutachtungsentwurf vorgesehenen Eingriffsmöglichkeiten des Gerichts in den Grundsatz der Verfolgungs- und Anklageautonomie der Staatsanwaltschaft – Einspruch und Antrag auf Einstellung (nunmehr §§ 106 und 108) – haben überwiegende Zustimmung erfahren, so dass eine weitere Ausnahme für den umgekehrten Fall, dass die Staatsanwaltschaft einstellt anstatt anzuklagen, nur konsequent erscheint. [516]) Wird die Staatsanwaltschaft nicht mehr als Partei des Verfahrens definiert, als deren wesentliches Merkmal die Dispositionsfreiheit über die Antragstellung postuliert wird, sondern kontrollieren Staatsanwaltschaft und Gericht einander als jeweils selbstständige Justizorgane, so ist gerichtliche Kontrolle in beiden Richtungen durchaus systemgerecht. Den möglichen Missbrauch einer Monopolstellung durch Einschaltung einer anderen staatlichen Gewalt zu kontrollieren, ist gerade Sinn der Gewaltenteilung. Nicht zuletzt wird im Falle einer entsprechenden Weisung des Justizminister dieses politische Organ durch ein unabhängiges Gericht mittelbar überprüft. [517])

Die Regierungsvorlage bekennt sich nunmehr ausdrücklich zu dieser Form gerichtlicher Missbrauchskontrolle. Nach § 195 Abs. 1 soll daher ein Antrag auf Fortführung einerseits dann zulässig sein, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt, obwohl keiner der Einstellungsgründe der §§ 190 bis 192 vorgelegen ist. Andererseits soll das Institut des Subsidiarantrages im System der Vorlage weiter entwickelt werden. Ein Antrag auf Fortführung soll in diesem Sinne auch dann zustehen, wenn die Voraussetzungen für eine Fortführung („Wiederaufnahme“) des Ermittlungsverfahrens nach § 193 Abs. 2 Z 2 gegeben sind (siehe die dortigen Erläuterungen).

Ein solcher Antrag soll grundsätzlich binnen 14 Tagen bei der Staatsanwaltschaft einzubringen sein (§ 195 Abs. 2), um dieser die Möglichkeit zu geben, das Verfahren, sofern die Bedingungen und Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 vorliegen, durch eigene Entscheidung fortzuführen. Soweit der Beschuldigte noch nicht als solcher vernommen wurde oder (in der Zwischenzeit) neue Beurteilungsgrundlagen hinzugekommen sind, könnte die Staatsanwaltschaft daher auch eine „rechtsirrige“ Einstellung selbst korrigieren, indem sie das Verfahren nach § 193 Abs. 2 Z 1 oder 2 fortführt. Ist ihr diese Möglichkeit verwehrt oder kommt dem Antrag ihrer Ansicht nach keine Berechtigung zu, wäre der Antrag auf Fortführung dem Oberlandesgericht mit einer Stellungnahme zur Entscheidung vorzulegen (§ 195 Abs. 3).

Bei der Frage der Antragslegitimation entscheidet sich die Regierungsvorlage gegen eine „Popularklage“, will jedoch – über den Kreis der materiell Geschädigten wie im geltenden Recht hinaus – den Kreis der Antragsberechtigten auf jene Personen erweitern, deren strafrechtlich geschützte Interessen durch die Straftat verletzt worden sein könnten. Grundsätzlich soll damit an die Funktion des Strafrechts angeknüpft werden, bestimmte Rechtsgüter zu schützen. Mitunter trifft allerdings zu, dass auch durch solche strafbare Handlungen – zB im Fall von Delikten gegen die Rechtspflege oder strafbarer Verletzungen der Amtspflichten – in Rechte von Personen eingegriffen wird, ohne dass unmittelbarer materieller Schaden entsteht. Auch diese Fälle rechtfertigen eine Kontrollmöglichkeit, wenn auch nur ideeller Schaden vorliegt bzw. behauptet werden kann. Daher sollen beispielsweise auch Personen antragslegitimiert sein, deren personenbezogene Daten amtsmissbräuchlich oder im Wege einer Verletzung des Amtsgeheimnisses weitergegeben worden sein könnten. In vielen Fällen wird es sich bei diesen Personen um solche handeln, die strafrechtliche Ermittlungen durch Anzeige initiiert haben, weil ihre ideellen Interessen durch die Tat verletzt worden sein könnten (zB durch eine falsche Zeugenaussage oder im Zusammenhang mit Baubewilligungen oder Flächenwidmungsplänen, bei welchen Verdacht in Richtung § 302 StGB besteht), die jedoch – mangels vermögensrechtlicher Ansprüche – eine Verfahrensstellung als Privatbeteiligte (§ 65 Z 3 i.Z.m. Z 1 lit. c) nicht beanspruchen können.

In § 196 wird die Entscheidung des Oberlandesgerichtes geregelt, wobei in Bezug auf das Verfahren weitgehend auf die Erläuterungen zum Einspruch nach § 106 der Vorlage verwiesen werden kann. Hervorzuheben ist, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichtes in der Sache nicht in einem bestimmten Auftrag (zB Anklage einzubringen) an die Staatsanwaltschaft bestehen kann, sondern bloß in der Anordnung der Fortführung des Verfahrens (bzw. in der Abweisung des Antrags). Welche Ermittlungen zur weiteren Aufklärung durchzuführen bzw. anzuordnen sind, kann sich aus der Begründung der gerichtlichen Entscheidung ergeben, soll aber in der Kompetenz der Staatsanwaltschaft verbleiben, der es auch grundsätzlich zustünde, nach Klärung der erforderlichen Tatsachen neuerlich eine Entscheidung über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens zu treffen.

Zu § 197 („Abbrechung des Ermittlungsverfahrens gegen Abwesende und gegen unbekannte Täter“):

Ist der Beschuldigte abwesend oder flüchtig oder wird im Zuge der Ermittlungen keine bestimmte Person als der Straftat verdächtig ausgeforscht, so sind die Ermittlungen jedenfalls soweit fortzuführen, als dies zur Sicherung von Spuren und Beweisen erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft hat, sobald ihr die Kriminalpolizei über den vorläufigen Abschluss der Ermittlungen berichtet und deren Ergebnisse übermittelt, das Verfahren „abzubrechen“. Diese „Abbrechung“ auf Grund faktischer Unmöglichkeit weiterer Verfolgung soll – wie derzeit § 412 StPO – in Bezug auf eine Fortsetzung des Verfahrens keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen und bloß – nicht zuletzt aus registertechnischen Gründen – der Dokumentation der vorübergehenden Beendigung des Verfahrens dienen.

Entsprechend der allgemeinen Aufgabenzuteilung hätte die Kriminalpolizei die Ermittlungen von sich aus oder über Anordnung der Staatsanwaltschaft jederzeit – im Falle eines unbekannten Täters (Abs. 2) allenfalls bis zur Verjährung der Straftat – fortzusetzen, wenn sich neue Anhaltspunkte zur Aufklärung der strafbaren Handlung ergeben.

Entgegen der bisherigen Rechtslage soll die Staatsanwaltschaft nicht nur die Kriminalpolizei, sondern grundsätzlich auch den Geschädigten von der Abbrechung des Verfahrens zu verständigen haben (Abs. 3).

3.11. Zum 11. Hauptstück („Rücktritt von Verfolgung – Diversion“):

Mit der Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr. 55, wurden unter dem Begriff „Diversion“ Formen staatlicher Reaktion auf den Verdacht gerichtlich strafbaren Verhaltens, die vor einem bzw. an Stelle eines förmlichen gerichtlichen Strafverfahrens eingesetzt werden und den Verzicht auf die Fortführung eines Strafverfahrens zur Folge haben können, in die Strafprozessordnung aufgenommen (IXa. Hauptstück, §§ 90a ff StPO). Das geltende Recht ermöglicht dadurch der Staatsanwaltschaft (und dem Gericht), unter bestimmten Voraussetzungen auf Grundlage gebundenen Ermessens (vgl. § 90a StPO) von der Verfolgung strafbarer Handlungen zurückzutreten. Als Diversionsmaßnahmen kommen dabei in Betracht:

      die Zahlung eines Geldbetrages (§ 90c StPO),

      die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 90d StPO),

      die Bestimmung einer Probezeit, allenfalls in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (§ 90f StPO) oder

      die Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleichs (§ 90g StPO).

Im 11. Hauptstück werden die §§ 90a ff StPO im Wesentlichen übernommen. Anpassungen ergeben sich vorwiegend aus terminologischen Gründen (zB „Beschuldigter“ statt „Verdächtiger“, „Geschädigter“ statt „Verletzter“, „Staatsanwaltschaft“ statt „Staatsanwalt“). Als Ergebnis der strukturellen Neuverteilung der Rollen und dem damit einhergehenden Entfall der gerichtlichen Voruntersuchung sind diversionelle Erledigungsformen im Ermittlungsverfahren aber ausschließlich der Staatsanwaltschaft vorzubehalten. Bestimmte Sondervorschriften des geltenden Rechts („eigenes“ Ermittlungsrecht der Staatsanwaltschaft nach § 90k Abs. 1 StPO, Anwendung der Vorschriften über die Zustellung nach § 90j Abs. 2) können angesichts genereller Regelungen folgenlos entfallen; die Abs. 3 und 4 des § 90l StPO können im Hinblick auf das allgemeine Beschwerdeverfahren zusammengefasst und wesentlich gekürzt werden (§ 209 Abs. 3).

Die folgenden Erläuterungen zu den einzelnen Paragrafen verzichten daher angesichts des aktuellen Entstehungszeitpunktes der Diversion in Bezug auf inhaltlich unverändert übernommene Bestimmungen des geltenden Rechts auf die Wiederholung jener Erwägungen, die zur Gesetzwerdung der Strafprozessnovelle 1999 geführt haben [518]). Hervorgehoben werden ausschließlich Änderungen und Anpassungen.

Zu den §§ 198 und 199 („Allgemeines“):

§ 198 entspricht inhaltlich der Bestimmung des § 90a StPO. Neben bereits erwähnten – der Struktur des Entwurfs entsprechenden – sprachlichen Anpassungen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine „Zurücklegung“ der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr vorgesehen ist, sondern vielmehr vor Einleitung diversioneller Maßnahmen die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens zu prüfen ist.

Mit dem neu eingefügten Zitat des § 32 StGB soll § 198 Abs. 2 Z 2 verdeutlichen, dass der Begriff der „schweren Schuld“ als deliktübergreifendes Kriterium auszulegen sein soll. [519]) Die Regelung will Forderungen der Praxis Rechnung tragen; bestehende Unklarheiten über den Begriff schwerer Schuld sollen auf diese Weise – auch im Sinne der seinerzeitigen Gesetzesmaterialien zur Strafprozessnovelle 1999 – beseitigt werden.

Die dem § 90b StPO nachgebildete Regelung des § 199 berücksichtigt vor allem den geplanten Entfall der gerichtlichen Voruntersuchung sowie weiters, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren führt und mit Einbringen der Anklage zur Beteiligten des Verfahrens wird (§ 210 Abs. 2). In dieser Prozessphase übernimmt das Gericht die „Verfahrensherrschaft“. Die Einleitung diversioneller Maßnahmen soll ihm daher (erst) nach dem Einbringen der Anklage zustehen; die diversionelle Erledigung tritt gegebenenfalls an die Stelle einer urteilsmäßigen Verfahrensbeendigung. Die Staatsanwaltschaft hingegen hat mit dem Einbringen der Anklage zum Ausdruck gebracht, dass sie die Durchführung eines förmlichen gerichtlichen Strafverfahrens für notwendig erachtet. Sie hat zwar jederzeit die Möglichkeit, die Anklage zurückzuziehen (vgl. § 227 StPO), doch hätte dies – wie nach geltender Rechtslage – die Beendigung des Verfahrens zur Folge. Eine materielle Erledigung der Anklage steht aber einzig dem Gericht zu.

Im Übrigen soll die Anwendung diversioneller Maßnahmen weiterhin auf Verfahren wegen Offizialdelikten beschränkt bleiben. Für das Hauptverfahren regelt § 199 dies ausdrücklich; für das Vorverfahren ist eine entsprechende Bestimmung entbehrlich, weil diversionelle Maßnahmen in diesem Stadium ausdrücklich der – im Privatanklageverfahren nicht einschreitenden – Staatsanwaltschaft vorbehalten sind.

Zu den §§ 200 bis 204 („Zahlung eines Geldbetrages“, „gemeinnützige Leistungen“, „Probezeit“ und „Tatausgleich“):

Abgesehen von den bereits erwähnten sprachlichen Änderungen ist hervorzuheben, dass die Diktion „… die Durchführung des Strafverfahrens …“ durch die Wortfolge „… Anklage … beabsichtigt sei …“ (siehe auch §§ 200 Abs. 4, 201 Abs. 4, 203 Abs. 3) ersetzt wurde. Diese Anpassung ist erforderlich, weil das Strafverfahren nunmehr mit der ersten Ermittlung oder mit erstmaliger Anwendung von Zwang gegen den Beschuldigten beginnen (§ 1 Abs. 2) und der Begriff „Strafverfahren“ daher nicht wie derzeit dem Stadium der Gerichtsanhängigkeit zuzuordnen sein soll. Die den Tatausgleich regelnde Bestimmung (§ 204) verzichtet – weil irreführend – auf den Begriff „außergerichtlich“. Weiters können entfallen: angesichts der §§ 82 ff der Hinweis in § 90j Abs. 2 letzter Satz StPO auf anzuwendende Zustellvorschriften, das „eigene Ermittlungsrecht der Staatsanwaltschaft“ nach § 90k Abs. 1 letzter Satz StPO im Hinblick auf § 106 Abs. 2, die Zuständigkeit des Untersuchungsrichters für diversionelle Erledigungen (§ 90l Abs. 2 erster Halbsatz StPO) als Folge des Entfalls der gerichtlichen Voruntersuchung und der Inhalt des Abs. 4 des § 90l StPO (mit Ausnahme der Festlegung der aufschiebenden Wirkung, vgl. nunmehr § 209 Abs. 3 letzter Satz) auf Grund der allgemeinen Bestimmungen zu Beschwerden (§§ 87 ff).

Zu § 205 („Nachträgliche Fortsetzung des Strafverfahrens“):

Eine Fortsetzung des Verfahrens nach einem (endgültigen) Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung (oder nach endgültiger Einstellung durch das Gericht) soll nur auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung auf (ordentliche) Wiederaufnahme (§§ 352 ff StPO) zulässig sein. Die Fortsetzung eines Verfahrens, das mit einer staatlichen Sanktion – sei es in Form einer Verurteilung, sei es in Form einer diversionellen Maßnahme – geendet hat, soll also einer gerichtlichen Entscheidung vorbehalten bleiben; eine Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Fortführung des Verfahrens (§ 193 Abs. 2 Z 2), die an die gleichen (materiellen) Gründe wie die gerichtliche Entscheidung gebunden wäre, soll nicht hinreichen.

Abs. 2 Z 3 will die nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens wegen Einleitung eines (anderen) Strafverfahrens auf den Fall des vorgeschlagenen oder des schon erfolgten vorläufigen Rücktritts für eine Probezeit beschränken. Nur im Fall der Probezeit besteht jene Leistung, zu der sich der Beschuldigte verpflichten soll und deren Nichterfüllung den „Widerruf“ der diversionellen Maßnahme berechtigt, im Wohlverhalten während laufender Probezeit. In allen übrigen Fällen hat der Beschuldigte andere Verpflichtungen übernommen und ist seine spätere Delinquenz im Rahmen des neuen Verfahrens zu bewerten, rechtfertigt jedoch nicht, getroffene Maßnahmen zu revidieren. Die Frist zur nachträglichen Fortsetzung des Verfahrens in Abs. 2 Z 3, die sich in der Praxis in einigen Fällen als zu kurz erwiesen hat, wird gleichzeitig von bisher einem auf drei Monate ab dem Einbringen der Anklage im neuen Strafverfahren verlängert.

§ 205 Abs. 5 normiert nun, dass Geldbeträge, die der Beschuldigte bereits gezahlt hat, im Falle nachträglicher Fortsetzung des Strafverfahrens grundsätzlich – und anders als es das geltende Recht (§ 90h Abs. 5 StPO) vorsieht – zurückzuzahlen sind; lediglich im Fall einer Verurteilung zu einer unbedingten Geldstrafe sollen diese Beträge auf die Geldstrafe anzurechnen sein. Damit soll verhindert werden, dass Beschuldigte, die zumindest einen Teil der Geldbuße bezahlt haben und im fortgesetzten Verfahren zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt werden, finanziell schlechter gestellt werden als jene, welche die Leistung einer Geldbuße von vornherein abgelehnt haben. Andere, nicht in Geld bestehende Leistungen sollen weiterhin nicht rückerstattet, allerdings auf Geld- und Freiheitsstrafen angemessen angerechnet werden. Der „Gegenwert“ solcher Leistungen wäre insbesondere mit Rücksicht auf deren Art und Dauer zu ermitteln; diese Berechnung wäre im Rahmen einer Strafberufung bekämpfbar. Der Verweis auf die Bestimmung der Vorhaftanrechnung (§ 38 Abs. 1 Z 1 StGB) soll sicherstellen, dass Urteilsspruch und – in weiterer Folge – Strafregister das volle Ausmaß der verhängten Strafe erkennen lassen. Die derzeitige Berücksichtigung erbrachter Leistungen lediglich im Rahmen der Strafbemessung genügt der erwünschten Transparenz nicht in gleicher Weise, weil der Urteilsspruch nur das Ausmaß der restlichen (durch diversionelle Leistungen noch nicht „abgedeckten“) Strafe zum Ausdruck bringt.

Zu den §§ 206 bis 209 („Rechte und Interessen des Geschädigten“, „Information des Beschuldigten“ und „Gemeinsame Bestimmungen“):

Von der Möglichkeit, ein „Clearing“ im Vorfeld einer diversionellen Maßnahme durchzuführen, wird nur in äußerst geringem Ausmaß Gebrauch gemacht; die Bestimmung des § 90k Abs. 1 StPO (§ 209 Abs. 1 des Begutachtungsentwurfs) wird daher nicht übernommen.

§ 208 Abs. 2 will die umfassenden Rechte, von der Einstellung des Verfahren informiert zu werden (§ 194), auch in diversionell zu erledigenden Verfahren zuerkennen.

Diversionelle Erledigungen werden – wie alle anderen – in den auf der so genannten „neuen Plattform“ automationsunterstützt geführten Registern ausnahmslos erfasst, sodass jede – routinemäßig durchzuführende – Registeranfrage auch diese Erledigungen wieder ergibt und es künftig daher einer dem § 90m StPO entsprechenden Bestimmung nicht mehr bedarf.

4.12. Zum 12. Hauptstück („Die Anklage“):

Abweichend vom geltenden Recht sieht der Entwurf ein „Zwischenverfahren“ nicht mehr vor. Mit Einbringen der Anklage durch die Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2) wird das Ermittlungsverfahren in das Hauptverfahren übergeleitet. Die Staatsanwaltschaft verliert ihre Rolle als verfahrensführende Behörde, sie wird zur Beteiligten des (Haupt-)Verfahrens, dessen Leitung dem Gericht zukommt (§ 210 Abs. 2), das in diesem Verfahrensstadium – wie nach geltendem Recht – auch jene Anordnungen zu treffen hat, für die im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft zuständig ist (§ 210 Abs. 3).

Für das Ermittlungsverfahren normiert der Entwurf die generelle sachliche Zuständigkeit des Landesgerichts (§§ 29 Abs. 1 Z 2, 31 Abs. 1); erst mit Einbringen der Anklage beim Landesgericht oder beim Bezirksgericht (durch Anklageschrift oder Strafantrag) wird die sachliche (und örtliche) Zuständigkeit des Gerichts für das Hauptverfahren festgelegt (§ 210 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 30, 31 Abs. 2, 3 und 4).

Die Phase des Einbringens der Anklage durch die Staatsanwaltschaft stellt die entscheidende Schnittstelle zwischen staatsanwaltschaftlich dominiertem Vorverfahren und gerichtlichem Hauptverfahren dar. Die Disposition über den Prozessgegenstand kommt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nur der Staatsanwaltschaft zu, vielmehr hat das Gericht – das im Ermittlungsverfahren im Wesentlichen auf die Aufgabe des Rechtsschutzes beschränkt ist – ab diesem Zeitpunkt seine „Recht sprechende“ Funktion in der Hauptsache zu erfüllen.

Angesichts der Gewichtigkeit und der Publizitätswirkung einer Hauptverhandlung ist gerichtlicher Rechtsschutz noch vor Wirksamkeit der Anklage unverzichtbar. Ab Beginn der Hauptverhandlung tritt das Strafverfahren aus dem relativ eingeschränkten Kreis der am Ermittlungsverfahren Beteiligten in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Würde man die Notwendigkeit einer gerichtlichen Prüfungskompetenz zu diesem Zeitpunkt in Frage stellen und die Durchführung oder zumindest den Beginn einer Hauptverhandlung auch dann fordern, wenn das Gericht gegen die Ansicht der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung von vornherein ausschließt, würde man ein berechtigtes Schutzbedürfnis der von Anklagen betroffenen Personen vernachlässigen. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Durchführung einer Hauptverhandlung vielfach mit beträchtlichem Aufwand und erheblichen Kosten verbunden ist.

Ähnlich dem geltenden Recht beabsichtigt die Regierungsvorlage – wie schon der Begutachtungsentwurf (vgl. dessen Z 6 – § 449) – im bezirksgerichtlichen Verfahren eine amtswegige Prüfung des Strafantrags und damit der durch diesen bestimmten Zuständigkeit durch das Bezirksgericht selbst, sieht aber keine entsprechende Bestimmung vor, weil diese Regelung in den § 449 aufzunehmen sein wird. Anklagen, die beim Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht eingebracht werden, soll der Beschuldigte – wie nach geltendem Recht – mittels Einspruch durch das Oberlandesgericht überprüfen lassen können (§§ 212, 213 Abs. 2).

Das Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts war in der Strafprozessordnung des Jahres 1873 nicht vorgesehen. Diese Verfahrensart wurde erstmals – zunächst befristet – im Jahr 1918 in die Strafprozessordnung eingeführt; ihre Wirksamkeit wurde in weiterer Folge mehrmals – bis zum Jahr 1926 – verlängert. Schließlich wurde das Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts, das als „vereinfachtes Verfahren in Verbrechens- und Vergehensfällen“ bezeichnet wurde, im Jahre 1934 wiederum als Provisorium normiert und erst mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1974 endgültig im Gesetz verankert. Daraus kann ersehen werden, dass ein Einspruch gegen die Anklage ursprünglich in allen Verfahren vor dem Gerichtshof erster Instanz zulässig und die amtswegige Prüfung der Anklage zunächst auf den bezirksgerichtlichen Bereich beschränkt war.

Diesem Gedanken des historischen Gesetzgebers folgend und unter Berücksichtigung der im Begutachtungsentwurf vorgesehen gewesenen großflächigen Verschiebung sachlicher Zuständigkeit vom Landesgericht zum Bezirksgericht weitete der Begutachtungsentwurf das Recht des Beschuldigten, Einspruch gegen die Anklage zu erheben, auf das Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts aus und versuchte solcherart, das Rechtsschutzinstrumentarium für den gesamten landesgerichtlichen Verfahrensbereich zu vereinheitlichen. Diese Ausweitung zog notwendigerweise eine Begründungspflicht auch der Anklagen im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts nach sich. Auf die in § 485 Abs. 1 StPO vorgesehene Verpflichtung des Einzelrichters des Landesgerichts, bei Vorliegen einer der Gründe des § 485 Abs. 1 Z 2 bis 7 StPO von Amts wegen die Entscheidung der Ratskammer einzuholen, konnte der Begutachtungsentwurf daher verzichten.

Im Begutachtungsverfahren wurden vielfach der mit der Ausweitung der Anklageschrift auf das Einzelrichterverfahren verbundene vermehrte Begründungsaufwand und damit auch die erweiterte Anwendung des Anklageeinspruchs im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts abgelehnt. Diesen Stimmen will die Regierungsvorlage Rechnung tragen, indem sie die Anklageschrift (im Verfahren wegen Offizialdelikten) auf geschworenen- und schöffengerichtliche Verfahren beschränkt und für das Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts zum Strafantrag des geltenden Rechts (§ 483 StPO) zurückkehrt (§ 210 Abs. 1). Die Überprüfung des Strafantrags im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts soll gleichfalls im Wesentlichen aus dem geltenden Recht (§ 485 StPO) übernommen werden; sie wäre vom Einzelrichter beim Oberlandesgericht „anzuregen“, denn der neuen Systematik und dem Entfall der Ratskammer entsprechend will die Regierungsvorlage das Oberlandesgericht mit der Entscheidung befassen. Allerdings muss sich die Regierungsvorlage – wie im Fall der Anklageerhebung im bezirksgerichtlichen Verfahren – auf die Darlegung dieser grundsätzlichen Erwägungen beschränken und es einem weiteren Reformschritt überlassen, diese Prinzipien auszuformulieren.

Wiederholt wurde der Anklageeinspruch nach geltendem Recht unter Berufung auf das Anklageprinzip nach Art. 90 Abs. 2 B-VG kritisiert und seine Verfassungskonformität in Frage gestellt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der wesentliche Gehalt des Begriffs „Anklageprozess“ bedeutet, dass dem Ankläger die „Schlüsselgewalt“ (das „Ob“) zur ordentlichen Untersuchung und zum Urteil übertragen ist. Insofern korrespondiert das Anklageprinzip mit dem Gewaltenteilungsprinzip nach Art. 94 B-VG [520]), dem zu Folge Anklage- und Urteilskompetenz voneinander zu trennen sind. [521]) Das Gericht darf über Schuld nicht ohne Anklage entscheiden und der Ankläger muss, um eine Entscheidung über die Schuld zu erwirken, Anklage einbringen. Art. 6 Abs. 1 EMRK spricht dieses Trennungsprinzip mit den Worten an, dass ein Gericht über „die Stichhaltigkeit der … strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat“. [522])

Die Einspruchsgründe werden in § 212 konkretisiert, wobei vor allem Schutz gegen eine übereilte Anklage (§ 212 Z 3) und gegen das Einbringen einer Anklage, die trotz ausreichender Ermittlungen auf ungenügendem Tatverdacht beruht (§ 212 Z 2), geboten werden soll.

Im Ermittlungsverfahren soll das Landesgericht seine örtliche Unzuständigkeit nur in eingeschränktem Umfang wahrnehmen können. Es hätte immer dann tätig zu werden, wenn die an seinem Sitz eingerichtete Staatsanwaltschaft seine Entscheidungskompetenz durch entsprechende Antragstellung in Anspruch nimmt (§ 36). Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts kann und darf sich aber nicht in jeder Lage des Verfahrens ausschließlich an jener der Staatsanwaltschaft orientieren. Nach dem Einbringen der Anklage soll das Gericht daher auf die Festlegung der örtlichen Zuständigkeit aktiv Einfluss nehmen können. Entsprechende Bedenken hätte das in der Anklageschrift bezeichnete Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht im Rahmen des Einspruchsverfahrens (aber auch dann, wenn der Beschuldigte Einspruch nicht erhebt; § 213 Abs. 6) dem Oberlandesgericht mitzuteilen. Der Einzelrichter des Landesgerichts hätte von Amts wegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts (an Stelle der Ratskammer – vgl. § 485 StPO) einzuholen; im bezirksgerichtlichen Verfahren wäre die Bestimmung des § 38 über den Kompetenzkonflikt anzuwenden (siehe Z 6 des Begutachtungsentwurfs – § 449 Abs. 1 Z 3 StPO).

In zeitlicher Hinsicht begrenzt der Entwurf die Möglichkeit des Landesgerichts als Geschworenen- und Schöffengericht, seine örtliche Unzuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen, mit der Rechtswirksamkeit der Anklageschrift (§ 213 Abs. 5, vgl. auch § 219 erster Satz StPO zur Unabänderlichkeit des Gerichtsstandes im kollegialgerichtlichen Verfahren), die das Landesgericht im geschworenen- und schöffengerichtlichen Verfahren – schon aus Publizitätsgründen – formell feststellen soll. Im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes entspricht dem die Anordnung der Hauptverhandlung (siehe Z 6 des Begutachtungsentwurfs – § 449 Abs. 3 StPO; §§ 451 Abs. 4, 487 StPO).

Zu § 210 („Die Anklage“):

Die Bestimmung des § 4 über das Anklageprinzip schreibt auf einfach gesetzlicher Ebene die alleinige Kompetenz der Staatsanwaltschaft für das Einbringen der Anklage und deren Vertretung vor Gericht fest, beinhaltet aber gleichermaßen die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Anklage einzubringen. Diese Voraussetzungen werden in § 210 Abs. 1 einerseits positiv unter den Prämissen eines ausreichend geklärten Sachverhalts und einer naheliegenden Verurteilung, andererseits negativ durch Abgrenzung zu den obligatorischen Verfahrensbeendigungen der Einstellung des Verfahrens und des Rücktritts von Verfolgung umschrieben.

Die so genannte „Abbrechung“ des Ermittlungsverfahrens gegen unbekannte Täter und gegen Abwesende nach § 197 steht damit nicht im Zusammenhang, weil es sich dabei lediglich um eine vorübergehende Maßnahme wegen faktischer Unmöglichkeit weiterer Verfolgung mangels Ausforschbarkeit des Verdächtigen (bezogen auf die Identität oder auf den Aufenthaltsort), nicht aber um eine formelle Einstellung handelt. Anders als bei den erwähnten Alternativen der Beendigung des Ermittlungsverfahrens wird das Verfolgungsrecht der Staatsanwaltschaft durch „Abbrechung“ nicht tangiert, das Ermittlungsverfahren kann in diesem Fall durch die Staatsanwaltschaft jederzeit „formlos“ (durch einen entsprechenden Vermerk in den Ermittlungsakten) fortgeführt werden.

Die Anklage soll – wie nach geltendem Recht – beim Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht mit Anklageschrift, beim Landesgericht als Einzelrichter und beim Bezirksgericht mit Strafantrag erhoben werden. Sie ist an das Gericht zu richten, das für das Hauptverfahren sachlich und örtlich zuständig ist (§§ 30, 31) und bei diesem Gericht direkt einzubringen (Abs. 1). Damit tritt das Prozessgeschehen in die Phase des Hauptverfahrens; das Gericht des Ermittlungsverfahrens soll – anders als der Untersuchungsrichter bei der gerichtlichen Voruntersuchung nach geltendem Recht (§ 112 Abs. 1 StPO) – mit der Anklage nicht befasst werden. Eine Beteiligung dieses Gerichts, das ohne eigene Prüfungskompetenz nur „Transportfunktion“ im Sinne einer Weiterleitung der Anklage bzw. des gegen sie erhobenen Einspruchs übernehmen könnte, würde das Verfahren nur administrativ belasten. Dies um so mehr, als das Gericht des Ermittlungsverfahrens in vielen Fällen dabei erstmals mit der Anklage befasst wäre. Dem gegenüber liegt nahe, die Anklage beim Gericht des Hauptverfahrens einzubringen, das sich mit der Anklage auch nach ihrer Rechtswirksamkeit auseinander zu setzen hat. Überdies soll diesem Gericht nach dem Einbringen der Anklage auch die Entscheidung über jene Zwangsmittel obliegen, deren Anordnung im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zukommt, weiters hätte dieses Gericht sämtliche mit der Haft eines Beschuldigten im Zusammenhang stehenden Verfügungen und Vorkehrungen zu treffen (Abs. 3).

Da es mit dem Einbringen der Anklage zu einer Verschiebung der Zuständigkeit kommt, soll das – somit unzuständige – Gericht des Ermittlungsverfahrens nach diesem Zeitpunkt über offene Anträge nicht mehr entscheiden. Ein Antrag auf Einstellung des Verfahrens wäre insofern überholt, als nun, in einem weiter fortgeschrittenen Verfahrensstadium, in welchem die Staatsanwaltschaft ihre Anklage durch tatsächliche und rechtliche Qualifikation konkretisiert hat, der Einspruchsgrund nach § 212 Z 1 bzw. Z 2 zustünde. Einsprüche wegen Rechtsverletzung sollen aber nicht deswegen obsolet werden, weil sie durch eine Anklage „überholt“ werden; im Interesse umfassenden Rechtsschutzes – nicht nur des Beschuldigten, sondern auch anderer Personen, die Einspruch erheben können – soll immer, wenn der Beschwerdeführer dies wünscht, also auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt keine Beschwerde mehr vorliegt, eine gerichtliche Entscheidung über im Ermittlungsverfahren erhobene Einsprüche ergehen. In diesen (Ausnahms-)Fällen hätte daher das Gericht des Hauptverfahrens nach den für das Ermittlungsverfahren geltenden Grundsätzen zu entscheiden, wobei sich in der Regel empfehlen wird, diesen Beschluss vor einem allfälligen Verfahren über den Einspruch gegen die Anklageschrift zu fassen (vgl. Abs. 3 in Verbindung mit § 107 Abs. 1).

Zu § 211 („Inhalt der Anklageschrift“):

Die Anklageschrift (§ 210 Abs. 1) hätte wie bisher die Generalien des Angeklagten (Abs. 1 Z 1), die zur Individualisierung der ihm vorgeworfenen Straftat erforderlichen Umstände (den „historischen Sachverhalt“), deren konkretisierende gesetzliche Bezeichnung (Abs. 1 Z 2) und allenfalls (weitere) anzuwendende gesetzliche Bestimmungen (Abs. 1 Z 3) zu enthalten. Die rechtliche Bewertung in der Anklage soll allerdings – wie nach geltendem Recht – weder für das Gericht noch für die Staatsanwaltschaft bindend sein. Die Überschreitung oder Nichterledigung der Anklage durch das Gericht wäre hingegen weiterhin unzulässig (§ 4 Abs. 3) und würde Nichtigkeit des Urteils nach § 281 Abs. 1 Z 7 bzw. Z 8 StPO nach sich ziehen.

Die Staatsanwaltschaft soll in der Anklageschrift auch weiterhin ihre Anträge für das Hauptverfahren stellen, das ihrer Ansicht nach örtlich und sachlich zuständige Gericht bezeichnen und – soweit das nicht auf der Hand liegt – die dafür maßgebenden Umstände anführen sowie den Sachverhalt gerafft darstellen und resümierend bewerten, wobei die einzelnen Tatumstände zu konkretisieren wären (Abs. 2). Diese Begründung ist vor allem deswegen erforderlich, um die entsprechenden Erwägungen der Staatsanwaltschaft dem über einen allfälligen Einspruch entscheidenden Oberlandesgericht bekannt zu machen. Deswegen müssen Strafanträge, die beim Einzelrichter des Landesgerichts oder beim Bezirksgericht eingebracht werden und gegen die ein Einspruch nicht zusteht, eine solche Begründung nicht enthalten (siehe Z 5 des Begutachtungsentwurfs – § 448 Abs. 2; §§ 451 Abs. 1, 484 Abs. 1 StPO; die entsprechenden Verweise werden im Rahmen der im Allgemeinen Teil der Erläuterungen angesprochenen Begleitgesetzgebung anzupassen sein).

Zu § 212 („Einspruch gegen die Anklageschrift“):

Das geltende Recht sieht – aus historischen Gründen – zwar im Verfahren vor den Kollegialgerichten einen Einspruch gegen die Anklage vor, nicht aber vor dem Einzelrichter des Landesgerichts, den es verpflichtet, von Amts wegen eine Entscheidung der Ratskammer einzuholen, wenn er der Ansicht ist, dass einer der Fälle des § 485 Abs. 1 Z 2 bis 7 StPO vorliegt. Aus den oben bereits dargelegten Gründen kehrt die Regierungsvorlage – vom Modell des Begutachtungsentwurfs – im Wesentlichen zum System des geltenden Rechts zurück; anstatt einer Entscheidung der Ratskammer soll eine des Oberlandesgerichts einzuholen sein.

§ 212 bestimmt, dass Einspruch nur dem Angeklagten zusteht und konkretisiert die Einspruchsgründe in Anlehnung an das geltende Recht. Da die Stellung eines Antrags auf Einstellung des Verfahrens durch das Gericht im Ermittlungsverfahren (§ 108) zeitlich mit dem Einbringen der Anklage, somit mit der Beendigung des Ermittlungsverfahrens limitiert und ab diesem Zeitpunkt über bereits erhobene Einstellungsanträge nicht (mehr) zu entscheiden ist, entsprechen – unter Berücksichtigung des aktuellen Verfahrensstadiums – die Gründe der Z 1 und der Z 2 des § 212 den Einstellungsgründen nach § 108.

Die Z 1 fasst die Gründe des § 213 Abs. 1 Z 1 und 3 StPO zusammen, die sich mit der unrichtigen Lösung der Rechtsfrage durch die Staatsanwaltschaft auseinandersetzen. Die Frage, ob die vorgeworfene Tat überhaupt eine gerichtlich strafbare Handlung darstellt, ist nach den Kriterien der Z 9a des § 281 Abs. 1 StPO zu lösen, sonstige rechtliche Gründe umfassen materiellrechtliche Schuldausschließungsgründe, Rechtfertigungsgründe, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, aber auch verfahrensrechtliche Verfolgungshindernisse (§ 281 Abs. 1 Z 9b StPO). Bei Vorliegen solcher Gründe hätte das befasste Oberlandesgericht dem Einspruch Folge zu geben und das Verfahren einzustellen (§ 215 Abs. 2).

Die Behauptung, dass die Voraussetzungen für einen Rücktritt von Verfolgung nach Diversion (3. Teil, 11. Hauptstück) vorlägen, kann hingegen schon deswegen keinen Einspruchsgrund herstellen, weil Diversion (auch) eine Form der Erledigung der Anklage ist. Auch wenn § 198 die Staatsanwaltschaft anweist, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen von der Verfolgung nach Diversion zurückzutreten, kann nicht verkannt werden, dass jede diversionelle Maßnahme eine Alternative zum gerichtlichen Hauptverfahren darstellt, welche voraussetzt, dass der Beschuldigte freiwillig Pflichten übernimmt, und dass die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zum Rücktritt von Verfolgung erst nach Erfüllung dieser Verpflichtungen aktuell wird. Das Oberlandesgericht hätte in einem solchen Fall daher – anders als nach § 211a Abs. 1 StPO – die Rechtswirksamkeit der Anklage festzustellen (§ 215 Abs. 6), zumal es mit seiner Entscheidung der des erkennenden Gerichts nicht vorgreifen darf (§ 215 Abs. 5). Wiederum im Gegensatz zur geltenden Rechtslage würde das Verfahren im Stadium des Hauptverfahrens verbleiben, wobei dem erkennenden Gericht allerdings unbenommen bliebe, auf die Anklage nicht mit Anberaumung einer Hauptverhandlung, sondern mit Einleitung einer diversionellen Maßnahme zu reagieren. Sollte dieses Vorgehen scheitern – sei es wegen fehlender Bereitschaft des Angeklagten oder in Folge einer erfolgreichen Beschwerde der Staatsanwaltschaft – so wäre die Anklageschrift dem weiteren Prozessgeschehen zu Grunde zu legen. Die Staatsanwaltschaft selbst ist nach Einbringen der Anklage nicht mehr befugt, diversionelle Erledigungen durchzuführen, sondern hätte gegebenenfalls einen entsprechenden Antrag an das Gericht zu stellen (§ 209 Abs. 1).

Aus der Natur des Einspruchs als Rechtsbehelf gegen unbegründete Anklagen ergibt sich, dass sich die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht allein auf die Rechtslage und etwaige Fehler im Aufbau der Anklage zu beschränken hat, sondern auch den Beweiswert der be- und entlastenden Aussagen in angemessener Weise würdigen muss. [523]) Nach § 213 Abs. 1 Z 2 StPO hat das Oberlandesgericht daher zu prüfen, ob es an „genügend Gründen fehle, den Beschuldigten der Tat für verdächtig zu halten“, wobei § 215 StPO diese beweiswürdigende Verdachtsprüfung insofern einschränkt, als das Oberlandesgericht damit der Entscheidung des erkennenden Gerichts „nicht vorgreifen“ darf.

Die vorgeschlagene Fassung der Z 2 soll deutlich zu machen, dass eine Einstellung des Verfahrens (§ 215 Abs. 2) nur dann in Betracht kommt, wenn das Oberlandesgericht der Überzeugung ist, dass der Angeklagte der Tat keinesfalls überwiesen werden könne, dass somit Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz eingehender Ermittlungen nicht ausreichen, bei lebensnaher Betrachtung eine Verurteilung auch nur (entfernt) für möglich zu halten. Solange irgendeine Möglichkeit besteht, Zweifel durch weitere Beweisaufnahmen zu klären, wäre ausschließlich die vorgeschlagene Z 3 anzuwenden, der zu Folge das Oberlandesgericht die Anklageschrift zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts (bloß) zurückzuweisen hätte (§ 215 Abs. 3).

Die Z 3 zielt zunächst auf Verfahren ab, in welchen die Staatsanwaltschaft von weiteren möglichen Ermittlungen Abstand nimmt und auf Basis eines nicht hinreichend aufgeklärten Sachverhalts Anklage erhebt. Dies betrifft nicht nur Fälle, die eine Verurteilung des Angeklagten geradezu denkunmöglich erscheinen lassen, sondern auch solche Fallkonstellationen, in welchen auf Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens eine Verurteilung zwar grundsätzlich möglich, aber rein spekulativ wäre (vgl. § 211 Abs. 1 StPO). Damit will der Entwurf vor allem Schutz gegen voreilige Anklagen bieten und vermeiden, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt wird, obwohl zum Zeitpunkt des Einbringens der Anklage realistischer Weise nicht damit gerechnet werden kann, dass eine Verurteilung auf Grundlage der unzureichenden oder mangelhaften Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erfolgen wird. Wenn die Anklage wesentliche formelle Mängel aufweist, also – bei einer gesamtheitlichen Beurteilung – den Mindesterfordernissen des § 211 nicht genügt, räumt die Z 4 einen Einspruchsgrund ein. In beiden Fällen hätte das Oberlandesgericht die Anklage an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, wodurch das Hauptverfahren beendet und die Sache in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurücktreten würde (§ 215 Abs. 3).

Die Z 5 bezieht sich auf die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Diese wäre ausschließlich auf Grundlage des unter Anklage gestellten Sachverhalts zu beurteilen; eine „Aktenwidrigkeit“ wäre allenfalls als formeller Mangel im Sinne der Z 4 zu bewerten. Das Oberlandesgericht soll daher nicht berechtigt sein, die Anklage einem Gericht höherer Ordnung zuzuweisen, wenn es entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft der Ansicht wäre, dass der unter Anklage gestellte Sachverhalt in Verbindung mit dem Inhalt der Ermittlungsakten in tatsächlicher Hinsicht unter ein strengeres Delikt zu subsumieren wäre, weil das Gericht – auch das Oberlandesgericht – nicht befugt ist, die Anklage auszudehnen; in einem solchen Fall wäre nur ein Unzuständigkeitsurteil im Rahmen einer Hauptverhandlung zulässig.

Anders, wenn die Staatsanwaltschaft (irrtümlich) ein Gericht anruft, das für die Verhandlung und Entscheidung des in der Anklage enthaltenen und gewürdigten Sachverhalts nicht zuständig ist. Ein in der Anklage enthaltener Widerspruch darf im Einspruchsverfahren aber nur dann beseitigt werden, wenn offensichtlich ist, dass sich die Staatsanwaltschaft bloß in der Bezeichnung des angerufenen Gerichts geirrt hat. In diesem Fall wäre der sachlichen Zuständigkeit allerdings nach allen Richtungen Rechnung zu tragen, sodass auch eine Zuweisung der Anklage zu einem Gericht höherer Ordnung als dem bezeichneten in Betracht käme.

Im Falle örtlicher Unzuständigkeit des in der Anklage bezeichneten Gerichts (Z 6), die nach § 213 Abs. 6 – wie die sachliche Unzuständigkeit – auch von diesem releviert werden kann, wäre das Verfahren dem zuständigen Gericht zuzuweisen, sofern dieses im Sprengel des befassten Oberlandesgerichts liegen  würde. Erachtet das Oberlandesgericht aber die Zuständigkeit eines Gerichts im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts für gegeben, hätte es die Akten zur endgültigen Klärung der Zuständigkeitsfrage dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.

Z 7 trägt dem Umstand Rechnung, dass die Regierungsvorlage – wieder – ein Privatanklageverfahren vorsieht; sie entspricht der Bestimmung des § 213 Abs. 1 Z 4 StPO.

Zu § 213:

§ 213 verpflichtet das Landesgericht, dem Angeklagten die Anklageschrift zuzustellen (Abs. 1) und ihn über sein Einspruchsrecht sowie überhaupt über seine Verteidigungsrechte zu informieren (Abs. 2). Soweit er durch einen Verteidiger vertreten ist, wäre im Hinblick auf § 83 Abs. 4 diesem zuzustellen. Im Fall, dass der Beschuldigte festgenommen wird oder wurde, soll die Anklage jedoch immer sowohl ihm selbst als auch seinem Verteidiger zuzustellen sein (Abs. 3); ein diesbezügliches „Verlangen“ des Beschuldigten (§ 209 Abs. 3 StPO) soll nicht mehr erforderlich sein.

Der Umstand, dass dem Beschuldigten die Anklage nicht zugestellt werden kann, soll ihrer Rechtswirksamkeit aber grundsätzlich nicht entgegen stehen. Wenn der durch einen Verteidiger vertretene Beschuldigte unbekannten Aufenthaltes ist, kann es daher vorkommen, dass er von der gegen ihn eingebrachten Anklage erst nach eingetretener Rechtswirksamkeit Kenntnis erlangt. Es sollte daher im Interesse des Beschuldigten liegen, den Stand des Verfahrens zu beobachten und mit seinem Vertreter Kontakt zu halten, um auf die Entscheidung, ob und auf welche Weise die Anklage bekämpft werden soll, Einfluss nehmen zu können.

Weiters ist die Zustellung einer Ausfertigung der Anklage an den Privatbeteiligten und an die Kriminalpolizei vorgesehen, um sie über den weiteren Verlauf des Verfahrens in Kenntnis zu setzen.

Die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift hätte das Gericht – schon um diesen wichtigen Verfahrensschritt eindeutig zu dokumentieren – mit Beschluss festzustellen (§ 213 Abs. 4); damit soll – wie nach geltendem Recht – soweit es die örtliche Zuständigkeit betrifft, „perpetuatio fori“ eintreten (Abs. 5).

Das angerufene Gericht soll aber auch von sich aus das Oberlandesgericht mit der Anklage befassen können, wenn es Zweifel an seiner Zuständigkeit hegt. Dies aus Zweckmäßigkeitsgründen gemeinsam mit der Vorlage eines Einspruchs gegen die Anklageschrift, aber auch dann, wenn der Angeklagte keinen Einspruch erhebt (§ 213 Abs. 6), sodass es die Anklageschrift auch im Falle solcher Bedenken jedenfalls zuzustellen haben soll. Ein gesondertes gerichtliches Verfahrens zur Klärung der Frage der Zuständigkeit würde zu unnötigem Aufwand führen, die Möglichkeit formloser Abtretung an ein anderes Gericht vor Rechtswirksamkeit der Anklage hingegen ließe – vor allem im Falle Sprengel übergreifender Zuständigkeitsverschiebungen und bei gleichzeitigem Einspruch – das Entstehen unklarer Situationen und von Missverständnissen befürchten.

Zu § 214 („Verfahren vor dem Oberlandesgericht“):

Über den Einspruch gegen die Anklageschrift soll wie nach geltendem Recht das Oberlandesgericht nach Anhörung der Oberstaatsanwaltschaft in nicht öffentlicher Sitzung (Abs. 1) zu entscheiden haben. Auch das „beneficium cohaesionis“ soll weiterhin gelten (Abs. 2); gegebenenfalls hätte das Oberlandesgericht zugleich mit dem Einspruch auch über die Haft abzusprechen (Abs. 3). Der „Anklagebeschluss“ des  Oberlandesgerichts nach § 218 StPO hingegen hätte zu entfallen, weil ein Einschreiten eines Privatbeteiligten als Subsidiarankläger erst im Falle eines Rücktritts der Staatsanwaltschaft von einer rechtswirksamen Anklage in Betracht kommen soll (§ 72 Abs. 1).

Das Oberlandesgericht hätte zunächst die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zu prüfen und einen verspäteten zurückzuweisen – ein solcher wäre ihm demnach jedenfalls vorzulegen.

Zu § 215:

§ 215 normiert die Entscheidungsmöglichkeiten des Oberlandesgerichts, wobei als Alternativen die Zurückweisung des Einspruchs (Abs. 1), die Einstellung des Verfahrens (Abs. 2), die Zurückweisung der Anklage an die Staatsanwaltschaft (Abs. 3), die „Überweisung“ an ein anderes Gericht seines Sprengels bzw. die Vorlage an den Obersten Gerichtshof, und schließlich die mit der Feststellung, dass die Anklageschrift rechtswirksam sei, verbundene Abweisung des Einspruchs in Betracht kommen. Erledigt das Oberlandesgericht mehrere Anklagepunkte teils auf die eine, teils auf die andere Weise, so soll es ex lege zu einer entsprechenden Trennung der Verfahren (gegen einzelne Angeklagte oder wegen einzelner Anklagepunkte) und gegebenenfalls zu einer teilweisen (Wieder-)Eröffnung des Ermittlungsverfahrens kommen.

Zu Z 2 (Überschriften „5. TEIL“ und „Besondere Verfahren“):

Im Sinne der neuen Systematik durch Gliederung der Strafprozessordnung (auch) in Teile ist die entsprechende Überschrift einzufügen; diesbezüglich sei auf die Ausführungen im Allgemeinen Teil der Erläuterungen verwiesen.

Nach der Systematik des Gesetzes ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht – weiterhin – den „Normalfall“ des Hauptverfahrens bilden wird, an dem sich die übrigen Verfahren orientieren, die dem gemäß unter dem Begriff „besonderen Verfahren“ zusammengefasst werden sollen.

Zu Z 3 (Überschrift „6. TEIL: Schlussbestimmungen“):

Zu § 514 („In-Kraft-Treten“):

Nach den Legistischen Richtlinien 1990 soll in sämtlichen Bundesgesetzen, deren Stammfassung keine Bestimmung über das In-Kraft-Treten enthält, eine solche eingefügt werden; dem soll nunmehr mit dem Strafprozessreformgesetz entsprochen werden (§ 514).

Zu § 515 („Verweisungen“):

Verweisungen werden in üblicher Art geregelt. Abs. 2 zielt auf die Umsetzung der sprachlichen Gleichbehandlung.

Zu § 516 („Übergangsbestimmungen“):

§ 516 folgt dem Grundsatz, dass verfahrensrechtliche Änderungen mit dem In-Kraft-Treten der geänderten Bestimmungen anzuwenden sind; dies soll nach Abs. 1 allerdings dann nicht gelten, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits das Urteil erster Instanz gefällt worden ist. Im Fall der Aufhebung eines solchen Urteils im Rechtsmittelweg oder im Weg außerordentlicher Rechtsbehelfe (Wiederaufnahme, Erneuerung des Verfahrens) wäre jedoch im Sinne der neuen Verfahrensbestimmungen vorzugehen.

Abs. 2 ordnet an, dass offene Anträge auf Durchführung gerichtlicher Vorerhebungen noch nach „altem“ Recht zu erledigen sind. In Fällen, in denen eine Voruntersuchung anhängig ist oder deren Einleitung beantragt wurde, soll ex lege deren Beendigung eintreten; das Gericht hätte – nach allfälliger Durchführung einer Haftverhandlung zur Fortsetzung der Untersuchungshaft – die Akten der Staatsanwaltschaft zu übersenden, die das Verfahren nach dem neuen Recht fortzuführen hätte. Privatankläger sollen aufgefordert werden, binnen angemessener Frist – bei sonstiger Vermutung des Verfolgungsverzichts – Anklage oder den im § 71 vorgesehenen selbstständigen Antrag einzubringen.

Abs. 3 sieht schließlich vor, dass strafbare Handlungen, die nur auf Antrag zu verfolgen sind, lediglich einer Ermächtigung des Verletzten bedürfen, welche als erteilt gelten soll, wenn zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens ein Antrag bereits vorliegt.

Zu § 517 („Vollziehung“):

§ 517 verweist zur Vollziehung auf die grundsätzliche Zuständigkeit des Bundesministers für Justiz laut Anlage 2 F zu § 2 des Bundesministeriengesetzes, Punkt 2. („Angelegenheiten des gerichtlichen Strafrechts“) und 5. („Angelegenheiten der staatsanwaltschaftlichen Behörden sowie der Verfahren von Verwaltungsbehörden im Dienst der Strafrechtspflege“), wobei organisations- und dienstrechtliche Angelegenheiten der Kriminalpolizei naturgemäß in die alleinige Zuständigkeit des Bundesministers für Inneres ressortieren.



[1]) JMZ 578.017/2-II.3/1998.

[2]) JMZ 578.017/10-II.3/2001.

[3]) MIKLAU, Probleme einer Reform des Strafverfahrens, in: Strafverfahrensreform, ÖJK 1980, Schriftenreihe des BMJ, Band 1, 21.

[4]) Vgl. insbesondere FOREGGER in: Strafverfahrensreform, ÖJK 1980, 3 ff, sowie MIKLAU und MOOS in: Neue Wege im strafrechtlichen Vorverfahren, ÖJK 1985, Schriftenreihe des BMJ, Band 27, 43 ff, 73 ff.

[5]) MIKLAU, Überlegungen zur Neugestaltung des Vorverfahrens, in: ÖJK 1985, 43 ff, 51.

[6]) DEARING, Zur Frage der Abschaffung der Voruntersuchung aus rechtsvergleichender Sicht, in: ÖJK 1985, 7 ff, 34.

[7]) KODEK, Der Staatsanwalt im Vorverfahren unter Berücksichtigung der StPO-Reform, in: ÖJK 1985, 129 ff, 149; FRISCHENSCHLAGER/GROF, Aktuelle Probleme des strafrechtlichen Vorverfahrens, JBl. 1988, 683 ff, 775.

[8]) MIKLAU/SZYMANSKI, Strafverfahrensreform und Sicherheitsbehörden – eine Nahtstelle zwischen Justiz- und Verwaltungsrecht, in: Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, FS PALLIN, 249 ff.

[9]) „Das neue Vorverfahren“, in: Band 54 der Schriftenreihe des BMJ, „Strafprozessreform“.

[10]) PILGERMAIR, Zu den Kompetenzen von Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörde im Vorverfahren, ÖJZ 1992, 823 ff, STEININGER, Die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 1992, 134 ff, STRASSER, Die Reform des strafgerichtlichen Vorverfahrens aus der Sicht des Staatsanwaltes, RZ 1991, 266 ff, WEISS, Grundzüge des Vorverfahrens in Strafsachen, ÖJZ 1993, 368 ff, sämtliche mwN, Konzept der Vereinigung der österreichischen Richter und der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte, Schriftenreihe des BMJ, Band 54, 101 ff, Konzept des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, aaO, 109 ff.

[11]) „Das neue Vorverfahren“, in: Band 54 der Schriftenreihe des BMJ, „Strafprozessreform“.

[12]) „Das neue Vorverfahren“, in: Band 54 der Schriftenreihe des BMJ, „Strafprozessreform“, 101 ff.

[13]) Das neue StPO-Vorverfahren, Broschüre des BMJ, Juli 1995.

[14]) Vgl. die Beiträge von MOOS, Grundsatzfragen der Reform des Vorverfahrens, FUNK, Reform des strafrechtlichen Vorverfahrens – verfassungsrechtliche Aspekte und Beziehungen zum Sicherheitspolizeirecht, STEININGER, Das Vorverfahren aus der Sicht des Richters, PILGERMAIR, Das Vorverfahren aus der Sicht des Staatsanwaltes, in: Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Band 82 der Schriftenreihe des BMJ, 37 ff, 81 ff, 111 ff und 131 ff.

[15]) Dies wurde unter Leitung von DEARING erstellt; vgl. DEARING et al Kriminalpolizei und Strafprozessreform. Konzept der Arbeitsgruppe StPO-Reform des Bundesministeriums für Inneres zu einem sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren, Wien 1995, ÖSD Bd. 84.

[16]) Siehe dazu eingehend MOOS, Polizei und Strafrecht, GA f. d. 14. ÖJT, 93 ff mwN.

[17]) Rechtsstaat – Freiheit und Sicherheit; 15 (ÖJK 1999, Verlag Österreich).

[18]) PLEISCHL, Die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens – Der Entwurf des Bundesministeriums für Justiz, in: Vorarlberger Tage – Strafrecht, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 100, 1 ff.

[19]) MIKLAU, Das strafprozessuale Vorverfahren – Zum Stand des legislativen Reformvorhabens, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 28 (StPdG); Schriftenreihe des BMJ Bd. 103, 115 ff.

[20]) 14. ÖJT IV/1 (Strafrecht) MOOS, Polizei und Strafprozess.

[21]) Siehe auch: AISTLEITNER, Diskussion zur StPO – Vorverfahrens-Reform – (vorläufig) vorletzter Akt, Actio, März 1999; ders., Neues Vorverfahren – alte Justiz?, RZ 1999, 186 (mit der Forderung nach einem neuen staatsanwaltschaftlichen Selbstverständnis: „Wir werden die Vorverfahren mit Sachkompetenz, Äquidistanz zu allen – auch zu den Sicherheitsbehörden –, und Objektivität so führen und leiten, dass alle Welt fragen wird: warum brauchten wir jemals einen Untersuchungsrichter?“); ders., Überzeugungskämpfe im Vorverfahren, RZ 2000, 25 („Mehr Macht für den Staatsanwalt nur ohne politische Kontrolle“); KLINGLER, Neues Vorverfahren in Sicht?, RZ 1998, 237 („… in seinen strukturellen Elementen durchgehend positiv aufgenommen“); LAMBAUER, Staatsanwälte herausfordern, aber nicht überfordern!, RZ 1999, 81 („… von den Staatsanwälten im Wesentlichen begrüßte Reform des Vorverfahrens“).

[22]) Siehe dazu Schriftenreihe des BMJ, Band 106 und näher aus Sicht der Entwurfsverfasser PLEISCHL, Einführung in den Entwurf des BMJ zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, 63 ff, 65 ff; PILNACEK, Der neue Verfahrensablauf, 91 ff, 91 f und E. FUCHS, Die neue Rolle der Staatsanwaltschaft, 151 ff.

[23]) Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Justiz zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, JMZ 578.017/2-II.3/1998; im Folgenden als „DE“ zitiert. Paragrafen ohne nähere Bezeichnung sind solche des vorliegenden Entwurfs, Paragrafen der Strafprozessordnung 1975 ist „StPO“ beigefügt.

[24]) Vgl. kritisch WALTER/ZELENY, Über einige verfassungsrechtliche Probleme im Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, ÖJZ 2001, 876 ff, 877, 878 ff mwN; danach sei eine „Anordnung“ der Staatsanwaltschaft“ ein Verwaltungsakt, eine „gerichtliche Bewilligung“ ein Akt der Justiz. Damit werde das angestrebte rechtliche Ergebnis durch Zusammenwirken eines Verwaltungs- und eines Justizorgans hergestellt, was den Trennungsgrundsatz verletze, weil Staatsanwaltschaft und Gericht in derselben „Sache“ entscheiden würden. Dem gegenüber ist auf § 180 Abs. 1 StPO zu verweisen, wonach die Untersuchungshaft nur auf Antrag des Staatsanwaltes verhängt werden darf. Auch nach § 149e Abs. 2 StPO setzt die gerichtliche Anordnung einer Überwachung einen Antrag des Staatsanwaltes voraus. Im Bereich von Hausdurchsuchungen wäre zusätzlich auf § 88 Abs. 3 StPO zu verweisen, wonach der Staatsanwalt bei Gefahr im Verzug auch die Durchführung einer Hausdurchsuchung durch die Sicherheitsbehörde anordnen kann. Die Anordnung beinhaltet insoweit einen Antrag an das Gericht, einen bestimmten Grundrechtseingriff zu bewilligen.

[25]) Vgl. EGMR im Fall Khan gegen das Vereinigte Königreich, ÖJZ 2001/21 (MRK), wonach im Fall heimlicher Überwachung durch staatliche Behörden das innerstaatliche Recht einen Schutz gegen einen willkürlichen Eingriff in die Rechte einer Person nach Art. 8 EMRK bieten müsse. Die innerstaatlichen Gerichte haben deshalb in jeder Instanz die Auswirkungen der Zulassung des durch die heimliche Überwachung gewonnenen Beweismittels auf die Fairness des Strafverfahrens zu prüfen; nur unter diesen Umständen steht die Verwertung des in Rede stehenden Beweismittels in der Hauptverhandlung nicht mit den Erfordernissen der Fairness in Konflikt (im Sondervotum des Richters Loucaides wird dem gegenüber allerdings zum Ausdruck gebracht, dass der Ausschluss von Beweismitteln, welche entgegen dem geschützten Recht auf Privatsphäre erlangt wurden, als ein notwendiges Gegenstück dieses Rechts angesehen werden müsste, wenn ein solches Recht von irgendeinem Wert sein solle).

[26]) Vgl. vor allem WALTER/ZELENY, Über einige verfassungsrechtliche Probleme im Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, ÖJZ 2001, 876 ff; Stellungnahme des BKA-VD vom 13. September 2001, GZ 602.001/004-V/A/5/2001; FUNK, Der Staatsanwalt im Verfassungsgefüge, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 32 ff, FUNK/SCHICK, Gutachten „Zu Fragen der Funktion sowie der Bestandsgarantie der ,Staatsanwaltschaft‘ und ihrer Weisungsgebundenheit“ [erstellt im Auftrag der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte], sämtliche mwN.

[27]) Siehe RV eines Sicherheitspolizeigesetzes, 148 BlgNR XVIII. GP, 29 ff.

[28]) VfSlg. 4692.

[29]) Vgl. VfSlg. 6675/1972, 8349/1978; siehe auch VfSlg. 2909/1955, 3156/1957, 9937/1984, 10311/1984, 11287/1987, 13776/1994, 14192/1995 uva.

[30]) Vgl. M. SCHMIDT, Gerichtliche Vorerhebungen und Bundesverfassung, JBl. 1991, 701 ff unter Berufung auf VfSlg 6675, 8349, 9937, 10.311.

[31]) VfSlg 2798.

[32]) In diesem Sinne siehe bereits: Das neue StPO-Vorverfahren, Broschüre des BMJ, Juli 1995, Siehe 4 f.

[33]) VfSlg.14.887.

[34]) Siehe WEISS, Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Aspekte im Verhältnis Sicherheitspolizei und Strafrechtspflege, in FS MOOS (1997), 197 ff, 215 mwN.

[35]) Zur Maßgeblichkeit dieser historischen Interpretation siehe ua. VfGH, Erk. vom 12. 10. 2000, G 56/00, wonach bei der Auslegung verfassungsgesetzlicher Begriffe (in concreto jenes der „Justizverwaltung“) auf die einfach gesetzliche Rechtslage zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des B-VG abzustellen sei. Siehe auch FUNK, Der Staatsanwalt im Verfassungsgefüge, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 32, wonach hL und Rsp. von der als „Versteinerungstheorie“ bezeichneten systematisch-historischen Verfassungsauslegung geprägt würden (wenn er diese Auslegungsmaxime auch als „weder unumstritten“ noch als „in starrer und schematischer Weise“ anzuwendend bezeichnet). Zur Bedeutung der Absicht des historischen Verfassungsgesetzgebers vgl. auch VfGH, Erk. vom 28. 6. 2001, G 103/00.

[36]) Siehe ULLMANN, Lehrbuch des österreichischen Strafproceßrechts, 2. Auflage, 75.

[37]) GA FUNK/SCHICK, „Zu Fragen der Funktion sowie der Bestandsgarantie der ,Staatsanwaltschaft‘ und ihrer Weisungsgebundenheit“, 49.

[38]) GA FUNK/SCHICK, aaO, 31.

[39]) In diesem Sinne HAUENSCHILD, RZ 2000, 194.

[40]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen der Reform des Vorverfahrens, in: Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Schriftenreihe des BMJ Bd. 82, 47 ff = ÖJZ 1996, 886 ff, 890 ff.

[41]) Vgl. OGH zu 13 Os 152/00 (= teilw. veröffentlicht ÖJZ-LSK 2001/161) unter Berufung auf RATZ , WK2      Vorbem. §§ 28 bis 31 Rz 1 und 19.

[42]) Vgl. 13 Os 152/00 und ausführlich zum prozessualen Tatbegriff: RATZ in FUCHS-RATZ [Hg], WK StPO, § 281 Abs. 1 Z 7 und 8, Rz 502 bis 525.

[43]) Vgl. näher zu diesem Begriff und seiner Ableitung FUNK, Sicherheitspolizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, JRP 1996, 26 ff, 29.

[44]) Vgl. MOOS; GA f. den 14. ÖJT, 63 ff.

[45]) Siehe dazu auch die Kritik bei MOOS; Polizei und Strafprozess, GA für den 14. ÖJT, 100 f.

[46]) Siehe SAILER, Opferrechte im Spannungsfeld zu den Verteidigungsrechten, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 106, 243 ff, 245.

[47]) Vgl. § 24 in Verbindung mit §§ 87 Abs. 1 und 88 Abs. 1.

[48]) Zu den Verfahrensgrundsätzen nach geltendem Recht siehe MARKEL in FUCHS-RATZ [Hg], Rz 9 bis 18 zu § 1.

[49]) Vgl. Entschließungen des XV. Int. Strafrechtskongresses zum Thema III: Die Reformbewegungen und der Schutz der Menschenrechte, in ZStW 108 (1996), 689 ff, 705.

[50]) Vgl. HENRION, Der Einführungsartikel des französischen CPP, ZStW 113 (2001), 923 ff, 924 f.

[51]) Vgl. SCHWAIGHOFER, Der Unmittelbarkeitsgrundsatz beim Zeugenbeweis und seine Ausnahmen, ÖJZ 1996, 124 ff, 125 mwN.

[52]) AICHER, Der Staatsanwalt im Spannungsfeld zwischen Parteistellung und Objektivitätsgebot, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 377 ff, 381.

[53]) Siehe FUNK/LACHMAYER, Der Staatsanwalt im Verfassungsgefüge, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 31 ff, 37 ff, 55; Vgl. auch HAUENSCHILD; Das Zusammenwirken der Strafverfolgungsbehörden – verfassungsrechtliche Fragen zum Entwurf der Strafprozessreform, RZ 2000, 186 ff mwN.

[54]) Zum materiellen Verständnis des Anklagegrundsatzes und seiner Vereinbarkeit mit Art. 90 Abs. 2 B-VG siehe WEISS, Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Aspekte im Verhältnis Sicherheitspolizei und Strafrechtspflege, in FS MOOS (1997), 197 ff, 215 mwN. Zur verfassungsrechtlichen Diskussion siehe auch die Anträge der AbgzNr Dr. Peter KOSTELKA, Dr. Johannes JAROLIM und Genossen zur Verankerung der Staatsanwälte in der Bundesverfassung, BlgNR 150/A XXI. GP, und zur Ergänzung des B-VG um Bestimmungen über einen weisungsfreien Bundesstaatsanwalt, BlgNR 326 und 329 XXI. GP.

[55]) Vgl. MOOS; GA f.d. 14. ÖJT, 75 mwN in FN 225; er verweist darauf, dass sich die Verantwortung des Anklägers für den Inhalt seiner Anklage in der Bindung des Gerichts an die Beschuldigung wegen der bestimmten Tat widerspiegelt (Identität der Tat; § 267 StPO).

[56]) Vgl. MATOUSEK, Der Staatsanwalt im modernen Rechtsstaat, in Enquete 1996, 13 ff

[57]) Vgl. LAMBAUER; Der Staatsanwalt – abhängig oder unabhängig?, JBl. 1985, 328 ff, 333: Durch die Vollanzeige sind die Weichen bereits gestellt und ist der Staatsanwalt an die Auswahl der relevanten Fakten durch die Polizei gebunden.

[58]) Vgl. MOOS; GA f. d. 14. ÖJT, 75 f.

[59]) Siehe dazu ausführlich E. FUCHS, Die neue Rolle der Staatsanwaltschaft, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 106, 151 ff.

[60]) Vgl. auch BIRKELBAUER, Die Identität von angeklagter und verurteilter Tat, JAP 2001/2002, 97 ff; umfassend RATZ, in FUCHS-RATZ [Hg], WK StPO, Rz 502 ff zu § 281 Abs. 1 Z 7 und 8 (Nichterledigung und Überschreitung der Anklage).

[61]) Vgl. DE Z 26 ff.

[62]) Vgl. SOYER, Streitpunkte einer Strukturreform des Vorverfahrens, in SOYER, Strukturreform. des Vorverfahrens, ÖSD Bd. 96, 9 ff, 20 f.

[63]) Vgl. dazu mwN HANDSTANGER/OKRESEK, Sicherheitsverwaltung und MRK, ÖJZ 1995, 251 ff, 253.

[64]) Vgl. diesbezüglich „Das neue StPO-Vorverfahren“, Broschüre des BMJ, Juli 1995, 21 f und DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform. Konzept einer Arbeitsgruppe StPO-Reform des Bundesministeriums für Inneres zu einem sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren, Wien 1995 [Juristische Schriftenreihe Bd. 84]; („Kripo-Konzept“), 204.

[65]) Vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung des eidgenössischen Bundesgerichtes bei: THOMANN, Verdeckte Fahndung, SchZStr 1994, 285 ff, 293, wonach das Auftreten eines rechtmäßig handelnden Scheinkäufers einen Grund setze, die Strafe zu mildern, wenn man annehmen müsse, Umfang und Schwere der Taten wären ohne V-Mann-Beteiligung geringer gewesen.

[66]) BGH vom 18. 11. 1999, 1 StR 221/99; vgl. auch BGH vom 30. 5. 2001, 1 StR 42/01, StV 2001, 492 ff, wonach der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt sein kann, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei geführte Vertrauensperson angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den Provozierten bestehenden Tatverdachts steht.

[67]) Siehe schon das geltende Recht (§ 199 StPO); vgl. Auch FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 2 zu § 199 mwN. Rechtsvergleichend sei auf § 136a dStPO hingewiesen

[68]) Vgl. MOOS, Juridicum 4/1992, 36 ff.

[69]) Siehe zur jüngeren Judikatur KÜHNE, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur Verfahrensdauer in Strafsachen, StV 2001, 529 ff.

[70]) DRIENDL, Verfahrensdauer und Strafprozessform in Österreich aus deutscher Sicht, JBl. 1981, 125 ff, macht auf den Maximenwiderstreit zwischen Wahrheitsermittlung und Beschleunigung aufmerksam: „Je gründlicher ermittelt wird, je stärker die Orientierungs- und Teilhaberechte im Verfahren ausgebaut sind, je umsichtiger verhandelt und beraten wird, je umfassender die Verfahrenskontrollen durch die Instanzen sind, um so höher wird im Regelfall die Chance für die richtige Urteilsfindung, um so länger das Intervall zwischen Rechtsbruch und Rechtsdurchsetzung sein.“ Der Maximenwiderstreit zwischen Wahrheitsfindung und Beschleunigung endet aus seiner Sicht dort, wo die Wahrheitsfindung durch zunehmenden Umfang und Verkomplizierung des Verfahrens zu ersticken droht.

[71]) Einer der unbestrittenen Effekte der Haftreform besteht in der Verkürzung der durchschnittlichen Dauer der Untersuchungshaft; nach Karazman-Morawetz/stangl, „Die Auswirkungen des StPÄG 1993 auf die Praxis der Untersuchungshaft“, JRP 1999, 89, zeigt sich 1996 gegenüber den früheren Untersuchungsjahren erstmals eine deutliche Verkürzung der durchschnittlichen Untersuchungshaftdauer. In Wien, Linz und Graz hat sie sich gegenüber 1991 (statistisch signifikant) um rund ein Drittel verkürzt: in Wien und Linz von neun Wochen auf sechs bzw. fünf Wochen, in Graz von sieben auf fünf Wochen. Nur in Innsbruck dauert die (dort allerdings seltener eingesetzte)      U-Haft im Schnitt mit gut neun Wochen unverändert lange. Siehe auch SOYER, Reform der Untersuchungshaft in Österreich – Rückblick und Ausblick, StV 2001, 536 ff.

[72]) Siehe schon GRASSBERGER, Zur Reform des Schwurgerichtes, in FS RITTLER (1946), 56; RITTLER, Zur Frage der Geschworenengerichte, JBL 1947, 69; NOWAKOWSKI, Reform der Laienbeteiligung in Strafsachen, GA f. D. 4. ÖJT, Bd. I/5; Eine Übersicht der Vor- und Nachteile der Laiengerichtsbarkeit findet sich zB bei BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 114 ff.

[73]) Vgl. eingehend und die historische Entwicklung einbeziehend LIENBACHER, Der Öffentlichkeitsgrundsatz des Zivil- und Strafverfahrens im österreichischen Verfassungsrecht, ÖJZ 1990, 425 ff, 515 ff; ZACHARIAS, Das Öffentlichkeitsprinzip im Strafprozess, ÖJZ 1996, 681, jeweils mwN.

[74]) §§ 456, 488 Z 3 StPO; § 42 JGG; § 213 FinStrG; § 26 UWG; §§ 8a Abs. 2, 15 Abs. 3 MedienG.

[75]) So schon das geltende Recht: vgl. §§ 116 (Augenschein), 162a (kontradiktorische Vernehmung) und 182 StPO (Haftverhandlung).

[76]) Vgl. DE Z 25.

[77]) SCHWAIGHOFER, Die Wechselwirkungen zwischen Vorverfahren und Hauptverhandlung und die Rolle des Staatsanwalts im zukünftigen Vorverfahren, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 239 ff, 244 f.

[78]) St. SEILER, aaO; Rz 70 f.

[79]) SCHWAIGHOFER, Unmittelbarkeitsgrundsatz, aaO, 124 ff.

[80]) Siehe auch AISTLEITNER, Die Tatfrage – eine vernachlässigte Perspektive, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 361 ff, 366 ff.

[81]) Zur Frage der Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung siehe ausführlich und mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen: MOOS, Die Ausdehnung der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Beweiswürdigung nach § 281 Abs. 1 Z 5a StPO, ÖJZ 1989, 97 ff und 135 ff Die darin angesprochenen Forderungen nach Einführung einer echten Aufklärungsrüge („logische Konsequenz aus dem Instruktionsprinzip“) bzw. Ausweitung des § 290 StPO, weil Z 5a anders als Z 5 nicht in den materiellrechtlichen Feststellungsmangel einbezogen werden kann, muss einem weiteren Reformschritt vorbehalten werden.

[82]) Vgl. EvBl. 1973/96 (Disziplinarkommission); EvBl. 1992/26 (Abgabenbescheid). Entgegen St. SEILER, Strafprozessrecht Rz 58, verstößt die in EvBl. 2000/9 festgestellte absolute Wirkung der materiellen Rechtskraft eines strafgerichtlichen Schuldspruchs (in concreto Bindung an die Verurteilung wegen §§ 146 ff im nachfolgenden Finanzstrafverfahren) nicht gegen den Grundsatz der selbstständigen Entscheidung über Vorfragen, sondern ergibt sich aus der Bindungswirkung im Sinne der Entscheidung des verst. Senats des OGH 17. 10. 1995, 1 Ob 612/95 (= JBl. 1996, 117; ZVR 1996/2; EvBl. 1996/34 ua). Immerhin verbleibt dem Gericht auch in diesem Fall die Beurteilung der Vorfrage, ob Gründe vorliegen, die eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens rechtfertigen könnten.

[83]) Vgl. SSt 38/21.

[84]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 8 f zu § 290 mwN.

[85]) Vgl. LOHSING/SERINI, Österreichisches Strafprozessrecht4, 568; SSt 8/106.

[86]) Vgl. Die Nachweise bei FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 9 zu § 290, und St. SEILER, aaO, Rz 890, sowie BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 850.

[87]) Vgl. DEARING, Sicherheitspolizei und Strafrechtswesen, in FS PLATZGUMMER (1995), 225 ff, 228 f. mwN.

[88]) Vgl. FUNK, Zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens: Verfassungsrechtliche Aspekte und Beziehungen zum Sicherheitspolizeirecht, in Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 82, 81 ff, 96 f.

[89]) Vgl. DEARING, in FS PLATZGUMMER, aaO, 225, dem sich FUNK, in Leitlinien. aaO, 96 anschließt; auch MOOS, GA f. D. 14. ÖJT, 3 verwendet den Begriff „Kriminalpolizei“. Schließlich wird auch im DE (§ E 5; siehe auch die Erläuterungen in E 19) von der primären (kriminalpolizeilichen) Aufgabe der Sicherheitsbehörden und ihrer Organe gesprochen.

[90]) Siehe die Bestimmungen des Bundeskriminalamt-Gesetzes, BGBl. I Nr. 22/2002, wonach für Zwecke einer wirksamen bundesweiten Bekämpfung gerichtlich strafbarer Handlungen das Bundeskriminalamt als Organisationseinheit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit eingerichtet wird.

[91]) Siehe auch § 5 Abs. 2 BKA-G, wonach Kriminalpolizei im Sinne dieses Bundesgesetzes die Wahrnehmung von Aufgaben im Dienst der Strafrechtspflege ist.

[92]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen der Reform des Vorverfahrens, ÖJZ 1996, 897.

[93]) Vgl. SCHMIDT, aaO, 701 ff, 708 f, mwN.

[94]) Vgl. BGBl. Nr. 526/1993, vgl. auch JAB 1157 BlgNR XVIII. GP, 2 und 12.

[95]) Vgl. MOOS; Grundsatzfragen, aaO, 895. Nach dem formalen Verständnis des Anklageprozesses ist die Staatsanwaltschaft darauf beschränkt, die Beweiserhebung durch Polizei oder Richter zu beantragen und den ihr zugetragenen Prozessstoff durch die Anklage zum erkennenden Gericht zu transportieren.

[96]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen, aaO, 896.

[97]) Vgl. DEARING et al., die vom formalen Anklageprinzip ausgehend keine Bedenken dagegen hätten, die Anklagefunktion beim Bezirksgericht der Polizei zu übertragen.

[98]) Vgl. die Broschüre des Bundesministeriums für Justiz, Betriebliches Informationssystem, Darstellung der Staatsanwaltschaften (StaBIS-Justiz) für den Berichtszeitraum 1. Jänner bis 31. Dezember 1999, wonach beispielsweise im Jahr 1999 von österreichweit insgesamt 239 716 anhängig gewordenen Strafverfahren gegen bekannte Täter [278 649 gegen unbekannte Täter], 171 621 Fälle [189 775 Fälle] in den Zuständigkeitsbereich der Bezirksgerichte fielen.

[99]) HAUPTMANN, Die Generalprokuratur, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 149 ff.

[100]) Vgl. STRASSER, Die Generalprokuratur – ein „unbekanntes Wesen“, aber keine „Anklagebehörde“, ÖJZ 1999, 884 mwN.

[101]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StPO8, § 33 Rz 1 und 2 mwN.

[102]) Vgl. zB OGH vom 18. Jänner 2001, 12 Os 152, 153/00.

[103]) Vgl. die E des OGH vom 30. Juni 1998, 1 Ob 320/97h = JBl. 1999, 192, wonach durch die Erklärung des Generalprokurators, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht zu erheben, ein Parteirecht nicht verletzt wird. Eine solche Erklärung des Generalprokurators ist deshalb auch kein der Anfechtung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zugänglicher Bescheid. Dasselbe gilt für die Anfechtbarkeit einer negativen Erklärung des BMJ, dem Generalprokurator den Auftrag zur Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu erteilen.

[104]) Vgl. in diesem Zusammenhang die E des EGMR im Fall BULUT gegen Österreich vom 26. Februar 1996, ÖJZ 1996/16, MRK 430.

[105]) Vgl. Urteil des EGMR im Fall FEY gegen Ö, ÖJZ 1993, 26 MRK 394 = JBl. 1993, 508.

[106]) Vgl. den Erlass des BMJ, JAB Nr. 43/1993, durch den die Staatsanwaltschaften angewiesen werden, umfangreiche Vorerhebungen im bezirksgerichtlichen Verfahren nach Möglichkeit durch die Sicherheitsbehörden vornehmen zu lassen und Bezirksrichtern empfohlen wird, derartige Erhebungen entweder durch die Sicherheitsbehörden oder in der Hauptverhandlung zu führen.

[107]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StPO8, § 61 Rz 2.

[108]) Vgl. Urteil des EGMR im Fall FEY gegen Ö, ÖJZ 1993, 26 MRK 394.

[109]) Vgl. PLEISCHL, Reform des strafprozessualen Vorverfahrens aus der Sicht der Justiz, 14, in: Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat, 21. Tagung der ÖJK, Verlag Österreich Nr. 5.

[110]) Beschwerdeinstanz gegen Verfügungen oder Verzögerungen des Untersuchungsrichters (§ 113 StPO), mitwirkendes Gremium bei der Beschlagnahme (§§ 145 Abs. 2, 147 Abs. 1), der Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§ 149b Abs. 1), der optischen und akustischen Überwachung (§ 149e Abs. 1), des automationsunterstützten Datenabgleichs (§ 149j Abs. 1), Beschlussfassung über einen Subsidiarantrag (§ 48 Abs. 1 StPO), Prüfung des Strafantrages nach §§ 485 ff StPO, Befugnisse nach den §§ 40 Abs. 1, 64 Abs. 1, 71 Abs. 2, 74 Abs. 2; 74a, 108 Abs. 2, 112 Abs. 3, 225 StPO und nach einigen Nebengesetzen wie FinStrG, MedienG, Devisen, StEG.

[111]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen der Reform des Vorverfahrens, ÖJZ 1996, 886 ff, 898 f.

[112]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY; StPO8, § 481, Rz 1.

[113]) Siehe auch OGH zu 13 Os 34/91 und zu 11 Os 74/94, EvBl. 1994/130.

[114]) Vgl. § 5 Abs. 2 OGH-Gesetz in der Fassung BGBl. I Nr. 95/2001.

[115]) In der Regel bewirkt nur die Beweisaufnahme eines ausgeschlossenen Richters Nichtigkeit nach § 71 StPO mit der Konsequenz, dass der Beweis in der Hauptverhandlung gemäß § 281 Abs. 1 Z 2 StPO nicht verwendet werden darf. Die Teilnahme eines ausgeschlossenen (nicht aber eines befangenen) Richters an der Urteilsfällung macht das Urteil nach § 281 Abs. 1 Z 1 StPO nichtig. Wenn das erkennende Gericht hingegen einen Ablehnungsantrag zu Unrecht abweist, ist das Urteil nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO nichtig; vgl. BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 197 mwN.

[116]) Nach der Judikatur des VwGH (ua. VwGH-Erk. 97/07/0160 vom 29. 6. 2000) kann die Mitwirkung eines befangenen Organs bzw. Amtssachverständigen von der Partei zwar jederzeit gerügt, aber nicht gesondert angefochten werden. Allerdings stellt die Mitwirkung eines befangenen Organs einen Verfahrensmangel dar, der im Regelfall im Rechtsmittelverfahren saniert werden kann.

[117]) § 19 JN – Ablehnungsgründe (Ausschließung und Befangenheit); § 20 JN – Ausschließungsgründe; § 25 JN – Prozesshandlungen eines abgelehnten Richter: „Wird der Ablehnung stattgegeben, so sind die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozesshandlungen nichtig und, soweit erforderlich, aufzuheben“.

[118]) … „wenn an der Entscheidung ein Richter teilnahm, welcher kraft des Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes in dieser Rechtssache ausgeschlossen war, oder dessen Ablehnung vom Gerichte als berechtigt erkannt worden ist“.

[119]) Vgl. DE, E 24 f.

[120] ) BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 194, definieren als Ablehnungsgründe Umstände, welche die Aufgeschlossenheit des Richters für alle belastenden und entlastenden Argumente, vielleicht ohne ihm selbst bewusst zu sein, beeinträchtigen (subjektive Befangenheit) oder die doch den Anschein erwecken, es fehle dem Richter an dieser Aufgeschlossenheit (objektive Befangenheit).

[121]) Vgl. Foregger/Fabrizy, StPO8 § 68 Rz 11, wonach derzeit von einer Entscheidung – in erster oder zweiter Instanz – im Wiederaufnahmeverfahren auch jene Richter ausgeschlossen sind, die im Grundverfahren als Rechtsmittelrichter die Tat- und Schuldfrage selbst entschieden haben, vgl. weiters § 23 dStPO.

[122]) Entgegen EvBl. 1993/8, wonach derartige Entscheidungen gemäß § 74 Abs. 3 StPO ausdrücklich jedem weiteren Rechtsmittel entzogen sind, wird dies durch die Wendung „kein selbstständiges Rechtsmittel …“ zum Ausdruck gebracht.

[123]) Vgl. DE B 9, und die dortigen Verweise auf die Literatur und den Stand der Reformdiskussion.

[124]) Vgl. LAGODNY, Staatsanwaltschaft oder/und Kriminalpolizei? Zur Ermittlungsmacht im österreichischen strafprozessualen Vorverfahren bei Abschaffung des Untersuchungsrichters, ÖJZ 2000, 325 ff; MORINGER, Zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, Gründe für das Gesamtkonzept des Justizministeriums aus anwaltlicher Sicht, AnwBl. 1999, 467; St. SEILER, Der Diskussionsentwurf des BMJ zur Reform des Vorverfahrens, ÖJZ 1999, 251 ff; SOYER, Verteidigungsrechte im künftigen Vorverfahren, AnwBl. 2000, 596 ff; äußerst kritisch dagegen VENIER, Der Beschuldigte und sein Verteidiger im Vorverfahren – zum Diskussionsentwurf des BMJ mit Blick auf die Rechtslage in Italien, AnwBl. 1998, 730 ff, der festhält, dass der Entwurf die Stellung des Beschuldigten und seines Verteidigers im Vorverfahren kaum verbessern werde. „Die Polizei wird auch nach dem Entwurf essentielle Beschuldigtenrechte ignorieren, jedenfalls umgehen können, so vor allem das Anwesenheitsrecht des Verteidigers und das Recht auf Besprechung mit dem Verteidiger. Ein von Ausnahmen strotzendes Verwertungsverbot wird sie dazu wohl nur ermuntern.“

[125]) Siehe dazu umfassend, insbesondere zur historischen Ableitung, MOOS, GA f. D. 14 ÖJT, mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf das Schrifttum zur Reformdiskussion.

[126]) Art. V EGVG.

[127]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen der Reform des Strafverfahrens, ÖJZ 1996, 886 ff, 893 mwN.

[128]) Vgl. St SEILER, Die Stellung des Beschuldigten im Anklageprozess, ÖSD Bd. 98, 44 ff.

[129]) MOOS, GA f. d. 14. ÖJT, 103, FN 301, spricht davon, dass der Beschuldigte inkonsequent (infolge des Abschieds von der Parteistellung des Staatsanwaltes und der Lehre vom Prozessrechtsverhältnis) als „Partei“ statt zutreffend als Beteiligter des Strafverfahrens bezeichnet wird; siehe in diesem Sinne schon die Erläuterungen zum DE B 9: „Die Stellung des Beschuldigten als Verfahrensbeteiligter …“.

[130]) Vgl. LESCH; Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff.

[131]) Vgl. § B 3 DE.

[132]) LESCH; Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff, 642, verweist Kritiker dieses Verständnisses zu Recht darauf, dass die Vernehmung so lange zu unterlassen ist, als eine ernsthafte Gewährung rechtlichen Gehörs für den Beschuldigten nach dem jeweiligen Stand des Verfahrens mit dem Sachaufklärungsinteresse nicht auf einen Nenner zu bringen ist.

[133]) Vgl. ÖJZ 1993/218 A ua.; in diesem Sinne bereits KRANEWITTER, Sicherheitsbehörden und Strafjustiz, 85 f.

[134]) Der VwGH vermied eine tatsächliche Auseinandersetzung damit, ob die Verweigerung der Akteneinsicht zu Recht erfolgte, indem er in einer Niederschrift, in der – in Form des „Zur Kenntnis nehmens“ – die Darstellung eines Verfahrensvorganges (der Verweigerung der Akteneinsicht) und die Mitteilung der Rechtsansicht der Behörde (wonach die Akteneinsicht nicht von dieser, sondern vom Gericht zu gewähren sei) enthalten ist, mangels normativer über ein konkretes Begehren absprechender Entscheidung weder einen Bescheid noch die Beurkundung eines mündlich verkündeten Bescheides erblickte; VwGH 31. 3. 1993, 92/01/0402 = ZfVB 1994/1108.

[135]) Vgl. GRAFF, Reform des strafprozessualen Vorverfahrens aus Sicht des Rechtsanwaltes, ÖJK 1999, 149 ff, 151.

[136]) Rechtsvergleichend sei etwa auf die Bestimmung des § 147 Abs. 1 dStPO verwiesen, wonach der Verteidiger befugt ist, „die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Fall der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen“.

[137]) Die zu einer bestimmten Geschäftszahl eingetragene Anzeige der Sicherheitsbehörde erhält im Zeitpunkt des Einlangens bei der Staatsanwaltschaft eine „St“ bzw. „BAZ“-Zahl und wird sodann mit Antragstellung dem Gericht übermittelt, bei dem schließlich der „eigentliche“ Akt mit der Gattungsbezeichnung „Ur“geführt wird.

[138]) Nach der Jud. d. EGMR (vgl. ÖJZ 1999/34) gewährt Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK dem Beschuldigten das Recht nicht nur vom Grund („cause“) der Beschuldigung, dh. von den Handlungen, von denen behauptet wird, dass er sie begangen habe und auf welche sich die Beschuldigung gründet, sondern auch von der rechtlichen Qualifikation, die diesen Handlungen zugeordnet wird, informiert zu werden. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung muss im Licht des allgemeineren Rechts auf ein faires Verfahren, wie es von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert wird, beurteilt werden. Eine vollständige detaillierte Information betreffend die Anschuldigungen gegen den Beschuldigten und konsequenterweise die rechtliche Qualifikation, welche das Gericht in der Angelegenheit voraussichtlich vornehmen wird (the legal characterisation that the court might adopt in the matter), ist zwar eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Verfahren fair ist, doch kann dies eben erst im Zeitpunkt der Einbringung der Anklage entschieden werden; bereits im Fall Kamasinski gg. Österreich (ÖJZ 1990/10) hat der EGMR ausgesprochen, dass das im § 45 Abs. 2 StPO vorgesehene System der Akteneinsicht nicht im Widerspruch zu dem durch Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK verbürgten Verteidigungsrecht steht.

[139]) Vgl. zu diesem Spannungsfeld GRABENWARTER, Verfassung und Informationsgesellschaft, in: Grundrechte in der Informationsgesellschaft, Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat, Bd. 18, 48 ff, 56 ff; PILNACEK, Informationsgrundrechte und Strafverfolgung, Impulsreferat, ebendort, 145 ff, 149 f.

[140]) Vgl. zB § 47a, der die im Strafverfahren tätigen Behörden verpflichtet, bei Erteilung von Auskünften an Dritte die berechtigten Interessen der durch die strafbare Handlung verletzten Personen an der Wahrung ihres höchstpersönlichen Lebensbereiches zu beachten.

[141]) Vgl. GRABENWEGER, Die Grenzen rechtmäßiger Strafverteidigung, ÖSD Bd. 105, 154 ff.

[142]) Vgl. GRABENWARTER, Verfassung und Informationsgesellschaft, (FN 141), 68 ff.

[143]) Vgl. FUCHS, Zum Entwurf eines Bundesgesetzes über besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, StPdG 24, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Justiz, Bd. 85, 263 ff, 294, der die Formulierung des Verbots allerdings als missglückt bezeichnete, weil sie als Einladung missverstanden werden könnte, jene Überwachungsergebnisse, die sich beim Gerichtsakt befinden, zu veröffentlichen.

[144]) Vgl. FUCHS, Das Opfer im Strafrecht, StPdG 26, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Justiz, Bd. 94, 1 ff, 29 f, wonach von einem solchen Veröffentlichungsverbot nur jene Teile auszunehmen seien, die in einer öffentlichen Verhandlung erörtert werden.

[145]) Vgl. EGMR, Urteil Sunday Times vom 26. April 1979, Series A Nr 30, para 65). In einem weiteren Fall (Observer und Guardian gegen das Vereinigte Königreich; einstweilige Verfügung zur Beschränkung von Veröffentlichungen; ÖJZ 1992/16) stellte der EGMR fest, dass die Anordnung eines Publikationsverbots (prior restraint on publica­tion) nicht schlechterdings Art. 10 EMRK widerstreite. Das würden nicht nur die Worte „Bedingung“, „Beschränkungen“, „verhindern“ und „Verhütung“ beweisen, die in dieser Bestimmung aufscheinen, sondern auch das Sunday-Times-Urteil des GH vom 26. April 1979 und dessen „markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann“-Urteil vom 20. November 1989 (Serie A Nr 165).

[146]) Vgl. dazu ZEIT, Nr. 47/2001, „Kriminelle Energie am Reißwolf“, wonach wegen dieses Tatbestandes am 9. November 2001 zwei Redakteure der ZEIT von einem Hamburger Amtsgericht mit Strafvorbehalt (6 000 DM) verwarnt worden seien, weil ihr Artikel zum Aktenschwund in Helmut Kohls Kanzleramt, „Operation Löschtaste“ vom 20. Juli 2000 (ZEIT, Nr. 30/00) wörtliche Zitate aus amtlichen Ermittlungsunterlagen enthalten habe.

[147]) Vgl. Urteil vom 1. Mai 2001, 6 S 49/2000.

[148]) JMZ 578.017/2-II.3/1998.

[149]) In der Stellungnahme des Datenschutzrates zu diesem Entwurf vom 14. Dezember 1998, GZ 817.065/3-DSR/98, wird „diese Bestimmung, die erstmals die Amtsverschwiegenheit materiell auch auf eine Verfahrenspartei ausdehnt“, sogar ausdrücklich begrüßt.

[150]) Vgl. GRABENWARTER, Verfassung und Informationsgesellschaft (FN …), 60, FN 39.

[151]) Siehe dazu insbesondere BERKA, Medienfreiheit im Spannungsfeld zu Veröffentlichungsverboten, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 106, 349 ff.

[152]) Vgl. MARXEN, Strafrecht im Medienzeitalter, JZ 6/2000, 294 ff, der jedoch zu Recht auf eine Verschmelzung von Medien und Strafrecht verweist, die das Strafrecht strukturell verändert, zB durch Ausformung eines neuen Verfahrenstyps, des „veröffentlichten Verfahrens“.

[153]) Vgl. MARXEN, Strafrecht im Medienzeitalter, JZ 6/2000, 294 ff, 299, der auch auf das wechselnde Verhältnis der Medien und Strafverfolgungsorgane zwischen Fahndungshilfe und mediengerechter Inszenierung von Festnahmen und anderen Ermittlungen einerseits und der Unterstützung eines Beschuldigten durch Gelegenheit zu öffentlichen Stellungnahmen andererseits aufmerksam macht.

[154]) Siehe dazu die berechtigten Ausführungen von BERKA, Medienfreiheit im Spannungsfeld zu Veröffentlichungsverboten (FN 151), 359 f.

[155]) Siehe dazu GRABENWARTER, Verfassung und Informationsgesellschaft (FN 141), 59 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

[156]) EGMR Fall Fressoz et Roire, Urteil vom 21. Jänner 1999, BNr. 29183/95; ÖJZ 1999/28 (MRK); ähnlich auch ÖJZ 2000/3 (MRK): Auf Grund der „Pflichten und Verantwortlichkeiten“, die der Freiheit der Meinungsäußerung immanent sind, unterliegt die Garantie, welche Art. 10 MRK Journalisten bietet, wenn sie über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse berichten, der Vorbedingung, dass Letztere gutgläubig handeln, mit dem Ziel, richtige und verlässliche Informationen im Einklang mit ihrer journalistischen Berufsehre zu bieten.

[157]) ÖJZ 2001/4 (MRK).

[158]) Vgl. für viele DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, ÖSD Bd. 84, 242.

[159]) Vgl. auch Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens, Arbeitskreris deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (C.H.Beck 2001), § 163a AE-EV.

[160]) Vgl. §§ B 11 und B 12 DE sowie die Erläuterungen B 22 ff; siehe dazu KESSEL, Schließung der Voruntersuchung trotz unerledigten Beweisantrags, ÖJZ 1999, 542 ff, 552 f, der die Vorschläge als wesentlichen Vorteil gegenüber der heutigen StPO bewertet; krit. hingegen SOYER, Thesen zur Reform von Ermittlungsbefugnissen und Verteidigungsrechten im Vorverfahren, Referat am 14. ÖJT (in Druck).

[161]) Siehe dazu FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 1 ff zu § 238 und § 246: „Wer einen Beweis führen will, muss die Tatsachen, die er beweisen will, also das Beweisthema, und die Beweismittel sowie die Gründe angeben, weshalb erwartet werden kann, es werde die Durchführung des beantragten Beweises das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben.“ Kritisch zu dieser Begründungspflicht BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 649 mwN.

[162]) Siehe dazu SOYER, Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 267 ff, 290 f.; SCHWAIGHOFER, Die Wechselwirkungen zwischen Vorverfahren und Hauptverhandlung, ebendort, 239 ff, 245 ff.

[163]) Vgl. OGH 16. 4. 1998, 15 Os 24/98; EGMR im Fall Kamasinski gg. Österreich, ÖJZ 1990/10 (MRK).

[164]) In der Fassung BGBl. I Nr. 209/1999.

[165]) Bestimmte Rechte, zB die Akteneinsicht, gewährt sie grundsätzlich dem Verteidiger, dem Beschuldigten hingegen nur dann, wenn er nicht vertreten ist (§ 45 Abs. 2 StPO).

[166]) Vgl. GRABENWEGER, Die Grenzen rechtmäßiger Strafverteidigung, ÖSD Bd. 105, 69 ff mwN.

[167]) Vgl. MAYERHOFER, StPO4, ENr 36, 37, 59 und 60 zu § 44.

[168]) Anders noch § B 4 Abs. 2 DE, wonach in diesem Fall jene Erklärung gelten sollte, die dem Beschuldigten die weitergehenden Verfahrensrechte einräumt oder offen hält und damit die prozessrechtlich für ihn günstigere ist. Dies wurde im Begutachtungsverfahren als Pflicht zur amtswegigen Erforschung der für den Beschuldigten günstigsten Prozesserklärung und als Widerspruch zur Willensautonomie des Beschuldigten kritisiert.

[169]) Vgl. auch §§ 294 Abs. 5, 296 Abs. 3 und 471 Abs. 3 StPO in der Fassung der Strafprozessnovelle 2000, BGBl. I Nr. 108/2000.

[170]) Vgl. FUCHS, Diskussionsbeitrag, ÖJK 1999, 185 f, der zu Recht darauf verweist, dass sich dieses Recht bei richtiger Betrachtung bereits aus § 88 Abs. 3 StPO in Verbindung mit Art. V EGVG ergibt.

[171]) Vgl. EGMR im Fall MURRAY gg. UK, EuGRZ 1996, 587 ff (Z 60); Bei Anerkennung eines grundsätzlichen Rechts des Beschuldigten, gemäß Art. 6 EMRK von Beginn der polizeilichen Befragung an einen Verteidiger zur Seite zu haben, ist der EGMR dennoch bereit, Beschränkungen anzuerkennen, wenn sie aus gutem Grund („for good cause“) erfolgt sind. Ein guter Grund liege jedoch nicht mehr vor, wenn die Beschränkung des Anwaltszugangs bei Gesamtbetrachtung des Verfahrens das Fairnessgebot verletzen würde; vgl. dazu KÜHNE, Anwaltlicher Beistand und das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren, EuGRZ 1996, 571 ff.

[172]) Der Hinweis von VENIER, Der Beschuldigte und sein Verteidiger im Vorverfahren – zum Diskussionsentwurf des BMJ mit Blick auf die Rechtslage in Italien, AnwBl. 1998, 730 ff, wonach die Praxis der Gerichte immer wieder Unterbrechungen in der HV zulasse, um eine Beratung des Beschuldigten mit seinem Verteidiger zu ermöglichen, weshalb nicht an § 245 Abs. 3 StPO angeknüpft werden sollte, überzeugt nicht. Die vorgeschlagene Regelung hindert die geschilderte Praxis nicht, ermöglicht aber der Leitung der Vernehmung, sich gegen obstruktive Verteidigung durchzusetzen.

[173]) Nach der E des EGMR im Fall S gg. die Schweiz stellt dieses Recht einen Bestandteil der Grunderfordernisse eines fairen Verfahrens in einer demokratischen Gesellschaft dar, das sich aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK ergibt. Wenn der Verteidiger außer Stande ist, sich mit seinem Mandanten zu unterreden, würde dessen Beistand viel an Brauchbarkeit verlieren („would loose much of its usefulness“), während die Konvention bestrebt ist, Rechte zu gewähren, die praktisch sind und Wirksamkeit entfalten, ÖJZ 1992, 15, 343.

[174]) Vgl. GRABENWEGER, Die Grenzen rechtmäßiger Strafverteidigung, ÖSD Bd. 105, 136 f.

[175]) Vgl. § B 6 Abs. 1 DE.

[176]) Vgl. EvBl. 2000/18 unter Berufung auf FROWEIN/PEUKERT, MRK-Kommentar2, Rz 187 f, 194, 197; van Dijk/van Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights2, 349.

[177]) Vgl. EvBl. 1999/121, wonach sich aus § 41 Abs. 1 Z 4 erster Fall StPO nicht ergebe, dass der Angeklagte für die gesamte Dauer der zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde offen stehenden Frist einen Verteidiger benötigt.

[178]) Vgl. VfSlg 10.326, wonach auch der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf das durch Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht hegt, sich selbst vor Gericht verteidigen zu können.

[179]) Siehe dazu kritisch: SOYER, Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 267 ff, 284 f; rechtsvergleichend: KIER, Abschaffung oder Reform der österreichischen Pflichtverteidigung. Eine Problembetrachtung aus englischer Perspektive, Juridikum, 2002, 3 ff, der dem Begutachtungsentwurf insoweit Recht gibt, als ein Verteidigerwechsel auf Grund der administrativen Probleme der Rechtsanwaltskammern, aber vor allem auf Grund des bereits zwischen Anwalt und Mandanten geschaffenen Vertrauensverhältnisses und des bereits vorhandenen Aktenwissens, welches bei einem Wechsel verloren ginge, nicht zweckvoll ist.

[180]) OGH 30. 10. 1997, 12 Os 122/97.

[181]) Vgl. § 36 Abs. 2 ZPO.

[182]) Vgl. FUCHS, Die strafprozessuale Stellung des Verbrechensopfers und die Durchsetzung seiner Ersatzansprüche, GA für den 13 ÖJT (1997), 87.

[183]) Vgl. KILCHLING, Opferinteressen und Strafverfolgung, kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut, Band 58, 650.

[184]) Vgl. FUCHS, Die strafprozessuale Stellung des Verbrechensopfers und die Durchsetzung seiner Ersatzansprüche im Strafverfahren, GA für den 13. ÖJT (1997), 97.

[185]) Der Entwurf kann sich dabei an ausländische Vorbilder anlehnen: vgl. zB das (Schweizer) Bundesgesetz über die Hilfe an Opfern und von Straftaten (Opferhilfegesetz) vom 4. Oktober 1991, Amtl. Bull. SR 1991 III, 584, dazu näher WEDER, Das Opfer, sein Schutz und seine Rechte im Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Kantons Zürich, SchZStrR 1995, 39 ff; HAUSER, Opferhilfe und Opferschutz im schweizerischen Strafrecht in: FS MOOS, 334 f. Mit der Meinung, dass zwischen einer Privatbeteiligung zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche und einer Privatbeteiligung in dem Sinne unterschieden werden soll, dass dem Geschädigten eine Art. Genugtuung verschafft wird, hat sich aber bereits der Arbeitskreis für Grundsatzfragen einer Erneuerung des Strafverfahrens auseinandergesetzt; vgl. Zusammenfassung der Beratungen, StP-AK ThV IV/Prozessparteien/Privat­beteiligter/VI/2, 75.

[186]) Vgl. DE, Erläuterungen P 9 f.

[187]) VOGL, Die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens aus der Sicht der Sicherheitsbehörden, ÖJK 1999, Kritik und Forschung im Rechtsstaat; 15 [131] bezeichnet eine solche Differenzierung als unsachlich, weil ihr eine willkürliche Grenzziehung zu Grunde liege; AINEDTER/MORINGER/SOYER, „Erste Stellungnahme“ monieren, dass dem durch eine strafbare Handlung in materiellen oder immateriellen Rechten unmittelbar Beeinträchtigten gleichermaßen effektive Rechte einzuräumen wären; VENIER, Die Reform der strafprozessualen Opferrechte, tätige Reue und Verfolgungsverzicht, JRP 1999, 97 ff fordert, dass der Gesetzgeber sein Interesse nicht nur auf einen erlesenen Kreis „besonders betroffener“ Opfer konzentrieren, sondern auch weniger Betroffenen das Gefühl vermitteln sollte, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Jede Person, die durch eine Straftat mutmaßlich verletzt, geschädigt, misshandelt oder gequält wurde, sollte wohl ein Mindestmaß an Verfahrensrechten beanspruchen können, auch wenn ihre körperlichen oder seelischen Nachteile (vielleicht) weniger schwer wiegen oder das Opfer behauptet, „nur“ am Vermögen geschädigt zu sein. Opfer sei auch die beinahe geschädigte, verletzte oder gequälte Person, also das Opfer eines strafbaren Deliktsversuchs, da die Tat immerhin seinen rechtlich geschützten Interessen galt; EDER, Stellungnahme, hegt hinsichtlich der engen Opferdefinition Bedenken, weil dem Opferbegriff Symbolcharakter zukomme.

[188]) Vgl. KILCHLING, Opferinteressen, aaO, 704.

[189]) Vgl. § P 1 Z 1 DE, wonach die Verletzung der sexuellen Integrität nur bei einer „erheblichen“ Beeinträchtigung für weitergehende Verfahrensrechte von Bedeutung sein sollte.

[190]) Vgl. auch dazu § P 1 Z 1 DE, auf eine „besonders“ peinigende oder erniedrigende Form der Qualen stellt der Entwurf nicht ab.

[191]) Bereits der Diskussionsentwurf hat sich in den Erläuterungen (P 19) dazu bekannt, nahen Angehörigen, im Falle des Todes des Opfers, unabhängig von der Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche, das Recht einzuräumen, sich am Verfahren zu beteiligen. Die überwiegende Zahl der Stellungnahmen hat sich diesem Gedanken angeschlossen.

[192]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StPO8, RZ 2 zu § 47 StPO.

[193]) Vgl. Diskussionsentwurf, Erläuterungen P 13 f.

[194]) Vgl. die Kritik der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer Stellungnahme zum Diskussionsentwurf in ihrem Bericht an den Vorstand der Vereinigung der österreichischen Richter Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der GÖD: „Bei allem Respekt vor den Opfer- und Geschädigteninteressen darf der Blick auf das Wesentliche nicht verloren gehen … Die Erweiterung der Verfahrensrechte, speziell die amtswegige Schadenserhebungs- und Entscheidungspflicht über zivilrechtliche Ansprüche würde die Entscheidung in der Schuldfrage wesentlich verzögern und damit dem im Art. 6 Abs. 1 erster Satz EMRK normierten Gebot, wonach in angemessener Frist über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlich erhobenen Anklage zu entscheiden ist, zuwiderlaufen.“

[195]) Vgl. Art. 4 Abs. 2 und 3 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung von Opfern im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82/1.

[196]) Vgl. FUCHS, Die strafprozessuale Stellung des Verbrechensopfers, aaO, 27 f; dass dem Privatbeteiligten im Vorverfahren kein Recht zukommt, die Aufnahme von Beweisen zu beantragen, ergebe sich aus der – nur den Subsidiarankläger einschließenden – Formulierung des § 97 Abs. 1 StPO.

[197]) Vgl. § 58 Abs. 1 bis Abs. 3 des Begutachtungsentwurfs.

[198]) Vgl. Art. 6 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung von Opfern im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82.

[199]) Vgl. OGH vom 12. August 1999, 15 Os 92/99 = ÖJZ 2000/8.

[200]) Vgl. zB VENIER, aaO (JRP 1999, 97) „Die Empörung des Opfers oder seiner Angehörigen über einen Freispruch ist zwar menschlich verständlich, aber kein tragfähiges Argument, um ihm ein diesbezügliches Rechtsmittel unabhängig vom Willen des Staatsanwaltes einzuräumen. Soweit das Opfer Schadenersatz vom Beschuldigten begehrt hat es immer noch die Möglichkeit, sich im Zivilprozess am Freigesprochenen schadlos zu halten“; der Arbeitsgruppe der Vereinigung der österreichischen Richter Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der GÖD zur Erarbeitung einer Stellungnahme zum Diskussionsentwurf erscheint eine solche Rechtsmittelbefugnis in ihrem Bericht an den Vorstand überzogen, auch die Rechtsanwälte AINEDTER/MORINGER/SOYER halten in der „ersten Stellungnahme“ eine uneingeschränkte Rechtsmittelbefugnis des Privatklägers für überzogen und erwägen, dass die Rechtsmittelbefugnis bei sachgerechter Lösung auf die Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe nach § 281 Abs. 1 Z 3 und 4 StPO zu beschränken wäre.

[201]) Vgl. VENIER, aaO (JRP 1999, 97).

[202]) Vgl. EvBl. 1996/109 betreffend die Verwertung eines Beweismittels im Zivilprozess, das durch Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Strafverfahren gewonnen wurde.

[203]) Vgl. Art. 10 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung von Opfern im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82.

[204]) Vgl. WEGSCHEIDER et al, Stellungnahme zum DE, Änderungsvorschlag zu § P 9 Abs. 4.

[205]) Vgl. Art. 4 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung von Opfern im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82/1.

[206]) Nach § 1 der Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinienverordnung – RLV, BGBl. Nr. 266/1993), erstreckt sich deren Anwendungsbereich auch auf die Aufgabenerfüllung der Organe des Exekutivdienstes im Dienste der Strafrechtspflege; nach § 6 Abs. 2 Z 2 hat eine Frau, die sich über ein Geschehen aus ihrem privaten Lebensbereich äußern soll, im Zuge dessen sie von einem Mann misshandelt oder schwer genötigt worden ist, das Recht, von einer Frau befragt oder vernommen zu werden.

[207]) Vgl. Art. 3 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung von Opfern im Strafverfahren, ABl. 2001, L 82.

[208]) Vgl. OGH vom 7. April 1999, 13 Os 40/99 (Aufhebung eines Zuspruchs und Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg, weil weder die Anschlusserklärung, noch die (gekürzte) Urteilsausfertigung noch der Akteninhalt Anhaltspunkte dafür ergaben, dass dem Privatbeteiligten ein Schaden entstanden sein könnte.

[209]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StPO8 § 47 Rz 5.

[210]) Vgl. § P 4 Abs. 2 DE, wonach beruhend auf der Differenzierung „Privatkläger“ und „Privatbeteiligte“ unterschiedliche Zeitpunkte einer möglichen Verfahrensbeteiligung vorsah.

[211]) Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären folgende Privatanklagedelikte außerhalb des StGB (dort: §§ 117, 118, 119, 121 bis 123, 152 und 193) anzuführen:

§§ 4 [enthält noch Verweis auf die pressrechtlich verantwortlichen Personen; Zuständigkeit der in Presssachen zuständigen Gerichte], 10 [Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten], 11 und 12 [Verletzung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen. Missbrauch anvertrauter Vorlagen] UWG; § 42 GMG [Gebrauchsmustergesetz]; § 22 HlSchG [Halbleiterschutzgesetz]; § 159 PatentG [verfahrensrechtliche Besonderheiten wegen einstweiligem Patentschutz nach § 158; §§ 91, 92 Urheberrechtsgesetz [Besonderheit: selbständiges Verfahren auf Vernichtung]; § 60 Markenschutzgesetz [Zuständigkeit des Einzelrichters]; § 35 MuSchG [Musterschutzgesetz]; § 25 Sortenschutzgesetz [Zuständigkeit des Landesgerichts]; § 10 Zugangkontrollgesetz; schließlich noch das Verfahren nach dem MedienG mit der verfahrensrechtlichen Besonderheit der § 8a (selbständiges Entschädigungsverfahren), 33 Abs. 2 (selbständiges Einziehungssverfahren) und 34 Abs. 3 (selbständiges Verfahren zur Urteilsveröffentlichung).

[212]) Vgl. dazu § 46 Abs. 1 zweiter Satz StPO.

[213]) Rechtsvergleichend sei auf § 381 dStPO hingewiesen, wonach die Erhebung der Klage zu Protokoll oder durch Einreichung der Anklageschrift, für die Formerfordernisse der durch den Staatsanwalt erhobenen öffentlichen Klage gelten.

[214]) Siehe § 384d StPO und KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44 Rz 4 ff zu § 384 dStPO, wonach ergänzende Ermittlungen durch das Gericht vor Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens (nach § 202 dStPO) und in diesem Umfang auch Zwangsmittel wie Beschlagnahme, nicht jedoch Haft angeordnet werden können.

[215]) Vgl. auch § 92 des Urheberrechtsgesetzes: (1) …

(2) Kann keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so hat das Strafgericht auf Antrag des Verletzten die im Absatz 1 [Anm.: Vernichtung und Unbrauchbarmachung von Eingriffsgegenständen und Eingriffsmittel] bezeichneten Maßnahmen im freisprechenden Erkenntnis oder in einem selbständigen Verfahren anzuordnen, wenn die übrigen Voraussetzungen dieser Maßnahmen vorliegen. Im selbständigen Verfahren erkennt hierüber das Gericht, das zur Durchführung des Strafverfahrens zuständig wäre, nachdem die etwa erforderlichen Erhebungen gepflogen worden sind, nach mündlicher Verhandlung durch Urteil. Auf die Verhandlung, die Entscheidung und ihre Veröffentlichung sowie auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden, die für die Entscheidung über den Strafanspruch gelten. Für den Kostenersatz gelten dem Sinne nach die allgemeinen Vorschriften über den Ersatz der Kosten des Strafverfahrens; wird dem Antrag stattgegeben, so trifft die Kostenersatzpflicht die an dem Verfahren als Gegner des Antragstellers Beteiligten.

(3) In den Fällen der Abs. 1 und 2 sind, soweit es möglich ist, auch die Eigentümer der der Vernichtung oder Unbrauchbarmachung unterliegenden Gegenstände zur Verhandlung zu laden. Sie sind, soweit es sich um die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Maßnahmen handelt, berechtigt, tatsächliche Umstände, vorzubringen, Anträge zu stellen und gegen die Entscheidung die nach der Strafprozessordnung zulässigen Rechtsmittel zu ergreifen. Wegen Nichtigkeit können sie das Urteil auch dann anfechten, wenn das Gericht die ihm nach den Abs. 1 und 2 zustehenden Befugnisse überschritten hat. Sie können ihre Sache selbst oder durch einen Bevollmächtigten führen und sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der in die Verteidigerliste eingetragenen Personen bedienen. Die Frist zur Erhebung von Rechtsmitteln beginnt für sie mit der Verkündung des Urteils, auch wenn sie dabei nicht anwesend waren. Gegen ein in ihrer Abwesenheit gefälltes Urteil können sie keinen Einspruch erheben.

[216]) Vgl. dazu FOREGGER/FABRIZY, StPO8, RZ 14 zu § 46 StPO.

[217]) Vgl. dazu die andere Meinung von FUCHS, 13. ÖJT, 109, wonach die Subsidiaranklage nur mehr in eingeschränkter Form für Opfer eines schweren Gewaltdelikts – unabhängig von allfälligen materiellen Schäden und Ansprüchen wegen eines besonderen Betroffenseins – beibehalten und die Verfolgung privatrechtlicher Ansprüche dem Zivilrechtsweg überlassen werden kann; zustimmend auch EDER, aaO.

[218]) Vgl. Diskussionsentwurf, Erläuterungen P 19 zu § P 6.

[219]) Vgl. Diskussionsentwurf, Erläuterungen P 19 f.

[220]) Vgl. auch VENIER, JRP 1999, 97 zu 2. „Die Kostenfrage“.

[221]) Siehe dazu umfassend: Erneuerung des Justizbetriebes – Rationalisierung durch IT-Einsatz – Projektstand III, Schriftenreihe des BMJ Bd. 92.

[222]) Vgl. auch die durch Art. 6 dieses Gesetzes eingeführten §§ 15a bis 15c StVG, mit welchen die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine automationsunterstützte Datenverarbeitung nach dem DSG 2000 im Rahmen der Vollzugsverwaltung normiert wurde.

[223]) Zu den weiteren Ausbaumöglichkeiten der Verfahrensautomatisation siehe Projektstand III, 39 f.

[224]) Vgl. RV BlgNR 924 XVIII. GP, 20, wonach im Sinne der mit dem StGB eingeführten Terminologie nunmehr auch im § 84 StPO die Ausdrücke „öffentliche Behörde“ und „Amt“ durch „Behörde“ und „öffentliche Dienststelle“ ersetzt werden, ohne dass dadurch der Kreis der Normadressaten verändert worden wäre.

[225]) Zum Verständnis der danach bestehenden Rechtslage siehe die Rz 1 ff zu § 84 bei FOREGGER/FABRIZY, StPO8, und das dort wiedergegebene Schrifttum.

[226]) Vgl. RV 924 BlgNR XVIII. GP, JAB 1157 BlgNR XVIII. GP, 8 und JAB, 289 BlgNR XXI. GP.

[227]) Vgl. St. SEILER, Strafprozessrecht4, Rz 511.

[228]) Vgl. St. SEILER, Strafprozessrecht4, Rz 258 mit Nachweisen aus der Judikatur; FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 3 zu § 86 StPO halten die Anhaltung zwar nicht für unzulässig, jedoch für problematisch, wenn das Delikt seiner Art oder den Umständen nach offensichtlich geringfügig ist.

[229]) Vgl. etwa NOWAKOWSKI, Reform der Rechtsmittel im Strafverfahren, 2. ÖJT 3, 58.

[230]) BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 209.

[231]) EvBl. 1987/98, 14 Os 172/01; HARBICH, Der Beschluss im Strafprozess und seine Begründung, RZ 1977, 147.

[232]) Siehe die Übersicht der anfechtbaren und nicht anfechtbaren Beschlüsse bei BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 979 bis 990.

[233]) Das geltende Recht bestimmt – abgesehen von § 114 StPO – jeweils in den einzelnen Bestimmungen, ob einer Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt; vgl. §§ 90l Abs. 3 und 4, 114, 193 Abs. 6, 393a Abs. 5 und 498 Abs. 2 StPO.

[234]) Vgl. VENIER, Die Beschwerde nach dem Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, AnwBl. 2001, 523 ff.

[235]) Vgl. VENIER, Die Beschwerde nach dem Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, AnwBl. 2001, 523 ff.

[236]) Vgl. §§ E 1 bis E 13; §§ Z 1 bis Z 30 und §§ G 1 bis G 10 sowie die jeweils Bezug habenden Erläuterungen E 9 ff, Z 25 ff und G 9 ff DE.

[237]) Dies unabhängig davon, ob es sich inhaltlich um ein kriminalpolizeiliches oder staatsanwaltschaftliches Verfahrensmodell handelt; Vgl. Gutachten und Referate der strafrechtlichen Abteilung des 14. ÖJT; ÖJK 1999; Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 82 uva.

[238]) Kritisch zu der vorgeschlagenen Kompetenzverteilung MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. d. 14. ÖJT, 136 ff, der einerseits vorschlägt, die richterliche Durchführung einer Tatrekonstruktion dem Ermessen des Staatsanwaltes anheim zu stellen, „der die spätere Reproduzierbarkeit bzw. den Beweismittelverlust abschätzen müsste“, andererseits fordert, dass das Gericht im Ermittlungsverfahren Vernehmungen, insbesondere in sensiblen Fällen, nicht nur unter den Bedingungen des § 162a StPO vornehmen sollte; dagegen SOYER; Thesen zur Reform von Ermittlungsbefugnissen und Verteidigungsrechten im Vorverfahren, Referat f. d. 14. ÖJT, der es für entbehrlich hält, dem Gericht im Vorverfahren weiterhin Beweisaufnahmen durchführen zu lassen; in diesem Punkt ähnlich auch AISTLEITNER, Neues Vorverfahren – alte Justiz?, RZ 1999, 186 ff

[239]) Vgl. zu den Teilfunktionen des Vorverfahrens auch DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, ÖSD Bd. 84, 86 f.

[240]) Vgl. BURGSTALLER, Aktuelle Wandlungen im Grundverständnis des Strafrechts, JBl. 1996, 362 ff, 363.

[241]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen der Reform des Vorverfahrens, in: Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Schriftenreihe des BMJ Bd. 82, 47 ff (= ÖJZ 1996, 886 ff.), 65 f.

[242]) Vgl. näher zu diesem Begriff und seiner Ableitung FUNK, Sicherheitspolizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, JRP 1996, 26 ff, 29.

[243]) MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. d. 14. ÖJT, 145, regt an, dass alle Arten von Ermittlungen beweisgeeignet sein sollten, es sei denn, sie würden die dafür vorgeschriebenen Vorschriften nicht erfüllen und durch spezielle Beweisverwertungsverbote ausgeschlossen sein. Diesem Ansatz stimmt SOYER; Thesen zur Reform von Ermittlungsbefugnissen und Verteidigungsrechten im Vorverfahren, Referat f. d. 14. ÖJT, nicht zu, „weil damit der Stoffsammlung unter Umgehung der strafprozessualen Vorschriften durch recte gemäß dem SPG erfolgte Ermittlungen Tür und Tor geöffnet“ würde.

[244]) Vgl. dazu DE, E 18 und SOYER, Beweisverwertungsverbote im künftigen strafprozessualen Vorverfahren, ÖJZ 1999, 829 ff, 833 und 837

[245]) Vgl. FUCHS, Die strafprozessuale Stellung des Verbrechensopfers und die Durchsetzung seiner Ersatzansprüche im Strafverfahren, Verhandlungen des 13. ÖJT, Salzburg 1997, Bd. IV/1, 110. Nach SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 79, „ist der mutige Schritt, die Privatanklage- und Antragsdelikte generell abzuschaffen, begrüßenswert“.

[246]) Die auf FUCHS, Die strafprozessuale Stellung des Verbrechensopfers und die Durchsetzung seiner Ersatzansprüche im Strafverfahren, Verhandlungen des 13. ÖJT, Salzburg 1997, Bd. IV/1, 111, gestützten Bemerkungen von VENIER, Die Reform der strafprozessualen Opferrechte, tätige Reue und Verfolgungsverzicht, JRP 1999, 69 ff, wonach Antragsdelikte in mancher Hinsicht mehr als andere Maßnahmen geeignet sind, die Interessen des Opfers zu wahren, weil das Opfer beispielsweise bei Vergewaltigung (§ 201 Abs. 2 StGB) und geschlechtlicher Nötigung (§ 202 StGB), wenn die Tat am Ehegatten oder Lebensgefährten begangen wurde (§ 203 Abs. 1 StGB), selbst entscheiden können soll, ob es eine polizeiliche bzw. gerichtliche Untersuchung seines Intimlebens wünscht und ob ihm eine allenfalls zu erwartende Verhaftung des Partners mehr schadet als nützt, sind insbesondere wegen der Möglichkeiten der Ausübung von Druck, keinen Antrag zu stellen, nicht unbestritten geblieben. VENIER hält darüber hinaus eine Ausweitung der Antragsdelikte für wünschenswert. Vor allem unter Angehörigen liege eine Verfolgung des Täters oft von vornherein nicht im Interesse des Opfers. So solle etwa die fahrlässige schwere Körperverletzung eines Angehörigen (§ 72 StGB) nur auf Antrag des Opfers zur Verfolgung berechtigen. Ein Strafverfahren gegen den Täter von Amts wegen könnte nämlich das Verhältnis zwischen den Angehörigen schwer belasten. Antragsdelikt sollte seiner Ansicht nach auch die vorsätzliche Körperverletzung unter Angehörigen sein. Soweit das Opfer volljährig ist und keine schweren Dauerfolgen erlitten hat, liege eine Verfolgung des Angehörigen kaum im zwingenden öffentlichen Interesse. Dem familiären Frieden sei oft besser gedient, wenn es das Opfer selbst in der Hand hat, die Verfolgung des Täters durch einen (formlosen) Antrag in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. Vgl. auch SCHMOLLER, Unzureichendes oder überzogenes Sexualstrafrecht, StPdG 28, 15 ff, 50, der dafür eintritt, sämtliche Nötigungen im Familienbereich entweder als Antrags- oder Ermächtigungsdelikte auszugestalten.

[247]) BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 41, fordern eine Ausdehnung der Ermächtigungsdelikte auf kleinere Körperverletzungen und Vermögensdelikte, an deren Verfolgung gegen den Willen des Verletzten kein öffentliches Interesse bestehe.

[248]) Zu den Ermächtigungsdelikten des geltenden Rechts siehe die Aufzählung bei FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 11 zu § 2 StPO.

[249]) Der Waffengebrauch ist im Waffengebrauchsgesetz 1969, BGBl. Nr. 149, geregelt und im gegebenen Zusammenhang nur dann gesetzmäßig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Anwendung von Körperkraft, ungeeignet erscheinen oder sich als wirkungslos erweisen (§ 4 WaffGebrG).

[250]) Vgl. §§ 143 Abs. 2 und 160 letzter Satz in der Fassung StPÄG 1993, BGBl. Nr. 526; siehe dazu RV 924 BlgNR XVIII. GP, 22 ff.

[251]) Vgl. Auch § 34 AVG, 127 Abs. 7 und 8 FinStrG.

[252]) Siehe zu den gegenüber Zuhörern, Angeklagten, Parteienvertretern, Zeugen und Sachverständigen zur Verfügung stehenden Maßnahmen FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 2 ff zu § 233 StPO.

[253]) Vgl. zB §§ 14 bis 16 AVG.

[254]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen, ÖJZ 1996, 886 ff, 899; „Das neue StPO-Vorverfahren“, Punktation des BMJ, Juli 1995, 5 ff.

[255]) Die diesbezüglichen Vorstellungen des DE (vgl. § E 3) haben bei MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. D. 14. ÖJT, 145, grundsätzliche Zustimmung erfahren; auch SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 77, befürwortet den Entwurf grundsätzlich, wobei insbesondere als neuralgischer Punkt die getroffene Aufteilung zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im Wesentlichen sachgerecht sei.

[256]) Polizei und Strafprozess, GA f. D. 14. ÖJT, 145,.

[257]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 98 f.

[258]) Vgl. DE, E 14.

[259]) Vgl. MOOS, , Grundsatzfragen, ÖJZ 1996, 886 ff, 896.

[260]) Vgl. M. SCHMIDT, Gerichtliche Vorerhebungen und Bundesverfassung, JBl. 1991, 701 ff, 708 f, mwN.

[261]) Vgl. SCHMOLLER Grundstrukturen eines künftigen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 88, wonach jede Verfahrenskonzeption, die eine Phase polizeilicher Ermittlungen ohne Ingerenzmöglichkeiten des Staatsanwaltes vorsieht, aus diesem Grund verfehlt sei.

[262]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 34 und 85.

[263]) Vgl. SOYER, Vorüberlegungen zu einer Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, AnwBl. 1995, 868 ff, 869 f mwN.

[264]) RÜPING, Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei – Zum Problem der Einheit der Strafverfolgung, ZStW 95 (1983), 894 ff, 909.

[265]) Vgl. zu diesem Begriff und seiner Bedeutung im sicherheitspolizeilichen und kriminalpolizeilichen Konnex, DEARING, Sicherheitspolizei und Strafrechtspflege, Versuch einer Bestimmung des Verhältnisses zweier benachbarter Rechtsgebiete, in FS Platzgummer (1995), 225 ff, 234 f.

[266]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 79 f.

[267]) Vgl. Art. 73 SDÜ; Art. 22 des Übereinkommens über gegenseitige Amtshilfe und Unterstützung der Zollverwaltungen (Neapel II), ABl. C 24 vom 23. 1. 1998; Art. 12 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. C 197 vom 12. 7. 2000, und Erläuternder Bericht zu diesem Übereinkommen, ABl. C 379 vom 29. 12. 2000, 7 ff.

[268]) Vgl. PFEIFFER, Stellungnahme zu zwei österreichischen Gesetzentwürfen zur Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität, in Organisierte Kriminalität – Professionelle Ermittlungsarbeit – Neue Herausforderungen, Bd. 77 der Schriftenreihe des BMJ, 171 ff, 173 f und 187 f.

[269]) Vgl. § E 6 DE und die Erläuterungen E 20 ff.

[270]) Vgl. VOGL, Die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens aus Sicht der Sicherheitsbehörde, ÖJK 1999, 115 ff, 122 f, „Behinderung der Ermittlungstätigkeit durch bürokratischen Ballast“; auch SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 95 f, stellt sich routinemäßigen Berichtspflichten skeptisch gegenüber und fordert einen Verzicht auf periodische Routineberichte.

[271]) SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 94.

[272]) Vgl. RÜPING, Verhältnis von Staaatsanwaltschaft/Polizei, aaO, 916; W. GEISLER, Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft im heutigen deutschen Strafverfahren, ZStW. 93 (1981), 1109 ff, 1145.

[273]) Vgl. LILIE, Das Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, ZStW. 106 (1994), 624 ff, 641.

[274]) Insoweit trifft die Prämisse von SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 95, wonach der Adressat einen Routinebericht, „auf den er ja nicht reagieren müsse, erfahrungsgemäß ohnehin nur sehr oberflächlich“ lese, nicht zu.

[275]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen, aaO, 901.

[276]) Vgl. PILGERMAIR, Das Vorverfahren aus der Sicht des Staatsanwaltes, in Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Schriftenreihe des BMJ Bd. 82, 131 ff, 149, der Verständigungen in folgenden Fällen fordert: unverzüglich in Strafsachen von besonderem öffentlichen Interesse, ansonsten spätestens nach einer Ermittlungsdauer von zwei Monaten, auf Verlangen der Staatsanwaltschaft, bei beabsichtigten Grundrechtseingriffen, in Beschwerdefällen und nach Abschluss der Ermittlungen.

[277]) Vgl. insbes. die Stellungnahme des BMI.

[278]) Siehe auch STEININGER, Staatsanwaltschaft und Gericht, in PILGERMAIR [Hg] Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 17 ff und kritisch AICHER, Die Staatsanwaltschaft im Spannungsfeld zwischen Parteistellung und Objektivitätsgebot, ebendort, 377 ff.

[279]) Vgl. WEISS, Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Aspekte im Verhältnis von Sicherheitspolizei und Strafrechtspflege, in FS MOOS (1997), 197 ff, 219 mwN.

[280]) Vgl. WEISS, Verhältnis von Sicherheitspolizei und Strafrechtspflege, aaO, 223; MIKLAU, Die neue Rolle der Staatsanwaltschaft, in FS TRIFFTERER, 504 f.

[281]) Vgl. SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 90 f.

[282]) Vgl. § 93 Abs. 1 StPO: „…persönlich und unmittelbar geführt…“; „dominus litis“ des neuen Vorverfahrens soll eben die Staatsanwaltschaft sein; zur Kritik an der schroffen Formulierung von MOOS, Polizei und Strafprozess, GA für den 14. ÖJT, 127, verweist LAMBAUER, Referat 14 ÖJT, zu Recht darauf, dass an dieser Aussage inhaltlich nicht zu rütteln sei.

[283]) Vgl. MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. d. 14. ÖJT, 132 f, der zudem auf den Vorteil hinweist, dass die Staatsanwälte schwerpunktmäßig eingesetzt werden können sowie in fachlich geschulten Teams arbeiten können; ihre kriminalistische Erfahrung sei „allemal“ höher einzuschätzen als jene der häufig jungen Untersuchungsrichter.

[284]) Vgl. MIKALU, Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörde, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 297 ff, 311 f.

[285]) Vgl. demgegenüber DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 154 f, die nicht einmal die vorliegenden Verdachtsmomente als Grundlage der jeweils erteilten Ermächtigung anerkennen wollen, wodurch auch eine Prüfung nach Art der „clausula rebus sic stantibus“ verhindert wird.

[286]) Vgl. mit eingehender Begründung BVerfG vom 27. Mai 1997, 2 BvR 1992/92, in EuGRZ 1997, 369 ff.

[287]) Vgl. W. GEISLER, Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft, aaO, 1132, 1139, der die Staatsanwaltschaft im österreichischen Recht in rechtsvergleichender Betrachtung mit einer „Aktenwälzmaschine“ gleichstellt und sie als „bürokratischen Faktor“ bezeichnet.

[288] Vgl. WEISS, Grundzüge der Reform des Vorverfahrens in Strafsachen, ÖJZ 1993, 368 ff, 373; PILGERMAIR, Zu den Kompetenzen von Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörde im Vorverfahren, ÖJZ 1992, 823 ff, 831.

[289] Vgl. JABLONER, Die Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz, ÖJZ 1978, 533 ff, 536.

[290] Vgl. PILGERMAIR, Das Vorverfahren aus der Sicht des Staatsanwaltes, aaO, 149 f.

[291]) Zu dieser viel diskutierten Begründungspflicht siehe für viele. SCHWAIGHOFER, Die Wechselwirkungen zwischen Vorverfahren und Hauptverhandlung, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 239 ff, 243.

[292]) Vgl. PILGERMAIR, Das Vorverfahren aus der Sicht des Staatsanwaltes, in Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Schriftenreihe des BMJ Bd. 82, 131 ff, 154.

[293]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen, aaO, 897.

[294]) Vgl. SOYER, Vorüberlegungen zu einer Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, AnwBl. 1995, 868 ff, 872; MOOS, Grundsatzfragen, aaO, 896 f.

[295]) Vgl. SCHMOLLER; Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 92.

[296]) Vgl. DE, E 16 ff.

[297]) Vgl. MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. d. 14. ÖJT, 140 f und die weiteren Nachweise in FN 418; DEARING et al., Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 251, befürwortet hingegen die Zuständigkeit der UVS. VOGL, Reform des strafprozessualen Vorverfahrens aus Sicht der Sicherheitsbehörde, ÖJK 1999, 115 ff, 126 f, will wegen der Doppelfunktionalität von Ermittlungen generell nach § 88 SPG vorgehen.

[298]) Vgl. MOOS, Grundsatzfragen, aaO, 898 f.

[299]) Vgl. dazu näher SCHADEN, Das Fragerecht des Angeklagten – Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK im Spiegel der Rechtsprechung des EGMR, in: Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts, FS RILL, 213 ff.

[300]) Zum diesbezüglichen Meinungsstand siehe: AISTLEITNER, Neues Vorverfahren – alte Justiz?, ÖJK 1999, 135 ff, 140.; BERTEL, Staatsanwalt, Ermittlungsrichter und Verteidiger im neuen Strafprozess, juridikum 2/01; LIST, Bericht der Arbeitsgruppe 3 in: Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Bd. 82 der Schriftenreihe des BMJ, 175 ff, 178 f, die mit der Forderung schließt, dass dem Gericht jedenfalls die Möglichkeit offen bleiben müsse, sich ein persönliches Bild von den Betroffenen zu machen, bevor es seine Entscheidung treffe. „Auch nach einer umfassenden Reform müsse das Gericht eine auch im Sachverhaltsbereich objektivierbare Rechtsschutzinstanz bleiben und dürfe nicht zum „Papiertiger“ werden; MARKEL, Referat, 14. ÖJT, Band IV/2, 50 ff; PILNACEK, Diskussionsbeitrag, 14 ÖJT, Band IV/2, 115 f; PLEISCHL, Diskussionsbeitrag, 14. ÖJT, Band IV/2, 120 ff; SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Ermittlungsverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 96, wonach der so (dh. im Sinne der dargestellten Vorschläge des DE) festgelegte Einsatzbereich des Gerichts im Ermittlungsverfahren; SOYER, Referat, 14. ÖJT, Band IV/2, 36 f sinnvoll erscheine.

[301]) Vgl. MIKLAU, Die neue Rolle der Staatsanwaltschaft im strafprozessualen Vorverfahren, in: FS TRIFFTERER (1995), 493 ff, 501 f; kritisch hingegen ua. PILGERMAIR, Zur Neupositionierung der Staatsanwaltschaft, in PILGERMAIR Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert [Hg], 405 ff, 441 ff.

[302]) Vgl. §§ 87 bis 89 SPG; entscheidend ist somit die Behauptung einer Rechtsverletzung; eine Differenzierung nach der Art. des Vorgehens wie nach § 88 Abs. 1 und 2 SPG erscheint demnach nicht erforderlich; auch im Fall der behaupteten Verletzung einer Richtlinie muss der Beschwerdeführer zumindest „betroffen“ sein (§ 89 Abs. 2 SPG); insoweit treffen die Einwände von VOGL, Reform des strafprozessualen Vorverfahrens aus Sicht der Sicherheitsbehörde, ÖJK 1999, 115 ff, 127, daher nicht zu.

[303]) So aber die Befürchtung von LAMBAUER, Referat 14. ÖJT, wonach das Gericht auch über die Zweckmäßigkeit aller Ermittlungshandlungen entscheiden und dazu dem angeblich vom Gericht unabhängigen Ankläger die entsprechenden Aufträge zur Durchführung erteilen könnte.

[304]) Vgl. den mit dem StrÄG 1996, BGBl. Nr. 762, eingeführten Milderungsgrund nach § 34 Abs. 2 StGB; ausführlich THIENEL, Die angemessene Verfahrensdauer in der Rechtsprechung der Straßburger Organe, ÖJZ 1993, 473 ff.

[305]) Ein solches fordern bereits FRISCHENSCHLAGER/GROF, Aktuelle Probleme des strafrechtlichen Vorverfahrens, JBl. 1988, 772 f, mit Nachdruck; vgl. MOOS, Grundsatzfragen, aaO, 899 mwN.

[306]) Vgl. STEININGER, Das Vorverfahren aus der Sicht des Richters, in: Entwicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Bd. 82 der Schriftenreihe des BMJ, 111 ff, 125, wonach es „im wohlverstandenen Interesse eines effizienten Rechtsschutzes gelegen ist, wenn in allen Fällen ein einheitlicher Rechtszug an ein richterliches Organ, nämlich den Ermittlungs-(Untersuchungs-)Richter, normiert wird“.

[307]) Vgl. MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. D. 14. ÖJT, 141 f mwN.; auch SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 96, befürwortet die Schaffung eines einheitlichen Rechtsschutzsystems in Form einer Beschwerdemöglichkeit an das Gericht.

[308]) Vgl. MIKLAU, Die neue Rolle der Staatsanwaltschaft, aaO, 502.

[309]) MOOS, Polizei und Strafprozess, GA f. d. 14. ÖJT, 141 (FN 417), der jedoch das Verlangen an die Staatsanwaltschaft um weitere Aufklärungen für unbedenklich hält.

[310]) Vgl. § G 7 DE und Erläuterungen G 18 f.

[311]) MOOS, Polizei und Strafprozess, GA für den 14. ÖJT, 139 f „Umgekehrtes gerichtliches Klageerzwingungsverfahren“; siehe auch SOYER, Thesen zur Reform von Ermittlungsbefugnissen und Verteidigungsrechten im Vorverfahren, Referat für den 14. ÖJT, der die Kritik von MOOS überzeugen und konsistent hält, jedoch gleichzeitig neue Kontrolleinrichtungen zur „erforderlichen Missbrauchskontrolle“ der staatsanwaltschaftlichen Handhabung der Einstellungsbefugnis fordert. Auch LAMBAUER, Referat für den 14. ÖJT, fordert den Entfall dieses Rechtsbehelfs wegen Widerspruchs zum Anklagegrundsatz: „schwerwiegende Attacke gegen den Anklageprozess“.

[312]) Der Hinweis von MOOS, Kriminalpolizei und Strafprozess, GA für den 14. ÖJT, 140, wonach es der Staatsanwaltschaft vielmehr zuzutrauen ist, dass sie im Rahmen ihres Anklagemonopols ihre Pflicht zur Verfahrenseinstellung bei Vorliegen der entsprechenden Umstände verantwortungsvoll selbst wahrzunehmen vermag, ließe sich in gleicher Weise für das gesetzmäßige Einschreiten der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren allgemein gebrauchen.

[313]) Vgl. MR 2001, 359 ff (OGH vom 18. 10. 2001, 12 Os 60/01), wonach es einem tragenden Grundsatz der gefestigten Rechtsanwendung zur Problematik der vorzeitigen Verfahrensfinalisierung (§§ 213 Abs. 1, 451 Abs. 2, 485 Abs. 1 StPO) entspricht, dass Tatumstände, die der kontroversiellen Aufbereitung durch die Prozessparteien eröffnet und solcher Art der richterlichen Würdigung vorbehalten sind, bei einer derartigen Entscheidung nicht vorweggenommen werden dürfen.

[314]) Vorsichtig positiv zu diesem Einstellungsgrund. LAMBAUER, Die Kontrolle der Macht des Staatsanwaltes im Vorverfahren, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 103 ff, 110 f; nach MOOS, Die Stellung der Staatsanwaltschaft im strafprozessualen Vorverfahren, ebendort, 59 ff, 101 sprechen überhaupt für das „Einstellungserzwingungsverfahren“ durchaus beachtliche Gründe.

[315]) Vgl. DEARING et al., Kriminalpolizei und Strafprozessreform, ÖSD Bd. 84, 196.

[316]) ABl. C 364 vom 18. Dezember 2000 (2000/C 364/01); siehe insbesondere Art. 1 (Würde des Menschen), Art. 4 (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung), Art. 6 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), Art. 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens), Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten), Art. 41 (Recht auf eine gute Verwaltung), Art. 47 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht), Art. 48 (Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte).

[317]) Vgl. Entschließungen des XV. Int. Strafrechtskongresses zum Thema III: Die Reformbewegungen und der Schutz der Menschenrechte, in ZSt. 108 (1996), 689 ff, 705.

[318]) Vgl. SOYER, Streitpunkte einer Strukturreform des Vorverfahrens, in SOYER, Strukturreform des Vorverfahrens, SD Bd. 96, 9 ff, 20 f.

[319]) Vgl. dazu mwN HANDSTANGER/OKRESEK, Sicherheitsverwaltung und MRK, ÖJZ 1995, 251 ff, 253; siehe nunmehr auch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2000/C 364/01, wonach jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen (Abs. 1), sowie das Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (Abs. 2).

[320]) Vgl. HEINE/GLEß/GROTE, Justitielle Einbindung und Kontrolle von Europol, Kurzvorstellung der Ergebnisse des Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, 5 f.

[321]) Vgl. in diesem Sinne: EGMR 16. 2. 2000 im Fall AMANN gg. die Schweiz, BNr. 27.798/95, ÖJZ 2001 1 MRK 71, wonach das Abhören und andere Formen der Telefonüberwachung einen schweren Eingriff in das Privatleben und den Briefverkehr begründen und sich deshalb auf ein Gesetz gründen müssen, das besonders präzise ist. Siehe auch umfassend OKRESEK, Grundrechtseingriffe im Zuge moderner Ermittlungsmaßnahmen, Vorarlberger Tage, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 100, 73 ff, 97.

[322]) Vgl. HEINE/GLESS/GROTE, Justitielle Einbindung und Kontrolle von Europol, Kurzvorstellung der Ergebnisse des Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, 3 f, 10 f.

[323]) Vgl. dazu die durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 11/1998 vorgenommene Novellierung, wonach es der Staatsanwaltschaft nach einem Verbot der Durchführung einer Transaktion obliegt, die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung zu prüfen.

[324]) BGBl. I Nr. 108/2000; vgl. zum Anwendungsbereich der Regelung JAB 289 BlgNR XXI. GP.

[325]) Zur deutlichen Unterscheidung vom Begriff der „Beschlagnahme“ (die dem Gericht vorbehalten bleiben soll) wird daher trotz der Bedenken von SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 84, am Begriff der „Sicherstellung“ festgehalten; vgl. ferner § 94 dStPO „Sicherstellung von Beweisgegenständen“.

[326]) Vgl. § 38 Abs. 2 Z 1 BWG und § 145a in der Fassung StPONov. 2000, BGBl. I Nr. 108/2000; die Bestimmung des § 38 Abs. 2 Z 1 wird anzupassen sein („… mit eingeleiteten gerichtlichen Strafverfahren“), weil das Ermittlungsverfahren nicht mehr durch das Gericht geführt werden wird.

[327]) Siehe insoweit KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 5 zu § 111b dStPO, wonach die Sicherstellung auch angeordneten werden kann, wenn von vornherein nur die Sicherung der Interessen möglicher Verletzter in Betracht kommt – „Zurückgewinnungshilfe“.

[328]) Vgl. schon § Z 4 Abs. 2 DE und Erläuterungen Z 35 DE.

[329]) Vgl. § 42 Abs. 1 Z 4 SPG.

[330]) Vgl. die erleichterte Möglichkeit der Einziehung solcher Gegenstände nach § 445a Abs. 1 StPO.

[331]) Vgl. in diesem Sinne auch MUSKATELZ, Der Datenzugriff im Strafverfahren, ÖSD Bd. 168, 263, wonach im Bereich der prozessualen Zwangsmittel eine Eingriffsbefugnis der Sicherheitsbehörde für Zugriffe auf elektronisch verarbeitete Daten unbedingt erforderlich ist.

[332]) Siehe dazu allgemein MUSKATELZ, Der Datenzugriff im Strafverfahren, ÖSD Bd. 168; MATZKY, Zugriff auf EDV im Strafprozess, Rechtliche und technische Probleme der Beschlagnahme und Durchsuchung beim Zugriff auf das Beweismittel „EDV“, 1999, Nomos Verlagsgesellschaft.

[333]) Art. 14 bis 21 der Konvention, ETS Nr. 185; siehe dazu auch RV StRÄG 2002.

[334]) Vgl. § 143 Abs. 3 StPO in der Fassung StPONov. 2000, BGBl. I Nr. 108/2000; EvBl. 1990/167; AnwBl. 1992/4294; ARNOLD, Ersatz der Kopierkosten im Finanzstrafverfahren, RdW 1996, 502 mwN.

[335]) Vgl. hiezu VfSlg. 10.291 und die EB zur RV FinStrGNov 1985 betreffend § 89 Abs. 5 FinStrG nF, 668 BlgNR XVI. GP 17 f.

[336]) Vgl. EvBl. 1992/175.

[337]) Vgl. VfSlg. 11.650; siehe auch ÖJZ 1999, 10 MRK 276, wonach die Entscheidung nicht auf eine „de facto“ Enteignung hinauslaufen darf, um noch als erlaubte Entziehung des Eigentums oder Regelung der Benutzung des Eigentums vom ersten und zweiten Satz des Art. 1 1. ZP MRK gedeckt zu sein.

[338]) Vgl. § 367 Abs. 1 StPO.

[339]) Hingewiesen wurde, dass die Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf den Erlass eines Übereinkommens über die Verbesserung der Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waschens der Erträge aus Straftaten sowie der Finanzkriminalität (2000/C 243/04), zu einer Erweiterung dieser Bestimmung führen könnte, weil darin eine Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates vorgeschlagen wird (Art. 5), in kürzester Frist das Verzeichnis der Bankkonten jeglicher Art zu übermitteln, als deren Inhaber oder Nutzungsberechtigter eine natürliche Person erscheint oder erschienen ist, gegen die im ersuchenden Mitgliedstaat ermittelt wird oder die dort einer Straftat verdächtigt wird. Ferner soll das Bankgeheimnis nicht mehr als Begründung für die Verweigerung der Rechtshilfe herangezogen werden dürfen (Art. 3).

[340]) Amtsblatt C 326 vom 21. 11. 2001, S 1.

[341]) Siehe dazu den Bericht des Justizausschusses 209 BlgNR XXI. GP.

[342]) Darin hat der OGH ausgeführt, dass zwar ein Fall des § 38 Abs. 2 Z 1 BWG, nicht aber ein solcher des § 145a Abs. 1 StPO vorliege, wenn die Bank nicht zur Preisgabe der Art der Geschäftsverbindung, sondern bloß zur Bekanntgabe der Tatsache veranlasst wird, dass eine solcherart identifizierte Person überhaupt eine Geschäftsverbindung mit ihr unterhält. In diesem Fall bedürfe es nur eines Zusammenhanges zwischen einem strafgerichtlichen Verfahren zur Aburteilung einer Straftat, nicht aber zusätzlich der Annahme, dass auch die aufzuklärende Tat selbst im Zusammenhang mit der Geschäftsverbindung stand.

[343]) Siehe zu dieser Voraussetzung mwN JAB 289 BlgNR XXI. GP; kritisch zu der zu Grunde liegenden Judikatur des OGH BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 510, wonach die „verdachtsbegründende Verbindung“ kaum je verneint werden könnte.

[344]) Vgl. FLORA, Die Kontoöffnung nach § 145a StPO mit Blick auf die Durchbrechung des Bankgeheimnisses eines vom Strafverfahren nicht betroffenen Dritten, ÖBA, 21 ff; dieselbe, Die Demontage des Bankgeheimnisses, RdW 2002/196.

[345]) Siehe dazu wiederum JAB 289 BlgNR XXI. GP.

[346]) Vgl. § 35 SPG, im Abs. 2 wird der Begriff definiert wie folgt: „Die Feststellung der Identität ist das Erfassen der Namen, des Geburtsdatums und der Wohnanschrift eines Menschen in dessen Anwesenheit.“

[347]) Vgl. JAB 1157 BlgNR XVIII. GP, 17; sowohl BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 424, als auch St. SEILER, Strafprozessrecht4, Rz 267, geben diese Rechtslage wieder, ohne auf die eigentlichen Mittel der Identitätsfeststellung einzugehen.

[348]) Vgl. (zum Erkennungsdienst) EvBl. 174/1993 sowie die Nachweise bei MAYERHOFER, Das österreichische Strafrecht, III/1. Halbband4, ENr. 1 zu Art. 8 EMRK.

[349]) Zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Identitätsfeststellung nach § 35 Abs. 2 SPG siehe VwGH 29. 7. 1998, 97/01/0448, in JAP 1998/99, 244 mit Anm. von NOLL.

[350]) Vgl. §§ 50 („Unmittelbare Zwangsgewalt“) und 78 SPG, wonach Identitätsfeststellung und die erkennungsdienstliche Behandlung durch Ausübung von unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchgesetzt werden können; darauf gründet sich auch die in JAP 1998/99, 244 wiedergegebene Rechtsansicht des VwGH, wonach der Begriff der Identitätsfeststellung auf solche Maßnahmen reduziert werden muss, mit denen in irgendeiner Form ein imperativer Anspruch zum Ausdruck gebracht wird.

[351]) Vgl. § 139 Abs. 2 StPO: „… eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig oder sonst übel berüchtigt sind …“.

[352]) Nach ständiger Judikatur des VfGH soll durch den Schutz des Hausrechtes ein die persönliche Würde und Unabhängigkeit verletzender Eingriff in den Lebenskreis des Wohnungsinhabers in Dinge, die man im allgemeinen berechtigt und gewohnt ist, dem Einblick Fremder zu entziehen, hintangehalten werden; bereits eine systematische Besichtigung wenigstens eines bestimmten Objektes (etwa eines Kasten) genügt, um als Hausdurchsuchung gewertet zu werden (VfSlg. 10.897; 12.053).

[353]) Vgl. § 40 Abs. 1 SPG, der auf Abwendung einer Selbst- oder Fremdgefährdung zielt.

[354]) Vgl. §§ Z 8 und Z 9 DE sowie die Erläuterungen Z 40 ff; danach war für die Personsdurchsuchung dringender und für die Hausdurchsuchung begründeter Verdacht vorgesehen. Bei Gefahr im Verzug sollte dennoch eine Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich sein (§ Z 9 Abs. 1).

[355]) Vgl. ua. VfSlg. 12.849.

[356]) Vgl. Erlass vom 21. Juli 1972, JMZ 18.565-9b/72, über die Beiziehung eines Vertreters der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu Hausdurchsuchungen bei Rechtsanwälten, JAB Nr. 13/1972 und Erlass vom 3. September 1981, JMZ 430.003/7-II.1/81, über die Beiziehung eines Vertreters der jeweils zuständigen Kammer zu Hausdurchsuchungen bei Notaren und Wirtschaftstreuhändern, JAB Nr. 20/1981, wonach auch nach geltendem Recht, die Berechtigung zur Teilnahme dieser Organe gesetzlicher Interessensvertretungen aus den §§ 139 bis 142 abzuleiten sei.

[357]) Vgl. BVerfGE 57, 346 ff; 76, 83 ff; 77, 1 ff.

[358]) Vgl. Dazu ausführlich BVerfG, 2 BvR 1444/00 vom 20. 2. 2001.

[359]) Vgl. Das neue StPO- Vorverfahren, Broschüre des BMJ, Juli 1995, 27.

[360]) Vgl. § 43 SMG, wonach die Untersuchung mit bildgebenden Verfahren als gelinderes Mittel zur weiteren Anhaltung verstanden wird.

[361]) Dabei handelt es sich um ein kurzfristiges, völlig schmerz- und folgenloses Einführen eines speziellen Stäbchens in die Mundhöhle, durch dessen Drehen winzige Teile der Mundschleimhaut gewonnen werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Probanden den Abstrich ohne weiteres selbst vornehmen können und nur in Ausnahmsfällen wünschen, dass dies von dritter Seite erfolgt.

[362]) Die Beratungen im Arbeitskreis für Grundsatzfragen einer Erneuerung des Strafverfahrensrechts haben zu diesem Themengebiet keine abschließende Festlegung ergeben; jene, die für die Zulässigkeit derartiger Untersuchungen eingetreten sind, haben jedenfalls gefordert, auf die Zumutbarkeit des Eingriffs abzustellen; geteilte Ansichten waren ferner zu der Frage festzustellen, ob Beschuldigter und Zeuge unterschiedlich oder gleich zu behandeln sind; vgl. Zusammenfassung der Beratungen, StPAK/A ThV III/X, 49 f.

[363]) Vgl. insbesondere § 81a dStPO, der die zwangsweise körperliche Untersuchung des Beschuldigten gestattet; eingehend dazu KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, §§ 81a bis 81c.

[364]) Vgl. dazu die vorsichtig abwägende Haltung in DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 224 f. Nach der Jud. des VfGH (VfSlg. 10.976) stellt ein Befehl zur Duldung einer körperlichen Untersuchung mit Blutabnahme ein willkürliches (besonders leichtfertiges) Hinweggehen über den strafverfahrensrechtlichen Grundsatz dar, dass keine Verpflichtung besteht, seinen Körper für medizinische Eingriffe als Beweismittel gegen sich selbst zur Verfügung zu stellen. Ferner stellt auch die von Exekutivbeamten bei einer bewusstlosen Person veranlasste Blutabnahme eine Zwangsmaßnahme dar, die den Betroffenen in Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzt. Es würde dem Charakter des § 5 Abs. 6 StVO als Ausnahmebestimmung zu Art. 90 Abs. 2 B-VG widersprechen, in extensiver und dem Willen des historischen Gesetzgebers zuwiderlaufender Auslegung dieser Bestimmung die Ermächtigung zur zwangsweisen behördlichen Blutabnahme gegen den Willen des Betroffenen zuzulassen. Ist jedoch eine zwangsweise Blutabnahme ohne Einwilligung des Betroffenen auf Grund von § 5 Abs. 6 StVO in Verbindung mit Art. 90 Abs. 2 B-VG ausgeschlossen, so komme eine Blutabnahme bei bewusstlosen Personen unter Berufung auf diese Rechtsvorschrift von vornherein nicht in Betracht (vgl. VfSlg. 11.923).

[365]) ÖJZ 1998, 1 MRK, 32.

[366]) In der abweichenden Haltung des Richters MARTENS wird allerdings im Sinne der Judikatur des VfGH auf den Widerspruch hingewiesen, dass ein Beschuldigter zwar frei vom Zwang sein soll, belastende Aussagen zu machen, aber nicht frei vom Zwang der Mitwirkung durch Zuverfügungstellung belastender Daten; VERREL, Nemo tenetur – Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, NStZ 1997 362 ff und 415 ff, verweist demgegenüber auf die unterschiedliche Persönlichkeitsnähe der Aussage und rein objektiver, mit naturwissenschaftlichen Methoden gewonnener Messwerte sowie auf das unterschiedliche Maß an psychischer Belastung durch den Mitwirkungsakt als solchen. Das besondere Moment der Aussagepflicht liege für den Beschuldigten darin, dass er sein Fehlverhalten gerade „mit eigenen Worten“ einräumen soll, sich durch die Tat gleichsam als Straftäter kennzeichnen muss. Der zB zur Abgabe einer Atemprobe veranlasste Beschuldigte wisse zwar, dass er ein für seine Überführung wesentliches Beweismittel produziere, doch dessen Hervorbringung sei ein bloß körperlicher Akt, der ihm keine innere Stellungnahme zur Tat abverlange (419).

[367]) Anders insoweit die Rechtslage in Deutschland; vgl. § 81c dStPO („Untersuchung anderer Personen“).

[368]) Zur Frage der Verwertung verkennt die in ZVR 1999/18 veröffentlichte E d. OLG Wien vom 18. 1. 1996, 23 Bs 415/95, die maßgebende Ansicht des VfGH und bezeichnet aus diesem Grund die Beschlagnahme und Untersuchung einer anlässlich einer Notversorgung in einem Krankenhaus einem bewusstlosen Kfz-Lenker, der einen Verkehrsunfall verursacht hatte, abgenommenen Blutprobe als zulässig.

[369]) Vgl. § 78 SPG, wonach die Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt zu Durchsetzung einer erkennungsdienstlichen Behandlung unzulässig ist, soweit damit ein Eingriff in die körperliche Integrität verbunden wäre.

[370]) MURSCHETZ, Zwangsweise Eingriffe in die körperliche Integrität nach dem Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens – zurück zum Inquisitionsprozess?, AnwBl. 2000, 8 ff SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 107, vertritt die Ansicht, dass die zwangsweise Blutabnahme keine aktive Mitwirkung des Beschuldigten voraussetze und damit keinen Verstoß gegen das Selbstbelastungsverbot begründen könne; derselbe unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Ansicht auch in Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, 168. und FN 93. Dieser Ansicht ist jedoch mit GROIS, Die Mitwirkungsverpflichtung an der erkennungsdienstlichen Behandlung – im Lichte des Verbots des Zwangs zur Selbstbeschuldigung, ZfV 2000, 537 ff, 549, 551, entgegenzuhalten, dass nach der Judikatur des VfGH die „Geständnisgleichheit“ im Mittelpunkt der Überlegungen steht, wobei der Begriff des Geständnisses „jede Mitwirkungspflicht an der Ermittlung des Sachverhalts“ (VfSlg 9950) umfasst und der Angeklagte daher nicht verpflichtet werden könne, an der Wahrheitsfindung dergestalt mitzuwirken, dass er seinen Körper für medizinische Eingriffe, mit anderen Worten: als Beweismittel (gegen sich selbst) zur Verfügung stellt (VfSlg. 10.976).

[371]) Siehe GROIS, Die Mitwirkungsverpflichtung an der erkennungsdienstlichen Behandlung – im Lichte des Verbots des Zwangs zur Selbstbeschuldigung, ZfV 2000, 537 ff, 551, wonach auch die Durchsetzung der Mitwirkungsverpflichtung durch einen Akt unmittelbarer Zwangsgewalt eine Strafsanktion im Sinne der Judikatur des VfGH darstelle. Es sei daher der Verfassungsgesetzgeber aufgerufen, diese Problematik aufzugreifen und deutlich zum Ausdruck zu bringen, wie er das in Art. 90 Abs. 2 B-VG statuierte Anklageprinzip verstanden wissen will (552). Teilweise anderer Ansicht MÜLLER,, Neue Ermittlungsmethoden im Spannungsfeld zum Verbot der Selbstbelastung, in Richterwoche 2001, Bd. 106 der Schriftenreihe des BMJ, 385 ff, 412 f: „keine Ausdehnung des „Nemo-Tenetur-Prinzips“ auf Maßnahmen „geständnisgleicher Wirkung“.

[372]) Vgl. KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 14 ff zu § 81a.

[373]) Von der Bestimmung des § Z 10 Abs. 5 DE, wonach die Mitwirkung an einer körperlichen Untersuchung durch Zwangsgewalt und gegebenenfalls durch Beugemittel erzwungen werden kann, wird – auch im Hinblick auf das Erfordernis einer besonderen verfassungsrechtlichen Grundlage – somit abgegangen (siehe auch den unterschiedlichen Meinungsstand SCHMOLLER vs. MURSCHETZ).

[374]) Vgl. BT/Ds 13/667 (Entwurf der Bundesregierung betr. den Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes – DNA-Analyse) und BT/Ds 13/3116 (Gesetzentwurf der Fraktion der SPD betreffend den Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes – DNA-Analyse) sowie die nunmehrigen §§ 81e und 81f dStPO (Molekulargenetische Untersuchungen) in der Fassung des StrÄndG vom 17. März 1997, BGBl. I, 534; weiterführend dazu auch SENGE, Strafverfahrensänderungsgesetz – DNA-Analyse, NJW 1997, 2409 ff.

[375]) BGBl. Nr. 510/1994; siehe auch BVerfG, 2 BvR 1741/99 vom 14. Dezember 2000, wonach der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit nicht betroffen ist, solange sich die Eingriffsermächtigung nur auf den nicht-codierenden, zu etwa 30% aus Wiederholungseinheiten bestehenden Anteil der DNA bezieht. Entscheidend sei danach, dass durch die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters anhand des Probenmaterials Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen, also ein Persönlichkeitsprofil, nicht ermöglicht werde.

[376]) Diese Rechtsvorschrift wurde als Verordnung erlassen und gilt infolge Rechtsüberleitung auf Gesetzesstufe weiter. Dies gilt für alle Bestimmungen der Rechtsvorschrift, sofern ihnen nicht derogiert wurde.

[377]) Vgl. KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44 Rz 1 zu § 73 und Rz 12 zu § 161a dStPO.

[378]) Anderer Ansicht DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 223 f, wonach die Sicherheitsbehörde bloß verpflichtet sein sollte, nötigenfalls einen Amtssachverständigen beizuziehen und Staatsanwalt, Beschuldigter und Privatbeteiligter die Bestellung eines Sachverständigen nur beantragen könnten.

[379]) Vgl. §§ 2 und 14 SDG über die Voraussetzungen für die Eintragung und die Bestimmung des § 5 Abs. 1 SDG über den Sachverständigeneid „… Befund und mein Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln der Wissenschaft (der Kunst, des Gewerbes) angeben werde,“.

[380])

[381]) Siehe auch § 1 der Verordnung vom 28. Jänner 1855, RGBl. Nr. 26: „Die gerichtliche Todtenbeschau ist, weil von ihr sehr häufig Ehre, Freiheit, Eigenthum und Leben der, einer strafbaren Handlung beschuldigten Person und die Sicherheit der Gerechtigkeitspflege abhängen, von der größten Wichtigkeit, daher es auch die unerläßliche Pflicht der, zur Vornahme derselben berufenen Sachverständigen ist, hierbei mit der gewissenhaftesten Genauigkeit vorzugehen.“

[382]) Damit soll im Wesentlichen die von DIRNHOFER, Anwendungsgebiete der DNA-Untersuchungen, in Richterwoche 2001, Bd. 106 der Schriftenreihe des BMJ, 425 ff, 426, geforderte „phänomenologische Betrachtungsweise“ (außergewöhnlicher Todesfall) erfasst werden.

[383]) Vgl. Art. 14 des Übereinkommens – gemäß Art. 34 des Vertrags über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Abl. C Nr. 197 vom 12. 7. 2000, 3 ff; Art. 19 ff des Übereinkommens auf Grund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen, Abl. C Nr. 024 vom 23. 1. 1998, 2 ff; Art. 40 SDÜ.

[384]) Vgl. Das neue StPO-Vorverfahren, Broschüre des BMJ, Juli 1995, 28 ff.

[385]) „grenzüberschreitende Observation“; vgl. Art. 40 SDÜ; Art. 21 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe und Unterstützung der Zollverwaltungen (Neapel II), ABl. Nr. C 024 vom 24. 1. 1998; § 54 Abs. 2 bis 5 SPG; § 14 f PolKG; § 22 Abs. 3 bis 9 MBG.

[386]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 230 f., die jedoch fordern, dass „gewöhnliche“ Maßnahmen der Observation von den Sicherheitsorganen aus eigener Macht durchgeführt werden sollten.

[387]) Vgl. LAMMER, Verdeckte Ermittlungen im Strafprozess (1992); DUTTGE, Strafprozessualer Einsatz von V-Per­sonen und Vorbehalt des Gesetzes, JZ 1996, 556 ff; THOMANN, Verdeckte Fahndung aus der Sicht der Polizei, SchZStr. 1994, 285 ff; JOSET/RUCKSTUHL, V-Mann-Problematik aus der Sicht der Verteidigung, SchwZStr. 1994, 395 ff; abwägend dagegen DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 73 f.

[388]) Vgl. KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 1 ff zu § 110a dStPO mwN.

[389]) Vgl. dazu: Das neue StPO-Vorverfahren, Broschüre des BMJ, Juli 1995, 37 f.

[390]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 74, Das neue StPO-Vorverfahren, Broschüre des BMJ, Juli 1995, 38, jeweils mwN.

[391]) Vgl. § 54a SPG über die Verpflichtung zur Ausstellung von Urkunden, die über die Identität eines Menschen täuschen.

[392]) Auch der BGH hat ausgesprochen, dass bei einem verdeckten Ermittler eine wesentlich größere Gewähr für die Zuverlässigkeit als bei sonstigen Informanten bestehe, BGH, StV 1991, 100, differenzierend BGHSt 41, 42, 46.

[393]) § Z 17 Abs. 6; siehe dazu den unterschiedlichen Meinungsstand bei SOYER, Beweisverwertungsverbote im künftigen strafprozessualen Vorverfahren, ÖJZ 1999, 829 ff, 836 f und VENIER, Der Beschuldigte und sein Verteidiger im Vorverfahren – zum Diskussionsentwurf des BMJ mit Blick auf die Rechtslage in Italien, AnwBl. 1998, 734 ff, gegenüber SCHMOLLER, Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, 160.

[394]) Vgl. WESSLAU, Zwang, Täuschung und Heimlichkeit im Strafverfahren, ZStW 110 (1998), 1 ff, 20 f.

[395]) Vgl. dazu umfassend und mit zahlreichen weiteren Nachweisen: KRAUSS, V-Leute im Strafprozess und die Europäische Menschenrechtskonvention, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg, Band S 77, 29, 152 f.

[396]) Nemo tenetur se ipsum accusare – Niemand darf gezwungen werden, an der Aufklärung des gegen ihn erhobenen Straftatvorwurfes mitzuwirken; vgl. WESSLAU, Zwang, Täuschung und Heimlichkeit im Strafverfahren, ZStW 110 (1998) 1 ff, mwN. Nach NACK, KK3, § 110c dStPO Rdn. 8, ist ein verdeckter Ermittler, wenn er mit dem Beschuldigten „vernehmungsähnliche Gespräche“ führe, zwar nicht zur Belehrung verpflichtet, die solchermaßen dem Beschuldigten entlockten Äußerungen dürften jedoch nicht zur Beweisführung gegen ihn verwertet werden.

[397]) BGHSt. (GrS) 42, 139, 153. WESSLAU, Zwang, Täuschung und Heimlichkeit im Strafverfahren, ZStW 110 (1998), 1 ff, 15 f, kritisiert diese Lösung als rein ergebnisorientiert, halbherzig und in der Begründung denkbar schwach und vage; eben deshalb soll nach dem Entwurf auch eine zulässige verdeckte Ermittlung nicht automatisch zur vollen Verwertbarkeit der durch sie erzielten Ergebnisse in der Hauptverhandlung führen.

[398]) Vgl. FUCHS, Verdeckte Ermittler – Anonyme Zeugen, ÖJZ 2001, 495 ff.

[399]) Vgl. KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 1 und 1a zu § 110c.

[400]) Vgl. die sog. „Foregger-Doktrin“, FOREGGER/LITZKA/MATZKA, SMG, Erl. XII. ff zu § 28 SMG.

[401]) Vgl. BGH vom 7. 3. 1995 – 1 StR 685/94, in: NStZ 1995, 516 ff

[402]) Vgl. die Begriffsbestimmung des § Z 1 Z 16 DE, wonach die Tatprovokation darin bestehen sollte, einen Dritten zum Verkauf von beweglichen körperlichen Sachen oder zu anderen objektiv tatbestandsmäßigen Handlungen in Bezug auf Vermögenswerte zu bestimmen.

[403]) In diesem Sinne anscheinend SZYMANSKI, Diskussionsbeitrag, ÖJK 1999, 190. Nach H. FUCHS, Diskussionsbeitrag, ÖJK 1999, 187, ist die Tatprovokation „ein schlicht unmögliches Verhalten, das jedenfalls zu unterbinden wäre“.

[404]) Siehe SIESS-SCHERZ, Impulsreferat, ÖJK 1999, 171 f.

[405]) BGH vom 11. 1. 2000, 1 StR 572/99.

[406]) Siehe dazu näher Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, Teil II Erläuterungen, 230 ff.

[407]) BGBl. I Nr. 130/2001.

[408]) BGBl. I Nr. 152/2001.

[409]) BGBl. II Nr. 418/2001 und Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 5. Dezember 2001, JMZ 430.002/15-II.3/2001.

[410]) ETS Nr. 185.

[411]) Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) vom 6. Oktober 2000, das in der Schweiz am 1. Jänner 2002 in Kraft getreten ist und eine Harmonisierung der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs beinhaltet, sowie Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung (§§ 100g, 100h dStPO; Nachfolgeregelung § 12 FAG), BGBl. 2001 I Siehe 3879, das in Deutschland ebenfalls am 1. Jänner 2002 in Kraft getreten ist und die Diensteanbieter zur Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten verpflichtet.

[412]) REINDL; Telefonüberwachung zweimal neu?, JBl. 2002, 69 ff; BURGSTALLER, Glosse zur E des OGH, 12 Os 152/00, JBl. 2001, 531 ff; WALTER/ZELENY, Über einige verfassungsrechtliche Probleme im Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, ÖJZ 2001, 876 ff, 879 f.

[413]) Vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2001, 2 BGs 42/2001, worin ausdrücklich festgehalten wird, dass die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen einer nach den §§ 100a, 100b dStPO angeordneten Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation mit einem Mobilfunktelefon von dem Netzbetreiber die Bereitstellung von Informationen darüber verlangen können, in welcher Funkzelle sich das Telefon befindet, selbst wenn mit diesem nicht telefoniert wird.

[414]) Vgl. dazu bereits REINDL, Die nachträgliche Offenlegung von Vermittlungsdaten des Telefonverkehrs im Strafverfahren („Rufdatenrückerfassung“), JBl. 1999, 791 ff.

[415]) Art. 1 lit d der Konvention definiert zB als „Verbindungsdaten“ alle Computerdaten in Zusammenhang mit einer Kommunikation mit Hilfe eines Computersystems, die von einem Computersystem, das Teil der Kommunikationskette war, erzeugt wurden und aus denen Ursprung, Bestimmung, Leitweg, Uhrzeit, Datum, Umfang oder Dauer der Kommunikation oder die Art. des Trägerdienstes hervorgehen. Als Computersystem selbst wird nach lit a eine Vorrichtung oder eine Gruppe verbundener oder zusammen hängender Vorrichtungen verstanden, die einzeln oder zu mehreren auf der Grundlage eines Programms die automatische Datenverarbeitung durchführen.

[416]) Siehe FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 1 ff zu § 146.

[417]) Siehe diesbezüglich die Erläuterungen zu Art. II Z 7 der erwähnten Regierungsvorlage eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002.

[418]) Vgl. REINDL, Telefonüberwachung zweimal neu?, JBl. 2002, 69 ff, 73, die zu Recht darauf hinweist, dass für eine zulässige Überwachung nach § 139 Abs. 1 des Begutachtungsentwurfs zu fordern wäre, dass der Benutzer – also derjenige, der aktuell telefoniert – der Überwachung zustimmt oder der dringend Tatverdächtige als Anrufer oder Angerufener am Gespräch teilnimmt. In einem Mehrpersonenhaushalt wäre dieses Erfordernis nur schwer zu erbringen.

[419]) Siehe dazu § 149d Abs. 1 Z 1 StPO und die hiefür maßgeblichen Erläuterungen in RV 49 BlgNR XX. GP, 17 und JAB 812 BlgNR XX. GP, 4.

[420]) Nach deren Art. 1 lit. c erfasst der Begriff „Dienstanbieter“ jede öffentliche oder private Organisation, die Nutzern ihres Dienstes ermöglicht, mit Hilfe eines Computersystems zu kommunizieren sowie jede andere Organisation, die für diesen Kommunikationsdienst oder für Nutzer dieses Dienstes Computerdaten verarbeitet oder speichert.

[421]) § 13 Abs. 1 ECG erfasst Diensteanbieter, die von einem Nutzer eingegebene Informationen in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder den Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermitteln, § 16 ECG Diensteanbieter, die von einem Nutzer eingegebene Informationen speichern (so genanntes Hosting).

[422]) Vgl. JAB 812 BlgNR XX. GP, 10, wonach dadurch sowohl dem Art. VII des Konkordats vom 5. Juni 1933, BGBl. II Nr. 2/1935, als auch dem § 11 des Bundesgesetzes über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche entsprochen werden soll.

[423]) Siehe auch JAB 812 BlgNR XX. GP, 2, 7, 13 und 14.

[424]) Vgl. EvBl. 1997/126, wonach das Entschlagungsrecht des beruflichen Parteienvertreters nach § 152 Abs. 1 Z 4 StPO (und damit auch das Umgehungsverbot nach Abs. 3 leg. cit) dann entfällt, wenn begründeter Verdacht besteht, dass dieser selbst an der strafbaren Handlung seines Klienten teilgenommen hat oder sie durch strafbare Handlungen zu decken sucht. In einem solchen Fall habe sich der Beschuldigte nämlich nur formell einem Parteienvertreter anvertraut, sich in Wahrheit jedoch eines Komplizen bedient.

[425]) A. M.: MACHACEK, Stellung und Aufgaben des Rechtsschutzbeauftragten, Vorarlberger Tage, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 100, 43 ff, 68; siehe nunmehr § 149o Abs. 1 in der Fassung StRÄG 2001, BGBl. I Nr. 130/2001 und RV eines Strafrechtsänderungsgesetzes 2002.

[426]) Vgl. RZ 1957, 117; OGH 26.4.1972 11 Os 42/72, wonach der Befund eines Sachverständigen nicht auf Grund eines gerichtlichen Augenscheines erstellt werden muss. Siehe auch RZ 1965, 142, wonach die Parteien grundsätzlich keinen Anspruch auf Anwesenheit und Mitwirkung bei der Vorbereitung des Gutachtens eines Sachverständigen haben (Ausschluss der Parteiöffentlichkeit bei der Vorbereitung des Sachverständigengutachtens.

[427]) Vgl. SSt 44/1, wonach die von anderen Personen in Abwesenheit des Richters vorgenommene Besichtigung von Beweisgegenständen niemals einen gerichtlichen Augenschein darstellt. Sie ist höchstens ein Beweisgegenstand, der durch Urkunden oder Zeugen zu erheben ist.

[428]) Vgl. dazu das Beispiel bei PLEISCHL, in: Strafprozessreform, Bd. 54 der Schriftenreihe des BMJ, 77; SEILER Stefan, Die Stellung des Beschuldigten im Anklageprozess, ÖSD Bd. 98, 47.

[429]) Vgl. St. SEILER, Die Stellung des Beschuldigten, 48 ff.

[430]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 212 f.

[431]) Vgl. DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 159.

[432]) In diesem Sinne SCHMOLLER, Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafpro­zessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, 169.

[433]) Polizei und Strafprozess, GA für den 14. ÖJT, 110 ff, 145. Die von SOYER, Thesen zur Reform von Ermittlungsbefugnissen und Verteidigungsrechten im Vorverfahren, Referat für den 14. ÖJT, eingenommene Gegenposition, wonach es nicht einmal zulässig sein sollte, die durch eine Erkundigung gewonnene Information durch Vorhalte in der Hauptverhandlung zu verwenden, überzeugt nicht. Auch er räumt allerdings in: Beweisverwertungsverbote im künftigen strafprozessualen Vorverfahren, ÖJZ 1999, 829 ff, 837, ein, dass dem Konzept der „Verwendung als Information“ zuzubilligen sei, dass es dem „Realitätsprinzip“ Rechnung trage.

[434]) Vgl. ua. VwGH 31. 3. 1993, 92/01/0402.

[435]) SCHMOLLER, Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, 161, 163, 167, 169 f, nach dessen Meinung es nicht überzeuge, dass im Rahmen von Belehrungsfehlern für Zeugenaussagen andere Maßstäbe als für Beschuldigtenaussagen gelten sollten.

[436]) Vgl. 12 Os 177/69; 12 Os 104/74; 11 Os 21/76; 11 Os 121/77; 10 Os 187/78; 13 Os 191/80; 12 Os 110/84; 12 Os 144/85; 13 Os 28/88; 14 Os 81/87; 13 Os 28/90; 12 Os 95/90; 15 Os 124/94.

[437]) Vgl. St. SEILER, Strafprozessrecht4, Rz 71 und 434; 11 Os 121/77; BERTEL/VENIER, Strafprozessrecht6, Rz 363 und 365.

[438]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StGB7, § 288 Rz 5, wonach das Tatbildmerkmal „falsch“ gewählt worden sei, weil dieser Ausdruck volkstümlicher sei als das an sich präzisere Wort „unrichtig“; auch das vorsätzliche Verschweigen erheblicher Tatsachen sei eine „falsche“ Beweisaussage. In materieller Hinsicht erscheint es de lege ferenda überhaupt folgerichtig, § 288 StGB auch auf Aussagen von Zeugen vor der Kriminalpolizei zu erweitern und es insoweit nicht bei der Bestimmung des § 289 StGB („Falsche Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde“) zu belassen.

[439]) Vgl. zuletzt OGH 12. 12. 2000, 11 Os 138/00 uva.

[440]) Platzgummer, Strafverfahren8, 91; Bertel/Venier, Strafprozessrecht6, Rz 369; Mayerhofer, StPO4, Anm 5 zu § 151; Wedrac, Vorverfahren 183; SSt. 56/101 = EvBl. 1986/135; EvBl. 1993/30; 12 Os 87/00.

[441]) Vgl. 11 Os 138/00 – JBl. 2001, 803.

[442]) Vgl. § 152 Abs. 1 Z 2a StPO in der Fassung Strafrechtsänderungsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 153; RV 1230 BlgNR XX. GP, 33 f.

[443]) Siehe zur Reichweite und Grenzen dieses Rechts RATZ, Probleme der Aussageentschlagung bei möglicher Selbstbezichtigung, JBl. 2000, 291 ff.

[444]) Dies hat RATZ, Probleme der Aussageentschlagung bei möglicher Selbstbezichtigung, JBl. 2000, 291 ff, 300, entgegen JAB 1157 BlgNR XVIII. GP, 9, überzeugend nachgewiesen. Anderes gilt nur dann, wenn der (als Beschuldigter etwa freigesprochene) Zeuge durch eine wahre und vollständige Aussage einen Grund zur Wiederaufnahme im Sinne des § 356 StPO setzen würde.

[445]) Nach geltendem Recht aM RATZ, Probleme der Aussageentschlagung bei möglicher Selbstbezichtigung, JBl. 2000, 291 ff, 292.

[446]) Vgl. SCHMOLLER. Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, 155, der es allerdings in der FN 13 mwN als unbefriedigend bezeichnet, dass in Österreich das Berufsgeheimnis der Ärzte strafprozessual nicht einmal im Sinne eines begrenzten Zeugnisverweigerungsrechts bzw. einer korrespondierenden Unverwertbarkeit respektiert wird; derselbe in Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 80 f, bezeichnet es als konsequent, nach der Reduktion der ärztlichen Pflicht zur Anzeige von Straftaten dem Arzt als Zeugen im Strafverfahren ein begrenztes Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen. Die Regelung des § 54 Abs. 2 Z 4 ÄrzteG 1998 zwingt jedoch nicht dazu, zumal die Verschwiegenheitspflicht nicht besteht, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art. und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist.

[447]) Auch in dieser Bestimmung wird deutlich, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht nicht versuchen dürfen, die Wahrheit „um jeden Preis“ herauszufinden; vgl. § 53 Abs. 1 Z 5 dStPO und die Rsp. des BVerfG, die in besonders gelagerten Fällen, in denen dem Geheimhaltungsbedürfnis der Presse gegenüber der Strafrechtspflege der Vorrang gebührt, ein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus der Pressefreiheit nach Art. 5 GG ableitet, NJW 1988, 329. Siehe auch HAMM, Vom Grundrecht der Medien auf das Fischen im Trüben, NJW 2001, 269 ff, 271.

[448]) Vgl. BGH, NJW 1990, 525.

[449]) Siehe RATZ, Probleme der Aussageentschlagung bei möglicher Selbstbezichtigung, JBl. 2000, 291 ff, 301 ff (Punkt VI.) mwN.

[450]) Vgl. RENZIKOWSKI, Fair trial und anonymer Zeuge, JZ 1999, 605 ff, 610 mwN.

[451]) Zur Judikatur des BGH bzw. zum BVerfG siehe die Nachweise in den FN 36 und 37 bei RENZIKOWSKI, Fair trial und anonymer Zeuge, JZ 1999, 605 ff

[452]) ÖJZ 1998/15 (MRK).

[453]) Vgl. KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 12 zu § 58 dStPO, wonach die Identifizierungsgegenüberstellung regelmäßig als Wahlgegenüberstellung stattfindet; die Einzelgegenüberstellung hat demgegenüber geringeren Beweiswert.

[454]) Vgl. §§ Z 26 bis Z 28 DE und die Erläuterungen, Z 62 bis Z 65 DE; diese Vorschläge sind von VENIER, Der Beschuldigte und sein Verteidiger im Vorverfahren – zum Diskussionsentwurf des BMJ mit Blick auf die Rechtslage in Italien, AnwBl. 1998, 730 ff, zT scharf kritisiert worden.

[455]) St. SEILER, Die Belehrung des Beschuldigten über das Recht der Aussageverweigerung, ÖJZ 1993, 257 ff, 262 f.

[456]) St. SEILER, Belehrung des Beschuldigten, aaO, 259.

[457]) SOYER, Thesen zur Reform von Ermittlungsbefugnissen und Verteidigungsrechten im Vorverfahren, Referat für den 14. ÖJT.

[458]) Siehe LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff, 625. mwN.

[459]) Vgl. LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff, 629 f, wonach sich mit der Abschaffung der Folter nur die Methode, nicht aber das alleinige Ziel der inquisitorischen Beweistätigkeit änderte: „Die Herbeiführung des Geständnisses wurde jetzt als eine regelrechte Kunst entwickelt. Man begann mit Ermahnungen zur Wahrheit, schritt erforderlichenfalls zu Wiederholungen des Verhörs fort und versuchte, den vermeintlich leugnenden Beschuldigten in Widersprüche zu verwickeln oder vorhandene Widersprüche gegen ihn auszunützen. Man ließ ihn hinsichtlich des Ergebnisses der Ermittlungen im Dunklen tappen und teilte ihm Beweisergebnisse jedenfalls nur mit größter Vorsicht und Zurückhaltung mit. Man zermürbte ihn mit Überraschungs- und Überrumpelungsmanövern, unerwarteten Gegenüberstellungen und wiederholten Verhören.“

[460]) Vgl. OGH 13. 2. 1996, 11 Os 147/95.

[461]) Vgl. LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff; 636.

[462]) Vgl. LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff; 638.

[463]) Die Forderung von VENIER, Der Beschuldigte und sein Verteidiger im Vorverfahren – zum Diskussionsentwurf des BMJ mit Blick auf die Rechtslage in Italien, AnwBl. 1998, 730 ff; 732, dass „…die Polizei eine Vernehmung – bei sonstiger Unverwertbarkeit der Aussage (Art. 179 Abs. 1 italStPO) – nur in Anwesenheit eines Verteidigers beginnen und fortsetzen“ dürfe (Art. 370 Abs. 1 italStPO), sohin die Anwesenheit eines Verteidigers nicht nur zu erlauben, sondern zwingend vorzuschreiben, weil die Polizei den Beschuldigten auf ein Recht verzichten lassen oder es sonst umgehen kann, erscheint nur verwirklichbar, wenn es zur Einrichtung eines anwaltlichen Bereitschaftsdienstes kommt, der es erlaubt, jedem Beschuldigten binnen kürzester Frist einen Verteidiger beizugeben.

[464]) Vgl. BEULKE, Muss die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung „Erste Hilfe“ bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, 257 ff, 259.

[465]) Vgl. JAB 404 BlgNR XXI. GP, § 46a JGG „Verfahrensbestimmungen für Strafsachen junger Erwachsener“ und 6292/I-BlgBR zu den Änderungen gegenüber dem Gesetzentwurf in 404 der Beilagen.

[466]) Kritisch SOYER, Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung, in PILGERMAIR [Hg] Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 267 ff, 295 f.

[467]) SZIRBA, ÖffS 1985/4, 8; vermittelnd (bloßer Beobachterstatus): DEARING et al, Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 241, FN 258.

[468]) GRABENWEGER, Die Grenzen rechtmäßiger Strafverteidigung, ÖSD Bd. 105, 139 f mwN.

[469]) Vgl. § 10 Abs. 5 AVG.

[470]) BGBl. Nr. 263/1996.

[471]) LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff, 642.

[472]) Auch derzeit bestehende Beweisverbote dienen nicht nur dem Schutz höherer Interessen, sondern auch dem Zweck, die Wahrheitsfindung selbst vor Gefahren zu schützen; Siehe dazu ausführlich PLATZGUMMER, Gesetzliche Beweisverbote im österreichischen Strafverfahren, FS Winkler, 797 ff, 816: „VI. Ausschaltung unverlässlicher Beweismittel“. Instruktiv dazu der Vergleich mit dem Verbot der Folter: „… das erzwungene Geständnis ist um den Preis der Achtung vor der Menschenwürde und damit zu teuer erkauft, außerdem ist es aber auch wertlos, weil es ebenso gut richtig wie falsch sein kann (800)“.

[473]) Vgl. LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff; 641.

[474]) Vgl. KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 15 zu § 136a dStPO mwN.

[475]) Vgl. LESCH, Inquisition und rechtliches Gehör in der Beschuldigtenvernehmung, ZStW 111 (1999), 624 ff, 644, sowie das auf 645 f wiedergegebene Zitat von GLASER, Handbuch des Strafprozesses, 1. Band, 1883, 620 f: „Die Lösung aller Widersprüche, in die man sich verwickelt, liegt meines Erachtens darin, dass man aufhört, das Verhör als auf ein Geständnis abzielend zu betrachten. Der Richter hat die Aussage des Beschuldigten entgegenzunehmen, wie er die des Zeugen entgegennimmt, mit dem einzigen Unterschied, dass er Ersteren nicht zur Beantwortung einer Frage anhalten darf. Aber sowie er bei Letzterem sich nicht die Aufgabe stellen darf, eine Aussage in einer bestimmten Richtung zu erzielen, sondern vielmehr sich zu bemühen hat, zu erfahren, was der Zeuge aussagt, wie er seine Aussage verstanden wissen will, und alles ins Klare zu setzen, was zur Aufdeckung der in ihr liegenden absichtlichen oder unabsichtlichen Unwahrheiten, aber auch alles, was zur Erhärtung und Beglaubigung der wahren Aussage dienen kann, – genau so soll er sich auch bei der Aussage des Beschuldigten verhalten, gleichviel ob der einzelne Tatumstand demselben zu Gunsten oder zu Ungunsten gereicht … Die Härten und Bitterkeiten des inquisitorischen Verhörs beruhten darauf, dass es ein Geständnis erzielen wollte und dass nur ein solches Beweis machte, alles andere, was der Inquisit sprach, dagegen beweisuntüchtig war. Das neue Verfahren verlangt dagegen, dass die Aussage als solche entgegengenommen werde wie jede andere: weder mit unbedingtem Vertrauen, noch mit unbedingtem Misstrauen, sondern als etwas, das geprüft werden muss, ob es der Kritik Stand zu halten vermag.“

[476]) Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien-Verordnung – RLV), BGBl. Nr. 266/1993.

[477]) Siehe FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 2 zu § 162a StPO.

[478]) Während sie von St. SEILER, Der Diskussionsentwurf des BMJ zur Reform des Vorverfahrens, ÖJZ 1999, 258, und SOYER, Beweisverwertungsverbote im künftigen strafprozessualen Vorverfahren, ÖJZ 1999, 829 ff, grundsätzlich befürwortet wird, wird sie von SCHMOLLER, Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, als zu weitgehende „Disziplinierung der Strafverfolgungsorgane“ kritisiert. So auch schon derselbe in: Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens; ÖJK 1999, 73 ff, 100 ff

[479]) Siehe SCHMOLLER, Grundstrukturen eines künftigen strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJK 1999, 73 ff, 100 ff; rechtsvergleichend § 69 Abs. 3 dStPO; dazu: KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 10 (Unzulässige Vernehmungsmethoden sind verboten).

[480]) Siehe auch EGMR im Fall SELMOUNI gegen Frankreich, NJW 2001, 56 ff, wonach es dem Staat obliege, eine plausible Erklärung für die Ursachen von Verletzungen zu gegen, wenn eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch Misshandlungen in der Haft geltend gemacht wird, und der Betroffene in gutem Gesundheitszustand festgenommen worden ist. Bei der Beurteilung, ob eine Misshandlung so schwerwiegend ist, dass sie als Folter eingestuft werden muss, sei auf die Definition in Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zurückzugreifen. Wegen der zunehmend hohen Anforderungen an den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sei bei der Beurteilung Strenge erforderlich. Deswegen sei es möglich, dass in der früheren Rechtsprechung als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung eingestufte Handlungen künftig als Folter qualifiziert werden.

[481]) Siehe in rechtsvergleichender Hinsicht: §§ 150b bis 150e AE-EV (Alternativ Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens), Arbeitskreis deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (C:H: Beck 2001), wonach die unter Verletzung des Verbots der Veranlassung einer Selbstbelastung, des Verbots von Ermittlungen gegen Unbeteiligte und des Misshandlungsverbots erlangten Erkenntnisse im Strafverfahren nicht zu Lasten des Beschuldigten verwertet werden dürfen.

[482]) Vgl. St. SEILER, Die Stellung des Beschuldigten, aaO, 250 ff.

[483]) Vgl. SOYER, Beweisverwertungsverbote im künftigen strafprozessualen Vorverfahren, ÖJZ 1999, 829 ff, 831.

[484]) Vgl. SCHMOLLER, Beweisverwertungsverbote im Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens, RZ 2000, 154 ff, 160 ff und 169 f:“ Die in Z 28 DE vorgesehene generelle Unverwertbarkeit von Aussagen des Beschuldigten bei Vorliegen eines Vernehmungsfehlers … lässt sich in dieser Form schwer begründen und wird auch in den Erläuterungen zum Entwurf nicht näher ausgeführt.“

[485]) Kritisch SCHWAIGHOFER, Die Wechselwirkungen zwischen Vorverfahren und Hauptverhandlung, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 239 ff, 256 f.

[486]) Vgl. St. SEILER, Die Stellung des Beschuldigten, aaO, 253.

[487]) Siehe JAB 1157 BlgNR XVIII. GP, 2 und PLEISCHL, Die Neuordnung des Rechtes der Untersuchungshaft, ÖJK 1992, 61 ff.

[488]) So schon Das neue StPO-Vorverfahren: Punktation zum kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren unter besonderer Bedachtnahme auf Befugnisse zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, Broschüre des BMJ (1995), 24 ff Vgl. ferner MIKLAU, Die neue Rolle der Staatsanwaltschaft im strafprozessualen Vorverfahren, FS TRIFFTERER 1996, 493 ff, 499, der auf die richtungsweisende Weichenstellung des Reformwerks zur neuen Rollenverteilung in den Ermittlungs- und Entscheidungsfunktionen sowie den Ausbau von Verteidigungsrechten verweist.

[489]) Vgl. KARAZMAN-MORAWETZ/STANGL, Die Auswirkungen des StPÄG 1993 auf die Praxis der Untersuchungshaft, Ein empirischer Vergleich an den vier Gerichtshöfen erster Instanz in Wien, Linz, Innsbruck und Graz, JRP 1999, 89 ff.

[490]) Siehe dazu: Gemeinsame Fahndungsvorschrift der Bundesministerien für Inneres, Finanzen und Justiz, JAB Nr. 43/1998; nicht alle Maßnahmen zur Fahndung sind durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, sondern bloß die in § 2 Abs. 2 angeführten Ausschreibungen im EKIS und SIS.

[491]) Der Begriff der „Anhaltung“ ist allerdings strafprozessual bereits „besetzt“ (§ 429 StPO).

[492]) Seit der durch das BGBl. I Nr. 85/2000 vorgenommenen Neufassung stellt § 17 SPG nunmehr allerdings auf eine mehr als ein jährige Freiheitsstrafe ab; dadurch kann jedoch das maßgebliche verfassungsrechtliche Verständnis nicht verändert werden. In diesem Sinne ausdrücklich RV 134 BlgNR XVII. GP, 5 („Eine mit beträchtlicher Strafe bedrohte Handlung liegt dann vor, wenn die Strafdrohung einen sechs Monate übersteigenden Freiheitsentzug vorsieht“).

[493]) Vgl. dazu auch die Erläuterungen zu § 173.

[494]) Eben aus diesem Grund dürfte der in DEARING et. al., Kriminalpolizei und Strafprozessreform, 233 f, erhobene – und im Hinblick auf die eigenständigen Ermittlungskompetenzen der Kriminalpolizei auch konsequente – Vorschlag, wonach die Befassung des Gerichts erst dann erfolgen solle, wenn die Sicherheitsorgane bereits Gelegenheit hatten, den „Verdächtigen zu den gegen ihn vorliegenden Verdachtsmomenten zu hören und, falls notwendig, eine aller erste Überprüfung seiner Angaben vorzunehmen“, wofür und zur Befassung des Richters die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes maximal zwölf Stunden Zeit haben sollten, verfassungsrechtlich nur schwer verwirklichbar sein; darüber hinaus widerspricht die dort vorgeschlagene „schwache“ Vermutung zu Gunsten des Vorliegens von Haftgründen („… es sei denn, dass nach den Umständen offenbar kein Grund zur Festnahme besteht …“) dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

[495]) Siehe dazu JAB 1157 BlgNR XVIII. GP, 11.

[496]) Vgl. MOOS, Sharp, short, shock, Juridikum 1992/4, 37, und VENIER, Ausgewählte grundrechtliche Fragen der Untersuchungshaft, StPdG 26, 79 ff (= RZ 1998, 126 ff.).

[497]) Vgl. mwN VENIER, Ausgewählte grundrechtliche Fragen der Untersuchungshaft, StPdG 26, 79 ff, 82. Für eine restriktivere Handhabung der Untersuchungshaft im Übrigen schon FOREGGER, StP-AK-Unterlage 105/A, ThV II/Haft: „Jedermann in diesem Kreis ist für eine möglichste Einschränkung der Vorhaft, nicht so sehr, weil das jetzt modern ist, sondern weil es selten vorkommt, dass ein Schuldloser verurteilt wird, aber nicht so selten vorkommt, dass ein Schuldloser verhaftet wird.“

[498]) Vgl. Punktation des BMJ „Das neue StPO-Vorverfahren“, Juli 1995; VENIER, Ausgewählte grundrechtliche Fragen der Untersuchungshaft, StPdG 26, 79 ff, 85 ff, bezweifelt überhaupt die Verfassungskonformität des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr mangels Erwähnung in Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK; Nach FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar2, Art. 5 Rz 74, ist hingegen Verdunkelungsgefahr gleichwohl „konventionsrechtlich erheblich“, weil eine „rechtmäßige“ Untersuchungshaft im Sinne Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK nur vorläge, wenn außer einem Tatverdacht auch ein innerstaatlich vorgeschriebener Haftgrund gegeben sei.

[499]) Vgl. dazu etwa EvBl. 1994/108, wonach zunächst auf Art. und Ausmaß jener Strafe abzustellen ist, zu der der Beschuldigte realistischerweise voraussichtlich verurteilt werden wird. Übersteigt die bisherige Dauer der Untersuchungshaft bereits die Hälfte der zu erwartenden (unbedingten) Freiheitsstrafe, so ist in die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch diese Möglichkeit mit einzubeziehen.

[500]) Vgl. Siehe REINDL, Untersuchungshaft und MRK (1997), 247.

[501]) Vgl. RV 110 BlgNR XX. GP, 56, wonach die Untersuchungshaft über suchtmittelabhängige und therapiebedürftige Personen nicht verhängt oder fortgesetzt werden soll, wenn der Haftzweck, der Tatbegehungsgefahr entgegenzuwirken, durch das gelindere Mittel der Weisung, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung (§ 51 Abs. 3 StGB) oder einer gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 SMG zu unterziehen, erreicht werden kann.

[502]) Vgl. Siehe REINDL, Untersuchungshaft und MRK (1997), 247; auch VENIER, Ausgewählte grundrechtliche Fragen der Untersuchungshaft, StPdG 26, 79 ff, 91, weist darauf hin, dass zB Fluchtgefahr sich mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht ausschließen lässt; er (aaO, 94) schließt sich daher der bereits von MOOS, Juridikum 1992/4, 38, vertretenen Ansicht an, dass dieser Haftgrund ersatzlos zu beseitigen wäre.

[503]) Vgl. EGMR im Fall AQUILINA gegen Malta, NJW 2001, 51 ff, wonach Art. 5 Abs. 3 EMRK eine Garantie gegen rechtswidrige Freiheitsentziehung enthält und verlangt, dass der Richter die Begründetheit der Freiheitsentziehung überprüft und gegebenenfalls Haftentlassung anordnet. Diese Prüfung müsse unverzüglich erfolgen, wobei es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, was „unverzüglich“ bedeutet. Die Flexibilität bei der Auslegung und Anwendung des Begriffs unverzüglich sei jedoch sehr begrenzt. Die Vorführung des Beschuldigten binnen zwei Tagen nach dessen Festnahme könne in diesem Sinne als unverzüglich angesehen werden (para 51).

[504]) Art. 4 Abs. 2 und 3 PersFrG sowie Art. 5 Abs. 3 EMRK enthalten bloß die Anordnung, dass eine dem Gericht übergebene Person ohne Verzug bzw. unverzüglich vom Richter zur Sache und zu den Voraussetzungen der Anhaltung zu vernehmen ist. Dass bereits innerhalb der 48-Stunden-Frist auch über die Haft zu entscheiden ist, wird nicht ausdrücklich gefordert. Im Fall NIKOLOVA gg. Bulgarien, ÖJZ 1999/30 (MRK), hat der EGMR jedoch daran „erinnert, dass die Rolle des in Art. 5 Abs. 3 EMRK angesprochenen Beamten darin besteht, die Umstände zu prüfen, die für und gegen die Haft sprechen und unter Bezugnahme auf rechtliche Kriterien (by reference to legal criteria) zu entscheiden, ob Gründe für die Haft vorliegen; er hat die Freilassung anzuordnen, wenn es keine solchen Gründe gibt. … Der „Beamte“ muss die ihm vorgeführte Person persönlich vernehmen und unter Bezugnahme auf rechtliche Kriterien überprüfen, ob die Haft gerechtfertigt ist oder nicht. Wenn sie sich nicht als gerechtfertigt herausstellt, dann muss der „Beamte“ die Befugnis haben, die Freilassung des Häftlings bindend anzuordnen.

[505]) Vgl. BVerfG 32, 87 ff; 53, 152 ff und BVerfG, 2 BvR 1706/00 vom 18. 12. 2000.

[506]) Vgl. BERTEL, Die Abschaffung der Voruntersuchung – Zum Entwurf des Strafprozessreformgesetzes, RZ 2002, 84 ff.

[507]) Vgl. auch Art. 4 Abs. 3 des Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. L 82/1.

[508]) Siehe dazu Siehe REINDL, Untersuchungshaft und MRK (1997), 247, wonach dadurch der konventionswidrige Ausschluss der Anwendung gelinderer Mittel beseitigt wurde und „nunmehr MRK-konform“ sei.

[509]) JMZ 578.015/6-II 3/97.

[510]) Siehe OGH 26. 3. 1996, 11 Os 32, 33/96 und die kontroversiellen Bemerkungen von BRAND­STETTER/KARESCH/PLATZGUMMER, Vorerhebungen vor erwogenem Wiederaufnahmeantrag?, JBl. 1996, 706 ff.

[511]) Siehe rechtsvergleichend § 170 dStPO und die Erläuterungen bei KLEINKNECHT/MEYER-GOSSNER, dStPO44, Rz 9, wonach Strafklageverbrauch durch eine Einstellung nicht eintritt, sondern das Ermittlungsverfahren jederzeit wieder aufgenommen werden kann, wenn Anlass dazu besteht. Ein Vertrauensschutz auf den Bestand der Einstellungsverfügung bestehe nicht.

[512]) Vgl. FOREGGER/FABRIZY, StPO8, Rz 10 zu § 352; SOYER, Die (ordentliche) Wiederaufnahme des Strafverfahrens, ÖSD Bd. 111, 132 mwN.

[513]) Siehe dazu FOREGER/FABRIZY, StPO8, Rz 9 zu § 352 und und Rz 2 zu § 363.

[514]) Siehe dazu die Erläuterungen zum DE, E 28.

[515]) Vgl. Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes, II. Teil, Erläuterungen, 289 ff.

[516]) Siehe dazu MOOS, Die Stellung der Staatsanwaltschaft im strafprozessualen Vorverfahren, in Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, PILGERMAIR [Hg], 59 ff, 100f.

[517]) Vgl. MOOS, Die Stellung der Staatsanwaltschaft im strafprozessualen Vorverfahren, in Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 101. Auch LAMBAUER, Die Kontrolle der Macht des Staatsanwaltes im Vorverfahren, in Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 103 ff, 123 f behandelt die Möglichkeiten, ein eingestelltes Vorverfahren wieder aufzunehmen und fortzuführen, unter dem Gesichtspunkt der Machtposition des Staatsanwaltes und deren Kontrolle. Er lehnt den im Begutachtungsentwurf vorgeschlagenen Antrag auf Fortführung (124) gerade wegen des umfassenden Weisungsrechts des Bundesminister für Justiz als systemwidrig ab und verweist auf die Regelung des § 172 Abs. 1 dStPO (125), wonach eine Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung auch der Staatsanwalt, der die Einstellung verfügt hat, „selbst erledigen“ und die Ermittlungen wieder aufnehmen könne, wenn in der Beschwerde neue wesentliche Tatsachen oder Beweismittel angeführt sind.

[518]) Siehe dazu umfassend MIKLAU/SCHROLL (Hg), Diversion ein anderer Umgang mit Straftaten, Analysen zur Strafprozessnovelle 1999; PLEISCHL, Das beschlossene Diversionspaket, Vorarlberger Tage, Schriftenreihe des BMJ, Bd. 100, 25 ff; derselbe, Das Diversionspaket, StPG 27 (1999), 221 ff.

[519]) In diesem Sinne schon der Einführungserlass zur Strafprozessnovelle 1999, JMZ 578.015/35-II.3/1999, Punkt 1.3.1.; siehe auch LODERBAUER, Staatsanwalt und Diversion, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 177 ff, 184.

[520]) FUNK/LACHMAYER, Der Staatsanwalt im Verfassungsgefüge, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 31 ff, 39f mwN.

[521]) Vgl. MOOS, Polizei und Strafprozess, 14. ÖJT Band IV/1, 85.

[522]) MOOS, Die Stellung der Staatsanwaltschaft im strafprozessualen Vorverfahren, in PILGERMAIR [Hg], Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert, 59 ff, 88 ff.

[523]) FOREGGER/FABRIZY, StPO8 § 213 Rz 1.