963/J XXI.GP

 

                                                               ANFRAGE

 

der Abgeordneten Dr. Jarolim

und Genossen

an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit

betreffend einen höchst peinlichen Auftritt des Wirtschaftsministers bei der EXPO 2000

in Hannover

 

Laut Medienberichten (Die Presse 20.6.2000, S.6; APA 0132 vom 17.6.2000; siehe Beilagen)

hat sich der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Dr. Martin Bartenstein anlässlich eines

offiziellen Auftritts bei der EXPO 2000 in Hannover auf eine Kontroverse mit dem

Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Sigmar Gabriel, eingelassen.

 

Die konservative Tageszeitung „Die Presse“ schreibt darüber unter anderem: „Der

Ministerpräsident von Niedersachsen, Sigmar Gabriel (SPD), wundert sich, dass seine

Festrede von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) kritisiert und parteipolitisch

missverstanden wurde. Gabriel hatte in seiner Rede auf die demokratische Tradition

Österreichs hingewiesen und als Beispiele den Kampf der Arbeiterschaft gegen den

Austrofaschismus 1934 und die friedensstiftende Arbeit Bruno Kreiskys genannt. Ein

angebliches Vier - Augen - Gespräch zwischen Gabriel und Bartenstein im Anschluss daran

habe es defintiv nicht gegeben, erklärte die niedersächsische Staatskanzlei der „Presse“. Die

Kritik Bartensteins sei nicht gerechtfertigt gewesen, so der Sprecher Gabriels.

Laut demselben Medienbericht wertete Frau I.N. aus dem Ministerbüro Bartenstein das

Dementi der niedersächsischen Staatskanzlei als „rotzige Reaktion“.

 

Der Ministerpräsident von Niedersachsen hatte am Samstag, den 17. Juni 2000 die

österreichische Delegation unter Führung von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil auf der

Weltausstellung begrüßt. „Die Presse“ schreibt im genannten Artikel weiter: „ln seiner Rede

hob der Ministerpräsident - der von den EU - Sanktionen gegen Wien nichts hält und damit im

Widerspruch zu Bundeskanzler Gerhard Schröder steht - die demokratische Tradition

besonders hervor.“ „Hier hat sich Herr Bartenstein offenbar geärgert, weil Gabriel die ÖVP

nicht eigens erwähnte. Es ging nicht darum, einen Unterschied zwischen SPÖ und ÖVP zu

machen. Der Ministerpräsident wollte einfach die demokratische Tradition Österreichs

würdigen.“, heißt es aus der niedersächsischen Staatskanzlei.“

Weiters habe Bundesminister Bartenstein eine scherzhafte Äußerung Gabriels in

Zusammenhang mit der Live - Übertragung der „Zauberflöte“ aus der Wiener Staatsoper

vollkommen missverstanden.

 

Nach dem genannten APA - Bericht habe der Ministerpräsident von Niedersachsen in seiner

Rede unter anderem Bruno Kreisky gewürdigt, „der das Volk über die Kernkraftnutzung

entscheiden ließ.“ Im Anschluss daran zitiert die APA die Aussage des deutschen

Ministerpräsidenten: „lch freue mich, dass wir hier den Repräsentanten dieser Tradition

begrüßen können“, sagte der deutsche Politiker an die Adresse von Bundespräsident Thomas

Klestil. „Und die APA - Meldung setzt fort: „Der Wirtschaftsminister sagte, er habe Gabriel

daraufhin unter vier Augen zur Rede gestellt.

 

Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit hat sich, wenn die genannten Medienberichte

im wesentlichen den Tatsachen entsprechen, nach Ansicht der unterzeichneten Abgeordneten

für unser Land im Ausland ausserordentlich peinlich verhalten und in provokanter Form einen

echten Freund Österreichs, der sich auch gegen die Sanktionen der EU - Vierzehn gegen

Österreich ausgesprochen hat, vor den Kopf gestossen.

 

Zur Sache sei festgehalten:

 

Sowohl von der Geschichtswissenschaft wie auch von nahezu allen Demokraten in Europa,

die mit der Materie vertraut sind, wird der heldenhafte Widerstand der österreichischen

Arbeiterbewegung im Jahr 1934 gegen die Zerstörung der Demokratie durch den

Austrofaschismus sehr positiv bewertet. Jede/r österreichische Demokrat/in kann unabhängig

von der politischen Gesinnung oder Parteizugehörigkeit stolz auf diesen Versuch der

österreichischen Arbeiter sein, die Demokratie verteidigt zu haben und dem Faschismus

konsequent entgegengetreten zu sein.

 

Weitgehend unbestritten ist auch, dass das Dollfuss - Regime nicht nur eine verfassungwidrige

Diktatur errichtet hat, sondern damit auch den Boden für die spätere Installierung der noch

ungleich schlimmeren und in ihrer verbrecherischen Dimension einzigartigen Nazi - Diktatur in

Österreich aufbereitet hat.

 

Die friedensstiftende Arbeit Bruno Kreiskys, vor allem in seiner Funktion als Bundeskanzler

der Republik Österreich, ist weit über Landes - und Parteigrenzen hinaus anerkannt. Die

Ablehnung der Kernkraftnutzung wird heute von der ganz überwältigenden Mehrheit der

österreichischen Bevölkerung unterstützt.

Der Ministerpräsident von Niedersachsen hat, wie aus den Medienberichten hervorgeht, die

demokratische Tradition Österreichs keineswegs parteipolitisch dargelegt, sondern sie

ausdrücklich an den Herrn Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil adressiert.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten befinden den peinlichen Auftritt des Herrn

Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit in Hannover aufgrund der dargelegten Sachlage

keineswegs als nützlich für die Republik Österreich an und stellen daher nachstehende

 

 

                                                               Anfrage:

 

 

1. Entspricht der in der Begründung der Anfrage entsprechend den Medienberichten

    dargelegte Sachverhalt im wesentlichen den Tatsachen?

 

2. Wenn ja: Sind Sie der Auffassung, dass Ihre Reaktion auf die Ausführungen des

    Ministerpräsidenten von Niedersachsen den Interessen Österreichs entsprach?

 

3. Worin bestand Ihrer Auffassung nach in der Rede, in der von Ministerpräsident

    Gabriel auf die lange demokratische Tradition Österreichs verwiesen wurde, der

    Affront?

 

4. Halten Sie es für sinnvoll, einen erklärten Freund Österreichs, der sich unter anderem

    gegen die Sanktionen der EU - Vierzehn ausgesprochen hat, provokant vor den Kopf

    zu stossen?

 

5. Werten Sie den heldenhaften Widerstand der österreichischen Arbeiterbewegung im

    Februar 1934 gegen die Zerstörung der Demokratie als Ausdruck der demokratischen

    Tradition Österreichs?

 

6. Wenn nein: Hat diese Auffassung etwas mit der Geisteshaltung zu tun aufgrund derer

     der Demokratiezerstörer und Diktator Engelbert Dollfuss noch immer als Bildnis im

    ÖVP - Palamentsklub hängt?

 

7. Fühlen Sie sich provoziert, wenn die weit über Parteigrenzen und Landesgrenzen

    hinaus anerkannte friedensstiftende Arbeit Bruno Kreiskys gewürdigt wird?

8. Bedauern Sie es, dass dem österreichischen Volk die Möglichkeit gegeben wurde,

    sich gegen die Kernraftnutzung zu entscheiden?

 

9. Finden Sie es angebracht, dass laut Medienbericht Ihre Mitarbeiterin I.N. aus dem

     Ministerbüro im Zusammenhang mit dem deutschen Dementi zum angeblichen Vier -

     Augen - Gespräch von einer „rotzigen Reaktion“ spricht?

 

10. Wie beurteilen Sie Ihr Missverständnis betreffend die Live - Übertragung der

       „Zauberflöte“? Finden Sie nicht, dass Sie übertrieben und eindimensional nur mehr

       Angriffe auf Österreich wittern, auch dort, wo dies keineswegs der Fall ist?

 

11. Finden Sie nicht, dass sich ein österreichischer Minister bei offiziellen Auftritten im

      Ausland mehr von Verstand, Sachlichkeit und Höflichkeit leiten lassen sollte und

      nicht so sehr von der augenblicklichen Emotion?

„Die Presse“ vom 20.6.2000                                                              Seite: 6

Ressort: Ausland/Europa - Panorama

Von: red

 

Abend, Morgen

 

Politstreit um angebliches Vier-Augen-Gespräch

 

   Für Nachwehen sorgt der Österreich - Tag auf der Expo: Nach einem

angeblichen Gespräch Minister Bartensteins mit Niedersachsens

Präsident Gabriel hagelte es deutsche Dementis.

 

Von unserem Korrespondenten

 

HANNOVER/WIEN (ekö, sp) Der offizielle Auftritt Österreichs auf

der Expo 2000 in Hannover am vergangenen Wochenende hat ein

politisches Nachspiel: Der Ministerpräsident von Niedersachsen,

Sigmar Gabriel (SPD), wundert sich, daß seine Festrede von

Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) kritisiert und

parteipolitisch mißverstanden wurde. Gabriel hatte in seiner Rede

auf die demokratische Tradition Österreichs hingewiesen und als

Beispiele den Kampf der Arbeiterschaft gegen den Austrofaschismus

1934 und die friedensstiftende Arbeit Bruno Kreiskys genannt. Ein

angebliches Vier - Augen - Gespräch zwischen Gabriel und Bartenstein im

Anschluß daran habe es definitiv nicht gegeben, erklärte die

niedersächsische Staatskanzlei der „Presse“. Die Kritik Bartensteins

sei nicht gerechtfertigt gewesen, so der Sprecher Gabriels.

 

    Demgegenüber heißt es im Ministerbüro Bartenstein, daß es das

Gespräch auf jeden Fall gegeben hat. „Der Herr Minister lügt wohl

nicht“, stellte Ingrid Nemec auf Anfrage der „Presse“ klar. Das

deutsche Dementi werte sie doch als „rotzige Reaktion". Bartenstein

habe in seinem Gespräch Gabriel erklärt, daß Demokratie und

Menschenrechte keinesfalls nur Sache der Sozialdemokraten gewesen

seien. Als Regierungschef von Niedersachsen und Expo - Hausherr hatte

Gabriel vergangenen Samstag die österreichische Delegation unter der

Führung von Bundespräsident Thomas Klestil auf der Weltausstellung

begrüßt. In seiner Rede hob der Ministerpräsident - der von den

EU - Sanktionen gegen Wien nichts hält und damit im Widerspruch zu

Bundeskanzler Gerhard Schröder steht - die demokratische Tradition

besonders hervor. „Hier hat sich Herr Bartenstein offenbar geärgert,

weil Gabriel die ÖVP nicht eigens erwähnte. Es ging nicht darum,

einen Unterschied zwischen SPÖ und ÖVP zu machen. Der

Ministerpräsident wollte einfach die demokratische Tradition

Österreichs würdigen", heißt es aus der niedersächsischen

Staatskanzlei.

 

Äußerung mißverstanden

 

    Auch eine weitere Äußerung Gabriels habe Bartenstein offenbar

mißverstanden. Gabriel hatte seine Freude betont, der

Live - Übertragung der "Zauberflöte" aus der Wiener Staatsoper

wenigstens virtuell in Hannover beiwohnen zu können, und scherzte:

"Weil man ja in Niedersachsen nicht sicher sein kann, ob man als

Politiker Einladungen noch folgen darf." Bartenstein bezog diese

Äußerung offenbar auf die aktuelle österreichische Situation.

Gabriel hatte aber auf seine Vorgänger angespielt. Gerhard Schröder

war wegen einer Opernball  - Einladung kritisiert worden; Gerhard

Glogowski war unter anderem wegen zu zahlreicher Einladungen unter

Beschuß geraten.

 

Im Gästebuch der Expo 2000 wird Österreich indes nicht

vorkommen. Bundespräsident Klestil verzichtete am Samstag darauf,

sich ins Gästebuch einzutragen.

APAO132 5 CI 0222 AI                                                                     17. Jun 00

Expo/Ausstellung/Hannover/Deutschlani/Österreich/EU

 

Expo: Bartenstein sah „Affront“ in deutscher Begrüßungsrede

 

Utl.: Austrofaschismus - Kritik und Kreisky - Huldigung Gabriels

 

Hannover (APA) - „Verwundert" zeigte sich Wirtschaftsminister

Martin Bartenstein (ÖVP) am Samstag über Aussagen des

Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Sigmar Gabriel (SPD),

bei der Expo 2000 in Hannover. Nach der Eröffnungszeremonie

zum Österreich - Nationentag sprach Bartenstein gegenüber der

APA von einem „Affront“. ****

 

Gabriel hatte in seiner Begrüßungsrede unter anderem erklärt:

„Österreich hat eine lange demokratische Tradition, auf die

das Land zu Recht stolz ist“. Er erinnerte an die

Arbeiterkämpfe gegen den Austrofaschismus 1934 und würdigte

die Ära der SPÖ - Regierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky

(1970 - 83), der das Volk über die Kernkraftnutzung entscheiden

ließ. "Ich freue mich, dass wir hier den Repräsentanten dieser

Tradition begrüßen können", sagte der deutsche Politiker an

die Adresse von  Bundespräsident Thomas Klestil.

 

Der Wirtschaftsminister sagte, er habe Gabriel daraufhin unter

vier Augen zur Rede gestellt. Auf Details dieses Gesprächs

wollte er „im Interesse der guten Beziehungen beider Länder“

nicht eingehen, so Bartenstein.

 

Mit dem Österreichischen Auftritt bei der Weltausstellung 2000

in Hannover sei er „sehr zufrieden", sagte der Minister. Ob

die insgesamt aufgewendete Summe von rund 250 Mill. S gut

investiert worden sei, werde man am Schluss der Expo sehen.

Die Präsenz Österreichs auf der Expo in Hannover, „dem

weltweit wichtigsten Messestandort“, sei jedenfalls ein

absolutes Muss gewesen. Das Motto „LebensKunst“ sei optimal

gewählt.

 

(Schluss) hwk/er/sr

 

APA0132 2000 - 06 - 17/12: 49