IV-7 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

Mittwoch, 11. Oktober 2000

 

 

 

 

 

 

 

 


Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier



Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XXI. Gesetzgebungsperiode            Mittwoch, 11. Oktober 2000

Tagesordnung

(veränderte und neu gereihte Fassung)

1. Informeller Europäischer Rat von Biarritz

Bericht der Ständigen Vertretung über die 7. Tagung der Regierungskonferenz auf Ebene der Außenminister am 18. September 2000

(18438/EU XXI. GP)

Bericht der Ständigen Vertretung über die Tagung der Vorbereitungsgruppe Regierungs­konferenz am 25. September 2000

(18439/EU XXI. GP)

Bericht der Ständigen Vertretung über die Tagung der Vorbereitungsgruppe Regierungs­konferenz am 2. Oktober 2000

(18490/EU XXI. GP)

Rat Einleitender Vermerk / Aufzeichnung

Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wie er vom Konvent am 2. Oktober 2000 verabschiedet wurde

(18440/EU XXI. GP)

2. Antrag der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung betreffend Fortsetzung der Entsendung eines „Implementation Officer“ im Rahmen der OSCE-Mission in Bosnien und Herzegowina (65/HA)

3. Antrag der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung betreffend Aufstockung und Fortsetzung der Entsendung des österrei­chischen Truppenkontingentes im Rahmen des multinationalen Friedenseinsatzes (KFOR) im Kosovo (66/HA)

4. Unterrichtung über die Nominierung eines stellvertretenden Mitgliedes im Ausschuss der Regionen (67/HA)

5. Bericht des Bundesministers für Finanzen über die erfolgte Veräußerung der Bundesanteile an der Timmelsjoch-Hochalpenstraße AG (64/HA)

6. Antrag der Abgeordneten Dr. Alfred Gusenbauer und Genossen gemäß Artikel 49b B‑VG in Verbindung mit § 26 GOG‑NR auf Durchführung einer Volksbefragung gemäß Artikel 49b B‑VG für den Erhalt des öffentlichen Waldes, für die Wahrung der freien Zugänglichkeit zum Wald und zu den Seegrundstücken als Erholungsraum und für den Erhalt der öffentlichen Wasser­ressourcen (258/A)

7. Wahl von zwei Mitgliedern und eines Ersatzmitgliedes des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union

Beginn der Sitzung: 12.06 Uhr

Obmann Dr. Heinz Fischer eröffnet die Sitzung, begrüßt die Anwesenden, insbesondere Bun­desministerin Dr. Ferrero-Waldner, und weist darauf hin, dass – mit Ausnahme des 1. Punktes – einige Veränderungen der Tagesordnung in Aussicht genommen worden sind.

Einvernehmlich werden die Vorlagen 65/HA, 66/HA und 67/HA als neue Tagesordnungs­punkte 2, 3 und 4 gereiht.

Über Antrag der Grünen wird die Absetzung des ursprünglichen Tagesordnungspunktes 4 – Bericht der Bundesregierung gemäß § 11 des Bundesgesetzes über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik 1984 im Finanzjahr 1999 (27/HA) – einstimmig beschlossen.

Was den letzten Tagesordnungspunkt betrifft, teilt Obmann Dr. Fischer mit, dass hiefür bereits ein schriftlicher Wahlvorschlag vorliege.

Es folgt eine längere Debatte darüber, ob und in welcher Form eine Vereinbarung bezüglich der Redezeit durch die Klubsekretäre getroffen worden sei. Schließlich stellt Obmann Dr. Fischer die Frage, ob ein Einwand dagegen bestehe, für diese Debatte eine Redezeit von 2 „Wiener Stunden“ – SPÖ 39 Minuten, Freiheitliche und ÖVP je 29 Minuten sowie Grüne 23 Minuten – festzulegen. – Dagegen wird kein Einspruch erhoben, somit ist dies beschlossen.

Nicht in diesen 120 Minuten enthalten sind die Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern.

Darüber hinaus greift Obmann Dr. Fischer die Anregung auf, dass das Vorbereitungskomitee wieder aktiv werden solle.

1. Punkt

Informeller Europäischer Rat von Biarritz

Bericht der Ständigen Vertretung über die 7. Tagung der Regierungskonferenz auf Ebene der Außenminister am 18. September 2000

(18438/EU XXI. GP)

Bericht der Ständigen Vertretung über die Tagung der Vorbereitungsgruppe Regierungs­konferenz am 25. September 2000

(18439/EU XXI. GP)

Bericht der Ständigen Vertretung über die Tagung der Vorbereitungsgruppe Regierungs­konferenz am 2. Oktober 2000

(18490/EU XXI. GP)

Rat Einleitender Vermerk / Aufzeichnung

Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wie er vom Konvent am 2. Oktober 2000 verabschiedet wurde

(18440/EU XXI. GP)

Obmann Dr. Heinz Fischer erteilt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner das Wort zu einer ein­leitenden Stellungnahme.

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner weist zu­nächst darauf hin, dass es sich beim Europäischen Rat von Biarritz um einen informellen Rat handelt, sodass es dort keine Schluss­folgerungen geben wird.

Als inhaltlicher Schwerpunkt vorgesehen seien die Regierungskonferenz und die Vorbereitung des Europäischen Rates von Nizza. Es werde aber auch über die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und über aktuelle außenpolitische Themen, vor allem die Situation auf dem Westbalkan, also in der Bundesrepublik Jugoslawien, und im Nahen Osten debattiert werden. Ferner werde auf französischen Wunsch die Situation des Erdölpreises angesprochen werden.

Zu einem Gedankenaustausch während des Mittagessens am Samstag sei der Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien, Koštunica, eingeladen worden. Was die Entwicklungen in Jugosla­wien betrifft, seien diese seit dem Abend des 5. Oktober 2000, seit dem großteils friedlichen Sturz von Präsident Milošević, äußerst positiv zu sehen. Nunmehr werde mit Präsident Koštunica die weitere Entwicklung besprochen werden.

Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner weist darauf hin, dass sie als Erste unter allen EU-Mit­gliedstaaten – und auch im Rahmen des OSZE-Vorsitzes – einen Vertreter nach Belgrad ent­sandt hat, nämlich den Generalsekretär des Außenministeriums Albert Rohan. Daher habe sie schon während des Konklaves und des Rates Allgemeine Angelegenheiten am 8. und 9. Okto­ber über die Situation in Belgrad Bericht erstatten können.

In Biarritz werde darüber beraten werden, durch welche Unterstützung die internationale Ge­meinschaft die Position Koštunicas festigen könnte. Das Ziel bestehe darin, sozusagen den „Europäer Koštunica“ gegenüber dem „Nationalisten Koštunica“ in den Vordergrund treten zu lassen. Was die Erwartungen der Europäischen Union betrifft, gebe es einige positive Ansätze des neuen jugoslawischen Präsidenten – vor allem hinsichtlich der Nachfolgefrage, der Frage zu Dayton –, aber auch eine Reihe von noch nicht geklärten Fragen wie vor allem jener der Frei­lassung der knapp tausend politischen Gefangenen.

Auf den Nahost-Friedensprozess Bezug nehmend, führt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner aus, dass die Verschärfung der Lage im Nahen Osten mit größter Sorge betrachtet werde. Im Rat Allgemeine Angelegenheiten sei es bereits zur Verurteilung aller Gewalttaten, des exzes­siven Einsatzes von Militär und militärischen Mitteln gegen die Palästinenser gekommen. An beide Seiten sei der Appell nach Unterlassung aller Provokationen gerichtet worden. In ähnlicher Form werde dies beim Europäischen Rat wieder angesprochen werden. Die Lösung der Probleme könne nicht durch Gewalt, sondern nur durch die Rückkehr an den Verhandlungstisch erfolgen.

Der Außenrepräsentant der Europäischen Union, Javier Solana, werde im Nahen Osten neben UNO-Generalsekretär Annan für Vermittlungsbemühungen – die auch von Präsident Clinton derzeit von Washington aus geleitet würden – zur Verfügung stehen.

Was das wesentliche Thema des Europäischen Rates von Biarritz, die Regierungskonferenz, betrifft, habe sich in Helsinki die Europäische Union vorgenommen, ab 2003 erweiterungsfähig und zur Aufnahme neuer Mitglieder bereit zu sein, und zwar unter der Bedingung, dass die Bei­trittskandidaten die Kopenhagener Kriterien erfüllen und die Verhandlungen erfolgreich zu Ende gebracht worden sind.

Um diese Verpflichtung der Europäischen Union einlösen zu können, müsse nach Möglichkeiten gesucht werden, in Nizza zu einem Kompromiss zwischen allen Mitgliedstaaten zu kommen. Dies setze voraus, dass alle Mitgliedstaaten die Bereitschaft zeigen, den Gründungskonsens in der Union, nämlich einen Ausgleich zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten, mitzutragen. Vor allem müsse das angemessene Gleichgewicht zwischen einer Union der Völker und einer der Staaten widergespiegelt werden. Es stehe daher viel auf dem Spiel.

Da die Verhandlungen schon bisher nicht leicht gewesen seien, sehe die Zwischenbilanz hin­sichtlich der Kernfragen nicht allzu erfolgreich aus. Einige konnexe Fragen wie zum Beispiel die Zusammensetzung der Kommission und die Stimmgewichtung sowie die Frage der Sitzver­teilung im Europäischen Parlament würden voraussichtlich erst in Nizza einer Lösung zugeführt werden können.

Was die Europäische Kommission betrifft, vertrete Österreich den Standpunkt und werde darauf bestehen, dass jeder Mitgliedstaat auch in Hinkunft einen Kommissar stellt, dass das Kollegiali­tätsprinzip in der Kommission erhalten bleibt und dass keine Hierarchisierung in Form von „Junior Commissioners“ durchgeführt wird; statt dessen sollte es zur Aufteilung verschiedener Portfolios kommen.

Österreich erachte die Stärkung der Position des Kommissionspräsidenten für positiv und stehe einer allfälligen Erhöhung der maximalen Anzahl von Vizepräsidenten offen gegenüber.

Von einigen großen Mitgliedstaaten sei vereinzelt der Vorwurf erhoben worden, die kleinen Mit­gliedstaaten würden mit ihrer Position eine starke, effiziente und unabhängige Kommission ver­hindern. Diesem Vorwurf werde Österreich in aller Entschiedenheit entgegentreten. Es sei dies ein durchsichtiger Vorwurf, da vor allem die kleinen Mitgliedstaaten den Wunsch nach einer starken und repräsentativen Kommission hätten, um zuletzt neuerlich verstärkt zutage getretene Tendenzen des Intergouvernementalismus hintanzuhalten.

Nach dem so genannten Amsterdamer Protokoll sei vorgesehen gewesen, dass jene fünf Mit­gliedstaaten, die derzeit zwei Kommissare stellen, auf den zweiten Kommissar verzichten, wenn sie zum Ausgleich dafür ein etwas erhöhtes Stimmgewicht im Rat bekommen. Niemand habe behauptet, dass die Europäische Kommission ihrer Arbeit nicht nachgehen könne, obwohl die Anzahl der Kommissare bereits jetzt relativ hoch sei. Österreich vertrete die Auffassung, dass die Europäische Union angesichts der vielen Fragen, die dort entschieden werden – zum Bei­spiel im Bereich der Lebensmittelsicherheit, aber auch in vielen anderen Bereichen im Inneren und in der Justiz –, eher mehr Kommissare vertragen könnte.

Hinsichtlich der Stimmgewichtung seien die Verhandler in Feira nicht weitergekommen. Noch auf dem Tisch lägen Modelle einer Stimmneugewichtung beziehungsweise einer doppelten Mehrheit, sei es einer doppelten Mehrheit aus der Anzahl der Mitgliedstaaten und Erreichung einer Bevölkerungsschwelle oder aber einer qualifizierten Mehrheit und der Erreichung der Bevölkerungsschwelle. Österreich habe eine offene Position vertreten, habe allerdings die Kombination aus einfacher Mehrheit der Mitgliedstaaten und Bevölkerungsschwelle abgelehnt, denn dies würde vor allem das bisherige Blockadegewicht auf ungefähr die Hälfte des heutigen Gewichtes reduzieren, und dies wäre nicht akzeptabel. Unter den Mitgliedstaaten scheine sich nun eher eine Tendenz für eine einfache Neugewichtung abzuzeichnen.

Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner betont, dass neue Gewichtungsmodelle, die vorsehen, dass ein großer Mitgliedstaat mit einem Schlag genauso viele Stimmen hätte wie zum Beispiel acht oder neun andere Mitgliedstaaten, für Österreich nicht akzeptabel seien.

Im Kontext der Stimmgewichtung und der Frage der Kommission werde auch die Frage der künftigen Sitzverteilung im Europäische Parlament zu klären sein. Österreich spreche sich in dieser Hinsicht für eine lineare Extrapolation des bisherigen Systems unter Berücksichtigung der Höchstzahl von 700 Sitzen aus. Was die Minimumschwelle betrifft, über die auch ein sehr kleiner Mitgliedstaat verfügt, zeige sich Österreich offen.

Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner erläutert, im Rahmen der Konferenz in Biarritz werde unter dem Gesichtspunkt der Handlungsfähigkeit von Institutionen in einer Union von 27 oder später 28 Mitgliedstaaten auch über Reformen des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen verhandelt werden. Dabei gehe es vor allem um die Anzahl der Mitglieder in diesen Ausschüssen.

Vorschläge, die Ende September vorgelegt worden seien, hätten erstmals eine unterschiedliche Behandlung der Ausschüsse erkennen lassen. Danach wäre Österreich im Ausschuss der Regionen weiterhin mit zwölf Mitgliedern vertreten, müsste hingegen im Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Kürzung der Sitze von zwölf auf acht, also um ein Drittel, hinnehmen. Österreich erachte diese Ungleichbehandlung für nicht nachvollziehbar und trete für weitere gleiche Behandlung der Mitgliedstaaten in beiden Ausschüssen ein.

Mehrfach habe Österreich in den bisherigen Verhandlungen vorgeschlagen, dem Ausschuss der Regionen Organstatus zu gewähren und ihm vor allem eine Klagsmöglichkeit vor dem Euro­päischen Gerichtshof einzuräumen, wenn seine Rechte verletzt werden. Diese Bestimmungen würden eine große Aufwertung des Ausschusses der Regionen im institutionellen Gefüge der Europäischen Union bedeuten. Allerdings fänden diese Vorschläge derzeit lediglich die Unter­stützung Belgiens.

Hinsichtlich des Europäischen Rechnungshofes spreche sich Österreich – wie auch die Mehr­heit der Delegationen – dafür aus, dass dort auch in Zukunft jeder Mitgliedstaat seinen nationa­len Vertreter haben soll. Nur auf diese Weise könne die gemeinschaftliche Identität des Organs weiterhin bewahrt werden. Darüber hinaus vertrete Österreich den Standpunkt, dass gerade im Zusammenhang mit Effizienz und Handlungsfähigkeit Folgendes nicht aus dem Auge verloren werden dürfe: Durch das Ausmaß der bevorstehenden Erweiterung der Union werde eine solche Arbeitsbelastung auf den Europäischen Rechnungshof zukommen, dass dort eine Ausweitung der Mitgliederzahl auch für die Wahrung der Handlungsfähigkeit erforderlich sein werde.

In Bezug auf die Ausweitung der qualifizierten Mehrheitsentscheidungen müsse beachtet werden, dass eine Erweiterung der Mitgliederzahl auf bis zu 28 beinahe einer Verdoppelung der Teilnehmer an den gemeinsamen Entscheidungen gleichkomme. Je mehr Entscheidungen der Einstimmigkeit bedürften, desto größer sei die Gefahr, dass auf Grund der Bedingung der Ein­stimmigkeit unsachliche Junktimierungen hergestellt werden, sodass wichtige Entscheidungen aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Gründen blockiert werden könnten. Eine solche Selbst­lähmung müsse verhindert werden.

Andererseits gebe es immer wieder Bereiche, in denen jeder Mitgliedstaat das letzte Wort haben sollte, um Entwicklungen zu verhindern, die gegen seine vitalen Interessen verstoßen. Daher komme es auf eine klare Abgrenzung und auf die Nachvollziehbarkeit dieser Bereiche an.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen habe Österreich im Bereich der qualifizierten Mehr­heitsentscheidungen immer eine konstruktive Haltung eingenommen und sich in vielen Bereichen für den Übergang zur qualifizierten Mehrheitsentscheidung offen gezeigt. Es müsse jedoch klar zwischen offensiven und defensiven Interessen unterschieden werden. Für Öster­reich wäre ein genereller Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen zum Beispiel im Steuerbereich genauso vorstellbar wie bei der gegenseitigen Anrechnung von Versicherungs­zeiten zwischen verschiedenen Systemen, um auch die Mobilität der Bürger zu steigern.

Hingegen habe Österreich immer wieder klargestellt, dass die Umweltbestimmungen über die quantitative Nutzung von Wasser, die Fragen der Raumordnung und der Bodennutzung sowie vor allem die Fragen der Energieträger und grundsätzliche verkehrspolitische Fragen zu den sensiblen nationalen Bereichen gehören und vitale Interessen betreffen. In diesen Bereichen könne Österreich einem Übergang zur qualifizierten Mehrheitsentscheidung oder gar einer Strei­chung der entsprechenden Bestimmungen, wie es von einigen verlangt worden sei, keinesfalls zustimmen.

Auch Entscheidungen über die Kernbestimmungen zum Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungs­bereich sollten einstimmig bleiben.

Was die verstärkte Zusammenarbeit betrifft, weist Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner auf die im Vertrag von Amsterdam vorgesehene Möglichkeit hin, dass eine Gruppe von Staaten enger zusammenarbeitet als der Rest der Gemeinschaft. Für derartige Kooperationen seien dort strenge Kriterien formuliert worden, um zu verhindern, dass die Gesamtintegration Europas Schaden leidet. Die Grundidee habe daher immer in einem integrationsfördernden Mechanis­mus bestanden. Manche der Bestimmungen seien so restriktiv oder derart unklar formuliert gewesen, dass ihre Anwendung in der Praxis eigentlich nicht funktioniert habe.

In der jetzigen Debatte um die verstärkte Zusammenarbeit habe Österreich eine konstruktive, aber zurückhaltende Position eingenommen und unterstütze Änderungen für den Fall, dass sie die bisherigen Bestimmungen operabel machen, vertrete allerdings die Auffassung, dass das Grundprinzip der einheitlichen Beschlussfassung im Rat nicht durchlöchert werden sollte.

Eine verstärkte Integration der Mitgliedstaaten in einem gewissen Bereich hätte folgenden wesentlichen Kriterien zu genügen: Es müsse eine kritische Masse von 50 Prozent der Mitglied­staaten bereit sein, die Katalysatorrolle zu übernehmen; es müsse das Aufholen der anderen Staaten möglich sein, die willens und fähig sind, unter klaren und transparenten Spielregeln daran mitzuwirken; und es dürfe nicht zu einer Fragmentierung, sondern nur zu einer verstärk­ten Integration kommen. Österreich erachte es für besonders wichtig, dass dabei die Euro­päische Kommission eine wesentliche Rolle spielt und das Europäische Parlament eingebunden wird.

Was die Reform von Artikel 7 betrifft, liege nun auch ein Vorschlag der Europäischen Kommis­sion vor. Österreich habe im Sinne dieses seines besonderen Anliegens bei der letzten Regie­rungskonferenz – zusammen mit Italien – die Reform der Artikel 6 und 7 initiativ begonnen und aktiv unterstützt, weil die Einhaltung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit zu den Prioritäten und Konstanten der Innen- und Außenpolitik gehören würden.

Sowohl das Zustandekommen als auch die Beendigung der Sanktionen gegen Österreich hätten gezeigt, dass die bestehenden Vertragsinstrumente ein objektives, berechenbares und gerech­tes Verfahren nicht in dieser Form gewährleisten können. Für Österreich gehe es darum, im Sinne vorausschauender und präventiver Politik nicht erst auf eine tatsächliche Verletzung, son­dern schon auf die Gefahr einer solchen Verletzung im Vorfeld zu reagieren. Der von Belgien im Frühjahr eingebrachte Vorschlag sei unvollständig – da nur politisch gefasst und nicht sehr ver­rechtet –, sodass Österreich einen eigenen Vorschlag erarbeitet habe.

Der nunmehr von der Europäischen Kommission unterbreitete Vorschlag stimme mit dem öster­reichischen insofern überein, als er das Aufgreifen des Dialogs mit dem betroffenen Mitglied­staat vorsehe. Nach österreichischer Ansicht sollten darüber hinaus belegbare Tatsachen sowie eine Begründung vorliegen, und es sollte auch das Europäische Parlament eingebunden sein. Im Gegensatz zum belgischen Vorschlag sei aus österreichischer Perspektive vorgesehen, dass im Vorfeld einer Vertragsverletzung nur Empfehlungen ausgesprochen, nicht aber Maßnahmen verhängt werden können und dass dabei Angemessenheit sowie Verhältnismäßigkeit entspre­chend dem Tatbestand bestehen müssen. Österreich trete ferner dafür ein, das gesamte Ver­fahren der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs zu unterwerfen. Grundsätzlich begrüße Österreich daher den Vorschlag der Europäischen Kommission, wolle aber mehr von seinem eigenen Vorschlag einbringen.

In Bezug auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union führt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner aus, dass der Entwurf für diese Charta am 2. Oktober 2000 von dem vom Europäischen Rat eingesetzten Konvent verabschiedet wurde. In Biarritz werde darüber nicht inhaltlich diskutiert werden, sondern es werde vor allem die Frage angesprochen werden, ob von der Grundrechtscharta in Zukunft eine bindende Wirkung ausgehen soll. Es handle sich dabei um ein wesentliches Projekt für die Zukunft der Europäischen Union. Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner weist darauf hin, dass in dem Konvent persönliche Beauftragte der Staats- und Regierungschefs, Abgeordnete zum Europäischen Parlament und Abgeordnete zu den nationalen Parlamenten vertreten waren.

Grundsätzlich sei dieses Modell für interessant zu erachten, und es zeige sich daran, dass wirklich Transparenz und Bürgernähe in gewisser Form gelebt werde. Obwohl der Inhalt nicht perfekt und unangreifbar sei, sei mit diesem Entwurf doch ein bemerkenswertes Dokument ent­standen, in dem in integrativer Form Grundrechte, Freiheitsrechte, soziale Grundrechte und Rechte der Unionsbürger sowie dazu korrespondierende Verfahren angesprochen seien. Auch die Ausgestaltung der sozialen Grundrechte schätze Österreich als gelungen ein. Damit sei sichergestellt, dass maßgebliche Werte des europäischen Gesellschaftsmodells Eingang in diesen Grundrechtskatalog gefunden haben.

Aus österreichischer Sicht stehe die Frage der Rechtsverbindlichkeit im Mittelpunkt. Es stehe zu erwarten, dass im Rahmen des Gipfeltreffens von Nizza eine entsprechende politische Erklä­rung erfolgen und sich in einem darauf folgenden Verfahren die Möglichkeit ergeben werde, dass die Grundrechtscharta zur Basis einer künftigen Verfassung der Europäischen Union wird.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel berichtet, dass gemäß dem jüngst eingetroffenen Programm für die bevorstehende Ratstagung, dem so genannten „Hirtenbrief“, die Regierungs­konferenz das Hauptthema des ersten Tages bilden wird. Am Vormittag werde vor allem über die Frage der qualifizierten Mehrheiten und die Zusammensetzung der Europäischen Kommis­sion gesprochen werden; beim Mittagessen sei die Diskussion außenpolitischer Fragen vor­gesehen, insbesondere die Situation in Jugoslawien – die Teilnahme des neuen Präsidenten Koštunica sei vorgesehen – und die kritische Lage im Nahen Osten sowie, auf Grund eines Vor­schlags der Kommission, die Entwicklung der Benzin- und Dieselpreise; am Nachmittag werde die verstärkte Zusammenarbeit das Hauptthema bilden, und es werde auch über die Frage der Stimmgewichtung diskutiert werden.

Für den Samstag seien die Themen Grundrechtscharta und Artikel 7 sowie die Formulierung des Kommuniqués vorgesehen.

Im Mittelpunkt des Interesses werde voraussichtlich die Besprechung der Vorgangsweise für das Gipfeltreffen in Nizza stehen. Derzeit seien endformulierte Vorschläge der französischen Präsidentschaft zum Teil noch ausständig; deren Stellungnahmen seien teilweise massiv von den Vorarbeiten der portugiesischen Präsidentschaft abgewichen. In der Frage der Stimmge­wichtung zum Beispiel liege noch kein quantifizierbarer Vorschlag der jetzigen Präsidentschaft vor. Vorschläge einzelner Mitgliedstaaten seien derzeit offenbar nicht konsensfähig. Daher werde es in diesen heiklen Themen voraussichtlich erst einmal zur Abklärung der Eckpunkte möglicher Konsensbereiche sowie des „Follow-up“ kommen, weil für viele Bereiche auch in Nizza keine endgültige Klärung zu erwarten sei.

Eine wichtige Frage sei beispielsweise die weitere Vorgangsweise in der Diskussion einer euro­päischen Verfassung. Denn die Diskussion über die Grundrechtscharta sei nur dann sinnvoll, wenn diese als Kern einer späteren EU-Verfassung gewertet werde.

Besonders wichtig werde auch die Debatte über eine Aufgabenreform sein. Nur dann würden institutionelle Fragen wie die derzeit besprochenen überhaupt lösbar sein. Andernfalls würden sich die Verhandler im Dickicht der Machtinteressen oder der Individualinteressen einzelner Mit­gliedstaaten verheddern. Zuerst müsse die Debatte sozusagen wieder vom Kopf auf die Füße gestellt und geklärt werden, was überhaupt auf europäischer Ebene durchzuführen ist und welche Tätigkeitsbereiche im Sinne der Subsidiarität auf nationaler Ebene, auf Länder- oder Gemeindeebene verbleiben sollen.

Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich dagegen aus, für diese Debatte eine zweite Regie­rungskonferenz mit einem Zeithorizont bis ins Jahr 2004 zu installieren. So, wie es gelungen sei, eine Grundrechtscharta innerhalb eines halben Jahres außer Streit zu stellen, müsste es auch einen Weg geben, Vorschläge für eine Aufgabenreform im nächsten Jahr politisch außer Streit zu stellen, sodass deren Akkordierung vielleicht unter belgischem Vorsitz erfolgen könnte. Dies entspreche der Position Österreichs.

Immer noch offen seien die Fragen der Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union und der Zusammenlegung der diversen Säulen. So würde es weiterhin dabei bleiben, dass zum Beispiel Außenrepräsentant Solana nicht gemäß Gemeinschaftsrecht, sondern quasi intergouverne­mental „in ständiger Reibung mit der Kommission“ agiere. Notwendigerweise diskutiert werden müsse daher die Idee, dass die Institutionen intergouvernemental umgangen werden. De facto werde eine Änderung nur über Zusammenlegung des Drei-Säulen-Modells herbeigeführt werden können.

Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, er werde – zumindest parallel zur nicht verbindlichen Grundrechtscharta – noch einmal zur Diskussion stellen, ob die Europäische Union nicht als Ganze der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten sollte. Dies brächte den Vorteil eines rechtsverbindlichen Instruments für alle Seiten mit sich.

Weitere Fragen befassten sich mit einem Statut für die politischen Parteien, den Wahllisten für das Europäische Parlament, der Reform von Artikel 7 – die voraussichtlich auch in Nizza nicht „glatt über die Bühne gehen“ werde –, der Funktion des Europäischen Staatsanwalts für die Be­trugsbekämpfung und weiteren Bereichen der Ausdehnung der qualifizierten Mehrheit.

Auch die verfassungsrechtliche Vorgangsweise und Ratifizierung werde zu einer heiklen Frage werden. Wären für jeden einzelnen dieser Bereiche Verfassungsentscheidungen notwendig, die in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils eine Fülle von Diskussionen nach sich zögen, so käme es zu einer tiefgehenden Komplizierung dieses Prozesses. Frankreich scheine als Staat mit einer sehr heiklen Verfassungslage den Gedanken in Erwägung zu ziehen, ein anderes Ratifizie­rungsverfahren vorzusehen. Dies würde wiederum verfassungsrechtlich einige Probleme auch für Österreich aufwerfen.

In Biarritz werde – ohne in der Tagesordnung oder im „Hirtenbrief“ aufzuscheinen – vielleicht die Frage der Beitrittsstrategie zum ersten Mal angesprochen werden. Es müsse nämlich bald Klar­heit darüber geschaffen werde, ob es zu Gruppenbeitritten kommen solle – was eine Gefahr der Verlangsamung und Komplizierung des Beitrittsprozesses mit sich brächte – oder ob, entspre­chend österreichischen Vorschlägen, in einem dynamischen Prozess der individuelle Beitritt je nach den Voraussetzungen der Beitrittswerber vorgesehen werden solle. Würde die Diskussion über diese Frage erst in Nizza erfolgen, so käme es zu einem ungünstigen Zeitverlust.

Obmann Dr. Heinz Fischer spricht namens des Hauptausschusses den vier österreichischen Mitgliedern des Konvents zur Erarbeitung der Grundrechtscharta – Zweiter Präsident des Nationalrates a. D. Dr. Heinrich Neisser, Abgeordneter zum Nationalrat Dr. Caspar Einem, Abgeordneter zum Nationalrat Dr. Harald Ofner und Abgeordneter zum Europäischen Parlament Johannes Voggenhuber – besonderen Dank für ihre Arbeit aus.

An das Außenministerium richtet Obmann Dr. Fischer den Appell, sicherzustellen, dass jedes Dokument der Europäischen Union, das zum Gegenstand der Beratungen im Hauptausschuss wird – manchmal liege davon nur die erste, französische Fassung vor –, in deutscher oder englischer Sprache übermittelt wird.

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) dankt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner und Bundeskanzler Dr. Schüssel für die Berichte. Die SPÖ erwarte sich von dem Treffen in Biarritz zwar keine Entscheidungen, aber doch Vorentscheidungen zum Beispiel in der Frage der Grundrechtscharta.

Abgeordneter Dr. Einem bringt für die SPÖ einen Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeordneten Dr. Caspar Einem und Genossen betreffend die Regierungskon­ferenz zur Institutionellen Reform der Europäischen Union ein.

Was die Europäische Kommission betrifft, gebe es aus heutiger Sicht für einen kleinen Mitglied­staat keine andere Möglichkeit, als die Beibehaltung der Regelung, dass jeder EU-Staat einen Kommissär stellt, zu fordern. Der Prozess der Vertrauensbildung auf europäischer Ebene werde noch einige Zeit benötigen, sodass diese Forderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweifellos richtig sei.

In Bezug auf Stimmgewichtung und Sitzverteilung im Europäischen Parlament seien die Bera­tungen offenbar noch nicht sehr weit gediehen, sodass Festlegungen erst im letzten Moment in Nizza zu erwarten seien. Über rein technokratische Überlegungen zur Verbesserung der Effi­zienz der Entscheidungsfindung in Rat und Kommission hinaus erachte es die SPÖ für wesent­lich, sicherzustellen, dass die Transparenz der Entscheidungen auf EU-Ebene höher wird. Insbesondere müsse im Fall der Ausdehnung des Bereichs der Mehrheitsentscheidungen die demokratische Legitimation der Entscheidungen besser werden.

Das Einstimmigkeitsprinzip habe letztlich einen intergouvernementalen Charakter beibehalten, nämlich dass jeder Mitgliedstaat seine Interessen in der Europäischen Union mit seiner Stimme vertreten und nicht überstimmt werden könne. Für den Fall, dass in dieser Hinsicht ein Über­gang zur Mehrheitsentscheidung erfolgt, stelle sich die Frage danach, wie insbesondere die Repräsentanten der überstimmten Mitgliedstaaten die zu ihren Ungunsten ausgefallenen Ent­scheidungen zu Hause legitimieren sollen. Unter diesem Gesichtspunkt lege die SPÖ besonde­ren Wert darauf, dass nicht nur das Mitentscheidungsverfahren ausgebaut, sondern insgesamt die Position des Europäischen Parlaments gestärkt wird. Denn das EU-Parlament stelle die einzige demokratische Legitimation auf europäischer Ebene dar. Wesentlich sei daher die Ver­knüpfung der Frage der Ausweitung der Mehrheitsentscheidung mit einer verstärkten Einbin­dung des Europäischen Parlaments.

Aus Sicht der SPÖ sei die Flexibilität nicht nur ein Desiderat der europäischen Politik, sondern zugleich auch die Schattenseite des Übergangs zu vermehrten Mehrheitsentscheidungen. Die Neigung von überstimmten Mitgliedstaaten, Maßnahmen umzusetzen, die gegen ihren Wunsch beschlossen worden sind, werde sich in Grenzen halten. Im Interesse der Kohärenz der Europäischen Union müsse daher die Anbindung an eine demokratisch legitimierte Institution wie das Europäische Parlament verstärkt werden, weil sonst der Zusammenhalt der Union an dieser Stelle bedroht wäre.

Was Artikel 7 betrifft, wäre es sinnvoll, zu einem konkreten Abschluss zu kommen. Wenn Grundwerte der Union, wie sie im Artikel 6 des Vertrages festgelegt sind, verletzt werden, gehe es primär auch um die Verletzung von Menschenrechten, wie sie in der Europäischen Men­schenrechtskonvention niedergelegt seien. Daher erachte die SPÖ Maßnahmen, die man im Artikel 7 treffen könnte, für weniger hilfreich und aussichtsreich als solche, die allenfalls getrof­fen werden könnten, um die grundrechtliche Position des einzelnen Bürgers zu verstärken.

Dies sei mit ein Grund dafür, dass die europäische Grundrechtscharta in weiterer Folge unbe­dingt zu einem verbindlichen Instrument werden sollte. Es sei zu wünschen, dass sie in Nizza nicht im Status einer unverbindlichen Proklamation verbleiben wird. Allerdings werde dort kaum mehr als eine Proklamation möglich sein, um die Charta vor einem Scheitern zu bewahren. Jedoch werde eine Proklamation mit Zustimmung der Europäischen Kommission und des Euro­päischen Parlaments nicht möglich sein, wenn nicht ein klarer Fahrplan für die Weiterführung in Richtung einer verbindlichen, für den Einzelnen auch durchsetzbaren Grundrechtscharta ent­wickelt werde. Denn nur dadurch werde die entsprechende Attraktivität beim Bürger erreichbar sein.

Auch nach Ansicht der SPÖ wäre es abzulehnen, den Prozess, der auf eine europäische Ver­fassung abzielt, auf eine nächste Regierungskonferenz zu verschieben. Der Versuch, eine Verfassung zu finden, müsste auch vom Flair des allumfassenden Regelungswerkes befreit werden, da sich sonst manche Mitgliedstaaten daran gehindert sehen könnten, an dieser Arbeit konstruktiv mitzuwirken. Erforderlich sei eine klare Aufzählung der Kompetenzen, die der Europäischen Union zukommen, gegenüber denjenigen, die den Mitgliedstaaten verbleiben sollen. Insofern gehe es um eine Klärung der Rechtsverhältnisse zwischen Union und Mitglied­staaten. Dieses Ziel würden auch verfassungskritische Mitgliedstaaten wie etwa das Vereinigte Königreich nicht wirklich ablehnen können. Die auf den Rat von Tampere zurückgehende Arbeitsmethode – mit dem Konvent, der jetzt die Grundrechtscharta ausgearbeitet hat – sei allenfalls auch geeignet, eine entsprechende Verfassungsarbeit in einer vernünftigen Frist zu leisten.

Abgeordneter Dr. Einem regt schließlich eine Ergänzung im Artikel 191 – betreffend die Tätigkeit politischer Parteien in Europa – des EU-Vertrags an. Diese Änderung ziele darauf ab, sicher­zustellen, dass künftig nur dann Geldflüsse an die europäischen Parteien erfolgen sollen, wenn ihre Aufgaben und Funktionen in der entsprechenden Bestimmung des Artikels 191 klar festge­legt sind.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass vom Abgeordneten Dr. Einem zwei Anträge auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e vorliegen, der eine betreffend die Regierungskonferenz zur Institutionellen Reform der Europäischen Union, der andere betreffend die Charta der Grund­rechte der Europäischen Union.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) führt aus, dass bei Beibehaltung des Prin­zips „Jedem Land ein Kommissar“ und bei künftigem Verzicht der fünf großen Mitgliedstaaten auf ihren jeweiligen zweiten Kommissar aller Vorausschicht nach das Gegengeschäft in einer Veränderung der Stimmgewichtung zugunsten der Großen bestehen wird. Dies werde nicht ver­hindert werden können.

Deshalb sei es besonders notwendig, dass Österreich, wie im Regierungsübereinkommen vorgesehen, auf Beibehaltung der Einstimmigkeit in allen wesentlichen Bereichen beharrt. Dies betreffe insbesondere die Punkte Umwelt, Verkehr, Visa und Asyl, Außenhandelspolitik, Struktur- und Kohäsionsfonds. Dies sei eine Position, über die es aus österreichischer Sicht nichts zu diskutieren geben sollte, zumal im Hinblick darauf, dass nunmehr offensichtlich von allen im österreichischen Parlament vertretenen Parteien die Erstellung eines Kompetenz­katalogs gefordert werde.

Im Gegensatz zur Meinung des Abgeordneten Dr. Einem sei es nicht sinnvoll, das Europäische Parlament zu stärken, bevor ein solcher Kompetenzkatalog existiert. Bis dahin sollte versucht werden, in allen diesen Bereichen die Einstimmigkeit zu verteidigen. Erst wenn es soweit sein werde, werde unter Umständen über eine entsprechende Stärkung des Europäischen Parla­ments nachgedacht werden können.

Abgeordneter Mag. Schweitzer weist auf einen Bericht hin, der von an der Ausarbeitung der Grundrechtscharta beteiligten Österreichern erstattet worden sei und aus dem deutlich hervorgehe, dass besonders in der Schlussphase die Arbeit dort nicht mehr sehr demokratisch verlaufen sei. Diskussionen seien willkürlich abgebrochen, die jeweiligen Entwürfe durch das Präsidium nicht mehr transparent dargestellt worden. Vor allem sei in drei „Kurien“ – wie Dritter Nationalratspräsident a. D. Dr. Brauneder es genannt habe – debattiert worden, nämlich jeweils unter den Vertretern der staatlichen Parlamente, den Vertretern der Mitgliedsregierungen und den EU-Vertretern; diese seien mehr oder weniger nur noch beratend tätig und in die endgültige Beschlussfassung nicht mehr eingebunden gewesen.

Kritik sei insbesondere am fehlenden Minderheitenschutz geübt worden. Die Artikel 21 und 22 würden keinen echten Minderheitenschutz mehr darstellen, sondern hätten bloße Alibifunktion und entsprächen nicht dem Standard der meisten Verfassungen. Zwar sei der fehlende Minder­heitenschutz von vielen teilnehmenden Staaten kritisiert worden, und es habe auch der Wunsch nach einer entsprechenden Festschreibung bestanden, aber offensichtlich sei es – außer Österreich auch Deutschland, Großbritannien, Finnland und dem Beitrittswerber Ungarn – nicht gelungen, dieses Vorhaben zu verwirklichen, weil sich vor allem Frankreich und Spanien gegen die Aufnahme eines echten Minderheitenschutzes in die Grundrechtscharta gewehrt hätten.

Abgeordneter Mag. Schweitzer spricht sich dafür aus, diese Frage noch einmal zu diskutieren.

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne) bemängelt eingangs ihrer Stellungnahme, dass Bundeskanzler Dr. Schüssel und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner zwar mündliche Be­richte erstattet haben, aber dem Hauptausschuss keine schriftlichen Unterlagen über die Positionen der österreichischen Bundesregierung in Bezug auf das Gipfeltreffen von Biarritz zur Verfügung gestellt haben. Für eine konstruktive Vorarbeit und eine weiterführende Debatte wäre es sinnvoll, entsprechende Dokumente vorzulegen. Diese nunmehr wiederholt vorgebrachte An­regung der Grünen möge in Zukunft aufgegriffen werden, damit die Abgeordneten nicht auf Zeitungsmeldungen und Presseaussendungen – wie jene der ÖVP vom Vortag – angewiesen wären.

Was die Regierungskonferenz und die zuvor erhobene Forderung nach Beibehaltung der Ein­stimmigkeit in wichtigen Punkten betrifft, bestehe der Standpunkt der Grünen darin, dass es sehr wohl Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit geben solle, zwar nicht in den grund­legenden Bereichen der Europäischen Union – also in Bezug auf die Verfasstheit –, wohl aber in anderen Bereichen, um eine Erweiterung der Möglichkeiten zu schaffen, manche für Österreich wichtige Punkte mit anderen Mitgliedstaaten gemeinsam vorzubesprechen und umzusetzen. Einstimmigkeit müsse es weiterhin nur dort geben, wo es um die Verfasstheit der Europäischen Union insgesamt gehe. In den anderen Bereichen wäre es sehr wohl sinnvoll, zu qualifizierten Entscheidungen überzugehen.

Sinnvoll sei es nach Ansicht der Grünen auch, dass weiterhin jeder EU-Staat ein Mitglied in die Europäische Kommission entsendet. Es sei jedoch nicht wünschenswert, dass Österreich, um weiterhin einen Kommissar zu stellen, bei der Stimmgewichtung stärker nachgibt. Es dürfe nicht zu einem Kippen der Stimmgewichte und einer viel stärkeren Präsenz der großen Mitglied­staaten als bisher kommen.

Abgeordnete Mag. Lunacek spricht sich vehement dafür aus, dass die Regierungskonferenz nicht in Nizza beendet wird. Auch um eine weitere Verzögerung der Erweiterung zu verhindern, müsse ein Zeitplan dafür aufgestellt werden, wann die restlichen offenen Fragen einer Lösung zugeführt werden. Es gehe darum, ein für die Beitrittskandidaten ungünstiges Signal zu ver­meiden.

Dem Antrag der SPÖ zur Regierungskonferenz werde die grüne Fraktion die Zustimmung erteilen, obwohl sie in einzelnen Punkten tendenziell andere Auffassungen vertrete.

In Bezug auf die Grundrechtscharta äußert Abgeordnete Mag. Lunacek ihr Erstaunen darüber, dass es im Vorfeld dieser Sitzung des Hauptausschusses nicht möglich war, einen gemein­samen Antrag mit der Forderung nach Rechtsverbindlichkeit dieser Charta durchzubringen. Dies stehe im Widerspruch zu dem, was von Regierungsmitgliedern sowohl in dieser Sitzung als auch in der Vergangenheit zu hören gewesen sei, und es komme darin zum Ausdruck, dass es trotz anders lautender Absichtserklärungen am politischen Willen zur konkreten Umsetzung mangle.

Aus diesem Grund bringe die Fraktion der Grünen einen eigenen Antrag auf Stellungnahme gemäß § 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Dr. Evelin Lichtenberger betreffend die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein. Es gehe darum, für diese Charta Rechtsverbindlichkeit zu schaffen, ein Zugangsrecht zum Europäischen Gerichtshof bei Verletzung dieser Rechte zu eröffnen und ausgehend von der Grundrechtsdebatte einen europäischen Verfassungsprozess einzuleiten. Im Einzelnen möge die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Recht zu streiken, das Recht auf gerechte Entlohnung und das Recht auf ein Mindesteinkommen garantiert wird, dass das Asylrecht als Menschenrecht in der Charta verankert wird, dass ein Grundrecht auf eine gesunde Umwelt Eingang in die Charta findet und dass sie Menschen, die Minderheiten angehören, individuellen Schutz gewährt.

Zwar finde der Vorschlag von Bundeskanzler Dr. Schüssel, dass die Europäische Union der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten könnte, die Unterstützung der Grünen, aber dies dürfe nicht bedeuten, dass dadurch keine Verbindlichkeit der Grundrechtscharta zustande käme. Das eine ohne das andere wäre nicht sinnvoll.

Abgeordneter Dr. Werner Fasslabend (ÖVP) sieht die gegenwärtige Phase der europäischen Politik durch eine grundlegende Weichenstellung gekennzeichnet. Die Erweiterung der Euro­päischen Union auf 28 Mitgliedstaaten bedeute den Übergang von einer europäischen Partialge­meinschaft in eine gesamteuropäische Dimension. Wichtiger als alle Detailfragen über Kommis­sare, Stimmgewichtung und so weiter sei, wie von Bundeskanzler Dr. Schüssel bereits an­gesprochen, die Frage der grundsätzlichen Aufgabenteilung in Europa. Es werde darauf ankommen, was in Zukunft Aufgabe der Nationalstaaten und was Aufgabe der Gemeinschaft – insbesondere der Kommission, ihres wichtigsten Organs – sein werde.

Die intergouvernementale Zusammenarbeit habe in letzter Zeit sehr starken Auftrieb erhalten, sie berge jedoch Risiken in sich, die nicht zu unterschätzen seien. Es bestehe die Gefahr eines Rückschritts, möglicherweise gar ins 19. Jahrhundert, würde es zu einer Fortsetzung dieser Art von Politik kommen und auf der anderen Seite eine adäquate Ausstattung der Europäischen Kommission unterbleiben.

Es werde darauf ankommen, noch viel mehr Energie auf die Diskussion der einzelnen Auf­gabenstellungen zu verwenden. Alle anderen Fragen würden in Ableitung von dieser Frage zu erörtern sein.

Abgeordneter Dr. Fasslabend weist darauf hin, dass es im Zusammenhang mit der Frage der Entscheidungsfindung durch Einstimmigkeit oder Mehrheitsentscheidung auch um die vitalen Interessen der Mitgliedstaaten geht, also aus österreichischer Sicht etwa um Fragen des Wassers, des Verkehrs, der nuklearen Sicherheit oder des Flüchtlings- und Asylwesens; davon sei Österreich unmittelbar betroffen.

Auch in einer amerikanischen Untersuchung sei festgestellt worden, dass es auf die innere Akzeptanz der Europäischen Union durch die Bürger ankommen werde. Diese innere Akzeptanz werde nur dann erreichbar sein, wenn auf die vitalen Interessen Rücksicht genommen werde. Andernfalls käme es längerfristig zu einer noch viel stärkeren Diskrepanz im Bewusstsein der Menschen als bisher.

Abgeordneter Dr. Fasslabend erachtet den Ansatz, dass die Europäische Union der Euro­päischen Menschenrechtskonvention beitritt, für sehr gut. Am Österreichischen Verfassungstag habe eine intensive Diskussion über die Grundrechtscharta stattgefunden, und dort seien starke Bedenken in rechtlicher Hinsicht geäußert worden – nicht nur hinsichtlich der österreichischen Situation, sondern auch in Bezug auf die Beitrittswerber –, darauf lautend, dass ein Doppel­standard geschaffen werden könnte, wenn die Rechtsverbindlichkeit bereits jetzt einträte.

Es sei daher ratsam, in der weiteren Vorgangsweise davon auszugehen, dass in der Grund­rechtscharta die Werte einer Rechtsgemeinschaft Europas zum Ausdruck gebracht werden. Es wäre gut und richtig, sie als gemeinsames Werk zu betrachten und zu übernehmen.

Diffiziler stelle sich die Frage der Rechtsverbindlichkeit dar. In dieser Hinsicht sollte Österreich akzeptieren, dass noch nicht von einem kurzfristigen Abschluss des Diskussionsprozesses aus­gegangen werden könne.

Mit Bezug auf die gegenwärtige Lage im Nahen Osten äußert Abgeordneter Dr. Fasslabend sein Erstaunen darüber, wie stark die Situation dort habe umschlagen können, nachdem noch vor kurzem beinahe eine Friedensregelung zwischen Israelis und Arabern zustande gekommen wäre. Zwar müsse gerade jemand, der in Österreich lebt, in dieser sensiblen Angelegenheit be­sonders zurückhaltend sein, doch gebe es nichtsdestoweniger Anlass zum Entsetzen, wenn es möglich sei, dass eine Diskussion damit endet, dass 23 Menschen von der Polizei erschossen werden und daraus insgesamt eine Aktion der Gewalt entsteht, wie sie hierzulande unvorstellbar sei. Aus solchen Humanitätsfragen dürfe sich die Europäische Union nicht heraushalten, dieser Dimension komme Bedeutung zu.

Abgeordneter Dr. Fasslabend fragt Bundeskanzler Dr. Schüssel und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner, wie sie die Auswirkungen des Abtritts von Milošević auf Österreich ein­schätzen und wie sich die Beziehungen der Europäischen Union zu Jugoslawien in den nächsten Monaten voraussichtlich darstellen werden.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) ruft in Erinnerung, welche Rolle Österreich in den siebziger Jahren im Rahmen des Nahost-Konfliktes habe spielen können. Eine solche Rolle könne Öster­reich derzeit anscheinend nicht spielen, und dies stelle einen Anlass dar, darüber nachzuden­ken, was für eine Rolle ein Land wie Österreich künftig überhaupt erfüllen könne. Möglicher­weise seien jetzt, da in globalen Konflikten Ebenen wie die Vereinigten Staaten von Amerika, die Europäische Union oder die UNO gefordert seien, die Zeiten vorbei, in denen ein Land wie Österreich sich als Plattform oder als Gesprächspartner habe anbieten können. Abgeordneter Dr. Cap fragt, ob bereits eine Grundsatzdebatte über die künftige Rolle Österreichs in Gang gekommen sei.

Der vorangegangene Bericht von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner über die Institutionen­reform sei ein zwar nicht resignativer, aber sehr defensiver Bericht gewesen, weil darin ununter­brochen die Rede davon gewesen sei, wo überall sich Österreich nicht habe durchsetzen können. Auch der Bericht von Bundeskanzler Dr. Schüssel habe einen die Probleme und Themen nur beschreibenden Charakter gehabt. Beide Male sei nicht herauszuhören gewesen, worin eigentlich der große Entwurf und das langfristige Ziel der Bundesregierung bestünden.

Da immer wieder Anspielungen auf ein französisch-deutsches Direktorium zu vernehmen seien, müsse darauf hingewiesen werden, dass im Zuge der Französischen Revolution das Direkto­rium die Zwischenphase zwischen Wohlfahrtsausschuss und Napoleon – somit also „keine Kleinigkeit“ – gewesen sei. Auch von daher eröffne sich ein Anlass zu einer Grundsatzdebatte darüber, wie sich Österreich künftig gegenüber Berlin und Paris zu verhalten habe.

Abgeordneter Dr. Cap fragt, ob Österreich nicht in die Lage geraten könnte, dass es zwar einen Kommissar in die Europäische Kommission entsendet, dieser aber dort letztlich nur formal diese Funktion erfüllt. Dies scheine sich auch von dem Hintergrund her zu definieren, welche Rolle Österreich spiele und wie es um seine Bündnisfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit bestellt sei.

Eine weitere Frage stelle sich im Hinblick auf die unterschiedliche Qualifizierung von verstärkter Zusammenarbeit – auf der einen Seite, was die Sicherheitspolitik betrifft, auf der anderen Seite hinsichtlich der anderen Bereiche. Aus den Ausführungen der Regierungsmitglieder sei heraus­zuhören gewesen, dass eine unterschiedliche Qualität von Zusammenarbeit definiert werde.

Nach allfälliger Ergänzung von Artikel 7 des EU-Vertrages und Einführung eines entsprechen­den Regelungsmechanismus sowie nach klarer Formulierung eines Grundwertesystems werde es darauf ankommen, die Durchsetzung oder Rechtsverbindlichkeit dieses Wertesystems klar­zustellen. Entscheidungen über allfällige Sanktionen würden auch künftig nicht ganz frei davon bleiben, welches Land jeweils davon betroffen sei. Dass es sich dabei auch um eine Frage der Kräftebalancierung handle, habe sich etwa bereits daran gezeigt, in welcher Weise ein Umberto Bossi anders als andere Rechtspopulisten in Europa definiert worden sei – offenbar in Abhängigkeit von der deutlich höheren Einwohnerzahl in Italien.

Wiederum ergebe sich die Frage, welche Rolle Österreich in diesem Netzwerk spielen wolle und wie es eine größtmögliche Durchsetzung seiner Ziele erreichen könne. Abgeordneter Dr. Cap gibt seinem Zweifel daran Ausdruck, dass dies überhaupt werde gelingen können in Zusam­menarbeit mit einer Partei, die eigentlich die Re-Nationalisierung und Destabilisierung der Euro­päischen Union anstrebe und grundsätzlich, wenngleich unausgesprochen, an diesem Projekt der Europäischen Union zweifle.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche) äußert sich erschüttert über die Krisensitua­tion und die Vorkommnisse in Israel. Tag für Tag komme es dort dazu, dass Kinder, die zwischen die Fronten geraten, von Soldaten vorsätzlich erschossen werden. Diese Lage könne einem nicht gleichgültig sein, insbesondere bei Abwägung der Situation, die das israelische Volk im Rahmen seiner Geschichte auch durch Österreicher erlitten habe. Es könne auch nicht egal sein, unter welchen Spannungen die israelischen Soldaten stünden, sodass sie überhaupt zu solchen Taten fähig seien. Der Frieden sei jetzt weiter entfernt als noch vor wenigen Wochen, denn solche Entgleisungen seien nur vorstellbar unter der Voraussetzung, dass der innere Druck und die inneren Mechanismen eine an und für sich gute, in der Vergangenheit immer korrekt agierende israelische Armee in eine solche Notsituation bringe.

Die bisherigen Maßnahmen, auch die Einbeziehung von UNO-Generalsekretär Annan, hätten bisher keinen entscheidenden Fortschritt gebracht. Die dritte oder bereits vierte Frister­streckung, das Unheil, das jeden Tag auf den Straßen Israels, des Gaza-Streifens und des Westjordanlands geschehe, müsse auch in Österreich stutzig machen.

Was die vom Abgeordneten Dr. Cap angesprochene neue Rolle Österreichs betrifft, sei zu be­achten, dass die Voraussetzungen jetzt sicherlich schlechter als noch vor einigen Jahren seien. Denn es müsse in Betracht gezogen werden, dass Israel keinen Botschafter nach Österreich entsandt hat, und zudem sei Österreich in der außenpolitischen Diskussion in Europa derzeit noch immer nicht wieder voll handlungsfähig.

Hinsichtlich der Lage auf dem Balkan fragt Abgeordneter Mag. Haupt, wodurch es zu begründen wäre, im neuen serbischen Staatspräsidenten Koštunica auf einmal keinen Nationalisten und Militaristen mehr, sondern ein demokratischeres Element der Neugestaltung zu sehen. Wer die Berichte über Serbien während der letzten zwei Jahre verfolgt habe, habe Koštunica immer auf der schärferen Seite des Nationalismus angesiedelt gesehen. Bei allen militärischen Demonstra­tionen sei er an vorderster Front, in archaischer Auffassung zu sehen gewesen. Die Zweifel an der Weiterentwicklung Koštunicas würden derzeit überwiegen, neben Vertrauen sei auch Vor­sicht geboten.

Dem serbischen Volk sei zu gönnen, dass es unter den nunmehr aufgehobenen Sanktionsbe­stimmungen einen entsprechenden Anteil am Fortschritt in Europa und eine Stabilisierung seiner sozialen Lage erleben könne. Doch dürfe auch bei den Gesprächen in Biarritz nicht vergessen werden, dass sich unter Umständen ein Wolf im Schafspelz auf den neuen Weg nach Europa mache. Koštunicas Aktionen im Zusammenhang mit der autonomen Republik Montenegro würden Anlass zu besseren Vorkehrungen und mehr Fürsorge geben.

Angesichts von Geschehnissen wie den jüngst gescheiterten ersten Verhandlungen unter den Parteien in Jugoslawien sollte es vielleicht das vordringlichste Ziel der Europäischen Union sein, in Serbien von außen kontrollierte Wahlen durchzuführen, damit alle daran teilnehmenden Gruppierungen in demokratischer Weise Berücksichtigung finden, sodass die Wahlen nicht, wie in der Vergangenheit, ein vordergründiges Placebo bleiben könnten.

Für die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sei es eine entscheidende Angelegen­heit, dass darin die Frage der Volksgruppenrechte nicht enthalten sei. Zwei große Mitglied­staaten, nämlich Frankreich und Spanien, seien in dieser Hinsicht stark „auf der Bremse gestan­den“. Österreich solle darauf dringen, dass in der Grundrechtscharta ein entsprechendes Volks­gruppenrecht verankert wird. Abgeordneter Mag. Haupt fügt hinzu, ohne ein Volksgruppenrecht wäre die Verbindlichkeitserklärung der Charta der Grundrechte geringer einzuschätzen als der Beitritt aller EU-Staaten zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Es komme darauf an, zu verhindern, dass der Rechtsweg wegen nicht vorhandener Grundrechte für Angehörige von Volksgruppen zu einem Irrweg wird.

Österreich möge daher in Biarritz noch einmal verstärkt die Frage der fehlenden Grundrechte für Volksgruppen zur Sprache bringen. Österreich habe auch das Recht dazu, da ihm von drei Experten der Europäischen Union vorbildliches Verhalten in diesem Bereich attestiert wurde, und zwar in höherem Ausmaß als vergleichbaren europäische Staaten oder auch dem Mitglied­staat, der derzeit die Präsidentschaft innehat.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) spricht sich gegen die Auffassung aus, dass Österreich im gegenwärtigen Konflikt in Israel keine oder nur eine geringe vermittelnde Rolle spielen könne oder wolle, weil Israel keinen Botschafter nach Österreich entsandt hat.

Was die Frage der Volksgruppen betrifft, sei klar, dass man dann, wenn es automatisch und selbstverständlich nur um ethnisch definierte Minderheiten gehe, zu Schlussfolgerungen wie Abgeordneter Mag. Haupt komme. Aber dies sei nicht zulässig, und es sei auch nicht richtig für die Weiterentwicklung innerhalb der Europäischen Union, eben weil es um die Rechte von Volksgruppen gehe. Die Südtiroler als deutschsprachige Minderheit innerhalb Italiens hätten zu genau diesem Kapitel eine sehr differenzierte Haltung vertreten, die dem Abgeordneten Mag. Haupt zur Lektüre zu empfehlen sei. Es reiche nicht aus, sich auf ein Kollektiv-Volks­gruppenthema zu beschränken, wenn es um individuelle Schutzrechte gehe, ja gehen müsse.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger ersucht Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner, einige Klarstel­lungen über die Prioritäten ihres weiteren Agierens im Rahmen der Regierungskonferenz vorzu­nehmen. Denn die gesamte EU-Reform werde letzten Endes auf eine Debatte hinauslaufen, in der es auf eine Entscheidung zwischen Stimmgewichtung und Kommissarsfunktion ankommen werde. Abgeordnete Dr. Lichtenberger vertritt die Auffassung, dass langfristig die Stimmge­wichtung eine derart zentrale Frage sein werde, dass sie nicht zugunsten der Aufrechterhaltung eines österreichischen Kommissars – der insbesondere für das Marketing und die Vermittlung eine wichtige Rolle spiele – vernachlässigt werden dürfe.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger fragt, welche Rolle der Rat der Regionen – außer jener einer Verstärkung des konservativen Stimmgewichts innerhalb der Europäischen Union – für die Regionen selbst spielen solle.

Eine Präzisierung sei auch im Hinblick auf einen bestimmten Abschnitt in dem Dokument über die Vorbereitung des Außenministerrates erforderlich. Demnach sei im Bereich Sicherheit und Verteidigung die mögliche Zweckmäßigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit von mehreren Delegationen in Erwägung gezogen worden, neben Österreich auch von Schweden und Finn­land. Es stelle sich die Frage, ob diesem Ansatz nach die Kerneuropa-Debatte vor allem über die Verteidigungspolitik betrieben werden solle. Aus den derzeit vorliegenden Dokumenten sei die entsprechende österreichische Position nicht erkennbar.

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) stellt fest, es werde sowohl in Biarritz als auch in Nizza darum gehen, die Europäische Union erweiterungsfähig zu machen. Dazu solle Öster­reich einen deutlichen Beitrag leisten. Den Stellungnahmen einiger, vor allem größerer Mitglied­staaten zufolge scheine die Erweiterungsfähigkeit nur dann erreichbar zu sein, wenn sie selbst mehr Einfluss in den Institutionen hätten und ein größeres Stimmgewicht bekämen. Dies aber scheine der Zielsetzung tatsächlich entgegenzustehen. Denn die Europäische Union habe jetzt viele Jahre lang funktioniert mit dem proportionalen Stimmrecht, das die kleineren Staaten eher bevorzuge und die Vertretung aller Mitgliedstaaten in den Institutionen vorsehe, sodass kein Grund zu einer Änderung bestehe. Deshalb solle Österreich darauf dringen, in allen Institutionen vertreten zu bleiben, und sich dafür einsetzen, dass die auf Partnerschaft beruhende Mitbestim­mungsmöglichkeit eingehalten wird.

Die hinsichtlich der Grundrechtscharta jetzt eingeschlagene Zielrichtung, ihr zwar keine Verbind­lichkeit einzuräumen, sie aber zur Grundlage einer europäischen Verfassung zu machen, sei nicht ungefährlich. Käme es auf Grund dieses Entwurfs zu einer europäischen Verfassung mit Rechtsverbindlichkeit für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so entstünde eine Parallelität zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die darin gipfeln könnte, dass manche Bestimmungen ähnlich formuliert werden. Es könnten zum Beispiel Bestimmungen zum fairen Verfahren in der EMRK, zu denen eine bestimmte Rechtsprechung bestehe, in der Charta ein wenig anders formuliert sein. Damit bestünde die Möglichkeit, dass ein Bürger, der beide Ge­richtshöfe anruft, zwar in Luxemburg, nicht aber in Straßburg Recht bekäme. Dies wäre eine Entwicklung, die nicht befürwortet werden könnte. Daher sollte noch einmal versucht werden, die EMRK für die Europäische Union rechtsverbindlich zu machen. Allerdings sei klar, dass die damit entstehende Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union noch schwierigere Fragen nach sich zöge.

Abgeordneter Dr. Spindelegger spricht sich dafür aus, im Zuge einer neuerlichen Debatte über die Aufgabenverteilung in der Europäischen Union auch über die gemäß Artikel 175 beste­henden Möglichkeiten zur Gemeinsamkeit bei Bodennutzung, Raumordnung und Nutzung der Wasserressourcen zu diskutieren, um zu klären, was die EU in diesen Fragen wirklich verbind­lich für alle feststellen solle. Eine von Brüssel aus vorgenommene, für alle Mitgliedstaaten ver­bindliche Regelung von Raumordnungsfragen wäre eine Aufgabe, die der EU nicht zukäme. Es sei schon schwierig genug, solche Entscheidungen innerhalb eines Nationalstaates und der dortigen Regionen zu treffen. Im Sinne einer Aufgabenentflechtung in der Europäischen Union könnte diese Aufgabe wieder aus ihrem Kompetenzkatalog gestrichen werden.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel stellt fest, es bestehe hier Konsens aller Fraktionen darüber, dass die Diskussion über eine Aufgabenreform in der Europäischen Union sofort in Angriff genommen werden müsse. Dieses Anliegen müsse neu eingebracht werden, da es nicht Thema der jetzigen Regierungskonferenz sei.

Aus grundsätzlichen Erwägungen müsse Österreich auf dem Recht jedes Mitgliedstaates beste­hen, in jeder Institution der Europäischen Union vertreten zu sein. Dies sei nicht nur eine Frage der Taktik. Es könne nicht immer gleichwertige Portfolios oder Kompetenzen geben. Manchmal hätten kleine Länder bereits den Kommissionspräsidenten gestellt, oder es hätten große Länder über nur kleine Portfolios verfügt, so etwa Deutschland, da es jahrelang sehr geringe Kompe­tenzen gehabt habe und auch heute, quantitativ gesehen, noch nicht stark vertreten sei.

Der Kommissionspräsident solle darüber entscheiden, wie die Kommission intern ihre Arbeit verteilt, wer Vizepräsident wird uns so weiter. Das solle nicht im „Bargaining“ der Mitgliedstaaten enthalten sein. Bundeskanzler Dr. Schüssel stellt fest, er verwahre sich dagegen, dass jetzt Gesslerhüte aufgestellt werden, die in niemandes Interesse sein könnten und auch nicht durch­setzbar seien. Es habe keinen Sinn, eine Diskussion über etwas abzuführen, von dem man wisse, dass es nicht durchsetzbar sei. Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich dafür aus, dass jedes Land einen Kommissar nominiert und dass es nach Zustimmung des Kommissions­präsidenten der Kommission obliegt, die Kompetenzverteilung untereinander auszumachen.

Im Zusammenhang mit der Erweiterung werde die Stimmgewichtung neu zu definieren sein, und dafür seien bereits verschiedene Modelle vorgeschlagen worden. Es sei klar, dass Österreich bei einer erweiterten Union nicht genau jenes Gewicht behalten könne, das es jetzt habe. Da werde es eine gewisse Flexibilität geben müssen.

Bundeskanzler Dr. Schüssel erteilt Kompromissen eine Absage, die darauf hinausliefen, dass Österreich „Junior-Kommissare“ oder das Kommissionsmodell bei der Stimmgewichtung akzep­tieren würde. Dies wäre für Österreich nicht gut. Über diesen Bereich werde noch sehr viel zu diskutieren sein, für Biarritz sei keine Lösung dieser Probleme zu erwarten.

Bundeskanzler Dr. Schüssel stellt klar, dass jeweils alle Fraktionen alle Dokumente über die österreichischen Positionen bekämen, über den gesamten Diskussionsverlauf und über alles, was von österreichischen Vertretern eingebracht werde, gleichgültig ob auf Ebene von Experten, Botschaftern oder Ministern. Manchmal verzögere sich die Übersetzung von Dokumenten, und in diesen Fällen wolle die Bundesregierung die authentische Übersetzung der EU-Institutionen abwarten. Sobald die Dokumente vorlägen, hätten die Fraktionen selbstverständlich das Recht, die Informationen eins zu eins zu bekommen.

Was die Grundrechtscharta betrifft, seien zwar alle in Österreich dafür, sie für verbindlich zu erklären. Aber auf Grund des bisherigen Diskussionsverlaufs sei klar, dass dieser Wunsch nicht konsensfähig sei. Es habe keinen Sinn, in einer verbindlichen Stellungnahme etwas festzu­schreiben, was für die österreichische Bundesregierung ohnehin selbstverständlich sei. Sie werde sowieso verlangen und beantragen, dass die Charta rechtsverbindlich wird. Aber es sei auf Grund der Position mancher Mitgliedstaaten heute schon bekannt, dass dieses Ziel nicht durchsetzbar sein werde. Daher brauche nicht etwas beschlossen zu werden, was so nicht kommen werde.

Österreich trete für die volle Verankerung der Volksgruppenrechte in der Grundrechtscharta ein. Eine solche Regelung sei im letzten Augenblick hinausreklamiert worden.

Mit der Formulierung über die Pressefreiheit sei er – Schüssel – nicht glücklich, sondern stehe voll auf der Seite des Verbandes Österreichischer Zeitungsherausgeber. Er wisse allerdings, dass wichtige Länder, die sich in der Frage der Sanktionen gegen Österreich mit den angeb­lichen europäischen Werten besonders hervorgetan hätten, in diesem Punkt, wo es um die Substanz gehe, besonders kritisch und zurückhaltend seien. Da werde mit einer unglaublichen Scheinheiligkeit und mit doppelten Maßstäben diskutiert – das müsse zumindest vor dem Haupt­ausschuss offen ausgesprochen werden. Gemessen daran sei Österreich jenes Land, das – würde es sich dabei um sportliche Veranstaltungen handeln – mit Sicherheit in den Medaillen­rängen und keineswegs weit abgeschlagen landen würde. Daher möge nicht in einer Sache, die für alle Fraktionen in Österreich selbstverständlich sei, ein unnötiger parteipolitischer Streit geführt werden.

In Bezug auf die verstärkte Zusammenarbeit spricht sich Bundeskanzler Dr. Schüssel dafür aus, das Veto aufzugeben, weil es sinnlos sei. Aber wenn es dazu käme, müsste trotzdem zumindest die Mehrheit der Mitgliedstaaten dabei sein, ja eher noch mehr. Wenn man dies nicht haben wolle, müsse darunter liegend etwas vorhanden sein, das mehr Sicherheit bieten könnte.

Entsprechend stelle sich auch der Inhalt der Antwort auf die Frage zur Verteidigung dar. Die Verteidigungs- und Sicherheitsdimension der Europäischen Union sei eine so wichtige Frage, dass sie nicht in den Bereich der verstärkten Zusammenarbeit eingegliedert werden sollte. Viel­mehr komme es darauf an, dass Österreich in allen Bereichen voll teilnehmen könne. Bundes­kanzler Dr. Schüssel stellt fest, er wolle nicht ausgeschlossen sein oder abseits stehen, wenn die Europäische Union international Frieden und Sicherheit garantiere. Dazu müsse es auch einen österreichischen Beitrag geben. So, wie sich Österreich im Rahmen der Vereinten Nationen in Peace-keeping und Peace-enforcement einbringe, werde dies selbstverständlich auch innerhalb der Europäischen Union sein. Dafür werde es in der Union auch quantitative Ziele geben, und Österreich arbeite intensiv daran mit. Dies sei die Absicht, und es bleibe zu hoffen, dass letztlich alle Fraktionen dabei mitgehen werden.

Was den Ausschuss der Regionen betrifft, sei – im Gegensatz zur Meinung der Abgeordneten Dr. Lichtenberger – die Parteipolitik das letzte Argument, das eine Rolle spielen dürfe. Dass heute zufällig im Rat eine sozialdemokratische Mehrheit und im Ausschuss der Regionen eine christdemokratische oder konservative Mehrheit bestehe, könne angesichts der grundsätzlichen Frage, dass die Regionen für alle wichtig seien, kein wirkliches Argument sein. Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, auch wenn heute die Europäische Kommission zu zwei Dritteln von Sozialdemokraten und Liberalen gebildet werde, sei er dafür, dass diese Kommission nicht geschwächt wird. Er sei für Romano Prodi und könne fast jedes Wort von dessen Rede unterstreichen.

Die Frage des Abgeordneten Dr. Cap nach der Rolle Österreichs erachtet Bundeskanzler Dr. Schüssel für eine listige Frage. Er spricht die Empfehlung aus, Österreich nicht zu klein zu machen. Der österreichische Beitrag sowohl auf dem Balkan und in Südosteuropa schlechthin als auch in der Frage der Weiterentwicklung der Europäischen Union sei beachtlich gewesen. Die österreichische Bundesregierung brauche sich nicht vorwerfen zu lassen, sie könne oder wolle keine Rolle spielen oder hinke hintennach.

Immerhin habe Österreich mit einem namhaften Budgetbeitrag die freien Medien im Kosovo, in Serbien und in Bosnien-Herzegowina unterstützt, lange bevor auch die Europäische Union sich darauf besonnen habe. Die Redakteure des Rundfunksenders B-92, die wesentlichen Anteil daran gehabt hätten, dass zumindest eine demokratische Stimme vorhanden war, seien vom Österreichischen Rundfunk geschult und trainiert worden. Zu dieser Hilfe habe auch das öster­reichische Außenministerium bereits unter Bundesminister Dr. Schüssel einen wesentlichen finanziellen Beitrag geleistet.

Es möge auch bedacht werden, dass der heutige Hohe Vertreter der internationalen Staatenge­meinschaft in Bosnien, Wolfgang Petritsch, ein Österreicher ist oder dass nach der friedlichen Übergabe der Macht an Koštunica Generalsekretär Rohan vom österreichischen Außenministe­rium als Erster in Belgrad war, noch vor EU-Vertretern oder Außenministern anderer Länder. Es sei Generalsekretär Rohan gewesen, der als Erster mit Koštunica verhandelt und von ihm die Zusicherung bekommen habe, dass das Abkommen von Dayton eingehalten werde, dass Jugoslawien in der Sukzessionsfrage offen sein werde und dass in der Frage der 1 000 im Gefängnis befindlichen Kosovo-Albaner etwas unternommen werde.

Bundeskanzler Dr. Schüssel weist darauf hin, dass er am selben Tag in Kroatien mit den dortigen Amtsinhabern – Präsident Mesic, Parlamentspräsident Tomcic, Regierungschef Racan – verhandelt hat, um sozusagen auch den regionalen Aspekt mit hineinzubringen. Die österreichische Botschaft in Belgrad sei als OSZE-Plattform dafür verantwortlich gewesen, dass die Wahlbeobachtung durch die NGOs funktioniert hat. Österreich habe zuerst über die Berichte verfügt, wonach in den von Milošević ausschließlich für Armeeangehörige eingerichteten Wahl­sprengeln die Abstimmung mit neun zu eins gegen Milošević ausgegangen sei. Nachdem diese Information über die österreichische Botschaft Verbreitung gefunden habe, sei die Auszählung der Stimmen unterbrochen worden. Dies alles widerlege den Eindruck, dass von österrei­chischer Seite nichts getan worden wäre.

Auch am heutigen Tag sei Österreich ins internationale Geschehen einbezogen, und zwar durch das Treffen des serbischen Patriarchen Pavle mit EU-Kommissionspräsident Prodi und Kom­missar Patten in den Amtsräumen von Kardinal Schönborn.

Österreich brauche sich daher nicht vorsätzlich kleiner zu machen. Statt darauf stolz zu sein, dass all dies selbstverständlich funktioniere, werde der Versuch unternommen, der österrei­chischen Bundesregierung Tatenlosigkeit zu unterstellen und sie zum Outsider zu stempeln. Aber dies treffe einfach nicht zu. Auch sei der eingangs erstattete Bericht kein – mit den Worten des Abgeordneten Dr. Cap – „depressiver Bericht“ gewesen.

Die serbische Opposition habe sich auch dankbar dafür gezeigt, dass sie zum ersten Mal vom früheren österreichischen Außenminister Dr. Schüssel als damaligem Ratsvorsitzenden in die Gremien der Europäischen Union eingeladen wurde. Der kroatische Regierungschef Racan habe nicht vergessen, dass in der kritischen Zeit der Regentschaft von Präsident Tudjman, als selbst befreundete Parteien in anderen Staaten auf Distanz gegangen seien, auf österrei­chischer Seite Gesprächspartner zur Verfügung standen.

Was den österreichischen Beitrag innerhalb der Europäischen Union betrifft, seien Überlegun­gen im Gang, wie schon jetzt mit den Erweiterungskandidaten strategische Partnerschaften gebildet werden könnten. Bundeskanzler Dr. Schüssel weist auf seinen Besuch in der Slowakei vom Vortag hin; im nächsten Monat werde er dort neuerlich Gespräche mit Vertretern der Slowakei und Ungarns über dieses Thema führen. Auch das Parlament spiele dabei eine sehr wichtige Rolle, ebenso Bereiche der Wirtschaft und der Medien. Dies stelle eine Investition dar, die von entscheidender Bedeutung sein werde in dem „Grouping“-Modell, das die erweiterte Union natürlich haben werde.

Ähnliches gelte auch in der Frage der Beitritte, deren Beginn in die Zeit der österreichischen Präsidentschaft gefallen sei. Österreich nehme in den Twinning-Projekten eine Vorreiterrolle ein. Bundeskanzler Dr. Schüssel berichtet, er habe in der Slowakei vom Verantwortlichen des Twinning-Projektes für Umwelt erfahren, dass dort ein Netzwerk von Umweltbeobachtungs­stationen aufgebaut wird. Die dafür erforderlichen Informationen seien vom österreichischen Umweltbundesamt zur Verfügung gestellt worden. Es werde derzeit auch ein Grundrechts­kataster auf EDV-Basis eingerichtet, damit in diesen Ländern die Rechtssicherheit gegeben ist. Auch in dieser Hinsicht leiste Österreich konkrete, sinnvolle Beiträge.

Mit Bezug auf die Regierungskonferenz weist Bundeskanzler Dr. Schüssel darauf hin, dass der erste rechtlich abgesicherte Vorschlag zur Neufassung von Artikel 7 des EU-Vertrages von Österreich unterbreitet wurde. Die Europäische Kommission habe einen etwas einfacheren Vor­schlag vorgelegt, der jedoch ebenfalls in die österreichische Richtung ziele. Bei solchen objekti­ven Verfahren dürfe es nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von kleinen und großen Mitgliedstaaten kommen. Wenn etwas aufzuklären sei, müsse dies unabhängig von der Größe des betroffenen Landes geschehen.

Nachdem Österreich als bisher einziger Mitgliedstaat die Aufgabenreform zum Thema gemacht habe, würden nun vereinzelt auch andere kleine Länder, etwa aus dem Benelux-Bereich, diese Frage in ihre Stellungnahmen einbeziehen.

Eine österreichische Idee sei ferner der Vorschlag gewesen, dass die Europäische Union der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten könnte, und zwar nicht als Ersatz zur Grund­rechtscharta, sondern als Vorgriff auf eine spätere verbindliche Charta.

In der Frage der nuklearen Sicherheit stehe Österreich innerhalb der Europäischen Union mit seinem Standpunkt allein da. Es werde weiterhin Versuche geben, dies zum Thema zu machen, denn es werde nur auf dem Weg der Europäisierung eine Möglichkeit geben, den dringend not­wendigen Schritt zu tun, diese Problematik aus der „bilateralen Frust-Schiene“ herauszulösen. Es bedürfe objektiver, sachlicher Verfahren, um zu verhindern, dass dieses Thema als ein schleichendes Gift in den nachbarschaftlichen Beziehungen vorhanden bleibt.

Was den Begriff „EU-Direktorium“ betrifft, sei dieser nicht in Österreich erfunden worden, son­dern in der europäischen Diskussion von vielen Intellektuellen oder Journalisten gebraucht und auch in den Ländern selbst bereits diskutiert worden. Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, er sei so weit von der Französischen Revolution entfernt, dass ihm jeder Gedanke in dieser Rich­tung völlig fremd sei. Im 21. Jahrhundert müsse es um andere Dinge als um Napoleon I. oder den Wohlfahrtsausschuss gehen.

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner antwortet dem Abgeordneten Dr. Cap auf dessen Frage nach der Rolle Österreichs im Nahen Osten, es sei in dieser Hinsicht derzeit sogar die Rolle der Europäischen Union eine besonders schwierige. Am 9. Oktober sei der Hohe Repräsentant Generalsekretär Solana in den Nahen Osten ent­sandt worden, um sich dort neben UNO-Generalsekretär Annan und dem amerikanischen Prä­sidenten Clinton zu bemühen, in dieser schwierigen Konfliktsituation einzugreifen und eine Wiederaufnahme der Friedensver­handlungen zu erreichen. Soeben erst habe sich der UNO-General­sekretär optimistisch darüber geäußert, dass nach Aussetzung des Ultimatums, das der israelische Regierungschef Barak der palästinensischen Seite gestellt hatte, die Friedens­verhandlungen weitergehen werden.

Diese Frage sei also derart heikel und von solcher weltpolitischer Bedeutung, dass da auch die Europäische Union sehr wenige Möglichkeiten habe, in die Verhandlungen einzugreifen. In erster Linie seien die Verhandlungen von amerikanischer Seite geführt worden. Aber zu sagen, dass Österreich keine Rolle spiele, stimme nicht. Es komme in erster Linie darauf an, was an Argumenten eingebracht werde und welcher Wissensstand verfügbar sei. (Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt um 14 Uhr den Vorsitz.)

Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner stellt fest, sie habe in Bezug auf Jugoslawien einen Wissensstand wie kein anderer ihrer Kollegen gehabt und in dieser Angelegenheit mehrmals mit dem Ratsvorsitzenden Vedrine telefoniert. Auch seien ihre ersten Aussagen als OSZE-Vor­sitzende – nach Koordinierung in der österreichischen Botschaft in Belgrad – tatsächlich richtig gewesen. Es seien äußerst heikle Entscheidungen zu treffen gewesen, in dieser Situation habe sie die Situation richtig eingeschätzt und den richtigen Ton getroffen. Daher könne der Kritik des Abgeordneten Dr. Cap nicht zugestimmt werden.

Kürzlich habe der frühere französische Staatspräsident Giscard d’Estaing anlässlich eines Besuchs in Österreich sein Befremden darüber geäußert, dass Österreich sich nach außen hin immer unter seinem Wert verkaufe. Denn Österreich sei ein großes Land mit einer großen Geschichte, wenngleich von kleiner Dimension und mit einer geringen Einwohnerzahl.

Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner antwortet der Abgeordneten Mag. Lunacek, dass Öster­reich unter den zwei in Diskussion stehenden Ansätzen denjenigen für den interessanteren er­achte, der ihm mehr Sitze im Europäischen Parlament sichern könne. Derzeit sei dies die Option mit einer Aufteilung nach einem proportionalen Verteilungsschlüssel in Abhängigkeit von der Bevölkerungsgröße, je nachdem, wie viele Staaten neu in die Europäische Union eintreten werden. Österreich spreche sich für eine Anpassung in zwei Phasen, nämlich 2004 und 2009, aus.

Aus österreichischer Sicht wäre in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik die qualifi­zierte Mehrheit die bessere Entscheidungsform, weil dann, wenn einmal eine Entscheidung getroffen worden sei, diese auch von allen nach außen hin vermittelt werde. Auf globaler Ebene konkurriere die Europäische Union mit den USA und anderen „Big players“, und da müsse sie nach außen hin mit einer einzigen Stimme sprechen. Auch unter diesem Aspekt sei das Konzept der verstärkten Zusammenarbeit kein idealer Ansatz, weil dann nur eine kleine Gruppe – eine so genannte Avantgarde – voranginge.

In der Frage des Krisenmanagements vertrete Österreich die Auffassung, dass mit dem Instru­ment der konstruktiven Enthaltung kein schlechtes Instrument zur Verfügung stehe.

Was die vom Abgeordneten Dr. Spindelegger angesprochenen Themen Raumordnung und Bodennutzung betrifft, weist Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner darauf hin, dass diese Themen im Vertrag unter „Umwelt“ aufscheinen. Erst wenn Umweltmaßnahmen, die sozusagen lateral seien, bestimmte Auswirkungen auf Raumordnung und Bodennutzung hätten, komme der Vertrag darauf zu sprechen; sonst seien dies keine Gemeinschaftskompetenzen. Anders verhalte es sich allerdings im Hinblick auf das Wasser.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) erklärt, die SPÖ sei zwar bereit, auch als Oppositions­partei mitzuziehen, wenn es gut für Österreich sei, es wäre aber falsch, sich darauf auch für den Fall zu verlassen, dass die Opposition nicht informiert und in die Entscheidungsfindung einge­bunden wird. Für diesmal stellt Abgeordneter Schieder fest, dass die SPÖ alle Unterlagen erhal­ten hat; er stehe nicht an, zu bestätigen, dass es funktioniert hat und die Zusage eingehalten worden ist.

Aber hinsichtlich jüngst angesprochener Details über die Vorstellungen zur Verteidigungs­identität der Europäischen Union und über manche Vorstöße, die etwa in Referaten von Bun­desministerin Dr. Ferrero-Waldner angesprochen worden seien, habe die SPÖ keine Unterlagen über die österreichische Linie erhalten. Daher müsse in aller Deutlichkeit festgestellt werden, dass die Absicht der SPÖ, dort mitzuziehen, wo es gut für Österreich sei, von der Bundes­regierung nicht so ausgelegt werden dürfe, dass sie der Opposition keine Informationen zu geben brauche, weil die SPÖ am Ende ohnehin keine andere Wahl haben werde, als ebenfalls dafür zu sein. Sonst würde eines Tages nichts anderes übrig bleiben, als dagegen sein zu müssen, um dieses Prinzip zu durchbrechen. Insbesondere wenn es um neue Dinge gehe, um die Haltung in der Europäischen Union oder das Auftreten in den EU-Staaten, möge die Bundes­regierung eine gewisse Fairness walten lassen und im Detail über die österreichischen Vor­haben informieren.

Mit Bezug auf die Debatte, ob Österreich zu den Größten oder Kleinsten gehöre, rät Abgeord­neter Schieder, nicht zu großspurig aufzutreten. Die letzten Ausführungen von Bundeskanzler Dr. Schüssel und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner seien vielleicht als Reaktion auf das zuvor Gesagte verständlich, aber dies sollte nicht zur Linie des Auftretens in der Europäischen Union werden. Auf europäischer und internationaler Ebene wirke dies selbstgefällig, und dies wäre keine gute Strategie.

Abgeordneter Schieder berichtet, er habe anlässlich einer Einladung des deutschen Außen­ministers und des Bundestagspräsidenten nach Berlin im Bundestag mit Parlamentariern aus anderen Ländern gesprochen und festgestellt, dass dort jede Kleinigkeit aus Österreich gleich die Runde mache. Es wäre nicht hilfreich, würde Österreich in einer Art auftreten, wie es eigent­lich nicht üblich sei.

Auch wenn im Außenpolitischen Ausschuss die Behandlung des Vertrages über den Standort der Beobachtungsstelle für Rassismus von der Tagesordnung abgesetzt und die Leiterin dieser Stelle dorthin geladen werde, mache das im Ausland hellhörig. Jede Äußerung mit dem Tenor „Wir sind die Besten“ führe zu entsprechenden Reaktionen. Österreich solle zwar selbstbewusst, aber nicht selbstgefällig auftreten.

Abgeordneter Dr. Heinz Fischer (SPÖ) greift die Äußerung von Bundeskanzler Dr. Schüssel auf, dass man etwas nicht als Empfehlung des Hauptausschusses zu beschließen brauche, weil es ohnehin selbstverständlich sei, und merkt an, er habe sich zusammen mit anderen vor dem österreichischen EU-Beitritt Mitte der neunziger Jahre sehr dafür eingesetzt, in der österrei­chischen Verfassung eine Bestimmung zu verankern, die dem Hauptausschuss das Recht gibt, bestimmte Positionen zu formulieren und bestimmte Empfehlungen abzugeben. Von dieser Möglichkeit solle der Hauptausschuss in maßvoller und sinnvoller Weise weiterhin Gebrauch machen.

Wenn es aber dazu käme, dass sowohl eine Empfehlung des Hauptausschusses, die nach Meinung seiner Mehrheit oder der Regierung nicht zweckdienlich wäre, nicht angenommen werden könnte, weil sie nicht den Intentionen entspräche, als auch eine Empfehlung, die sehr wohl in Übereinstimmung mit Grundüberlegungen auf Regierungsseite stünde, nicht angenom­men werden könnte, weil sie ohnehin in Übereinstimmung mit der Regierungspolitik stünde und daher nicht notwendig wäre, bliebe letztlich überhaupt nichts zur Abstimmung übrig. Die eine Gruppe von Empfehlungen nicht zu beschließen, weil die Regierung sie nicht für sinnvoll hielte, und die andere Gruppe nicht zu beschließen, weil sie ohnehin dem entspräche, was die Regie­rung beabsichtigte, liefe darauf hinaus, aus dem sehr wichtigen Artikel 23 ein ius nudum zu machen.

Abgeordneter Dr. Fischer spricht sich dafür aus, dass der Hauptausschuss auch in Zukunft ver­sucht, Empfehlungen – die ohnehin so formuliert seien, dass die Regierung keine „Handfesseln angelegt“ bekomme, worin aber der Hauptausschuss des österreichischen Parlaments gewisse Positionen vertrete – wirklich in Beschlussform festzulegen.

Denn ebenfalls nicht ideal wäre die Situation, dass eine Empfehlung, die im Prinzip den Inten­tionen der Regierung entspricht, nämlich sich darum zu bemühen, die Grundrechtscharta ver­bindlich und einklagbar zu machen, den Minderheitenschutz auszubauen und die Umweltrechte stärker in Erwägung zu ziehen, im Hauptausschuss – und somit auch im österreichischen Parlament – mit Mehrheit abgelehnt wird.

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) stellt fest, er habe sich im Jahr 1994, als der Artikel 23f beschlossen wurde, vehement dafür eingesetzt, dass es zu diesem Recht des Hauptaus­schusses kommt. Diese Regelung sei damals gegenüber einer zögernden Koalitionsregierung von SPÖ und ÖVP durchgebracht worden, indem die Gunst der Stunde ergriffen worden sei, dass die beiden Regierungsparteien ohne die Zustimmung anderer Parteien keine Verfassungs­mehrheit hatten. Der Zweck habe darin bestanden, einem Demokratiedefizit, das es in der Euro­päischen Union ab und zu gebe, zu begegnen.

Abgeordneter Dr. Khol stellt fest, es seien in der Vergangenheit mehrmals Stellungnahmen beschlossen wurden, und dazu stehe er auch. Als überzeugter Parlamentarier trete er für dieses Recht auf Stellungnahme ein.

In dieser Frage müsse darauf hingewiesen werden, dass in demselben Saal, in dem jetzt die Sitzung stattfindet, auch abgestimmt wurde über die Anordnung einer Volksbefragung, zu deren zentralen Punkten der Vorschlag gehört habe, eine Grundrechtscharta zu einem verbindlichen, auch die EU-Organe bindenden Instrument zu machen. In dieser Abstimmung seien es die Regierungsparteien und die Bundesregierung gewesen, die sich zu dieser verbindlichen Grund­rechtscharta bekannten. Hingegen sei eine Zustimmung der Sozialdemokratie zu dieser wichti­gen Frage nicht in Erinnerung.

Abgeordneter Dr. Khol berichtet, er habe in Vorbereitung auf diese Sitzung nicht nur die Grund­rechtscharta ganz gelesen, sondern im Hinblick auf das schwierige Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention auch die Rechtsmeinung des Präsidenten des Verfassungsgerichts­hofs zu dieser Charta eingeholt. Zuvor schon sei im Rahmen einer Tagung, an der unter anderen Professor Badinter teilgenommen habe, davon die Rede gewesen, dass die Grund­rechtscharta zwar an sich gut sei, dieser Vorschlag aber in einigen wichtigen Fragen noch weiter diskutiert werden müsse. So sei beispielsweise das derogatorische Verhältnis einer EU-Grund­rechtscharta zur Europäischen Menschenrechtskonvention ein offener Punkt. Es würde bedeu­ten, dass man zwei Grundrechtschartas hätte, die in ein und demselben Land bei der Anwen­dung von EU-Recht zugleich Gültigkeit hätten: die Grundrechtscharta, die nicht im Verfassungs­rang stünde, weil sie nach gängiger Praxis EU-Recht wäre und daher auf einer anderen Stufe stünde, und daneben die unmittelbar anwendbare, im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention. Abgeordneter Dr. Khol fügt hinzu, er habe sich von Professor Adamovich, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, überzeugen lassen, dass diese Fragen noch geklärt werden müssten.

In Biarritz stehe nunmehr ein eher „lyrischer“, vorbereitender Gipfel bevor, und bis zum Gipfel­treffen von Nizza würden diese Fragen noch diskutiert werden können. Zum heutigen Zeitpunkt könne einer ausdrücklichen Stellungnahme, wonach diese Grundrechtscharta proklamiert werden solle, aus den genannten Gründen nicht zugestimmt werden. Eine Zustimmung zu einem späteren Zeitpunkt sei jedoch nicht ausgeschlossen.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) merkt an, er habe 1996 im Hauptaus­schuss, wenn auch nicht so fundiert und so geschliffen wie jetzt Abgeordneter Dr. Fischer, Ähnliches über den Artikel 23e gesagt.

Unter den früher bestehenden, anderen Mehrheitsverhältnissen seien freiheitliche Stellungnah­men, auch wenn sie noch so sehr den Intentionen der Bundesregierung gefolgt seien, immer wieder abgelehnt worden.

Beim jetzt vorliegenden Antrag des Abgeordneten Dr. Einem betreffend Grundrechtscharta sei zu beachten, dass die Freiheitlichen mit dem Inhalt der Grundrechtscharta nicht hundertpro­zentig einverstanden seien, vor allem was die Minderheitenrechte betrifft. Aus freiheitlicher Sicht seien diese für viel zu schwach zu erachten, und derzeit werde in der Grundrechtscharta das österreichische Verständnis von Minderheitenrechten überhaupt nicht zum Ausdruck gebracht.

Deshalb könne dieser Antrag auf Stellungnahme auch aus inhaltlichen Überlegungen von frei­heitlicher Seite nicht unterstützt werden.

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne) dankt dem Abgeordneten Dr. Fischer für seine Ausführungen. Er habe darin die etwas absurde Situation angesprochen, die sich jetzt im Haupt­ausschuss zeige: dass es keine Empfehlung gebe, wenn die Regierungsmehrheit etwas nicht wolle, und ebenso wenig, wenn die Regierungsmehrheit etwas wolle.

Abgeordnete Mag. Lunacek fragt, warum jetzt, obwohl alle Fraktion sich für Artikel 23e in der Bundesverfassung ausgesprochen hätten – auch die Grünen seien wesentlich daran beteiligt gewesen, dass einige Formulierungen wie etwa jene der „unverzüglichen Information des Natio­nalrates“ aufgenommen wurden –, die Regierungsmehrheit trotz ohnehin einhelliger Meinung manche Empfehlungen einfach nicht mehr beschließen lasse und die Zustimmung verweigere. Darin zeige sich eine Art und Weise, mit dem Parlament umzugehen, die nicht befürwortet werden könne. Die Regierungsmehrheit möge Anträgen in Zukunft wieder zustimmen – für Formulierungsänderungen seien die Grünen in den meisten Fällen aufgeschlossen – und nicht einfach sagen, dass die Bundesregierung keine Empfehlung brauche.

Was den Einwand des Abgeordneten Dr. Khol betrifft, man könne die Grundrechtscharta jetzt nicht verbindlich machen, weil sie sich sonst mit der EMRK überschnitte, sei zu beachten, dass die Grundrechtscharta nur dann auf die Zweite und Dritte Säule beziehbar sei, wenn sie rechts­verbindlich sei. Es sei einer der großen Schritte dieser Charta, dass sich mit ihr endlich auch eine Möglichkeit ergebe, diese beiden Säulen zu behandeln. Dazu könne es aber nur kommen, wenn die Charta Rechtsverbindlichkeit erlange. Insofern sei nicht zu verstehen, dass Abgeord­neter Dr. Khol die Auffassung vertrete, man könne jetzt nicht für die Rechtsverbindlichkeit eintreten.

Abgeordnete Mag. Lunacek fragt Bundeskanzler Dr. Schüssel und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner, welche Argumente sie dafür hätten, zum Beispiel der Aufnahme eines Grundrechts auf eine gesunde Umwelt oder des individuellen Schutzes der Minderheiten im Rahmen der Menschenrechte in die Charta nicht zuzustimmen.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) gibt dem Abgeordneten Dr. Khol in dem Punkt Recht, dass eine Problematik zwischen Grundrechtscharta und Europäischer Menschenrechtskonven­tion besteht. Aber daraus ergebe sich kein Grund, gegen den Antrag zu sein. Die Problematik bestehe nicht dahin gehend, dass der Text der Grundrechtscharta anders gefasst werden müsste. Darauf gehe der vorliegende Antrag gar nicht ein.

Es treffe zu, dass für das zwischen Charta und EMRK bestehende Problem eine Lösung gefun­den werden müsse, entweder durch Unterordnung, durch den Beitritt zur Charta oder durch Synchronisierung und Verweise; dafür seien bereits Vorschläge unterbreitet worden. Diese Pro­blematik dürfe jedoch nicht zum Anlass genommen werden, auf EU-Ebene in dieser Hinsicht gar nichts zu unternehmen. Die Problematik mit der EMRK werde überhaupt erst dann bestehen können, wenn der Beschluss über eine Grundrechtscharta zustande komme. Dann werde sie auch lösbar sein.

Der vorliegende Antrag aber stehe außerhalb eines solchen Beschlusses zur Verhandlung, so­dass die Frage des Verhältnisses der Grundrechtscharta zur EMRK kein Argument gegen diesen Antrag sein könne.

Abgeordneter Schieder stellt fest, es habe im Hauptausschuss zwischen 1995 und 1999 21 Empfehlungen gegeben. Er fragt, ob es künftig überhaupt keine Empfehlungen mehr geben und dieses System zu Grabe getragen werden solle, oder ob es in Wirklichkeit Bedenken gegen die EU-Grundrechtscharta gebe – wie sie jetzt im Beitrag des Abgeordneten Mag. Schweitzer erkennbar geworden seien –, da vieles davon gar nicht erwünscht sei.

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) stellt in seiner Eigenschaft als Mitglied des Konvents, der den Entwurf für die Grundrechtscharta erarbeitet hat, fest, es könne in der Frage der Minderheiten kein Zweifel daran bestehen, dass die diesbezüglich in die Charta aufgenommene Bestimmung nicht befriedigend sei. Er selbst habe als einer der Ersten dazu einen Vorschlag gemacht, und es habe bis zur vorletzten Sitzung des Konvents darum gestritten werden müssen, dass eine solche Bestimmung überhaupt aufgenommen wird.

Es sei in Österreich angebracht, sich jetzt nicht als Pharisäer aufzuspielen. Würde man rück­blickend überlegen, welche Haltung Österreich vor 30 Jahren zur selben Frage eingenommen habe, so käme zum Vorschein, dass sie der heutigen Haltung Frankreichs sehr ähnlich gewesen sei. Glücklicherweise sei die schwierige Geburt einer anständigen Minderheitenpolitik in Öster­reich geschafft worden. Aber es habe zu dieser Frage unterschiedliche Haltungen gegeben, bis es endlich gelungen sei, auf Verfassungsebene und auf institutioneller Ebene eine Lösung zu finden, die heute diese Feststellung erlaube: Die österreichische Lösung ist in vieler Hinsicht vorbildlich.

Es müsse auch beachtet werden, dass es Staaten gebe – Frankreich sei dafür ein Beispiel –, die derzeit einige Anstrengungen unternähmen, mit ihrer Politik gegenüber Minderheiten – wie etwa der korsischen Minderheit – Schritte zu unternehmen, die dem entsprächen, was Öster­reich unter einer Minderheitenpolitik verstehe, die auch hierzulande vertreten werden könne. Dazu bedürfe es eines mühsamen Prozesses, und offenbar im Zuge eines solchen Prozesses hätten nunmehr einige Staaten, darunter Frankreich, eine sehr reservierte Haltung einge­nommen.

Würde aber deshalb jetzt in Österreich gesagt werde: weil nicht drinsteht, was wir gerne gehabt hätten, lehnen wir die Charta insgesamt ab, so wäre dies ein Ausdruck einer Haltung, die letzt­lich jedem Gemeinschaftswerk abträglich wäre. Alle österreichischen Vertreter, die im Konvent das Wort ergriffen haben, hätten für diese Minderheitenrechte gekämpft. Das Ergebnis sei zwar nicht befriedigend, aber mehr sei bisher nicht erreichbar gewesen. Nunmehr habe jener Respekt vor Kompromissen oder vor einer Balance im Ergebnis zu walten, der demokratisch geboten erscheine.

Abgeordneter Dr. Einem hebt hervor, dass die Grundrechtscharta nicht wirklich mit der EMRK konkurriere, wenn man von der Seite der Gerichtsbarkeit absehe. Denn die eine Rechtsnorm gelte für die Menschen im Land in Relation zu den mitgliedstaatlichen Instanzen, die andere gelte in Relation zu den Institutionen der EU und insoweit zu den nationalen Institutionen, als diese EU-Recht umsetzen. In der Charta sei ausdrücklich vom „Umsetzen“, aber nicht vom „Anwenden“ die Rede.

Die Frage der Gerichtsbarkeit sei von dem Mandat von Köln und jenem von Tampere nicht mit umfasst gewesen. Sie sei im Rahmen des Konvents diskutiert worden, und sie sei nach Auffas­sung sowohl des Vertreters des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg als auch jenes des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg lösbar. Eine der Aufgaben, die es zu lösen gelte, wenn die Grundrechtscharta in Nizza proklamiert werde, werde darin bestehen, auch diese Fragen so zu lösen, dass die Verbindlichkeit dargestellt werden kann.

Genau dies sei Gegenstand des von der SPÖ eingebrachten Antrags. Daher sei der dagegen geäußerte Widerstand nicht zu verstehen.

Abgeordneter Mag. Herbert Haupt (Freiheitliche) antwortet dem Abgeordneten Dr. Einem, aus seiner Sicht sei die nunmehr in den Artikeln 21 und 22 der Grundrechtscharta enthaltene Rege­lung für die Minderheiten unzureichend. Dies bedeute seiner Ansicht nach eine Derogierung der Kopenhagener Beschlüsse, sodass die Erledigung dieses Problems erfolgen müsse, noch bevor die Grundrechtscharta verabschiedet werden könne. Sonst käme es im Minderheitenrecht zu einem Zurückfallen hinter die Kopenhagener Beschlüsse.

Daher könne nicht das vom Abgeordneten Dr. Einem skizzierte Procedere Anwendung finden. Denn würde zunächst die Charta angenommen werden, so bestünde das Risiko, dass bei man­gelnder Bereitschaft der großen Staaten Frankreich, Italien und Spanien zu einer Änderung – sie hätten die Charta in diesem Punkt eindeutig schwächer ausfallen lassen, als es den Kopen­hagener Beschlüssen entsprochen hätte – für die Minderheiten nur ein Status erreicht werden könnte, der schlechter als der heutige wäre.

Es sei daher zuerst ein verbindlicher Beschluss darüber nötig, dass die Kopenhagener Be­schlüsse in den Artikeln 21 und 22 der Grundrechtscharta keinesfalls aufgehoben und derogiert werden. Erst danach könne ein Zustimmungsverfahren eingeleitet werden. Jeder andere Weg würde die Volksgruppen stark gefährden.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel antwortet dem Abgeordneten Schieder, selbstver­ständlich müssten alle vier im Nationalrat vertretenen Parteien voll in die Diskussionsprozesse in der Europäischen Union eingebunden sein. Dies gelte nicht nur für Ratsthemen, sondern auch für die entstehende sicherheits- oder verteidigungspolitische Dimension. Information über jede österreichische Position müsse den einzelnen Fraktionen zugänglich sein. Allerdings würden Vorträge oder Meinungsäußerungen von Regierungsmitgliedern und Parlamentariern nicht zu den üblicherweise vorzulegenden Materialien gehören.

Die vorangegangenen Ausführungen von Regierungsseite seien nicht Ausdruck triumphalisti­schen oder selbstgefälligen Auftretens gewesen, sondern eindeutig in Reaktion auf eine Bemer­kung erfolgt, wonach Österreich keine Rolle spielen wolle oder könne. Das sei einfach nicht wahr. Es müsse in einer parlamentarischen Debatte auch möglich sein, die Sichtweise der Bun­desregierung zum Ausdruck zu bringen. Der österreichische Beitrag im internationalen Ge­schehen brauche nicht verschwiegen zu werden. Darauf könne man durchaus auch stolz sein, unabhängig vom jeweiligen politischen Standpunkt.

Hinsichtlich der Grundrechtscharta bestehe das wirkliche Problem darin, dass es sich um einen Kompromiss handle. Die Erarbeitung dieses Kompromisses sei zwar kein Musterbeispiel für gelebte Demokratie gewesen; aber wäre nicht die Vorgangsweise mit drei Konventen gewählt worden, so wäre kein Entwurf zustande gekommen. Daher komme es jetzt nicht so sehr darauf an, den Text in genau der vorliegenden Form in eine Empfehlung aufzunehmen, sondern es werde zunächst der Versuch zu unternehmen sein, noch inhaltliche Verbesserungen zu erreichen.

Die jetzt vorliegenden Anträge der Oppositionsfraktionen seien nicht kohärent. Der Antrag der Grünen ziele auf inhaltliche Änderungen ab, und dem könne durchaus Sympathie entgegenge­bracht werden, aber es müsse auch die Frage gestellt werden, welche Chance Österreich in die­ser Hinsicht hätte. Da in Biarritz erst eine politische Diskussion stattfinden und noch keine Entscheidung getroffen werde, sei die Zeit zur Fassung bindender Beschlüsse noch nicht gekommen.

Bundeskanzler Dr. Schüssel äußert sich skeptisch über die Möglichkeit, inhaltlich wünschens­werte Verbesserungen zu erreichen. Selbst wenn dies gelänge, ergäbe sich im Fall eines inhalt­lich angereicherten Kompromisses die weitere Frage, wie dieser verbindlich gemacht werden könnte. Dafür bedürfte es neuerlich des Konsenses mit den anderen Mitgliedstaaten.

Keinesfalls angenehm wäre es für eine Regierung, würde das Parlament eine bestimmte Forde­rung erheben und im Fall des Scheiterns der entsprechenden Bemühungen der Regierung Vor­haltungen machen.

Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn stellt fest, dass keine weitere Wortmel­dung vorliegt, schließt die Debatte und leitet über zur Abstimmung, die zunächst über den von den Abgeordneten Dr. Caspar Einem und Genossen eingebrachten Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG betreffend die Regierungskonferenz zur Institutionellen Reform der Europäischen Union durchgeführt wird.

Der Antrag bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.

Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Prinzhorn bringt den von den Abgeordneten Dr. Caspar Einem und Genossen eingebrachten Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG betref­fend die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zur Abstimmung.

Auch dieser Antrag bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.

Zuletzt wird abgestimmt über den Antrag auf Stellungnahme gemäß § 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Dr. Evelin Lichtenberger betreffend die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Dieser Antrag bleibt ebenfalls in der Minderheit und ist abgelehnt.

Damit ist der 1. Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

(Es folgen die Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 7.)

Schluss der Beratung zum
Tagesordnungspunkt 1: 14.38 Uhr

 

 

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