IV-8 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

Mittwoch, 6. Dezember 2000

 

 

 

 

 

 

 

 


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Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XXI. Gesetzgebungsperiode          Mittwoch, 6. Dezember 2000

Tagesordnung

Vorbereitung des Europäischen Rates von Nizza

Bericht der Ständigen Vertretung über die Sitzung des Europäischen Rates in Nizza vom 7. - 9. 12. 2000, Vorschau aus Brüsseler Sicht

(22350/EU XXI. GP)

CONFER 4815/00

Überarbeitetes Synthesedokument

Regierungskonferenz über die institutionelle Reform

(22353/EU XXI. GP)

Beginn der Sitzung: 8.19 Uhr

Obmann Dr. Heinz Fischer eröffnet die Sitzung, begrüßt die Anwesenden, insbesondere Bun­deskanzler Dr. Schüssel, Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner, und weist darauf hin, dass die in dieser Sitzung zu beratenden Dokumente der Vorbe­reitung des Europäischen Rates von Nizza dienen.

Das Vorbereitungskomitee für den Hauptausschuss sei zu dem Ergebnis gelangt, dass für die ungefähr zweieinhalb Stunden, die für diese Sitzung zur Verfügung stehen, keine stringente Redeordnung benötigt werde.

Über einige technische Fragen, die im Zusammenhang mit dem Vorbereitungskomitee stehen, werde unter Vorsitz von Obmannstellvertreter Dr. Fasslabend unmittelbar nach dieser Sitzung beraten werden.

Obmann Dr. Fischer erteilt Bundeskanzler Dr. Schüssel das Wort zu einer einleitenden Stellung­nahme.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel weist zunächst auf eine den Fraktionen am Vorabend übermittelte Punktation zum Beratungsthema hin.

Im Programm für das Gipfeltreffen in Nizza sei vorgesehen, dass am 8. Dezember zu Mittag die Europakonferenz stattfindet und am Nachmittag über die Grundrechtscharta beraten wird. Über die Kernpunkte – die Regierungskonferenz und die institutionellen Fragen – werde am Samstag, den 9. Dezember, beraten werden.

Bundeskanzler Dr. Schüssel weist auf den Besuch von Präsident Chirac, dem französischen Außenminister Védrine sowie Vertretern von EU-Kommission und Ratssekretariat in der Vor­woche in Österreich hin. Im Mittelpunkt der Diskussionen seien institutionelle Fragen gestanden. Von französischer Seite werde bereits jetzt mit Nachdruck die Festlegung einer Automatik für den Verlauf der Institutionenreform verlangt. Es sei ein Drei-Stufen-Plan vorgesehen, wonach es bis 2005 noch zu keiner Veränderung käme. Von 2005 an stünde jedem Mitgliedstaat jeweils ein gleichberechtigter Kommissar zu, und 2010 käme es zur Festlegung einer bestimmten Anzahl von Kommissaren. Wie viele es wären, sei derzeit noch offen. Präsident Chirac habe von 20 Kommissionsmitgliedern gesprochen und diesen Vorschlag dem niederländischen Minister­präsidenten Wim Kok zugeschrieben.

Bundeskanzler Dr. Schüssel berichtet, er habe diesen Vorschlag abgelehnt. Aus österreichi­scher Sicht sei es ein Grundprinzip, dass in jedem Fall ein Kommissar pro Mitgliedsland garan­tiert bleiben muss.

Was die Stimmgewichtung betrifft, stünden derzeit zwei sehr unterschiedliche Varianten – eine einfache Stimmenumgewichtung oder eine doppelte Mehrheit – im Mittelpunkt der Verhandlun­gen. Mit wachsender Tendenz trete ein Teil der Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, für eine doppelte Mehrheit ein: sowohl die Mehrheit in der Bevölkerung als auch die Mehrheit der Mitgliedstaaten ohne Berücksichtigung der Bevölkerung. Demgegenüber liefen die Vorstellun­gen Frankreichs, aber – wenngleich mit anderen Akzenten – auch Großbritanniens, Spaniens und Italiens auf eine einfache Stimmenumgewichtung hinaus. Die Position Frankreichs sei leicht zu verstehen, da bei jedem Modell, das die Einbeziehung der Bevölkerung vorsähe, das Stimm­gewicht Deutschlands höher als das Stimmgewicht Frankreichs wäre. Daher bestehe das Hauptproblem in den Diskussionen zwischen Deutschland und Frankreich in der Frage der Stimmgewichtung.

Deutschland vertrete ein Modell, das auf eine doppelte Mehrheit hinauslaufen könnte. Dieses wäre auch das fairste und am leichtesten erklärbare Modell, weil es für die größeren Staaten die Sicherheit enthielte, dass die Mehrheit der Bevölkerung nie überstimmt werden könnte, und weil dabei die kleineren Länder die Sicherheit hätten, dass nie eine Mehrheit an Mitgliedstaaten über­stimmt werden könnte.

Was die Frage „qualifizierte Mehrheit versus Einstimmigkeit“ betrifft, sei es in Bezug auf viele Bereiche unstrittig, dass die Forderung der Einstimmigkeit aufgehoben wird. Vor allem handle es sich dabei um prozedurale Fragen, betreffend zum Beispiel die Entscheidung über den Stellver­tretenden Generalsekretär des Rates.

Aus österreichischer Sicht entscheidend seien aber zentrale Fragen wie jene der Vertragsände­rungen, der Eigenmittel, der Fremden- und Asylpolitik sowie Familienzusammenführung – zu erinnern sei beispielsweise an Artikel 63 –, der Umwelt, insbesondere der Wasser-, Energie-, Boden- und Raumnutzung.

In diesem Zusammenhang sei es ein heikler Punkt, dass der Präsidentschaftsvorschlag noch immer das Wort „erheblich“ enthält. Eine solche Formulierung wäre für Österreich nicht akzepta­bel. Der Trick bei dem zunächst harmlos klingenden Wort „erheblich“ bestehe darin, zu sagen, dass überall dort, wo die Raum- und Bodennutzung, die Wasserreserven „erheblich“ betroffen sind, ohnehin die Einstimmigkeit bestehen bleibe. Aber darüber, ob etwas erheblich oder nicht erheblich ist, entscheide zunächst die Kommission, sie unterbreite einen Vorschlag, und dann werde mit Mehrheit abgestimmt.

Zwar könnte sich ein überstimmter Mitgliedstaat beim Europäischen Gerichtshof beschweren, doch würde dies jahrelang dauern, und überdies sei man sozusagen „auf hoher See und vor Ge­richt in Gottes Hand“. In der Vertragsgestionierung sei ein solcher Zustand nicht gerade wün­schenswert. Es komme für Österreich also darauf an, das Wort „erheblich“ zu entfernen.

Strittig seien weiterhin einige Verkehrsfragen – wobei in mancher Hinsicht von totem Recht ge­sprochen werden könne – und viele Punkte, die die soziale Sicherheit und die Nichtdiskrimi­nierungsbestimmungen oder auch die Steuerharmonisierung betreffen. Diese Themen würden vor allem von anderen Ländern in den Vordergrund gerückt werden.

Ein neuer Vorschlag Frankreichs betreffend Artikel 7 komme in vielen Bereichen den von Öster­reich schriftlich vorgelegten Ideen entgegen. Allerdings sei daran das Auslösequorum – dem­nach könnte mit Vier-Fünftel-Mehrheit ein solcher Mechanismus als Vorwarnstufe ausgelöst werden – nicht akzeptabel. Das österreichische Modell – ein sehr vernünftiges Modell – hin­gegen gehe von der Formel „Konsens minus eins“ aus. Aus österreichischer Sicht seien jeden­falls vier Fünftel nicht ausreichend.

Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich dafür aus, in der Frage des „Follow up“ für Nizza nicht zu wenig ambitioniert zu sein. In Wirklichkeit seien viele wichtige Themen längst ausgegliedert und vertagt worden, so auch das Thema Grundrechtscharta, deren Verbindlichkeit und deren Funktion als Kern einer künftigen europäischen Verfassung, auf die sich der Europäische Ge­richtshof in seiner Judikatur beziehen würde.

Was eine neue Aufgaben- und Kompetenzenverteilung angeht, sei ein deutsch-italienischer Vor­schlag unterbreitet worden, der zwar den österreichischen Ideen sehr nahe komme, aber einen wenig ambitiösen Zeitplan enthalte. Demnach würde im Jahr 2004 eine neue Regierungskon­ferenz beginnen, die sich dieses Themas anzunehmen hätte, und dies käme einem Verschieben auf die lange Bank gleich. Statt dessen sollte ein entsprechender Diskussionsprozess schon unter belgischem Vorsitz beginnen.

Zu den Themen, die Österreich in den Vordergrund gerückt habe, gehöre auch die Idee einer zweite Kammer zum Europäischen Parlament, die aus Vertretern der nationalen Parlamente zu bilden wäre. Dies sei ein sehr vernünftiger Vorschlag, der unter anderem auch von Italien und Großbritannien unterstützt werde. Eine zweite Kammer wäre geeignet, den parlamentarischen Prozess insgesamt zu beleben.

Bundeskanzler Dr. Schüssel merkt zur BSE-Krise an, dass deren Auswirkungen letztlich nur auf europäischer Ebene bekämpft werden könnten. Einen wichtigen Beginn hätten die Agrarminister gesetzt mit dem kürzlich verhängten, zunächst auf sechs Monate befristeten europaweiten Tier­mehl-Verfütterungsverbot und mit der Verpflichtung, Tests an Rindern durchzuführen.

In den Verhandlungen von Nizza werde es auch um die Frage der Kompensation gehen, darum, wie viel aus dem EU-Budget kommen könne. Ungefähr 1 Milliarde Euro werde aus der allge­meinen Haushaltsreserve zur Verfügung stehen, und da stelle sich die Frage, wofür dieses Geld verwendet wird. Offen sei auch der Zeitpunkt der Einrichtung einer Lebensmittelagentur, welche gerade jetzt eine besondere Bedeutung bekommen habe, oder die Frage, wann die Europäische Kommission mit einer weitgehenden Harmonisierung der Lebensmittelvorschriften beginnen wird.

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) dankt Bundeskanzler Dr. Schüssel für dessen Erläute­rungen, auch jene in schriftlicher Form; damit sei eine Grundlage der Orientierung gegeben.

Insgesamt habe die SPÖ den Eindruck, dass die Bundesregierung in ihrer Positionierung sehr starkes Gewicht auf die Frage der Kommission und weniger starkes Gewicht auf die Gewich­tung der Stimmen im Rat, insbesondere zugunsten der kleinen und mittleren Staaten, gesetzt habe. Überdies komme die Problematik der demokratischen Repräsentation durch das Prinzip der doppelten Mehrheit nicht wirklich zum Ausdruck.

Es sei zuzugeben, dass derzeit die kleinen und mittleren Staaten dadurch begünstigt sind, dass sie überproportional mit Stimmgewicht im Rat und mit Abgeordneten im Parlament vertreten sind. Vor allem diese Bereiche würden in Nizza von Entscheidungen betroffen sein. Die Gesetz­gebung in Brüssel finde im Wesentlichen im Rat statt, und zunehmend werde vom Parlament darüber mit entschieden. In diesen Belangen wünsche sich die SPÖ für Österreich, dass es zu einer Stärkung oder allenfalls zu einer nicht ins Gewicht fallenden Schwächung kommt.

Das Argument, das von den großen Mitgliedstaaten vorgebracht und im Wesentlichen auch von der österreichischen Bundesregierung vertreten werde, wonach es auf den Kommissar an­komme, sei für die SPÖ nicht wirklich überzeugend, weil die Kommission tatsächlich das euro­päischste dieser Gremien sei. Der Kommissar sei nicht dem einzelnen Land, sondern der euro­päischen Sache verpflichtet, sodass er primär nicht Interessenvertreter des Landes sei, dessen Staatsbürgerschaft er hat. Daher komme es vor allem darauf an, dafür Sorge zu tragen, dass weder die Kompensation für die großen Mitgliedstaaten zu stark ausfallen wird noch den kleinen Mitgliedstaaten zu viel weggenommen wird. Denn wünschenswert sei eine starke Position Österreichs im Rat.

Bei der doppelten Mehrheit handle es sich um einen Versuch, sicherzustellen, dass nicht nur eine Mehrheit der Staaten, sondern auch die Repräsentation der Bevölkerung notwendig ist, um zu Beschlüssen zu kommen. Allein deswegen sei die Bevölkerung aber noch längst nicht demo­kratisch repräsentiert. Dies werde insbesondere für diejenigen ein Problem sein, die bei Mehr­heitsentscheidungen den Kürzeren ziehen werden. Denn in diesem Fall werde die Bevölkerung, die von einem Minister vertreten wird, der sich nicht hat durchsetzen können, überhaupt nicht repräsentiert sein. Die SPÖ vertrete die Auffassung, dass überall dort, wo es zusätzlich um qualifizierte Mehrheiten gehen soll, auch eine entsprechende Mehrheit im Parlament erforderlich ist, damit eine demokratische Repräsentation gegeben ist.

Die SPÖ vertrete ebenfalls die Meinung, es sei vorläufig noch sinnvoll, das Prinzip „ein Kommis­sar pro Land“ zu verfolgen. Allerdings wäre es zweckmäßig, würde sich die Bundesregierung eine Rückfallposition schaffen, die es erlaubte, einen Kompromiss zu schließen, und zwar dann, wenn es gelänge, die Position im Rat stark zu halten. Die SPÖ könne sich nicht vorstellen, dass Österreich im Rat und in der Kommission geschwächt wird, wohl aber könne sie sich vorstellen, gemeinsam mit den Benelux-Staaten dafür einzutreten, eine möglichst starke Positionierung der kleinen und mittelgroßen Mitgliedstaaten im Rat anzustreben und dafür gegebenenfalls Kompro­misse in der künftigen Arbeit und Organisation der Kommission einzugehen.

Wogegen sich die SPÖ ausspreche, sei eine Hierarchisierung in der Europäischen Kommission. Sie trete für gleichberechtigte Kommissare und für die Stärkung des Präsidenten der Kommis­sion ein.

Abgeordneter Dr. Einem fragt, welche Position die Bundesregierung zur Frage des Artikels 191, betreffend europäische Parteien und Parteienstatut, einnehmen werde.

In Sachen Grundrechtscharta möge die Bundesregierung – im vollen Bewusstsein dessen, dass diesmal nicht mehr als eine Proklamation möglich sein wird – alles dafür tun, dass in der Zeit nach Nizza ein Weg eingeschlagen wird, der zu einer verbindlichen und insbesondere für den Einzelnen durchsetzbaren Grundrechtsordnung auf europäischer Ebene führt. Alles andere drohe einen beträchtlichen Rückschlag auch in den Hoffnungen der Menschen hervorzurufen, die auf eine entsprechende rechtliche Grundlage setzen würden. Würde die Proklamation von Grundrechten nur eine Marketing-Maßnahme bleiben, so wäre dies auch für die EU ein schwerer Schaden. Daher möge sich die Bundesregierung für einen weiteren Prozess einset­zen, der zur Verbindlichkeit führt, sodass der Einzelne diese Rechte künftig auch durchsetzen kann, falls sie verletzt werden.

Abgeordneter Dr. Einem bringt einen entsprechenden Antrag auf Stellungnahme gemäß Arti­kel 23 B‑VG ein.

Obmann Dr. Heinz Fischer ruft in Erinnerung, dass diese Sitzung des Hauptausschusses öffentlich und nicht vertraulich ist.

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) erläutert, wo aus Sicht der ÖVP die Schwer­punkte des Gipfeltreffens in Nizza liegen werden. Zunächst dürfe der eigentliche Zweck dieses Treffens nicht aus den Augen verloren werden, nämlich die Herstellung der Erweiterungsfähig­keit der Europäischen Union. Darin bestehe überhaupt die Voraussetzung für den weiteren Pro­zess ihrer Erweiterung. Es sei wesentlich, dies im Rahmen des Hauptausschusses explizit fest­zuhalten.

Was die Stimmgewichtung anlangt, sei die Europäische Union mit dem Prinzip, dass kleinere Staaten im Rat ein relativ stärkeres Gewicht haben als größere, in den letzten 40 Jahren einen sehr erfolgreichen Kurs gefahren, sodass man vom Prinzip her dabei bleiben sollte. Allerdings würden die größeren Länder, wenn sie gemäß Vertrag von Amsterdam einen Kommissar abge­ben, bei der Frage der Stimmgewichtung berechtigterweise eine stärkere Berücksichtigung fin­den wollen. Daher werde ein Kompromiss zu finden sein, der etwa in der Einführung der doppelten Mehrheit bestehen könnte, sodass dann, wenn ein Beschluss mit qualifizierter Mehr­heit getroffen wird, auch die Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedstaaten und der Bevölkerung gegeben sein muss.

Die ÖVP spreche sich dafür aus, dass jedes Mitgliedsland auch in Zukunft in jeder europäischen Institution vertreten sein soll. Das Festhalten daran sei nicht nur für Österreich, sondern im Zuge der Erweiterung insbesondere auch für die zukünftigen Mitglieder der Union von Interesse. Im Gegensatz zu der vom Abgeordneten Dr. Einem vertretenen Ansicht müsse beachtet werden, dass die Europäische Kommission der Motor der Union sei, dass dort Entscheidungen vorweg fallen würden, dass die Kommission auch das Initiativrecht habe und Informationen vorweg ver­arbeite. Wenn ein Mitgliedstaat in der Kommission nicht vertreten sei, gingen ihm die entspre­chenden Möglichkeiten verloren. Es gehe daher nicht um die Forderung nach einem Kommissar als nationalem Vertreter, wenn für jedes Mitgliedsland Sitz und Stimme in der Kommission verlangt werde.

In Bezug auf die Ausdehnung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit sei realistischer­weise einzuräumen, dass qualifizierte Mehrheiten in vielen Bereichen den Entscheidungspro­zess erleichtern sollen. Daneben wolle Österreich in sensiblen Angelegenheiten jedoch auch in Zukunft an der Einstimmigkeit festhalten.

Einer dieser Punkte bestehe darin, dass alle Fragen, die in der Rechtsordnung konstitutiven Charakter haben, einstimmig beschlossen werden sollen. Dies solle auch Gültigkeit in Fragen der Ausnahmen zum Binnenmarkt oder des Eigenmittelbeschlusses haben. Darüber hinaus solle in den sehr sensiblen Fragen hinsichtlich Artikel 175 Abs. 2 des EU-Vertrages, die bereits zu einer breiten Diskussion geführt haben – Fragen der mengenmäßigen Bewirtschaftung von Wasserressourcen, der Raumordnung, der Bodennutzung, der Wahl des Energieträgers –, die Einstimmigkeit bestehen bleiben. Einstimmigen Entscheidungen unterworfen bleiben sollten überdies die Grundsätze der Verkehrsordnung sowie verschiedene Fragen im Zusammenhang mit Artikel 62 und folgenden, was Asyl, Einwanderung und Flüchtlinge anlangt.

Eine verstärkte Zusammenarbeit solle es zwar geben, aber nur dann, wenn sie an gewisse Hürden gebunden bleibt. Es dürfe nicht über den Umweg der verstärkten Zusammenarbeit eine Art Direktorium der Europäischen Union entstehen. Bei der verstärkten Zusammenarbeit müsse es um Fragen gehen, die im Vertrag geregelt sind, es müsse sich um qualifizierte Mehrheitsent­scheidungen handeln, und es solle auch der Teilnahme einer gewissen Zahl von Mitgliedstaaten bedürfen, damit verstärkte Zusammenarbeit überhaupt stattfinden könnte. Als derartiger Schwellenwert sei die Anzahl von acht Mitgliedern der Europäischen Union – einer derzeitigen Mehrheit – denkbar. Die entscheidende Forderung bestehe darin, dass jedes Land, das nicht vorweg in der verstärkten Zusammenarbeit integriert ist, jederzeit die Möglichkeit zum Eintritt haben müsse.

Zum Artikel 7 des EU-Vertrages habe Österreich bereits einen guten Vorschlag erstattet. Es komme darauf an, für den Fall, dass gegenüber einem Mitgliedsland Behauptungen über Ver­tragsverletzungen oder Sonstiges aufgestellt werden, auf jeden Fall das Prinzip der Rechts­staatlichkeit in eine neue Rechtsordnung Eingang finden zu lassen. Informationen über den Sachverhalt oder auch die Möglichkeit, gehört zu werden, seien wesentliche Parameter für jedes Land, das von solchen Maßnahmen betroffen ist.

Zwar sei in realistischer Betrachtung nicht zu erwarten, dass bereits jetzt eine verbindliche Erklä­rung der Charta der Grundrechte möglich sein wird, doch solle deshalb dieses Ziel nicht aus den Augen verloren werden. Es sei wünschenswert, dass in Nizza zumindest ein Prozess in Gang kommt, der zu einer europäischen Verfassungsordnung führt, die als wichtigen Bestandteil auch die Grundrechtscharta enthält. Darüber hinaus solle zu einer europäischen Verfassung auch eine Art Kompetenzkatalog gehören, worin klar festgelegt wäre, wofür die Union zuständig ist und wofür die Nationalstaaten die Zuständigkeit haben.

Abgeordneter Dr. Spindelegger bringt entsprechend diesen Ausführungen – gemeinsam mit dem Abgeordneten Mag. Schweitzer – einen Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 ein.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass dieser Antrag auf Stellungnahme bereits schriftlich vorliegt.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) kritisiert an der Art der Information durch die Bundesregierung, dass die Zusendung eines 130-Seiten-Dokumentes am späten Nachmittag und die Zusendung einer Information des Bundeskanzlers um 19.42 Uhr nicht ausreichend dafür sei, dass sich eine Fraktion bis zum nächsten Tag in hinreichendem Ausmaß mit der darin dar­gelegten Position auseinander setzen kann. In Zukunft möge bei solch bedeutsamen Themen eine vernünftige Informationspolitik betrieben werden.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger erachtet die österreichische Position vor dem Gipfeltreffen von Nizza in der derzeit formulierten Form für wenig ambitioniert. Es komme darauf an, etwa im Bereich der Institutionenreform eine wesentlich ambitioniertere Stellungnahme einzubringen, vor allem im Hinblick auf das Europäische Parlament und dessen Bedeutung, dies wäre unverzicht­bar im Sinne einer demokratischen Legitimation in Europa. Vor diesem Hintergrund würden sich die Stellungnahmen der Österreichischen Volkspartei sehr randständig ausnehmen.

Es müsse auch die Frage gestellt werden, ob nicht in diesem Zusammenhang die Diskussion über die zweite Kammer das Parlament oder dessen Rechte zu schwächen drohe. Bundeskanz­ler Dr. Schüssel möge darlegen, wie diese zweite Kammer auszusehen hätte, denn darüber sei derzeit wenig zu hören.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger spricht sich dagegen aus, das Thema Stimmgewichtung zu­gunsten des Festhaltens an einem Kommissar für jeden Mitgliedstaat zurückzureihen, zumal eine Veränderung der Kommissionsbestellung im Sinn eines Rotationsmodells Österreich ohne­hin erst im Jahr 2025 betreffen würde. Bis dahin könne mit einer neuerlichen Weiterentwicklung in der Institutionenreform gerechnet werden. Daher wäre es nicht nachvollziehbar, würde sich Österreich mit der Stimmgewichtung erst in zweiter Linie beschäftigen.

Was die Ausnahmen von der Mehrstimmigkeit betrifft, sei eine Ausnahme hinsichtlich des Asyl­rechts keinesfalls zu akzeptieren. Bei den anderen Ausnahmen müsse zumindest einiges hinter­fragt werden.

Bundeskanzler Dr. Schüssel möge auch darlegen, warum manche wichtigen Fragen nicht im Mittelpunkt der österreichischen Diskussion stünden und welche Position Österreich zum Bei­spiel in puncto Steuerrecht und Steuerharmonisierung vertrete.

In Bezug auf die Grundrechtscharta lasse sich Österreich bereits viel zu früh auf eine Rückzugs­position ein. Dies sei – selbst unter Beachtung des Umstandes, dass derzeit offensichtlich nicht sofort eine Verankerung der Grundrechte möglich sein wird – ein Signal derart, dass die Ver­ankerung der Grundrechtscharta für Österreich keine Priorität habe.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger stellt fest, sie vertrete in zwei Punkten eine ähnliche Haltung, wie sie im Antrag von ÖVP und Freiheitlichen zum Ausdruck komme, nämlich hinsichtlich der Her­stellung der Erweiterungsfähigkeit der Union – was eher als „No-na“-Bestimmung zu werten sei – und in Bezug auf BSE. In allen anderen Punkten wären ambitioniertere Formulierungen von Seiten Österreichs wünschenswert. Deshalb bringe sie ihrerseits einen Antrag auf Stellung­nahme ein, in dem es um vier Punkte von zentraler Bedeutung gehe.

Erstens und vor allem müsse es im Rahmen der Ausweitung der qualifizierten Mehrheitsent­scheidung um die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments gehen. Zweitens solle die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtscharta angestrebt werden. Der dritte Punkt sehe vor, dass zur angemessenen Vertretung Österreichs im Rahmen der Weiterentwicklung der Institutionen die Neuverteilung der Stimmen im Rat prioritäre Bedeutung hat. Dies sei im Sinn einer lang­fristigen Perspektive unbedingt nötig. Ferner sollten – und dieser Punkt sei etwas offener formu­liert – in der Debatte um die verstärkte Zusammenarbeit die institutionelle Einheit und die Mitwir­kung aller Mitgliedstaaten garantiert sein. Diese Forderung könne durchaus in die von Bundes­kanzler Dr. Schüssel skizzierte Richtung gehen, doch könne die von ihm zum Ausdruck ge­brachte Bindung an acht Staaten keine dauerhafte Zukunftsperspektive darstellen.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) stellt fest, es sei mit der jetzigen Ver­tragsrevision nicht erst gestern begonnen worden, sodass im Verlauf dieses langen Prozesses immer wieder die Möglichkeit bestanden habe, sich zu informieren und mit den Veränderungen vertraut zu machen. Zudem verfüge der Hauptausschuss über das Vorbereitungskomitee unter der hervorragenden Leitung des Abgeordneten Dr. Einem, dort werde immer wieder rechtzeitig sichergestellt, dass die Abgeordneten alle notwendigen Unterlagen für ihre Arbeit bekommen.

Der vom Abgeordneten Dr. Spindelegger bereits erläuterte Antrag sei von ÖVP und Freiheit­lichen in einer sehr intensiven Diskussion erarbeitet worden. Darin seien alle wesentlichen Anlie­gen Österreichs in ausreichender Form berücksichtigt.

Was eine konsequente Weiterentwicklung der Europäischen Union betrifft, sei kritisch anzumer­ken, dass dafür insgesamt die Voraussetzungen nicht gegeben seien. Denn es sei im EU-Bereich bisher nicht gelungen, eine präzise Kompetenzabgrenzung zwischen europäischer und nationaler Ebene unter strenger Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips vorzunehmen. Von diesem Prinzip sei zwar immer wieder die Rede, aber bisher sei es nicht mit Leben erfüllt worden. Der so genannte Kompetenzkatalog sei nach wie vor nicht existent, dies bringe des Öfteren Probleme mit sich.

Abgeordneter Mag. Schweitzer weist den Abgeordneten Dr. Einem auf ein Gespräch hin, das er mit ihm am Vortag über die Zusammensetzung der zukünftigen Europäischen Kommission hatte. Es wäre für nicht zielführend zu erachten, würde Österreich schon im Vorhinein eine Be­reitschaft signalisieren, in Hinkunft zumindest zeitweise auf einen Kommissar zu verzichten. Insbesondere in einer Phase, in der ein immer größer werdender Teil der österreichischen Bevölkerung der Europäischen Union skeptisch gegenüberstehe, wäre es falsch, aus Nizza mit der Mitteilung für die Bevölkerung zurückzukehren, die Vertreter Österreichs hätten der Festle­gung einer Rotation, die dazu führen würde, dass ihr Land phasenweise keinen Kommissar mehr hätte, freiwillig zugestimmt oder seien in dieser Frage sogar offensiv gewesen.

Auch unter der Voraussetzung der Forderung „ein Kommissar pro Land“ würden die österreichi­schen Verhandler in Nizza eine bestmögliche Lösung für Österreich in Bezug auf die Stimmge­wichtung herausarbeiten wollen, wiewohl zur Kenntnis zu nehmen sei, dass besonders Deutsch­land auf Grund der größer gewordenen Bevölkerung legitim den Anspruch erhebe, mit mehr Stimmgewicht ausgestattet zu werden.

Der Antrag von ÖVP und Freiheitlichen enthalte bereits die wesentlichen Punkte. Es gehe dar­um, für Entscheidungen in den Bereichen der Artikel 175, 71 sowie 62 und 63, von denen vitale österreichische Interessen betroffen seien, auch in Hinkunft die Einstimmigkeit zu erhalten. Denn es wäre nicht einzusehen, würde Österreich in Bereichen von großer Bedeutung freiwillig auf die Einstimmigkeit verzichten.

Was den vom Abgeordneten Dr. Einem angesprochenen Artikel 71 betrifft, handle es sich dabei zwar tatsächlich um totes Recht. Dieses könnte jedoch wieder zum Leben erweckt werden, und dann könnte es im Verkehrsbereich zu Problemen kommen. Daher solle nicht mit dem Hinweis darauf, dass etwas ohnehin totes Recht sei, auf die Erhaltung der Einstimmigkeit verzichtet werden.

Den Anträgen der Grünen sei anzusehen, dass sie über Nacht geschrieben wurden, deshalb lohne es nicht, näher darauf einzugehen.

Abgeordneter Mag. Schweitzer richtet an den Abgeordneten Dr. Einem die Frage, was in dessen Antrag auf Stellungnahme mit folgendem Satz gemeint sei: „Die Bundesregierung wird ersucht, sich gemäß den österreichischen Grundsatzpositionen zur EU-Regierungskonferenz für eine Ausweitung der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat bei gleichzeitiger Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens einzusetzen. Dadurch soll das Zustandekommen gemein­schaftsrechtlicher Regelungen in jenen Politikbereichen erleichtert werden, die für einen moder­nen Wohlfahrtsstaat im Prozess der Globalisierung der Wirtschaft notwendig erscheinen.“

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) erachtet es für richtig, auch in dieser Sitzung die Tradi­tion fortzusetzen, dass der Nationalrat vor Regierungskonferenzen und wichtigen europäischen Räten bindende Stellungnahmen abgibt. Ein Vergleich der jetzt vorliegenden Stellungnahmen zeige, dass es einen weiten Bereich des Konsenses gebe; über einige Unterschiede werde nun zu sprechen sein.

Die geplante Institutionenreform zur Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union spiele sich im Spannungsfeld der Demokratisierung der Entscheidungsprozesse, des Subsidiaritätsprinzips und der Wahrung der Lebensinteressen der österreichischen Republik ab. In diesem Spannungsfeld sei der Europäischen Kommission ein Gewicht zuzumessen, das größer als jenes Gewicht sei, welches in der Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Einem zum Ausdruck gekommen sei. Denn diese Institution stehe in ihrer Bedeutung gleichberechtigt neben dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament.

Tatsächlich sei die Mitwirkungsbefugnis des Europäischen Parlaments sehr wichtig, und ebenso wichtig seien die Entscheidung des Rates als Gesetzgebungsorgan. Aber es dürfe nicht über­sehen werden, dass die Europäische Kommission die Funktion der Exekutive innehat. Von der Regierungserfahrung im eigenen Land her lasse sich ermessen, wie wichtig die Exekutive sei und wie sehr es darauf ankomme, dass von Seiten der Kommission – auch unter der Vorausset­zung, dass deren Mitglieder keine Vertreter der Mitgliedstaaten sind – ein gewisser Informations­beitrag geliefert wird.

Im Übrigen sei die Kommission die Hüterin der Verträge und habe das Initiativrecht. Daher sei ein österreichisches Mitglied in der Europäischen Kommission absolut unverzichtbar. Diese Frage sei zu einer der wichtigen Fragen der Regierungskonferenz geworden. Es stehe für Öster­reich nicht zur Diskussion, auf das Prinzip, dass jedes Mitgliedsland in jedem Organ vertreten zu sein hat, zu verzichten. Es müsse eine klare Botschaft des österreichische Parlaments an den Bundeskanzler und die Außenministerin sein, dass diese Frage sehr wichtig ist.

Was die Grundrechtscharta betrifft, müsse man beachten, dass derzeit lediglich ein in einem un­konventionellen Verfahren erarbeiteter Text vorliege, der nur eine erste Annäherung an einen Grundrechtstext darstelle und sicherlich noch zu evaluieren sein werde. In Diskussionen der Präsidenten der Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten habe sich gezeigt, dass noch nicht hin­reichend ausgelotet ist, welches Verhältnis zwischen der erfolgreichen und sehr wirkungsvollen Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – und dieser Charta besteht und wie sowohl innerstaatlich als auch völkerrechtlich auf den verschiedenen Ebenen das Verhältnis zwischen einer allfällig bindenden Grundrechtscharta der Europäischen Union und der Europäischen Men­schenrechtskonvention beschaffen ist. Da bestehe noch eine Vielfalt von wichtigen Fragen.

Abgeordneter Dr. Khol weist auf die Schwierigkeiten hin, die im Zusammenhang mit der Erhe­bung der Europäischen Menschenrechtskonvention in den Verfassungsrang auftraten. Es habe ein Jahrzehnt gedauert, die Parallelität der Rechtsordnung zwischen österreichischem Verfas­sungsrecht und Europäischer Menschenrechtskonvention auszujudizieren. Dies habe zu einer Reihe von richtungweisenden Judikaten des Verfassungsgerichtshofs geführt.

Es gelte nun, aus dieser Erfahrung zu lernen. Zwar sei die Grundrechtscharta ein erster Schritt, aber solange die genannten Verhältnisse nicht klargelegt seien und solange nicht schlüssig sei, ob es nicht doch klüger wäre, würde die Europäische Union der Menschenrechtskonvention bei­treten, müsse davon abgeraten werden, irreversible Schritte zu setzen.

Man müsse sich auch das Verfahren des Konvents bei der Erstellung der Grundrechtscharta sehr genau ansehen. Es sei der Eindruck entstanden, dass die Arbeit dort nicht nur wegen der hervorragenden Qualität des Vorsitzenden und der Mitglieder so schnell vor sich gegangen sei, sondern auch deshalb, weil dort viele mit gekreuzten Fingern gearbeitet hätten. Die Staaten hätten gesagt: Lassen wir sie dort nur arbeiten, wir werden es dann ohnehin nicht machen.

Abgeordneter Dr. Khol fügt hinzu, er wisse aus seiner Grundrechtserfahrung, dass eine ganze Reihe europäischer Länder nicht im Traum daran denke, eine Grundrechtscharta mit Rechts­kraft anzunehmen, und er verweist auf die Diskussion über den Minderheitenschutz, worin sich gezeigt habe, dass gerade Länder wie Frankreich, Spanien oder Großbritannien nicht bereit seien, in dieser Hinsicht völkerrechtliche oder Unionsverpflichtungen zu übernehmen.

Darüber zu entscheiden, ob die Grundrechtscharta zu einem Bestandteil einer europäischen Verfassung wird – sodass auch die ÖVP dafür eintreten könnte –, werde einer weiteren Konferenz der Mitgliedstaaten vorbehalten sein. Das betreffe sowohl die Vorschläge in der Stellungnahme der Grünen als auch jene der Sozialdemokraten.

Hinsichtlich der Frage der Einstimmigkeit stellt Abgeordneter Dr. Khol fest, dass berechtigter­maßen mehr Entscheidungen der Einstimmigkeit zu unterwerfen wären, weil dies aus Sicht der ÖVP auch der Sicherstellung des Subsidiaritätsprinzips diene. Die Verfügung über Wasser­ressourcen, die Raumordnung oder auch verschiedene Grundfragen der Demokratie müssten jedoch in der ausschließlichen Verfügungsgewalt der Mitgliedstaaten verbleiben.

Zu dem Zweck, die Willensbildung im Hauptausschuss zu erleichtern, schlägt Abgeordneter Dr. Khol vor, über den Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeord­neten Dr. Spindelegger, Mag. Schweitzer und Kollegen betreffend Europäischer Rat von Nizza absatzweise abzustimmen. Damit bestehe die Möglichkeit, über einige der in sechs Punkten aufgelisteten Forderungen dieses Antrags Konsens zu erzielen. Es werde auch für das noch einzusetzende Komitee wichtig sein, zu wissen, wie die Fraktionen zu den einzelnen Vorschlä­gen stehen.

Auch über die nicht bezifferten abschließenden Punkte dieses Antrags – betreffend Regierungs­konferenz und BSE-Frage – möge getrennt abgestimmt werden.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass dem Verlangen auf getrennte Abstimmung stattge­geben wird.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) erachtet es für gut, dass der Opposition eine umfassende Information vorliegt; über den knappen Zeitpunkt der Übermittlung wolle er sich nicht beschwe­ren, dies sei auch in jedem anderen Fall so gewesen.

Nach der Darstellung der prinzipiellen Haltung der SPÖ durch den Abgeordneten Dr. Einem gehe es nun um Fragen, welche die nationalen Parlamente oder das Europäische Parlament betreffen. In dieser Hinsicht sei die Bundesregierung nicht fair vorgegangen. Denn da gehe es nicht mehr nur um die Frage, ob die Regierung pflichtgemäß informiert, sich die Meinungen anhört und dann tut, was sie für richtig hält, sondern da sei das Parlament selbst betroffen.

Die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament seien in vier Punkten betroffen. Deren wichtigster sei das Mitbestimmungsrecht, das Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments. In dieser Hinsicht liege eine akkordierte Haltung vor, mit der man im Wesentlichen zufrieden sein könne.

Der zweite Punkt betreffe die neue Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, die Größenveränderung der nationalen Vertretungen im Europäischen Parlament. Abgeordneter Schieder gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Bundesregierung fair gehandelt und formell den Kontakt mit der österreichischen Delegation zum Europäischen Parlament gesucht hat, und zwar nicht bloß mit den beiden Regierungsfraktionen, sondern mit der gesamten österreichi­schen Delegation zum Europäischen Parlament.

Im dritten Punkt, nämlich in Bezug auf die zweite Kammer, sei nicht fair vorgegangen worden. Dies sei auch eine Frage des österreichischen Parlaments, und da wären entsprechende for­melle Kontakte direkt mit der Präsidialkonferenz des Parlaments, mit dem EU-Hauptausschuss und mit der COSAC-Delegation notwendig gewesen. In der Frage der zweiten Kammer habe die österreichische COSAC-Delegation und hätten alle Fraktionen im Nationalrat – allerdings nicht alle Fraktionen im Bundesrat – in Stellungnahmen immer auch die Position des Europäischen Parlaments eingenommen, die darauf laute, keine zweite Kammer einzuführen.

Zwar wäre es sinnvoll, darüber zu diskutieren, ob sich die Voraussetzungen für eine zweite Kammer geändert hätten und welche Vorstellungen Österreich diesbezüglich habe, aber es sei im höchsten Maße problematisch, wenn die Bundesregierung, ohne irgendeinen offiziellen Kon­takt mit all diesen Stellen zu knüpfen, eine bestimmte Form von zweiter Kammer anpeile, die vielleicht mit den Regierungsfraktionen, nicht aber mit dem Parlament und der COSAC-Delega­tion abgesprochen, ja in diesen Gremien nicht einmal andiskutiert worden sei. Dort sei außer­dem früher einheitlich eine andere Haltung vertreten worden.

Auch in Bezug auf die Frage der europäischen Parteien gemäß Artikel 191 EGV wäre zu erwar­ten gewesen, dass vor der Festlegung eines österreichischen Standpunkts nicht bloß zu den Mehrheitsfraktionen, sondern zu allen Fraktionen des Parlaments ein Kontakt hergestellt wird. Da gehe es nicht nur um eine Haltung der österreichischen Regierung, sondern um die Haltung Österreichs, also auch der im Parlament vertretenen Parteien. Daher sei ein entsprechender Kontakt unabdingbar.

Es sei im höchsten Maße verwunderlich, dafür einzutreten, dass die Regelung für die euro­päischen Parteien, das Statut der europäischen Parteien weiterhin dem Veto unterliegen soll, obwohl der Rechnungshof und auch alle Parteien eine Lösung herbeiführen wollten. Abgeordne­ter Schieder fügt hinzu, er habe eine Vermutung darüber, woher dieses Ansinnen komme. Es sei ja eine Fraktion in der österreichischen Regierung vertreten, die keiner Fraktion des Euro­päischen Parlaments angehört, von daher komme nun „diese große Stichelei, diese Retour­kutsche“. Damit zeige es diese Fraktion den anderen, und sie sage: Das muss dem Veto unter­worfen bleiben, weil wir dort nicht drinnen sind, seht ihr, da habt ihr es!

Abgeordneter Schieder zieht in Zweifel, dass es sich dabei um gescheite Politik für Österreich handelt. In formeller Hinsicht wehre er sich dagegen, dass ein solches Thema nur mit den Regierungsfraktionen besprochen, nicht in die zuständigen Gremien gebracht und vor allem nicht mit dem Parlament diskutiert wird. Es könne nicht hingenommen werden, dass Fragen, die die Parlamente und die Parteien selbst betreffen, nur im Kreis der Koalition ausgemacht werden. Dies sei auch nicht fair.

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne) gibt seiner Befürchtung Ausdruck, dass die Informations­politik über die Initiative der österreichischen Bundesregierung ebenso bescheiden sei wie die Initiative selbst. Der Klub der Grünen habe erst am Vorabend um 19.42 Uhr die Unterlagen bekommen. Es sei nicht anzunehmen, dass der einzige oder beste Informations- oder Telefax­weg aus dem Kabinett des Bundeskanzlers über den ÖVP-Klub führe; dort sei es zu einer Verzögerung um eindreiviertel Stunden und dann „im Gnadenwege“ zur Weiterleitung an die Oppositionsfraktionen gekommen. Vom Kabinett des Bundeskanzlers könne erwartet werden, dass zu gleicher Zeit Faxsendungen an alle vier Fraktionen abgeschickt werden.

Was die Vorgangsweise der österreichischen Bundesregierung betrifft, könne man zwar anneh­men, dass sie sich auf Grund ihrer politischen Randlage in der Europäischen Union selbst nicht mehr zugetraut habe, aber trotzdem bedürfe es in einer politischen Situation, in der große Achsen nicht mehr so wie früher funktionieren würden, der Initiativen von Staaten, die nicht irgendwelchen Achsen und irgendwelchen inneren Bündnissen der EU in höherem Maße ver­pflichtet seien. In dieser Hinsicht habe es eine Chance Österreichs gegeben, die nicht wahrge­nommen worden sei.

Abgeordneter Dr. Pilz erachtet den Standpunkt, dass Österreich um jeden Preis ein Kommis­sionsmitglied behalten müsse, für nicht verständlich. Dies sei auch fast ein kleiner Affront gegenüber dem derzeit amtierenden Agrarkommissar, dem man damit unterstelle, er wäre primär oder in hohem Maße den Interessen eines einzelnen Mitglieds der Europäischen Union verpflichtet. Dies aber wäre eine grobe Amtsverletzung oder Pflichtverletzung eines Kommis­sionsmitglieds. Tatsächlich könne man Kommissar Dr. Fischler genau dies nicht unterstellen, denn er habe in der Europäischen Kommission nicht österreichische, sondern europäische Politik gemacht.

Auch für die Zukunft sei es keine gute Idee, einem Kommissar zu signalisieren, dass er primär als österreichischer Kommissar betrachtet werde. Denn dies würde gleichzeitig bedeuten, die eigenen Ansprüche gegenüber Kommissaren, die nicht aus Österreich stammen, einfach aufzu­geben. Es gehe dabei aber um europäische Einrichtungen, um Personen und Persönlichkeiten, die gegenüber allen Staaten und allen Menschen der Union im gleichen Maße verantwortlich seien.

Diese Auffassung sollte auch in einer Initiative der österreichischen Bundesregierung im Rahmen des Gipfeltreffens zum Ausdruck kommen. Tatsächlich aber geschehe genau das Gegenteil.

Es sei dem Abgeordneten Schieder darin beizupflichten, dass die Art und Weise, wie mit der Umgewichtung von Stimmen umgegangen werde, nicht nur von einer gewissen Missachtung des Europäischen und des österreichischen Parlaments zeuge, sondern auch von mangelhaften Vorstellungen darüber, wie der Demokratisierungs- und Parlamentarisierungsprozess der Euro­päischen Union aussehen soll.

Dieser sehr bescheidene Anspruch erweise sich auch im Fall der Grundrechtscharta. Der Abge­ordnete Dr. Khol habe richtig festgestellt, dass einiges an Arbeit an der Charta noch offen ist, etwa auch, wie der nächste gestalterische Schritt in einer europäischen Verfassung auszusehen hätte. Man könne aber nicht alles aufschieben, was den Prozess in Richtung einer rechtsver­bindlichen Charta und damit in Richtung einer späteren rechtsverbindlichen europäischen Verfassung brächte. Dies alles um fünf oder zehn Jahre hinauszuschieben, liefe auf eine Ver­schiebung des europäischen Verfassungsprozesses hinaus.

Abgeordneter Dr. Pilz fügt hinzu, er habe persönlich den Eindruck, dass die Mitglieder der öster­reichischen Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler schlicht und einfach kein Interesse an diesem Prozess hätten. Es sehe auch nicht danach aus, dass jene Mitglieder des Rates, die alles durch die Brille des Rates sehen, wirklich verstanden hätten, wie wichtig der Prozess der Demokratisierung und der Parlamentarisierung der Europäischen Union sei.

Ein Grund des Misstrauens – das von einem der Koalitionspartner ständig politisch ausgebeutet und missbraucht werde – liege darin, dass sehr viele Menschen zum Teil zu Recht glaubten, es sei dies noch keine europäische Demokratie und sie hätten da noch nicht die Chance, als Bürgerinnen und Bürger – sei es durch Stimmabgabe, sei es durch andere Instrumente – Gehör zu finden.

Die Regierung erwecke den Eindruck, sie vertrete partielle Ratsinteressen und bestimmte Regierungsinteressen, aber nicht die Interessen einer europäischen Demokratie und eines euro­päischen Parlamentarismus. Da stelle sich die Frage, wie man in der Europäischen Union etwas tun solle, was man in der Republik selbst nicht wirklich zu schätzen gelernt habe.

Was das Festklammern an Veto-Möglichkeiten betrifft, führt Abgeordneter Dr. Pilz aus, dass dies den Einigungsprozess behindere und in einigen Bereichen sogar zusätzliche Gefahren schaffe. Darauf, wie absurd ein Vetorecht in Bereichen des Asylrechtes und des Asylwesens sei, habe bereits Abgeordnete Dr. Lichtenberger hingewiesen.

Abgeordneter Dr. Pilz erachtet es für eine gut begründete Vermutung, die Verwendung des Schlagwortes „Boden“ habe viel mit „Natura 2000“ zu tun, mit einem kommenden Recht der Europäischen Union, Naturschutzinteressen auch dort durchzusetzen, wo regionale Wirtschafts­interessen in eine völlig andere Richtung gehen. Hinter einem so genannten nationalen Veto verberge sich somit etwas anderes, nämlich eine Fußnote etwa dieser Art: Wenn uns die Euro­päische Union zu ökologisch und zu naturschützerisch wird, dann gibt es ein Veto, und dann machen wir wieder, was wir wollen.

Zur zweiten Kammer sei das Wichtigste bereits gesagt worden. Niemand habe bis jetzt erklärt, wozu man eine zweite Kammer brauche. Bekannt sei bisher nur, wer sich dagegen ausgespro­chen hat. Das Europäische Parlament lege keinen Wert auf eine zweite Kammer. Der österrei­chischen Nationalrat sei dazu nicht einmal befragt worden; Bundeskanzler Dr. Schüssel könne heute nicht sagen, was der österreichische Nationalrat darüber denkt. Alle, die es betreffe, seien nicht gefragt worden, mit ihnen sei nicht gesprochen worden. Dies sei eine private Idee der österreichischen Bundesregierung, mit der sie zumindest am Europäischen Parlament weit vorbei denke.

Zusammenfassend sei festzustellen, dass es in der jetzigen Situation gerade für einen neutra­len, kleinen, achsenmäßig niemandem übermäßig verpflichteten Staat eine große Chance gege­ben hätte, eine bemerkenswerte Initiative zu setzen. Dies sei aber nicht geschehen, und es bestehe Grund zu der Vermutung, dies habe auch damit zu tun, dass eine antieuropäische Partei Teil des jetzigen Regierungsbündnisses sei. Wahrscheinlich werde Österreich darauf warten müssen, bis sich die politischen Verhältnisse ändern, damit wieder so etwas wie eine europäische Politik von Österreich aus zustande kommen könnte.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) fragt mit Bezug auf eine Textstelle von Seite 4 des erwähnten Berichtes, den der Bundeskanzlers schriftlich vorgelegt hat – „Dennoch dürfen und können wir uns nicht täuschen, Nizza wird schwierige Kompromisse notwendig machen, wenn wir unsere Versprechen einlösen wollen“ –, worin diese offenbar bereits vorbereiteten Kompro­misse bestünden.

Weiters stelle sich die Frage, warum auf den Seiten 4 und 5 – der „europäische Einigungspro­zess muss allerdings auch die Akzeptanz in der Bevölkerung berücksichtigen“, „jeder Beschluss sollte von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten und der Bevölkerung getragen werden“ – gleich zweimal betont werde, dass die Akzeptanz der Bevölkerung notwendig ist. Damit gehe die Frage einher, inwieweit sich Bundeskanzler Dr. Schüssel tatsächlich mit Meinungen in der Bevölkerung auseinander setzen wolle und ob er – was sehr wünschenswert wäre – gemeinsam mit der SPÖ eine Perspektive entwickeln und damit eine Mehrheit in der Bevölkerung gewinnen wolle.

Was die Erweiterung der Europäischen Union betrifft, habe etwa das Burgenland in der letzten Landtagswahl beispielhaft gezeigt, dass in einer Auseinandersetzung zwischen einem eher pro­vinziellen, bescheidenen, profanen, einfachen Denkansatz und einem weltoffenen, progressiven Denkansatz der Wähler dem Letzteren eine positive Antwort gebe. Würde sich auch die Bun­desregierung dieser Sichtweise anschließen, so bestünde eine Möglichkeit, dass die Formulie­rung „Akzeptanz der Bevölkerung“ eine besondere Dynamik bekommt.

Der bisherige Diskussionsverlauf in dieser Sitzung gebe Anlass zu der Bemerkung, dass die Bundesregierung mit dem Konzept, mit dem sie an den Rat von Nizza herangehe, Gefahr laufen könnte, Österreich letztlich kleiner zu machen, als es sei. Ein solcher Ansatz würde ebenfalls nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung finden.

Erforderlich sei eine ehrliche Diskussion über die Stimmgewichtung und die Frage des Kommis­sars. Würden sich die großen Mitgliedstaaten gönnerhaft geben und jeweils auf ihren zweiten Kommissar verzichten, so würden sie sich dafür bei der Stimmgewichtung schadlos halten, wohl wissend, dass im Rat die wahre Macht verborgen sei. Dies habe die österreichische Bundes­regierung anscheinend noch nicht wirklich erkannt.

Abgeordneter Dr. Cap räumt ein, es sei damit auch eine symbolische Frage verbunden, und überdies gehe es um den sympathischen Kommissar Dr. Fischler, der angesichts seines Verhal­tens im Zuge der Regierungsbildung in Schutz genommen werden müsse, der auch sehr stark den europäischen Gedanken und weniger den für Bundeskanzler Dr. Schüssel genehmen Standpunkt vertreten und auch in diesem Sinne, von seinem Selbstverständnis her, korrekt gehandelt habe. Wahrscheinlich trete Bundeskanzler Dr. Schüssel aus dieser Logik heraus so vehement dafür ein, dass Österreich in diesem Bereich weiterhin engagiert bleibt.

Trotz der hohen Symbolkraft dürfe aber nicht vergessen werden, wo die wahren Entscheidungen fallen. Würde das Ergebnis darin bestehen, dass Österreich einen „Frühstücks-Kommissar“ erhält und einen Verlust bei der Stimmgewichtung im Rat hinzunehmen hat, dann hieße dies wiederum, Österreich kleiner zu machen, als es ihm zukäme.

Das Ergebnis werde der Bevölkerung jedenfalls erklärt werden müssen. Dazu werde die Bun­desregierung Kommunikatoren brauchen, da werde sie auch die Unterstützung der SPÖ benö­tigen.

Was die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie deren Struktur betrifft, erinnert Abgeordne­ter Dr. Cap an die Überlegungen über eine schnelle Eingreiftruppe, und er fügt hinzu, er denke sowohl bei dem Wort „schnell“ als auch bei dem Gedanken an die Möglichkeit, dass dies jemals eine Eingreiftruppe wäre, mit leichtem Schmunzeln an das österreichische Bundesheer. Mög­licherweise wäre es besser, dies als eine Diskussion zu betrachten, die man gar nicht führen sollte.

Von Interesse seien hingegen die wahre Balance der europäischen Gewichtung in diesen Struk­turen und das Verhältnis gegenüber der NATO. Eine Antwort auf diese Frage sei auch erforder­lich, um die Bevölkerung ausreichend informieren zu können.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel stellt fest, dass die Debatte über das Ausmaß an Informationen jedes Mal von neuem geführt werde. Die Bundesregierung versuche, die Doku­mente, nachdem sie auf Deutsch eingelangt sind, so rasch wie möglich zu verteilen. Dies könne ein paar Stunden dauern, aber davon möge nicht zu viel Aufhebens gemacht werden, zumal alle Vortexte vorhanden seien; es sei dies eine sich aufbauende Sache. Die Bundesregierung lasse die Dokumente nicht absichtlich liegen, und die Mitarbeiter – deren Arbeit ausdrücklich positiv und lobend zu erwähnen sei – seien wirklich bemüht, einen Informationsfluss zu allen Institutio­nen, also dem Parlament, den Fraktionen, anderen Ministerien, den Fraktionen im Europäischen Parlament, der österreichischen Mission und so weiter sicherzustellen. Es stecke daher nichts Unbekanntes dahinter.

In diesem Fall habe überdies die französische Präsidentschaft die Texte sehr spät geliefert. Diese Kritik könne zwar weitergegeben werden, aber das ändere nichts daran, dass es jetzt dar­auf ankomme, die Positionen zu besprechen. Diese Debatte sei ein Informationsaustausch und ein Meinungsbildungsprozess. Denn hier im Parlament finde die entsprechende Willensbildung Österreichs statt. Diese gehe nicht klandestin vor sich, sondern werde hier transparent, vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit durchgeführt. Weder die Parlamentarier noch die Regierung brauchten sich kleiner zu machen, als sie seien. Es habe alle Bemühungen gegeben, einen objektiven und guten Informationsfluss sicherzustellen.

Bundeskanzler Dr. Schüssel dankt den Fraktionen für ihre Bereitschaft, sich unter dem Vorsitz von Präsident Dr. Fasslabend während der drei oder vier Tage des Gipfeltreffens in Nizza bereit­zuhalten, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren.

Es werde wichtig und notwendig sein, dass die Verhandlungen in Nizza von Erfolg gekrönt sind, nicht nur wegen der Erweiterung, sondern auch wegen der Handlungsfähigkeit der Union als Ganzer. Daher werde es im Interesse des Ganzen erforderlich sein, eine gemeinsame Linie zu finden, und dabei werde auch die konstruktive Mitarbeit der Parlamentarier vonnöten sein.

Bundeskanzler Dr. Schüssel weist mit Entschiedenheit zurück, dass er eine Gewichtung der Institutionen vorgenommen hätte, wonach die Europäische Kommission wichtiger als der Euro­päische Rat wäre. Diese Unterstellung sei schlicht und einfach falsch. Vielmehr sei es ein wenig sonderbar, dass sich die Meinung so mancher Fraktion offensichtlich von Sitzung zu Sitzung ändere. Vor dem Treffen in Biarritz habe es in den Gremien – fast spiegelverkehrt zur jetzigen Situation – noch geheißen, dass es besonders auf einen österreichischen Kommissar an­komme.

Tatsächlich treffe es zu, dass der österreichische Kommissar kein österreichischer Interven­tionsreferent ist. Dies sollten eigentlich alle längst gelernt haben, es brauche daher nicht betont zu werden. Er sei ein europäischer Funktionär und in dem Sinn kein Regierungsmitglied, er sei der Mit-Chef einer besonders wichtigen Verwaltungseinheit.

Der Abgeordnete Dr. Cap sei der einzige SPÖ-Debattenredner gewesen, der verstanden habe – dafür sei ihm ausdrücklich zu danken –, wie sensibel diese Frage gerade in einer Zeit wie jetzt sei, da der österreichische Kommissar innenpolitisch durchaus eigenständige Positionen einge­nommen habe, und dass es nichtsdestoweniger darauf ankomme, in voller Liberalität und Tole­ranz genau diesen Kommissar zu schützen. Es sei nicht zu verstehen, dass die Opposition nicht bereit sei, in gleicher Weise wie die österreichischen Regierungsparteien und die österrei­chische Bundesregierung, die in Brüssel die österreichischen Positionen vertreten werde, Kom­missar Dr. Fischler zu schützen. Denn dieser habe erstens seine Meinung, die er sagen könne und solle, und darüber hinaus sei er das Gesicht Österreichs in der Europäischen Kommission.

Es hänge noch sehr viel mehr daran, und manche Leute, die „generell mit der europäischen Demokratie und mit dem Gebetbuch der Political Correctness unterwegs“ seien, wüssten viel­leicht nicht, wie es in der Kommission praktisch zugehe. Das Kabinett des Kommissars sei das zentrale Steuerungsinstrument für alle Informationen, die das Personal in der Kommission betreffen. Da gehe es um ein paar hundert Österreicher, und bevor ein Posten überhaupt aus­geschrieben wird, komme es bereits darauf an, zu wissen, dass in dieser Hinsicht möglicher­weise etwas bevorsteht. Da sei der österreichische Kommissar helfend beigestanden, und dies verdiene lobend erwähnt zu werden.

Dass der Verzicht der großen Mitgliedstaaten auf den zweiten Kommissar kompensiert werden muss, sei bereits in Amsterdam vertraglich akzeptiert worden, und zwar mit der Stimme eines sozialdemokratischen österreichischen Bundeskanzlers. Die Kompensation für den Verlust des zweiten Kommissars sei garantiertes Recht, dies sei damals auch eine vernünftige und vertret­bare Regelung gewesen. Aber nunmehr gehe es um diese Frage: Verliert ein Grundprinzip an Wert?

Würde fünf Jahre lang kein österreichischer Kommissar der EU-Kommission angehören, so wüsste Österreich nicht, was im zentralen Steuerungsgremium der Kommission vor sich geht, und bliebe so im Unklaren zum Beispiel darüber, wann welche Initiative der Kommission in Gang gesetzt wird und wer eine Chance hat, sich bei Bewerbungen durchzusetzen.

Käme es tatsächlich zur Aufgabe des Grundprinzips, dass jeder Mitgliedstaat in jeder EU-Institu­tion vertreten ist, so hätte dies schwerwiegende Folgewirkungen. Es müsste damit gerechnet werden, dass auch die Vertretungen in der Europäischen Zentralbank, im Europäischen Ge­richtshof und im Europäischen Rechnungshof betroffen wären. Es sprächen daher gute Argu­mente dafür, dieses Prinzip aufrechtzuerhalten, und ein solches Prinzip sollte nicht deshalb, weil sich eine Mehrheit von sozialdemokratischen Regierungschefs längst auf diese Stimmung geeinigt habe, einfach über Bord geworfen werden.

Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, er sei neben dem Präsidenten der Sozialdemokra­tischen Internationale, Guterres, und dem irischen Ministerpräsidenten Ahern der Einzige, der massiv für diese Auffassung eintrete. Er hätte sich eigentlich gewünscht, vom Parlament dafür tosenden Unterstützungswind zu verspüren.

Die Aufforderung von Seiten der SPÖ, sich bereits jetzt eine Rückfallsposition zu überlegen, stehe im Gegensatz zu der ebenfalls von SPÖ-Seite, nämlich vom Abgeordneten Dr. Cap, ge­äußerten Kritik daran, dass schon im Vorhinein von einem Kompromiss gesprochen worden ist. Würde bereits jetzt vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit festgehalten werden, dass Österreich in puncto Europäische Kommission eine Rückfallsposition brauche, so würde dies die Ausgangsposition in den Verhandlungen sehr schwächen.

Statt dessen komme es darauf an, hier im Parlament nach Möglichkeit eine gemeinsame Posi­tion aller Fraktionen zu finden. Dies würde nicht der österreichischen Bundesregierung innen­politisch helfen, sondern es würde vielmehr Österreich und den europäischen Prinzipien Nutzen bringen, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass auch bedacht wird, welche Folgen es hätte, vom bisher gültigen Prinzip abzurücken. Zwar sei der Verlauf der Diskussionen in Nizza nicht absehbar, aber es würden dort sicherlich harte Auseinandersetzungen bevorstehen. Da werde es darauf ankommen, zu wissen, inwieweit Unterstützung von Seiten des Hauptausschusses gegeben ist. Es sei eine zentrale Frage, ob wesentliche Teile des österreichischen Parlaments sagen: Eine Stimme mehr oder weniger im Rat ist uns wichtiger als die Frage des Grundprinzips der Vertretung in allen Gremien, sei es die EZB, der Europäische Gerichtshof, der Europäische Rechnungshof oder eben die Europäische Kommission.

Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich dafür aus, die Prinzipien, unter denen Österreich der Europäischen Union beigetreten ist, aufrechtzuerhalten und dies argumentativ zu begründen. Ihm gehe es nicht um ein Bestemm, und schon gar nicht erachte er die Bedeutung der Stimm­gewichtung für gering. Er habe seine Position klar bezogen und in dieser Hinsicht keinerlei Kompromisse in der Öffentlichkeit erkennen lassen.

Obmann Dr. Heinz Fischer wirft die Frage ein, wie sich die jetzige Argumentation von Bundes­kanzler Dr. Schüssel, dass jeder Mitgliedstaat in jeder EU-Institution vertreten sein soll, zu dem folgenden Satz aus seinem schriftlich vorgelegten Bericht verhalte: „Jeder Mitgliedstaat bleibt gleichberechtigt in jeder europäischen Institution vertreten.“

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel antwortet, „gleichberechtigt“ sei auf die Institution be­zogen zu verstehen. Im Rat bestehe eine entsprechende Gewichtung, aber hinsichtlich der Insti­tutionen, zum Beispiel hinsichtlich der Europäischen Kommission, komme es darauf an, auch für die Zukunft das Grundprinzip zu wahren, dass jedes Mitgliedsland dort einen Vertreter haben soll. Dieses Prinzip gelte es auch für EZB, Europäischen Gerichtshof und Europäischen Rech­nungshof weiterhin einzuhalten, in dieser Hinsicht solle eine Vertretung ohne Gewichtung und ohne Unter- oder Überordnung bestehen bleiben.

Diese Forderung sei auch als Antwort auf eine Alternative zu verstehen, die von manchen Seiten – nicht offiziell, aber informell – angeboten werde, nämlich eine Art Hierarchisierung. Diese wäre ebenso wenig akzeptabel. Deshalb beziehe sich diese Forderung nach Gleichbe­rechtigung auf jenen Bereich, in den jeder Mitgliedstaat einen Vertreter zu entsenden hat, dort habe selbstverständlich das Prinzip der Gleichberechtigung zu gelten. Allerdings sei diese Forderung in dem angesprochenen Text insofern unscharf formuliert, als ja der Präsident der Kommission tatsächlich nicht gleichberechtigt wie ein normaler Kommissar sei.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass es sich dabei um einen neuen Punkt handelt, der mit den Worten beginnt: Jeder Mitgliedstaat bleibt gleichberechtigt in jeder europäischen Institu­tion vertreten.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel hebt hervor, dass die Grundrechtscharta in Nizza keineswegs mehr inhaltlich diskutiert, sondern vielmehr feierlich proklamiert werden wird. In dieser Lage habe Österreich zwar die Möglichkeit, die Unterschrift zu verweigern und sich nicht an der Proklamation zu beteiligen, dies wäre aber nicht besonders klug. Eine weitere Diskussion zu diesem Thema werde es nicht geben, es könnte allenfalls unter den „Follow up“-Punkten nach Nizza eine Frage sein, ob dieses Thema unter schwedischer oder unter belgischer Präsi­dentschaft wieder aufgenommen wird.

In der Frage „Mehrheitsentscheidungen oder Einstimmigkeit“ müsse Österreich einmal seine Forderungen auf den Tisch legen. Es wäre nicht logisch und als Argument nicht haltbar, zu sagen, dass Umweltfragen von höchster Bedeutung, die Asyl-Punkte aber uninteressant wären oder die europäische Idee gefährden würden. Zum Unterschied von anderen europäischen Ländern gelte für Österreich ein höherer Grad an Betroffenheit in diesen beiden Punkten.

Was das Bodenrecht betrifft, müsse beachtet werden, dass Österreich eine der höchsten Be­siedlungsdichten aufzuweisen hat. Daher sei sicherzustellen, dass Österreich selbst über diese Frage entscheidet, genauso wie etwa über die Wasserressourcen. Da habe Österreich einen Standortvorteil – warum also sollten in dieser Frage Mehrheitsentscheidungen akzeptiert werden? Auch andere Mitgliedstaaten würden, wenn sie etwa über Bodenschätze wie Erdgas oder Erdöl verfügen, niemals akzeptieren, dass es zu Mehrheitsentscheidungen hinsichtlich der Verfügbarkeit über diese Ressourcen käme. Dies gelte auch für Fischfangrechte und Ähnliches. Es handle sich dabei in den Verhandlungen um die härtesten Fragen, da steige jeder auf die Barrikaden. Für Österreich gehe es dabei eben um die natürlichen Ressourcen Wasser und Boden.

In der Frage der Umwelt habe die Europäische Kommission bisher noch nicht einmal Entwürfe für Direktiven vorgelegt. Daher sei derzeit überhaupt nicht einzusehen, warum es einen Über­gang von der Einstimmigkeit zur Mehrstimmigkeit geben sollte, ohne dass die Pläne der Kom­mission bekannt geworden sind.

Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, falls es nach Nizza zu einer Diskussion darüber käme, welche Aufgaben entweder renationalisiert oder sogar auf die Ebene der Länder und Gemein­den verlagert werden, würden seiner persönlichen Ansicht nach Bodenrecht und Raumordnung genauso dazuzählen, weil dies mit der Europäischen Union primär überhaupt nichts zu tun habe. Dies seien klassische Themen, die gemäß Subsidiaritätsprinzip auf die Ebene der nachgeordne­ten Gebietskörperschaften gehören. Ähnliches gelte auch für das Asyl- und Fremdenrecht.

Seit in Amsterdam zum ersten Mal diese dritte Säule entwickelt wurde, sei die Diskussion zäh und schleppend verlaufen. Nunmehr hätten einige Mitgliedstaaten den Wunsch geäußert, den ganzen Bereich des Artikels 63 zum Gegenstand von Mehrheitsabstimmungen umzuwandeln, obwohl es dafür noch nicht einmal ein gemeinsames europäisches Recht gebe. Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich deshalb gegen eine bereits jetzt erfolgende Festlegung aus. Zunächst solle die Europäische Kommission „ihre Hausaufgaben machen“, und dann, nach Vorliegen eines konkreten Vorschlags, werde dieser zu prüfen sein.

Bundeskanzler Dr. Schüssel berichtet, er sei erschüttert gewesen, als kürzlich aus „irgendeiner Kommissionsquelle“ eine Initiative zu vernehmen gewesen sei, wonach „EU moves on migration policy“, und dazu irgendwelche Zahlen genannt worden seien, bei denen normal denkende Men­schen in Ohnmacht gefallen seien. Darüber sei politisch nie diskutiert worden. Daran zeige sich auch das Demokratiedefizit innerhalb der Europäischen Union: Es sei nie in einem Rat darüber diskutiert worden, ein solcher Ansatz sei nie dem Parlament vorgelegt worden, und es habe nicht einmal in der Kommission eine Diskussion darüber gegeben. Aber trotzdem werde die Forderung erhoben, in diesem Punkt schon jetzt auf Mehrstimmigkeit umzusteigen. Dem erteilt Bundeskanzler Dr. Schüssel eine entschiedene Absage.

Diese Position unterscheide sich in keiner einzigen Nuance von der Position, die zum Beispiel das Innenministerium bereits in der vergangenen Legislaturperiode vertreten habe. Auch von daher wäre es angebracht, hier im Hauptausschuss ein klares Signal dafür zu geben, dass großes Interesse an der Entwicklung eines entsprechenden europäischen Rechts besteht und dass es in diesen Fragen einer Vereinheitlichung bedarf, um gemeinsame Normen festzulegen. Es komme darauf an, in diesen Fragen wenigstens ein europäisches Basisrecht zu entwickeln. Aber jetzt schon festzulegen, dass später einmal Entscheidungen mit Mehrheit zu fassen sein würden, hieße, das Pferd von hinten her aufzuzäumen.

Was die Steuerpolitik betrifft, weist Bundeskanzler Dr. Schüssel auf jahrelange Diskussionen hin, in denen zum Ausdruck gekommen sei, dass grundsätzliche Fragen wie jene der Steuer­sätze oder der Bemessungsgrundlagen weiterhin nur einstimmig geregelt werden dürfen. Die steuerlichen Bestimmungen im Umweltbereich seien noch ein strittiger Punkt. Sie könnten ebenso wie die Verfahrensbestimmungen mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Ent­sprechende Vorschläge für einen Kompromiss seien jedoch auf den Widerstand von Groß­britannien, Luxemburg, Schweden, Irland und Dänemark getroffen. Österreich hingegen wäre zum Beispiel sehr daran interessiert, dass auch der Ort der Besteuerung künftig mit qualifizierter Mehrheit festgelegt wird. Die Verhandlungen über dieses Thema würden zu den schwierigsten gehören.

Hinsichtlich des Artikels 191, betreffend das Statut der europäischen politischen Parteien und deren Finanzierung, spricht Bundeskanzler Dr. Schüssel von einer in Wirklichkeit sehr üppigen Finanzierung der Fraktionen im Europäischen Parlament. Jeder wisse das, und das sei so auch in Ordnung, denn das Parlament solle vernünftig dotiert sein.

Problematisch sei aber die Frage, ob die einzelnen Fraktionen jetzt etwa Hilfe und Unterstützung für den Aufbau von demokratischen Parteien in Mittel- und Osteuropa leisten sollten. In dieser Hinsicht habe der Rechnungshof kritisch festgestellt, dass die Tätigkeit der Fraktionen von der Arbeit der Parteien zu trennen wäre. Seit Jahren werde darüber diskutiert, ob es überhaupt ein entsprechendes Statut geben solle, ob in diesem Fall Einstimmigkeit oder Mehrstimmigkeit be­stehen solle, welche Finanzierungsaspekte zu beachten wären, und so weiter. Dazu liege bis zur Stunde kein Vorschlag vor. Die Europäische Kommission habe nur verlauten lassen, dass sie einen solchen Entwurf ausarbeiten werde.

Fragen seien in diesem Zusammenhang nicht nur von Österreich, sondern zum Beispiel auch von Großbritannien und Dänemark gestellt worden, zum Beispiel danach, um wie viel Geld es dabei gehe. Diese Frage sei für die Steuerzahler in ganz Europa von großem Interesse.

Eine zweite Frage bestehe darin, ob die Vielfalt der politischen Kräfte auch auf europäischer Ebene voll gewahrt wird. Ferner sei von Bedeutung, dass es durch ein entsprechendes Statut nicht etwa zur Übertragung nationaler Zuständigkeiten auf eine europäische Ebene käme.

Im Rahmen der Debatte in Nizza würden für den Fall der Forderung nach einer entsprechenden Bestimmung im Artikel 191, gestützt auf Artikel 251, einige Klarstellungen erforderlich sein. Es müssten Fragen wie die folgenden gestellt werden: Wie kann die volle Vielfalt gewahrt bleiben? Wodurch kann sichergestellt werden, dass es hier nicht „Gleiche und Gleichere“ gibt? Wie kann gesichert werden, dass etwa die Zulassung zu den Wahlen zum Europäischen Parlament – hier gehe es vor allem um die bevorstehenden Erweiterungen – den nationalen Zuständigkeiten überlassen bleibt? Wie kann klargestellt werden, um wie viel Geld es geht, auf welche Weise die Finanzierung erfolgt und wie die Kontrolle vorgenommen wird?

Bundeskanzler Dr. Schüssel erachtet diese Fragen für sehr vernünftig, er werde sie daher in Nizza auch zur Sprache bringen. Dies habe nichts mit sinistren Dingen zu tun. Allerdings hätten sich manche bisher tatsächlich vor einer transparenteren Diskussion, einer Diskussion im vollen Licht der Öffentlichkeit gescheut. Von einem Veto sei dabei nicht die Rede, vielmehr gehe es um inhaltliche Punkte, die im Zusammenhang mit diesem Thema besprochen werden müssten. Dieses sei ohnehin auf Beamtenebene – auch beim Konklave – schon mehrere Male angespro­chen worden.

Zur Frage nach der Rolle des Europäischen Parlaments führt Bundeskanzler Dr. Schüssel aus, Österreich sei immer dafür gewesen, dass Legislativakte des Rates, die Mehrheitsentscheidun­gen unterworfen sind, auch der Zustimmung und Mitentscheidung durch das Europäische Parla­ment unterliegen. Dies könne derzeit für weitgehend gesichert erachtet werden.

Im Hinblick auf eine Erweiterung der Europäischen Union, die das Europäische Parlament drastisch verändern werde, spricht sich Bundeskanzler Dr. Schüssel für die Schaffung einer zweiten Kammer des Europäischen Parlaments aus, insbesondere zur Stärkung der parlamen­tarischen Position von kleineren Ländern. Darüber werde es zwar in Nizza keinerlei Vorentschei­dung geben, aber die Diskussion über die Möglichkeit einer zweiten Kammer, gebildet aus Parlamentariern der nationalen Parlamente, werde sicherlich im Post-Nizza-Prozess zu führen sein. Bundeskanzler Dr. Schüssel ergänzt, dies sei zwar seine persönliche Meinung, aber die gleiche Auffassung werde auch von einer großen Anzahl von Parlamentariern in Österreich und in Europa schon lange vertreten.

Was die verstärkte Zusammenarbeit betrifft, vertrete Österreich die Position – da sei auch im Wesentlichen ein Konsens erkennbar –, dass jedes Land jederzeit das Recht hat, teilzunehmen, und dass dafür eine Mindestgröße von acht Ländern festgelegt werden soll. Strittig sei nur noch das für die zweite Säule gültige Ausmaß, in dieser Hinsicht hätten einige Mitgliedstaaten die Ab­sicht, die Zahl von acht Ländern zu unterschreiten. Da könnte am Ende eine gewisse Kompro­missformel notwendig sein. Österreich trete dafür ein, dass in allen drei Säulen die gleiche Zahl Gültigkeit haben soll. Aber wichtiger sei die Frage voller Transparenz im Aufholmechanismus und die Rolle der Kommission.

In Bezug auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungsdimension liege im Wesentlichen jetzt nur eine Absegnung dessen vor, was unter portugiesischem und französischem Vorsitz erreicht wurde. Für Österreich werde es darauf ankommen, vor allem das zivile Element und das Krisenvorsorge-Element stark zu betonen.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) widerspricht der von Bundeskanzler Dr. Schüssel geäußerten Ansicht, dass kein Dokument der Europäischen Kommission betreffend die euro­päischen Parteien vorliege.

Obmann Dr. Heinz Fischer erinnert daran, dass diese Sitzung des Hauptausschusses rechtzei­tig vor der darauf folgenden Plenarsitzung des Nationalrates ihren Abschluss finden muss und dass auch noch einige prozedurale Fragen im Zusammenhang mit dem so genannten „Feuer­wehr-Komitee“ zu klären sein werden.

In seiner Eigenschaft als Ausschussmitglied richtet Obmann Dr. Fischer an Bundeskanzler Dr. Schüssel eine Frage in Bezug auf Artikel 191 des Gemeinschaftsvertrages. Er verweist auf eine schriftliche Übereinkunft der Fraktionsvorsitzenden beziehungsweise der Parteivorsitzen­den der europäischen politischen Familien, wonach sie übereinstimmend ein Interesse daran hätten, den Artikel 191 so zu ändern, dass auf europäischer Ebene eine Parteienfinanzierung und ‑unterstützung ermöglicht wird.

Die derzeitige Praxis, wie die Fraktionen dotiert werden und durch Synergieeffekte die Arbeit in osteuropäischen Staaten oder die Arbeit der Parteien indirekt unterstützt wird, missfalle dem Rechnungshof mit Recht. Entsprechend der Bestimmung in der österreichischen Verfassung, dass die Parteien ein wesentliches Element der Demokratie sind und daher ihre Vielfalt wichtig ist, sollte für den Artikel 191 eine Formulierung gefunden werden, welche die Grundlage dafür sein könnte, dass die Europäische Kommission jene Beschlüsse fasst, die jetzt nicht möglich sind, über deren Inhalt man sich dann aber einigen könnte.

Es könnte somit sinnvoll sein und im österreichischen Interesse liegen, ein zweistufiges Verfah­ren zu wählen. Danach wäre erstens eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass die poli­tischen Familien auf europäischer Ebene anerkannt und ihrer Aufgabe entsprechend finanziert werden. Dies müsste unter Beachtung von Sparsamkeit betragsmäßig festgelegt werden. So­dann wären sehr strenge Richtlinien dafür zu schaffen, dass es nicht zu einem Sickern von der europäischen Ebene auf die nationale Ebene kommt. Käme es dazu, so würde dies die öster­reichische Öffentlichkeit nicht verstehen.

Eine solche Veränderung des Artikels 191 stünde auch in Entsprechung zu einem Wunsch etwa des Abgeordneten zum Europäischen Parlament Dr. Martin oder des deutschen Verteidigungs­ministers Scharping.

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ) spricht sich dafür aus, die Perspektive einer europäischen Weiterentwicklung im Sinne der künftigen Rolle Europas in der Welt in die Dis­kussion einzubeziehen. Dies sei auch von Bedeutung für die Frage des Euro. Dessen Stärke werde nicht nur von der europäischen Wirtschaft abhängen, sondern sie sei auch eine Frage der Stärke der europäischen Politik und stehe im Zusammenhang mit dem weltpolitischen Auftreten Europas.

Im Hinblick auf die Stärkeverhältnisse in der Europäischen Union – dort weise zum Beispiel Österreich trotz eines Verhältnisses von ungefähr eins zu zehn in der Bevölkerungszahl eine Relation von ungefähr 1 : 2,5 gegenüber Deutschland auf, was die Vertretung im Rat betrifft – fragt Abgeordneter DDr. Niederwieser, wo es nach Ansicht der Bundesregierung eine mathema­tische Grenze gebe, an der sie die Interessen Österreichs in diesem Zahlenspiel noch gewahrt sehe. Dabei sei auch zu beachten, dass die Bandbreite der damit zusammenhängenden mathe­matischen Formeln zwischen 1 : 3 und 1 : 5 schwanke.

Obwohl die kleinen und mittleren Länder in der Europäischen Union viele gemeinsame Interes­sen hätten, werde es Österreich in einigen Punkten nicht leicht haben, Verbündete zu finden, so zum Beispiel in der Frage der Dauerhaftigkeit seiner Transitregelung. Abgeordneter DDr. Nie­derwieser fragt, ob die Bundesregierung in Nizza versuchen werde, eine Verlängerung der Geltungsdauer der Transitregelung zu erreichen.

Im Zusammenhang mit Artikel 191 EGV habe Bundeskanzler Dr. Schüssel mit dem Satz, dass die Vielfalt der politischen Kräfte in Europa voll gewahrt bleiben muss, aufhorchen lassen. Dazu würden zunächst einmal alle ja sagen, aber es müsse auch an Diskussionen wie jene gedacht werden, die jetzt in Deutschland über das Verbot der NPD stattfindet. Es stelle sich die Frage, ob auch dies im Begriff der angesprochenen Vielfalt der politischen Kräfte enthalten sei.

Dazu stellt Abgeordneter DDr. Niederwieser eine weitere Frage an Bundeskanzler Dr. Schüssel: Gibt es mit Ihrem Regierungspartner FPÖ irgendwelche Übereinkünfte, oder bestehen da irgendwelche Grenzen, die Ihnen Ihr Regierungspartner setzt, was das Statut der europäischen Parteien und diesen Artikel 191 anlangt?

In einem Dokument des Außenministeriums sei von Strukturindikatoren die Rede, und mit Bezug darauf stelle sich die Frage, welche Indikatoren geeignet seien, um Fortschritte im Bereich der Mitgliedstaaten zu messen, nicht nur im angesprochenen Bereich von Finanz- und Währungsfragen, sondern auch im Hinblick auf Beschäftigung, Innovation, Wirtschaftsreformen oder sozialen Zusammenhalt, aber auch zum Beispiel auf die Konzeption, Frauen wieder in den Haushalt zurückzuschicken, wie sie etwa dem Kindergeld zugrunde liege, oder die geschlechts­spezifischen Unterschiede bei der Beschäftigung.

Abgeordneter DDr. Niederwieser fragt weiters, warum der Antrag der Abgeordneten Dr. Spindel­egger, Mag. Schweitzer nicht wie üblich an die Bundesregierung, sondern ausdrücklich an den Bundeskanzler gerichtet ist.

Angesichts der Betonung darauf, dass ein österreichisches Kommissionsmitglied besonders wichtig sei, sei zu fragen, warum im Punkt drei des vorliegenden Antrags der Regierungs­fraktionen nur von dem „Recht, ein Mitglied der Kommission zu nominieren“, gesprochen wird. Also gehe es nicht darum, dass das Ziel eines Kommissionsmitgliedes für Österreich erreicht werden muss, sondern es handle sich bloß um ein Nominierungsrecht: Jeder Mitgliedstaat be­halte das Recht, ein Mitglied zu nominieren. Somit stelle sich die Frage, ob Österreich weiterhin auf einem Mitglied in der Europäischen Kommission beharren wolle.

Nach Ansicht des Abgeordneten Dr. Werner Fasslabend (ÖVP) geht es in den bevorstehen­den Beratungen um die Grundfrage der zukünftigen Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. In diesem Zusammenhang sei es die mit Abstand wichtigste Frage, welche Bedeutung die Kommission und der Rat dabei haben werden.

In der Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik habe sich gezeigt, wie sich eine Parallelität zwischen Rat und Kommission tatsächlich auswirken könne. Es wäre ein absolut unmöglicher Standpunkt, nicht das Gewicht auf die Europäische Kommission zu legen, denn andernfalls würde die Kommission längerfristig in eine Art Beamtenstatus abfallen und nie die Möglichkeit haben, sozusagen „regierungshafte Züge“ anzunehmen. Damit wäre aber ihre Handlungsfähigkeit verloren. Es entstünde über kurz oder lang ein Verhältnis, in dem insbeson­dere die neu hinzukommenden Mitglieder längerfristig keine Möglichkeit der Identifikation auf dem Weg über die Kommission mehr vorfänden und sich das Gewicht noch viel stärker auf die Seite des Rates verlagerte.

Ein Vergleich, wie ihn Abgeordneter Schieder mit der Frage gezogen habe, ob dann nicht auch die österreichischen Bundesländer jeweils österreichische Bundesminister wählen müssten, sei nicht zutreffend. Eher geeignet seien allenfalls Vergleiche, die in Richtung Pfalz oder Königtum gingen. Jedenfalls sei die Frage eines österreichischen Kommissars von zentraler Bedeutung, und in dieser Hinsicht sei es auch wichtig, Bundeskanzler Dr. Schüssel jede mögliche Unterstüt­zung zu geben.

Was die europäischen Parteien betrifft, würden Erfahrungen aus den ost- und mitteleuro­päischen Ländern für die Unterstützung der Regierungslinie sprechen. Denn dort, wo das Parteienbild noch überhaupt nicht gefestigt sei, wo sich eine Vielfalt darstelle, die mit der west­europäischen Parteienlandschaft nur bedingt vergleichbar sei und wo sich tagtäglich etwas Neues bilde, wäre es vollkommen verfehlt, bereits jetzt in eine Richtung zu gehen, die eine Entwicklung vorwegnimmt.

Im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Europäischen Parlaments stellt Abgeordneter Dr. Fasslabend fest, dieses werde seine Bedeutung wahrscheinlich erst dann erreichen, wenn ein ähnliches Prinzip wie auf der Regierungsebene erreicht wäre, nämlich eine Balance zwi­schen Mitgliedschaft oder Vertretensein jedes einzelnen Landes auf der einen Seite und einer gewissen Stimmgewichtung auf der anderen Seite. Dies bedeute eine Art Senatsprinzip auf der einen Seite, sodass jedes Mitglied mit einer bestimmten, gleich bedeutenden Position vertreten wäre, und auf der anderen Seite ein Gremium, in dem die Stärke der einzelnen Parteien zur Gel­tung käme, wie sie auch in nationalen Parlamenten vorzufinden ist. Dies spreche insbesondere in längerfristiger Betrachtung dafür, dass ein Zwei-Kammern-System anzustreben ist.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) erachtet die Diskussion über die zweite Kammer zwar für wichtig, spricht sich aber dafür aus, auch die Stärkung der demokratischen Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments mit der gleichen Vehemenz zu vertreten. Dies scheine derzeit nicht der Fall zu sein. Nur über das Zweite zu sprechen und darüber das Erste einfach wegzuschieben, werfe ein eigenartiges Bild auf das Verständnis der europäischen Institutionen.

Der Vorschlag des Abgeordneten Dr. Khol auf getrennte Abstimmung über den Antrag von ÖVP und Freiheitlichen sei zu begrüßen, doch wäre es mehr als ein Euphemismus, zu sagen, dies wäre die Entwicklung einer gemeinsamen Position. Denn tatsächlich sei keine gemeinsame Position entwickelt worden, sondern die Forderungen seien von den beiden Regierungs­parteien vorgegeben worden, und die Opposition habe nur die Möglichkeit, dazu ja oder nein zu sagen.

Was Punkt vier des Antrags der Abgeordneten Dr. Spindelegger, Mag. Schweitzer betrifft, hält Abgeordnete Dr. Lichtenberger zwar „ein Overrulen der europäischen Institute“ nicht für zielführend, wenn es um eine mengenmäßige Bewirtschaftung von Wasser geht, aber wenn es zu einer Vermengung mit der Frage von „Natura 2000“ komme, die sich im gleichen Para­graphen und in der Erwähnung von Boden, Bodennutzung und Raumordnung verberge, dann sei es nicht möglich, eine globale Zustimmung zu geben, vor allem auch deshalb, weil in diesem Punkt ausdrücklich die Formulierung „zum Beispiel“ aufscheint. Da nicht absehbar sei, was im Lauf der Entwicklungen in Nizza im Rahmen von „zum Beispiel“ noch „hineinrutschen“ könnte, laufe dies auf die Ausstellung einer Blankovollmacht hinaus, und eine solche könne nicht erteilt werden.

Von zentraler Bedeutung sei die im Punkt zwei des Antrags angesprochene „angemessene Neugewichtung der Stimmen im Rat“. Bundeskanzler Dr. Schüssel möge erklären, was „ange­messen“ konkret bedeute.

Was die verstärkte Zusammenarbeit betrifft, stelle sich die Frage nach der Vorgangsweise, und zwar danach, ob diese sozusagen nach dem Modell Euro oder nach dem Modell Schengen erfolgen solle. Es sei vor allem nicht klar geworden, welche Rolle dabei das Europäische Parla­ment einzunehmen hätte.

Was das österreichische Verlangen betrifft, weiterhin ein Mitglied der Europäischen Kommission zu stellen, stellt Abgeordnete Dr. Lichtenberger fest, es sei aus der Sicht der derzeitigen ÖVP-Führung natürlich klar, dass Kommissar Dr. Fischler in Brüssel bleiben solle, aber auch sie selbst halte das für gut.

Insgesamt sei das Vorgehen der österreichischen Bundesregierung als defensiv zu bezeichnen. Dies sei auch der Grund dafür, dass die Grünen außer dem Antrag auf Stellungnahme betref­fend Institutionenreform weiters einen Antrag auf Stellungnahme betreffend Neufassung des Artikels 133 EGV eingebracht haben, der folgendermaßen lautet: „Die Bundesregierung wird ersucht, gegen eine Änderung des Artikels 133 für die Bereiche Dienstleistungen und Rechte auf geistiges Eigentum einzutreten.“

Im Hintergrund gehe es dabei auch um die Frage von Patenten auf Leben, damit diese nicht „ums Eck eingeschleust“ werden können. Dieser Antrag stehe im Einklang mit einem breiten Konsens im österreichischen Parlament.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer antwortet dem Abgeordneten Schieder auf dessen Frage, ob die österreichische Verfas­sung besser wäre, wenn jedes Bundesland einen Minister stellen würde, dass dies auf ein grundsätzliches Missverständnis hindeute in Bezug auf das, was die Europäische Union sei, und das, was der demokratische Rechtsstaat in Österreich sei, der auf dem Prinzip der Gewalten­trennung beruhe.

Die Europäische Union sei ein Gebilde sui generis, und die Europäische Kommission stelle nicht die europäische Regierung dar, sie sei auch in dieser Weise nicht demokratisch legitimiert, sondern vielmehr ein Exekutivorgan, das der Kontrolle durch das Europäische Parlament, aber auch durch die Mitgliedstaaten bedürfe.

Es sei erstaunlich, dass allen Stellungnahmen von Vertretern der sozialdemokratischen Fraktion in dieser Sitzung zu entnehmen sei, dass ihnen ein österreichischer Kommissar plötzlich nicht mehr so wichtig sei, obwohl dies bisher immer einer zentralen Position der SPÖ entsprochen habe.

Die beiden Fragen – ein Kommissar für Österreich sowie die Stimmgewichtung im Rat – seien gleich wichtig. In beiden Punkten vertrete Österreich eine klare Position, die dazu dienen soll, sowohl im Rat als auch in der Kommission mit einer entsprechend starken Stimme vertreten zu sein.

Die Forderung, dass Österreich weiterhin ein Mitglied der Europäischen Kommission haben soll, habe nichts mit dem zu tun, was Abgeordnete Dr. Lichtenberger in einem etwas hanebüchenen Argument ausgesagt habe, nämlich dass es darum gehe, Dr. Fischler persönlich als Kommissar in Brüssel zu halten. Worauf es ankomme, sei vielmehr, dass sich offensichtlich die Position der Sozialdemokraten in dieser Frage verändert habe.

Festzustellen sei auch eine Reihe von Missverständnissen, was aber nichts damit zu tun habe, dass Informationen zu spät vermittelt worden seien, da die entsprechenden Diskussionen schon seit Wochen und Monaten im Gang gewesen seien. Dies betreffe auch die Rolle des Euro­päischen Parlaments. Selbstverständlich sei überall dort, wo eine qualifizierte Mehrheit vorge­sehen sei, auch der Übergang auf die Mitentscheidung im Europäischen Parlament gegeben. Dies sei aber nicht neu, und der Hinweis darauf diene nur der Korrektur des falschen Eindrucks, die Rolle des Europäischen Parlaments wäre für die Bundesregierung nicht wichtig.

Was die Frage der politischen Parteien betrifft, werde hoffentlich auch der Abgeordnete Dr. Nie­derwieser der Vielfalt der politischen Parteien prinzipiell zustimmen und mit dem Prinzip überein­stimmen, dass in jedem einzelnen Nationalstaat, der der Europäischen Union angehört, das Volk der Souverän ist, dass es das Recht der Bürger in diesen Ländern ist, sich ihre Parlamente und daraus folgend ihre Regierungen selbst zu wählen, und dass es nicht das Recht der Euro­päischen Union sein kann, in welcher Hinsicht auch immer in diese demokratische Legitimität in den einzelnen Mitgliedstaaten einzugreifen.

Dies müsse besonders betont werden angesichts der Erfahrungen, die Österreich im Zuge der Sanktionen der 14 anderen Mitgliedstaaten gemacht habe. Damit sei zum ersten Mal der Ver­such unternommen worden, in eine Wahl, in eine Form des demokratischen Rechtsstaates in einem einzelnen Mitgliedstaat einzugreifen. Es komme darauf an, alle derartigen Versuche nachhaltig abzuwehren.

Was sozusagen die Grenze der politischen Parteien betrifft, stellt Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer fest, diese bestehe in den nationalen Verfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Sie beantwortet die Frage nach der NPD damit, dass eine solche Parteigründung in Österreich gar nicht möglich gewesen wäre. Das hier bestehende Verbotsgesetz hätte von vornherein verhin­dert, dass eine Gruppierung wie diese sich als Partei überhaupt hätte bilden können. Es sei allen anderen Mitgliedstaaten dringend anzuraten, ähnliche Regelungen zu treffen. Sich diese Grenze zu setzen, liege in der demokratischen Verantwortung jedes einzelnen Mitgliedstaates, doch sei dies keine Frage der Europäischen Union, und das könne es auch nicht sein.

Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer führt weiters aus, sie sei „begeistert“ darüber, dass Abgeordne­ter Dr. Cap jetzt plötzlich die Akzeptanz der Bevölkerung als so wichtig eingeschätzt hat. Da er die zweimalige Erwähnung hervorgehoben habe, müsse ihm gesagt werden: Es könne gar nicht oft genug erwähnt werden, dass die Akzeptanz der Bevölkerung eine wesentliche Grundlage auch der Politik der Europäischen Union sein muss, und zwar viel mehr noch, als das bisher der Fall gewesen sei. Es sei bedauerlich, dass dieser Gesichtspunkt in der Vergangenheit auch von österreichischer Seite viel zu wenig berücksichtigt wurde.

Nicht nachvollziehbar sei aber der Standpunkt – und dies gelte auch für den Abgeordneten Dr. Pilz –, das Vetorecht im Umweltbereich für gut, bei der Asylproblematik jedoch für schlecht zu halten. Wenn es darum gehe, die österreichischen Interessen zu vertreten – dies sei das ge­meinsame Anliegen, und dies gelte für das Wasser, für die Umwelt, für die Verkehrspolitik und genauso für die Asylpolitik –, dann müsse dazu die Möglichkeit bestehen, wenn nötig, auch mit einem Veto. In Fragen, in denen es um existenzielle Lebensinteressen geht, könne es keinen Unterschied in der Gewichtung geben. Was in dem einen Fall gut sei, könne nicht in dem anderen Fall schlecht sein.

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) antwortet, dass gerade der letzte Satz von Vizekanzle­rin Dr. Riess-Passer das ganze Dilemma aufwerfe. Denn die Entscheidung, vom Prinzip der Ein­stimmigkeit in jenen Fällen, in denen es sie noch gibt, abzugehen, heiße zugleich, von dem Prin­zip „ein Staat – eine Stimme“ abzugehen. Dies sollte auch klar gesagt werden. Der schrittweise Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung, der jetzt in mehreren Etappen vollzogen werde, bedeute eine Stärkung der Starken zu Lasten der Schwachen. Denn bis jetzt hätten eben die Schwachen im Fall von Entscheidungen mit Einstimmigkeit eine Stimme gehabt, daher sei es ohne sie nicht gegangen.

Nunmehr wolle die österreichische Bundesregierung plötzlich diesen Weg selektiv teils aufrecht­erhalten, teils stoppen. Sie suche sich jetzt aus, wo sie die Gültigkeit des Prinzips „ein Staat – eine Stimme“ beibehalten wolle, und tue so, als ob man dies in der Kommission kompensieren könnte. Das sei aber Unsinn. Wahr sei, dass man dies in der Kommission nicht kompensieren könne, und wahr sei auch, dass sich die Frage aufdränge, wer das Gesicht des Burgenlandes oder Vorarlbergs in der Bundesregierung sei. Wenn dies die zentralen Fragen seien, dann sei die Argumentation von Bundeskanzler Dr. Schüssel nicht zu verstehen.

Die Sozialdemokraten seien dafür, dass Österreich eine starke Stellung in Europa hat. Dafür sei es notwendig, die Position im Rat so stark wie nur möglich auszubauen. Dafür könne es keine Kompensation in Form der Positionierung geben, dass Österreich unbedingt einen Kommissar haben müsse.

Die Sozialdemokraten hätten keineswegs gesagt, dass Österreich die Forderung nach einem Kommissar aufgeben solle. Aber sie würden sich dagegen verwahren, dass man gleich im Vor­hinein eine Aussage über eine maßvolle Kompensation für den Verzicht auf eine größere Forde­rung treffe und dass in diesem Sinn ein Dokument zum Beschluss erhoben werde.

Abgeordneter Dr. Einem stellt fest, es gehe aus den Unterlagen der Ständigen Vertretung und dem Bericht zum Konklave am 3./4. Dezember hervor, dass in Bezug auf Artikel 191 sehr wohl ein Text vorliegt und dass Österreich dazu eine Stellungnahme abgegeben hat. Bundeskanzler Dr. Schüssel möge daher gegebenenfalls seine gegenteilige Meinung politisch begründen, aber nicht eine Information geben, die offenbar so nicht stimme.

Da Außenministerium und Wirtschaftsministerium in der Frage des Artikels 133 unterschiedliche Positionen vertreten hätten, möge Bundeskanzler Dr. Schüssel den Standpunkt der Bundes­regierung klarlegen.

Abgeordneter Dr. Einem ruft die Bundesregierung dazu auf, den von der SPÖ eingebrachten Antrag anzunehmen und damit eine starke, gemeinsame Position Österreichs zu schaffen. In diesem Sinn sei es auch wünschenswert, dass die Bundesregierung auf die Opposition zugeht. Dem werde aber nicht entsprochen, wenn in den Dokumenten plötzlich von Dingen die Rede sei, die, wie zum Beispiel eine zweite Kammer des Europäischen Parlaments, vorher nie disku­tiert worden seien. Die SPÖ sei zu einem konstruktiven Dialog bereit, aber dazu bedürfe es auch der direkten Information von Seiten der Bundesregierung.

Dem von den Regierungsfraktionen eingebrachten Antrag werde die SPÖ in einzelnen Punkten zustimmen, insbesondere dem Punkt 5 und dem letzten Absatz. Den anderen Punkten könne sie nicht zustimmen, weil sie damit inhaltlich nicht voll übereinstimme.

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne) stellt fest, dass zwei Mitglieder der österreichischen Bun­desregierung in dieser Debatte zwar versichert hätten, es werde selbstverständlich ein Mitent­scheidungsrecht des Europäischen Parlaments vorgesehen werden, und es werde im Rahmen des Gipfeltreffens dafür eingetreten werden. Davon sei jedoch im vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen keine Rede.

Abgeordneter Dr. Pilz äußert das Verlangen, auch über den aus vier Punkten bestehenden Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeordneten Dr. Lichtenberger und Dr. Pilz betreffend Position der österreichischen Regierungsvertreter auf der Regierungs­konferenz in Nizza nach Punkten getrennt abzustimmen. Der erste Punkt beziehe sich darauf, die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments zwingend vorzusehen. Würden die Regie­rungsfraktionen dies ernst nehmen, so stehe zu erwarten, dass zumindest dieser Punkt die Zustimmung erhalten werde.

Abgeordneter Dr. Pilz richtet mit Bezug auf die im Antrag der Abgeordneten Dr. Spindelegger, Mag. Schweitzer angesprochene „angemessene Neugewichtung der Stimmen im Rat“ an Bun­deskanzler Dr. Schüssel die Frage, worin das Höchstmaß der Stimmen bestehe, auf die zu verzichten er in den Verhandlungen bereit sei. Derzeit habe Österreich vier Stimmen im quasi-gesetzgebenden Organ der Europäischen Union. Angesichts der Bedeutung dieser Frage habe das gesetzgebende Organ der Republik Österreich ein Recht darauf, von Regierungsseite dar­über eine präzise Information zu erhalten. Von der Antwort auf diese Frage hänge auch die Möglichkeit ab, diesem Punkt des Antrags der Regierungsfraktionen zuzustimmen oder ihn abzulehnen.

Über die zukünftige Umweltpolitik und die Frage des Einsatzes von Vetorechten herrsche offen­sichtlich Verwirrung. Die grüne Position bestehe nicht darin, dass man das Vetorecht in Asyl­fragen aufgeben und in Umweltfragen exzessiv nutzen solle. Im Gegenteil, es sei etwa in der Frage gentechnischer Patentierungen hinsichtlich der WTO-Vertragsverhandlungen dringend notwendig, über Mehrheitsentscheidungen zu einer gemeinsamen europäischen Position zu kommen, die ein starkes Gegengewicht zu den USA und den mit ihr verbündeten Staaten bilden könne. Die Europäische Union habe gemeinsam mit südamerikanischen Staaten sowie gewis­sen afrikanischen und asiatischen Staaten eine Chance, die Entwicklung der WTO-Verhand­lungen entscheidend zu beeinflussen.

Deshalb müsse auch hier darauf hingewiesen werden. Zwar treffe die Annahme von Bundes­kanzler Dr. Schüssel in speziellen Bereichen wie etwa der Verkehrspolitik zu, aber in anderen, neueren Fragestellungen der Umweltpolitik gelte dies nicht.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel stellt klar, dass es in Bezug auf die zweite Kammer keinen österreichischen Vorschlag gibt. Dies werde ein Thema für den Post-Nizza-Prozess sein.

Das sei auch nicht unvernünftig, wie sich an folgender Rechnung erweise. Derzeit verfüge Österreich über 21 Abgeordnete zum Europäischen Parlament. Nachdem die Erweiterung in vollem Umfang vollzogen sein werde, würde sich die Zahl der österreichischen Abgeordneten in der Bandbreite von 14 bis 17 von insgesamt 700 Abgeordneten bewegen. Da möge man sich das Gewicht vorstellen, das den österreichischen Parlamentariern zukommen wird.

Auch müsse beachtet werden, dass von einer Reduktion vor allem die kleinen Fraktionen betrof­fen wären. Es komme aber darauf an, nicht die Vielfalt der europäischen Parteienlandschaft durch diesen Prozess zu schmälern.

Die Idee einer zweiten Kammer, gebildet von Repräsentanten der nationalen Parlamente, wäre geeignet, die Position der kleinen Mitgliedstaaten zu stärken, weil dort die Unterschiede zwi­schen den jeweiligen Bevölkerungsgrößen nicht so stark wie im Europäischen Parlament zur Geltung kämen. So stelle auch der amerikanische Senat – auch wenn diese zweite Kammer wahrscheinlich nicht so aussehen werde – ein ganz anderes Modell als das Repräsentanten­haus dar. Um sicherzustellen, dass über dieses Thema im Post-Nizza-Prozess offen geredet werden wird, müsse es bereits jetzt – wenngleich auch nicht als offizieller Vorschlag – ange­meldet werden. Denn dies sei für die Stärkung des parlamentarischen und demokratischen Elements sehr wichtig.

Was Artikel 191 betrifft, bestehe anscheinend ein Missverständnis. Zwar liege dazu ein Textvor­schlag von zwei, drei Zeilen vor, aber es gebe derzeit noch keinen Entwurf der Europäischen Kommission für ein entsprechendes Statut. Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner habe daher im letzten Konklave zu Recht festgestellt, dass es derzeit keinen Bedarf nach einer Ver­tragsänderung gibt. Somit sei diese Diskussion verfrüht. Bereits vor Wochen gestellte Fragen nach den finanzielle Auswirkungen seien bisher nicht beantwortet worden. Auch Großbritannien habe eine entsprechende Präzisierung verlangt. Mit der Forderung, dass solche Mittel nicht für die Finanzierung nationaler politischer Parteien herangezogen werden dürften, sei nur allgemein auf den Rechnungshof Bezug genommen worden. Es müsse jedoch konkret gefragt werden: Wie viel Geld soll dafür eingesetzt werden? Wie sind dafür die Bedingungen? Wie soll inhaltlich ein solches Statut ausschauen?

Bundeskanzler Dr. Schüssel äußert Zustimmung zu der Idee von Obmann Dr. Fischer, in dieser Hinsicht ein zweistufiges Verfahren zu wählen. In der ersten Phase müssten die notwendigen Fragen aufgeworfen werden. Nicht zugestimmt werden könnte jedoch der Vorgangsweise, dass zuerst eine Vertragsklausel verändert wird und danach jeder sagen könnte, es habe keine Be­schränkung im Hinblick darauf gegeben, wie viel Geld dafür eingesetzt wird. Eine offene und transparente Diskussion darüber sei absolut zulässig.

Bundeskanzler Dr. Schüssel regt in Ergänzung zu den Ausführungen von Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer über Verbotsgesetze und ähnliche Bereiche an, auch daran zu denken, dass es in den Erweiterungsländern eine Reihe von demokratischen politischen Parteien gebe, die mit der europäischen Struktur nicht vollinhaltlich identisch seien und daher nicht einer der beste­henden Fraktionen der europäischen Parteienfamilie zugeordnet werden könnten, wie zum Bei­spiel in der Slowakei die von Premierminister Dzurinda gegründete Partei. Es komme darauf an, sicherzustellen, dass sich auch im Europäischen Parlament die Buntheit der demokratischen Parteienlandschaft widerspiegelt. Andernfalls drohe eine Situation zu entstehen, die zu dem Vergleich herausfordere, es könnte auf europäischer Ebene die „Animal Farm“ neu gegründet werden. Daher sei es berechtigt, entsprechende Fragen aufzuwerfen.

Auf den Einwurf betreffend das Gesicht des Burgenlandes antwortet Bundeskanzler Dr. Schüs­sel mit dem Hinweis darauf, dass die Europäische Kommission keine Regierung ist. Er erwarte nicht, dass die Europäische Union jetzt plötzlich zu einem Bundesstaat umgebaut werde. Dies entspreche nicht der Idee der ÖVP von Europa.

Was die Fragen nach der angemessenen Vertretung Österreichs betrifft, erinnert Bundeskanzler Dr. Schüssel daran, dass gemäß den Beschlüssen von Amsterdam die Stimmwägung im Rat – sei es durch Neuwägung oder doppelte Mehrheit – in einer für alle Mitgliedstaaten annehmbaren Weise zu erfolgen hat und alle bedeutsamen Sachverhalte zu berücksichtigen sind, insbeson­dere die Frage eines Ausgleichs für jene Mitgliedstaaten, welche die Möglichkeit aufgeben, ein zweites Kommissionsmitglied zu benennen. Dem habe Österreich damals unter Federführung des früheren SPÖ-Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers Mag. Klima zugestimmt, und auch der frühere Bundesminister Dr. Einem habe dies mit beschlossen. Dazu sollte man auch wenige Jahre später noch stehen.

In Bezug auf Artikel 133 spricht sich Bundeskanzler Dr. Schüssel dafür aus, dass Österreich für eine Stärkung der Europäischen Kommission eintritt. Dazu gehöre auch, ihr nach Möglichkeit ein volles Mandat für internationale Verhandlungen zu geben. Allerdings treffe es zu, dass in dieser Hinsicht nicht alle Ministerien die gleiche Meinung vertreten. Derzeit stünden einander zwei Modelle einer Regelung gegenüber, die jedoch beide nicht hinreichend seien. Österreich sei traditionell ein exportorientiertes und umweltorientiertes Land und müsse daher ein Interesse daran haben, in diesem Punkt weiter zu gehen und schneller voranzukommen. Tendenziell werde es im Bereich des Artikels 133 weitergehender Rechte der Kommission und häufigerer Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit bedürfen.

In Bezug auf die Strukturindikatoren erklärt Bundeskanzler Dr. Schüssel, Österreich wolle für die Zeit der schwedischen Präsidentschaft den Wunsch verankern, Umweltindikatoren neu zu ent­wickeln.

Der Transitverkehr sei für Nizza nicht als Thema vorgesehen, da dies Sache der Verkehrs­minister sei. Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, er habe in bilateralen Gesprächen mit Ver­tretern Deutschlands und Italiens, aber auch in einem Gespräch mit Präsident Chirac versucht, die EU-Staaten dafür zu sensibilisieren, dass Österreich sich nach dem Auslaufen des Transit­vertrages im Jahr 2003 ein befriedigendes „Follow up“ wünsche.

In einem Beitrag zur Geschäftsbehandlung urgiert Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne) die Beantwortung der von ihm gestellten präzisen Frage, welches das Höchstmaß der Stimmen im Rat sei, die von der Bundesregierung in den kommenden Verhandlungen aufgegeben, also zur Verfügung gestellt werden könnten. Bundeskanzler Dr. Schüssel möge noch einmal die Ge­legenheit bekommen, diese Frage zu beantworten.

Obmann Dr. Heinz Fischer weist darauf hin, dass dieser Beitrag mit der Geschäftsbehandlung nichts zu tun habe, wenn unter einem Antrag zur Geschäftsbehandlung ein solcher verstanden werde, der zur Herbeiführung eines geschäftsordnungsmäßigen Zustandes gerichtet ist. Nichts­destoweniger erteilt er Bundeskanzler Dr. Schüssel neuerlich das Wort.

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel antwortet, dass Abgeordneter Dr. Pilz offenbar nicht informiert sei. Denn es gehe nicht darum, ob Österreich auf die Anzahl von drei, zwei oder einer Stimme heruntergehe. In den Vorschlägen, die auch dem Abgeordneten Dr. Pilz bekannt seien, werde von einer Verdoppelung der Stimmen ausgegangen. Daher werde Österreich dann nicht vier, sondern möglicherweise acht Stimmen haben.

Die Frage sei daher nicht jene der Zahl der österreichischen Stimmen, sondern eher, wie hoch die Stimmen der anderen Mitgliedstaaten hinaufgehen würden. Die österreichische Präferenz sei auf die doppelte Mehrheit gerichtet.

Es wäre nicht einzusehen, dass von der österreichischen Verhandlungsposition abgerückt wird, nur um dem Abgeordneten Dr. Pilz etwas zu sagen, was er gerne hören wolle.

Obmann Dr. Heinz Fischer stellt fest, dass keine weitere Wortmeldung vorliegt, schließt die Debatte und leitet über zur Abstimmung.

Dem Verlangen wird jeweils stattgegeben, über zwei der vier vorliegenden Anträge auf Stellung­nahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG – den Antrag der Abgeordneten Dr. Spindelegger, Mag. Schweitzer und Kollegen betreffend Europäischen Rat von Nizza sowie den Antrag der Abgeordneten Dr. Lichtenberger und Dr. Pilz betreffend Position der österreichischen Regie­rungsvertreter auf der Regierungskonferenz in Nizza – nach den einzelnen Punkten getrennt abzustimmen.

Der von den Abgeordneten Dr. Einem und Genossen eingebrachte Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG betreffend die Regierungskonferenz zur Institutionellen Reform der Europäischen Union bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.

Über den Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeordneten Dr. Spindelegger, Mag. Schweitzer und Kollegen betreffend Europäischen Rat von Nizza wird nach den einzelnen Punkten getrennt abgestimmt.

Punkt eins – „Die Erweiterungsfähigkeit der Union wird hergestellt“ – wird mit Mehrheit ange­nommen.

Punkt zwei – „Das Gleichgewicht zwischen großen und kleinen Staaten in der Europäischen Union muss gesichert bleiben ...“ – wird mit Mehrheit angenommen.

Punkt drei – „Jeder Mitgliedstaat bleibt gleichberechtigt in jeder europäischen Institution vertre­ten ...“ – wird mit Mehrheit angenommen.

Punkt vier – „Der Ausdehnung von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit auf geeignete Bereiche soll sich Österreich nicht verschließen ...“ – wird mit Mehrheit angenommen.

Punkt fünf – „Zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Entwicklung Europas soll die weitere Inte­gration möglichst alle Mitglieder der Union umfassen ...“ – wird einstimmig angenommen.

Punkt sechs – „Artikel 7 EUV soll unter Hinweis auf den Beschluss des EU-Hauptausschusses vom 14. Juni 2000 ... abgeändert beziehungsweise ergänzt werden ...“ – wird mit Mehrheit angenommen.

Die im nicht bezifferten vorletzten Absatz dieses Antrages erhobene Forderung nach Prüfung der Frage „einer präzisen Kompetenzabgrenzung zwischen der europäischen und nationalen Ebene unter strikter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips (Kompetenzkatalog)“ wird mit Mehrheit angenommen.

Die im nicht bezifferten letzten Absatz erhobene Forderung nach Maßnahmen „angesichts des vermehrten Auftretens von BSE ...: Die BSE-Schnelltests sind raschest durchzuführen, die Einrichtung einer Europäischen Lebensmittelagentur ist voranzutreiben“ wird einstimmig ange­nommen.

Titel und Eingang dieses Antrages werden mit Mehrheit angenommen.

Über den Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG der Abgeordneten Dr. Lich­tenberger und Dr. Pilz betreffend Position der österreichischen Regierungsvertreter auf der Regierungskonferenz in Nizza wird ebenfalls nach den einzelnen Punkten getrennt abgestimmt.

Die vier Artikel sowie Titel und Eingang dieses Antrages bleiben jeweils in der Minderheit und sind abgelehnt.

Der von den Abgeordneten Dr. Lichtenberger und Dr. Pilz eingebrachte Antrag auf Stellung­nahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG betreffend die Neufassung des Artikels 133 EGV bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.

Obmann Dr. Fischer spricht Bundeskanzler Dr. Schüssel, Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer und Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner seinen Dank aus und erklärt den öffentlichen Teil der Sitzung für beendet.

Schluss des öffentlichen Teils
der Sitzung: 10.54 Uhr

 

 

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