986/J XXI.GP
der Abgeordneten Glawischnig, Freundinnen und Freunde
an den Bundeskanzler
betreffend Versagen der Anti - Atompolitik der Bundesregierung bei der
geplanten Fertigstellung des tschechischen AKW Temelin
Mit der unmittelbar bevorstehenden Beladung des tschechischen
Atomkraftwerkes Temelin steht Österreich vor dem Scherbenhaufen
seiner Anti - Atompolitik. Für das Kabinett Schüssel ist dies die
schwerste umwelt - und außenpolitische Niederlage seit Amtsantritt
der schwarz - blauen Bundesregierung. Bundesländer,
Umweltorganisationen, die Grünen und die Österreichische Bevölkerung
kämpfen seit 15 Jahren gegen das Nuklearprojekt 60 km von der
Oberösterreichischen Grenze entfernt.
In den letzten Wochen, Tagen und Stunden überschlagen sich die
Geschehnisse und es herrscht dringender Handlungsbedarf für die
Österreichische Bundesregierung. Letzte Informationen aus Tschechien
besagen, daß die tschechische Atomaufsichtsbehörde SUJP die
grundsätzliche Genehmigung für die Beladung mit Brennelementen
bereits erteilt hat. Lediglich 2 - 3 Dokumente müssten noch
nachgereicht werden. Laut Aussagen von SUJP könne diese Nachreichung
innerhalb von Stunden abgeschlossen sein. Für Freitag ist mit einer
endgültigen Genehmigung zu rechnen, die Beladung mit Brennelementen
wird für Samstag erwartet.
Während über 100.000 Menschen in Tschechien ein Referendum
verlangen, macht die Atomlobby rund um den tschechischen
Industrieminister Gregr also unglaublichen Druck auf die vorzeitige
Fertigstellung und Inbetriebnahme des AKW. Dabei wird mit den
Sicherheitsbestimmungen grob fahrlässig umgegangen. Geheimdokumente,
die Greenpeace vor 48 Stunden aufdeckte, belegen erhebliche
Sicherheitsmängel. Demnach seien während der Abschlußarbeiten am
Block 1 „dubiose und unübliche“ Praktiken angewandt worden, die den
sicheren Betrieb des Reaktors gefährden und das Risiko eines
atomaren Unfalls erhöhen könnten. Der tschechische Energieversorger
CEZ verwehrt die Einsicht in die Sicherheitsdokumente und stellt
damit Unternehmensgeheimnisse über die Sicherheit und Gesundheit von
Bürgern.
ÖsterreicherInnen werden von der Bundesregierung zu Konsum von
Atomstrom genötigt.
Seit Monaten schnellt der Atomstromanteil im Österreichischen Netz
in die Höhe. Jeder Österreichische Haushalt ist derzeit gezwungen,
die Atomindustrie mitzufinanzieren. Wenige Wochen nach der
Teilliberalisierung des österreichischen Strommarktes im Frühjahr
1999 stieg der Anteil an Atomstrom in
Österreich von 1,5 auf vier
Prozent. Mittlerweile ist der Atomanteil im österreichischen
Stromnetz auf 10 - 12 Prozent angewachsen. Österreichische
Energieversorger sind am besten Wege, die Tür für zukünftige
Temelin - Exporte zu öffnen. Durch das Streichen der Anti - Dumping -
Bestimmungen im Stromgesetz (Elwog) werden österreichische
Stromkunden auf skandalöse Weise dazu genötigt, künftig auch Strom
aus Temelin zu akzeptieren.
Bei der niederösterreichischen EVN stammen bereits 17% der
elektrischen Energie aus Atomkraftwerken, bei der Wienstrom sind es
13%, bei der Tiroler Tiwag 15%. Die Vorarlberger VKW AG hat mit dem
britischen Stromhändler Enron einen Liefervertrag über 30 MW
abgeschlossen. Die deutsche Zweigstelle von Enron mit Sitz in
Frankfurt verfügt über einen Exklusivvertrag für den Stromexport des
tschechischen Energieversorgers CEZ in den Westen.
Am 9. Mai 2000 haben sich Vertreter aller neun österreichischen
Landtage in einer gemeinsamen Erklärung an die Bundesregierung dafür
ausgesprochen, daß alle Möglichkeiten auszuschöpfen sind, um auf die
Stilllegung und Nichtinbetriebnahme insbesondere grenznaher
Atomkraftwerke hinzuwirken und daß offensive Verhandlungen auf
politischer Ebene mit Tschechien über einen Baustopp von Temelin zu
führen sind und im Falle weiterer UVP‘s eine breite öffentliche
Einwendungskampagne in Österreich durchzuführen ist.
Österreichische Firmen sind am Bau des Kraftwerkes Temelin selbst
und an der Konzeption von Endlagern beteiligt. Die
oberösterreichische Firma Elin ist mehrheitlich am Unternehmen EZ -
Praha beteiligt, jener tschechischen Firma, die die baulichen
Hauptkomponenten für das AKW Temelin liefert. Die Voest bemüht sich
um die Auftragserteilung für die Konzeption der Behälter für das
Atommüll - Zwischenlager beim tschechischen AKW Dukovany und um die
Gesamtkonzeption für das Atommüll - Zwischenlager in der Slowakei.
Phillips Österreich betreibt nach Angaben der CEZ die Bauzaun -
Überwachung auf der AKW - Baustelle in Temelin.
Ausländische Atomunternehmen kaufen sich verstärkt in
österreichische Stromversorger ein. Die steirische
Energiegesellschaft Estag wurde bekanntlich bereits 1998 zu 25% vom
französischen Atomkonzern EdF übernommen. Auch in Oberösterreich
wollen sich nun ausländische Atomriesen einkaufen. So hat der
deutsche Atomstromproduzent Bayernwerk Interesse an einer
Beteiligung an der OÖ Energiegesellschaft. Derzeit steht einer
solcher Beteiligung noch ein ausdrücklicher Verbotsbeschluß des OÖ
LT entgegen, ÖVP und FPÖ versuchen jedoch bereits den Weg
freizumachen für Atomstrom nach OÖ. Durch vollmundige Aussagen in
der Öffentlichkeit lassen Regierungspolitiker die österreichische
Bevölkerung, die Atomkraft mehrheitlich ablehnt, im Glauben,
Österreich kämpfe engagiert gegen die gefährliche Kernkraft.
Gleichzeitig öffnen Politik und Wirtschaft eine Hintertür nach der
anderen, um Atomstrom nach Österreich hereinzulassen oder
durchzuleiten und sich am Atomgeschäft zu
beteiligen.
Damit wird die endgültige Inbetriebnahme des AKW Temelin erst
ermöglicht, denn das Kraftwerk wird ausschließlich für den Export
fertiggestellt.
Im Jahr 2000 will die CEZ 8TWh und 2001 bereits 12 TWh exportieren,
das entspricht ca. 80% der Temelin - Produktion.
Der 400 Milliarden Schilling schwere französische Atomriese EdF
steht kurz vor dem Einstieg in die tschechische Stromgesellschaft
CEZ. Die tschechische Regierung bereitet eine Totalprivatisierung
des tschechischen Stromversorgers und aller acht regionalen
Verteilergesellschaften vor. Ein diesbezügliches Gesetz soll im
Frühherbst beschlossen werden. Mit der Finanzmacht der EdF im Rücken
werden massive Exporte von Temelin - Strom den EU - Markt mit „billigem“
Atomstrom überschwemmen. Nach Angaben der CEZ sind Italien,
Deutschland und Österreich Hoffnungsmärkte. Ohne Hilfe von Aussen
wäre die CEZ in einer finanzielle prekären Situation.
In diesem Zusammenhang stellen die unterzeichneten Abgeordneten
folgende
ANFRAGE:
Im Sommer 1999 wurde von der Bundesregierung und in Folge vom
Nationalrat einstimmig ein Aktionsplan zur Anti - Atompolitik
verabschiedet. Darin wurde insbesonders der Bundesminister für
Wirtschaftliche Angelegenheiten aufgefordert beim Vollzug des
österreichischen Stromgesetztes (Elwog) hinsichtlich des Imports von
Atomstrom strenge Maßstäbe anzulegen.
1. Wieso hat die Bundesregierung unter klarer Mißachtung dieses
Auftrags eine Novelle zum Elwog im Ministerrat beschlossen und dem
Nationalrat vorgelegt, worin die zur Erfüllung dieses Auftrages
notwendigen ‚,Anti - Dumping - Bestimmungen“ gestrichen werden?
Darüber hinaus hat die Bundesregierung im oben angeführten
Aktionsplan versprochen, „die Regelungen der anderen
Mitgliedsstaaten der EU zu analysieren und nötigenfalls für
effektive gesamteuropäische Anti - Dumping - Regelungen einzutreten.“
2.a. Was haben diese Analysen ergeben?
2.b. Welche konkreten Initiativen in Richtung Anti - Dumping -
Regelungen wurden ergriffen?
2.c. Glauben Sie, daß diese Bemühungen erleichtert werden, wenn
Österreich selbst gleichzeitig seine Anti - Dumping - Regelungen
abschafft?
Der Anti - Atom - Aktionsplan sieht weiters vor, daß KonsumentInnen, die
Atomstrom nicht beziehen wollen, eine allenfalls entstehende
finanzielle Mehrbelastung nicht überwiegend selbst zu tragen haben.
3. Warum haben Sie diesen Auftrag im Ministerratsbeschluß zur Elwog -
Novelle schlicht ignoriert?
Weiters heißt es im Aktionsplan, daß "Österreich im Rahmen der
vorhandenen Mittel selbst auch finanzielle Unterstützung für die
Erarbeitung und Umsetzung umfassender und zukunftsverträglicher
Energiestrategien der beitrittswilligen Staaten bereitstellen und
für eine derartige Unterstützung aus dem Gemeinschaftsbudget
eintreten wird.
4.a. Welche konkreten Projekte hat Österreich unterstützt?
Bitte legen Sie bei jedem einzelnen Projekt die Höhe der
finanziellen Unterstützung dar.
4.b. Welche Schritte und Initiativen hat Österreich im Rahmen der EU
gesetzt?
Weiters enthielt der Anti - Atom - Aktionsplan den klaren Auftrag an die
Bundesregierung, in Koordination mit Deutschland „ein fiktives
Genehmigungsverfahren für das KKW Temelin als Modellfall für den vom
Rat der Europäischen Union geforderten Stand der Technik
durchzuführen und so alle noch bestehenden Defizite klar und
eindeutig aufzulisten. (...) Sollte bei dieser Überprüfung nicht
nachgewiesen werden können, daß Temelin diesem Stand der Technik
entspricht, wird Österreich unverzüglich bilateral und auch im
Rahmen der Europäischen Union die tschechische Regierung darauf
hinweisen, daß der Stand der Technik eine Voraussetzung für eine
Mitgliedschaft zur Europäischen Union ist.“
5.a. Halten Sie es für ausreichend, daß die damals ressortzuständige
Bundesministerin nach mehrmonatiger Verzögerung die Umsetzung der
gegenständliche Strategie mit einem einzigen Brief versucht hat?
5.b. Was haben Sie als Bundeskanzler unternommen, um dem Auftrag in
diesem Punkt nachzukommen?
Die FPÖ ist immer dafür eingetreten, die Nicht - Inbetriebnahme von
Temelin strikt mit der Zustimmung Österreichs zum EU - Beitritt
Tschechiens zu junktimieren.
5.c. Hat sie sich mit dieser Position in der Bundesregierung
durchgesetzt?
6. Teilen Sie somit die Einschätzung, daß die Bundesregierung keinen
einzigen Punkt des Anti - Atom - Aktionsplans erfolgreich umgesetzt hat?
7. Glauben Sie, daß bei einer konsequenten Umsetzung des Anti - Atom -
Aktionsplans die Fertigstellung des AKW Temelin zumindest erschwert
hätte werden können?
8. Wie oft waren Sie seit Sie Bundeskanzler sind in Tschechien, um
sich in persönlichen Verhandlungen mit den Temelin - Befürwortern in
der tschechischen Regierung gegen die Fertigstellung des AKW Temelin
einzusetzen?
9. Wie oft haben sie mit dem tschechischen Premier Milos Zeman über
die österreichische Position zur Fertigstellung des AKW Temelin
gesprochen?
Sie haben gestern in einer Aussendung angekündigt, daß sich nun auch
die Frau Aussenministerin Ferrero - Waldner in der Temelin - Frage
einschalten wird.
10. Welche Schritte hat die Aussenministerin gesetzt und mit welchem
Ergebnis?
11. Waren Ihnen die jetzt von Greenpeace aufgedeckten gravierenden
Sicherheitsmängel in der aktuellen Testphase des Block 1 des AKW
Temelin bekannt?
12. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, nachdem
diese Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind?
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage
unter Verweis auf § 93 Abs 2 GOG verlangt.