1664/J XXI.GP
Eingelangt am: 14.12.2000
gemäß § 93 Abs. 1 GOG - NR
der Abgeordneten Dr. Gusenbauer, Dr. Pilz, GenossInnen und FreundInnen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend Dr. Böhmdorfer, Spitzelaffäre und Rechtsstaat
Für jedes demokratische Gemeinwesen ist es von hoher Bedeutung, dass die Träger des
demokratischen Systems über einen Grundkonsens an Werten verfügen und sich in ihrem politischen
Agieren dementsprechend verhalten. Zu diesem Grundkonsens gehört insbesondere das Bekenntnis
zum Rechtsstaat, zur unabhängigen Justiz, zur Demonstrationsfreiheit, zur Meinungsfreiheit und zur
Meinungsvielfalt. Für eine positive Weiterentwicklung der Gesellschaft ist es bei aller Verschiedenheit
der politischen Anschauungen notwendig, diesen Konsens zu erhalten und auszubauen. In den letzten
Monaten zeigte sich zunehmend, dass dieser Konsens von Vertretern der Regierungsparteien,
insbesondere der FPÖ, in Frage gestellt wird.
Für alle DemokratInnen sind die Garantien des Rechtsstaates unabdingbare Bestandteile der
staatlichen Ordnung. Die Entwicklung des Rechtsstaates ist geprägt durch Gedanken wie Herrschaft
der Gesetze vor der Willkür Einzelner.
Die Unabhängigkeit der Justiz ist Grundpfeiler unserer Bundesverfassung; Art. 87 B - VG garantiert die
Unabhängigkeit der Richter in der Ausübung ihres richterlichen Amtes.
Ein weiterer Grundpfeiler ist die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Eine Gefahr für den
demokratischen Staat besteht in der parteipolitischen Einflussnahme auf die Verwaltungsführung, so
Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts.
Der Rechtsstaat ist insbesondere auch am Grad der Rechtssicherheit messbar. Einer der Hauptaspekte
der Rechtssicherheit ist die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Die Gleichheit ist vor allem auch durch
die notwendige Distanz des Bundesministers für Justiz zu allen Verfahren garantiert.
Vorverurteilungen oder Vorfreisprüche - erst recht wenn sie durch hohe Amtsträger des Staates
geschehen - sind
jedenfalls aus der rechtsstaatlichen Sicht scharf zurückzuweisen. Die
unbedingte
Einhaltung aller rechtsstaatlichen Prinzipien gerade durch die Mitglieder der Bundesregierung ist für
die Demokratie unabdingbar.
Freiheitliche Politiker akzeptieren die Unabhängigkeit der Justiz und die Gesetzmäßigkeit der
staatlichen Verwaltung offenbar nur so lange, wie ihnen diese Prinzipien nützen. Sind sie selbst oder
Angehörige ihrer Partei in Verfahren verwickelt, greifen sie selbst die Vertreter der Justiz und der
Verwaltung an. Seit dem Regierungseintritt der FPÖ sind diese Angriffe keine Einzelfälle mehr. Die
Absicht, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gesetzmäßigkeit der staatlichen Verwaltung zu
beeinträchtigen, tritt deutlich hervor.
So gab es in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit der Spitzelaffäre rechtsstaatlich höchst bedenkliche
Angriffe von führenden Freiheitlichen auf ermittelnde Beamte des Innenressorts und ganz besonders
auf den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit. Letzterer musste sich sogar in Ausschüssen des
Nationalrats schwere Beleidigungen und unsachliche, durch nichts bewiesene Unterstellungen gefallen
lassen.
Besonders schwerwiegend sind in letzter Zeit aber auch Angriffe von Freiheitlichen gegen
Organwalter in der Staatsanwaltschaft sowie der Gerichtsbarkeit. Zu Recht setzen sich die Vertreter
der Richter und Staatsanwälte gegen Angriffe der FPÖ zur Wehr. So legte die Bundessektion der
Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) durch ihren Vorsitzenden
Klaus Schröder gegen Aussagen von FPÖ - Klubobmann Peter Westenthaler, wonach die in der
„Spitzelaffäre“ ermittelnden Staatsanwälte sowie der Untersuchungsrichter Stefan Erdei abgelöst
werden sollten, Protest ein. In einer „noch nie da gewesenen Art und Weise würden insbesondere
Politiker der FPÖ versuchen, medialen Druck auf die in der Spitzelaffäre ermittelnden Staatsanwälte
und den Untersuchungsrichter auszuüben“.
Weiters wird ausgeführt, dass es „beschämend“ sei, welche Gesinnung daraus gegenüber der
Grundsäule eines Rechtsstaates - der unabhängigen Justiz - zum Ausdruck komme.
In diesem Zusammenhang vermissten die Richter und Staatsanwälte beim amtierenden Justizminister
Dr. Dieter Böhmdorfer „eine klare Zurückweisung der gerade in den letzten Tagen massiv versuchten
Einflussnahme seitens hemmungslos parteipolitisch agierender Spitzenrepräsentanten.“ „Erschüttert“
sei man - laut APA - auch darüber, „dass die Angriffe Westenthalers weder vom Bundeskanzler noch
von ÖVP - Klubobmann Andreas Khol zurückgewiesen worden seien . Die Kritik aus der Justiz trifft
aber auch den Justizminister. Barbara Helige, die Präsidentin der Richtervereinigung, hielt
Justizminister Böhmdorfer vor: "Die Parteinähe des Ministers muss hier Besorgnis der Bevölkerung
hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz auslösen“.
Des weiteren zitiert die APA 0308 vom 11. Dezember 2000 Klaus Schröder weiter: „In dieser, in der
Zweiten Republik wohl
einmaligen Situation, wäre es höchst an der Zeit, dass der Herr
Bundespräsident die in dieser Angelegenheit verantwortungslos agierenden Parteipolitiker, von der
Vizekanzlerin bis zu Landesräten, in ihre demokratischen Schranken weist. ... Die Richter und
Staatsanwälte würden sich jedenfalls in ihrer der Rechtsordnung verpflichteten Arbeit von niemandem
einschüchtern oder beeinflussen lassen.“
Innenminister Strasser hat bei einem ähnlichen Sachverhalt - Organwalter seines Ressorts wurden
schärfstens verbal attackiert, nur weil sie ihre Pflicht erfüllt hatten - wenigstens ein gewisses Maß an
Solidarität mit seinen Beamten erkennen lassen. Bei Justizminister Böhmdorfer ist bisher nicht
bekannt geworden, dass er sich in gebührender Form schützend vor die angegriffenen Staatsanwälte
und Richter gestellt hätte.
Die Achtung des Rechtsstaats durch Mitglieder der Bundesregierung und die Unabhängigkeit des
Justizministers sind insbesondere durch vier Umstände in Frage gestellt:
1. Vizekanzlerin Riess - Passer hat die Justizbehörden aufgefordert, die gerichtlichen Verfahren gegen
ihre Parteifreunde in der Spitzelaffäre einzustellen. Damit hat ein Mitglied der Bundesregierung
versucht, ein Gerichtsverfahren zu beeinflussen. Der Justizminister hat Staatsanwälte und Richter
gegen diese und ähnliche Interventionen öffentlich nicht in Schutz genommen.
2. Gerichtliche Unterlagen belegen, dass RA Dr. Dieter Böhmdorfer in zwei Verfahren interne
Informationen und vertrauliche Akten von Sicherheitsbehörden für seine Klienten Dr. Stadler bzw.
Dr. Haider verwendet hat. Ein Teil der Informationen stammt offensichtlich aus dem
Polizeiinformationssystem EKIS. Damit wird der Verdacht begründet, dass Dr. Böhmdorfer
widerrechtlich beschaffte Informationen verwendet hat.
3. Nach einem bestätigten Aktenvermerk eines ehemaligen Konzipienten der Kanzlei Dr.
Böhmdorfer zufolge hat eine Staatsanwältin beim Versuch, dem damaligen Innenminister ein
Drogendelikt zu unterstellen, eine Anzeige bei der FPÖ und der Kanzlei Böhmdorfer bestellt.
4. Nach eben diesem Aktenvermerk waren Mitarbeiter der Kanzlei Böhmdorfer informiert, dass die
FPÖ über einen Informanten Zugang zum "Aktenkeller" des Wiener Sicherheitsbüros hatte. Die
Kanzlei Böhmdorfer verwertete auf diesem Weg beschaffte Informationen.
5. Der Aussage eines ehemaligen Konzipienten der Kanzlei Dr. Böhmdorfer zufolge hat der
Industrielle Turnauer im November 1996 dem nunmehrigen Landeshauptmann von Kärnten den
Geldbetrag von 5 Mio Schilling zukommen lassen. Die Übergabe geschah derart, dass zunächst
Turnauer den Betrag Jörg Haider übergeben hat. Dieser hat in der Folge einen Mitarbeiter des
freiheitlichen Parlamentsklubs beauftragt, den Betrag in die RA Kanzlei Dr.
Böhmdorfer zu
verbringen. Der ehemalige Mitarbeiter dieser Kanzlei kann den Vorgang der Übergabe in der
Kanzlei Dr. Böhmdorfer bezeugen. Er hat seine Angaben einem Anfragesteller gegenüber
vollinhaltlich bestätigt und ist jederzeit bereit, eine gerichtliche Aussage zu machen. Damit wird
der Verdacht begründet, dass Dr. Böhmdorfer an der Durchführung illegaler Parteienfinanzierung
beteiligt war.
Da der Bundesminister für Justiz bis heute unterlassen hat, zu den angeführten Sachverhalten klar und
ausreichend Stellung zu nehmen, richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für
Justiz folgende
1. Wie beurteilen Sie die Angriffe von freiheitlichen Politikern gegen die in der „Spitzelaffäre“
agierenden Staatsanwälte und Richter?
2. Wann, wo und wie haben Sie die Forderung von Frau Riess - Passer, die Strafverfahren gegen
freiheitliche Politiker einzustellen, zurückgewiesen?
3. Hat Frau Riess - Passer Sie persönlich zur Einstellung der Verfahren aufgefordert?
4. Jörg Haider hat erklärt, die in der Spitzelaffäre ermittelnden Staatsanwälte hätten
„nachweislich das Recht gebeugt und gebrochen“. Warum haben Sie bis heute die
Staatsanwälte nicht öffentlich gegen diese Angriffe in Schutz genommen?
5. Haben Sie selbst an der Vorgangsweise des Staatsanwalts etwas auszusetzen?
6. Die Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst klagte
darüber, dass in einer „noch nie da gewesenen Art und Weise“ insbesondere Politiker der FPÖ
versuchen würden, „medialen Druck auf die in der Spitzelaffäre ermittelnden Staatsanwälte
und Untersuchungsrichter auszuüben.“ Richter und Staatsanwälte protestieren immer schärfer
gegen die Einmischungen freiheitlicher Politiker in die laufenden Verfahren. Was haben Sie
unternommen, um freiheitliche Einmischungen in die laufenden Verfahren zu unterbinden und
Staatsanwälte und Richter vor dem Druck der FPÖ zu schützen?
7. Haben Sie - wie angekündigt - vor, eine Weisung zur „Beschleunigung“ der Verfahren zu
geben?
8. Wie stehen Sie zur Forderung, die Staatsanwälte gegenüber dem Bundesminister für Justiz
weisungsfrei zu stellen?
9. Wie stehen Sie zur politischen Forderung, einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt
einzurichten, der die Weisungsspitze gegenüber den Staatsanwaltschaften darstellen würde?
EKIS, AKTENKELLER ETC.
10. Im Beweisantrag zum Verfahren gegen Thomas K. haben Sie dem Handelgericht Wien am
19.1.1996 für ihren Mandanten Dr. Stadler „Front - und Profilaufnahmen des Klägers“
vorgelegt. Medien gegenüber haben Sie die Fotos als ,,Passfotos“ bezeichnet. Haben Sie die
Profilaufnahmen für ,,Passfotos“ gehalten?
11. Bei den Fotos handelt es sich um typische erkennungsdienstliche Aufnahmen. Hatten Sie als
Rechtsanwalt legalen direkten Zugriff zu erkennungsdienstlichen Aufnahmen der
Kriminalpolizei?
12. Wer hat Ihnen die Fotos von Thomas K. übergeben?
13. Hatten Sie als Anwalt legalen direkten Zugriff zum System EDE (erkennungsdienstliche
Evidenz) des BMI?
14. Als Anwalt sind Sie verpflichtet, sich von der Echtheit des von Ihnen vorzulegenden
Beweismaterials zu überzeugen. Wie haben Sie sich davon überzeugt, dass es sich bei den
Aufnahmen um echte Aufnahmen aus EDE handelt?
15. Im genannten Beweisantrag werden vertrauliche Informationen aus staatspolizeilichen Akten
aus Wien, St.Pölten und Innsbruck verwendet. Wer hat Ihnen die staatspolizeilichen
Informationen über Thomas K. übergeben?
16. Wie haben Sie sich davon überzeugt, dass es sich bei den Informationen über Thomas K. über
authentische staatspolizeiliche Informationen handelt?
17. Ihr ehemaliger Mitarbeiter hält in einem Aktenvermerk Ihrer Kanzlei vom 30.1.1996 in bezug
auf das Sicherheitsbüro des BMI fest, dass „die Möglichkeiten für weitere Recherchen sehr
erschwert worden“ sind, „insbesondere die Möglichkeiten, im Keller nach Akten zu suchen“.
Über welche Möglichkeiten, im Keller des Sicherheitsbüros nach Akten zu suchen, verfügte
Ihres Wissens nach die FPÖ?
18. Können Sie ausschliessen, dass Sie als Anwalt derart beschaffte Informationen aus dem
Sicherheitsbüro verwendet haben?
19. Haben Sie die SoKo oder den Staatsanwalt über Ihr Wissen über die Informationsbeschaffung
der FPÖ im BMI informiert?
20. Im oben zitierten Aktenvermerk eines Mitarbeiters der Kanzlei Böhmdorfer wird darauf
verwiesen, dass sich eine Staatsanwältin bei der FPÖ bzw. der Kanzlei Böhmdorfer eine
Anzeige gegen den 1996 amtierenden Innenminister bestellt hat. Was haben Sie unternommen,
um die Hintergründe dieses Tragwürdigen Verhaltens zu klären?
21. Welche disziplinarrechtlichen Schritte haben Sie in diesem Zusammenhang gegen Stk Dr.
Schuhmeister - Schmatral gesetzt?
22. Kurz nach der Einleitung gerichtlicher Vorerhebungen gegen Jörg Haider haben Sie am 28.
Oktober 2000 im Mittagsjournal erklärt: ,,Jörg Haider ist über jeden Verdacht erhaben.“ Wie
begründen Sie diese Erklärung?
23. In derselben Sendung haben Sie erklärt, die Vorerhebungen gegen Haider seien „nicht von
grosser Bedeutung“. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
24. Wie oft, wann und wo haben Sie mit Jörg Haider über die gegen ihn eingeleiteten
Vorerhebungen gesprochen?
25. Hat Haider Ihnen vorgeschlagen, das Verfahren gegen ihn einzustellen?
26. Warum haben Sie (laut Standard) den Bundesminister für Inneres ersucht, dem Staatsanwalt
über jeden Ermittlungsschritt gegen Jörg Haider zu berichten?
27. Mit welcher Begründung hat der Innenminister das abgelehnt?
28. Wie oft und wann ist Ihnen in der Spitzelaffäre berichtet worden?
29. Wie viele Dienstbesprechungen hat es bisher in der Spitzelaffäre gegeben?
30. Sie haben StA Fasching in die Sonderkommission des BMI entsandt. Welche Aufgabe erfüllt
Dr. Fasching in der SoKo?
31. Hat das BMI um die Entsendung eines Staatsanwalts in die SoKo ersucht?
32. Hat StA Fasching an Beamte des BMJ über die Ermittlungen berichtet?
33. Wenn ja, sind die Berichte auch Ihnen zugegangen?
34. Haben Sie bzw. Ihre Kanzlei die 5 Mio Schilling an die FPÖ weitergeleitet?
35. Wenn nein, wer ist der Empfänger der 5 Mio Schilling gewesen?
36. Sind jemals Gelder für die FPÖ über Ihre Kanzlei bzw. Ihre Person geleitet worden?
37. Wenn ja, wann, von wem und in welcher Höhe?
38. Werden Sie Ihren ehemaligen Konzipienten Mag. M. wegen seiner Aussage klagen?
39. Sie behaupten, Ihre Rechtsanwaltskanzlei nicht mehr zu führen. Warum haben Sie die Zeile
„Dr. Dieter Böhmdorfer - Bundesminister für Justiz“ in den Briefkopf Ihrer (Nicht - )Kanzlei
aufnehmen lassen?
40. Wie viele Anzeigen bzw. Sachverhaltsdarstellungen in bezug auf Ihre Person sind in den oben
genannten Causen bei der StA Wien eingebracht worden?
41. Werden die Ermittlungen in bezug auf Ihre Person von dem Staatsanwalt geführt, der für die
Spitzelaffäre in der StA Wien zuständig ist?
42. Wird Ihnen der Akt, in dem über die Ermittlungen gegen Sie berichtet wird, als Berichtsakt
vorgelegt?
43. Ist die Causa "Haider/5 Mio Schwarzgeld/Kanzlei Böhmdorfer" von der StA Wien bereits an
die FLD Wien abgegeben worden?
44. Sind Sie in der Causa „5 Mio Schwarzgeld/Kanzlei Böhmdorfer“ schon als Zeuge
einvernommen worden?
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage unter Verweis auf § 93(1)
GOG verlangt