1251 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP
Ausgedruckt
am 9. 7. 2002
Bericht
des Umweltausschusses
über den Entschließungsantrag 384/A(E) der
Abgeordneten Karlheinz Kopf, Ing. Gerhard Fallent, Dr. Eva Glawischnig und Mag.
Ulrike Sima, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Umsetzung des „Protokolls
von Melk“ bezüglich des KKW Temelin
Die Abgeordneten Karlheinz Kopf, Ing. Gerhard Fallent, Dr. Eva Glawischnig und Mag. Ulrike Sima haben den gegenständlichen Entschließungsantrag 384/A(E) am 1. Februar 2001 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Am Mittwoch, den 12. Dezember 2000 ist Bundeskanzler Dr. Schüssel, wie Ende Oktober vereinbart, zu einem Folgetreffen mit dem Tschechischen Premier M. Zeman in Anwesenheit des Mitglieds der Europäischen Kommission, G. Verheugen, zusammengetroffen. Im ,Protokoll von Melk‘ hat die Tschechische Republik sowohl einer Ausdehnung des laufenden UVP-Verfahrens zu den baulichen Änderungen auf eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung der gesamten Anlage nach europäischen Verfahrensregeln als auch einer europäischen Sicherheitsüberprüfung zugestimmt. Weiters konnte eine Vereinbarung zur frühzeitigen und umfassenden Information über alle relevanten Ereignisse im KKW Temelin erzielt werden.
Mit diesen Vereinbarungen wurden wesentliche Forderungen des Nationalrates in der Substanz erfüllt. Nicht umgesetzt werden konnte der Wunsch einer Unterbrechung der Testphase. Die tschechische Seite hat sich allerdings verpflichtet, mit der kommerziellen Inbetriebnahme bis zum Abschluss der vereinbarten Untersuchungen und Analysen zuzuwarten.
Obwohl zwischenzeitlich erhebliche Zeit verstrichen ist, sind immer noch wichtige Fragen zur Umsetzung der Melker Beschlüsse – insbesondere zum Thema Umweltverträglichkeitsprüfung – offen.
Andererseits hat eine Reihe von Zwischenfällen im KKW Temelin, die letztlich zu einer Unterbrechung der Testphase geführt haben, die von Experten wiederholt geäußerten Bedenken verstärkt.“
Der Umweltausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seinen Sitzungen am 15. November 2001 und am 4. Juli 2002 behandelt.
Als Berichterstatterin im Ausschuss fungierte die Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig.
An den Debatten beteiligten sich außer dem Berichterstatter die Abgeordneten Mag. Ulrike Sima und Karlheinz Kopf.
Die Abgeordneten Erwin Hornek und Mag. Karl Schweitzer brachten einen Entschließungsantrag ein.
Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag in der Fassung des Antrages der Abgeordneten Erwin Hornek und Mag. Karl Schweitzer mit Stimmenmehrheit angenommen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle die beigedruckte Entschließung annehmen.
Wien, 2002 07 04
Ing. Gerhard Fallent Mag. Karl Schweitzer
Berichterstatter Obmann
Entschließung
Der Nationalrat
– bekräftigt seine bisherigen Entschließungen zu Fragen der Nuklearpolitik im allgemeinen und zum Thema Temelin im besonderen;
– bekräftigt die „Drei-Stufen-Strategie“ der Bundesregierung zum Ausstieg aus der Kernenergie:
Schließung
von nicht nachrüstbaren Kernkraftwerken wie zB der Reaktoren der ersten
Generation sowjetischer Bauart in Ignalina, Bohunice und Kosloduj,
Schaffung
einheitlicher und hoher Sicherheitsstandards für noch in Betrieb befindliche
Kernkraftwerke,
Konsequente
Verfolgung eines europaweiten Ausstiegs aus der Nutzung der Kernkraft;
– bekräftigt
den Beschluss der Bundesregierung vom 8. Dezember 2001, weiterhin für den
europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie einzutreten und den Ausstieg von
hiezu bereiten Ländern zu unterstützen,
– bekräftigt
ferner vor allem auch, dass die Bereitschaft, konkrete Schritte zum Ausstieg
aus der Kernenergie zu unterstützen, insbesondere für die von Österreich
beispielsweise im Rahmen der Energiepartnerschaft angestrebte Nullvariante für
das Kernkraftwerk Temelin gilt; sofern die tschechische Seite hiezu
Bereitschaft zeigt, wird Österreich umgehend auch in Sondierungsgesprächen mit
der EU eine finanzielle Beteiligung an einem konkreten Ausstiegsangebot
anstreben; die österreichischen Abgeordneten zum EU-Parlament werden ersucht,
eine neuerliche Initiative zur Abhaltung einer EU-weiten Ausstiegskonferenz
einzuleiten;
– bekundet
seine Absicht, diesbezüglich erneut auf parlamentarischer Ebene durch die
Entsendung einer Delegation zu Gesprächen mit Vertretern des neu gewählten
tschechischen Parlaments aktiv zu werden;
– unterstützt
die Initiativen der Bundesregierung, aufbauend auf den Äußerungen der
Energiekommissarin, so rasch als möglich EU-weite einheitliche
Sicherheitsstandards auf einem hohen Niveau (anzustreben ist das der Deutschen
Bundesrepublik) für Atomkraftwerke der Mitgliedsstaaten und der Beitrittsstaaten
festzulegen sowie ein europäisches Monitoring zur Einhaltung dieser Standards
zu schaffen;
– unterstützt
die Initiativen der Bundesregierung zur Reform und Integration des
EURATOM-Vertrags in den EG-Vertrag im Sinne einer Elimination der Förderziele
und einer völligen Neudefinition der Inhalte dieses Vertrages wie
beispielsweise einer Forcierung erneuerbarer Energieträger und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der
Energienutzung insbesondere im Hinblick auf „Ausstiegsszenarien“ und tritt für
diesbezügliche Initiativen auch des EU-Konvents ein;
– tritt
dafür ein, dass das EURATOM-Forschungsprogramm im Sinne der bisherigen
österreichischen Positionen anstelle neuer Nuklearprojekte weiter an das Ziel
eines EU-weiten Atomausstiegs angepasst wird, dass das bisher mit vier
Milliarden Euro begrenzte EURATOM-Kreditvolumen nicht, wie von der
EU-Kommission diskutiert, auf sechs Milliarden Euro erhöht wird und dass die an
der Finanzierung von AKW in Osteuropa hauptbeteiligten Banken (Europäische Bank
für Wiederaufbau und Entwicklung/EBRD und European Investment Bank/EIB) keine
neuen Finanzierungen oder Kredite für Atomprojekte vergeben, sondern Mittel in
den Ausstieg umlenken;
und ersucht die
Bundesregierung
– sicherzustellen,
dass die tschechische Regierung sich in Ergänzung zu den Ergebnissen des
WPNS-Reports weiterhin sich zum „Melker Prozess“ bekennt und die dort
festgehaltenen Sicherheitsauflagen wie vereinbart erfüllt;
– mit Nachdruck auf
einer vollständigen und vollinhaltlichen Umsetzung der „Vereinbarung von
Brüssel“ zu bestehen, auf deren Bedeutung im Rahmen der Beitritts-Verhandlungen
hinzuweisen, wobei die Ergebnisse des „Melker Prozesses“ im Sinne der
Vereinbarung von Brüssel in den EU-Beitrittsvertrag einfließen und damit vor
dem Europäischen Gerichtshof einklagbar werden;
– mit Nachdruck auf
die mehrfach belegte Unrentabilität in volkswirtschaftlicher und
betriebswirtschaftlicher Hinsicht der Inbetriebnahme des KKW Temelin zu
verweisen und mit dem Ziel einer Realisierung der „Nullvariante“ für das KKW
Temelin umgehend mit der neuen tschechischen Regierung in Gespräche über
Alternativen zur kommerziellen lnbetriebnahme der Anlage einzutreten und – auch
im Zusammenhang mit der Forderung einer klaren europäischen Stromkennzeichnung
– auf EU-Ebene die Frage von Dumping-Exporten für tschechischen Atomstrom
weiter zu thematisieren;
– die
„Energiepartnerschaften“ mit Beitrittskandidaten und mit Reformstaaten Zentral-
und Osteuropas konsequent fortzusetzen, um mit österreichischem Know-how –
insbesondere in Tschechien – dazu beizutragen, Voraussetzungen für einen
Ausstieg aus der Kernenergienutzung in diesen Ländern zu schaffen, aber auch,
um geeignete Projekte für „Joint Implementation“ im Rahmen des Kyoto-Protokolls
zu identifizieren;
– noch vor der
UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg soweit dies terminlich
möglich ist – sowohl den EU-Umweltministerrat als auch den
EU-Energieministerrat mit der Mitteilung der Kommission zum Grünbuch „Hin zu
einer europäischen Strategie für Energieversorgung“ zu befassen und dabei
darauf zu drängen, dass – wie bisher auf Initiative Österreichs von der
Europäischen Union vertreten – die Atomenergie mangels Nachhaltigkeit bei der
Erreichung des Kyoto-Ziels keine Berücksichtigung findet;
– sich auf
europäischer Ebene weiter für möglichst frühzeitige Schließungsdaten für
Bohunice, Kosloduj und Ignalina einzusetzen sowie gegenüber der Kommission und
der Präsidentschaft im Zusammenhang mit den nuklearen Sicherheitsfragen auch
generell die Themen der Befristung von Betriebsdauern und des mittelfristigen
Ausstiegs aus der Kernenergie anzusprechen.