1365/J XXI.GP
18.10.2000
der Abgeordneten Lunacek, Freundinnen und Freunde
an den Bundeskanzler
betreffend Hufeisenplan
In internationalen Medien wird die Entstehungsgeschichte und die
Kommunikationspolitik rund um die „Operation Hufeisen“, dessen Herkunft der
„Umgebung Milosevics“ (FAZ 22.04.1999) zugeschrieben wurde, einer immer
schärferen Kritik unterzogen. So ist inzwischen sogar der deutsche
Verteidigungsminister Scharping unter politischen Druck geraten, weil er den
„Hufeisenplan“ als eine zielgerichtete Strategie der Bundesarmee gegen die
albanische Zivilbevölkerung und als Argument für eine rasche Nato - Intervention mit
deutscher Beteiligung ins Treffen geführt hatte.
Die Hufeisenplan - Berichte des österreichischen Heeresnachrichtenamtes (HNA),
beinhalten eine Reihe Spekulationen über Schritte der jugoslawischen Bundesarmee
im Kosovo, Anfang des Jahres 1999. Den Berichten des HNA zu Folge, das offenbar
die ursprünglichen nachrichtendienstlichen Berichte dazu erstellte, wollten die
jugoslawischen Streitkräfte im Kosovo die Vertreibung der albanischen Bevölkerung
durchführen. Inzwischen ist sogar unklar, ob die Bezeichnung der Aktion als „Aktion
Hufeisen“ aus der Bundesarmee Jugoslawiens, oder aus nachrichtendienstlichen
Quellen in Österreich stammt (s. Hamburger Abendblatt 22.03.2000). Die anfänglich
verwendeten Strategie - Skizzen, die in Militärkreisen kursierten, mussten bereits am
19.07.1999 vom österreichischen Verteidigungsminister Fasslabend als „graphische
Aufarbeitung der vom Jänner bis April 1999“ (Antwort zwei aus 5997/AB/XX.GP a.d.
parlamentarische Anfrage der Grünen 6269/J) gemachten Erkenntnisse, zugegeben
werden.
Am 21.04.1999 meinte Aussenminister Schüssel gegenüber den Salzburger
Nachrichten, daß er den Bericht des Heeresnachrichtenamtes, den verschiedene
Mitglieder der österreichischen Bundesregierung erhielten, an Amtskollegen in der
EU weitergab. Demgegenüber gab ein Monat später der damals amtierende
Verteidigungsminister Fasslabend auf eine Anfrage der Grünen (19.05.99; 6269/J,
XX.GP), ob und wann die Berichte an die Mitglieder des Europäischen Rates
weitergegeben wurden, keinerlei Auskunft (19.07.1999; 5997/AB, XX.GP Antwort 9).
Auf eine gleichlautende parlamentarische Anfrage (609/J v.6.06.2000/XXI.GP) der
Grünen an - den inzwischen zum Bundeskanzler aufgestiegenen - Dr. Wolfgang
Schüssel (gleichlautend an die Aussenministerin) vom 6.04.2000 (Nr.616 AB),
antwortete dieser wörtlich: „Mir ist über die Weitergabe eines Berichtes an die
Mitglieder des Rates der EU, und das US - State - Departement nichts bekannt.“
Im Gegensatz zur Darstellung in der Antwort des Verteidigungsministers vom
19.07.1999 (5997/AB), dass auch der damalige
sozialdemokratische Bundeskanzler
Klima diesen Bericht des HNA erhalten habe, meinte dieser: „Und zu diesem von
Ihnen genannten Geheimdienstpapier möchte ich nur sagen: Ich persönlich habe es
bis heute nicht gesehen.“ (in profil - 2.05.1999)
Nach Beginn der Nato - Angriffe, denen jede völkerrechtliche Grundlage fehlte, wurde
dieser Hufeisenplan zu einem zentralen Argument für die Intervention der Nato.
Insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit wurde der Hufeisenplan als Grundlage
für die Beteiligung an der Aktion herangezogen. „Vertreibungen der Kosovo -
albanischen Bevölkerung sind offensichtlich Bestandteil des Planes“, berichtete die
FAZ (22.04.1999). Im Kosovo stünden - so die nachrichtendienstlichen Berichte -
unmittelbar umfassende „ethnische Säuberungen“ bevor, die die Bundesarmee
Jugoslawiens von langer Hand vorbereitet habe. Die in der Anfragebeantwortung
(616/AB v. 6.06.2000) getätigte Einschätzung von Bundeskanzler Schüssel, dass es
sich beim Hufeisenplan bloss um „einen Beitrag“ zur Vertreibung gehandelt habe, ist
aus gegenwärtigen Erkenntnisstand vielleicht opportun, zum damaligen Zeitpunkt,
stand er synonym für drohenden Völkermord, den es zu verhindern galt.
Inzwischen gehen praktisch allen Analysen davon aus, dass die Strategie der
Bundesarmee auf die Zerschlagung bzw. Neutralisierung der UCK im Kosovo
abzielte, jedoch nicht auf die Vertreibung der Zivilbevölkerung.
Der Unterausschuss „zur Überprüfung von nachrichtendienstlichen Maßnahmen zur
Sicherung der militärischen Landesverteidigung“ am 4.05.1999 im Nationalrat in
Wien, hatte vor allem die Vorgänge rund um die Weitergabe eines Berichtes des
Heeresnachrichtenamtes, an das State Departement zum Thema. Im
Unterausschuß wurde weder der Bericht des HNA an die Bundesregierung zur
Einsicht vorgelegt, noch wurden irgendwelche Angaben über die Quellen oder
Dokumente, die dem HNA - Bericht zu Grunde liegen, den Mitgliedern des
Ausschusses vorgelegt.
Im Gegensatz dazu hatte das Nachrichtenmagazin profil Zugang zu den
Nachrichtendienstberichten (profil 15/10.04.2000). Den dort abgedruckten Zitaten zu
Folge wird erstmals am 29.01.1999 vom Plan der Bundes - Armee zur „großflächigen
ethnischen Säuberung“ gesprochen. Im Wochenrhythmus wurden dann die
internationalen Entwicklungen - Verhandlungen von Rambouillet,
Flüchtlingsbewegungen Kosovo, ... - durch die HNA - Berichte orchestriert. Letzten
Endes variiert man nach Einsetzen der Luftangriffe das Motiv zum HNA - Engagement
noch einmal: „Der gesamte Ablauf zeigt eindeutig, dass die Operation Potkova nicht
Folge der Nato - Luftangriffe war.“ Die fehlenden Quellen und Dokumentationen
lassen offen, wer diesen Plan, wann und mit welchem Ziel entwickelt hat.
Offensichtlich ist nur eines: Dass das HNA in Wien, ein wichtiger wahrscheinlich der
erste Träger dieser - für die westliche Politik nicht ganz unwesentlichen -
Desinformation war.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
ANFRAGE:
1. Nachdem Sie in der Anfragebeantwortung (616/AB) v.6.6.2000 festgehalten
haben, dass Ihnen von einer "Weitergabe eines Berichtes an die Mitglieder des
Rates der EU nichts bekannt“ sei, stellt sich die Frage: Auf welcher Grundlage
hat Ihrer Meinung nach die Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“
(21.04.1999) berichtet, dass Aussenminister Schüssel die Hufeisen - Berichte
des HNA „natürlich an die Aussenminister der EU - Staaten weitergegeben“
habe?
2. Sie schreiben in Ihrer ersten Antwort (616/AB) auf meine schriftlich Anfrage
(609/J) vom 6.04.2000: „Laut Medienberichten war die Nato bzw. die USA
bereits seit September 1998 über die Planungen der Operation „Hufeisen“
informiert“. Welche Medien haben zu welchem Datum derartige Berichte
veröffentlicht?
3. Wann wurde Ihren Erkenntnissen zu Folge der „Hufeisenplan“ erstmals vom
State Department genannt?
4. In der Antwort vom 16.JuIi 1999 stellt Verteidigungsminister Fasslabend fest:
„Die Skizzen der dem Internet entnommenen Beilage der Anfrage stellen nicht
Planungen der Operation „Potkova“ dar, sondern eine graphische Aufarbeitung
der von Jänner bis April 1999 aus offenen Quellen erkennbaren Erkenntnissen“
Scharping meinte demgegenüber im Deutschen Bundestag vom 5.04.2000:“...
will ich ihnen sagen, dass wir die Auswertung des Planes einschließlich der
Zeichnungen, die Bestandteil der Auswertung des Planes sind, unmittelbar
nach der Auswertung, nämlich am 8.April 1999, veröffentlicht, übrigens auch in
das Internet gestellt haben...“. Wer sagt die Wahrheit?
5. Fasslabend stellt in der oben genannten Anfragebeantwortung fest, die in der
Internet - Version „angesetzten Stärken der jugoslawischen Streit - und
Sicherheitskräfte“ seien „unrichtig und wiedersprechen auch allen öffentlich
zugänglichen diesbezüglichen Informationen.“ Seit Mitte Oktober 98 flogen
regelmäßig Luftaufklärungskräfte der Nato über dem Kosovo, die diese Zahlen
ergaben. Welche Zahlen hatte die österreichische Seite und wodurch waren
diese Zahlen besser fundiert als die von Scharping vertretenen?
6. Auch bezüglich des Beginns der Implementierung des „Hufeisen“ - Planes gab
es gravierende Unterschiede. Während Scharping behauptete dies sei bereits
im Dezember 1998 bzw. Jänner 1999 erfolgt, sagte Fasslabend in der
Anfragebeantwortung vom 16.07.99, dies sei erst ab März 1999 erfolgt. Welche
Angabe stimmt nun?
7. In besagter Antwort des damaligen Verteidigungsminister Fasslabend wird
festgehalten, dass Vorbereitung und Durchführung zu „Potkova“ bereits ab
Mitte Jänner erkannt wurden. Weshalb hat die österreichische
Bundesregierung nicht bereits zu diesem Zeitpunkt gewarnt, damit
Hilfsorganisationen die Vorbereitungen für die Aufnahme der zu erwartenden
Flüchtlingsströme ermöglichen?
8. Wann wurden erstmals Informationen über „Hufeisen“ an die EU - Partner
weitergegeben?
9. Ist Ihnen der genaue Inhalt des Vortrages, auf den Sie sich in der Antwort 9
(616/AB) beziehen, bekannt, oder haben Sie sich in der Antwort lediglich auf
die Wiedergabe im "Presse“ - Artikel (7.04.2000) bezogen?
10. Inwieweit erachten Sie einen derartigen Zeitungsartikel für ein
„Originaldokument“, nach dem in der Frage 9 (609/J. vom 6.04.2000) eigentlich
gefragt wurde?
11. Ist es richtig, dass der sechs - bis siebenseitige Bericht des HNA am 3. oder
4.April 1999 in Wien an Ihren damaligen deutschen Amtskollegen übergeben
wurde?
12. Ist Ihnen bekannt, wer die Verantwortung für die Begriffsbezeichnung
„Operation Hufeisen“ trägt?
13. Wurde der HNA - Bericht anderen westlichen Regierungen angeboten, die
diesen abgelehnt haben?
14. In profil 15/2000 wird aus den Aufzeichnungen des HNA über den
„Hufeisenplan“ zitiert. Aus den wörtlichen Zitaten entstehen weitere
Widersprüche rund um die Wahrnehmungen durch das HNA. Können Sie, Herr
Bundeskanzler, aus Anlass dieser Anfragebeantwortung veranlassen, dass
auch den Abgeordneten und ParlamentarierInnen vollständiger Zugang zu den
Aufzeichnungen des HNA verschafft wird?