2121/J XXI.GP
Eingelangt am: 2001.03.15
der Abgeordneten Dr. Hannes Jarolim und GenossInnen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend Gewissensgefangene in österreichischen Haftanstalten (§ 209 StGB)
Am 27.03.2001 hat das Landesgericht für Strafsachen Wien F.L. aus der Haft entlassen, der zwei
Wochen zuvor ausschließlich auf Grund des anti - homosexuellen § 209 Strafgesetzbuch in
Untersuchungshaft genommen worden ist (23b Vr 1474/01). Damit ist die Untersuchungsrichterin
der Forderung des in London ansässigen Internationalen Sekretariats von Amnesty nachgekommen,
den Mann unverzüglich freizulassen, den sie zuvor als Gewissengefangenen auf Grund seiner
sexuellen Orientierung adoptiert hatten. Es ist viele Jahre her, dass ein österreichischer Gefangener
von Amnesty London gemäß deren strengen Richtlinien als Gewissengefangener adoptiert wurde.
Selbst die österreichische Amnesty - Sektion konnte sich an den letzten Fall nicht mehr genau
erinnern.
Der 37jährige homosexuelle Mann wurde auf Grund eines Haftbefehls des Landesgerichts für
Strafsachen Wien festgenommen, weil er im Verdacht stand, mit Jugendlichen zwischen 14 und 18
Jahren sexuelle Kontakte gehabt zu haben, was nach österreichischem Recht nur zwischen
Männern, nicht aber bei Heterosexuellen und Lesben strafbar ist (§ 209 StGB).
Die Gendarmerie berichtete dem Gericht, dass sie auf Grund eines ‚“vertraulichen Hinweises“ (von
wem wurde nicht offengelegt) erfuhren, dass der Mann eine sexuelle Beziehung mit einem
l5jährigen jungen Mann hat. Nachdem sich auf Grund der „im Umfeld getätigten Erhebungen“ der
Verdacht erhärtet habe, holten sie den Jugendlichen von der Schule und befragten ihn insbesondere
zu mutmaßlich von ihm selbst begangenen Ladendiebstählen und anderen Delikten. Dabei
verhörten sie ihn auch intensiv über seinen Freund, wobei er die sexuelle Beziehung bestätigte. Bei
der Vernehmung (die am ersten Tag über 9 Stunden und am zweiten Tag 2 ½ Stunden dauerte)
betonte der Jugendliche, dass der Mann ihn liebt und dass alle sexuellen Kontakte in vollem
Einvernehmen erfolgten.
Daraufhin ersuchten die Gendarmeriebeamten um einen gerichtlichen Haftbefehl gegen den Mann.
Das Landesgericht für Strafsachen erließ diesen Haftbefehl antragsgemäß und konstatierte
Tatbegehungsgefahr, weil es sich bei dem homosexuellen Mann um einen „hemmungslosen
Triebtäter“ (sic) handle.
Der Mann wurde festgenommen, seine Wohnung durchsucht und er selbst dreimal intensiv
einvernommen. Während dieser Verhöre (von denen die letzten beiden mehr als 6 Stunden
dauerten) gestand er die sexuelle Beziehung mit diesem und drei anderen Jugendlichen innerhalb
der letzten sieben Jahre. Nach seiner Einlieferung in das Landesgericht wurde über ihn die
Untersuchungshaft verhängt.
Alle Jugendlichen waren zum Zeitpunkt der Kontakte über 14 Jahre alt. Der Mann ist unbescholten
und in leitender Position in einem großen Unternehmen tätig. Auf Grund der Haft musste er auch
um seinen Arbeitsplatz fürchten.
Die „Plattform gegen § 209“ informierte Amnesty International, die F.L. umgehend als
Gewissengefangenen adoptierten und seine sofortige Freilassung forderten. Der Generalsekretär
von Amnesty - Österreich, Mag. Heinz Patzelt, hat die Haftverhandlung als Vertrauensperson des
Inhaftierten besucht, in der die Staatsanwaltschaft auf der Fortsetzung der Haft bestand. Die
Untersuchungsrichterin folgte allerdings den Argumenten der Verteidigung, erfüllte die Forderung
von Amnesty und entließ den Mann aus der Haft.
Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat im Fall Sutherland bereits am 01.07.97
ausdrücklich höhere Altersgrenzen für homosexuelle als für heterosexuelle Beziehungen als
Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8, 14 EMRK) erkannt. UNO,
Europarat und EU verlangen seit Jahren einheitliche Altersgrenzen. Das EU - Parlament hat
Österreich in den letzten vier Jahren fünfmal, davon allein im Jahr 1998 dreimal, zweimal während
seiner EU - Präsidentschaft, zuletzt am 16.03.2000, dringend aufgefordert, § 209 endlich aufzuheben
und alle (ausschließlich) danach zu Freiheitsstrafen Verurteilten zu begnadigen. Am 11. November
1998 hat sogar der Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen von Österreich verlangt, das
diskriminierende Mindestalter zu beseitigen („concluding observations“ zu Österreichs Bericht
gem. Art. 40 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, 11.11.1998). Die
jüngste Aufforderung zur Beendigung dieser Diskriminierung erging erst im September dieses
Jahres durch die Parlamentarische Versammlung des (41 Mitgliedstaaten West-, Mittel und
Osteuropas umfassenden) Europarates (Rec 1474(2000)).
Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung hat der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte scharf verurteilt und ausdrücklich für ebenso inakzeptabel erklärt
wie Diskriminierung auf Grund von „Rasse“ (Lustig - Prean & Beckett v. United Kingdom (par. 90),
Smith & Gradey v. United Kingdom (par. 97), 27 Sept. 1999) oder Religion (Salgueiro da Silva
Mouta v. Portugal (par. 36), 21. Dez. 1999) (ebenso jüngst OLG Graz 24.11.2000, 9 Bs 304/00
[16]). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat solche Diskriminierung erst kürzlich
als „besonders abscheulich“ („especially odious“) bezeichnet (Opinion 216 (2000); ebenso wieder
Rec 1474(2000)). Auch der EG - Vertrag enthält seit dem Inkrafttreten des Vertrages von
Amsterdam ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung auf Grund „sexueller Orientierung“
(Art.13 EGV).
Die von § 209 StGB (zusätzlich zu anderen Tatbeständen) erfaßten „Taten“ sind (auch in
Österreich) im heterosexuellen und lesbischen Bereich völlig legal; sie interessieren dort keine
Sicherheits - und keine Strafverfolgungsbehörde. Sexuelle Gewalt, „Schändung“ ‚ sexueller
Mißbrauch von Kindern, Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses, Zuführung zur Prostitution,
Zuhälterei, Menschenhandel und öffentliche sexuelle Handlungen sind samt und sonders nach
anderen Bestimmungen strafbar (§§ 201 - 218 StGB). Alleinige Funktion des § 209 StGB ist es,
einverständliche sexuelle Beziehungen von mündigen Staatsbürgern zu kriminalisieren, und dies
ausschließlich zwischen Männern, während entsprechende Beziehungen zwischen Frauen bzw.
zwischen Frauen und Männern legal sind.
Am 16. März 1999 hat der damals amtierende Justizminister Dr. Nikolaus Michalek mitgeteilt. daß
sich „zum Stichtag 1. März 1999... in den österreichischen Justizanstalten insgesamt 11 Personen
wegen § 209 StGB in Haft (befanden), davon 5 Untersuchungshäftlinge und 5 Strafgefangene. Eine
Person wurde im Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs. 2 StGB angehalten“. (XX.GP. - NR
5312/AB, 19.03.1999 zu 5551/J = 7381/1 - Pr 1/1999). Am 19. April 2000 teilten Sie, sehr geehrter
Herr Bundesminister mit, dass es zum damaligen Zeitpunkt 1 Untersuchungshäftling, 9
Strafhäftlinge und 2 Personen im Maßnahmenvollzug waren (XXI.GP - NR 385/AB; 735/AB).
Diese Personen werden wegen ihrer sexuellen Orientierung in Haft gehalten, sind also
„Gewissensgefangene“ im Sinne des
Mandats von amnesty international.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Wieso ist im oben geschilderten Fall des Gewissensgefangenen F.L. die Staatsanwaltschaft
Wien Ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen, die be - und entlastenden
Gesichtspunkte gleichermaßen zu berücksichtigen (§ 3 StPO), warum hat sie in diesem
Sinne von Ihrem Ermessenspielraum (nicht zuletzt auch im Sinne einer
verfassungskonformen Interpretation) nicht Gebrauch gemacht, sondern - in völliger
Missachtung der menschenrechtlichen Dimension des Falles - nicht nur ursprünglich die
Haft überhaupt beantragt sondern auch noch nach zwei Wochen Haft auf der Fortsetzung der
ausschließlich auf § 209 StGB gegründeten Untersuchungshaft des unbescholtenen,
umfassend geständigen und völlig sozial integrierten F.L. bestanden?
2. Werden Sie dafür Sorge tragen, dass die Anklagebehörden künftig bei der Vollziehung des
§ 209 StGB die menschenrechtliche Dimension gebührend berücksichtigen und in
entsprechenden Haftfragen besondere Sensibilität werden walten lassen?
Wenn nein: warum nicht?
Wenn ja: wodurch; werden Sie insb. entsprechende Anweisungen erteilten und in welcher
Form?
3. Wie stehen Sie zu der Bezeichnung des Gewissensgefangenen F.L. durch den Journalrichter
als „hemmungslosen Triebtäter“?
4. Werden Sie, etwa durch Aus - und Fortbildungsmaßnahmen, dafür Sorge tragen, dass
Gewissensgefangene wie F.L. und andere auf Grund des § 209 StGB verfolgte Personen
künftig nicht auch noch zusätzlich durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte
verbal gedemütigt werden?
Wenn nein: warum nicht?
Wenn ja: wann werden Sie welche Maßnahmen konkret setzen und werden Sie
diesbezüglich auch mit der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung und Amnesty
International zusammenarbeiten?
5. Wie oft ist im Jahre 2000 auf Grund § 209 StGB (als alleiniges bzw. als im Sinne der
Verurteiltenstatistik führendes Delikt) Untersuchungshaft verhängt worden (aufgeschlüsselt
nach Gerichtshöfen)? Wie oft bei unbescholtenen Ersttätern nach § 209 StGB?
6. In wievielen Fällen ist 2000 bei unbescholtenen Ersttätern nach § 209 StGB eine
teilbedingte oder unbedingte Freiheitsstrafe verhängt worden (aufgeschlüsselt nach
Gerichtshöfen)?
Wie hoch waren diese Freiheitsstrafen?
7. Wieviele Personen befinden sich derzeit wegen § 209 StGB (als alleiniges oder im Sinne
der Verurteiltenstatistik führendes Delikt) in Untersuchungs - bzw. Strafhaft, wieviele im
Maßnahmenvollzug (aufgeschlüsselt nach § 21 Abs. 1, § 21 Abs. 2 § 22. § 23 StGB)?
8. Halten Sie die Verhängung von Untersuchungshaft bzw. einer Freiheitsstrafe auf Grund von
§ 209 StGB, und damit die Schaffung österreichischer Gewissensgefangener, immer noch
als (grundsätzlich) verhältnismäßig (XXI.GP 385/AB)?
9. Sind Sie nach wie vor der Ansicht, dass bei Strafverfahren nach § 209 StGB hinsichtlich
Niederschlagung und Begnadigung keine von sonstigen Strafverfahren abweichenden
Kriterien anzuwenden seien (XXI.GP 385/AB)?
Wenn ja, warum?
Wenn nein:
a. Nach welchen Kriterien würden Sie dem Herrn Bundespräsidenten die Niederschlagung
eines auf § 209 StGB gegründeten Strafverfahrens vorschlagen?
b. Nach welchen Kriterien würden Sie dem Herrn Bundespräsidenten die Begnadigung eines
nach § 209 StGB Verurteilten vorschlagen?