Anlage

Bundesgesetz, mit dem das Verwaltungsgerichtshofgesetz geändert wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 136/2001, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 26 wird folgender § 26a eingefügt:

§ 26a. (1) Ist beim Verwaltungsgerichtshof eine erhebliche Anzahl von Verfahren über beschwerden gegen Bescheide nach Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG anhängig, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind, oder besteht Grund zur Annahme, dass eine erhebliche Anzahl solcher Beschwerden eingebracht werden wird, so kann der Verwaltungsgerichtshof dies mit Beschluss aussprechen. Ein solcher Beschluss hat zu enthalten:

           1. die in diesem Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften;

           2. die auf Grund dieser Rechtsvorschriften zu lösenden Rechtsfragen;

           3. die Angabe, welche der Beschwerden der Verwaltungsgerichtshof behandeln wird.

Die Beschlüsse werden von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat gefasst.

(2) Beschlüsse gemäß Abs. 1 verpflichten, soweit sich die zu lösenden Rechtsfragen auf Grund von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG genehmigten Staatsverträgen oder Staatsverträgen gemäß Art. 16 Abs. 1 B-VG, die gesetzesändernd oder gesetzesergänzend sind, ergeben, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, im Übrigen die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zu ihrer unverzüglichen Kundmachung.

(3) Mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Beschlusses gemäß Abs. 1

           1. dürfen in allen Rechtssachen, in denen eine zur Entscheidung in oberster Instanz berufene Verwaltungsbehörde die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat, nur solche Handlungen vorgenommen oder Entscheidungen und Verfügungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten;

           2. beginnt für Rechtssachen nach Z 1 die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 nicht zu laufen und wird eine laufende Beschwerdefrist unterbrochen;

           3. dürfen in allen beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren gemäß Abs. 1, die im Beschluss gemäß Abs. 1 nicht genannt sind, nur solche Handlungen vorgenommen oder Entscheidungen und Verfügungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

(4) In seinem Erkenntnis fasst der Verwaltungsgerichtshof die Antwort auf die zu lösenden Rechtsfragen in einem Rechtssatz zusammen, der nach Maßgabe des Abs. 2 unverzüglich kundzumachen ist. Mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Rechtssatzes enden die Wirkungen des Abs. 3 Z 1 und 3 und beginnt die gemäß Abs. 3 Z 2 gehemmte oder unterbrochene Beschwerdefrist zu laufen.“

2. § 73 wird folgender Abs. 5 angefügt:

„(5) § 26a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2002 tritt mit 1. Oktober 2002 in Kraft.“

 

Minderheitsbericht

der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Otto Pendl, Mag. Walter Posch, Dr. Peter Wittmann

gemäß § 42 Abs. 4 GOG

Die Sozialdemokratische Parlamentsfraktion ist inhaltlich für die Einführung eines so genannten Massenverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, wie es der Initiativantrag vorschlägt. Die Sozialdemokratische Parlamentsfraktion erinnert hiezu an die Geschichte dieser Materie:

Seit längerem haben der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof auf die Einführung einer derartigen Regelung gedrängt. Die Regierungsfraktionen haben entsprechende Anträge eingebracht, die einerseits eine entsprechende Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes, andererseits die dazu gehörenden einfachgesetzlichen Regelungen im Verfassungsgerichtshofgesetz und Verwaltungsgerichtshofgesetz beinhalteten. Wegen der erforderlichen Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes fanden Verhandlungen mit den beiden Oppositionsfraktionen statt, die im Frühjahr 2001 zu einer Einigung führten; diese Einigung beinhaltete einerseits Verbesserungen des vorgeschlagenen Verfahrens – wie sie auch in den gesamtändernden Abänderungsantrag der beiden Regierungsfraktionen Eingang gefunden haben, der dem diesem Ausschussbericht angeschlossenen Gesetzesantrag zugrunde liegt –, andererseits eine Einigung über die in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Änderungen des Art. 139 und 140 B-VG.

Es war in Aussicht genommen, diese Anträge mit den vereinbarten Änderungen im Verfassungsausschuss am 19. April 2001 zu beschließen. Aus für die Sozialdemokratische Parlamentsfraktion sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen kam es in diesem Ausschuss entgegen der Vereinbarung nicht zu einer Beschlussfassung, sondern wurden diese Vorlagen vertagt.

Die Sozialdemokratische Parlamentsfraktion tritt weiter dafür ein, dass ein derartiges Massenverfahren sowohl für den Verfassungsgerichtshof als auch den Verwaltungsgerichtshof verwirklicht wird. Den vorliegenden Gesetzesantrag, das Massenverfahren ohne verfassungsrechtliche Deckung isoliert, nur für den Verwaltungsgerichtshof einzuführen, lehnt die Sozialdemokratische Parlamentsfraktion ab, weil er eindeutig verfassungswidrig ist:

Der vorgeschlagene § 26a VwGG sieht vor, dass der Verwaltungsgerichtshof dann, wenn er massenhafte Beschwerden erwartet, im Ergebnis eine Verlautbarung beschließen kann, die vom Bundeskanzler, Landeshauptmann oder sonst zuständigen obersten Behörde des Bundes oder Landes kundzumachen ist. Diese Verlautbarung bewirkt, dass in allen Rechtssachen, in denen eine zur Entscheidung in oberster Instanz berufene Verwaltungsbehörde die in der Verlautbarung genannten Rechtsvorschriften anzuwenden bzw. die darin genannten Rechtsfragen zu beurteilen hat, das Verfahren unterbrochen wird. Diese Unterbrechung betrifft sämtliche anhängigen Verwaltungsverfahren, auch die von beliebigen dritten Personen. Weiters beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde nicht zu laufen bzw. wird unterbrochen, auch sämtliche Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof selbst, die nicht in der Verlautbarung genannt sind, sind bis auf weiteres zu unterbrechen.

Diese Verlautbarung hat daher eindeutig normative Wirkung für einen unbestimmten Adressatenkreis: Jede Partei des Verwaltungsverfahrens hat das subjektive Recht auf unverzügliche Sachentscheidung, und zwar längstens innerhalb der Devolutionsfristen des AVG. Dieses Recht wird durch die genannte Verlautbarung verändert. Die Verlautbarung beruht auf einem Willensakt, nämlich einem entsprechenden Beschluss des zuständigen Senats des Verwaltungsgerichtshofes. Es handelt sich daher um eine generelle Rechtsnorm.

Das Bundes-Verfassungsgesetz enthält einen abschließenden Katalog genereller Rechtsnormen, neben Gesetzen und Staatsverträgen vor allem Verordnungen. Gerichte sind aber von Art. 18 B-VG nicht ermächtigt, Verordnungen zu erlassen, wie die gegenständliche Verlautbarung eine darstellt. Gleich, ob diese Verlautbarung nun als Verordnung oder als generelle Rechtsnorm sui generis qualifiziert wird, sie bedürfte jedenfalls einer gesonderten verfassungsgesetzlichen Grundlage. Ohne eine solche ist sie verfassungswidrig, diese Verfassungswidrigkeit könnte von jeder Person, deren Verwaltungsverfahren von einer Unterbrechung auf Grund einer solchen Verlautbarung betroffen ist, geltend gemacht werden.

Die Sozialdemokratische Parlamentsfraktion ist daher schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht bereit, einer derartigen Regelung ohne verfassungsrechtliche Deckung zuzustimmen.