IV-4 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

Dienstag, 14. März 2000

 

 

 

 

 

 

 

 


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Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XXI. Gesetzgebungsperiode                  Dienstag, 14. März 2000

Tagesordnung

1. Vorbereitung des EU-Gipfels in Lissabon

COM KOM (99) 687 endg.

Informationsgesellschaft / Europäischer Sondergipfel von Lissabon am 23./24. März 2000

(4077/EU XXI. GP)

RAT 5256/00 SOC 18 AG 2 ECOFIN 7 MI 1 IND 1 RECH 1 EDUC 5

Beschäftigung, Wirtschaftsreformen und sozialer Zusammenhalt

(6159/EU XXI. GP)

2. Unterrichtung über die Nominierung von österreichischen Mitgliedern für den Ausschuss der Regionen (19/HA)

3. Bericht des Bundesministers für Finanzen über die erfolgte Übertragung des Geschäftsanteils des Bundes an der “Olympia-Eissportzentrum Innsbruck Ges.m.b.H.” (20/HA)

4. Bericht des Bundesministers für Landesverteidigung über die im Einvernehmen mit dem Bun­deskanzler, der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten und dem Bundesminister für Finanzen beschlossenen Maßnahmen der humanitären Hilfe und Katastrophenhilfe: Entsendung einer Katastrophenhilfeeinheit des Bundesheeres (ATUM/MOC) nach Mosambik gemäß § 1 Z 1 lit. b KSE-BVG, März 2000 (21/HA)

Beginn der Sitzung: 12.31 Uhr

Obmann Dr. Heinz Fischer eröffnet die Sitzung, fragt nach eventuellen Stellungnahmen zur Tagesordnung und teilt mit, dass diese Sitzung des Hauptausschusses, wenn erforderlich, unterbrochen und nach Abschluss der um 15 Uhr wieder aufzunehmenden Plenarsitzung fortge­setzt werden wird.

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) weist darauf hin, dass laut Protokoll der Präsidialkon­ferenz die Erledigung des EU-Tagesordnungspunktes bis 14.45 Uhr vorgesehen ist.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) vertritt den Standpunkt, dass die Einhaltung dieses Planes auch davon abhängen wird, ob die Fragen der Abgeordneten von Regierungsseite be­antwortet werden.

1. Punkt

Vorbereitung des EU-Gipfels in Lissabon

COM KOM (99) 687 endg.

Informationsgesellschaft / Europäischer Sondergipfel von Lissabon am 23./24. März 2000

(4077/EU XXI. GP)

RAT 5256/00 SOC 18 AG 2 ECOFIN 7 MI 1 IND 1 RECH 1 EDUC 5

Beschäftigung, Wirtschaftsreformen und sozialer Zusammenhalt

(6159/EU XXI. GP)

Obmann Dr. Heinz Fischer macht darauf aufmerksam, dass für die Debatte zum 1. Tagesord­nungspunkt 2 “Wiener Stunden” vorgesehen sind, und erteilt Bundeskanzler Dr. Schüssel das Wort zu einer einleitenden Stellungnahme.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel beginnt seine Erläuterungen zu den Vorbereitungen und Themenstellungen des außerordentlichen Europäischen Rates in Lissabon mit dem Hinweis darauf, dass als Schwerpunkte im außenpolitischen Bereich die abgeschlossenen Abkommen mit Mexiko und Lomé, die Gespräche mit dem MERCOSUR, die endgültige Lösung der Süd­afrika-Frage und die schwierige Situation im Kosovo zu betrachten sind. Ferner teilt er mit, dass er von Seiten der Europäischen Union die Zusicherung erhalten hat, im Rahmen der Abend­sitzung des ersten Sitzungstages über die zu Lasten Österreichs ergriffenen Maßnahmen der 14 anderen EU-Mitgliedstaaten und die österreichische Position sprechen zu können.

Das Hauptthema des Gipfeltreffens in Lissabon werde eine Weichenstellung in Richtung der wirtschaftlichen und sozialen Reform der Europäischen Union sein. Die Frage der Regierungs­konferenz werde dort nicht im Vordergrund stehen, darüber werde frühestens im Rahmen des im Juni stattfindenden Europäischen Rates zu debattieren sein. Auch die Weiterentwicklung der Sicherheits- und Verteidigungsdimension werde in Lissabon wahrscheinlich nicht zum Thema werden.

Was die wirtschaftliche und soziale Reform der Europäischen Union betrifft, stellt Bundeskanzler Dr. Schüssel fest, dass in der Europäischen Union – besonders im Vergleich mit den Ver­einigten Staaten von Amerika – noch immer eine geringere Dynamik der Märkte zu konstatieren sei. Die portugiesische Ratspräsidentschaft verfolge das Ziel, Europa innerhalb von zehn Jahren zum dynamischsten, am stärksten wachsenden und innovativsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die Schritte dorthin seien erstens eine Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig die soziale Kohäsion zu fördern, zweitens die massive Förderung der Technologie- und Informationsgesellschaft mit der Betonung von Innovation und Wissen als Basis der zukünftigen Entwicklung, drittens die Erneuerung des euro­päischen Sozialmodells und viertens die Förderung insbesondere der Klein- und Mittelbetriebe, welchem Zweck auch die Idee eines “Venture Fund” der Europäischen Investitionsbank diene.

Es werde in Lissabon kein neuer Prozess eröffnet werden, sondern die portugiesische Präsi­dentschaft habe die Absicht, eher auf der Basis der bestehenden Prozesse – Stichworte dazu seien Luxemburg oder Cardiff – fortzuschreiten.

Vorgesehen sei ein Aktionsplan mit konkreten Zielen zur Schaffung einer Informationsgesell­schaft für alle unter dem Stichwort “eEurope”; dies sei auch aus österreichischer Sicht von großem Interesse. Hingegen seien gegen einen europäischen Raum für Forschung unter dem Titel “European Research Area” mangels Bereitschaft einiger Mitgliedstaaten zur Öffnung ihrer nationalen Forschungsprogramme zahlreiche Einwände erhoben worden.

Ferner gehe es um einen funktionsfähigen Binnenmarkt und vor allem um weitere Liberalisierun­gen. Im Zusammenhang damit sei nicht nur von Österreich die Kritik geäußert worden, dass die bisherigen Richtlinien der Europäischen Union zu wenig ehrgeizig gewesen seien. Im Bereich des Strom- und Gas-Marktes sollte rascher liberalisiert werden. Wichtig wäre auch eine Reform der wirtschaftlichen Strukturen zur Schaffung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums.

Hinsichtlich der Finanz- und Kapitalmärkte bestehe Bedarf nach einer Liberalisierung der Veran­lagungsvorschriften, etwa betreffend die Pensionsfonds, und nach entsprechenden Anreizen. Es sei die Idee vorgebracht worden, eventuell erstmals über eine europäische Bankenaufsicht zu diskutieren. Kontroversiell werde derzeit über ein Europa-Patent diskutiert.

Ein bedeutendes Thema des Gipfeltreffens in Lissabon würden die öffentlichen Haushalte dar­stellen. Auch aus österreichischer Sicht wäre die Erstellung eines Best-Practice-Modells wichtig, um von der Lösung der Budgetprobleme in anderen Mitgliedstaaten zu lernen. Damit verbunden sei die Frage nach Marktanreizen und Benchmarking im öffentlichen Sektor. Dass die öffent­lichen Ausgaben in der Europäischen Union um durchschnittlich 10 Prozentpunkte höher als in den USA liegen, sei nur zum Teil mit einer höheren Qualität des europäischen Modells im Bil­dungssektor oder im Sozial- und Gesundheitswesen erklärbar. Daher gehe es – bei Erhaltung der hohen Qualität – um Möglichkeiten zur Rationalisierung des bürokratischen Bereichs und eine Erhöhung der Produktivität.

Als ein weiteres Ziel nennt Bundeskanzler Dr. Schüssel die Schaffung eines neuen Ausbildungs- und Sozialmodells. Insbesondere die Ausbildung im Allgemeinen solle modernisiert werden. Da­bei gehe es um lebenslanges Lernen und um eine Modernisierung des sozialen Schutzes im Lichte demographischer Veränderungen. Zum ersten Mal werde es im Rahmen eines EU-Gipfeltreffens darum gehen, über die längerfristige Finanzierbarkeit von Sozial-, Gesundheits- und Pensionssystemen nachzudenken. Österreich trete dafür ein, den von der portugiesischen Präsidentschaft vorgeschlagenen Zeitraum 2010 bis 2020 wegen unterschiedlicher Alterung der einzelnen demographischen Strukturen auf die Periode von 2005 bis 2030 auszudehnen.

Als vorgesehenen Zeitpunkt der Telekom-Liberalisierung nennt Bundeskanzler Dr. Schüssel das Jahr 2002. Die Anbindung der Schulen ans Internet werde für 2002 bis 2003 ins Auge gefasst. Bis dahin könnte es auch so weit sein, dass sämtliche öffentlichen Ausschreibungen über Inter­net abgerufen werden können. Ein “Internet II”-Netz, wie in den USA bereits in Entwicklung be­findlich, solle auch auf europäischer Ebene entstehen. Es stehe jedoch nicht zu erwarten, dass es hinsichtlich dieser Absichten der portugiesischen Präsidentschaft in Lissabon bereits zu Terminfestlegungen kommen wird.

Österreich werde dazu die Frage nach einer Harmonisierung der technischen Strukturen auf­werfen. Was etwa die elektronische Signatur betrifft, bestehe seit Dezember 1999 eine gemein­same Richtlinie, und diese habe Österreich als einer der ersten Mitgliedstaaten bereits umge­setzt. Die Frage einer europäischen Standardisierung stelle sich etwa auch in Bezug auf das Road-Pricing oder die Benützung von Smart-Card und Med-Card.

Diese Fülle neuer Akzente bewirke eine Weiterentwicklung der klassischen Beschäftigung mit Arbeitsplatzpolitik in einer sehr vernünftigen neuen Dimension. Österreich unterstütze die Idee der portugiesischen Präsidentschaft, einen offenen Koordinationsmechanismus zu entwickeln, statt nur quantitative Ziele vorzugeben. Zu diesen Themen könnte jedes Frühjahr ein eigenes Gipfeltreffen der Europäischen Union abgehalten werden, sodass es zu einem Monitoring des Europäischen Rates kommen könnte und dieser die Ziele für die einzelnen Fachministerräte vorgeben könnte.

Insgesamt sehe es so aus, als wäre vieles von dem, was die Europäische Kommission und die Präsidentschaft zu diesen Themen vorgebracht haben, direkt aus dem österreichischen Regie­rungsprogramm übernommen worden.

In einer Stellungnahme zur Geschäftsbehandlung stellt Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) fest, dass Bundeskanzler Dr. Schüssel in seinem Vortrag zwar dargelegt habe, was die Euro­päische Union vorhat, jedoch in viel zu wenigen Punkten auf die österreichischen Positionen ein­gegangen sei. Für die Beratungen wäre es notwendig, ein österreichisches Positionspapier vor­zulegen.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt dem entgegen, er könne mit den Instrumenten der Geschäfts­ordnung Bundeskanzler Dr. Schüssel den Inhalt seiner Stellungnahme nicht vorschreiben, und regt an, zur Klärung der Sachlage präzise Fragen zu stellen.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) erwidert, seiner Ansicht nach sei Bundeskanzler Dr. Schüssel gemäß Artikel 23e B-VG verpflichtet, dem Hauptausschuss die österreichische Position vorzulegen.

Obmann Dr. Heinz Fischer gibt seiner Absicht Ausdruck, während der folgenden Debattenbei­träge dieses Geschäftsordnungsproblem näher zu betrachten.

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) fragt nach zusätzlichen Informationen darüber, dass Bundeskanzler Dr. Schüssel zugesichert worden ist, am ersten Abend des Gipfeltreffens in Lissabon die als diskriminierend und vertragswidrig empfundenen Maßnahmen der 14 anderen EU-Mitgliedstaaten zur Sprache zu bringen.

Ferner stellt er fest, dass die Frage eines Schulterschlusses der im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien gegen diese Maßnahmen zur Debatte stehe. Nachdem Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner in der ORF-“Pressestunde” vor zwei Wochen zu einem solchen Schulter­schluss aufgerufen hatte, sei auch von Repräsentanten der Sozialdemokratischen Partei Öster­reichs die Bereitschaft geäußert worden, an der Bekämpfung dieser Maßnahmen der 14 Mit­gliedstaaten mitzuwirken.

Abgeordneter Dr. Khol teilt mit, dass die beiden Regierungsparteien in der zuvor eröffneten Sondersitzung des Nationalrates einen Selbständigen Antrag der Abgeordneten Dr. Khol und Ing. Westenthaler betreffend Schulterschluss gegen die EU-vertragswidrigen, diskriminierenden Sanktionen gegen Österreich eingebracht haben, dessen Behandlung im Außenpolitischen Aus­schuss erfolgen werde. In diesem Antrag gehe es darum, dass sich die Antragsteller gegen die Maßnahmen der 14 Mitgliedstaaten aussprechen, ein Bekenntnis zur Präambel des Regierungs­übereinkommens ablegen – die Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus unterstützen, den politischen Extremismus in Form des Rechtsextremismus ebenso wie des Linksextremismus ablehnen – und einen Auftrag an die Bundesregierung anregen, in Zusammenarbeit aller im Parlament vertretenen Parteien Schritte gegen die zu verurteilenden Maßnahmen der 14 Regierungschefs zu unternehmen.

In diesem Selbständigen Antrag werde die österreichische Bundesregierung auch damit beauf­tragt, von den europäischen Institutionen, insbesondere von der Europäischen Kommission als Hüterin der Verträge, eine Garantie über die Nichtdiskriminierung Österreichs im Rahmen der Regierungskonferenz zu verlangen. Ferner gehe es um einen Auftrag an die Bundesregierung, im Rahmen der Regierungskonferenz ein allgemein anwendbares, rechtsstaatlich geordnetes Verfahren vorzuschlagen, um etwas auszuschließen, was im vorliegenden Fall geschehen sei, nämlich dass ohne nachweisbare und objektiv überprüfte Verstöße gegen die Artikel 6 und 7 des EU-Vertrages Maßnahmen gegen einen Mitgliedstaat verhängt werden.

Darüber hinaus solle der Bundesregierung der Auftrag erteilt werden, geeignete gerichtliche Schritte im europäischen und internationalen Rahmen zu setzen, wenn österreichische Rechte verletzt werden. Dies habe auch den Zweck, die Beendigung der Diskriminierung österrei­chischer Kandidaten für internationale Positionen – zu einer Diskriminierung sei es im Rahmen der UNO bereits gekommen – zu erreichen.

Abgeordneter Dr. Khol weist darauf hin, dass in dieser Angelegenheit von sozialdemokratischer Seite ebenfalls ein entsprechender Antrag angekündigt worden ist.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass zwar im Hauptausschuss nicht die erste Lesung eines im Nationalrat eingebrachten Initiativantrags erfolgen kann, dieses Thema aber auch mit der EU-Regierungskonferenz und mit der Vorbereitung einer entsprechenden österreichischen Position zusammenhängt. Damit stehe eine Diskussion dieser Fragen allen Fraktionen gleicher­maßen frei.

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) setzt seine Ausführungen mit dem Hinweis fort, dass es sich nicht um die Vorbereitung der Regierungskonferenz, sondern des Europäischen Rates handelt. Aus der Information von Bundeskanzler Dr. Schüssel darüber, dass es am ersten Abend dieses Gipfeltreffens zur Beratung über die diskriminierenden Maßnahmen der 14 gegen Österreich kommen wird, gehe hervor, dass diese in der österreichischen Öffentlichkeit zu Recht als “Causa prima” behandelte Angelegenheit auch Gegenstand des Europäischen Rates sein wird. Bei aller Bedeutung der in Lissabon zu erörternden Themen werde aus österrei­chischer Sicht die Diskriminierung Österreichs durch die 14 anderen Mitgliedstaaten die wich­tigste Frage sein.

Der von sozialdemokratischer Seite angekündigte, aber noch nicht eingebrachte Entschlie­ßungsantrag zu diesem Thema sei dadurch gekennzeichnet, dass die Maßnahmen der 14 nicht als dem EU-Vertrag widersprechend zurückgewiesen werden. Dieser Antrag reihe sich nicht in den Kampf derjenigen ein, die diese Maßnahmen ablehnen. Darin werde vielmehr eine Art “Monitoring-Group” aus Österreich gefordert, deren Aufgabe es sein solle, die Einhaltung der Präambel zum Regierungsprogramm zu überwachen, und die aus jeweils drei Abgeordneten der Regie­rungsparteien und der Oppositionsparteien sowie drei von Seiten des Bundespräsidenten bestellten Vertretern bestehen würde.

Abgeordneter Dr. Khol fügt hinzu, seiner Ansicht nach wären diese nationalen Maßnahmen nicht geeignet, in einer Art Über-Parlament die Regierung zu überwachen und gleichzeitig zu bewir­ken, dass die Sanktionen gegen Österreich zurückgenommen werden. Er stellt die Frage, wie diese Maßnahmen aus internationaler Sicht und in der Perspektive des Europäischen Rates beurteilt werden.

An die Abgeordneten der SPÖ richtet Abgeordneter Dr. Khol die Frage, wie sie dazu stünden, dass in Tirol von Vertretern der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter eine Reisepasshülle verkauft wurde, welche die Aufschrift “Ich habe unsere Regierung nicht gewählt” in allen Amts­sprachen der Europäischen Union getragen habe.

Abgeordneter Rudolf Edlinger (SPÖ) stellt zunächst fest, es sei schwierig, über einen Antrag zu debattieren, zu dem von Seiten der Regierungsfraktionen nicht das Gespräch mit der SPÖ gesucht worden sei. Tatsächlich bestehe innerösterreichischer Handlungsbedarf hinsichtlich der in der Europäischen Union entstandenen, zum Teil als “Sanktionswettlauf” definierten politischen Situation.

Zwar handle es sich dabei insofern um eine juristische Frage, als es möglicherweise um eine Vertragsverletzung von Seiten anderer Mitgliedstaaten gehe – dann werde dagegen auch mit allen juristischen Mitteln vorzugehen sein –, aber diese juristische Frage sei nur sekundär. Vor allem handle es sich nicht um eine juristische Ursache. Die Ursache sei vielmehr extrem politisch, sodass es völlig weltfremd wäre, zu meinen, juristische Auswirkungen bestimmter Maßnahmen bekämpfen zu können, ohne über die Ursache nachzudenken und ohne eine Abstimmung darüber zu finden, in welcher Weise die Europäische Union – die nicht nur eine Wirtschafts- und Fiskalgemeinschaft, sondern sehr wohl auch eine Wertegemeinschaft sei – in den Tiefen dieser Wertegemeinschaft geschlagen werde durch Maßnahmen, Äußerungen und Situationen, die innerösterreichisch begründet seien.

Abgeordneter Edlinger stellt fest, dass seiner Ambition nach der vom Abgeordneten Dr. Khol angesprochene Schulterschluss zu erreichen wäre, wenn dies bedeuten würde, dass in Öster­reich gemeinsam die Ursachenbekämpfung angegangen wird. Ohne jedoch eine Ursachenbe­kämpfung oder ‑veränderung anzustreben, sondern als Versuch, eher eine Reinwaschung von Situationen oder auch Personen zu bezwecken, wie es politisch nicht akzeptiert werden könnte, werde ein Schulterschluss nicht herbeizuführen sein.

Ferner weist Abgeordneter Edlinger darauf hin, dass er kürzlich in Brüssel in Gesprächen mit Finanzministern aus EU-Mitgliedstaaten – Finanzminister seien so etwas wie die normative Kraft des Faktischen, sie seien eben wichtige Mitglieder der Regierungen – massiv darauf hingewirkt habe, Unterstützung dafür zu bekommen, dass die mitunter sehr kleinkarierten Sanktionen gegen Österreicher aufhören, weil sie auch die Falschen treffen würden. Für diese Haltung habe er Verständnis vorgefunden.

Zwar sei es zu begrüßen, dass das Gipfeltreffen in Lissabon es ermöglichen wird, dieses Problem mit den 14 Partnern zu besprechen, jedoch sei dieses Treffen ursprünglich anderen Themen gewidmet gewesen. Im Zuge der Vorbereitung seien dem österreichischen Parlament mehrere interessante Dokumente übermittelt worden, unter anderem Positionspapiere von Mitgliedstaaten, in denen zum Teil sehr unterschiedliche Standpunkte zum Ausdruck kommen. Abgeordneter Edlinger fragt, ob auch ein entsprechendes Positionspapier der österreichischen Bundesregierung existiere, warum dieses nicht ebenfalls übermittelt worden sei oder ob – und warum – es ein solches nicht gebe.

Auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen werde hauptsächlich das sehr wichtige, von vielen Facetten gekennzeichnete Thema “Wachstum und soziale Absicherung” zu behandeln sein. Nur bei oberflächlicher Betrachtung kämen in dieser Zusammenstellung zwei Gegenpositionen zum Ausdruck. Tatsächlich seien Wachstum und soziale Absicherung in einem Konnex zu sehen.

Daraus ergebe sich die Frage, welchen Standpunkt die österreichische Bundesregierung hin­sichtlich der Quantifizierung von Zielen einnehme. An die Feststellung, dass eine Zieldefinition auch eine Art Motivations- oder Triebmoment darstellt, knüpft Abgeordneter Edlinger die Frage, wie die österreichische Bundesregierung die von der portugiesischen Präsidentschaft und einigen anderen Mitgliedstaaten unterstützte Zielsetzung eines 3-prozentigen Wachstums ein­schätze.

Als eine der Voraussetzungen der sozialen Absicherung sei ein höheres Ausmaß an Koordina­tion erforderlich. Dazu bedürfe es keiner neuen Institutionen, sondern es werde darauf ankom­men, dass die Frage der Koordination im Rahmen der vorhandenen Einrichtungen eine zentrale Position einnimmt. Als Beispiele dafür nennt Abgeordneter Edlinger Annäherungen in der Steuerpolitik und in der Lohnpolitik. Dabei komme es auch auf Dialogfähigkeit oder auf die Ver­ankerung der Sozialpartnerschaft an, wobei Letztere den Anschein erwecke, dass sie in Öster­reich nicht mehr solche Priorität genieße wie jetzt auf der europäischen Ebene.

Unter Hinweis auf die Treffsicherheit von Sozialleistungen fragt Abgeordneter Edlinger, ob die Bundesregierung bereit wäre, die soziale Staffelung von Transferleistungen für eine sehr wichtige Alternative des sparsamen Umgangs mit Steuermitteln zu erachten.

Eine Forcierung der Informationstechnologie dürfe nicht dazu führen, dass in dieser Hinsicht eine Zweiklassengesellschaft entsteht. Der Kommunikations- und Informationszugang müsse für alle Bürger des Staates sichergestellt werden. Abgeordneter Edlinger fragt, ob in der mittel­fristigen Budgetplanung der Bundesregierung auch die Bereitstellung der finanziellen Mittel für Internet-Anschlüsse in den Schulen vorgesehen sei.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel stellt fest, er habe sich in seiner Information des Hauptausschusses sehr präzis an die Vorgangsweise früherer Bundeskanzler gehalten. Wie in der Verfassung vorgesehen, unterrichte er den Ausschuss über das, was in Lissabon diskutiert werden wird. Insofern davon unkontroversielle Themen betroffen sind, die von Europäischer Kommission oder Präsidentschaft vorbereitet worden sind, liege dazu vollinhaltliche Zustimmung von österreichischer Seite vor.

Auch vor den Gipfeltreffen in Köln, Cardiff oder Tampere habe es keine österreichischen Posi­tionspapiere gegeben, die dem Hauptausschuss vorgelegt worden wären. Einen Zwischenruf des Abgeordneten Schieder, dass solche Dokumente, wo es sie gegeben habe, verteilt worden seien, beantwortet Bundeskanzler Dr. Schüssel damit, dass dies nicht wahr sei. Vielmehr habe er sich eins zu eins an die Vorgangsweise gehalten, die zuvor der der SPÖ angehörende Bundeskanzler gewählt habe.

Ein Europäischer Rat verlaufe üblicherweise entlang der Linien, welche die Präsidentschaft auf Grund der Vorgespräche, zum Beispiel während der “Tour des Capitales”, vorgebe. Die Position der portugiesischen Präsidentschaft sei dem österreichischen Standpunkt sehr nahe. Wie be­reits der Abgeordnete Edlinger festgestellt habe, sei das Dokument der Europäischen Kommis­sion hochinteressant, da es sich dabei um eine echte Innovation handle, der hundertprozentig zugestimmt werden könne. Auch wenn nicht jedes Jahr ein fixes Datum eingehalten werden könne, stelle dies doch ein Ziel dar, an dem man sich orientieren werde.

Die sehr ambitiöse Vorgabe, die Bildungsausgaben um bis zu 50 Prozent zu erhöhen, stelle kein Vorbild für Österreich dar. Weil hierzulande schon sehr viel mehr Geld als in anderen Mitglied­staaten für Bildung und Erziehung ausgegeben werde, werde dieses Ziel nicht erreichbar sein. Gerade der frühere Finanzminister Edlinger habe, statt zusätzlichen Milliarden-Ausgaben für Bil­dung zuzustimmen, der Unterrichtsministerin immer wieder dargelegt, was alles nicht möglich sei. Die neue Bundesregierung hingegen werde den Bereichen Bildung, Erziehung und For­schung absolute Priorität beimessen.

Was die Festlegung quantitativer Ziele angeht, rücke auch die Präsidentschaft selbst inzwischen davon ab, da niemand dies wolle. So könne es für Österreich beispielsweise kein Ziel darstel­len, sich an einer Arbeitslosenrate von 7 Prozent quantitativ zu orientieren. Statt von quantita­tiven Zielen werde jetzt von Referenz gesprochen, und dieser Zugang könnte durchaus interes­sant sein.

Bundeskanzler Dr. Schüssel führt weiter aus, er habe hinsichtlich der Maßnahmen der 14 gegen Österreich eine sehr klare und selbstbewusste Position gegenüber Ratspräsident Guterres ver­treten. Österreich erachte dies für eine rechtlich sehr problematische, politisch fragwürdige, weit über das Ziel hinausschießende und überhaupt nicht gerechtfertigte Maßnahme. Österreich ak­zeptiere die ersten drei Maßnahmen der 14 nicht, sondern halte diese für absolut problematisch; und erst recht für problematisch erachte Österreich die darüber hinausgehenden Maßnahmen.

Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, er warne vor der Meinung, differenzieren zu können, etwa in der Art, die ersten drei Maßnahmen als gerechtfertigt einzuschätzen und alles darüber Hinausgehende unzumutbar zu nennen. Diese Unterscheidung funktioniere nicht, denn die Ziffer 2 besage etwa, dass österreichische Kandidaten von den 14 nicht unterstützt werden. Dies stelle eine klare Diskriminierung von österreichischen Bürgern dar. Davon könnten auch Bürger betroffen sein, die überhaupt nichts mit dieser Regierung zu tun haben, oder Andersdenkende, welche die Regierungsparteien nicht gewählt haben. Es handle sich dabei um Menschen, die auf Grund ihrer nationalen Zugehörigkeit diskriminiert werden.

Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich gegen den Standpunkt aus, dies für eine gerechtfer­tigte Maßnahme zu halten, und beurteilt es selbst als eine absolut unzumutbare Diskriminierung von österreichischen Bürgern. Dies gelte auch dann, wenn in einem anderen Mitgliedstaat ein Taxifahrer einem Österreicher die Beförderung in seinem Fahrzeug verweigert oder wenn ein österreichischer Hotelier nicht zur Teilnahme an einer Messe zugelassen wird. Dies sei rechtlich nicht haltbar. Allerdings sei es sehr schwierig, dagegen Klage zu führen, da die jeweiligen Schritte gegen Österreicher ja nicht ausdrücklich als solche deklariert würden. Jedenfalls sei es nicht korrekt, zu sagen, dass diese Maßnahme prinzipiell gerechtfertigt sei.

Es sei ein Irrtum, zu glauben, dass bilaterale Fragen heute noch von den europäischen Angele­genheiten getrennt werden könnten, da die heutige Union dies nicht mehr zulasse. Deshalb habe Österreich jüngst auch Einspruch erhoben, als ein neuer Kandidat der Europäischen Union für den Internationalen Währungsfonds bestimmt werden sollte, über den nicht vorher bilateral eine Absprache erfolgt war. Österreich habe zum Ausdruck gebracht, dass es seine Zustim­mung erst nach bilateraler Konsultation erteilen werde. Diese habe daraufhin unter Einbezie­hung des Präsidenten der EU-Kommission sowie des deutschen und des portugiesischen Finanzministers auch stattgefunden.

Bundeskanzler Dr. Schüssel ruft deshalb dazu auf, jetzt eine gemeinsame Vier-Parteien-Ent­schließung zu fassen, in der deutlich gemacht wird, dass schon die ersten Maßnahmen der 14 nicht richtig gewesen seien, dass aber erst recht falsch gewesen sei, was darüber hinausgegan­gen ist. Sehr wichtig wäre auch ein Vorschlag für die Regierungskonferenz, um “solche Dinge ein für alle Mal abzustellen”. Denn es sei unzulässig, dass in einer Rechtsgemeinschaft wie der Europäischen Union auf Verdacht schwerwiegende Sanktionen verhängt werden können, ohne dass Transparenz des Verfahrens besteht, ohne dass es eine Appellationsmöglichkeit gibt und ohne dass es irgendein Verfahren dafür gibt, dem Betroffenen das Recht einzuräumen, selbst gehört zu werden. In dieser Hinsicht mangle es daher an den “primitivsten Dingen” des Völker­rechts sowie auch des nationalen Rechts.

Bundeskanzler Dr. Schüssel gibt seinem Wunsch Ausdruck, für einen solchen Entschließungs­antrag eine Formulierung zu finden, die der Opposition nicht das Gefühl gibt, vereinnahmt oder zur Weißwaschung herangezogen zu werden, wohl aber eine gemeinsame Verurteilung der Maßnahmen der 14 ermöglichen könnte. Dies gäbe ihm viel stärkeren Rückenwind dafür, in Lissabon eine Abschwächung der Maßnahmen zu fordern, als wenn dort ein gespaltenes Öster­reich aufträte. In diesem Wunsch komme nicht Polemik, sondern die Sorge um Österreich zum Ausdruck. Es werde darauf ankommen, die Sanktionen so bald wie möglich aufzuheben, weil sie der Europäischen Union ebenso wie Österreich Schaden zufügen würden.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) stellt in einem neuerlichen Beitrag zur Geschäftsbehand­lung den Antrag, festzustellen, ob es eine schriftliche Ausarbeitung der Position Österreichs gibt, die anderen Staaten oder der Europäischen Union übermittelt wurde, und diese im Fall einer positiven Antwort im Hauptausschuss zur Verteilung zu bringen. Entsprechend § 31b Z 2 GOG müssten Vorlagen, Dokumente, Berichte, Informationen und Mitteilungen zu Vorhaben im Rah­men der Europäischen Union gemäß Artikel 23e Abs. 1 B-VG in zwei Exemplaren oder in gleich­wertiger Weise auf elektronischem Weg an die Klubs verteilt werden.

Eine Verweisung auf Präzedenzfälle gehe deshalb fehl, weil es vor Sitzungen meistens nicht zeitgerecht einen solchen Austausch gegeben habe. Vor dem Beschäftigungs-Gipfeltreffen je­doch seien solche Unterlagen – wenngleich erst nach einem entsprechenden Verlangen der Opposition – im Hauptausschuss verteilt worden. Abgeordneter Schieder verlangt eine solche Vorgangsweise, verbunden mit einer Sitzungsunterbrechung zur Sichtung der Informationen, auch für die laufende Sitzung.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) stellt fest, es habe im Hauptausschuss noch nie eine schriftliche Darstellung der Position der Bundesregierung gegeben. Vielmehr habe die SPÖ einmal sogar den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt, als Bundeskanzler Mag. Klima über Vorhaben berichtete, und zwar unter Berufung darauf, dass man den im Saal anwesenden Diplomaten die Wahrheit über die österreichische Position nicht habe zumuten können. Es sei bisher dem Abgeordneten Schieder vorbehalten geblieben, den Ausschluss der Öffentlichkeit zu beantragen, deshalb sei die jetzt von ihm initiierte Diskussion nicht zielführend.

Künftig werde es eine Forderung der Freiheitlichen sein, dass solche Positionspapiere dem Aus­schuss rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, und daran werde der Gegensatz zur Vor­gangsweise von Bundeskanzler Mag. Klima deutlich werden.

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) weist darauf hin, dass es die Handhabung der Geschäftsordnung nicht ermögliche, im Hauptausschuss ein Fragerecht zu konstruieren, das dem Interpellationsrecht in der Bundesverfassung entspräche. Er erinnert daran, dass Arti­kel 23e B-VG das zuständige Mitglied der Bundesregierung dazu verpflichtet, Nationalrat und Bundesrat unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dieser Verpflichtung sei die Bundesregie­rung nachgekommen, indem sie über die Vorhaben der Europäischen Union anlässlich des Europäischen Rates unterrichtet habe.

Im Hauptausschuss bestehe jetzt die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben. Dafür, be­stimmte Auskünfte von Seiten der Bundesregierung zu bekommen, bestehe das in der Bundes­verfassung vorgesehene Fragerecht, das unter Umständen dringlich gestaltet werden könne.

Unter Hinweis darauf, dass er selbst daran als Gesetzgeber mitgewirkt habe, charakterisiert Ab­geordneter Dr. Khol die vom Abgeordneten Schieder verlesene Vorschrift aus der Geschäftsord­nung als eine Ordnungsvorschrift, in der zum Ausdruck komme, auf welche Weise Vorlagen, Dokumente, Berichte oder Informationen vorzulegen sind. Es übersteige die Geschäftsordnung, aus dieser Ordnungsvorschrift eine Verpflichtung der Bundesregierung abzuleiten, bestimmte Dokumente vorzulegen.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) ruft dazu auf, statt einer Diskussion über Formfragen ein vernünftiges Arbeitsklima im Hauptausschuss herzustellen. Dieses könne jedoch nicht darin bestehen, dass ein allgemeiner Vortrag über das aktuelle Befinden der Euro­päischen Union gehalten wird. Den Medien sei bereits mehr an Information zu entnehmen ge­wesen als den vorangegangenen Ausführungen von Bundeskanzler Dr. Schüssel. Abgeordnete Dr. Lichtenberger fordert als Grundlage einer konstruktiven Diskussion schriftliche Vorlagen, zu denen Stellungnahmen erarbeitet werden können und eine österreichische Position formuliert werden kann.

In der gegenwärtigen außenpolitischen Situation Österreichs sei es notwendig, auf parlamenta­rischer Ebene konsistente, klare inhaltliche Stellungnahmen zustande zu bringen. Dafür bedürfe es weitergehender Unterlagen als nur einer allgemeinen Stellungnahme. Der Hinweis des Abge­ordneten Dr. Khol, dass nach Möglichkeit auch nicht gefragt werden dürfe, stelle eine Absage an eine Zusammenarbeit und an eine konstruktive Arbeit im Hauptausschuss dar. Insgesamt kon­statiert Abgeordnete Dr. Lichtenberger eine Verschlechterung der Bedingungen für die Tätigkeit des Hauptausschusses.

Obmann Dr. Heinz Fischer weist noch einmal auf Artikel 23e B-VG und § 31b GOG als Grund­lagen für die Information des Hauptausschusses hin. Er habe jedoch nicht die Möglichkeit, zu überprüfen, ob über die von der Bundesregierung angegebenen Informationsquellen hinaus Unterlagen existieren, die dem Hauptausschuss zur Verfügung stehen müssten. Die zuvor erfolgte Stellungnahme von Bundeskanzler Dr. Schüssel habe Unterstützung bei den zwei Regierungsfraktionen und Widerspruch bei den zwei Oppositionsfraktionen gefunden.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel führt aus, dass es immer schon Vorbereitungsdoku­mente gegeben habe, jedoch seien diese nicht immer interministeriell abgestimmt gewesen. Noch nie habe es in Österreich ein Positionspapier gegeben, das vom Ministerrat beschlossen und als Ratsdokument eingespeist wurde. Einige andere Mitgliedstaaten hätten diesen Weg ge­wählt, und die entsprechenden Dokumente seien auf Grund der bestehenden Verpflichtung dem Parlament vorgelegt worden.

Österreich habe auf Beamtenebene ein Positionspapier erarbeitet, das nicht interministeriell abgestimmt und nicht dem Ministerrat vorgelegt worden sei. Daher gebe es zwar ein solches Positionspapier in Österreich, aber es gebe kein entsprechendes Dokument, das der Ministerrat beschlossen hätte und das daher als Beschluss- und Ratsdokument anderen Mitgliedstaaten weitergegeben worden wäre. Falls dies gewünscht werde, könne in Zukunft ein anderes Ver­fahren gewählt werden, bisher aber sei die Bundesregierung genauso vorgegangen wie immer. Würde ein internes Vorbereitungsdokument dem Parlament vorgelegt werden, so bekäme es ein völlig anderes Gewicht; mit der jetzigen Vorgangsweise bleibe hingegen eine gewisse Flexi­bilität erhalten.

In der Substanz gebe es anscheinend ohnehin nur relativ geringe Unterschiede zwischen den verschiedenen Standpunkten. Eine rein formale Diskussion wäre irreführend, und von einer permanenten vollinhaltlichen Befassung des Ministerrates sei abzuraten. Sinnvoller sei das bisher gewählte Modell mit voller mündlicher Information an das Parlament.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) stellt aus der Sicht der Freiheitlichen fest, dass die Europäische Union nur sehr wenig zu einer höheren Beschäftigung beitragen könne. Zwar scheine es verlockend zu sein, die Verantwortung nach Brüssel abzuschieben und die Arbeitslosigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten zum europäischen Problem zu erklären, aber dies könne den Arbeitslosen nicht helfen. Arbeitsmarktpolitik müsse in erster Linie national ge­macht werden. Dieser Aufgabe sei sich die österreichische Bundesregierung bewusst. Das zeige sich auch daran, dass im Koalitionsabkommen sehr viele beschäftigungspolitische An­sätze enthalten sind.

Zu den wesentlichen Bereichen, die auf europäischer Ebene zu erörtern seien, gehöre die Harmonisierung der Steuersysteme. Abgeordneter Mag. Schweitzer fragt Bundeskanzler Dr. Schüssel, inwieweit daran gedacht werde, mit einer Ökologisierung des Steuersystems auch arbeitsmarktpolitische Entwicklungen einzuleiten. Er fragt ferner, ob es ein gemeinsames Ver­ständnis gebe, mit einer Harmonisierung in Richtung Ökologisierung zu beginnen, welche Schritte dazu unternommen würden und welche Rolle dieses Thema bei dem bevorstehenden Gipfeltreffen spielen werde.

Die Forderung des Abgeordneten Edlinger nach Anbindung der Schulen ans Internet finde die Grenze ihrer Finanzierung derzeit in dem finanzpolitischen Desaster, das er selbst als Exfinanz­minister hinterlassen habe. In seiner Forderung nach einer mittelfristigen Budgetierung bis zum Jahr 2002 spiegle sich ein sehr eingegrenzter Begriff von Mittelfristigkeit wider. Insgesamt seien die Startbedingungen für die neue Regierung sehr schlecht, weil die SPÖ 30 Jahre lang die Hauptverantwortung für die Politik in Österreich getragen hat.

Was die beiden debattierten Entschließungsanträge betrifft, handle es sich bei dem Vorschlag der Regierungsfraktionen um einen äußerst sachlichen Antrag, wogegen der von dem Abge­ordneten Dr. Kostelka zur Einbringung vorgesehene Antrag auf eine Verurteilung der Freiheit­lichen hinauslaufe. Daher stelle sich die Frage, ob die SPÖ ein Interesse daran habe, eine Rücknahme der nicht gerechtfertigten Maßnahmen gegen Österreich zu erreichen, mit dem Ziel, dass es zu keiner weiteren Diskriminierung von Österreichern in den EU-Mitgliedstaaten kommt. In diesem Fall wäre es gut, würde die SPÖ in Verhandlungen über den Regierungsantrag und die eigenen Zusatzvorschläge eintreten. Ihr eigener Antrag jedoch hätte weder eine Rücknahme der Maßnahmen noch eine Stärkung der österreichischen Position auf europäischer Ebene zur Folge. Wer parteipolitisch agieren wolle, möge nicht den Eindruck erwecken, über eine Verbes­serung der Situation verhandeln zu wollen.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) weist darauf hin, dass bei dem bevorstehen­den Gipfeltreffen einige neue Aspekte zur Sprache kommen sollen. Mit Bezug darauf, dass jetzt statt von einem hohen Beschäftigungsniveau wieder von Vollbeschäftigung gesprochen werde, fragt Abgeordnete Dr. Lichtenberger, welche quantitativen Vorstellungen aus österreichischer Sicht damit verbunden seien, welche Art von Beschäftigungsverhältnissen damit angesprochen sei und was dies für die Qualität von Arbeitsplätzen bedeute. Dies sei insbesondere im Hinblick auf die Frauenbeschäftigung eine zentrale Frage für die Zukunft der Arbeitsmarktpolitik.

In Bezug darauf, dass jetzt die Risiken der technischen Innovation angesprochen werden, stelle sich die Frage nach der Positionierung Österreichs im Hinblick auf den Zusammenhang zwi­schen technologischem Wandel und Beschäftigungsverlust.

Es treffe nicht zu, dass die Europäische Union nichts zur Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt beitragen kann, vielmehr könnten solche Beiträge gerade in den Bereichen Steuerharmonisie­rung und Ökologisierung des Steuersystems erfolgen. Abgeordnete Dr. Lichtenberger fragt nach der österreichischen Position im Hinblick auf die Steuerharmonisierung – besonders interessant wäre der Standpunkt der neuen Bundesregierung zur Besteuerung von Spekulationsgewinnen – und danach, welche Maßnahmen zur Beschäftigungspolitik über die genannten Liberalisierungs­ansätze und die Förderung des Wirtschaftswachstums hinaus geplant seien.

Bisher nicht in den Vorgaben enthalten seien Maßnahmen zur Erreichung der Kyoto-Ziele und zur nachhaltigen Wirtschaft. Dies stehe im Gegensatz zu entsprechenden Positionierungen Österreichs in der Vergangenheit, jedoch wäre es wünschenswert, diese damaligen Ziele weiter­hin zu verfolgen und geeignete Maßnahmen zu konkretisieren.

Unter Bezug auf eine Erwähnung von Mautsystemen im Zusammenhang mit der Harmonisie­rung technischer Strukturen fragt Abgeordnete Dr. Lichtenberger, ob damit gemeint sei, dass Österreich mit der allfälligen Einführung eines Road-Pricing warten wird, bis etwa auch Irland und Griechenland einer diesbezüglichen EU-Richtlinie zustimmen werden.

Im Sinne einer ausführlicheren Information des Hauptausschusses wäre es wünschenswert, würde die Bundesregierung auch das erwähnte Positionspapier auf Beamtenebene hier vor­legen. Abgeordnete Dr. Lichtenberger fügt hinzu, sie werde sich nicht mit einer Generalentschul­digung zufrieden geben, wonach sich die Bundesregierung auf folgenden Standpunkt zurück­zieht: Früher war es schlecht, also machen wir es ebenso.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) regt an, dass die Bundesregierung im Sinne eines ver­nünftigen Arbeitsklimas den Hauptausschuss – und insbesondere die Oppositionsfraktionen – so weit wie möglich einbezieht. Damit wäre es möglich, einen sinnvollen und glaubwürdigen inhaltlichen Dialog zu führen. In dieser Hinsicht seien die vom Abgeordneten Schieder zuvor er­griffenen Initiativen wichtig. Eine interessante Rolle spiele Abgeordneter Mag. Schweitzer inso­fern, als er es war, der hier eine Zusage abgegeben hat, dass dem Hauptausschuss künftig ent­sprechende Dokumente vorgelegt werden.

Falls tatsächlich ein Positionspapier vorhanden sei, so wäre dessen Vorlage von besonderem Interesse, weil darin immerhin zum Ausdruck käme, dass es überhaupt gelungen ist, trotz be­stimmter Äußerungen von Mandataren der Freiheitlichen Partei Österreichs in wesentlichen Grundfragen zu einer Position zu gelangen.

Es sei ein leicht zu durchschauender Versuch, das gegenwärtige Problem Österreichs gegen­über den anderen EU-Mitgliedstaaten bloß zu verrechtlichen, da es einfach sei, Zustimmung für die Ansicht, dass Recht einzuhalten ist, zu gewinnen. Aber tatsächlich gehe es nicht darum, und diejenigen, die diese Argumentationslinie verfolgen, wüssten dies genau.

Die entscheidende Frage – über die politische Frage hinaus – bestehe darin, dass man unter­schiedlicher Meinung darüber sein kann, wie die Europäische Union als Wertegemeinschaft auf die Bildung einer Regierung unter Beteiligung der FPÖ reagiert hat. Aber dass sie als Werte­gemeinschaft in einem Bezug zu den Werten, zu denen sie stehe, politisch und moralisch reagiert, könne man ihr nicht absprechen. Es sei das gute Recht der Europäischen Union oder in diesem Fall der 14 anderen Mitgliedstaaten, dass sie sich geäußert haben. Daher könne man zwar rechtlich unterschiedlicher Meinung über die genannten drei Sanktionen sein, aber dass es überhaupt dazu gekommen ist, sei auf eine wertebezogene Debatte zurückzuführen.

Es sei faszinierend, dass sowohl der Bundeskanzler als auch die Außenministerin zu dieser Wertedebatte bisher nicht Stellung bezogen hätten. Bundeskanzler Dr. Schüssel flüchte sich immer in die Feststellung, dass diese Sanktionen auf Verdacht erlassen wurden. Abgeordneter Dr. Cap stellt dem die Frage entgegen, warum der Herr Bundespräsident auf eine Präambel zum Koalitionsübereinkommen gedrungen habe und was das für ein politischen Klima sei, in dem ununterbrochen nur der Verdacht regiere, dass es nicht auch nur den geringsten Boden für diese Maßnahmen gibt. Also müsse es diesen Boden für die Maßnahme der Präambel geben, also müsse es diesen Boden der internationalen Reaktionen und Diskussionen geben, also müsse es diesen Boden dafür geben, dass diese Wertediskussion überhaupt stattfindet.

Dazu müsse man sowohl in der parlamentarischen Tätigkeit und daher auch im Hauptaus­schuss sowie in der öffentlichen Diskussion Stellung beziehen, weil man sonst an der Sache vorbeispräche. Abgeordneter Dr. Cap stellt unter Hinweis darauf, dass er immer ein spezielles Verhältnis zur ÖVP entwickelt habe, fest, dass die Fraktion der Freiheitlichen sich jetzt in einer sehr kommoden Position befinde, da sie an wichtigen Stellen zwei durch Europa ziehende Image-Manager habe. Er richtet an Bundeskanzler Dr. Schüssel und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner die Frage, ob es ihnen nicht “langsam politisch auf die Nerven geht”, tag­täglich zu versuchen, an der politisch-moralischen Image-Korrektur der FPÖ mitzuwirken, und gibt ihnen den Rat, in dieser Hinsicht an die vergebliche Arbeit des Sisyphus zu denken und sich zu überlegen, wie lange sie dies noch tun wollten. So sei etwa der Ausdruck “Westentaschen-Napoleon” in keinem Konferenzprotokoll oder Schlussdokument vorzufinden, er gehöre nicht der diplomatischen Sprache an.

Die ÖVP und die österreichische Bevölkerung seien gezwungen, die politische Geschichte der FPÖ, deren Gegenwart und jetzige Zerrissenheit in vielen Fragen zwischen dem Flügel, der “auf brav tut”, und jenem, der weiterhin seine populistische Klientel bedienen wolle, auszubaden. Abgeordneter Dr. Cap bringt gegenüber der österreichischen Bevölkerung sein diesbezügliches Mitgefühl zum Ausdruck, da sie dies nicht verdient habe.

Kürzlich sei über eine “Bummelstrategie” diskutiert worden, wonach Österreich sich gegenüber der Europäischen Union auf den Standpunkt stellen könnte, ebenfalls “lästig zu sein” und bei Personalbestellungen eine andere Gangart einzulegen. Auch dies sei nur ein Ausdruck der Un­schlüssigkeit, aber nicht einer klaren Vorgabe dafür, wie Österreich aus dieser Situation heraus­kommen könnte. Solche Diskussionen würden immer irgendwie mit der Frage der Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei an einer Regierung enden. Die Politik der Vergangenheit und der Gegenwart der Freiheitlichen sei in Wahrheit der politisch-moralische Kern der Auseinander­setzung, und darum werde die österreichische Bundesregierung nicht herumkommen.

Die Lösung werde letztlich nicht darin bestehen können, das Geschehen auf die rechtlichen Pro­blemfälle zu reduzieren. Mit Bezug darauf fordert Abgeordneter Dr. Cap, in klarerer Weise Stellung zu beziehen. Da es kaum mehr um bilaterale, sondern meist um multilaterale Ange­legenheiten gehe, werde dieses Thema die österreichische Bundesregierung permanent be­gleiten.

Unter Hinweis darauf, dass die portugiesische Präsidentschaft die Informationsgesellschaft zu einem zentralen Thema des bevorstehenden Gipfeltreffens gemacht hat und dass auch im Pro­gramm der österreichischen Bundesregierung von einer Digitalisierungs-Offensive die Rede ist, stellt Abgeordneter Dr. Cap die Frage, was dafür getan werde, dass es zu einer sozial ausge­wogenen Verwendung der Informations- und Kommunikationstechnologien kommt.

Aber die Sachfragen stünden immer wieder im Schatten der so genannten “Causa prima”, und die Regierung werde der Opposition keinen Millimeter näher kommen, wenn sie sich bloß ins Paragraphen-Karbäuschen zurückziehe und nicht bereit sei, auf den wirklichen politischen und moralischen Kern – moralisch auch gegenüber der eigenen Bevölkerung – einzugehen.

Abgeordneter Dr. Werner Fasslabend (ÖVP) erachtet das Programm der portugiesischen Präsidentschaft für äußerst ambitioniert, da zum ersten Mal versucht werde, in einem großen Schritt eine langfristige Strategie im Hinblick auf wirtschaftliche Dynamik, Innovationsgesell­schaft und Beschäftigung zu entwickeln.

Auch in diesem Fall werde – wie immer im Rahmen der Europäischen Union – die Angelegen­heit zunächst ausgiebig qualitativ diskutiert, hingegen bestehe die Schwierigkeit darin, entspre­chende Quantifizierungen vorzunehmen. Daher sei die von Bundeskanzler Dr. Schüssel skiz­zierte Vorgangsweise zielführend, nicht so sehr Wert auf Quantifizierungen etwa in Bezug auf das Wachstum oder die Beschäftigungslage zu legen, sondern statt dessen konkretere Defini­tionen hinsichtlich der prozessualen Vorgangsweise anzustreben, nämlich zum Beispiel einen längeren Zeitraum im Pensionssystem festzulegen. Daher sei der Standpunkt der Bundesregie­rung nicht nur zukunftsorientiert, sondern auch vernünftig und realistisch. Die Erfahrung habe gezeigt, dass das Diskutieren über bestimmte Dokumente gar nichts bringe, sondern eine flexible Abstimmung vorzuziehen sei.

Eine Änderung der Haltung der 14 anderen Mitgliedstaaten gegenüber Österreich werde frühestens im Rahmen des Gipfeltreffens von Lissabon erfolgen können. Daher wäre es wichtig, dem Anliegen von Bundeskanzler Dr. Schüssel entsprechend eine gemeinsame Entschließung aller im österreichischen Parlament vertretenen Parteien zu verabschieden, um von diskriminie­renden Maßnahmen gegenüber Österreich wegzukommen.

Was den Einwand der Oppositionsfraktionen betrifft, dass eine Wertegemeinschaft am Aus­gangspunkt der Diskussion stehe, stellt Abgeordneter Dr. Fasslabend die Frage, welche Vor­gangsweise einer Wertegemeinschaft zustehe und ob es angemessen sei, dass derjenige, den es betrifft, offiziell gar nicht befasst, sondern einfach vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Auch komme es auf den Ort an, an dem etwas getan wird – ob dies etwa im Rahmen eines inoffiziellen Zusammentreffens in Stockholm im stillen Kämmerchen erfolgt oder ob dies im Rahmen des Sondergipfels von Lissabon geschieht.

Es komme darauf an, genau diese Fragen zu stellen, und in dieser Hinsicht dürfe es keinen Unterschied zwischen den Auffassungen der österreichischen Parteien geben. Vielmehr könne es da nur die gemeinsame Aufgabe sein, klarzustellen, dass das österreichische Parlament als Gesamtes ein Recht darauf hat, mit der Meinung der 14 anderen Länder konfrontiert zu werden. Abgeordneter Dr. Fasslabend verlangt in seiner Eigenschaft als Parlamentarier, dass die Kritik in diesem Rahmen vorgebracht und diskutiert wird, und erachtet es persönlich für bedauerlich, dass die SPÖ mit einem eigenen Antrag, von dem keine einzige Zeile zu einer Verurteilung der Maßnahmen führen könne, den Versuch unternimmt, die Bemühungen der Regierungsfrak­tionen bewusst zu unterlaufen.

Eine Folge der Sanktionsmaßnahmen bestehe darin, dass Österreicher, selbst wenn sie die für eine Funktion Bestqualifizierten sind, von der Europäischen Union allein deshalb nicht unter­stützt werden, weil sie Österreicher sind. Trotzdem aber gebe es im österreichischen Parlament wesentliche Fraktionen, die “keinen Mucks” dagegen machen und einen Entschließungsantrag vorlegen, in dem sie auf solche Folgen der Maßnahmen nicht einmal hinweisen. Dies werde in vielen Österreichern den Verdacht stärken, dass die internationalen Maßnahmen zu wesent­lichen Teilen tatsächlich von Österreich ausgegangen sind.

Abgeordneter Dr. Fasslabend ruft die SPÖ dazu auf, dem von den Regierungsfraktionen einge­brachten Entschließungsantrag beizutreten, um mit einer Verurteilung der Maßnahmen ein deut­liches Signal dafür zu setzen, dass dies im Interesse aller Parteien im österreichischen Parla­ment liege. Denn es komme darauf an, die Rechte Österreichs in den Vordergrund zu stellen.

Obmann Dr. Heinz Fischer gibt bekannt, dass dem Hauptausschuss zwei Initiativanträge vorliegen, die auf die Einrichtung parlamentarischer Enquete-Kommissionen gerichtet sind, und dass ein Verlangen nach § 98 Abs. 3 der Geschäftsordnung von den Abgeordneten Dr. Khol und Ing. Westenthaler vorgelegt wurde, wonach diese beiden Vorlagen betreffend Enquete-Kommis­sionen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Hauptausschusses zu setzen wären.

Obmann Dr. Fischer stellt fest, dass dies geschehen wird, und macht die Antragsteller darauf aufmerksam, dass der bezüglich der Vorsitzführung angesprochene § 98a Abs. 1 nur auf Enqueten, aber nicht auf Enquete-Kommissionen anwendbar ist. In letzterem Fall gelte die für Ausschussverfahren festgelegte Vorgangsweise gemäß § 98 Abs. 7.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche) verweist darauf, dass sich kürzlich das gesamte demokratische Spektrum des italienischen Parlaments gegen einen Einmischungsver­such von Seiten des deutschen Bundeskanzlers Schröder verwahrt hat. Zurückgewiesen worden sei ein Eingriff in die inneren Angelegenheiten des Staates, in dessen Souveränität und in die souveränen Möglichkeiten einer Regierungsbildung, und zwar ohne den Versuch, die jeweils apostrophierte Partei in ihren entsprechenden Gestionen reinzuwaschen, zu unterstützen oder von allfälligen Fehlern zu exkulpieren.

Hingegen hätten die Sprecher der SPÖ bisher keinen Wert darauf gelegt, aus staatspolitischer Zielsetzung und aus Bedachtsamkeit auf die Souveränität Österreichs hinsichtlich der Regie­rungsbildung und der abgehaltenen demokratischen Wahlen festzustellen, dass sämtliche am 3. Oktober 1999 kandidierenden Parteien unzweifelhaft in Einklang mit der Bundesverfassung und mit den österreichischen Gesetzen stehen.

Was die vom Abgeordneten Dr. Cap angesprochene Wertediskussion betrifft, stellt Abgeord­neter Mag. Haupt fest, er könne sich nicht vorstellen, dass für die Europäische Union mit ihren Werten eine aus tagespolitischen Gründen erfolgende Diskriminierung von Staatsangehörigen eines der 15 Mitgliedstaaten Ausdruck der neuen Wertegemeinschaft in Europa sein solle.

Nach den undifferenzierten, völlig unqualifizierten und an der Sache vorbeigehenden Maßnah­men gegen Österreich werde sich die Europäische Union zu überlegen haben – dies zeige sich auch an der Meinungsbildung in Mitgliedstaaten wie Dänemark oder Finnland sowie in Ländern wie Norwegen oder der Schweiz –, ob diese Haltung hinsichtlich der Osterweiterung eine zu­kunftsträchtige Haltung sein könnte oder ob dies eher einen mit einer Gefährdung der besagten Wertegemeinschaft verbundenen Rückschritt darstelle. Sehr viele der osteuro­päischen Staaten seien jetzt hellhörig geworden, da dort noch die Erinnerung an jene 50 Jahre wach sei, die sie im Warschauer Pakt als dem verlängerten Arm Moskaus verbringen mussten. Diese Länder würden sich fragen, ob sie jetzt in der Vorverurteilung durch eine Wertege­meinschaft nach Opportunitätslage und jeweiliger Tageslage das Gleiche mit Sitz in Brüssel zu sehen hätten.

Es sei unbestritten, dass vieles die vier demokratischen Parteien des österreichischen Parla­ments in der Umsetzung ihrer Ziele trennt. Aber ebenso unbestritten sollte sein, dass sich die Regierungsparteien zumindest in gleichem Ausmaß wie in der Vergangenheit darum bemühen, ein tragfähiges Verhältnis zu den Oppositionsparteien herzustellen.

In diesem Sinn habe Bundeskanzler Dr. Schüssel auch hinsichtlich des bevorstehenden Gipfel­treffens klargestellt, dass den Oppositionsparteien die Gelegenheit gegeben wird, deren Meinung zu einem Zeitpunkt einzubinden, zu dem die Regierungsmeinung noch nicht im Ministerrat verabschiedet und daher präformiert ist. Daher sei die Kritik unzutreffend, dass die Bundesregierung versucht hätte, keine Meinung zu vertreten. Gerade die SPÖ habe es in der Vergangenheit der Opposition gegenüber als Vorteil dargestellt, in einen Prozess der Meinungs­bildung zu einem Zeitpunkt eingebunden zu sein, zu dem die Meinung noch nicht voll ausformu­liert ist. Abgeordneter Mag. Haupt erinnert an die entsprechenden Abänderungsanträge der früheren Oppositionsfraktionen und stellt fest, dass die Freiheitlichen die Linie der gemeinsam getragenen Außenpolitik nicht verlassen haben.

Ein gemeinsames Bemühen könne aber nicht darin bestehen, dass wichtige Argumente des Staates Österreich weggelassen werden – wie im Fall des vorliegenden Antrages des Abgeord­neten Dr. Kostelka. Denn darin finde sich kein einziges Wort über die unerhörte Einmischung des französischen Staatspräsidenten in österreichische Angelegenheiten. Wäre bereits zu Be­ginn dieser Einmischung eine gemeinsame Position aller Parlamentsparteien in Österreich gefunden worden, so wären Österreich möglicherweise der Zeigefinger des Pinocchio und alle anderen nachfolgenden Äußerungen erspart geblieben. Aber offensichtlich habe die SPÖ dies nicht gewollt, sondern habe in der Ohnmacht ihrer Oppositionsrolle die Meinungsbildung über Demonstrationen auf der Straße vorgezogen. Dies aber komme gemäß Meinungsumfragen in der österreichischen Bevölkerung nicht gut an, sodass die SPÖ jetzt retiriere.

Auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen werde die österreichische Frage wiederum die wichtigen Fragen der Beschäftigung überlagern. Dies sei bedauerlich, da soziale Fragen wie jene der Arbeitslosigkeit, der künftigen Beschäftigung und der sozialen Absicherung wichtigere Probleme darstellten als die Form des Gruppenfotos von einer EU-Tagung. Es sei falsch, sich in Richtung einer Gesellschaft zu bewegen, deren Teile durch tiefe Abgründe voneinander getrennt sind.

Abgeordneter Mag. Haupt erkundigt sich, inwieweit das Subsidiaritätsprinzip für die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit in Europa Beachtung finden wird. Die jetzige Lage sei dadurch gekenn­­zeichnet, dass Bemühungen um Zukunftsprojekte in Regionen wie etwa Kärnten, Slowenien und Friaul – Julisch Venetien durch die Hintertür politischer Auseinandersetzungen in ihrer Finanzie­rung gefährdet werden. Auch in dieser Hinsicht könne die Ausgrenzung Öster­reichs durch die 14 anderen EU-Mitgliedstaaten keine Angelegenheit von nachrangiger Bedeu­tung sein.

In der Präambel zum Regierungsübereinkommen komme zum Ausdruck, dass die neue Bun­desregierung in ihrer gesamten Politik auf dem Boden der europäischen Wertegemeinschaft steht und dass beide Regierungsparteien diese Werte umsetzen wollen. Jedoch stelle sich die Frage, warum die SPÖ dem Bundespräsidenten für die von ihm angekündigte Kontrolle der Einhaltung der Präambel jetzt drei Hilfskräfte zur Verfügung stellen wolle und ob es ihr darum gehe, die demokratische Wahl des Bundespräsidenten über die Hintertür einer parteipolitischen Formulierung von Repräsentanten aufzuheben.

Die Oppositionsfraktionen würden sich in mehreren Fragen entscheiden müssen: ob es ihnen darum gehe, die Beschäftigung in Europa zu verstärken; ob es ihnen darum gehe, den erfolg­reichen österreichischen Beitrag zu einer gemeinsamen Sozialpolitik und einer Entwicklung der Bundesregierung hin zu den neuen Möglichkeiten der Informations- und Technologiegesell­schaft zu fördern; oder ob es ihnen darum gehe, im tagespolitischen Hickhack gegen die Frei­heitliche Partei zu verharren und damit Österreich insgesamt zu schädigen.

Abgeordnete Annemarie Reitsamer (SPÖ) erachtet es für widersinnig, dass die österrei­chischen Bundesregierung einerseits versucht, bei der Europäischen Union gut Wetter zu machen, und dass auf der anderen Seite in Aschermittwochsreden Ausritte zu verzeichnen sind, die zu der Frage Anlass geben, warum die Präambel des Regierungsübereinkommens über­haupt unterzeichnet worden ist, wenn man sich hinterher so aufführt. Diese Vorgangsweise erinnere an einen Kindergarten.

Hinsichtlich des Hauptthemas des bevorstehenden Gipfeltreffens – nämlich Beschäftigung, Wirt­schaftsreformen und sozialer Zusammenhalt – stellt Abgeordnete Reitsamer fest, dass in dem vorliegenden Dokument der portugiesischen Präsidentschaft den Überlegungen zur Erneuerung des europäischen Sozialmodells breiter Raum gegeben werde, dabei jedoch die Verteilungs­frage ausgeklammert bleibe. Sie fragt nach den Maßnahmen, welche die österreichische Bun­desregierung vorschlagen werde, um die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den EU-Mitgliedstaaten nachhaltig zu verringern.

Es sei möglich, bestehende Verfahren im Bereich Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozial­politik zu rationalisieren, beispielsweise dadurch, dass ein einziger Jahresbericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der Europäischen Union herausgegeben wird, worin auch Emp­fehlungen betreffend europäische politische Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung ge­geben werden. Abgeordnete Reitsamer fragt, ob die Bundesregierung eine solche Maßnahme unterstützen würde.

Angesichts der neuen Kompetenzverteilung in der Regierung, wonach der Bereich Arbeit jetzt im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist, erachtet Abgeordnete Reitsamer die Frage für beson­ders wichtig, was die Bundesregierung gegen die Gefahr tun wird, dass im Zuge der Entwick­lung neuer Technologien die Qualität neuer Arbeitsplätze stark abnimmt. Wie sich etwa an der Telearbeit zeige, drohe es zu erheblichen Schutzdefiziten im Bereich des Arbeits- und Sozial­rechts zu kommen.

Die Erfahrungen aus dem Luxemburger Beschäftigungsprozess hätten gezeigt, dass Fortschritte nur dann gemacht werden, wenn in Leitlinien konkrete quantifizierbare und qualifizierbare Ziele vorgegeben werden. Abgeordnete Reitsamer fragt, welche entsprechenden zusätzlichen Maß­nahmen die Bundesregierung im Bereich der aktiven Beschäftigungspolitik und der Beschäfti­gungsstrategien der Europäischen Union insgesamt unterstützen werde und welche Segmente davon betroffen sein würden.

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) weist darauf hin, dass der Entschließungsan­trag der Regierungsfraktionen betreffend den Schulterschluss in Österreich gegen die EU-ver­tragswidrigen, diskriminierenden Sanktionen den Oppositionsparteien bereits am Vortag zuge­gangen ist. An die SPÖ sei die Einladung ergangen, darüber mit der Bundesregierung zu diskutieren. Heute habe sich gezeigt, dass auch die SPÖ einen Antrag zur Beendigung der weit­gehenden außenpolitischen Isolation Österreichs einbringen wird, doch gingen dessen Maßnah­men in eine andere Richtung. Außerdem stelle sich hinsichtlich dieser Vorgangsweise die Frage nach dem Stil.

Was die Frage des Abgeordneten Dr. Cap betrifft, wann Staats- und Regierungschefs eine wert­orientierte private Meinung haben können, sei zu beachten, dass die Äußerung dieser Meinung im Rahmen der öffentlichen Funktion auch Konsequenzen für das Land hat, in dessen Namen gesprochen wird.

Abgeordneter Dr. Spindelegger stellt fest, er könne sich etwa im Hinblick auf die Verweigerung der Unterstützung österreichischer Kandidaten für internationale Ämter nicht vorstellen, dass die Maßnahmen der 14 gegen Österreich bei der SPÖ Zustimmung finden können. Nicht vorstellbar sei auch eine SPÖ-Unterstützung für die Vorgangsweise, dass 14 Staats- und Regierungschefs die Äußerung einer privaten Meinung zum Beschluss einer Präsidentschaft erheben, obwohl es einen Präsidentschaftsbeschluss für bloß 14 Mitgliedstaaten gar nicht geben könne, oder dass 14 Staats- und Regierungschefs namens ihrer Länder eine Erklärung abgeben, ohne die nationalen Parlamente und die Außenminister beigezogen zu haben.

Abgeordneter Dr. Spindelegger tadelt an dem entsprechenden SPÖ-Antrag, dass darin die Maß­nahmen gegen Österreich mit keinem Wort verurteilt werden. Denn auch eine Oppositionspartei müsse sich dagegen verwahren, dass durch so genannte private, wertorientierte Meinungs­äußerungen von Staats- und Regierungschefs, noch dazu vorbei an allen Rechtsvorschriften, die Bevölkerung des eigenen Landes getroffen wird.

Der von der SPÖ vorgeschlagene Lösungsansatz sei teilweise skurril, da es nicht funktionieren werde, mit einem gegen die eigene Regierung eingesetzten Monitoring die gegen Österreich ge­richteten Maßnahmen von 14 Ländern zu beenden. Denn zur Kontrolle der Regierung im Hinblick auf die Einhaltung dessen, was sie beschlossen hat, sei das Parlament da. Stattdessen komme es auf die Rücknahme jener Sanktionen an, welche die 14 anderen Mitgliedstaaten gar nicht hätten erklären dürfen. Besonders in dieser Hinsicht falle der Unterschied zwischen dem Antrag der Regierungsparteien und dem Antrag der SPÖ ins Gewicht.

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne) stellt mit Bezug auf die vorliegenden Entschlie­ßungsanträge fest, dass aus Sicht der Grünen unterschieden werden müsse zwischen den drei Sanktionen, welche die Europäische Union gesetzt habe, und dem, was im Allgemeinen unter Boykott verstanden wird, etwa wenn sich wissenschaftliche Institute der Kooperation mit öster­reichischen Stellen verweigern oder wenn ausländische Schulen keine Skikurse in Österreich mehr abhalten.

Es sei notwendig, zu sagen, dass die von den 14 anderen EU-Mitgliedstaaten gesetzten Sank­tionen berechtigt sind, auch wenn dabei von der Vorgangsweise her noch etwas fehle. Die Sanktionen seien berechtigt, weil darin das politische Anliegen zum Ausdruck komme, dass die Grünen – und früher sei auch die ÖVP dieser Meinung gewesen – in diesem Europa eine Partei nicht in einer Regierung haben wollen, die sich in den letzten Jahren in der Art der FPÖ ge­äußert habe: mit rassistischen Aussagen und mit Aussagen, welche die Zeit des National­sozialismus verharmlosen. Daher handle es sich bei den Sanktionen um eine politische Vor­gangsweise, die berechtigt sei, und aus diesem Grund könnten die Grünen einem von der Bundesregierung angepeilten Schulterschluss aller Parteien im österreichischen Parlament nicht zustimmen.

Für positiv werde es von den Grünen erachtet – und dazu würden sie selbst einen Antrag vor­bereiten –, im Parlament die Bundesregierung damit zu beauftragen, dass im Rahmen der Euro­päischen Union auf eine entsprechende Verrechtlichung hingewirkt wird, wie dies auch in dem Antrag der ÖVP bereits angesprochen werde, nämlich klarzustellen, welche Folgen mit Ver­stößen gegen die Artikel 6 und 7 des Vertrages von Amsterdam verbunden wären. Entspre­chende Verfahren gebe es zum Beispiel bereits im Rahmen des Stabilitätspaktes.

Allerdings sei es den Grünen nicht möglich, der Formulierung im ÖVP-Antrag zuzustimmen, da ein Schulterschluss in dieser Form abzulehnen sei und die politische Aussage der 14 anderen Mitgliedstaaten zutreffe, dass eine Partei, die wie die FPÖ und wie einzelne ihrer Mitglieder agiere, nicht an einer Regierung beteiligt sein soll. Es sei bekannt, dass diese Art von Politik nicht privat ist.

Die Ansicht des Abgeordneten Dr. Fasslabend, dass die Politik der FPÖ und die EU-Sanktionen nichts miteinander zu tun hätten, sei unzutreffend. In den Äußerungen von Seiten der ÖVP und der Freiheitlichen komme eine Verwechslung von Ursache und Wirkung zum Ausdruck. Nicht der französische Staatspräsident Chirac habe in dieser Angelegenheit den Anfang gesetzt, sondern dem seien Äußerungen im Rahmen der Geburtstagsfeier des damaligen Parteichefs der Freiheitlichen Dr. Haider vorangegangen. Dort habe er sich gegen Chirac und andere Euro­päer in einer Art geäußert, wie dies nicht dem europäischen Wertesystem entspreche.

Zum Thema Beschäftigungsgipfel in Lissabon hebt Abgeordnete Mag. Lunacek hervor, dass sie sich auch von einer neuen Bundesregierung eine Stellungnahme erwartet, die im Parlament behandelt werden kann. Zwar bedürfe es auch einer Diskussion darüber, diese müsse aber entsprechend vorbereitet werden können.

Aus Sicht der Grünen seien die von der Europäischen Kommission zum Thema Beschäftigung vorbereiteten Stellungnahmen in einzelnen Punkten sehr positiv, etwa im Hinblick darauf, dass jetzt wieder von Vollbeschäftigung die Rede ist. Abgeordnete Mag. Lunacek fragt, ob in dieser Hinsicht von österreichischer Seite konkrete Vorschläge für Lissabon geplant seien.

Von den Grünen werde auch die Orientierung an neuen Technologien begrüßt. Aber noch immer bestehe innerhalb der Europäischen Union das Problem, dass es keine verbindlichen Maßnahmen für die Beschäftigungspolitik gebe, und daher stelle sich die Frage, ob die Bundes­regierung eine verbindliche Koordinierung der jeweiligen nationalen Maßnahmen zur Beschäfti­gungspolitik im Rahmen der Europäischen Union verlangen werde. Es bestehe eine ungleiche Wertung in Bezug auf den Stabilitätspakt sowie die budgetären und währungspolitischen Maß­nahmen auf der einen Seite und im Hinblick auf das, was unter einer Sozialunion zu verstehen wäre, auf der anderen Seite.

Ferner fragt Abgeordnete Mag. Lunacek, wie die Bundesregierung konkret zur Chancengleich­heit im Bereich der Beschäftigungspolitik stehe und ob sie – da das 4. Aktionsprogramm zur Chancengleichheit auslaufe und darüber neu verhandelt werden müsse – Vorschläge zu einer Verknüpfung dieses Aktionsprogramms mit der Beschäftigungspolitik unterbreiten werde. Immer mehr Frauen würden in die Armutsfalle geraten, weil es für sie viel weniger gesicherte Arbeits­plätze gebe. Denn Arbeitsplätze, die im Zuge der Flexibilisierung eingeführt werden, seien nicht wirklich existenzsichernd, und dies betreffe vor allem Frauen. Daher sei eine derartige Ver­knüpfung notwendig.

Schließlich fragt Abgeordnete Mag. Lunacek nach den Aussichten für eine europaweite Initiative zur Arbeitszeitverkürzung. Dies wäre eine Möglichkeit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Abgeordneter Dr. Dieter Antoni (SPÖ) erinnert daran, dass Bundeskanzler Dr. Schüssel in der Regierungserklärung betont hat, wie wichtig Bildung für die Österreicherinnen und Österreicher ist, und speziell das lebensbegleitende Lernen angesprochen hat. Auch von Telelearning – dem Lernen auf Distanz – und von einer Bildungsmilliarde zu dem Zweck, virtuelle Schulen und Universitäten in Österreich Wirklichkeit werden zu lassen, sei die Rede gewesen. Überdies werde im Regierungsübereinkommen die Absicht geäußert, zumindest eine Technologie-Mil­liarde bereitzustellen.

Ferner habe Bundeskanzler Dr. Schüssel zuvor in dieser Sitzung festgestellt, dass Österreich zu 100 Prozent bereit ist, im Bereich des Bildungswesens die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Ziele zu unterstützen, nämlich alle Schulen ans Internet anzuschließen sowie alle Lehrer mit Internet und Multimedia zu konfrontieren, damit sie in die Lage versetzt werden, die Schüler entsprechend zu informieren. Auch die Forderung “Arbeitnehmer ans Internet” gehöre zu diesem ehrgeizigen Programm, das von Seiten der SPÖ ebenfalls volle Unterstützung bekomme.

Abgeordneter Dr. Antoni fragt, ob Bundeskanzler Dr. Schüssel trotz der Einwände, wie sie Abge­ordneter Mag. Schweitzer vorgebracht habe, bemüht sein werde, diesen Weg der Europäischen Union mitzugehen, um eine Benachteiligung der österreichischen Jugend zu vermeiden.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel macht darauf aufmerksam, dass einige der angespro­chenen Themen – wie etwa die Harmonisierung der Steuergesetze – nicht für das Gipfeltreffen in Lissabon vorgesehen sind, da der Versuch, einen entsprechenden Durchbruch zu erzielen, derzeit völlig aussichtslos wäre. Auch die Kyoto-Ziele würden dort kein Hauptthema sein, trotz­dem werde Österreich in Bezug auf die Schlussfolgerungen der Präsidentschaft darauf achten, dass die Ökologie nicht zu kurz kommt.

Obwohl nicht sicher sei, dass dafür die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erreichen sein wird, wolle Österreich vor allem die Europäische Kommission ermutigen, etwa die Richtlinie über bestimmte rechtliche Aspekte im Dienst der Informationsgesellschaft – vor allem betreffend den elektronischen Geschäftsverkehr im Binnenmarkt – rasch zu erstellen. Nach Annahme des gemeinsamen Standpunktes des Rates Ende Februar könne auf die baldige Verabschiedung einer entsprechenden Richtlinie gehofft werden.

Ein Teil einer möglichen Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz liege in Form des Fernabsatzgesetzes bereits vor. An einem ergänzenden Teil über Finanzdienstleistungen an Verbraucher werde derzeit im Rat gearbeitet.

Weiterhin wolle Österreich die Kommission drängen, sehr rasch eine Richtlinie über einen “Financial Service Action Plan” vorzulegen. Derzeit bestehe für dessen Umsetzung noch kein Zeitplan, aber in Diskussion stehe das Jahr 2005.

Noch im laufenden Jahr solle die Europäische Kommission eine Richtlinie über die Liberalisie­rung der Veranlagungsvorschriften für Pensionsfonds vorlegen. Aus österreichischer Sicht werde dies in nächster Zeit von größter Bedeutung für die Entwicklung des Kapitalmarktes sein. Damit seien auch Themen wie die Abfertigung-Neu und die Liberalisierung der Veranlagungs­vorschriften verbunden.

Ein neues Thema stelle eine europäische Charta für Grundkenntnisse dar. Österreich stehe überprüfbaren Basiskenntnissen auf jeder Altersstufe sehr positiv gegenüber, aber aus manchen Mitgliedstaaten sei von massiver Ablehnung zu hören. Was jetzt unter der Bezeich­nung “eEurope” angestrebt werde, und vor allem der Ausbau der Informations- und Kommunika­tionstechnologie an Schulen solle von 2000 bis 2003 in drei Schritten umgesetzt werden. Dies sei auch im Programm der österreichischen Regierung enthalten, eine “Computer-Milliarde” sei für die laufende Legislaturperiode vorgesehen.

Was das Road-Pricing betrifft, habe Österreich nicht die Absicht, dessen Einführung hinauszu­schieben. Die Einnahmen seien für den weiteren Ausbau der Infrastruktur erforderlich. Es wäre jedoch klug, technologisch anspruchsvolle Lösungen wie etwa die berührungslose Ablesung via Satellit auf europäischer Ebene entstehen zu lassen. Eine solche Lösung könnte auch zu einem Exportartikel werden wie zuvor schon die Telekommunikationstechnologie. Dadurch habe die Europäische Union Wettbewerbsvorteile erreicht, und jetzt könnte dies in Bezug auf die Smart-Card oder das Road-Pricing wiederum zum Tragen kommen. Damit verfolge Österreich auch das Ziel, anderen Ländern dazu Mut zu machen, eine solche Diskussion überhaupt einmal zu führen. Der österreichischen Bundesregierung gehe es daher nicht um eine Verzögerung, son­dern darum, die Basis zu verbreitern.

Bundeskanzler Dr. Schüssel äußert sich zustimmend in Bezug auf die Diskussion über das europäische Sozialmodell sowie einen einheitlichen Wirtschafts- und Sozialbericht. Die österrei­chische Bestrebung, statt der zwei unterschiedlichen Berichte einen einzigen zu erstellen, sei bisher nicht durchsetzbar gewesen. Die Idee, zu den Themen Wirtschaft und Sozialmodell jedes Jahr einen “Frühlingsgipfel” des Europäischen Rates abzuhalten, sei ein interessanter Aspekt, und dies könnte zu einer Vereinheitlichung führen.

Was neue Arbeitsplätze und Schutzdefizite betrifft, würde sich die Übertragung von Schutz­mechanismen aus der klassischen Arbeitswelt auf Internet- und Telearbeitsplätze als eine Bremse auswirken, welche die Entstehung solcher Arbeitsplätze verhindern würde. Es werde darauf ankommen, maßgeschneiderte Lösungen zu finden; solche seien derzeit noch nicht ver­fügbar. Es wäre eine Illusion, zu glauben, es könnte in diese moderne Arbeitswelt eins zu eins übernommen werden, was in traditionellen Bereichen über Jahrzehnte gewachsen ist. Über dieses Thema sollte von den Sozialpartnern und von der Politik eine breitere Diskussion geführt werden.

Was die Bekämpfung der Exklusion in der Sozialpolitik betrifft, sei die österreichische Regie­rungspolitik fast vorbildlich zu nennen. Anders als in dem Vorschlag von EU-Kommissionsprä­sident Prodi, wonach die Kinderarmut in den nächsten zehn Jahren zu halbieren wäre, habe Österreich vor, mit dem nun entwickelten Steuer- und Familienpaket die Kinderarmut schon jetzt zu halbieren. Damit sei Österreich den Bestrebungen der Europäischen Kommission weit voraus.

Unter Bezug auf die Maßnahmen der 14 anderen EU-Mitgliedstaaten gegen Österreich regt Bun­deskanzler Dr. Schüssel an, sich vorzustellen, welche Reaktionen es hervorrufen würde, wenn ein Österreicher als Mitglied des Europäischen Rates es als Ziel der österreichischen Regierung bezeichnen würde, die Regierung eines befreundeten Landes zu stürzen. Genau solche Äuße­rungen habe jetzt ein Mitglied des Europäischen Rates vorgebracht, aber trotzdem sei von einem europaweiten Aufschrei nichts zu hören gewesen. Nicht einmal in Österreich sei eine gemeinsame Basis dafür gefunden worden, dieses Ansinnen zurückzuweisen. Bundes­kanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, seinem Verständnis von Europa zufolge gehöre es zu den primitivsten Solidaritätsvorstellungen, dergleichen zu unterlassen oder, wenn es dazu gekom­men ist, dies zumindest gemeinsam zurückzuweisen.

Entgegen der Behauptung der Abgeordneten Mag. Lunacek, die Sanktionen gegen Österreich seien “berechtigt” gewesen, gehe aus allen vergleichbaren Beispielen – ob Europarat oder Stabilitätspakt – hervor, dass Sanktionen vielmehr Schritte sind, die erst dann gesetzt werden, wenn eine Verpflichtung oder eine rechtliche Regelung konkret verletzt worden ist. Gemäß der europäischen demokratierechtlichen Literatur gebe es keine Maßnahme, die berechtigt wäre, wenn sie bloß auf politischen Verdacht hin ergriffen wird.

Daher wäre es klug, würde das gesamte österreichische Parlament ein Zeichen setzen, indem es vor dem Gipfeltreffen in Lissabon eine gemeinsame Abgrenzung gegenüber den Maßnah­men der 14 vornimmt. Dies wäre für die Bundesregierung hilfreich, und es wäre auch gut für das Land, weil es einer größeren Gemeinsamkeit bedürfe.

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner bestätigt, dass die Europäische Union wieder die Vollbeschäftigung ins Auge gefasst hat. Es gehe jedoch nicht um quantifizierbare Ziele in der Union, sondern um Ziele auf nationaler Ebene, und dabei spiele die Orientierung am Konzept von Best-Practice – sich an die besten Vorgangsweisen in anderen EU-Mitgliedstaaten zu halten – eine große Rolle. Als Ausgangspunkt dafür diene der Nationale Aktionsplan für Beschäftigung.

Als ein sehr wichtiger Pfeiler der europäischen und der österreichischen Wirtschaft seien die Klein- und Mittelbetriebe auch von entsprechender Bedeutung für die Beschäftigungspolitik. Die Förderung dieser Unternehmen ziele darauf ab, mehr Unternehmergeist zu schaffen und insbe­sondere das innovative Potential freizusetzen. Im Ausmaß von 46 Prozent bilde dieser Bereich das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft, und dort werde es in Zukunft möglich sein, mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Erneuerung des europäischen Sozialmodells ziele auf mehr Arbeitsplätze und verstärkten sozialen Zusammenhalt ab; dabei werde es auf das richtige Gleichgewicht zwischen Beschäfti­gung, Wirtschaftsreform und sozialem Zusammenhalt ankommen. Österreich stehe in einer Mittelposition zwischen den auf mehr Liberalisierung ausgerichteten Zielen in Großbritannien und den Bestrebungen nach verstärkter staatlicher Einwirkung in Frankreich.

Immer stärker zeige sich jetzt, dass eine echte europäische Informationsgesellschaft für alle Bürger und Unternehmer ein wesentliches Element für eine europäische Strategie zur Wachstumsbildung ist und eine Innovation im Hinblick auf hochwertiges Humankapital darstellt. Diese so genannte eEurope-Initiative stelle im Zusammenhang mit der Mitteilung über Strate­gien für Beschäftigung in der Informationsgesellschaft eine gute Grundlage für einen entspre­chenden Aktionsplan dar, dessen Fertigstellung bis zum Europäischen Rat in Juni ermöglicht werden solle.

Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner antwortet der Abgeordneten Dr. Lichtenberger, Öster­reich wolle insbesondere sicherstellen, dass Barrieren beseitigt werden und das Vertrauen zum elektronischen Geschäftsverkehr gefördert wird, aber auch die richtigen rechtlichen Rahmenbe­dingungen hinsichtlich einer gewissen Kontrolle – einschließlich Konsumentenschutz und effek­tiver Maßnahmen und Mechanismen zur Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten – geschaffen werden.

Eine Verminderung der Kosten für die Nutzung der Telekommunikation werde weitere Chancen für Wachstum und Arbeitsplätze eröffnen.

Die Chancengleichheit sei in der Europäischen Union bereits Gegenstand eines Acquis und werde somit von allen Mitgliedstaaten getragen. Eine erhöhte Beteiligung der Frau am Arbeits­platz sei heute auch entscheidend für die Nutzung des gesamten Beschäftigungspotentials und für die Erhöhung von Wachstum und Wohlstand. Anstrengungen im Zuge des so genannten Gender Mainstream 1 hätten bereits das große Potential in diesem Bereich offen gelegt. In dieser Hinsicht werde der Europäische Rat laufende und umfassende Bemühungen der Mit­gliedstaaten im Zusammenhang mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien unterstützen.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass zum 1. Tagesordnungspunkt keine weitere Wort­meldung sowie kein Antrag zur Abstimmung vorliegen und somit die Beratung in EU-Angelegen­heiten beendet ist.

(Es folgen die Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 4.)

Schluss der Beratung zum Tagesordnungspunkt 1: 14.43 Uhr

 

 

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