812/J XXI.GP
gem. § 93 Abs. 2 GOG-NR
der Abgeordneten Dr. Gusenbauer, Nürnberger, Edlinger, Heidrun Silhavy
und GenossInnen
an den Bundeskanzler
betreffend Wiederherstellung der Verteilungsgerechtigkeit und neuerliches Sparpaket
Die von der Bundesregierung im Rahmen des Bundesfinanzgesetzes 2000 und des
Budgetbegleitgesetzes 2000 beschlossenen Belastungspakete treffen gezielt kleine und
mittlere Einkommensbezieher, Unselbständige und Konsumenten. Dagegen sind für
Großbauern, Großunternehmer und Hausherren zusätzliche Begünstigungen vorgesehen, die
in den kommenden Jahren noch wesentlich erhöht werden sollen. Durch die von der
Regierung beschlossenen und zusätzlich geplanten Maßnahmen wird das Ziel der sozialen
Ausgewogenheit und Verteilungsgerechtigkeit drastisch verfehlt. Im Gegenteil: Viele
Maßnahmen sind bewusst so konstruiert worden, dass zwangsläufig negative
Verteilungswirkungen ausgelöst werden.
Die Erhöhung von Steuern und Gebühren im Ausmaß von jährlich 14,4 Mia. ATS, zu der im
kommenden Jahr weitere Gebührenerhöhungen in Milliardenhöhe kommen sollen, macht die
Einkommensverbesserung rückgängig, die sich durch die von der SP - VP - Regierung
beschlossene Steuerreform 2000 ergeben hätte. Es erscheint besonders absurd, dass eine
Regierung, die Steuern und Gebühren im Ausmaß von mindestens 14,4 Mia. ATS erhöht, sich
mit den positiven Folgen der Steuerreform 2000 brüstet, gegen welche die Abgeordneten der
FPÖ im Juni 1999 gestimmt haben.
Die Steuerreform 2000 hat vor allem untere Einkommensgruppen begünstigt. Dieser Effekt
ergab sich im wesentlichen aus der Erhöhung des allgemeinen Absetzbetrages. Bei einem
Bruttobezug pro Monat von 13.000,- ATS liegt die prozentuelle Entlastung des Einkommens
bei 2,2 Prozent. Bei einem Bruttobezug von 100.000,- ATS liegt die prozentuelle Entlastung
des Einkommens nur bei 0,5 Prozent. Dieser progressive Effekt der Steuerreform 2000 war
nur möglich, weil die SPÖ gegen den
heftigsten Widerstand der ÖVP nicht nur eine Senkung
des Einkommensteuertarifs, sondern die Erhöhung des allgemeinen Absetzbetrages
durchsetzen konnte.
Den unteren und mittleren Einkommensgruppen, die von der Steuerreform 2000 besonders
profitiert haben, werden diese Einkommenszuwächse nun gezielt weggenommen. Die
Erhöhung der Tabakabgabe, der Elektrizitätsabgabe, der motorbezogenen
Versicherungssteuer und die Gebührenerhöhungen belasten in erster Linie das untere
Einkommensdrittel der österreichischen Haushalte. Experten des Österreichischen Instituts für
Wirtschaftsforschung haben berechnet, dass durch die Belastungspakete der Bundesregierung
das untere Einkommensdrittel 1,6 Prozent seines Einkommens verlieren wird, das mittlere
Einkommensdrittel 1,1 Prozent und das oberste Einkommensdrittel 0,8 Prozent. Das beißt: die
unteren Einkommensbezieher werden gezielt doppelt so stark belastet wie die obersten
Einkommensbezieher.
Auch die im Sozialbereich angekündigten Maßnahmen werden in hohem Maße negative
Verteilungseffekte auslösen. Da die Pensionisten in Österreich überwiegend zum
einkommensschwächeren Teil der Bevölkerung zählen (die Hälfte zählt zum unteren
Einkommensdrittel der Haushalte, ein Viertel zum mittleren Einkommensdrittel) werden die
angekündigten Pensionskürzungen vor allem einkommensschwächere Gruppen treffen. Das
gleiche gilt für steigende private Ausgaben für die Gesundheit, da das untere
Einkommensdrittel 4,1 Prozent seines Einkommens für Gesundheit ausgeben muss, das obere
Einkommensdrittel nur 2,4 Prozent.
Andererseits gehören die großen Unternehmer, die Großbauern und die Hausherren zu den
Gewinnern der Regierungspolitik. Die LKW wurden von der Erhöhung der
Versicherungssteuer ausgenommen, die Unternehmer wurden von der Erhöhung der
Energieabgabe ausgenommen und die im Rahmen der Steuerreform 2000 beschlossenen
Regelungen bezüglich der Aktiengewinnbesteuerung und der Börsenumsatzsteuer werden
zunächst aufgeschoben, wahrscheinlich aber überhaupt aufgehoben.
Zudem soll die Senkung der Lohnnebenkosten steuerliche Begünstigungen der Unternehmer
im Ausmaß von 15 Milliarden Schilling erbringen. Dieses Steuergeschenk wird in erster Linie
die Gewinne erhöhen. Ob sich daraus Beschäftigungseffekte ergeben, ist zu bezweifeln.
Neben der Entlastung der gewerblichen Unternehmen kommt es auch zu einer deutlichen
Entlastung der Bauern. Die zusätzlichen Begünstigungen für die Landwirtschaft -
Mineralölsteuerentlastung, Bergbauernhilfe, Umweltprogramme, etc. - betragen bis zu 4
Milliarden Schilling.
Die Arbeitnehmer werden nicht nur durch die Steuer - und Gebührenerhöhungen, sondern
durch zahlreiche andere Maßnahmen belastet. Die Kürzung der Ausgaben für aktive
Arbeitsmarktpolitik, die Kürzung der Mittel für den Nationalen Aktionsplan für
Beschäftigung und die Verschlechterungen für das Arbeitsmarktservice wird zu einer
Verminderung des Ausbildungsniveaus und zu einer Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen
führen. Auch durch die überfallsartig erfolgende Anhebung des Antrittsalters bei
Frühpensionen wird die Arbeitslosigkeit ansteigen.
Die Urlaubsaliquotierung hat zur Folge, dass die Arbeitnehmer bei einem Arbeitsplatzwechsel
Urlaubsansprüche bzw. Urlaubsentschädigungen im Ausmaß von etwa 4,2 Mia. ATS verlieren
werden.
Zusätzlich sind im Regierungsprogramm Kürzungen von Transferleistungen im Ausmaß von
3 Mia. Schilling unter dem Titel „Treffsicherheit“ versteckt, die zum größten Teil die
einkommensschwachen Gruppen besonders belasten werden. Im Detail sind diese
Maßnahmen noch nicht bekannt, die geplanten Kürzungen öffentlicher Leistungen werden
sich aber negativ auf die Einkommenssituation der sozial Schwachen auswirken.
Die Konsolidierung der Kostenstruktur im Krankenversicherungsbereich kostet den kranken
Menschen insgesamt 4,1 Mia. ATS. Das bedeutet für 4 Millionen kranke Menschen eine
Mehrbelastung von 1.000,-- ATS pro Jahr. So ist unter anderem vorgesehen:
Erhöhung der Rezeptgebühr von 45,- auf 55,- ATS (Mehreinnahmen 1,5 Mia. ATS);
Behandlungsbeitrag für die Inanspruchnahme einer Spitalsambulanz durch Überweisung eines
praktischen Arztes 150,- ATS (Mehreinnahmen 850 Mio. ATS);
Behandlungsbeitrag für die Inanspruchnahme einer Spitalsambulanz ohne Überweisung eines
praktischen Arztes 250,- ATS (Mehreinnahmen 100 Mio. ATS);
Erhöhung des Spitalskostenbeitrages von 78,- auf 100,- ATS (Mehreinnahmen rund 150 Mio.
ATS);
Kürzung des Krankengeldbezuges von 78 auf 52 Wochen. (Diese Kürzung betrifft potentiell
über 2 Mio. Versicherte.);
Einsparungen bei den Zuzahlungen zu Heilbehelfen und Hilfsmitteln (z.B. Sehbehelfe,
Krücken, Rollstühle, etc.);
Verordnetes Sparpaket für die Sozialversicherung im eigenen Bereich von 1,5 Mia. ATS
(dadurch wird die Leistungsfähigkeit insbesondere der Gesundheitszentren und
Rehabilitationseinrichtungen der
Sozialversicherung massiv gefährdet).
Überproportional werden die Pensionistinnen und Pensionisten belastet. Im Zeitraum bis 2003
werden die Pensionen um 15 Mia. ATS gekürzt.
Besonders hart sind die rund 300.000 AusgleichszulagenbezieherInnen betroffen. Diese
Gruppe konnte keine Vorteile aus der Steuerreform lukrieren, da sie keine Lohnsteuer bezahlt,
jedoch überproportional von den Belastungen durch die Kopfsteuern sowie durch die
Erhöhung der Gebühren etc. getroffen wird. In einem durchschnittlichen Fall, mit einem
Nettomonatseinkommen von rund 8.500,- ATS, kann das zu Kürzungen von
585,- ATS führen. im Jahresdurchschnitt sind das rund 7.000,- ATS oder eine Verminderung
des Jahreseinkommens um 8,3 Prozent.
Die erste Belastungswelle, die unser Land überrollt, ist noch nicht einmal beschlossen, und
schon ist den jüngsten Medienberichterstattungen zu entnehmen, dass der Finanzminister
einen neuerlichen Kassasturz plant - sein zweiter innerhalb von 3 Monaten -. Diesmal aber zu
seinem eigenen Budgetvoranschlag.
Es drängt sich die Frage auf, ob wir nun nach jedem Grasser - Budget mit einem Kassasturz
rechnen müssen. Die Solidität und Glaubwürdigkeit der österreichischen Budgetpolitik wird
damit jedenfalls erheblich in Frage gestellt.
Der Finanzminister hat ferner nach Medienberichten seinem Budget - Weisenrat den Auftrag
gegeben, Vorschläge für einen weiteren Budgetkurs zu erarbeiten, der einerseits die
Wahlversprechungen und andererseits ein Maastricht - konformes Defizit garantieren soll.
Das aber gleicht der Quadratur des Kreises, weil Mehrausgaben und Verzicht auf Einnahmen
mit dem Ziel einer weiteren Defizitreduktion schlicht nicht in Einklang zu bringen sind. Das
hat auch die Kommission in Brüssel festgestellt und die Politik des Füllhorns dieser FPÖVP -
Koalition kritisiert.
Das bedeutet, dass in Wahrheit unter dem Deckmantel der Budgetkonsolidierung massiv
Umverteilung von unten nach oben betrieben wird, was im großen und ganzen, wie oben
ausgeführt, auch schon im Budget 2000 erkennbar ist. Die Maastricht - Ziele werden aber
dennoch glatt verfehlt.
Das ist weiters auch nicht verwunderlich, denn schließlich gilt es, wie gesagt, 15 Milliarden
Schilling Lohnnebenkostensenkung, verteilt mit der Gießkanne, rund 6 Milliarden Schilling
an zusätzlichen Jahresausgaben als Morgengabe für die NATO, bis zu 6 Milliarden Schilling
mehr Subvention für Großbauern,
Karenzgeld für alle, ohne jede soziale Staffelung im
Ausmaß von 7 Milliarden Schilling und sonstige im Regierungsprogramm verankerte
Wohltaten für die Klientel und Freunde der FPÖVP zu finanzieren.
Die Rechnung dafür zahlen die kleinen Leute.
Jetzt schon bezahlen dafür die Autofahrer, Raucher, Zivildiener, gemeinnützige Vereine,
Mieter, Strombezieher, und alle, die Gerichte oder sonstige Leistungen des Staates in
Anspruch nehmen.
So müssen die Zivildiener beim Essen sparen, um das Mehrkindergeld auch für Frau
Bartenstein und andere reiche Freunde der Koalitionäre zu ermöglichen, die aufgrund der
bisher geltenden sozialen Staffelung dieses ja nicht erhalten haben. So werden auch im Jahr
2001 und danach die vielen kleinen Zahler gefunden werden müssen, die die Rechnung für
die versprochenen Mehrausgaben bezahlen.
Erste Hinweise darauf, wie dies geschehen könnte, sickern bereits durch:
So soll es zusätzliche Einsparungen bei den Pensionen geben und noch mehr bei den
Beamten eingespart werden - insgesamt um weitere 6 Milliarden Schilling.
Steuererhöhungen werden überlegt, Gebühren sollen noch einmal erhöht werden. Und
zu guter Letzt wird auch noch über eine höhere Besteuerung des 13. und 14.
Monatsgehalts spekuliert.
Nicht andere sind verantwortlich für die Belastungswelle, mit der die Koalition das Land
schon überzogen bat, schon gar nicht für jene, die noch kommen werden. Vielmehr ist es die
Spendierhose, die die FPÖVP für ihre Klientel und ihre „Freunde“ angelegt hat.
Schließlich begrüßt auch der Rat der Finanzminister zum aktualisierten Stabilitätsprogramm
Österreichs für 2000 bis 2003 die Tatsache, dass mit der Budgetpolitik der letzten Jahre „die
vereinbarten Defizitzielwerte des ursprünglichen Stabilitätsprogramms 1998 und 1999
eingehalten wurden“. Und die EU - Kommission kritisiert die neuen Regierung, dass ihr
vorgelegtes Stabilitätsprogramm zuwenig ambitioniert ist. Sie kritisiert insbesondere, „dass zu
umfangreiche Einmalmaßnahmen im Ausmaß von jährlich 0,3 % des BIP, hauptsächlich
Liegenschaftsverkäufe, veranschlagt werden“ und erachtet es ferner als nicht plausibel, dass
Länder und Gemeinden auch in Zukunft Überschüsse von 0,5 % des BIP zum
österreichischen Defizit beitragen. - Was angesichts der Bemühungen der Regierung, die
Gemeindefinanzierungen nachhaltig zu
demolieren nicht verwundert (siehe Getränkesteuer).
Bemerkenswert und besorgniserregend ist auch die Aussage des Finanzministers Grasser,
wonach er hinsichtlich der Maßnahmen zur Einnahmenfindung „die Kreativität der Erfindung
Journalisten, Opposition oder dem Koalitionspartner“ überläßt. Es stellt sich nämlich damit
die Frage, wer eigentlich die Verantwortung für den Bundeshaushalt hat. Es stellt sich auch
die Frage, ob Finanzminister Grasser nur der ‚,Kassasturz - Minister“ ist. der noch bevor sein
Budget im Parlament beschlossen ist schon zum nächsten Kassasturz aufbricht.
Die unterfertigten sozialdemokratischen Abgeordneten sind besorgt über diese Entwicklung
und stellen daher an den Herrn Bundeskanzler nachstehende
ANFRAGE:
1. Teilen Sie grundsätzlich auch (wie die EU - Gremien) die Auffassung, dass das
Konsolidierungserfordernis in der laufenden Legislaturperiode zur Erreichung der
Stabilitätsziele wesentlich geringer wäre, wenn es zu keinen zusätzlichen Ausgaben wie
höhere Militärausgaben, Karenzgeld für alle oder zusätzliche nationale Fördermittel für
die Bauern käme, bzw. wenn nicht auf bestehende Einnahmen verzichtet würde, wie das
beispielsweise im Regierungsprogramm im Rahmen der Lohnnebenkostensenkung oder
die Gewährung von Steuervorteilen für bestimmte Gruppen vorgesehen ist und welche
betragsmäßigen Auswirkungen haben in diesem Zusammenhang die Maßnahmen des
Regierungsprogramms?
2. Wie wirken sich die von Ihnen geplanten ausgaben - und einnahmenseitigen
Maßnahmen auf Unselbständige, Selbständige, und Bauern bzw. auf die verschiedenen
Einkommengruppen aus?
3. Können Sie ausschliessen, dass es im Laufe 2001 oder in der Legislaturperiode zu
Steuererhöhungen bzw. „Anpassungen“ wie Sie das nennen, kommt?
4. Können Sie ausschliessen, dass es zu Einsparungs - Maßnahmen bei den Pensionen und
beim öffentlichen Dienst kommt, die über jene im Regierungsprogramm angekündigten
hinausgehen?
5. Können Sie ausschliessen, dass es zu keinen weiteren Kürzungen im Bereich der
Förderungen und Investitionen kommt?
6. Werden Sie das Regierungsprogramm auch in jenen Punkten auf Punkt und Beistrich
einhalten - d.h. alle darin
enthaltenen Maßnahmen wie angekündigt termingerecht
Umsetzen, die grosse Ausgaben bzw. Einnahmenausfälle verursachen, wie zum Beispiel
Lohnnebenkostensenkung um 15 Milliarden S.p.a., Karenzgeld für alle um rund 7
Milliarden S.p.a., Erhöhung der Heeresausgaben um rund 6 Mrd. S.p.a. etc.; wenn nein
- welche im Regierungsprogramm enthaltenen Maßnahmen werden verschoben bzw.
nicht weiter betrieben?
7. Sind Sie als Führer der kleineren Koalitionspartei tatsächlich für die Kreativität der
Erfindung bei neuen Belastungen zuständig, wie Finanzminister Grasser das in einem
Interview darlegt?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 2 GOG dringlich
zu behandeln.